Dissident / Paranoid Society „Swimming In The Soup“ / „Swimming In The Booze“ (Alphacut Records)

Wie ein stilles Intermezzo klingt die neue Platte des derzeitigen Alphacut-Release-Rausches. Die Nummer 16 macht eins besonders deutlich: weniger Tempo ist manchmal mehr.

Tempo drosseln und trotzdem alles rausholen, dafür hat Dubstep ja schon einige Lorbeeren abstauben können. Und tatsächlich entfaltet diese Limitierung eine ganz andere Spannung in den Sounds und den Beats als das Unterwegssein mit hohem Tacho.

Die beiden Tracks auf dieser neuen Alphacut-Platte überraschen in ihrer inneren Ruhe, der unversteckten Deepness und der Eingängigkeit. Verortet ist die Platte im Osten Europas. Dissident zählt zu den Großen des russischen Drum’n’Bass, wahrgenommen auch in den Clubs tausend Kilometer weiter westlich. Sein „Swimming In The Soup“ ist ein tief versunkener Dampfer, der rhythmisch noch sehr lebendig ist. Geerdet wird er aber durch super langsam driftenden und nachhallen Chords. Das klingt nach Tiefsee mit bester Aussicht.

Die Esten Paranoid Society haben LXCs Studio geentert für „Swimming In The Booze“. Ihre Tauchfahrt ist noch ein ganzes Stück gelungener. Einerseits fast experimentell, wie mit den Klängen umgegangen wird. Andererseits unheimlich aufgeladen und angespannt durch einen sehr fein verschachtelten Beat, der in dem Tempo umso mehr wirkt. Die Chords sind dann fast schon zu deep, um wahr zu sein. Ein Liebhaberstück, ein echtes.

Dissident Website
Paranoid Society Website
Alphacut Records Website
Mehr zu Alphacut Records bei frohfroh

Concept One / CJ Weaver „Lyre Bird“ / „I’m Melting“ (Alphacut Records)

Fast einen Monat zu spät, sorry. Die aktuelle Alphacut ist schon seit Anfang des Monats draußen, doch erst jetzt kommen ein paar Worte hier dazu.

Dass Alphacut straight und pünktlich ihre „second wave“ durchziehen, dürfte mittlerweile hinreichend bekannt sein. Die Nummer 15 ist ein kleines Sammelbecken für zwei Debüttanten. Auf der A-Seite verwirklicht sich ein Franzose im Jungle-Fieber. Mit filigran-perkussivem Rhythmus schiebt sich Concept Ones „Lyre Bird“ tänzelnd und unprätentiös nach vorn. Alles ist da, was da rein sollte, mit Dschungelvogelsample und trockenen Sounds. Sehr klassisch.

Die B-Seite ist für mich weitaus stärker. Der US-Producer CJ Weaver (gab es bei Emergency Room nicht auch eine Weaver?) wankt im Schleichgang umher. Sehr deep mit einer zähen Bassmelodieschleife, fernöstlicher Romantik und einem subtil tiefliegenden Groove. Toll, wie sich „I’m Melting“ die Zeit und Ruhe gönnt, wie der massiv schiebende Bass alles einnimmt und mit den Percussions an Dynamik gewinnt.

Diese ruhigen Stücke offenbaren viel mehr, finde ich. Die B-Seiten scheinen also mehr meine Highlights zu werden.

Concept One Soundcloud
CJ Weaver Myspace
Alphacut Records Website
Mehr zu Alphacut Records bei frohfroh

Arsen1Computerklub „Gusto EP Remixes“ (Break The Surface)

Es ist ja schon ein wenig Zeit vergangen, seit der letzten Break The Surface-EP. Und irgendwie scheint der Label-Crew die letzte Arsen1Computerklub-EP noch derart nachzuhallen, dass sie einfach nur Remixe nachlegen.

„Einfach nur“ klingt natürlich etwas enttäuscht, ist aber gar nicht so gemeint. Zwar ist die Spannung groß, was in nächster Zeit von Break The Surface kommen wird, aber diese Remixe sind amtlich genug, um die Zeit zu überbrücken. Der Remix-Kreis ist überschaubar gehalten, nur Label-Kumpels haben sich an die Originale der letzten EP gesetzt, was eigentlich gar nicht so leicht sein dürfte. Immerhin hat Arsen1Computerklub doch eine recht eigene Handschrift entwickelt, bei der es schnell zum Identitätscrash kommen könnte.

