Bassblick

Neonlight, Alphacut Records, Wintermute – einiges ist in den letzten beiden Monaten abseits der geraden Bassdrums passiert. Eine kleine Zusammenfassung.

Alphacut Records kommen ja bei frohfroh doch – wenn auch immer etwas verspätet – regelmäßig vor. Bei Neonlight war das bislang anders. Und dass obwohl Jacob Thomser und Tobias Jakubczyk quasi die Matthias Tanzmann des Leipziger Drum’n’Bass sind. Allein in diesem Frühjahr bespielen die beiden Clubs zwischen Prag und Tokyo. Auch die Diskografie erweitert sich kontinuierlich seit gut drei Jahren.

Jüngste Ergänzung sind zwei digitale Re-Releases von EPs, die auf Vinyl bereits rauskamen. In einem Monat soll „Perpetuum Mobile“ rauskommen – eine Gemeinschaftsarbeit von Neonlight mit den Leipzigern sH1 und Wintermute. Ein mächtig pumpendes Stück. Mächtig scheint bei Neonlight aber immer alles zu sein. Demnächst dann mehr. Schon jetzt gibt es einen Teaser zum Reinhören.

Wintermute wiederum verhalf einem neuen Label aus Berlin Ende Dezember zum Start – Katakis Recordings veröffentlichte seine „Out Of Scale“-EP. Und sie scheint in vier Tracks ein möglichst breites Spektrum zwischen düsteren Momenten und Pop aufzeigen zu wollen.

Zwischen „Clouds“ und „Out Of Scale“ liegen zumindest Welten. Stiller Hit ist aber „Cell Cycle“ – und zwar in seiner so unprätentiösen, in sich ruhenden Art. Bei „Lukumo“ ist auch Audite im Studio mit dabei gewesen. Insgesamt etwas glatt.

Bei Alphacut Records schafft es nach längerer Zeit wieder ein Leipziger Producer auf LXCs Schneidetisch. Lowcut (Foto) gelangt auf Alphacut 26 mit „Therapist“ der Sprung raus aus der Soundcloud. Zu Recht. Das schnarrende, lange Intro, die fein sezierten Beats, die gespenstisch runter gedimmten Breaks und die sich langsam hoch pushende Steigerung. Sehr schön, sehr dicht.

Parallel & Tim Reaper schießen mit „Vega“ dagegen wild um sich, erstaunlich trocken. Ohne mächtige Bassline. Brandon Burger vom losen NSF-Haufen und Reaper, ein 17-jähriger Spund aus London, stecken hinter dem Track.

Auf der Alphacut 25 war auch schon ein Track von Parallel dabei. „Parastic Oscillations“ lebt von seinen leicht übersteuert klingenden Basslines, die auf eigenartige Weise melodiös sind. Zusammen mit Relapse aus Großbritannien entstand dieses Stück.

Und dann noch Scale aus Kirchheim mit seinem Vinyl-Debüt. „Secret Sun“ heißt der Track und er ist ein fast schon prototypischer Alphacut-Track. Angedunkelt, mit Funk versehen und einfach losgelassen.

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Digital Digital

Freude am Tanzen hat ihn schon, einige andere Labels sicherlich auch – ihren eigenen Digital-Ableger. Nun zieht Moon Harbour nach und launcht Moon Harbour Digital. Dan Drastic erklärt die Hintergründe.

Vielleicht ist es müßig, dieses Vinyl-Digital-Ding immer wieder raus zu holen. Aber sich ganz kann man sich ihm nicht entziehen, dafür ist die Transformation einfach zu spannend. Und so stellt auch der Digital-Ableger von Moon Harbour eine weitere Wegmarke dieser Phase dar, an deren Ende das Vinyl noch stärker als jetzt zum Liebhaberobjekt avancieren dürfte. Wir wollten mehr wissen zu Moon Harbour Digital und fragten Dan Drastic.

Hat der Digital-Markt in den letzten Monaten noch einmal rasant an Fahrt gewonnen, oder was hat euch davon überzeugt einen reinen Digital-Ableger von Moon Harbour zu starten?

„Der Digitalmarkt wird in der Tat immer wichtiger. Wir bieten ja schon seit einiger Zeit unsere Releases zum gleichen Zeitpunkt auf Vinyl und digital an. Die Entscheidung einen reinen Digitalableger zu starten, stand schon länger im Raum.

