Afterhour #5 Liebe, Techno, Leipzig – Rosswitta

Für die Mai-Ausgabe unserer Afterhour-Reihe traf sich Antoinette Blume mit Rosswitta. Seit zehn Jahren arbeitet sie an verschiedenen Stellen des Nachtlebens.

Rosswitta, die eigentlich Caro heißt, ist auf Anhieb cool. Sagt man cool noch? Eine Person wie ich hat die Rhetorik von vor zehn Jahren noch nicht ganz abgelegt. Caro also. Berliner Schnauze gepaart mit dem sexiest Zwinkern you can imagine, wenn sie dir einen Pfeffi reicht. Und sich auf Einladung auch einen einschenkt, das kommt schon ab und zu mal vor – und das verheißt allermeistens einen vorzüglichen Abend. 

Steckbrief
Clubnest?Wilde Renate (ehemalig) + Institut für Zukunft (neuerdings)
Liebster Straßenzugnachbar in Berlin? Sven Marquardt
Leipzig oder Berlin?Leipzig

Wasser statt Gin

Caro kenne ich aus dem Institut fuer Zukunft und vom Frisieren. Denn irgendwo müssen die (restlichen) Hipsterkids (ich bin für den Ausdruck eigentlich vehement zu alt) ihre Haare stylen lassen – das tun sie entweder bei Caro oder DIY mit der Trimmmaschine und Küchenschere zu Hause. Ich bevorzuge ersteres, auch um mit Caro über dies und das zu schnacken und die letzten Nächte und Tage auszuwerten (ja, auch das muss manchmal getan werden) und gezwungenermaßen den Kopf und den Körper mit Wasser und Worten statt Gin und Unfug zu beleben.

Mit 13 auf der Loveparade

Die Berlinerin hat die 30 schon ein bis zwei Jährchen geknackt und fühlt sich nirgends so wohl wie im Nachtleben. Von Berlin aus ging es vor einem Jahr nach Leipzig, von der Wilden Renate ins Berghain Leipzigs (um diesen Klischeeausdruck auch einmal zu bedienen, pardonnez-moi), dem Institut fuer Zukunft. Seit zehn Jahren arbeitet sie entweder an der Garderobe, an der Tür, hinter der Theke oder als Putzi; unter freiem Himmel, in Clubs, Bars oder auf Festivals. Zuletzt sechs Jahre auf der Fusion – die Kreativpause der Veranstalter in diesem Jahr bedeutet also auch Kreativurlaub für „meine“ Caro, worüber ich ganz froh zwecks Sommergesellschaft bin; sie wird es missen.

Theke als zweiter Mittelpunkt im Club

Das Arbeiten am Menschen und mit Menschen ist ihr das Schönste, sagt sie. „Gerne neue Leute kennenlernen“, das sagt jeder zwar mal so einfach, klingt kosmopolitisch – wirklich allen neuen Leuten offen begegnen, ihnen einen angenehmen Abend gestalten, zwinkern, hinhören, non-verbal über Lautstärkepegel weit-ab-jenseits von mittellauter Meditationsmusik im Trakt II oder Fremdsprachenkenntnissen aller Art hinweg, jeden Wunsch oder jede Not verstehen lernen – das ist in der Nachtpraxis gar nicht mal so mega easy. Aber so is‘ Caro.

In ihren Pausen geht sie selbst gerne mal das freie halbe Stündchen tanzen oder schaut sich um, was fernab von der Theke so an Atmosphäre ist, ob jemand Unterstützung, ein Kompliment oder ein Salzstängelchen brauchen könnte. Den Überblick und die wirklich herzliche Empathie hat sie sich aus der Zeit als ehrenamtliche Aufnahmehelferin für Flüchtlinge in Berlin mitgenommen. Flüchtlinge in Leipzig, die ins IfZ kommen, nimmt sie daher auch weiterhin unter ihre Fittiche – und beobachtet sehr gern deren persönliche, kommunikative Entwicklung im (hedonistischen) Freiraum.

Theke ist eben mehr als Getränke verkaufen.

Foto von Henry W. Laurisch
Artwork von Manuel Schmieder

Ende Neu –
Possblthings Recordshop

Am kommenden Samstag schließt der Possblthings Recordshop in Connewitz. Doch die Meldung ist weniger traurig, als sie im ersten Augenblick klingen mag.