Um „Wombat“ haben sich gleich zwei Leute gerissen, Okoli und Polarclouds. Okoli geht mehr den rotzigen Weg, mit trockener Bassdrum und ruppig eingestreuten Sounds. Die charakteristische Melodie des Originals mutiert zum Break hin zur verzerrten Stadionrock-Gitarre. Ansonsten ist alles recht kompakt und mit einer hintergründigen Deepness versehen.

Polarclouds setzt an einem weitaus höheren Energie-Level an, viel Rave-Appeal, viel Spannung. Auch hier wieder die Melodie, allerdings spielt Polarclouds mehr damit, lässt sie immer wieder abheben. Nach dem Rave-Break zieht das Glückslevel noch einmal an. Ein erstaunlich offensiver Track, bei dem die Fanfaren teilweise bis nach Delitzsch schallen dürften.

Das komplette Gegenprogramm dann mit Metasound & Lucius14 und ihrem Blues Bar Remix von „Schweine und Diamanten“ – der beste Mix dieser Reihe. Unglaublich, welche Spannung da am Anfang aufgebaut wird, leicht perkussiv und mit einem dark scheppernden Sound. Die Western-Atmosphäre des Originals hat da natürlich auch ihren Anteil dran. Auch toll, wie später der Funk in jedem Sound so drin steckt, dass der Track vor Freude beseelt umhertänzelt. Hier stimmt so viel, der Drive, die Deepness, die Dramaturgie.

Efkas Mix von „Wooden Roller“ durchbricht die Geradlinigkeit der anderen drei Stücke zum Schluss. Gedrosselt im Tempo, legt er mehr Wert auf wilde Sound-Spielereien. Kein Ton ist sicher, alles ist ständig in Bewegung, hell schillernd und düster bollernd. Teilweise fast schon mit einer dubsteppigen Schwerfälligkeit und Wildheit.

Eine sehr energetische EP ist dies hier, und in ihrer Eigenheit fest im Break The Surface-Kosmos verankert.

Break The Surface Website
Mehr zu Break The Surface bei frohfroh

Neurotron „System 2.1“ (Statik Entertainment)

Neurotron sind Netlabel-Aktivisten der alten Schule. Ihr Backkatalog ist enorm, sie betreiben auch ein gleichnamiges Netlabel und sind doch gerade auf dem Sprung zu Vinyl-Veröffentlichungen.

Aus Güstrow kommt das Duo. Nicht unbedingt ein weit nach außen schillernder Ort für Dub-Techno. Doch seit 2002 sind sie dabei, und dass mit einiger Beharrlichkeit auf Labels wie Thinner und eben auch auf ihren eigenen Labels Night Drive Music sowie Neurotron Music. 2008 dann der Bruch. Bei Ostwind erscheint die erste 12“, verwunderlich eigentlich nicht. Kommt Ostwind doch auch aus Mecklenburg.

Für Statik Entertainment bringen Neurotron nun eine Zwischennummer heraus, limitiert und nur mit einem Track versehen. Ein Track, der sofort die Frage aufwirft: Haben Moritz von Oswald und Mark Ernestus mit Basic Channel und Maurizio 1992 nicht eigentlich alles schon gesagt?

„System 2.1“ ist eindeutig ein Ziehkind dieses so faszinierend straighten wie ungeschliffenen Berliner Sounds. Perfekt eingefangen zwar, mit all dem permanenten Rauschen, der distanziert-warmen Dub-Tiefe. Etwas mehr Eigenheit hätte diesem Track aber nicht geschadet. Im Prinzip gibt es nichts zu meckern an „System 2.1“, ein solider Dub-Techno-Track. Leider ohne eigene Seele.

Neurotron Myspace
Statik Entertainment Website
Mehr zu Statik Entertainment auf frohfroh

Daniel Stefanik „In Days of Old Pt.1“ (Kann Records)

Während sich Daniel Stefanik auf seinem Debüt-Album „Reactivity“ vor allem dem Dub verschrieben hatte, zieht es ihn auf „In Days of Old Pt.1“ vollends Richtung House. Und, um es schon einmal vorweg zu nehmen, was dabei herausgekommen ist, ist grandios.

