Mod.Civil „Somebody To Love“ (Rotary Cocktail Recordings)

Nach Techno kommt House – Mod.Civil übertragen mit der aktuellen EP ihren charakteristisch crispen Sound auf die deepere Seite der Geradlinigkeit. Und an ihrer Seite einer der House-Experten aus Dresden: Jacob Korn.

Mod.Civil pfeifen weiterhin auf Hochglanz-Sound, und dass ist das beste, was uns passieren kann. Denn so kommt ein authentischer Track nach dem anderen von dem Duo heraus – voller Leben und voller Ecken und Kanten. Allein wie die Bassdrum von „Somebody To Love“ zwischen trockenen und warm schwingenden Spektren wechselt, wie der Chord pausenlos vor sich hinschnarrt.

Selbst das Vocal klingt als ob es auf dem nächstbesten Mikrofon aufgenommen wurde. Diese scheinbare Beiläufigkeit und der rau belassene Schliff verleiht „Somebody To Love“ eine Menge wehmütige Poesie und holprige Eleganz.

Dresden-Mate Jacob Korn steht ja auf einen ähnlich spontanen Sound. Er bringt mehr Hektik und US-Appeal in den Track. Der Beat treibt stärker nach vorn, ist aber wunderbar gebrochen in seiner Geradlinigkeit.

Sein „Somebody To Love“ will schon unmissverständlicher House sein als bei Mod.Civil. Das geht einerseits auf, nimmt aber leider die oben erwähnte Poesie aus dem Track heraus. Und das Vocal ist mir einen Tick zu beliebig geworden.

Aber nichtsdestotrotz: diese Platte ist auch eine tolle Geste im Zusammenenspiel der beiden Elektronik-Szenen von Leipzig und Dresden.

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Zwischen den Nischen

Nicht nur Moon Harbour hat 2010 auf zehn Jahre zurück blicken können – auch Privatelektro wurde 2000 gegründet. Aber erst in diesem Jahr gibt es eine kleine Jubiläumstour.

Electronica hat sich in den letzten Jahren wieder in seine Nische verzogen. Die große Klicker-Klacker-Zeit liegt mehr oder weniger zehn Jahre zurück. Privatelektro, das Leipziger Label für experimentelle elektronische Musik zwischen Electronica, Field Recordings und Noise war dennoch über die gesamten zehn Jahre dabei. A

llerdings war die Frequenz in den ersten fünf Jahren hier in Leipzig stärker spürbar. Da gab es mehr Konzerte, Veranstaltungsreihen und kleine Festivals – „Invisible Traces“ und das „Headphone Festival“ etwa. Mittlerweile ginge in Berlin wieder mehr, es gäbe mehr Räume, kleine Läden in denen elektronische Musik abseits der geraden Bassdrums stattfindet, meint Marek Brandt, einer der Mitbetreiber von Privatelektro.

Im Prinzip war das Label immer als international ausgerichtete DIY-Plattform zu sehen, mit eigenen Veranstaltungen und Schnittstellen zur Kunst und Performance. Und auch eine Netlabel-Phase gab es. Die sei aber heute aus wirtschaftlichen Gründen eigentlich nicht mehr haltbar. „Denn ein Net-Release mache genauso viel Arbeit wie ein physisches“, so Mareks Erfahrungen.

Spannend an Privatelektro zu sehen ist dieses Agieren innerhalb einer Mikroszene, die international breit vernetzt ist. Natürlich ist das auch bei Alphacut oder Statik Entertainment zu beobachten. Aber hier geht es um Musik, die immer schon autark von dem klassischen Club-Trubel eine Eigendynamik führte. Nerd-Musik, wenn man es böse meint.

Privatelektro hat sich in diesen Strukturen organisch entwickelt, immer auch abhängig von den jeweiligen Biografien der mit gestaltenden Musiker. Und die längeren Pausen zwischen den CD-Veröffentlichungen resultierten aus der einfachen Herangehensweise, dass immer erst dann ein neues Album kommt, wenn sich das vorherige refinanziert hat. Das scheint soweit geklappt zu haben, dass mindestens ein Album pro Jahr erscheinen konnte.

Das elfte Album sieht Marek als Wendepunkt. Es gäbe mittlerweile eine große Sehnsucht bei den Laptop-Musikern mehr mit richtigen Instrumenten und Musikern zusammen zu arbeiten. Und die Japanerin Manami N. steht genau an diesem Punkt. Ihr Debüt-Album „Kill Wasabi“ ist überaus eingängig für ein Electronica-Werk und zugleich verstörend schroff und eigensinnig für ein Pop-Album. Es steht zwischen den Welten. Und da gibt es durchdringende Sinustöne ebenso wie chansonhafte und balladeske Momente, stille, kontemplative und düstere Passagen.

„Kawaita Sakaku“ ist solch ein sich wandelndes Stück. Es beginnt mit schwebenden, indifferenten elektronischen Spuren, Manami N. singt mit nackter Stimme darüber. Später blüht das Stück langsam auf und es stoßen dunkle minimalistische, beinahe sakrale Streicher dazu. Das ist kein hermetischer Electronica-Rahmen, der von Manami N. abgesteckt wird – da gibt es Pop und Neue Musik als weitere starke Bezugspunkte.

Manami N. lebt seit geraumer Zeit übrigens in Berlin und gehört nun auch zu Privatelektro. Nachdem sie die europäische Szene entdeckte, kündigte sie ihren Büro-Job in Japan und widmete sich der Musik. Und vielleicht trifft sie ja auf Fans von Tujiko Noriko. Live zu sehen ist Manami N. Anfang Februar zum 10-Jahre Privatelektro-Abend.

Privatelektro Website
Manami N. Website

Outart „Sun Splash“ (Moon Harbour Recordings)

Mitten im Winter besinnt sich Moon Harbour auf den Sommer – den des letzten Jahres. Und eigentlich könnte hier eine neue Release-Serie entstehen, die ausgewählte Hits einer Saison aus dem Off ins offizielle Rampenlicht hievt.

Mit Arado & Marco Faraones „Strange Neighbours“ hatte Moon Harbour vor wenigen Wochen schon einen der verborgenen DJ-Hits ein zuhause gegeben. Und mit „Sun Splash“ von dem italienischen Duo Outart tun sie das noch einmal. Fabio Lo Monaco und Andre Sirica hatten zuvor eine EP auf IANUS – als digitaler Bonus-Track zur Vinyl-EP kam „Sun Splash“ heraus. Und genau der entpuppte sich als Hit im DC10-Wirbel. Moon Harbour haben den Track nun für Vinyl lizensiert und zusammen mit zwei bzw. drei weiteren Tracks auf einer eigenen EP veröffentlicht.