Und es geht dabei auch darum, die Release-Dichte etwas zu erhöhen, da die Vinylherstellung alles in allem doch recht lange dauert und man mit einem Digitallabel etwas flexibler und schneller releasen kann. Die Digital-Releases werden qualitativ gleichberechtigt zu Moon Harbour behandelt, es wird definitiv kein ‚B-Waren Label‘ werden.“

Soll es musikalisch eine Differenzierung zwischen Moon Harbour und MHD geben?

„Die ersten drei Releases, die in den nächsten Monaten rauskommen werden, haben schon den typischen Moon Harbour-Sound. Die erste EP von Arado & Marco Faraone konzentriert sich mehr auf die toolige Seite unseres Sounds.

Ähnlich wie auch das zweite Release von ONNO aus Amsterdam. Die dritte Veröffentlichung kommt von den Australiern Nil By Mouth und wird auch recht deepe Stücke beinhalten. So richtig festgelegt ist da noch nichts.“

Bei Freude am Tanzen ist das Digital-Sublabel die Newcomer-Plattform – ist das für euch auch so denkbar?

„Im Moment haben wir drei Digital-Veröffentlichungen von Arado, Marco Faraone, ONNO und Nil By Mouth in Arbeit. Im Grunde sind das alles schon gestandene Produzenten und keine Newcomer mehr. Der Plan ist aber schon, auf dem Digital-Label zudem mehr Tracks von Newcomern zu veröffentlichen. Auch Tracks von Künstlern, die nicht zum festen Stamm von Moon Harbour gehören.“

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Arado & Marco Faraone landeten im Herbst 2010 bereits bei Moon Harbour auf Vinyl. Damals gab ich die voreilige Prognose ab, von dem deutsch-italienischen Duo wahrscheinlich nichts weiter auf Moon Harbour zu hören – zu sehr klang das A-Seiten-Stück „Strange Neighbours“ nach schnell nach gepresstem Sommerhit. Okay, Fehlanzeige.

Arado & Marco Faraone starten Moon Harbour Digital mit vier Tracks. Tatsächlich sehr toolig – so wie es Dan Drastic oben ankündigt. Aber irgendwie haben sie auf der „Goodfellas EP“ doch mehr Biss als 2010 – vielleicht liegt es daran, dass sie beide einzeln mit je zwei Tracks auftreten und nicht als Duo. Die höchst präsente Art, wie bei allen Stücken mit den Vocals umgegangen wird oder die ungewohnt schroffe Straightness bei „New Life“. Hier gewinnt der Moon Harbour-Sound überraschend an Kanten, ohne seine eigentliche Erdung aufzugeben. Wow.

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Connwax, Elipamanoke, Tür-Testing und mehr

Das Elipamanoke zieht um, in Leipziger Innenstadt-Diskos werden Migranten diskriminiert – zwei von sechs Neuigkeiten.

Nicht nur Riotvan gründet sich 2012 als neues Label. Es gibt weiteren Nachwuchs in der Stadt: Connwax. Neulich gab es schon eine gleichnamige Party, jetzt also eigene Platten. Demnächst mehr dazu bei frohfroh.

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Dass die Tage in der Zschocherschen Straße gezählt sind, war klar. Nun hat das Elipamanoke eine neue Adresse sicher und baut bereits fleißig an der neuen Location in der Markranstädter Straße 4. Da wo das alte Superkronik war. Am 23.3.2012 wird eröffnet. Wir sind gespannt.

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Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen und das Referat Ausländischer Studierender der Universität Leipzig haben die Ergebnisse ihres Disko-Tür-Testings vom Oktober 2011 am vergangenen Freitag veröffentlicht – in sechs von elf getesteten Innenstadt-Läden kamen die Tester mit Migrationshintergrund nicht rein. Aus verschiedenen Alibigründen. Die deutsch aussehenden Tester hatten keine Probleme an der Tür. Das Protokoll hält einige gruselige Stellen bereit.

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Ominira, das Label von Kassem Mosse, reagiert auf die Spekulationsblase, die sich mit der ersten 12″-EP ergeben hat. Bei Discogs ist die Platte nicht mehr unter 30,- € zu bekommen. Das hätte wohl eher mit Spekulation als mit Künstlersupport zu tun, heißt es. Und so wird die Platte demnächst nach gepresst. Ätsch. Ansonsten steht als nächste Veröffentlichung eine Zusammenstellung von Stücken der Band Molto an.