Im Sommer 2014 eröffnete der Possblthings Recordshop seine Türen in der Bornaischen Straße. Ein Jahr zog Betreiber Steffen mit den ganzen Techno- und Electro-Platten in den Keller des gleichen Hauses. Zwischendurch entstand aus dem Laden heraus ein eigenes Label. Nun schließt er in Connewitz am 29. April zum letzten Mal die Türen.

Es wird aber weitergehen. Wo genau, möchte Steffen noch nicht verraten. Nur, dass Possblthings im kommenden September wiedereröffnen wird. Und noch eine gute Nachricht gibt es zu vermelden: Denn künftig wird auch Yuyay Records-Betreiber Robyrt Hecht den Plattenladen mitbetreiben. Er ist aber nicht der einzige, der die Crew um den Laden erweitert. „Es gibt viele neue Leute, die an der Entstehung des neuen Ladens mitwirken“, meint Steffen dazu.

Damit beim Umzug nicht so schwer zu schleppen ist, gibt es vom 27. bis 29. April noch einmal 20 Prozent Discount auf den gesamten Backkatalog. Donnerstag und Freitag von 14-19 Uhr und Samstag von 12 bis 16 Uhr.

Ach, und genau jetzt ist auch die zweite Possblthings-Platte herausgekommen. Hier stellen wir sie vor. Und in der Schließzeit sind noch zwei weitere Releases geplant.

Nachtzug „XP Lore EP“ (Possblthings Records)

Kurz bevor der Possblthings Recordshop schließt und sich für den Umzug vorbereitet, bringt das ladeneigene Label seine zweite Platte heraus.

Nachtzug sind Norman Hecht und Stephan Glowatzky, ein Berliner Duo, das bereits 2007 eine EP veröffentlicht hat. Später folgten drei aufgenommene Jamsessions und drei Alben, alles digital. Und im letzten Herbst kam Yuyay Records eine EP von einem gewissen Kurt Y. Gödel heraus, auf der unter anderem zwei Nachtzug-Tracks enthalten waren. Die Connection ist durchaus familiär, immerhin sind Norman Hecht und Yuyay-Betreiber Robyrt Hecht Brüder.

Nun haben Nachtzug sechs Tracks auf eine Vinyl-EP gebannt – mit einer Up- und einer Downtempo-Seite. Auf der A-Seite frönen sie ihrer Electro-Lust und machen ganz klar: Space is the place. Im Opener „Critic“ haben sie einen schmissigen Synthpop-Einschub untergebracht, der hervorragend in das ansonsten orbitale Stück passt. Der Track ist mein persönlicher Hit!

„Side Track“ kommt etwas klassischer, gemütlicher und ohne Aufregung daher. Der Name ist hier quasi Programm. Die Seite endet mit dem leicht housigen „Cable Cake“, das bereits auf dem 2011er Album „Fatigue“ zu hören war.

Die B-Seite geleitet den Hörer schließlich wieder runter von der Tanzfläche. Wobei: Man könnte auch einen Gang höher auf 45 rpm schalten und sich weiter den schnellen Electrofilm geben. Aber so war das nicht gedacht, obwohl es geil klingt. Gott sei Dank habe ich mir die EP online noch mal angehört, ansonsten hätte ich hier ganz schönen Mist geschrieben. Ha!

Auch „Transmit“ erschien schon einmal 2011, aber auf dem Album „Compression“. Der Track ist düsterer und langsamerer als die A-Seite. Er hört sich eher wie eine Computerspielsequenz an, was ich übrigens auch schon bei „Cable Cake“ gedacht habe.

Bei „Komitee Kosmos“ gibt es die einzigen Vocals der Scheibe zu hören. Die Nummer ist total schön spacig-verträumt mit einem Hang zur Melancholie. Die Doubletime-Hi-hat verpasst der Sache noch so einen entrückten Drum & Bass-Touch. Sowas hab ich auf jeden Fall vorher noch nie gehört.