Erstaunlicherweise ist „Sun Splash“ der Track, der mich am wenigsten berührt. Schon der Start ist irritierend: Von der ersten Sekunde an bläst einem ein kompletter Beat-Loop entgegen. Dafür nimmt sich der Track später unheimlich viel Zeit um sich zu entfalten. Filigrane Percussions stoßen hinzu, kurze Vocal-Samples und schließlich ein froh gesinnter Bläsersatz, der unweigerlich an den Marek Hemmanns „Gemini“ erinnert.

Die B-Seite steckt dann aber voller Überraschungen. Denn Outart scheinen eigentlich zurückhaltender zu klingen als es „Sun Splash“ vermuten lässt. „Steinburg“ und „Carrot“ sind nämlich Tracks, die genau jene Eleganz und melancholische Leichtigkeit rüberbringen, die House im Kern auch ausmacht. Ruhig und schlank, unaufgeregt und deep – und doch nicht ohne Drive.

„Steinburg“ kann da sogar noch etwas mehr überzeugen, weil „Carrot“ einen Tick ins Esoterische entgleitet. Als digitaler Bonus gehört auch „En Vedi“ zu dieser EP – ein Track, der noch einmal alles heraus holt, was an Deepness möglich ist. Leicht dubbig und dezent aus dem Hintergrund nach vorn schiebend. Sehr toll.

Outart Myspace
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Ich und der Ozean

Im alltäglichen Trubel um den neuesten heißen Scheiß sind komischerweise genau die Momente am schönsten, wenn man etwas für sich entdeckt, was schon länger da ist. Natürlich könnte es einem auch peinlich sein. Doch die Freude über Me And Oceans ist größer als der Beigeschmack des Verschlafenhabens.

Knapp drei Monate ist es her, dass die erste EP „Lakes“ von Me And Oceans bei Analogsoul herauskam. Wieder in der typischen Papp-Falt-CD-Hülle mit dem Cover als Aufkleber und einem Stempel auf der CD.

Fabian Schuetze ist der Analogsoul-Tausendsassa dahinter: Label-Betreiber und subkultureller Netzwerker zum einen, Musiker zum anderen. Neben A Forest, Faar, Zweistreifen und Jaara ist Me And Oceans sein Solo-Projekt.

Dass es hier noch nicht zu Wort kam, liegt sicherlich daran, weil es sich nicht unter dem Banner „Dance Music“ einordnen lässt – wobei Tanzen bei frohfroh auch zuhause tanzen bedeuten kann. Hierher passt Me And Oceans aber sehr wohl. Nicht nur, weil es aus Leipzig kommt und Analogsoul bei frohfroh mit seinen teils elektronischen EPs und Alben durchaus schon Erwähnung fand.

Es sind Pop-Miniaturen, reduziert und doch auch sehr aufgeladen, elektronisch und organisch zugleich – und damit sind die Ansätze gar nicht weit weg von dem, was so alles auf dem Dancefloor passiert. Da geht es auch um die Abstraktion von Pop, allerdings viel funktionaler ausgerichtet. Me And Oceans steht dem Folk-Minimalismus naturgemäß viel näher.

Doch er berührt ebenso, nicht mit großen Bässen und tighten Bassdrums, dafür mit einer stillen Repetitivität. Da läuft eine Spieluhr durch, ein Klavier wird geloopt, Rhodes bringen Wärme. Trotz der Reduktion ist in den Arrangements aber auch immer wieder zu hören, worum es Fabian Schuetze geht: um Pop. Um vertonte Sehnsucht. Und da passt auch der emotional aufgeladene Gesang.

Und natürlich das amtliche Musik-Video, aufgenommen an der Weißen Elster. Bei dem Interview-Blog Acht Null Acht gibt es auch ein recht aktuelles Interview mit Fabian Schuetze. Mein Jahr geht ozeanisch los.

Me And Oceans Website
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2010! 2010!

10 Fragen, 10 Antworten – unser Leserpoll wollte wissen, was euch 2010 in der Leipziger Clublandschaft am besten gefallen hat. Hier kommt die Auswertung – mit der einen oder anderen Überraschung.

Dieser Lesepoll war ein großer Spaß für uns. Denn so viel Resonanz auf einen unserer Aufrufe gab es noch nie. Und es war super spannend sich durch die vielen Antworten zu wühlen. Bei den letzten drei Fragen gingen die Antworten erwartungsgemäß weit auseinander. Vieles wurde nur je einmal genannt. Doch genug mit dem Vorwort: Hier kommt euer Leipzig-Jahr 2010.

Beste Leipzig-Platte des Jahres

1. Daniel Stefanik „In Days Of Old I“
2. V.A. „Ten Years Of Moon Harbour“
3. V.A. „Ortloff Drei“
4. V.A. „Don’t Turn Around“
5. Kassem Mosse „We Speak To Those/Hi Res“ | Praezisa Rapid 3000 „Döbeln/Detroit“ | Praezisa Rapid 3000 „Mandy sagt das ist Naturmusik“

Daniel Stefaniks House-Ausflug auf Kann Records ist euer Liebling. Und ihr mögt kleine Compilations. Drei davon haben es in die Top 5 geschafft. Ein Senkrechtstart auch für Praezisa Rapid 3000, die sich mit Kassem Mosse den fünften Platz teilen.

Bestes Leipzig-Label des Jahres

1. Kann Records
2. Moon Harbour
3. Analogsoul
4. Ortloff
5. Doumen

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Frage nach dem Lieblingslabel. Kann auf der eins, Moon Harbour auf der zwei – allerdings fällt der Abstand zwischen beiden um einiges deutlicher aus. Analogsoul überrascht dafür mit dem dritten Platz.

Bester Leipzig-DJ des Jahres

1. Daniel Stefanik
2. Steffen Bennemann
3. Onetake
4. Manamana | Filburt

Daniel Stefanik und Steffen Bennemann sind fast gleich auf an der Spitze. Onetake mischt sich gut dazwischen – was ja auch stilistisch bei ihm mehr als passt. Mit Manamana und Filburt werden auch die House-Connaisseure gewürdigt.

Bester Leipzig-Live-Act des Jahres

1. Juno6
2. Praezisa Rapid 3000
3. Kassem Mosse
4. Good Guy Mikesh & Filburt
5. Mod.Civil | Lake People

Ihr wollt echte Live-Action, mit echten Live-Acts, sogar in Band-Manier. Mit einem kleinen Vorsprung teilen sich Juno6 und Praezisa Rapid 3000 beinahe den ersten Platz. Als wirkliche Neuentdeckung schafft es sogar Lake People in die besten fünf.

Bester Leipzig-Producer

1. Kassem Mosse
2. Daniel Stefanik
3. Map.ache
4. Sevensol & Bender | Lake People

Dass 2010 sein Jahr war, dürfte unbestritten sein: Kassem Mosse erklimmt die Nummer eins – nach dem Omar S-Ritterschlag wundert das kaum. Aber Daniel Stefanik ist ihm dicht auf den Fersen. Die Kann-Jungs sind komplett vertreten. Und wieder mogelt sich Lake People in die Spitzengruppe.