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Neue Remixe: Ron Deacon macht „Under Sleeve“ von Oren Bi zu einem deepen Manifest. Marko Fürstenberg ist auch noch da als Remixer. Und Nu Disko-Held Pwndtiac hat vor gut einem Monat schon „Place Of Love“ von Good Guy Mikesh & Filburt Beine gemacht.

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Vorausschau: Mit Sinwald gibt es Ende April ein neues Festival für Musik und Performance. Klingt viel versprechend.

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In eigener Sache: wer die Cover der Leipziger Platten und digitalen Releases einmal in gebündelter Pracht sehen möchte, kann unserem Pinterrest-Account gern folgen. Der soll zu einer kleinen Werkschau der hiesigen Covergestaltung wachsen.

Udo Blitz „Salamitaktik“ (Oh! Yeah!)

Oh! Yeah! ist auf dem digitalen Wege also wieder voll am Start. Nach der Comeback-Compilation neulich folgt nun das Debüt von Udo Blitz – jenem neuen viel versprechenden Zögling.

Erinnert euch mal: auf der 05 gab es diesen schrägen Track namens „Drunken Talk“. Weird und deep zugleich. Und genauso gibt sich auch „Salamitaktik“, die erste komplette EP von Udo Blitz. Newcomer, Fake oder was auch immer – auf jeden Fall steckt in den vier Tracks ungewohnt viel Funk für Oh! Yeah!. Dass Udo Sachse sein muss, lässt sich zum Ausklang von „Sick Men“ nicht überhören. Funkgitarre, Querflöte, laszive Bassline und ein sickes Lachen von einem verdrehten Typen bestimmen vorher den Sound des Tracks. Ironie auf dem Dancefloor scheint gerade ein großes Thema zu sein.

„Roter Kobold“ wirkt mit seiner Geradlinigkeit und den Detroit-Claps dann fast wie ein Fremdkörper auf der EP. Leicht, verträumt und mit einem dezenten Schub. Doch auch hier ziehen spleenige Soundschleifen ihre Kreise. Sehr kompakt und ausgewogen. „Soufle“ spielt mit einer ähnlichen Verspieltheit, jedoch gedämpfter im Tempo und teilweise krautig in den Sounds. „Basstard“ dann slicker, elektronisch tiefer gelegter HipHop. Ohne Worte, ohne Goldkette.

Wahnsinn, welches Feld Udo Blitz mit dieser EP öffnet – fast wie Cuthead aus Dresden, der ebenso mühelos zwischen ambitioniertem HipHop, Funk und klassischem House switcht und dabei das verschmitzte Grinsen nicht ganz verbergen kann. Ein wenig erinnert der Ansatz auch an „Jenz Lutz“, die Pop-Platte von Juno6. „Salamitaktik“ kann also im selben Fach liegen – wenn es sie denn als Vinyl geben würde. Bei dem neuem Coverstyle von Oh! Yeah! wirklich ein Jammer.

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Daniel Stefanik „Dambala Experience #2“

Daniel Stefanik baut seine Dambala Experience-Serie weiter aus. Wieder mit drei experimentelleren Tracks. Und wieder auf einer dunkelrot eingefärbten 10″-Platte.

Es war also nicht nur ein einmaliger Ausflug weg von den Tanzflächen. Vor genau einem Jahr überraschte Daniel Stefanik mit dem ersten Tei der „Dambala Experience“ – im anschließenden Sommer wurden die Stücke dann tatsächlich auf Vinyl materialisiert.

Jetzt also die Fortsetzung. Und bei genauerem Hinhören, ist der Dubstep-Einschlag des Debüts mehr einer Ambient-Note gewichen. Die Sounds fallen ausgedehnter, elegischer aus. Vielleicht schwingt da der ein oder andere Einfluss von Sensual – dem Ambient-Projekt von Juno6 und Daniel Stefanik – mit.

Bei „#4“ wird dies ganz deutlich – im zweiten Teil des 12-Minuten-Epos faden die vorher schleppenden, schweren Bassdrums einfach aus. Es bleiben hypnotisch ineinander verwobene Synthesizer-Sounds zurück, ganz ihrer eigenen Dynamik überlassen. Auch bei „#5“ quellen irgendwann orchestrale Ambient-Flächen hoch. Im Hintergrund, wie aus der Ferne zu hören, strauchelt ein skizzierter Rhythmus und ein Chor-Sample. Ein wenig wie der verwackelte Blick mit der Lupe auf eine abstrakte Miniatur.

