Various Artists „O*RS 1600“ (O*RS)

Okay, jetzt ist es amtlich – O*RS ist kein Einmal-Label-Projekt, das drei vorher nur digital erhältliche Good Guy Mikesh & Filburt-Tracks doch noch den Vinyl-Ritterschlag verpassen wollte. Die Nummer Zwei holt weiter aus.

Wieder ist sie farbig. Wieder handgestempelt. Detailfreude wird in Leipzig durchaus groß geschrieben. Und O*RS reiht sich in diese junge Tradition mit ein. Dass das Label von Filburt nun eigene Wege gehen möchte zeigt allein das Line-up der zweiten Compilation. Es ist kein Track von Good Guy Mikesh & Filburt enthalten, wie beim Debüt. Vielmehr gibt es ein kleines Comeback von Mr. Mille & Mr. Hirsch.

Die beiden haben unter diesem Namen seit sechs Jahren nichts mehr veröffentlicht. Bis 2005 betrieben sie auch ihr eigenes Label Polish Records – wahrscheinlich zur falschen Zeit. Denn vom Charakter der zehn Releases her ist dieser Sound in Ansätzen heute wieder da. Ihr „Trompeten“ ist ein gelungener Rückkehrgruß. Federleicht und doch straight in den Bassdrums, selbstbewusst in sich aufbäumenden Fanfaren-Chords. Ganz nah an der Rave-Falle jonglieren sich die beiden entlang und bespielen doch ganz selbstverständlich die komplette A-Seite.

Auf der Rückseite dann zwei Tracks einer jüngeren Leipziger House-Generation. Lake People geht mit „It Happened“ einen durchgehend deepen Weg. Mit Vocals- und Gitarrensamples, warmen Chords und leichten Strings. Da stimmen Proportionen, die Dramaturgie und die Balance der Sounds untereinander. Fast schon beängstigend perfekt.

Eine Ähnlichkeit zur „O*RS 1500“ gibt es bei der zweiten Platte dann aber doch: wieder ist ein Re-issue eines vorher nur digital veröffentlichten Tracks drauf. Dieses Mal beschert es Metasound & Lucius14 das erste Stück auf Vinyl. Ihr fluffiges House-Stück „Echoes Of A Long Lost Future“ war auf der „Campfire Funk Pt. 1“ bereits zu hören.

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Unbeirrt und konsequent

Unbeirrte Konsequenz – dies fällt mir bei Headnoaks immer wieder ein. In Leipzig ist er mit der wichtigste Protagonist, der den ursprünglichen Electro-Sound um weitere Nuancen ausbaut. Eine kleine Werkschau.

Die durchaus vitale Leipziger Electro-Szene – und damit ist nicht die Wir-hauen-Techno-und-House-in-einen-Begriffsbrei-Verwässerung gemeint – kam bei frohfroh vor einiger Zeit schon einmal zu Wort. In der Zwischenzeit passierte zwar kein neuerlicher Schub, aber ein spezifischer Fokus auf Headnoaks stand noch aus. Denn aus dem Blackred-Umfeld ist er derjenige mit dem umfangreichsten Output.

Nach einigen Net- und Vinyl-Releases stellte Headnoaks Anfang Mai dieses Jahres neun Alben bei Bandcamp ein. Jene Plattform, über die Labels und Künstler ohne Vertrieb ihre Musik in Eigenregie in den digitalen Umlauf bringen können – zu selbst festgelegten Margen, mit dem Artwork als PDF und eigenen Layout-Anpassungen.

Die Tracks bei verschiedenen Labels unterzubringen, war für ihn nicht unbedingt reizvoll. Viele der interessanten Labels veröffentlichen auch nur noch digital. Zwar kommen über Bandcamp ohne großen Namen nun auch nicht die großen Erlöse, aber das Archiv schlummert nicht länger auf der Headnoaks-Festplatte.