Bester Leipzig-Club des Jahres

1. Conne Island
2. Elipamanoke
3. Distillery
4. Ortloff | Zoro

Diese Kategorie hat den deutlichsten Sieger. Was wohl aber daran liegt, dass es hier die wenigste Auswahl gibt. Das Conne Island ist mit großem Abstand euer Lieblingsclub. Weiterer Sieger der Herzen: das Elipamanoke. Und ihr schwelgt in den Erinnerungen an die Ortloff-Partys.

Beste Leipzig-Party des Jahres

1. Almost Married
2. Electric Weekender
3. Easter Eggs Open Air | Nachtdigital | Institut für Zukunft

Der Polterabend von Daniel Stefanik war scheinbar besonders bewegend für euch. Mathias Kaden und Steffen Bennemann spielten damals Mitte Februar die Hochzeitslieder. Der Open Air-Start mit der Easter Eggs-Party am Wildpark hat auch bleibende Eindrücke hinterlassen. Interessant auch, wie sehr Olganitz schon zu Leipzig gehört.

Leipzig-Überraschung des Jahres

1. Praezisa Rapid 3000
2. Think?! Open Air
3. Ende von Homo Elektrik
4. Sensual | Paperclip

In den vorherigen Antworten hat es sich schon angedeutet: Praezisa Rapid 3000 haben einen butterweichen Start hingelegt. Ansonsten waren nicht wenige vom Think?! Open Air und seinem groß besetzten Line-up positiv überrascht. Eine negative Überraschung bescherte uns Homo Elektrik. Dafür entstand das Repertoire-Falt-Magazin neu – als Paperclip. Und als ob es nicht ohne Daniel Stefanik ginge: sein Electronica-Projekt mit Juno6 gehört ebenfalls zu den Überraschungen des Jahres.

Leipzig-Enttäuschung des Jahres

1. Distillery
2. Nachtdigital-Vorverkauf
3. Think?! Open Air
4. Das schnelle Aus vom Technoschuppen Stö 16 | Superkronik | Absturz

Erstaunlicherweise bekommen hier nur die Veranstalter der Stadt eins auf den Deckel – zumindest was die Häufigkeit angeht. Der Nachtdigital-Vorverkaufsfrust vom 1. Dezember fiel aber natürlich genau in die Leserpoll-Peak Time.

Leipzig-Wunsch für 2011

1. Mehr Outdoor-Partys
2. Mehr schöne Platten aus Leipzig

Die Open Air-Partys haben es euch angetan – ein ganz klares Votum für mehr solcher Partys gab es dafür. Ansonsten kamen quasi nur Einzelwünsche hier an, die sich in keine Statistik packen lassen.

Hier gibt es ein Medley von uns ausgewählten Leserwünschen:
Mehr Midi-Partys, ein Album von Sevensol & Bender, zweimal pro Monat Electric Island, mehr Deep Partys, weiterhin so ein bunt gefülltes Veranstaltungsprogramm wie in den letzten Wochen, ein Club mit echter Türpolitik, das Velvet soll endlich ins umland ziehen, ein Album von Kassem Mosse, mehr EPs von Oh! Yeah!, die Wiedereröffnung des Ortloffs, ein Location für Klubkonzerte und Live-Gigs für 200 – 400 Gäste, auch etwas Wochenend-Rave-Tourismus, mehr internationale Aufmerksamkeit für unsere Helden, ein großes Zusammentreffen aller Labels, DJs und Live-Acts, dass frohfroh so weiter macht.

Wir ziehen unseren Hut, sagen danke und freuen uns auf das kommende Jahr.

Übrigens: Die Gewinner stehen auch fest. Und sie bekommen eine Mail.

Various Artists „Summer Anachronismus“ (Mancha Recordings)

Kurz vor Weihnachten gibt es noch einmal Kuschelsounds auf dem Präsentierteller – dreimal aus Leipzig mit Colditzer Erdung. Mancha Recordings hat eine neue Platte draußen. Und FM Musik kompiliert sein Jahr.

Bisher kam das Label hier noch nicht vor. Irgendwie ist es wohl untergegangen, weil Colditz eben nun mal nicht Leipzig ist. Dabei sind auf den vergangenen Veröffentlichungen doch eine Menge Leipzig-Bezüge gewesen. Wobei mir die bislang auch nicht so bewusst waren. Zumindest sind mir die Helden der Nummer 7 Luvless, M.ono und Martin Hayes sporadisch als DJs aufgefallen.

Alle drei scheinen tief im Deep House zu schwelgen – auf „Summer Anachronismus“ gibt es jeweils einen Track der Drei. Super smooth, voller Sanftmut und Balance. M.ono und Luvless nutzen das ganze Deep House-Inventar, sehr versiert und auf Harmonien bedacht. Völlig ohne Reibung, was aber irgendwie auch okay ist. Immerhin scheint es gerade wieder eine Sehnsucht nach genau solch einem Sound zu geben.

Martin Hayes geht einen etwas anderen Weg mit „Another Love Message“. Er kommt mit großen Soul-Gesten, ausladenden Bläser-Samples und einer gewissen Antiquiertheit im Sound. Das ist schon sehr pathetisch, sticht aber charaktervoller aus dieser EP heraus als die anderen beiden Stücke. Spannend ist die fette Bassline, die sich immer mal wieder so unter die ganzen Sample-Arrangements legt. Da bekommt das Stück einen unerwarteten Schub.

Also, mit dieser EP wird die Renaissance von FM Musik, die zum Jahresausklang noch eine Compilation mit den besten Tracks des Jahres nachgeschoben haben, nachvollziehbar. Deep House ist wieder da.

Auf banq.de gibt es übrigens ein Interview mit Matthias Speck, dem Mancha Recordings-Betreiber.

Mancha Recordings Myspace
Luvless Myspace
Martin Hayes Myspace
M.ono Myspace

Brüder im Geiste

Kurz vor Ende des Jahres kommen noch einmal zwei Platten heraus, die sich klanglich und personell nahe stehen. Und die noch einmal viel roughe Melancholie hervor holen. Die Rede ist von Kassem Mosse und Mix Mup.

Als ob es abgesprochen war, dass die neuen EPs der beiden fast zeitgleich erscheinen. Denn wenn es nach ihrem Sound geht, dann sind Mix Mup und Kassem Mosse definitiv Brüder im Geiste. Bei der letzten Kann/Mikrodisko-Platte hatten beide denn auch zusammen einen Track produziert. Und das Avantgarde-Projekt Chilling The Do ist auch ein gemeinsames Projekt der beiden.