„#6“ ist in seiner Rhythmik am geradlinigsten und druckvollsten. Ein klassisches Electronica-Stück, mitten im Spagat zwischen Dissonanz und warmen Wohlklang. Kopfhörer-Musik. Aber warum eigentlich? Wann gibt es endlich eine langfristig kuratierte Ambient- und Electronica-Reihe in Leipzig?

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Die Schwingung unter der Gänsehaut

Der zweite ist der erste Verlierer – doch manchmal erregt die Nummer zwei mehr Aufsehen als der Gewinner. Im Fall von Subkutan geschah genau dies. Grund genug, ihn mit einem Interview näher vorzustellen.

Von wegen Techno ist tot. Neu aufgerappelt hat sich das Genre. Und salonfähiger ist es geworden. Man erinnere sich nur an die heroischen Retrospektiven zum 20-jährigen Jubiläum. Der Gasmasken-Karneval ist weitgehend verschwunden, okay. Subkutan (eigentlich geschrieben mit einem verdrehten „k“) ist ebenso geflasht von dieser im Tempo zurück genommen Rohheit und der zugleich tief sitzenden Melancholie. Obwohl er musikalisch aus einer ganz anderen Ecke kommt.

Mit seinen Sets hat der Wahl-Leipziger eine Menge Leute auf den Tanzflächen beglücken können – und dass brachte ihn im Kickstart auf Platz 2 des Leserpolls 2011. In der Attitüde ist er jedoch ganz Oldschool – keine direkten Fotos, kein Name. Also genauso, wie Techno anfangs dem Pop-Gestus entgegenwirken wollte. Wir sind ganz Ohr!

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Platz 2 beim Leserpoll 2011 – völlig überrascht oder hast du insgeheim doch ein wenig damit gerechnet, da in den Top 5 aufzutauchen?

„Ich wohne ja erst seit einem knappen Jahr in Leipzig und hatte den Leserpoll zunächst gar nicht so auf dem Schirm. Dann haben mich Leute darauf angesprochen und durch das positive Feedback habe ich schon mit dem Gedanken gespielt, da vielleicht irgendwo aufzutauchen. Mit einem zweiten Platz hätte ich jedoch nicht gerechnet. Das hat mich schon total überrascht und sehr gefreut.“

Bitte erzähle mal ein wenig zu deinem Background – wo kommst du her, wo bist du musikalisch verwurzelt, mit wem fühlst du dich kulturell verbunden?

„Also die letzten Jahre habe ich in Erfurt verbracht und war dort im besetzten Haus auf dem ehemaligen Topf & Söhne-Gelände aktiv. Dort gab es auch irgendwann Partys mit elektronischer Musik, aber eigentlich liegen meine musikalischen Wurzeln im Punk und im Industrial. Zu Techno hatte ich anfänglich noch keine positiven Bezugspunkte. Zu meiner Schulzeit in der ostdeutschen Provinz dominierten oft Nazis die Technopartys, weshalb diese Veranstaltungen für Kids mit bunten Haaren oder anderweitig nicht ins Raster passende Leute tabu waren.“

Wie fand Techno dann trotzdem zu dir?

„Erst in so einem subkulturellen und ganz klar nazifreien Rahmen wie dem besetzten Haus wurde das auf einmal möglich. Und es hat einen Riesenspaß gemacht. 2009 wurde das Projekt mit einem Großeinsatz von der Polizei aber geräumt – die klaffende kulturelle Lücke konnte danach nicht mehr geschlossen werden. Also wurde es Zeit wegzugehen.“

In Erfurt hat sich in der Zwischenzeit aber auch einiges getan, was House und Techno angeht. Trotzdem war die Luft nach der Räumung des besetzten Hauses raus?

„Klar. Es gibt ja auch eine – wenn auch übersichtliche – Anzahl an Clubs in Erfurt. Und es gibt Produzenten, Labels und sogar noch zwei Plattenläden. Allerdings fehlt seit der Räumung ein Ort für unkommerzielle Kultur. Ein Ort, wo auch Musik gespielt wird, die jenseits des Mainstreams liegt. Das war für mich ja letztlich das interessante daran. Es gab auch Versuche die Lücke zu schließen. Doch vor zwei Jahren bekam man in Erfurt von den Verantwortlichen nur Steine in den Weg gelegt. Kaum eine unangemeldete Party, die nicht von der Polizei vorzeitig aufgelöst wurde.“

Subkutan, beschreibt das Gewebe unter der Haut – hat der Name für dich mehr Bedeutung als nur ein DJ-Pseudonym?