Das Spannende zudem: Headnoaks hat die Stücke nicht willkürlich online gestellt, sondern im Vorfeld Alben angelegt. Er kuratiert quasi seine eigenen Stücke zu einen größeren Zusammenhang. „Different Galaxies“ beispielsweise geht sehr straight auf den Dancefloor, „Anti-Life“ und die beiden „Cell Biology“-Teile sind in sich verschlungener. Lediglich „Early Pieces“ ist chronologisch zu sehen – mit frühen Stücken aus Neunzigern. „H-78 Klinik“ ist das aktuellste Werk, wahrscheinlich mit den jüngsten Stücken.

Was alle Alben zusammenhält sind der düstere Futurismus und die interstellare Romantik, die aus den historisch klingenden Synthesizer-Arrangements hervor scheinen. Ein Sound, in dem die elegischen wie auch kratzigen Harmonien einen breiten Raum einnehmen, in dem durchaus immer auch eine sehr eingängige Note mitschwingt.

Einige Tracks wird es künftig dennoch bei anderen Vinyl-Labels zu hören geben, so Headnoaks. Als Deputy-78 produziert er übrigens auch für das Label-Kollektiv Antizer0. Und vielleicht wächst Blackred eines Tages auch zu einem Label heran.

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Das Knight Rider-Gefühl

Leipzig schmückt sich ja nach wie vor gern mit Goethes Ode an das Klein-Paris. Das Institut français hält die französische Flagge in der Stadt auch hoch. Jetzt gibt es auch einen Leipzig-House-Export auf einem Pariser Label.

Es ist schon erstaunlich, wie antiquiert Musik klingen kann, die erst vor wenigen Jahren ihren euphorischen Höhepunkt erlebte. Der French House-Zenit ist längst überschritten, keine Frage. Und doch frönt ein Szene-Kern beharrlich diesem Sound mit den aufgeladenen Synthies und leichtfüßigen Bassdrums.

Ein wenig half dabei vielleicht auch die New Rave-Welle um Ed Banger oder das Disco-Aufflackern der letzten Jahre. Der Maximalismus bleibt anziehend. Nicht nur auf den Mainfloors der großen Diskotheken. In Leipzig ist der Sound scheinbar nicht allzu verbreitet, aber es gibt ihn.

Mitte Oktober veröffentlichte ein Producer namens Pwndtiac seine Debüt-EP „The Horsepower EP“ auf dem Pariser Label Work It Baby. Moonbootica hatten einmal eine EP. Die anderen Künstler sagen mir sonst nichts. Auf jeden Fall ist das Engagement groß. Eigener Video-Trailer, sieben Tracks für den Start.

Viel ist nicht bekannt von Pwndtiac. Selbst Work It Baby hält sich auf der Website noch zurück und gibt sich überraschend ehrlich: „Nothing new so far, yet there is something special about it…“, heißt es da. Wie so oft also wird hier kein Neuland betreten. Aber die tief ausgelatschten Pfade werden um ein paar Spuren ergänzt.

Die „Horsepower EP“ strotzt nur so vor Knight Rider-Lässigkeit. Kitsch und Allüren, Funk-Basslines und filmreife Hooklines – auf hohem Niveau. Für eine tendenziell eher humorarme House- und Techno-Szene wahrscheinlich die Hölle. Aber gerade im Kontrast dazu strahlen Pwndtiacs Tracks ein angenehmes, sehr entwaffnendes Selbstvertrauen aus.

Hier geht es nicht um Ausdauer und die echte Deepness. Hier stehen Pop-Attitüden und große Gesten im Raum. In der Eigensinnigkeit erinnert Pwndtiac damit an Gregor, auch wenn der viel mehr im Boys Noize-Kosmos umherstreift.

Ich gebe zu, dass das nicht unbedingt Musik ist, zu der es mich sonderlich zieht. Aber die Versiertheit, die aus den sieben Stücken der „Horsepower EP“ herauszuhören ist und die latent mitschwingende Ironie – egal ob bewusst oder unbewusst – ergeben doch ein „special“-Faszination, von dem Work It Baby eingangs spricht.

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Kleinschmager Audio „The Original Series EP“ (Rrygular)

Oh, schon wieder ist eine Platte hier untergegangen. Dieses Mal drei neue Tracks von Kleinschmager Audio von Anfang September. Und wieder auf Rrygular veröffentlicht.