Für Kassem Mosse dürfte es ein aufregendes Jahr gewesen sein. Zwei neue EPs, Tracks bei Laid, dem Mikrodisko-Beitrag mit Mix Mup und nicht zuletzt eine gemeinsame Edit-Session mit Omar S in Berlin, der von Kassem Mosses 2008 veröffentlichten Track „578“ so begeistert war, dass er ihn noch einmal als in zwei neuen Edits herausbrachte.

Besonders in Großbritannien entsteht gerade ein kleiner Kassem Mosse-Hype, auch wenn seine Auftritte ihn mittlerweile an ganz verschiedene Ort von Europa bringen. Und dann auch noch Resident Advisor: Sowohl die Edits als auch die Laid-Platte tauchen in den Top 20 der fünfzig besten Tracks des Jahres auf. Auf seiner Facebook-Seite kündigt Kassem Mosse kürzlich noch zwei weitere Platten auf Nonplus und Workshop für das nächste Jahr an – dann soll es kleine Pause geben.

Schon erstaunlich, wie sehr Kassem Mosse gerade den Nerv zwischen House und Dubstep im weitesten Sinne trifft. Seine aktuelle EP auf dem italienischen Label Kinda Soul Recordings setzt auch da an, tief eingebettet in dem ihm so klar zurechenbaren Klang. „2D“ auf der A-Seite ist der geradere Track, langsam voranschwebend, mit angerauten, aber schwelgerischen Synthesizer-Sounds.

Das tolle an Kassem Mosses Stücken ist immer wieder das Unmittelbare, das Gefühl, dass seine Maschinen auch ein gewisses Eigenleben führen und er es versteht im richtigen Moment loszulassen. Da wird nicht alles glatt gebügelt.

Und immer wieder auch die gedrosselte Euphorie: gerade „Demo Drums Ripping Demos“ könnte eigentlich ein amtlicher Techno-Track sein. Aber bei Kassem Mosse wird ein stiller, introvertierter Koloss draus. Einer, dem es fernliegt, irgendeinen Club zur besten Zeit zu rocken. „Thalassocalyce“ ist dann noch eine Reminiszenz an Detroit und dessen Electro – gedrosselt und voller Melancholie versteht sich.

Mix-Mup-Spunky-TakeAuch für Spunky Monkey Records war 2010 ein gutes Jahr, zumindest wenn man auf die Release-Dichte schaut. Drei Platten kamen heraus, darunter die wunderbare Orange Dot-EP. Nun erweitert sich das Netzwerk auch um Mix Mup, der ebenso irgendwie bei Mikrodisko beheimatet ist.
Sein Sound ist ähnlich dem von Kassem Mosse, was das Roughe und die Unmittelbarkeit angeht. Allerdings ist Mix Mup noch etwas stärker einem spielerischen Appeal verbunden, quasi einem musikalischen Augenzwinkern.

Seine Spunky Monkey-EP lässt sich in erster Linie auf House ein. „Spunky Taste 1“ kokettiert mit einer glamourösen Lässigkeit, ohne dass es in den Klamauk abrutscht. Obwohl die Arrangements und Sounds teilweise sehr hölzern gesetzt sind.

„Alright“ ist da anfangs zurückhaltender und in sich verspulter. Später öffnet der Track dann förmlich einen Spalt zur Sonne. Eine helle Synthesizer-Harmonie bricht durch wie helles Licht – und verschwindet dann wieder. Der Beat rauscht unbeirrt die ganze Zeit durch. Nur kurz wird er gebrochen in der zweiten Hälfte.

Von beiden Stücken gibt es übrigens einminütige Bonus-Versionen, kurze Ambient-Ausflüge sind das. Insgesamt ist diese EP aber weitaus schlüssiger als die Mikrodisko-EP. Und Spunky Monkey beweist weiterhin ein offenes Herz, das sich nicht auf Genre-Grenzen einlassen mag.

Kassem Mosse Facebook
Mix Mup Website
Kinda Soul Recordings Myspace
Spunky Monkey Website
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Bodi Bill „Remixes“ (Krakatau)

Lange geisterete er als beglückender Höhepunkt in den Live-Sets von Lake People. Jetzt ist er endlich draußen – sein Remix von Bodi Bills Stück „One Or Two Ghosts“.

Das Berliner Label Krakatau debütiert zugleich mit dieser Remix-EP als Digital-Label. Die Connections scheinen zu stimmen, immerhin sind auch Remixe von Mittekill-Mitglied Freedarich, Siriusmo und Phon.o dabei. Umso erfreulicher, dass auch der Leipziger Martin Enke alias Trickform und seit geraumer Zeit eben auch alias Lake People hier zu finden ist.

Beim Dresdner Online-Magazin banq sagte der gebürtige Dresdner vor kurzem:
Ich bin den Jungs von Bodi Bill, und speziell Fabian, sehr dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gegeben haben, ihren Song ‚One or Two’ zu remixen. Es ist ein großartiger Song. Die Leute kennen ihn, und haben, gemessen an ihren Reaktionen, jede Menge Spaß an diesem Remix. Ich behalte ihn allerdings vorerst noch im Verborgenen und spiele ihn nur bei Auftritten.“

Nun ist er also aus dem Verborgenen aufgetaucht. Lake People zieht mächtig das Tempo an und rückt alles etwas gerader, dennoch behält er aber den grandiosen Pop-Charakter des Songs bei, inklusive des Strophengesangs. Für einen Remix, der tatsächlich auf dem Dancefloor funktioniert, durchaus ein Wagnis.

Überhaupt fällt bei Lake People die Verspieltheit in den Arrangements, die Dichte an Sounds sowie die Melodiösität auf. Das ist kein klassischer Rave-Background aus dem sich Lake People hier House und Techno annähert. Auch bei den Electronica-Stücken als Trickform war das schon zu hören.

Ein was noch zu der Remix-EP: Phon.o hat denselben Bodi Bill-Song angefasst. Allerdings viel düsterer und für den Berliner überraschend 2-steppig. Ebenso groß.

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Praezisa Rapid 3000 „Doebeln / Detroit“ (Doumen)

Ende Oktober sollte sie schon kommen, gilt der Januar als offizieller Veröffentlichungsmonat für die offiziell erste Doumen-Platte. Im Freezone ist sie aber schon seit letzter Woche zu finden.

„01“ heißt die Katalognummer dieser Platte. Damit ist der erste Schritt des Trios Praezisa Rapid 3000 mit einigen Freunden ein Label zu gründen geglückt. Hieß es im Frühjahr auf der Katalognummer „00“ noch zaghaft, Doumen könnte ein Label werden, ist es nun amtlich, Doumen ist ein Label – im Oktober gab es die erste Label-Nacht und Diamond & Pearls aus Berlin kümmert sich um den Vertrieb. Bei Kann Records ging es übrigens auch mit einer Null-Nummer los.