„Eine Bedeutung ist, dass mich selbst nur Musik bewegt, die mich wirklich anrührt – die unter die Haut geht. Und das möchte ich natürlich auch bei Leuten erreichen, für die ich auflege. Nichts freut mich mehr als die sogenannte ‚Gänsehaut‘. Allerdings mag ich es nicht, wenn die Musik Gefühl vorschreibt, wenn man mir auf der Tanzfläche quasi verordnet, wann ich die Arme in die Luft reißen soll. Deshalb mag ich melancholische oder auch düstere Musik. Ich kann dabei die ganze Welt hassen, genauso gut kann ich aber auch glücklich dabei sein.“

Mit deinem Sound bist du in der House-Hochburg Leipzig ungewohnt straight. Wie geht es dir damit hier?

„Stimmt – auch von außen hatte ich Leipzig als House-Hochburg wahrgenommen und war sehr gespannt, wie sich hier alles entwickeln würde. Weil es eigentlich überall, wo ein Stil eine Dominanz entfaltet, auch Leute gibt, die sich über andere Akzente freuen. Dabei versuche ich aber nicht in Kategorien wie ’straight‘ zu denken. Und es gab ja hier auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für mich – auch vom Sound her. Institut für Zukunft oder die ehemalige Homoelektrik-Crew, um nur zwei zu nennen.“

Du bist auch Resident der Vertigo-Reihe – ist das ein Techno-Refugium für Leipzig?

„Vertigo soll eine Party sein, auf der auch Abseitiges seinen Platz hat. In diesem Sinne ist es natürlich ein Refugium, es geht um dystopischen Techno, aber nicht nur das. Auf unseren beiden Veranstaltungen im letzten Jahr gab es auch immer einen Experimental-Floor mit Dupstep, Noise oder Circuit-Bending. Es ging und geht auch um den Versuch, mit Geschlechter-Identitäten zu spielen und natürlich auch um Provokation: Die Fetisch-Performances haben viel Zustimmung erfahren – manche aber auch geschockt. Das ist gut, das bleibt hängen und stößt vielleicht eine Auseinandersetzung an. Momentan suchen wir gerade wieder nach einem geeigneten Veranstaltungsort. Es ist nicht einfach, eine geeignete Location mit zwei Floors zu finden.“

Auch wenn es vielleicht etwas kurz greift – aber ich verbinde diesen düster-trockenen Sound deiner Sets stark mit Berlin, mit Marcel Dettmann, Shed, Mike Dehnert, Sandwell District, den neueren Hotflush-Sachen. Welche Rolle spielt der Techno aus Berlin für dich persönlich?

„Ich würde nicht sagen, dass es ein typischer Sound aus Berlin ist. Überall auf der Welt wird solche Musik produziert. Aber natürlich ist das Berghain ein ungemein wichtiger Referenzpunkt geworden. Auch für mich. Ich glaube manchmal, erst durch das Berghain habe ich diese Musik richtig verstanden. Und es waren nun mal vor allem die Berghain-Residents, die als erste die Geschwindigkeit zurückgenommen haben.

Der Sound ist nach wie vor hart, aber er hat die Hektik von einst verloren – das hat mich angesprochen. Insofern spielt das für mich schon eine Rolle. Ich möchte meinen Blick aber auch nicht so einschränken – es gibt noch so viele andere Stellen, an denen man sich Inspiration holen kann. Im Ambient zum Beispiel.“

Produzierst du eigene Tracks?

„Ich habe angefangen zu produzieren. Doch solange ich damit noch nicht rundum zufrieden bin ist es erstmal nur für meine eigenen Ohren bestimmt.“

Mit Aequalis hast du mit anderen DJs euer Booking selbst übernommen – wollt ihr unabhängig bleiben?

„Aequalis haben Club Malte und n.akin aus der Traufe gehoben, aber wir machen das alles schon gemeinsam. In erster Linie geht es darum, n.akin, club malte, perm (aka bartvogel), mir und in Zukunft vielleicht noch weiteren Artists Bookings zu organisieren bzw. das Ganze ein bisschen zu strukturieren. Es geht gar nicht in erster Linie um die Unabhängigkeit sondern um den Vorteil den es hat, wenn man sich gemeinsam um Bookings kümmert und sich gegenseitig unterstützt.“

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Various Artists „Various Two“ (Rose Records)

Besser hätte der Start für Rose Records im letzten Jahr nicht verlaufen können. Und dass mit nur einer Platte. Es dauerte aber auch nicht lange, bis die Nummer 2 folgt.