Der Closer heißt „Artificial Flavor“ und erinnert mich an das „Dummy“-Album von Portishead. Eine langsame Nummer mit massivem Hip- bzw. Trip Hop-Einfluss. Insgesamt eine schöne und abwechslungsreiche Platte, die Fans verschiedener Genre zusammenführen wird.

Ach ja: Wer Nachtzug live spielen sehen möchte, sollte am 12.5. ins ://about blank gehen.

Wie die erste Platte entsteht – Napoleon Dynamite „Start over“

Es muss sich anfühlen, wie das erste Mal Fahrrad zu fahren, das erste Mal zu fliegen oder den ersten Zungenkuss zu erleben – ein Gefühl zwischen zehnfachem Rückwärtssalto und geschwollener Brust. Napoleon Dynamite veröffentlicht seine erste Platte und wir durften ihn dabei begleiten.

Eigentlich tritt Martin im Doppelpack mit Hendrik Kaden unter Dynamite Kadinski auf, organisiert Partys in seiner Fäncy-Crew oder sitzt am Schlagzeug von Mekong Airlines. Doch gibt es ihn sehr wohl allein. Seit vier Jahren produziert er und schiebt gute Lieder in den einen und weniger gute in den anderen Ordner. Bis der Moment eintrat, indem ein digitaler Ordner dem Track nicht mehr gerecht wurde und „Start over“ auch taktil wahrgenommen werden sollte, ja veröffentlicht werden musste. Doch wie geht es eigentlich dann weiter? Dazu durften wir Martin befragen.

„Das erste Release ist super schwer.“

Alles beginnt mit der Suche nach dem richtigen Label und der Frage, welches Label überhaupt zum Track und natürlich zum Künstler selbst passt. Seiner Kunst eine Bühne zu geben, bedeutet harte Arbeit. Davon bleibt auch ein Produzent und DJ nicht verschont: bekannte Kontakte ansprechen, hinterher telefonieren, Absagen akzeptieren. Martins erste Wahl und durch vorherige Zusammenarbeit vertrauter Kontakt Filburt hatte für O*RS in diesem Jahr bereits zu viele Veröffentlichungen geplant, so kam er zu Filburts und Ron Deacons Label RDF Music.

„Es ist wirtschaftlich immer schwierig, eine Platte zu veröffentlichen – vor allem bei kleinen Labels.“

Doch bietet ein kleineres Label auch größeren Raum für eigene Ideen, sei es im Marketing oder gar gesamtheitlich. So geht es schon lang auch um das Gesamtkunstwerk Platte und beim ersten Release im Speziellen ebenso um den Prozess, der im Herbst 2016 mit zwei Remixen von „Start over“ begann. Dabei entstand ein verträumter Remix von Tristen und ein beatlastiger von Label-Owner Ron Deacon. Beide decken für Martin die gesamte Breite seines Stücks ab.

Anschließend gingen die Tracks zum unabhängigen Mastering. Das um Eigenheiten ausgeglichene, für alle Wiedergabegeräte optimierte Master kam ebenfalls ohne Veto aus. Eines wurde allerdings eingelegt, als die erste Testpressung im Januar mit einem Rauschen eintraf. Ein weiterer Monat verging bis nach der zweiten, nun erfolgreichen Testpressung, endlich vervielfältigt werden konnte und die 500 Platten von Ron sehnsüchtig entgegengenommen wurden.Der „heilige Moment“ des Stempelns konnte beginnen. Mit Support von Mauro Caracho wurden 100 Platten per Hand nummeriert. 100 individuelle, unterschiedlich bunt marmorierte Platten, die ausschließlich über Bandcamp bestellbar sind. Für den konventionellen Vertrieb der weiteren 400 übernimmt Diamonds and Pearls die Distribution. Das Artwork wurde von Stephanie Winkler entworfen, den Siebdruck hat Stek Streetart übernommen. So ganz gibt es Martin eben doch nicht allein und so entsteht aus vielen kleinen Ideen und Puzzleteilen ein Masterpiece. Was nützen auch derartige besondere, einmalige Momente voller Zauber, wenn sie nicht teilbar sind. Das Gefühl der Wertschätzung kann er dann doch ganz allein genießen, verdienterweise.