Doch was soll die Freude über „Doebeln / Detroit“ länger verborgen bleiben. Auch grafisch kommt sie an. Unser Grafiker ist von der wunderbaren Schlichtheit des Doumen-Logos begeistert. Und die Plattenhüllen sind collagierte und überdruckte Coverhüllen von scheinbar willkürlich aussortierten alten Platten – Unikate sind da entstanden.

Das gilt auch für die Tracks. Selbstbewusster als auf dem Debüt klingen sie, noch stärker nach Band-Gefüge, nach gemeinsamer Tüftelei und einem breiten musikalischen Verständnis, das die Grenze zwischen Electronica und House für obsolet erklärt. Wahrscheinlich stehen Praezisa Rapid 3000 an einem ähnlichen Punkt wie Four Tet. Organisches und Repetitives widersprechen sie sich bei beiden nicht. Das sind eindeutig Tracks, keine Songs. Rhythmisch sehr dicht ausgefeilt, einerseits immer wieder sehr loopig und andererseits doch auch wieder sehr Indie-verbunden mit Gitarren und gepitchtem Gesang.

Auf der B-Seite dann der befreit los tänzelnde Hit – „So Close“, heißt es da. Im Original singt es quasi ein Mann. Bei Map.aches Remix wird eine Frau daraus. Das Spiel zwischen Echtem und Manipuliertem, zwischen Elektronischen und Instrumentalen zieht sich eigentlich durch die ganze Platte durch. Auf der B-Seite ist es aber am deutlichsten. Auch beim Original: Das beginnt mit Detroit-Electro-Appeal, wandelt sich zur Mitte hin dann zu einem Pop-Song und mutiert schließlich zu einem verschmitzten House-Track.

Map.ache blendet „So Close“ dann sich behutsam steigernd zum Dancefloor rüber. Deep, mit massig Soul im Vocal, angeteaster Hi-Hat und der hintergründig stolpernden Leichtigkeit, die schon die letzten Map.ache-Tracks so unwiderstehlich machte. Es ließe sich auch kurz fassen: „Doebeln / Detroit“ ist eine Freude, voller Geschichten. Bitte sehr.

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Doumen Website
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Moon Harbour Herbst Pt. 3

Okay okay, der Winter ist zwar schon kräftig am Wirken, aber um die frohfroh-Trilogie zum 10-jährigen Label-Jubiläum von Moon Harbour krönend zu schließen, halten wir an der Überschrift fest. Im dritten Teil kommt Matthias Tanzmann zu Wort – als Label-Chef, weit reisender DJ und Producer.

Auf der Gottschedstraße gibt es nicht viele Adressen in denen man sich gern zu einem Interview verabredet. Der Pilot hält aber neben dem Barcelona die Flagge für Leipzig-Mitte wacker hoch. Auch wenn es 10 Minuten dauert, bis nach einem Getränkewunsch gefragt wird. Matthias Tanzmann nutzt das Gespräch für ein Rührei-Frühstück. Eine Stunde hatte er Zeit.

Was ging dir durch den Kopf als dir klar wurde, dass es Moon Harbour jetzt schon zehn Jahre gibt?

Ich war erstaunt, dass die Zeit so schnell vergeht – wir hatten ja gerade erst die fünf Jahre. Die Zeit rennt, aber sie war schön.

Hattest du vor zehn Jahren schon einen groben Plan, dass es sich so nachhaltig aufbaut?

Nein, das war so nicht vorhersehbar. Es gab damals noch keinen konkreten Plan und auch keine langfristige Strategie. Uns war natürlich klar, dass wir ein Label betreiben wollten, dass bestenfalls auch funktioniert. Aber einen Masterplan für die nächsten zehn Jahre gab es zu der Zeit noch nicht.

Wir haben das Projekt gestartet und vieles dann im laufenden Prozess gelernt und entwickelt. Wenn ich noch einmal an dem Punkt von damals wäre und ein Label starten wollen würde – mit dem Wissen von heute – dann würde ich es eventuell sogar anders nennen.

Was wäre denn ein besserer Name?

Ich würde nach einem prägnanteren Namen suchen. Desolat, Cocoon oder Minus sind gute Beispiel dafür. Moon Harbour klingt für mich nach wie vor schön, aber wenn man ein Label auch als Party-Brand oder darüber hinaus entwickeln möchte, dann bieten sich eher markantere Namen an. So konkrete Vorstellungen hatten wir damals nicht. Wir wollten ein kleines, schnuckeliges Deep House-Label. Und das ist auch gut so: das Baby heißt Moon Harbour.

Ich fand es interessant, dass du bei der Remix-Platte zum Jubiläum mit „Photone“ einen zehn Jahre alten Track von dir geremixt hast. Wie hat sich das angefühlt an die alten Spuren noch einmal ranzugehen?

Super. Ich denke, man könnte eigentlich noch viel mehr solche Remixe machen. Nur ist das erst einmal konzeptionell auf das fünfzigste Release begrenzt gewesen. Die Arbeit an dem Remix hat richtig Spaß gemacht. Vor zehn Jahren habe ich noch mit S2000-Samplern und ausschließlich extern gearbeitet. Da war nichts mit Computer und Total Recall.

Ich musste also für den Remix den Sampler abstauben und die alten ZIP-Disks raussuchen. In der Zeit habe ich die Sachen auch noch nicht so richtig beschriftet. Ich habe also die ganzen Disks nach den Samples durchsucht, sie dann in den Rechner eingespielt und neu editiert. Allein was sich technisch in den zehn Jahren verändert hat, ist schon bemerkenswert.

Aber dachtest du: „Wow, das klingt ja ganz anders als das, was ich heute mache.“?

Ja, aber das wusste ich noch – auch wenn ich das Stück schon länger nicht mehr gehört hatte. Damals war in fast jedem Track von uns ein Fender Rhodes-Akkord drin. Ich liebe dieses alte E-Piano immer noch und habe mir kürzlich auch eins für das Studio gekauft. Das war mir eine Herzensangelegenheit, da es nach wie vor eines meiner Lieblingsinstrumente ist – da könnte ich reinkriechen, der Wahnsinn.

Aber meine heutigen Tracks sind eben oft clubbiger. Ich hatte während der Arbeit an dem Remix eine Sequenz mit dem Chord-Sample drin, die auch total super klang. Dann habe ich sie aber doch wieder rausgenommen, um den schiebenden, fast technoiden Charakter zu erhalten. Ich wollte das Stück komplett umdrehen.

Diese Reduktion zieht sich ja seit deinem Album schon durch. Woher kommt der Impuls dafür?

Ganz klar vom Auflegen. Das, was ich auflege, ist zwar noch immer House, aber es ist nicht mehr der melodische Sound, der es vor zehn Jahren noch war. Man geht über so viele Jahre natürlicherweise auch durch verschiedene musikalische Phasen. Im Moment sind viele unserer Releases so, keine Frage. Es sind eben Club-Tracks. Aber dafür, dass es Musik für DJs ist, denke ich, hat es eine gute Qualität – es sind gute, organische Grooves, es klingt nie nach Plastik. Das ist mir sehr wichtig.