Unglaublich, wie konsequent das Rose-Producer-Trio um M.ono, Luvless und Martin Hayes die Disco-Glitzer-Flagge der Achtziger hochhält – noch einmal ganz anders als Here Is Why oder MHYH. Originärer auf den Disco-Floor geeicht. Mit all seiner überzogenen Künstlichkeit und der lässigen Eleganz. Luvless ist dabei derjenige, der der House-Gegenwart noch am nächsten ist. Und selbst bei seinem „Come On Closer“ sticht eins dieser pathetischen Vocals tief ins Eightees-Mark.

M.ono und Martin Hayes dagegen? Voll im Pop-Himmel. Mit großen Soul-Gesten bei „Marble Hill“ und Power-Pop bei „How To Dance“. Doch es sind ja nicht nur die Vocals, die hier alles so deutlich einfärben. Auch die Synthies, die Basslines und Drums schlagen sehr exakt in dieselbe Kerbe. Bestimmt ist die Sample-Trickkiste bei allen Dreien groß.

Doch auch diese zweite EP von Rose Records ist eine tiefe Verbeugung für eine Zeit, die wahrscheinlich heute glamouröser scheint als sie tatsächlich war, die aber noch genügend Sehnsüchte nach dem großen Glücksversprechen freisetzt – Vinyl only nebenbei erwähnt. Und die Ernsthaftigkeit, mit der M.ono, Luvless und Martin Hayes sich damit auseinander setzen, ist ohne Zweifel beeindruckend. M.ono hat übrigens auch ein neues Rose Tape zusammengestellt.

Rose Records Website
M.ono & Luvless Facebook
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Micronaut „Friedfisch“ (Acker Records)

Der Name Micronaut geisterte schon ab und an hier durch die Zeilen. Bislang nur als Remixer bei einigen Analogsoul-Veröffentlichungen. Auf Acker Records debütiert der gebürtige Rostocker mit einem raumgreifenden Album.

„Außerhalb der Norm tanzen“, ist als Motto von Micronaut immer wieder zu lesen. Das klingt vielleicht etwas hochgestochen, trifft es aber letztendlich doch. Denn so episch und angeschrägt kommen Electronica, Indie und der Dancefloor selten zusammen. Bei Talking To Turtles und A Forest legte er bereits Hand an. Jetzt also das Debüt-Album.

Dass Stefan Streck in Leipzig gelandet ist, ist dabei mehr Zufall als bewusste Entscheidung. Neubrandenburg sei auch toll, meint er. Auf jeden Fall weg von der Ostsee – das war das Fernweh-Gefühl nach einem Urlaub. Mit gebracht hat er seinen musikalischen Fuhrpark, der jene Mini-Sinfonien erst möglich macht. Der Heimat bleibt er mit Acker Records aber weiter verbunden.

„Friedfisch“ zeigt eine überaus positiv gestimmte Electronica-Variante auf.

Mit groß ausholenden Harmoniebögen, Gitarren, geraden und brüchigen Beats. Nicht mal vor einem dieser monströsen Goran Bregović-Chöre macht er bei „Karpfen“ Halt. Die sonst so präsente Introvertiertheit und ernste Miene der IDM-Nerdigkeit bleibt einfach außen vor – ohne dass es zur Wohlfühlmusik verkommt.

Allerdings kann es auch schon zu überladenen Momenten kommen – aber hey, hier beschreibt sich jemand nicht umsonst als Ein-Mann-Orchester. Teilweise wagen sich die Stücke dann auch offensiver auf den Dancefloor, etwa „Hasel“, „Rotfeder“ oder „Mairenke“. Überhaupt die Titel: tolle Fische allesamt.

Angeblich entstehen Micronaut-Stücke immer zuerst an der Gitarre – Streck hat auch eine Grindcore- und Emo-Vergangenheit. Danach fließen die wilden Ideen aus anderen Sounds zusammen, werden gebrochen, neu geordnet oder dem zufälligen Eigensinn überlassen. In jedem Fall hört man eindeutig heraus, dass Stefan Streck nicht die klassische Club-Sozialisation durchlebt hat. Auch wenn „Friedfisch“ sicherlich nicht in Leipzig entstanden ist – wir müssen diesen Typen hier halten!