„#one“ baut nicht groß auf. Im Gegenteil, jegliche die EP einleitende Funktion geht dem Track ab: Geschwindigkeit, Bass, Deepness, alles ist sofort absolut da und deshalb sofort absolut fesselnd. Bevor die Fessel in Eintönigkeit abzugleiten droht – und das droht sie nach zwei Minuten – macht Stefanik etwas Tolles: Durch eine langsam einfadende, sphärische Melodie in den unteren Mitten gibt er dem bis dahin eiskalten Stück eine gewisse Wärme – ohne dabei im Geringsten an Druck zu verlieren. Die hintergründigen Vocals verstärken diesen Effekt noch und offenbaren scheu das Hitpotenzial von „#one“.

Auf der B-Seite fällt dann als erstes die Temposteigerung auf, weniger sphärisch und dafür rhythmisch vertrackter klingt „#two“. Mit seinen Breaks und den bestimmenden Höhen ist es komplett auf Tanzflächeneuphorie ausgelegt.

Mit „#three“ schließt sich dann allerdings die Klammer, die auf der A-Seite geöffnet wurde. In der Geschwindigkeit gedrosselt, ist dieser Track wieder vielfach housiger und melodiöser als „#two“. Auch der Aufbau ist „#one“ ähnlich: Mit trockenen Beats zu Beginn und einem einfadenden Thema, wechselt das Stück ebenso noch einmal seine Richtung. Wie Gummibälle lässt Stefanik einzelne Akkorde auf dem Beat hüpfen, auf und ab.

Springen sie einmal aus der Spur, werden sie vorsichtig mit sanften Melodienetzen wieder eingefangen. Je höher die Akkorde springen, desto tanzbarer wird das Stück, ganz am Ende legt der Beat bewusst noch einen drauf, im Rhythmuswirrwarr verschwinden die springenden Akkorde fast unbemerkt.

„In Day of Old Pt.1“ soll laut Promotext ein Tribut an die Musik sein, die Daniel Stefanik selbst beeinflusste. Das lässt sich in Vorbilderliste auf seiner Myspace-Seite auch nachvollziehen. Aber beim Hören wird vor allem etwas anderes klar: Daniel Stefanik hat inzwischen ein außergewöhnliches Niveau erreicht. Das hier ist perfekter House.

Daniel Stefanik Website
Kann Records Website
Mehr zu Daniel Stefanik bei frohfroh
Mehr zu Kann Records bei frohfroh

Zwischengedanke

Über Musik zu schreiben ist wie zu Architektur zu tanzen. Ein gern vorgehaltener Vorwurf an alle Bemühungen Musik in Worten vorzustellen. Das passiert bei frohfroh bekanntlich auch, insofern ist es nicht uninteressant zu erfahren, dass die Musikkritik selbst immer mehr in die Kritik kommt.

Klar, die Frage ist nicht neu: Warum sollte man Musik mit Worten beschreiben, wenn man sie doch beim Hören eh besser erfahren kann? Warum aber auch nicht? Immerhin steht Musik neben ihrem Klang nicht nur für sich, sondern sie steht im Kontext des Künstlers, des Labels, des Genres, der Herkunft und vielen anderen Parametern. Sie bieten eine Menge Diskussionsstoff. Dennoch scheint die Musikrezension an Attraktivität zu verlieren. Die taz hat dazu am 2. Februar einen interessanten Artikel gebracht: „Das popjournalistische Quartett“.

Darin wird die neue Praxis des Pop-Briefings vorgestellt, wie es die Spex seit Anfang des Jahres praktiziert. Das Prinzip ist adaptiert vom literarischem Quartett, also mehrere Kritiker besprechen in gemeinsamer Runde ein Werk. Bei der Spex passiert das nicht vor laufender Kamera, sondern in einem Intranet. 60 Tage lang wird da eine Platte von mehreren Autoren und Redakteuren diskutiert, das Ergebnis wird dann veröffentlicht.

Das hört sich spannend an, heraus kommt allerdings auch nur eine Rezension – unterteilt in verschiedene Meinungscluster, teilweise aufeinander Bezug nehmend. Ist dieser Diskurs nun spannender als ein in sich geschlossener Text, bei dem mehr oder weniger deutlich die subjektive Sicht des Autors durchschimmert?