Gab es auch einen konkreten Einfluss?

Für mich waren die DC10- und Circoloco-Erlebnisse der letzten Jahre sehr prägend – also der sehr hypnotische House-Sound. Die Partys im DC10 gehen über den ganzen Tag bis in die Nacht und es läuft eine andere Musik als bei einer kürzeren Partynacht, in der man einen offensichtlicheren Bogen spannt. Das hat mir eine neue Perspektive zur Musik gegeben.

Wenn ich vor zehn Jahren im Studio saß, habe ich überlegt, wie das wohl in der Distillery klingt. Irgendwann war das DC10 aber der Bezugspunkt, wenn ich an neuen Tracks arbeitete. Das ist gar nicht so gewollt, es schwingt im Hinterkopf automatisch mit und ich glaube, das geht anderen Produzenten auch so. Ich bin aber langsam an einem Punkt, an dem ich wieder etwas anderes probieren möchte.

Und ich glaube auch, dass es mir gar nicht so schwer fallen würde, wieder etwas mit mehr Melodien zu machen. Aber irgendwie reizt es mich nicht im Clubbereich. Ich finde es immer noch spannender, über einen guten Groove und dessen Arrangement eine Geschichte zu erzählen als auf eine Melodie zu setzen. Für ein Album würde ich das Thema aber gern mal wieder anfassen.

Im Moment überlege ich, ob ich über den Winter mein zweites Album anfange. Und dann würde ich auch – anders als bei dem damaligen Album, das ja voller Club-Tracks war – verschiedene Richtungen ausprobieren wollen, Down- und Mid-Tempo-Tracks und die Einbindung von Vocals.

In den letzten zehn Jahren ist ja auch musikwirtschaftlich eine Menge passiert. Wie nimmst du das wahr und wie hat sich das Verhältnis zwischen Vinyl und Digital verändert?

Vinyl ist in den letzten Jahren extrem eingebrochen – auch bei uns. Cargo Edition, unser zweites Label, ist davon noch stärker betroffen. Und die Digital-Verkäufe haben nicht so angezogen, wie Vinyl eingebrochen ist – das ist bei allen Labels so. Beatport sah mal wie eine Rettung am Himmel aus – trotz aller politischen Probleme.

Inwiefern politische Probleme?

Das betrifft alle Labels. Die Monopolstellung wird durch Beatport ziemlich rigoros ausgespielt. Da werden die Vertragsbedingungen diktiert, die man eigentlich gar nicht unterschreiben dürfte. Am Ende muss man unterschreiben, da man auf deren Verkäufe angewiesen ist. Es gab einmal einen Zusammenschluss von Labels – Cocoon, Get Physical, Highgrade und viele andere – um als stärkerer Verhandlungspartner gegenüber Beatport auftreten zu können.

Sie sind aber auf keinen einzigen Punkt eingegangen – und trotzdem sind fast alle Labels bei ihnen geblieben. Beatport macht eben locker 90% der Digitalverkäufe aus. Ich selbst kaufe auch bei Beatport ein. Es ist eine tolle Sache, wenn man Musik so schnell und vor allem überall verfügbar hat. Nur ist der Umstand, dass eine Firma praktisch den gesamten Markt kontrolliert, sehr bedenklich und nicht gesund. Ich würde jedes Projekt, das eine aussichtsreiche Alternative bieten könnte, sofort unterstützen, aber leider scheint es im Moment keine zu geben.

Schaust du aber trotzdem optimistisch in die Label-Zukunft oder hast du auch etwas Sorgen?

Grundsätzlich optimistisch, aber sicherlich auch mit Sorgen. Wir haben ja auch eine andere Struktur als viele Leipziger Labels – wir haben ein Büro mit Mitarbeitern, laufende Kosten. Die Jobs sind derzeit nicht in Gefahr, aber man muss trotzdem schauen und aufmerksam bleiben. Die Entwicklung nach unten ist auch noch nicht beendet – Vinyl wird wohl leider sterben.

In zehn Jahren wird Moon Harbour also ein Digital-Label sein? Eventuell mit einer kleinen Liebhaber-Vinyl-Auflage?

Vielleicht. Weit davon ist es ja jetzt schon nicht entfernt. Mit Vinyl macht man aktuell meist Minus. Bei Moon Harbour geht das noch, aber bei Cargo Edition ist es wirklich knapp. Da verdient keiner Geld. Das ist ja auch für die Künstler schmerzlich, wenn nichts mehr gezahlt werden kann.

Früher hatte ich größere Bedenken dabei, mittlerweile ist aber klar, dass der Künstler trotzdem davon profitiert – man bekommt als Künstler eine ordentliche Publicity, wenn man eine gute Platte raus bringt. Gerade für unbekanntere Künstler wie bei Cargo Edition ist das ein gutes Sprungbrett. Wenn das Label aber nur draufzahlt, ist das nicht machbar. Deshalb ist es da ein Punkt erreicht, an dem man fragen muss, wie das Modell Label-Künstler weitergeht?

Habt ihr da schon einen neuen Ansatz für Zukunft?

Labels müssen mittlerweile als als Allround-Musikdienstleister auftreten, um überleben zu können. Die Veröffentlichungen sind der Motor, der die Bookings, Labelshowcases oder Verlagsarbeit antreibt. Wir möchten natürlich gern die Labels weiter laufen lassen und daran werden wir auch alles setzen. Aber es wäre einfacher, wenn es weiterhin einen stabilen Vinylmarkt gäbe.

Ich fürchte, dass es sich bald nur noch Liebhabergeschichten reduzieren wird. Es werden schon noch Plattengekauft von den Sammlern. Aber ich glaube nicht, dass die meisten Labels davon leben können. Limitierte Platten und spezialisierte Projekte wie zum Beispiel über Hardwax, die nur auf Vinyl rauskommen, werden wahrscheinlich bei kleiner Stückzahl stabil bleiben. Die meisten Labels werden wohl ins Digitale abwandern.

Du legst digital auf. Kaufst du selbst noch Platten?

Wenn ich Platten kaufe, dann fast ausschließlich Alte auf Discogs – zum Sammeln oder um sie dann in den Rechner zu spielen zum Auflegen. Ich nehme auch keine Platten mehr mit, höchstens ein paar, falls Traktor mal ausfallen sollte, was es aber zum Glück nie macht. Ich bekomme immer noch Platten zugeschickt. Wenn mir etwas gefällt, nehme ich es auf, frage das File beim Label an oder kaufe es einfach. Und ich versuche natürlich, weitestgehend mit WAVs und nicht mit MP3s auflegen, um einen bestmöglichen Klang zu erhalten.