Here Is Why „Waiting For The Sun“ (Riotvan)

Jetzt, jetzt – Riotvan wird zum Label und Here Is Why nehmen mehr und mehr Form an. Als Vorhut zum Debüt-Album erschien jetzt eine digitale Vorab-Single mit Marbert Rocel-Remix.

Überall Patina, in dicken Schichten. „Waiting For The Sun“ ist lupenreiner Pop aus der Zeitmaschine. Das tolle am Pop ist ja, dass sich an einem bestimmten Punkt immer wieder alles wiederholen kann, ohne an Reiz verloren zu haben. Plötzlich entdeckt eine Generation einen Sound für sich, von dem auch die Eltern geflasht waren. Aber nicht, weil es die Eltern cool fanden, sondern weil anscheinend bestimmte Grundemotionen heraus gekitzelt werden.

Und bei „Waiting For The Sun“ schwingt jene glamourös wie brüchig vorgetragene Wehmut mit, die einfach immer aktuell bleiben wird. Good Guy Mikesh singt in monochromer Eleganz, die Synthies flirren im Refrain umher, der Bass läuft stoisch geradeaus. Ich stecke nicht super tief im Original-Achtziger-Pop drin, aber „Waiting For The Sun“ kommt dem schon sehr nahe, was ich als die besten Momente dieser Zeit empfinde.

Marbert Rocel bleiben ganz in der Gegenwart: da der House-Floor, hier der eingestreute Pop-Appeal. Viel mehr gibt es dazu eigentlich nicht sagen. Noch einen Monat müssen wir warten bis zum ganzen Album. Gibt es dafür auch eine Zeitmaschine?

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Dan Drastic „Noodle Stories“ (Moon Harbour Recordings)

Oha, Moon Harbour startet erstaunlich straight ins neue Jahr – mit Dan Drastic.

Dreieinhalb Jahre ist es her, dass Dan Drastic seine erste eigene EP auf Moon Harbour heraus brachte. Damals gab es nur einen Track – auf „Noodle Stories“ bekommt er etwas mehr Raum. Und einen Martin Buttrich-Remix obendrein. Der Titel-Track schlängelt sich unaufgeregt und mit einem hintergründigen Schub entlang. Bis auf die den deepen Chord bleibt er dabei recht slim.

Buttrich zieht da erwartungsgemäß deutlich an. Er entschlackt den Track noch weiter und bearbeitet den einst so präsenten Chord komplett neu. Allerdings – und dass Martin Buttrich so unglaublich gut – geschieht dieser Kurz-vor-Peak-Zuschnitt völlig unprätentiös. Herrlich ausbalanciert in seinem deepen Driften.

Mit „Los Pollos Hermanos“ auf der Rückseite schert Dan Drastic erstmal wieder in den klassischen Moon Harbour-Kurs ein. Vocal- und Chord-Schnipsel unter einem abgefederten House-Gerüst.

Viel überraschender ist da „Fish Fingers And Custard“, zeigt es doch Dan Drastic von einer sehr offensiven Rave-Seite. Aber Rave im guten Sinne. Straight mit leicht darker Note und einer amtlichen und flächigen Chord-Welle zur Hälfte hin. Klingt zwar nicht unbedingt neu, aber es passt einfach alles zusammen. Der Track der EP, neben dem Buttrich-Mix.

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Poll-Nachlese

Eine Woche ist es her, dass die Poll-Ergebnisse verkündet wurden. Die Verlosungsgewinner sind bestimmt und haben eine Mail erhalten. Zeit noch einmal genauer bei jenen Kategorien zu stöbern, bei denen die Antworten erwartungsgemäß weit auseinander driften.

Konkret geht es um die Enttäuschungen des alten Jahres und die Wünsche für 2012. Da lassen sich die Antworten kaum bündeln, zu unterschiedlich fallen sie aus. Solch offene Fragen sind Risiko und Chance zugleich.

Enttäuschend wurde aber für nicht wenige die Schließung des Superkronik angesehen. Im Mai kam das Aus, das an sich von Anfang in der Luft lag, aber doch immer wieder abgewendet werden konnte. Es hinterlässt eine Lücke, wenn auch das Programm der zweiten Location durch die ständigen Querelen mit der Stadt nicht an die Anfänge in der Markranstädter Straße anknüpfen konnte.