Mir rutscht im Hinterkopf immer wieder durch, dass Jörn Kleinschmager bereits ein Album herausgebracht hat. Das liegt nun schon zweieinhalb Jahre zurück, aber es thront irgendwie in seiner Discographie. Seitdem ist jedoch auch nichts wirklich Neues von ihm erschienen. Weil er sich auf das DJing konzentrierte, heißt es in der Label-Info. Die „Original Series“ haben drei schlanke, reduzierte und funktionale Tracks.

Bei Kleinschmager Audio gibt es oft solche Momente, die nicht weit von dem runter gestrippten und weich gezeichneten Tech-House von Moon Harbour entfernt sind. Und dann bricht er doch immer wieder auch aus. Nur in Nuancen. Ein etwas offensiverer Rave-Ansatz wie bei bei „Mudd’s Woman“, oder die breit auffahrenden Synthesizer-Spuren beim zweiten Teil von „Dagger“.

„Tricorder“ ist in dem Gros der Funktionalität mein Favorit. Super einfach in den Chords, aber in der Verschlungenheit auch super anziehend. Okay, die Vocal-Samples in den Breaks sind scheinbar so ein Jungsding. Aber insgesamt hat „Tricorder“ genau die Simplizität und die deepe Leichtfüßigkeit, die zwischen Funktion und Schöngeist möglich ist.

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Sven Tasnadi „Black Souls“ (Instabil)

Die Nächte werden länger, die Luft kälter – ihr wisst, was draußen passiert. Jedes Jahr dasselbe Spiel. Erstaunlich ist eher, dass Sven Tasnadi diesen Herbst sehr dark einläutet.

Sven Tasnadi ist wenig fokussiert auf eine bestimmte Linie in seinem Sound. Zwischen „Nordsee“ und „Amy Rose“ liegen Welten. Für Instabil und Statik Entertainment gräbt sich Tasnadi noch einmal in andere Gefilde. Darker, dubbig vertrackter Techno.

Und vertrackt ist die Sache auch hinter den Sounds. Sein Engagement für Instabil und Statik Entertainment hängt nämlich an einem anderen Künstler – Jakob Altmann, ein Berliner Münchner Producer, der Techno noch so nimmt, wie Techno eigentlich ist. Quasi auf die Berliner Art. Von ihm erscheint demnächst eine EP bei Statik.

Sven Tasnadi bringt zeitgleich eine Mix-CD mit drei eigenen – düster gestimmten – Stücken und einigen von Jakob Altmann heraus. Aus diesem Mix wird dann „Black Souls“ via Instabil einzeln ausgekoppelt. Soweit der konzeptionelle Überbau. Für Sven Tasnadi seit das jedoch „keine klassische DJ Mix-CD.“ Sie repräsentiere nicht das was er sonst im Club spiele. Zuhause höre er solch einen Sound durchaus gern, für den Dancefloor sei er aber zu düster.

Düster ist „Black Souls“ tatsächlich. Anfangs noch recht klassisch dem Dub-Techno verbunden, versetzt die plötzlich einsetzende, derbe Bassdrum dem Stück eine unerwartet forsche Wendung. Im Hintergrund schwebt ein leicht sakraler Chord, die HiHats rasseln angeteast.

„Black Souls“ bleibt bis auf die Bassdrum-Schübe fast zehn Minuten lang in einer dunklen Blase gefangen. Das hat hypnotische Qualitäten, aber auch ermüdende. Erst im Mix findet der Track einen schlüssigeren Ort als einzeln. Das mag bei vielen House- und Techno-Tracks so sein. In dieser direkten Gegenüberstellung wird diese Gepflogenheit aber umso deutlicher.