Was waren – wenn du auf die zehn Jahre zurückschaust – wichtige Wegmarken für das Label?

Die ersten Jahre waren eher auf der klassischen Deep House-Schiene. Dann kam die Phase um 2004/2005 als Luna City Express und Daniel Stefanik dazu kamen, zu der Zeit wurde der Sound auch clubbiger. Ein entscheidender Schub kam dann 2006. In dem Jahr kam „Bulldozer“ raus, das ziemlich durch die Decke ging.

Kurz danach hatte ich einen Remix für Marlows „Movin“ gemacht, der ein noch größeres Feedback bekam. Dadurch ist das Label plötzlich viel stärker wahrgenommen worden. Auch in den Verkaufszahlen war das spürbar. Ab 2006 nahmen auch die Bookings zu, sie wurden immer internationaler. Seitdem bin ich eigentlich fast pausenlos unterwegs, auch Ibiza hat danach angefangen.

Und die letzten drei vier Jahre, wie blickst du auf die zurück?

Als Daniel ging, waren alle erstmal ziemlich überrascht. Für Cargo Edition hat das ein Identitätsloch hinterlassen, weil das Label ursprünglich für ihn konzipiert war. Dort hat sich aber mittlerweile ein fester Künstlerstamm gebildet. Auch bei Moon Harbour sind wir in den letzten Jahren immer mehr zusammengewachsen.

Mittlerweile sind wir an einem Punkt, an dem wir eine große Nachfrage nach Showcases haben, auf denen unsere Künstler gemeinsam spielen. Auch zum Sonar, Amsterdam Dance Event oder zur Winter Music Conference nach Miami fahren wir jedes Jahr. Es gibt inzwischen eine ganz andere Wahrnehmung von außerhalb und auch innerhalb des Labels. Die Künstler identifizieren sich stark mit dem Moon Harbour und setzen sich wirklich dafür ein. Wir haben Alben von Luna City Express, Martinez und mir herausgebracht. Es hat sich in den letzten Jahren einiges getan.

Wirst du unterwegs nach Leipzig gefragt?

Erstaunlicherweise kennen gar nicht so viele Leute Leipzig. Ich muss dann immer sagen, das sei in der Nähe von Berlin. Eigentlich ziemlich traurig für unsere Stadt. Aber Leute, die eine vernünftige Schulbildung haben, sollten schon wissen, welches Gewicht Leipzig kulturell und geschichtlich hat. Dennoch, gerade junge Leute haben von der Stadt noch nichts gehört – je weiter man weg ist, desto weniger kennen sie Leipzig.

Und verfolgst du, was gerade hier passiert?

Leider bekomme ich nicht so viel mit. Aber ich sehe, dass einiges passiert, gerade mit Kann Records. Die Jungs sind auf jeden Fall einen großen Schritt vorangekommen. Wobei es ja auch noch viele weitere Labels gibt. Wenn ich bei frohfroh die Label-Liste sehe, bin ich immer wieder erstaunt. Da spielt zum einen mit rein, dass ich kaum da bin – am Wochenende sowieso nicht.

Zum anderen wäre natürlich auch ein Plattenladen ein interessanter Ort, wo dir neue Sachen in die Hand gedrückt werden. Da ich dort aber auch seltener bin als früher, bin ich gerade nicht so up to date. Dan Drastic spielt mir ab und zu ein paar Sachen vor, aber ich könnte auf jeden Fall mehr wissen.

Dann lass uns mal von Leipzig nach Ibiza springen. Was macht den Mythos aus?

Früher hab ich mich gefragt, woher die Faszination kommt? Warum fahren so viele Leute jedes Jahr ganz selbstverständlich auf die Partyinsel? Ich war bis 2005 nie auf der Ibiza. Dieses Jahr dann aber gleich zehnmal. Jenseits der scheinbar endlosen Feierei ist die Insel tatsächlich unglaublich schön. Wenn man will, kann man dort völlig ohne Kontakt zu elektronischer Musik und Party sein. Es gibt super Essen, tolle Strände, schönes Wetter und es ist nicht weit weg.

Wenn man auf elektronische Musik steht, dann bietet Ibiza von der Dichte und der Intensität her das, was man Berlin auf dem Festland zusprechen kann. Fast alle DJs spielen im dort Sommer, jeden Tag ist lässt sich ein interessanter Act irgendwo finden. Und musikalisch werden die Trends des nächsten Winters gesetzt. Für mich ist es sehr angenehm auf Ibiza, weil ich jede Menge Freunde treffe – in der Saison sind eben alle da. Es ist ein Netzwerk von Menschen entstanden, das auf dem auf Ibiza erlebten basiert und sich außerhalb der Saison über den Rest der Welt spannt.

Würdest du sagen, dass da noch einmal eine andere Feierkultur herrscht als im übrigen Europa?

Ja, auf jeden Fall. Das liegt zum Großteil daran, dass die Leute dort im Urlaub sind. Das ist eine ganz andere Herangehensweise – die Gäste in den Clubs auf Ibiza sind grundsätzlich positiv eingestellt. Wenn sie zuhause weggehen, dann stecken sie mitunter noch sehr in ihrem Alltag, haben sich vielleicht eben noch in der Schule geärgert oder kommen von der Arbeit. Dort sind die Leute im Urlaub und schalten ab.

Du bist jetzt 33 – wie kannst du dir vorstellen so noch weiterzumachen?

Gute Frage. Ich glaube, Sven Väth ist jetzt 46 und da gibt es auch noch ein paar andere in der Altersklasse. Also solange ich noch Spaß daran habe und es mir gelingt, die Leute zu erreichen, werde ich sicher weitermachen. Bis 40 geht es sicherlich – wenn ich langsam mal ein bisschen weniger auflege. Ich will mir etwas mehr Ruhe gönnen, weil es auf Dauer nicht gut gehen kann.

Ich muss meine Gewohnheiten umstellen – im Moment habe ich über 300 Flüge im Jahr. Wenn man dann sagt, ich spiele jetzt nicht mehr dreimal am Wochenende sondern nur einmal, dann ginge das bestimmt auch noch länger. Wir werden sehen.

Es gab also schon auch Punkte an denen dir das Rumreisen zu viel wurde?

Es sind bestimmte Momente. Wenn man im Hotel ist, einfach nur noch schlafen möchte und auf keinen Fall aufstehen. Am dritten Tag in Folge, man spielt zwei oder drei Stunden und muss gleich wieder zum Flughafen – ohne Direktflug, stundenlanges Rumsitzen an Flughäfen, Verspätungen, Flugausfälle usw.. Und wenn man dann nach der Landung noch weitere zwei Stunden mit dem Auto gefahren wird, ist irgendwann ein Punkt erreicht, an dem man nicht mehr kann und will.

Wie kannst du dich in solchen Momenten wieder motivieren?