Bei den Wünschen kommen ja indirekt auch aktuell wahrgenommene Enttäuschungen hervor. Insofern ist die Kategorie nicht minder interessant. Die Nachfrage an Open Airs bleibt ungebrochen. Aber das war nicht anders zu erwarten. Spannender sind Wünsche nach neuen Clubs.

Doch wie viele neue Clubs verträgt eine Stadt wie Leipzig? Klar, das Superkronik ist weg. Dafür hat sich das Westwerk etabliert. Es bleibt durchaus dynamisch, so lange immer wieder auch Off-Locations bespielt werden. Und dennoch kann es gut sein, dass sich innerhalb der nächsten fünf Jahre die Zahl der Freiräume merklich verringert. Leipzig wächst beharrlich, wird einerseits attraktiver, erschließt damit aber andererseits seine Flächen neu.

Angesprochen wird in einigen Kommentaren übrigens auch – und dass zu Recht – dass nach wie vor kaum Frauen hinter den Plattenspielern und Rechnern stehen. Das Poll-Ergebnis selbst zeugt von diesem Missverhältnis. Ein Wunsch für 2012 war auch, dass es keinen Poll mehr gibt – vergesst es!

Und sonst? Das neue Jahr geht gut los. Tolle neue Ortloff, Riotvan demnächst mit erster Platte und die nächste Rose Records steht auch an.

Zwischen Dub-Ferne und Dub-Pop

Viel neues aus dem erweiterten Statik Entertainment-Kreis. Bei Instabil sind in vergangenen Wochen zwei EPs hier untergegangen, beim Dub-Imprint Kyoto Inc. folgte soeben der zweite Teil des Kolortown-Pop-Entwurfs.

Various Artists „File Under Dub #4“ (Instabil)

Wirklich gut zu sehen, wie beharrlich Instabil weitermacht. Auch wenn der Digital-Markt für kleine Labels sicherlich keine besonders schillernden Zahlen aufweist. Die Nummer 30 kam hier vor Kurzem vor – Jakob Altmann ergänzte da seinen Statik-Einstand mit einer dubbigen EP. Vor ihm gab es noch die vierte Ausgabe der „File Under Dub“-Reihe, die seit Anfang an die Fühler nach neuen Producern ausstreckt.

Dieses Mal mit Satore, Session View und Hisato Makita. Elementar neues erzählen die drei nicht. Ultra deepe House- und Tech-House-Stücke, eingehüllt in dichte Dub-Wolken. Schleichend melancholisch, mit Ausnahme von Makitas „Void-O“, das sich etwas mehr raus ins Rave-Revier traut.

Various Artists „Soundprescription“ (Instabil)

Etwas spannender ist da die Nummer 31 – „Soundprescription“ heißt die EP und soll eine neue Serie einläuten, die eher die deepe als die dubbige Seite von Instabil ausloten will. Erstaunlicherweise sind auch Good Guy Mikesh & Filburt mit einem Stück dabei. „Passed“ ist aber zuvorderst Neuland für Instabil, weniger für die beiden Producer des Leipzig-Track des Jahres. Vielleicht einen Tick zurückhaltender und elegischer als sonst fällt das Stück aus.

Zusammen mit den anderen beiden Tracks öffnet die EP aber doch sehr deutlich das Instabil-Spektrum. Zangas „Woolfu 3“ verfängt sich zwar etwas in der Falle des House-Einerlei und Pykups „Takeadeepbreath“ mäandert im Downbeat-House-Nirvana umher. Nichtsdestotrotz lässt die EP aufhorchen – einfach wegen ihrer für Instabil untypischen Dub-Ferne.

Kolortown „Sound Is Coming Pt. 2“ (Kyoto Inc.)

Auf dem jüngsten Statik-Zögling Kyoto Inc. legen Kolortown – das Dub-House-Pop-Projekt der Dänen Jakob Ivarsson, Theodor Zox und Nana Jacobi – ihre zweite EP nach. Und dieses Pop-Ding beherrschen viele Skandinavier aus welchen Gründen auch meist sehr souverän.

Selbst in so einer Nischen-Kombination ist die Eingängigkeit überaus subtil und verlockend eingewoben. Schleppende Delays, in der Ferne schwebender Gesang und mit „How Many Lies“ ein dezent treibender House-Pop-Track im Dub-Mantel. Alles sehr unaufgeregt, lasziv und deep zugleich.

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