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Remix-Überblick

Es gibt ein kleines Problem. Kein großartiges. Immer wieder gehen hier Remixe mit Leipziger Handschriften unter. Weil es noch nicht die ultimative Remix-Kolumne bei frohfroh gibt. Weil es sich nicht lohnt nur einen Remix vorstellen. Um nicht komplett den Anschluss zu verlieren, zweckentfremde ich einfach mal den News-Ticker. Immer schön Remix plus Original zum Hören

Aus dem erweiterten Kann-Umfeld gibt es nämlich eine neue EP von Johannes Beck. Der Berliner zählt durchaus zum Artist-Stamm. Und auf Mutual Musik kam kürzlich die EP „Prince Of The Night“ heraus. Ein typisch musikalisch gestimmter Beck-Track, dem sich auch Map.ache mit einem Daylight-Mix widmete. Träumerisch und dezent vertrackt.

Auch Chris Manura legte Hand an einen fremden Track. Auf rotem Vinyl veröffentlichte Dirtydrivesounds zwei neue Tracks von Mac-Kee. Chris Lattner und Chris Manura nuancierten hinzu. Manura strickt „Blood And Soul“ etwas schlanker und mit weniger Funk-Bläser-Brimborium. Dafür schiebt er eine tief drückende Dub-Ebene unter das House-Stück. Und gewinnt damit.

Bei Farbton Records ist auch wieder Mittagskind zu hören. Nach seiner EP „Over Cities“ nun als Remixer für Scott la Coxx‘ Stück „Wallstreet“. Und er entzerrt den Dub stärker als beim Original, nimmt ihm den Druck heraus. Das gibt „Wallstreet“ eine verträumtere Grundstimmung. Und alles relativ understatement.

Und zum Schluss der einzige Nicht-Remix. Dafür ein neues Stück von Lake People, das auf einer 4-Track-Compilation auf Crossfrontier Audio. Auf einer sehr verschiedenartigen. Zwischen drei anderen Maximal-Rave-Stücken gruppiert sich sein „Tellap Tac“. Flink und verspielt, in seiner euphorischen Ausuferung aber echt zurückhaltend im Gegensatz zu dem Rest der Platte. Eine wirklich skurrile Platzierung.

Habe ich was vergessen?

Italoboyz vs. Blind Minded „Bekeke“ (Moon Harbour Recordings)

Humor ist ja nicht das Schlechteste im Leben. Auch im House nicht. Der Grat zum Albernen ist jedoch höchst schmal, wie die aktuelle Moon Harbour-Platte beweist.

Eine Kollaboration der italienischen Wahl-Londoner Italoboyz und Blind Minded. Mit Trapez Ltd. haben beide einen gewissen Schnittpunkt – beide veröffentlichten bereits auf dem Kölner Label. Auf Moon Harbour debütiert nun diese Dreier-Konstellation mit drei Tracks. Rein vom gerade gezogenen und eruptionsfreien House- und Tech-House-Ansatz passt die „Bekeke EP“ schlüssig in den aktuellen Label-Katalog.

Die Platte fällt aber zugleich auch sehr auffällig aus eben jenem Raster. Jeder Track wird mit einem großen Augenzwinkern versehen. Naive Melodien, Trash-Fernseh-Hooks, ausdauernde Pfeiforgien oder tieftoniges Mitsummen – die Italo-Connection lässt nichts unversucht, um House ein breites Grinsen zu verpassen. Es macht aber einen Unterschied, ob mit Ironie oder mit Albernheit etwas gebrochen wird.

Und um einen Bruch mit House-Konventionen geht es dem temporären Trio ganz sicher. Wo ist also die Grenze? Wahrscheinlich an dem Punkt, wenn die Ideen und Mittel zu plump ausfallen, wenn der Ironie der subtile Charme des Abwegigen fehlt. Und das geht mir bei jedem der drei Tracks dieser EP so. Drei Knallbonbons mit Lach-Diktat. Ich weiß nicht…

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Juno6 „Jenz Lutz EP“ (Freude am Tanzen)

Auf höchst unprätentiöse Weise entwickelt Juno6 einen immer ausgefeilteren Sound. Und mit jedem Track kommt scheinbar eine neue Nuance hinzu. Auf seiner zweiten EP für Freude am Tanzen ist es der Pop-Appeal.