Es entstand ein eindringlicher, breiter Track mit einem Spiel aus Nähe und Distanz. Die dramatische, gegensätzliche Stimmung setzt Ron in seinem Remix fort und verstärkt das Ungleichgewicht – sphärisch, aber konsequent beatlastig. Eher spielerisch, verträumt und intuitiv wirkt der Remix von Tristen hingegen.

Talk Talk – Wie Frauen in der Clubkultur präsenter werden – Neele & Emilia

In den letzten Jahren war das Thema „Frauen in der Clubkultur“ wieder sehr präsent. Beim Blick auf viele Festival- und Club-Line-ups wird deutlich, dass sich nur langsam etwas tut. Über die Gründe und Auswege hat Kathi im neuen Talk Talk-Podcast mit Neele und Emila gesprochen.

Wir halten uns vielleicht für tolerant und gleichberechtigt, aber trotzdem sind die Line-ups sowie wichtige Positionen hinter den Kulissen der Clubkultur weiterhin hauptsächlich von Männern besetzt. In mehreren Podiumsdiskussionen, Analysen, Festivals und Artikeln wurde die Diskrepanz zuletzt wieder häufiger thematisiert.

Neele vom Conne Island und Emila vom Kulturraum e.V. haben mit Featuring Females* eine Veranstaltungsreihe organisiert, die in den kommenden Wochen sowohl empowern als auch diskutieren möchte. Neben unserer Ankündigung haben wir sie außerdem zum Interview für unserem Talk Talk-Podcast vorm Conne Island getroffen.

Hier ist das ganze Programm der ersten Featuring Females-Reihe.

Featuring Females*

Mit Featuring Females*, kurz Feat. Fem, hat sich gerade eine Plattform gegründet, die im April und Mai mit mehreren Veranstaltungen zum Ausprobieren, Diskutieren und Austauschen einlädt. Hier gibt es das komplette Programm.

Es geht bei dieser ersten Ausgabe der Featuring Females*-Reihe erstmal um Frauen in der Clubkultur. Doch Emilia, eine der Organisatorinnen und beim Kulturraum e.V. aktiv, betont, dass dies nur ein Aspekt sei. Künftig sollen auch Kultur und Kunst dahingehend beleuchtet werden, wie leicht oder schwer es Frauen in der kulturellen Arbeit und Wahrnehmung haben.

Emilia dazu: „Wenn Kulturproduktion von männlichem Geschmack und Wahrnehmungen geprägt ist, muss man dem auch etwas entgegensetzen. Ich denke schon, dass Frauen teilweise einen anderen Ausdruck wählen und andere Sachen in ihrer Musik und Kunst thematisieren. Bei der Herangehensweise an DJ-Sets ist mir beispielsweise aufgefallen, dass das immer so perfekt und technisch sein muss. Das scheint mir ein eher männlicher Blick.“

Featuring Females* möchte aber nicht nur kritisieren, sondern nachhaltig empowern.

„Das Ziel ist es, das Selbstbewusstsein von Frauen in der Clubkultur zu stärken, egal in welcher Position.“

Das meint Neele, eine weitere Organisatorin, als DJ und Bookerin im Conne Island prägt sie die Szene bereits spürbar mit.

Das Empowerment passiert einerseits durch Panels und den Film „Raw Chicks.Berlin“, bei denen VJs, DJs, Veranstalterinnen und Bookerinnen von ihren Erfahrungen im Musikgeschäft sprechen, andererseits ganz angewandt in mehreren Workshops, bei denen die Grundlagen des Produzierens, Auflegens und VJings vermittelt werden. Als Finale wird es eine eigene Electric Island-Party geben mit vorheriger Network-Option auf der Conne Island-Veranda.

Wir haben uns ergänzend mit Neele und Emilia zum Gespräch für einen neuen Talk Talk-Podcast getroffen. Nicht verpassen!