Macht das Worte über Musik relevanter? Was sollte eine Musikrezension also bieten: objektive Infos, die Autorenmeinung oder vielleicht nur gesammelte Adjektive, die einem in Verbindung mit der jeweiligen Musik in den Sinn kommen? Die Frage steht, und sie ist ernst gemeint.

Fotocredit: Cloggymaster

Martinez „Cheesecake“
(Moon Harbour Recordings)

Martinez tischt Käsekuchen auf. Kein schlechter Name für einen Track. Denn so wie die Nachmittagsspezialität mit wenigen Zutaten auskommt, so ist auch bei dem Dänen alles überschaubar arrangiert – auch auf seiner dritten Moon Harbour-EP.

Man kann es nicht oft genug betonen, Martinez gehört mittlerweile zum sich neu entwickelten Künstlerstamm von Moon Harbour. Und mit seinen spärlich besetzten Tracks fügt er sich in dem funktionalen, sehr reduzierten House-Kurs des Labels an der richtigen Stelle ein.

„Cheesecake“ greift den Vibe der letzten beiden Martinez-EPs quasi nahtlos auf – ein loopiges, perkussives Stück mit einem prägnanten, wenn auch eigenartig nebeligen Chord. Damit ist leider auch schon alles gesagt.

Viel eindrücklicher ist die B-Seite. Laut Discogs ist „Gourmet“ ein Teaser in Langform auf das kommende Martinez-Album, sein mittlerweile drittes übrigens.

Der Beat ist weitaus offensiver, nicht so kontemplativ wie viele der anderen Martinez-Stücke auf Moon Harbour. Und es steckt eine Menge mehr klassischer House-Appeal drin. Allein der schwebend-treibende Chord erzeugt einen für Martinez ungeahnten Drive und spätestens, wenn die Strings einsetzen, weht die House-Flagge in voller Pracht. Ein sehr extrovertierter und positiv gestimmter Track, der einiges rausreißt in dem bisherigen Martinez-Output.

Als digitalen Bonus gibt es übrigens noch den Track „Passerby“ im Rahmen der „Cheesecake“-EP. Erstaunlicherweise schlägt dieses Stück eine ähnlich offensive Richtung ein. Im Rhythmus beinahe technoid und für Martinez ungewöhnlich verhallt, kehren der hin mäandernde Chord und die Vocal-Samples den Charakter des Stückes wieder klar zum House.

Am besten sind die kurzen, punktuell auftauchenden Kratzer zwischendurch. Die verleihen „Passerby“ etwas leicht Ungehobeltes. Und das kommt bei Martinez ja nicht so oft vor. Im persönlichen Resümee die bisher beste Veröffentlichung des Kopenhageners auf Moon Harbour.

Martinez Myspace
Moon Harbour Recordings Website
Mehr zu Moon Harbour bei frohfroh

Post aus Hamburg

Lange erwartet und mit einiger Verspätung sind sie vor kurzem endlich eingetroffen – die letzten beiden Ahornfelder-Veröffentlichungen von David Grubbs & F.S. Blumm sowie Semiun.

Ist Ahornfelder für Leipzig und damit für frohfroh noch von Belang? Label-Betreiber Alexander Schubert, selbst als Sinebag dort vertreten, lebt seit einiger Zeit in Hamburg. Das Label hat er natürlich mitgenommen. In Leipzig ist das gleichnamige Festival für experimentelle elektro-akustische Musik aber geblieben. Und das wird es wohl auch vorerst tun, „weil das Publikum hier offen und interessiert ist, und weil es Spaß macht, dieses Festival an diesem Ort zu veranstalten“, so Schubert.

Während sich das Festival erstaunlich weit in die zeitgenössische musikalische Avantgarde wagt, geht das Label zaghafter mit der elektro-akustischen Schnittstelle um – mehr auf Eingängigkeit bedacht und mit einer Reihe auch über die Szene hinaus bekannter Musiker. Eine gemeinsame Platte von David Grubbs und F.S. Blumm ist beispielsweise durchaus ein Highlight. Sie entstand bei einer improvisierten Auftritt im Sommer 2008 – Grubbs an der elektrischen, und Blumm an der akustischen Gitarre, unterstützt von Schlagzeug, Bass und Bassklarinette. In seinem Berliner Studio ergänzte F.S. Blumm diese Aufnahmen mit eigenen Sounds, teilweise dekonstruierte er auch die Originalspuren.