Nicht, dass Juno6 bisher nicht schon oft genug überzeugte. Die „Jenz Lutz EP“ sticht aber irgendwie noch einmal besonders hervor. Vielleicht ist es die Vielseitigkeit, vielleicht der überraschend deutlich ausformulierte Pop auf der B-Seite. „Action3“ zieht mit scharfkantiger Straightness von Beginn an los, offenbart zur Mitte hin dann jedoch solch einen Pop-Anstrich, dass ich anfangs in Deckung ging. Zu schnell kann eben dieser von einem House-Fundament elektrifizierte Funk-Pop ins Aufdringliche und Beliebige abrutschen.

Aber Juno6 begegnet dieser Gefahr mit einer kraftvollen Bassline, dissonanten Momenten und einem wunderbar verwobenen Vocal-Puzzle, das live von zwei Frauen eingesungen wurde, die ebenso wie Juno6 Schultz mit Nachnamen heißen. Eine Familienproduktion etwa? Spätestens beim inszenierten Duett zwischen originaler und durch den Vocoder geschickter Stimme wird „Action3“ reif für das Radio – im guten Sinne aber. Für das Radio 1-Tagesprogramm.

Es ist der tighte und durchaus ungeschliffene Sound, der dem Pop hier die spannenden Kanten zuführt. Auf der vorherigen FAT-Platte von Juno6 gab es übrigens ein „Action2“, auch schon mit den Schultz-Stimmen.

„Nend“ bleibt diesem Ansatz nahe, dreht mit seinen warmen Chords und der Dramaturgie insgesamt aber doch wieder deutlicher auf den House-Floor ab. Die Schultz-Sängerinnen sind skizzenhafter zu hören.

Und die A-Seite: die hält sich von von diesem Pop-Ausflug fern. „Tanger“ tänzelt mit flirrend-träumerischem Sound und deepen Chords dem Sonnenuntergang entgegen. Unglaublich, wie nahtlos und perfekt in diesen Strom die Flöte und die Strings reinpassen. Ohne Hektik schiebt sich „Tanger“ nach oben, hin zu einem Stück, das die letzten Reserven einer langen Nacht hervorzuholen weiß. Ja, das klingt hier euphorisch. Und das ist auch so gemeint. Denn mit dieser EP übertrifft sich Juno6 selbst.

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Teufel links, Teufel rechts

Der Teufel übt gerade wieder eine besondere Anziehungskraft aus – Sascha Ring alias Apparat nennt sein aktuelles Album „The Devil’s Walk“, auch die Neu-Leipziger Pentatones sind in Teufels Hand.

Die intensive Leipzig-Thüringen-Verbindung kommt bei diesem Quartett einmal mehr zum Vorschein. Denn eigentlich ist vieles bei Pentatones mit Weimar und Jena verbunden. Und dass im besten Sinne. Sängerin Dehlia war bereits auf zahlreichen Tracks von Douglas Greed, den Wighnomy Brothers und Marlow zu hören. Immer sehr präsent und einnehmend. Immer gut ausbalanciert zwischen Soul-Overkill und angerautem Charme.

Bei Pentatones ist sie nun Teil einer Band, die mit klarer Pop-Attitüde auf den Dancefloor drängt und die gern auch zu einer gewissen Extravaganz auf der Bühne neigt. Also gar nicht weit entfernt von den Erfurtern und Quasi-Leipzigern Marbert Rocel, wenn auch mit etwas mehr Crisp und dunklem Schimmer.

In Vorbereitung zu dem demnächst erscheinenden Album kam im September eine Vorab-EP „The Devil’s Hand“ heraus, einem Electronica-House-Stück, das in der Dramaturgie Track und Song gleichermaßen ist. Die Stimmungen schwanken zwischen entwaffnender Demut, ausgeglichener Sanftmut und forschem Angriff. Das verleiht dem Original eine verblüffend hoch peitschende Atmosphäre, die sich nur teilweise entlädt.

Für die Remixer dürften diese vielen Spannungsbögen Fluch und Segen zugleich gewesen sein. Alle einigen sich jedoch auf die Entschlackung. Gunne und End Of Tape entschlacken im Sinne der Straightness. Schleck&Stecker sowie Douglas Greed ziehen die düsteren Momente des Originales noch ein zwei Etagen tiefer in den Keller.