Das ist das Interessante. Man ist fertig und hat überhaupt keine Lust. Dann gehe ich in den Club und sobald ich vor den Playern stehe, ist es wieder völlig okay, dann habe ich Spaß daran. Die Musik und die Party als solches motivieren mich dann wieder. Das ist verrückt. Die müden Phasen dazwischen sind eben erschöpfend. Und da fragt man sich dann, wie macht man jetzt weiter?

Spielt man das Pensum weiter oder fängt man an, das zu reduzieren. An diesem Punkt bin ich gerade. Das nächste Jahr möchte es ich mir einfach etwas gemütlicher machen. Aber ich hatte das Gefühl in diesem Jahr, noch ein paar Dinge durchziehen zu wollen. Zum Beispiel war ich zum ersten Mal bei Time Warp, Love Family Park, Merkwürdiges Verhalten, Nature One oder im Womb in Tokio – ganz viele Institutionen, die man als DJ mal gemacht haben sollte.

Hast du noch einen Wunsch, den du dir noch erfüllen möchtest, nachdem du so viel erlebt hast?

Kürzer zu treten. Das ist weniger ein Wunsch als vielmehr eine Herausforderung. Ich muss mich disziplinieren, auch mal nein zu sagen. Das ist echt schwer, weil man wirklich schöne Angebote bekommt. Nicht des Geldes wegen, ich meine schöne Partys. In der DC10-Saison zum Beispiel hat es sich ergeben, dass ich mit Davide Squillace Back-to-Back-Sessions gemacht habe. Später haben wir beim Electric Zoo-Festival in New York zusammen mit Martin Buttrich eine Art Live-DJ-Act gespielt.

Das hatte noch einmal ganz schön Wirbel gegeben. Es gab ganz viele Anfragen danach. Und da ist es dann auch schwer, nein zu sagen, weil es gute Freunde sind und wir wirklich Spaß zusammen haben. Aber irgendwie muss ich anfangen. Im Januar habe ich mal ein Wochenende geblockt – das ist für mich schon ein großer Schritt. Das klingt jetzt wahrscheinlich, als hätte ich eine Macke. Das ist schon Jammern auf hohem Niveau.

Ansonsten wollen wir Cargo Edition noch weiter pushen. Und gerade bei den Showcases sehe ich eine gute Erweiterung des Labels – eben auch um ein Party-Brand. Nächstes Jahr feiert Cargo Edition fünfjähriges Jubiläum. Ich denke, das ist ein guter Zeitpunkt, um das Label noch stärker präsent machen zu können. Es werden auch einige neue Artists dazu kommen.

Die Schlussfrage: Was ist dein Alltime-Favourite aus dem Moon Harbour-Katalog?

Das kann ich eigentlich nicht sagen. Es gibt aber auf der MHR007 ein sehr schönes Stück – die B1. „Turned Page“ von Krüger & Manowski – trocken, funky und deep. Es ist nicht mein Alltime Favourite, den kann ich nicht bestimmen, es ist vielmehr ein alter Track, den ich gerade freudig wiederentdeckt habe.

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Wo und warum?

Was wird nur aus dem Debüt-Album von Good Guy Mikesh? Das sollte eigentlich in diesem Herbst beim Kölner Label KI Records erscheinen. Nach der Vorab-EP „Spare“ sah auch alles danach aus. Doch es kam anders.

Eine kurze Nachfrage bei KI Records offenbarte, dass das Album nun doch nicht dort erscheinen wird, weil der potente Vertrieb fehlt, um solch ein Album zu anständig vermarkten. Ein Rückschlag für Good Guy Mikesh. Aber auch für uns, weil wir durchaus mit einer großen Erwartung darauf gewartet haben.

Parallel dazu kristallisierte sich in den letzten Wochen jedoch auch etwas Neues heraus – eine richtige Band, ein Trio, entstanden aus der Live-Konstellation mit der Good Guy Mikesh neuerdings seine Solo-Sachen auf die Bühne brachte. Markus Krasselt alias Peter Invasion gehört dazu. Und Linda am Bass.

Aus dem Solo-Projekt wird nun Here Is Why. Der musikalische Grundstock besteht momentan noch hauptsächlich aus Good Guy Mikeshs Songs. Seitdem die Band für alle drei aber mehr als nur für die Live-Umsetzung der Solo-Songs existiert, entstehen die Arrangements gemeinsam.

Zwei Songs gibt es schon zu hören bei Soundcloud. Elektronischer Wave-angehauchter Pop, leicht angedunkelt und mit einem Hang zur positiven Seite des Pop-Glamour der Achtziger. Das muss raus!

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Instabile Überraschung

Es gibt wieder Neuigkeiten bei Instabil – der gar nicht so instabilen Leipziger Adresse für Dub-Techno. Einmal sehr klassisch aus Litauen, zum anderen sehr Detroit-verliebt.

Die EP von Pandemrix 202 kam schon Anfang Oktober heraus. Auf der „File Under Dub #3“-Compilation war bereits ein Track von ihm darauf. Doch erst ein zufälliger Blick auf die Credits offenbart, dass hier kein Newcomer am Werk ist, wie der Discogs-Eintrag es vermuten lässt. Nein, Falk Golz alias Falk, der ja gerade ziemlich umtriebig auf anderen Net- und Digital-Labels ist, veröffentlicht hier unter anderem Namen.

Mit diesen drei Tracks lotet er seine Detroit-Liebe noch deutlicher aus – hinten schwebende, helle Harmoniebögen, vorn roughe, bleepige Electro-Chords. Im Info werden auch LFO und die frühen Nightmares On Wax als Referenzen genannt. Keine Ahnung, ob es am Mastering klingt, aber irgendwie klingen diese drei Tracks noch einen Tick stimmiger und besser ausbalanciert als die anderen Falk-Tracks der letzten EPs. Für Instabil eigentlich ein gar nicht so typischer Sound, dafür aber auch umso erfrischender.

Esse-Between-The-StarsTypischer ist da das Mini-Album von Esse, dem Alias des litauischen Producers Andrej Stech, der schon seit gut fünf Jahren auf diversen Labels digitale EPs veröffentlicht hat. Hier kommt die Dub-Deepness in ihrer ganzen Pracht zum Vorschein. Allerdings in einer Pracht, wie sie immer wieder zu hören ist. Ähnlich wie bei den letzten Marko Fürstenberg-Platten gehen mir da ein wenig die Worte aus.

In den Nuancen streifen die sechs Tracks der „Between The Stars“-EP zwar sehr verschiedene Ecken – mal etwas abgefederter und deeper, mal etwas technoider und launiger. Aber insgesamt rauschen diese Tracks vorbei, obwohl sie an sich alles haben, was einen guten zeitgenössischen Dub-Techno-Track ausmacht. Und sie passen natürlich gut in die verschneiten Wälder, Parks und Straßen.

Esse Myspace
Instabil Myspace
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