Die vier Stücke stehen aber eigentlich nicht für sich allein – der Untertitel der Platte „Music For Drawings“ deutet es indirekt schon an. Sie sollen die Bildästhetik des Skizzenbuches vertonen, das 2006 auch von Ahornfelder veröffentlicht wurde. Nun also die abstrakten Töne zu jenen abstakten Skizzen. Eine schöne Idee, wenn auch die Verbindung zwischen beiden Medien recht lose erscheint.

Außerdem lag der Post aus Hamburg noch das neue Album von Semuin bei, einem Berliner Electronica-Musiker mit dem bürgerlichen Namen Jochen Briesen. Mit der Band Gaston war er auch zu Gast beim Ahornfelder-Festival.

Mit seinem Solo-Projekt erschien vor fünf Jahren ein Album auf dem US-Electronica-Label Audio Dregs. Das kenne ich jedoch nicht, aber laut Ahornfelder konzentrierte sich Semuin bei „Circles And Elephants“ stärker auf die Komposition. Weniger freies Spiel der Klänge, dafür mehr Dramaturgie.

Und tatsächlich hat es etwas Poppiges, natürlich nur in einem weitgefassten Sinne. Denn das Zusammenspiel aus digitalen und organischen Tönen, Field Recordings und Midi-Chören, aus Schönklang und Dissonanz ist weit vom klassischen Pop-Song entfernt.

An sich sind diese Brückenschlage für Electronica nicht neu, dennoch erscheint Semuin noch eine Spur mehr im Avantgarden verwurzelt. Zu reduziert und schroff sind teilweise die Brüche. Und doch macht es „Circles And Elephants“ eben deshalb auch hörbar. Und Zuhören muss man auf jeden Fall.

Ahornfelder Website
David Grubbs Myspace
F.S. Blumm Website
Semuin Website
Mehr zu Ahornfelder bei frohfroh

Wechselhafte Konstante

Statik Entertainment ist eines der ältesten Leipziger Labels. Doch große Posen waren noch nie die Sache dieser Institution für dubbigen Techno. Selbst im 15. Jahr ihres Bestehens blieb es gewohnt ruhig. Aber auch gewohnt liebevoll. Ein Label-Porträt.

Fünfzehn Jahre Statik Entertainment – was Anfang der Neunziger als fixe Idee entstand und 1994 in der ersten Platte mündete, hat sich zu einer sicheren Adresse für das weite Feld um Dub-Techno und Electronica entwickelt. Und es waren fünfzehn Jahre, die in eine überaus bewegende Zeit fielen, gerade wenn man die kulturtechnischen und wirtschaftlichen Umwälzungen betrachtet. Die Kommerzialisierung und Stilisierung von Techno zu einer Jugendkultur, die Rückkehr dieser Musik in ihre subkulturellen Nischen, der Niedergang der klassischen Musikindustrie, die rasante Digitalisierung unseres Alltags – all das bot den Kontext, den auch ein kleines Label wie Statik Entertainment nicht unberührt lässt.

Dass es überhaupt schon so lang geht, sieht Matthias Kretzschmar, vielen besser als Schubert bekannt, in einem banalen Punkt begründet: Es war immer sein Hobby gewesen und es ist es bis heute geblieben. Ein rein wirtschaftliches Interesse war nie die Intention Statik Entertainment zu betreiben. Allerdings haben sich über die Jahre so viele Erfahrungen und Kontakte angehäuft, dass das Label längst auf einem professionellen Level arbeitet und sich wirtschaftlich trägt. Jedoch immer nur in der Freizeit von Schubert. Die Miete verdient der Mittdreißiger woanders.

Startphase mit Hürden

Ein Techno-Label zu gründen war in Mitte der Neunziger ebenso glamourös wie heute, allerdings ungleich schwieriger. Damals gab es noch kein Schallplattenpresswerk in Leipzig vor der Haustür. Und die anderen deutschen Adressen waren mehr oder weniger geblockt von den Major-Labels und Szene-Größen. Labels mit kleinen Auflagen wurden meist wieder nach Hause geschickt. Die erste Statik-Platte wurde daher in einer tschechischen Fabrik gepresst – mit fünfmonatiger Verspätung und als Fehlpressung.