Greed möchte dabei noch tanzen, Scheck&Stecker nehmen dagegen jeden Funk heraus und basteln die Einzelteile zu einem kratzig-stolpernden und schleppenden Pop-Song zusammen – inklusive rückwärts gezogener Vocals. Hier kommt der Teufel-Ansatz am eindrucksvollsten heraus. Und der Mix zeigt auch, wie weit und nah zugleich sich ein Remix zum Original verhalten kann. Und Pentatones? Wir sind gespannt auf das Album.

Pentatones Website
Lebensfreude Records

Selten geerdet

Oh oh, im Pseudoym-Dschungel ist hier eine Kassem Mosse-Platte durch die Lappen gegangen. Schon im Juni erschien auf dem japanischen Label Mule Electronic eine Platte als Seltene Erden. Nur wenige Tage liegt dagegen die Nonplus-Platte von ihm zurück.

Zugegeben: der Artist-Name könnte in seiner verschwommenen und poetischen Mystik auch aus dem Dark Wave- und Gothic-Umfeld stammen. In Wirklichkeit ist es aber Gunnar Wendel alias Kassem Mosse, der hier vier neue Tracks veröffentlicht. Doch braucht es den anderen Namen? Jein. Denn für jemanden wie Kassem Mosse kann solch eine Platte Testlauf und Befreiung zugleich sein. Sein Name ist längst zum Trademark geworden und daran geknüpft sind bestimmte Erwartungen und Vorurteile. Auch ihm selbst ist das durchaus bewusst. Und so stehen die Tracks für sich im Raum, ohne Kassem Mosse-Stempel.

Seltene Erden scheint denn auch nicht als neues und offizielles Seitenprojekt geplant gewesen zu sein. Das Label spricht von einem neuen Künstler, auf der Facebook-Seite von Kassem Mosse findet sich kein Verweis das Seltene Erden-Debüt. Doch das Internet ist schneller. Bei Discogs gibt eine Verlinkung zwischen Kassem Mosse und Seltene Erden, Monday Edition wusste auch Bescheid.

Vom Sound der vier Stücke her ist die Nähe dann natürlich nicht von der Hand zu weisen. Im Detail fallen sie jedoch entzerrter und noch eine Spur historischer aus – einerseits in einem Ambient-Rahmen bei „Bayan Obo“ und „Hoidas Lake“, andererseits in einem forschend-rohen Chicago-Kellerstudio-Rahmen bei „Northern Rae“ und „Kvanefjeld“. Das Tempo bei letzteren beiden Stücken ist indes noch einige Gänge mehr runter gedimmt, hin zu roughem Beatdown mit schwelgerischem Industriecharme.

Kassem-Mosse-Enoha-EPAuf Nonplus Records, dem eher im Dubstep verwurzelten Londoner Label bleibt alles offiziell – wie schon bei der ersten Platte dort. Doch so charakteristisch Kassem Mosse in seinem Sound ist, so sehr überrascht er mit dieser EP. „Enoha“ beispielsweise, weil das Stück sehr schlank und stromlinienförmig im Techno unterwegs ist. Fordernde Hi-Hats, keine gestenreichen Snythie-Chords. Techno kommt wieder, ist davon nicht schon länger die Rede?

Die drei anderen Stücke überraschen dann weiter als Set – denn sie bewegen sich in dem für Kassem Mosse sich gleichberechtigt entfaltenden experimentellen Sound zwischen Electronica und Electro. In dieser Dichte kam diese Seite von ihm allerdings noch nicht zum Vorschein. Es ist eine wesentlich düstere Platte als vieles, was zuvor von Kassem Mosse erschienen ist. Das Schwelgerische weicht einem harschen, unberechenbaren und dicht verschlungenen Hybriden für die ausfransenden Ränder des Dancefloors.

Vielleicht die darkeste Platte von Kassem Mosse überhaupt. Aber sie zeigt auch, dass er in der selbst erarbeiteten künstlerischen Freiheit eigentlich nicht unter anderen Namen zu veröffentlichen braucht. „Enoha“ ist als Gesamtes nämlich überraschender und wegweisender als der Inkognito-Ausflug von Seltene Erden.