Hier das komplette Programm:

Workshops

VJ-Workshop mit Mari & Juli
22.04.2017 // 12:00 Uhr // Institut für Zukunft
Anmeldung: girlz-edit@conne-island.de, Betreff: VJ 1

DJ-Workshop (CD, USB, Vinyl) mit Carina Posse (DJ, Analogsoul Rec.)
22.04.2017 // Einführung (DJ 1) // 14:00 Uhr // Conne Island
29.04.2017 // Aufbau (DJ 2) // 14:00 Uhr // Conne Island
Anmeldung: girlz-edit@conne-island.de, Betreff: DJ 1 und/oder DJ 2

Ableton Producing-Workshops mit supaKC (noisy answer)
06.05.2017 // Einführung (Prod 1) // 14:00 Uhr// Conne Island
20.05.2017 // Aufbau (Prod 2) // 14:00 Uhr // Conne Island
Anmeldung: girlz-edit@conne-island.de. Betreff: Prod 1 und/oder Prod 2

Screening

Film & Gespräch: Raw Chicks.Berlin + Spazz mit S.ra & Neele
04.05.2017 // 20:00 Uhr // Institut für Zukunft

Panels

Panel 1 Identity politics across the current club landscape
12.05.2017 // 18:00 Uhr // Conne Island

Moderation: Jordan Davidson (Balance Festival-Mitgründer, Booker, Kurator)
Siren (DJ- & Promoter-Kollectiv)
Hannah Christ (Femdex, DJ & Promoter)
Ande (Co-Programmer der Ableton Loop Summit, Producer & Artist)

Panel 2 Genderbezogene Rollenverteilung im Musikbusiness auf dem Prüfstand
12.05.2017 // 20:00 Uhr // Conne Island

Moderation: Charlotte Eiffler (DJ, Producer, Girlz Edit, Cobra Netzwerk)
Hang Aoki (Killekill & Futura Booking Agency, Krake Festival PR, About Blank)
Wiebke Magister (IO, IfZ Resident Booking, Promoter)
Aiko Okamoto (DJ, VJ, Meet Up Berlin, Female:Pressure)
Mo Loschelder (RBMA, Heroine of Sound, Female:Pressure)

Danach: Open Decks im Frauen*-DJ-Proberaum vom Conne Island

Dance Dance

Klub: Eletric Island x Featuring Females*
13.05.2017 // Conne Island

18:00 Uhr // Veranda // Music – Hangout – BBQ – Networking
The Real & The Truth (Girlz Edit, Barcelona Bar)
Please talk softly (Con Han Hop)

22:00 Uhr // Café // Bass – Breaks – Footwork – Future
Kaput aka Alice in Flamez
ANTR (G-Edit, Sic!)
Bandulera (WobWob!, Hoch10)
Charlotte (G-Edit // Le)

23:00 Uhr // Saal // Still Electric Island
Salomé (No Show)
Violet (Cómeme, Snuff Trax, One Eyed Jacks)
Olivia (Radar, Chrono Boss)
Isa Wolff (Sans Serif)
Vivian Koch (FDF, Olympe Fatal)

Mixen mit unbekannten Platten – Plattentaschenbingo

Am kommenden Freitag gibt es im IfZ ein Plattentaschenbingo. Was das sein soll? Wir erklären es und haben sogar einen Mix, der zeigt, wie es ablaufen kann.

Wahrscheinlich findet jedes Wochenende bei irgendeinem Warm-up zu Hause oder der Afterhour vorm eigenen Plattenregal ein Plattentaschenbingo statt. Dann wird beiläufig in der Plattentasche von Freunden gestöbert, vielleicht auch eine Scheibe rausgeholt und aufgelegt.

Öffentlich im Club dürfte dieses spontane Suchen in fremden Plattentaschen selten vorkommen. Beim Plattentaschenbingo wird dies anders sein. Dann müssen 19 eingeladene DJs ihre wie sonst auch gefüllten Plattentaschen abgeben und bekommen eine andere Tasche zugelost. 20 Minuten haben sie danach Zeit, sich mit dem unbekannten Inhalt zu beschäftigen, um ein einstündiges Set zu spielen.

Eingeladen sind: aннеттe, Basco, Credit 00, Dahmar, Helge Misof, Jonas Palzer, Konrad Wehrmeister, Leibniz, Neele, Oh Walter, Onetake, Phonatic, Prismic, Qnete, Sevensol, Shape, Tobi, True Kunze und Usunov. Eine gute Mischung also, bei dem es einige Überraschungen geben dürfte. Alle Einnahmen werden übrigens an Geflüchtete gespendet, die an der HGB mit einigen bürokratischen Hürden zu kämpfen haben.