Damals teilten sich mehrere Labels die DAT-Kassetten für ihre Pressungen. Und so kamen neben den Tracks von S-Dyz – laut Schubert die erste TripHop-Platte des Ostens – auch Industrial-Stücke von einem anderen Label auf die Statik 01. Schubert setzte sich hin und ritzte Streifen über die fremden Tracks.

Ein denkbar schlechter Start für ein junges Label. Dennoch lief es gut, wohl auch, weil in dieser Zeit das Angebot an neuen Platten und Labels noch überschaubarer war. Das Presswerk in Tschechien arbeitete auch weiterhin höchst unberechenbar. In einer weiteren Lieferung waren plötzlich die fünf nächsten Veröffentlichungen auf einmal dabei. Finanziell beinahe der Ruin. Und auch beim Vertrieb war dieses Paket schwer unterzubringen.

Überhaupt war das Thema Vertrieb in den ersten Jahren eine Odyssee. Anfangs ging es ohne, später nahm sich Music Mail den Statik-Platten an. Doch ab der Nummer 10 wollten die Stuttgarter nicht mehr. Durch Christian Fischer kam dann der Kontakt zu Neuton, heute vertreibt Intergroove.

Statik Entertainment-Betreiber Matthias Kretzschmar alias Schubert (Foto: Christian Hüller/Panoflex)Daniel Stefanik und die Dub-Tiefen

Ebenso wechselhaft wie es hinter den Kulissen zuging, veränderte sich auch der Sound von Statik. „Mein Musikgeschmack hat sich über die Jahre gewandelt, und letztendlich veröffentliche ich immer nur das, was mir gefällt“, erklärt Schubert den stilistischen Werdegang des Labels. Für ihn sind düstere und nachhaltige Sounds essentiell. Ein Track muss eigen sein und sollte nicht einfach auch auf ein anderes Label passen.

Ein hoher Anspruch, gerade in letzter Zeit, da sich Statik in seinem Profil immer mehr auf Dub-Techno im weitesten Sinn festlegte und damit einen Sound lieferte, der in den letzten Jahren viel an Attraktivität gewonnen hat. Mittlerweile wird Dub-Techno für Schubert wieder weniger interessant: „Es passiert gerade nicht mehr viel Neues, es hat sich tot gelaufen. Ich könnte jetzt noch weitere Platten in dieser Richtung veröffentlichen, die sich alle gut verkaufen würden. Aber das finde ich nicht spannend.“

Dass sich bei Statik eine gewisse musikalische Linie herauskristallisierte, schreibt Schubert in hohem Maße auch seinem Freund Daniel Stefanik zu. Als großer Basic Channel-Fan war er diesem Sound schon länger verfallen und produzierte neben seinen funktionaleren Moon Harbour-Tracks auch dichte Dub-Tracks. Auf Statik konnte er sie veröffentlichen. Auch sein Debüt-Album „Reactivity“ trägt das Statik-Logo.

Und so ist Stefanik bis heute der einzige wirkliche Stammkünstler auf dem Label, das sonst eher auf ein loses Artist-Netz setzt. Viele Kontakte sind über die Jahre entstanden, andere kamen über das Internet oder über Demos zustande. „My Music Is My Space“ ist eine Compilation-Reihe in vier Ausgaben, die genau jene Tracks vereint, die Schubert auf Myspace überraschten und überzeugten – für ihn auch eine neue Facette des Labels. Früher war es weitaus schwieriger an neue Künstler zu gelangen. Heute sind sie manchmal nur wenige Klicks entfernt.

Statik Entertainment ist für Schubert zu einem Liebhaber-Label avanciert – kleine Auflagen mit limitierten farbigen Editionen für eine überschaubare Szene, die Wert auf Vinyl legt. Dem digitalen Markt verweigert er sich dabei keineswegs, immerhin verkaufen sich die Statik-Veröffentlichungen dort immer besser, während der Vinyl-Absatz stagniert.

Gefeiert wird woanders

Obwohl sich Statik Entertainment auch international einen guten Ruf erarbeitet hat, bleibt es in seiner Heimat Leipzig verhältnismäßig verborgen. Label-Partys gibt es nicht, weil Schubert dafür die Zeit fehlt und Daniel Stefanik definiert sich neben Statik auch noch über andere Labels.