Nonplus Records Website
Mule Electronic Website
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My Hype Your Hype

Hypemachine at it’s best. Riotvan hat ihn gerade eben entdeckt, wir springen begeistert mit auf. In unbändigem Web 2.0-Tatendrang und mit offensiven Pop-Appeal kommt My Heart Your Heart um die Ecke geschossen.

Pop – ohne Scheu ausgelebt, leicht antik in den Wave-Arrangements und mit dem nötigen Schmiss, um auch auf den Dancefloor nicht alt auszusehen. My Heart Your Heart, kurz MHYH macht vieles richtig, wenn es um eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit Pop-Musik der letzten 30 Jahre geht. Große Snythie-Melodien, Disco getränkte Beats, Pathos geschwängerte Vocals – und das alles aus einer Hand.

Nämlich der von Sebastian Sackewitz, einem 25-jährigen Hannoveraner, der seit vier Jahren in Leipzig lebt, so ist es bei Riotvan zu lesen. Die Künstler-Plattform ist nicht minder begeistert und hat gleich einen Remix für der Here Is Why-Album geordert, das im nächsten Frühjahr erscheinen wird. Ja, Riotvan wird zum Label.

Doch zurück zu MHYH: von ihm soll demnächst auch eine EP folgen, die „Benice Veach EP“. Klar, viel von dieser hier entfachten, musikalischen Euphorie hat Caribou im letzten Jahr mit seinem Album „Swim“ zwar bereits abgreifen können – gerade bei „Eleven“ ist die Nähe beinahe schon dreist.

Aber MHYH kommt diesem Entdeckungsgefühl schon sehr nahe. Vielleicht weil es direkt von nebenan stammt. Vielleicht, weil hier tatsächlich jemand Potential entwickelt. Spannend dürfte noch sein zu sehen, wie die One-Man-Show live umgesetzt wird. Hört und seht selbst. Drei Videos gibt es zu seinen Stücken auch.

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„Es geht doch hier nicht um Geld“

Die Netlabel-Szene ist in den letzten Jahren nicht unbedingt lebendiger geworden. Aber sie lebt weiter. In Leipzig etwa mit Markus Masuhr und seinem Label Insectorama. Wir wollten wissen, warum er an dem Konzept weiter festhält.

Ist die digitale Avantgarde in der Sackgasse fragte frohfroh vor zwei Jahren – Anlass war das Ende des Leipziger Netlabels 1bit Wonder und die Transformation von Instabil hin zum Digital-Label, bei dem die MP3s verkauft und nicht mehr verschenkt werden. Wir wollen wissen, wie es 2011 um die hiesige Szene bestellt ist.

Ist die große Netlabel-Euphorie vorbei oder täuscht der Eindruck?

Auf jeden Fall ist die Euphorie vorbei. Es kamen jede Woche unzählige neue Netlabels ans Tageslicht und wie es nun einmal bei so einer Situation ist, kamen leider viel zu viele schlechte Releases heraus. Was der ganzen Sache einen üblen Beigeschmack beschert hat. Die meisten dieser neuen Netlabels sind aber auch meist nach kurzer Zeit wieder in die Versenkung zurückgekehrt.

Leider haben aber auch sehr viele große und sehr gute Netlabel dadurch sich entschlossen den Schritt nach „vorn zu gehen“. Hin zum Digital-Label, sie wollen damit jetzt Geld verdienen, was ich für einen Trugschluss halte, da dort gerade das gleiche passiert – nur in einem sehr viel größeren Stil. Und da viele Digital-Labels es nicht so genau mit der Bezahlung der Künstler nehmen, gibt es immer mehr, die wieder zurück zu Netlabels gehen, weil sie den Umgang mit ihren Tracks so nicht mehr mit sich vereinbaren können.

Welche Netlabels sollte man denn heute im Blick behalten?