Wie das klingen kann, zeigt und erzählt uns der Bremer DJ und Producer Qnete. Sonst eher mit klassisch deepen House und Techno vertraut, bekam von seinem Freund Onemadarchitect, einem Drum & Bass-Freund, die Plattentasche überreicht. Hier sein exklusiver Mix für uns:

Wie ist es, mit fremden Platten zu spielen?

Ich habe das schon öfter gemacht. Nicht für Mixes in voller Länge, sondern bei Freunden im Wohnzimmer. Da gab es Aufforderungen wie „Komm Marvin, mach mal deinen ersten Drum & Bass-Übergang“ oder jemand holt mit schamrotem Gesicht seine fiesesten Dubstep-Bretter aus der hintersten Ecke und die legen dann alle gemeinsam auf und lachen.

Musikalisch bist du sonst woanders unterwegs – nach welchen Kriterien hast du hier die Stücke ausgewählt?

Insgeheim bin ich großer Fan von Grime- und UK-Spaß-Sachen, aber ich bin noch nie so richtig dazu übergegangen das selber aufzulegen. Ich freue mich aber immer, das auf einer Party zu hören. Das kommt hier in Bremen aber gar nicht so häufig vor.

Marcel aka One Mad Architect ist Teil einer Crew, die zwei bis drei Mal im Jahr große Bassmusik-Acts einladen und ich weiß, dass er gern diese Art Musik auflegt. Also habe ich ihn gefragt, ob er mir ein paar Sachen raussuchen kann und ich nehme einen Mix damit auf. Was genau er auswählt, wusste ich natürlich nicht.

Hast du die Platten vorgehört oder ad hoc mit dem Mix angefangen?

Ich bin glaube, ich bin so vorgegangen, wie es bei der Bingo-Party auch sein wird. Ich habe die Auswahl bekommen und mich kurz reingehört. Ein bisschen wie im Plattenladen. Für den Anfang wollte ich ruhigere Tracks und dann irgendwann Party. Alles ziemlich ad hoc. Irgendwie kriegt man Platten immer schon aneinander.

Was war besonders herausfordernd?

Viele der Labels nicht zu kennen, von denen die Platten sind und dadurch nicht so intuitiv eine Verbindung von der visuellen zur musikalischen Ebene herstellen zu können. Wobei manche der Platten ziemliche trashige Artwork-Verbrechen waren – dann fiel es einfacher.

Wirst du künftig mehr breakige Sachen auflegen?

Ich versuche der Regel zu folgen, dass meine Sets immer für eine Überraschung gut sind.


Das große Plattentaschenbingo // 21. April 2017 // 23Uhr //  Institut fuer Zukunft // FB-Event

Black Seed „Dirtybox EP“ (Sign Bit Zero)

Sign Bit Zero dürfte wohl einigen Leuten bereits ein Begriff sein, obwohl das Label von Kilian Krings erst letztes Jahr gegründet wurde. Gerade erst ist die vierte EP erschienen.

Von Matteo Viani aka Black Seed kommt sie. Für den Italiener ist es erst die dritte Veröffentlichung, nachdem er 2014 zwei EPs beim Turiner Label Detail Sound herausbrachte.

Die „Dirtybox EP ist auf Vinyl erschienen und beherbergt vier sehr unterschiedliche Tracks. Ihnen ist gemein, dass sie alle eine sehr rauhe Oberfläche haben und einen damit sozusagen in die Ohrmuschel springen und sich in ihr reiben. Inhaltlich changieren die Tracks aber deutlich.

Da sind auf der einen Seite die sehr acidlastigen Sounds des Openers „Dirtybox“ sowie des letzten Tracks „Mutante“. Die sind wie eine Phuture-Platte von 1987, nicht nur von der Materie, sondern auch vom Zustand her, der eben nach 30 Jahren DJ-Einsatz klingt.

„Vaporize“ hingegen ist ein zwar langsamer, aber sehr technoider Track, der die Gabe hat, sich an dich ranzuschleichen, dich zu packen und wegzuzerren wie ein Raubtier, das neben Reißzähnen auch noch eine Bohrmaschine zum Einsatz bringt. Autsch und oh yeah!