Doch es sind scheinbare Nebensächlichkeiten, die Schubert viel zurückgeben: ein Statik-Fach im Berliner Hardwax oder im Freezone vor Ort beispielsweise, das Feedback der Fans. Sie zeigen ihm, dass er mit dem Label Teil einer Szene ist, und dass ist ihm mehr Wert als sich von dem Label ein neues Auto leisten zu können.

Müde ist er nach all den Jahren nicht. Neben Statik betreibt Schubert noch das Digital-Label Instabil, und erst kürzlich startete er mit Daniel Stefanik und Thomas Fröhlich den House-Ableger Stretchcat. Mit diesem Schritt wird Statik künftig noch mehr für einen technoideren Sound stehen.

Ganz untergehen wird das 15. Jubiläum übrigens doch nicht. Nur etwas verspätet wird es gefeiert – mit der Mix-Compilation „Deepentertained“, gemixt von dem Iren Leonid.

Statik Entertainment Myspace
Mehr zu Statik Entertainment auf frohfroh

Pupajim „I Am A Robot“ (Jahtari)

Die Maffi-Serie auf Jahtari ist zu einer wunderbaren Collector-Serie geworden. Kleine Platten voller Hits. Und auch die fünfte Ausgabe nimmt sich da nicht raus. Wenn auch digitaler als sonst.

Pupajim ist ein Franzose, der einen digitalen Reggae-Charakter geschaffen hat. Er schiebt seinen Gesang durch einen Sound-Filter und bekommt einen Gesangsstil heraus, über den man lächeln kann, der aber auch ein interessantes Eigenleben entwickelt. Wie ein Männchen aus einem alten Computer, das Reggae für sich entdeckt hat und mit seinen Mitteln selbst auf die Piste geht.

Interessant ist auch, wie die Maffi-Crew aus Kopenhagen bei ihrem Riddim diesen digitalen Appeal komplett auf die Musik überträgt. „I Am A Robot“ ist in seinen Strukturen und Sound-Arrangements ganz ein klassisches Reggae-Stück. Doch es ist komplett plastisch und digital. Eine sehr tolle Übertragung.

Disrupts Version auf der B-Seite pumpt das Instrumental in gewohnter Weise etwas stärker auf und gibt es ihn im zweiten Teil ein paar neue Akzente. Da braucht es auch keinen Gesang von Pupajim.

Pupajim Myspace
Jahtari Website
Mehr zu Jahtari auf frohfroh

Good Guy Mikesh & Filburt „Milk & Honey EP“ (Liebe*Detail Spezial)

Liebe*Detail ist ein Liebhaber-Label, spezialisiert dezent aufgedrehte Hits. Die Verbindungen zu Leipzig sind sehr gut. Nach Platten von Sven Tasnadi, Juno6 und Marko Fürstenberg, bekamen auch Good Guy Mikesh & Filburt hier ihr Podium.

Schon seit Anfang Dezember des letzten Jahres ist die draußen, die Platte mit „Milk & Honey“. Jenem Hit also, der schon in den Live-Sets immer wieder für Verzückung sorgte. Auf Platte erinnert er erstaunlicherweise ein wenig an Erlend Øye. Also einfach der Moment, wie Mikesh zu dem geraden Beat, der angerauten Bassline und den hymnischen Synthies singt. Angenehm im Hintergrund und doch sehr charakteristisch für das Stück.

Spannend ist, wie beide mit der Opulenz der Harmonien und dem durchaus massiven Rhythmus umgehen. Ein wenig mehr von allem und es wäre ein zu aufgeladener Rave-Track. Doch so, wie er im Original läuft, entzieht er sich dieser Gefahr auf ganz lässige Weise. Im „Basket Mix“ wird alles noch elegischerer und schwebender. Nicht schlechter, wenn auch der Biss des Originals fehlt.

Auf der B-Seite tobt sich schließlich noch John Daly an „Milk & Honey“ aus, gleich zweimal. Einmal sehr geradlinig und homogen auf den Floor abgestimmt, mit einem langen Break. Das andere Mal ziemlich ravig, mit einer Rave-Bassline vor den umherschwebenden „Milk & Honey“-Harmonien. Irgendwie introvertierter und dennoch mit offensichtlicherem Drive. Ehrlich gesagt kommt keiner der anderen Tracks wirklich an das Original heran. Das spricht doch aber für sich.