Tropic Netlabel aus Frankfurt, das von d.soul geführt wird oder Inoquo aus Spanien. Und da wären noch Bleepsequence, Deepindub, Unfound, Monokrak, Zimmer, Miniatura um nur einige zu nennen. Die Liste könnte man jetzt noch stetig fortsetzen, aber auch hier denke ich, dass sich Qualität auf jeden Fall durchsetzt. Viele große bekannte Acts haben ja mal auf Netlabels angefangen oder releasen heute immer noch zweigleisig – einmal auf Vinyl und dann eben auf Netlabels.

Der für mich größte Unterschied – und zugleich auch der Positivste – ist, dass bei Netlabels keiner mit angeblichen großen Acts wirbt, die angeblich alle deren Releases spielen und so toll finden. Denn meistens ist es so, dass umso mehr ein Digital-Label seine Releases mit Künstlern bewerben muss, desto schlechter ist der Sound es in der Regel.

Was ist für dich der Grund weiter ein Netlabel zu betreiben?

Es gibt so viele unbekannte, sehr gute Künstler auf der Welt, die fantastische Musik machen, aber nie die Chance bekommen auf Vinyl zu releasen. Genau da kommt ein Netlabel zum Einsatz. Gerade im Dub-Techno-Bereich gibt es viel bessere Netlabel-Releases als Vinyl-Releases.

Für mich war und ist es einfach wichtig Künstlern eine Plattform zu bieten, auf der sie sich verwirklichen können. Das geht mit einem Netlabel am einfachsten und auch am schnellsten. Für mich stand auch nie zur Debatte, ob ich zu Digital wechseln sollte, denn ich bin der Meinung, dass Musik – abgesehen von Vinyl – kostenlos sein sollte. Es geht doch hier nicht um Geld, sondern um Musik.

Man hat ja schließlich nichts in der Hand, wie beim Vinyl. Und warum sollte man für etwas zahlen müssen, das man am Ende nur als digitale Datei auf dem Rechner hat? Klar könnte man jetzt sagen der Künstler hat da etwas erschaffen und sollte auch dafür entlohnt werden, aber dann sollte der Künstler selbst entscheiden dürfen, welchen Weg er geht, um seine Tracks zu releasen.

Geht es aber nicht mehr um die Musik und Kunst an sich, die einen gewissen Wert hat – unabhängig von ihrem Format?

Das ist schon richtig. Von meiner persönlichen Sicht aus würde ich nie für eine digitale Datei Geld ausgeben. Bei Vinyl ist es mir hingegen total egal, was es kostet. Wenn mir die Musik gefällt, kaufe ich sie mir. Das hat dann wohl mit der Sammelleidenschaft zu tun und mit der Limitierung des Vinyls. Auch hat man bei Vinyl was in der Hand. Da steckt vom Track übers Cover sehr viel Arbeit drin, was bei digital natürlich auch der Fall ist und auch gebührend belohnt werden sollte.

Aber es ist digital und nicht Vinyl. Viele sehen das anders und kaufen digitale Releases und das ist auch gut so. Ich hingegen bin da wohl eher ein bischen altmodisch und engstirnig und verharre da vieleicht zu sehr auf meiner Einstellung. Aber das ist nun mal die freie Entscheidung, die ich habe und die jeder andere auch hat. Es ist sicherlich auch ein Grund, dass man bei digital einfach nichts in der Hand hat nach dem Kauf. Es ist und bleibt eine digitale Datei auf dem Rechner.

Insectorama hat einen enormen Output – gibt es eine feste Fan-Base oder schwanken die Download-Zahlen?

So enorm würde ich den Output nicht bewerten. Insectorama gibt es seit 2006 und bis jetzt sind es 47 Releases. Eine Fan-Base gibt definitiv. Und die ist wunderbarer Weise auf der ganzen Welt verteilt. Trotzdem schwanken die Downloadzahlen so zwischen 3.000 und 30.000 Downloads pro Release.

Aber ich denke solche Zahlen sind schon ganz ok. Es geht ja auch nicht darum, wer die meisten Downloads hat, sondern viel mehr um qualitativ hochwertige Musik. Da hat jeder auch einen anderen Geschmack. Ich release auch wirklich nur Sachen die mir selber zu 100% Gefallen und nicht weil es gerade angesagt ist.

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