Der letzte Track heißt „No Control“ ,bei dem ich sofort an Heavy Metal denken muss. Im Metal sind die Riffs das wichtigste. Du brauchst eine eingängige Melodie, die mit den Drums zusammen dafür sorgt, dass du die Haare schüttelst. Das hier ist so ein Track zwischen Wave und Metal mit einem sehr eingängigen Riff und Headbanging-Qualität.

Trotz der Unterschiede ist es Black Seed gelungen, ein stimmiges akustisches Gesamtbild zu schaffen. Auch das Artwork der Isländerin Kinnat Sóley ist ziemlich cool!

Modul One „Hometown“ (Fauxpas Musik)

Seit letztem Jahr kann Fauxpas Musik als Leipziger Label gesehen werden – es ist eine musikalische Bereicherung, wie nicht zuletzt das Album des Russen Modul One zeigt.

Vor fast sieben Jahren haben wir erstmals eine Platte von Fauxpas Musik vorgestellt, als das damals noch in Berlin residierende Label eine frühe EP von Sevensol & Bender veröffentlichte. Der traumwandlerische, wehmütige Grundton vieler Fauxpas Musik-Releases prägte auch „Scuba“.

Auch wenn ich nicht ganzen Backkatalog verfolgt habe, so habe ich Fauxpas Musik immer als besonderes Label wahrgenommen, das sich mehr den Listening-Ansprüchen als den Club-Funktionalitäten widmet. Auch wenn es mit dem Dancefloor tief verbunden ist, erst neulich gab es eine Label-Nacht im Elipamanoke und House spielt bei Fauxpas Musik eine große Rolle – in seiner feinsinnigen, hintergründigen Form aber.Modul One passt mit seinem Sound perfekt zu Fauxpas Musik. Gerade mal 22 Jahre alt, ist jeder Track seines zweiten Albums „Hometown“ von einer tiefsinnigen Melancholie geprägt. Die industrielle Umgebung seiner Heimatstadt Nowotscherkassk habe ihn beeinflusst beim Produzieren seiner Ambient- und Downbeat-Stücke. Die sanft schwebenden Synth-Sounds legen jedoch ganz andere Assoziationen frei, eher naturalistisch als trist.

Und so lädt sich „Hometown“ mit viel Sehnsucht auf. Vielleicht nach einer vergangenen Zeit, vielleicht nach einem anderen Ort. Auf jeden Fall ist es ein sehr emotionales, beinahe romantisches Werk, das den Kitsch nicht scheut, und bei den Rhythmen erfreulich undogmatisch variiert. Da schwankt es zwischen vertrackten und breakigen Beats hin zu einem kurzen House-Ausflug bei „Passing Bleeps“.

Nach 35 Minuten ist das Album jedoch schon am Ende angekommen – und hinterlässt ein offenes Herz.


Es ist übrigens nicht der erste Fauxpas Musik-Release in diesem Jahr. Im Januar erschien das Debüt von Behind The Name, bei dem organisch schwingender, perkussiver Understatement-House mit klassischer Deepness und ein paar guten Dub-Wolken im Mittelpunkt stand.

Behind the nights – Young Shields

In unserer zweiten Ausgabe der „Behind the nights“-Reihe stellen wir Young Shields vor, eine Gruppe aus fünf Leipziger DJs, die mit DIY-Punk-Attitüde die lokale House-Szene mitprägen.

Seit einiger Zeit tauchen in unseren Ausgehtipps immer wieder die Young Shields-Partys auf. Zum Interview treffe ich Philipp alias FAQ, der stellvertretend für die ganze Crew mit mir gesprochen hat. Außer Philipp gehören noch Thomas (Rocky), Constantin (Wilhelm), Thomas (Taz) und Peter (DJ Rijkaard) zu Young Shields.

Bevor die fünf Freunde zusammen Partys veranstaltet haben, gab es neben Young Shields noch eine Reihe namens Same Old Madness. Hä? Ich dachte immer, das ist irgendwie das gleiche wie Young Shields? Tja, das darf man auch ruhig denken, denn: Zuerst hat Philipp Young Shields allein geplant. Thomas und Constantin hatten sich Same Old Madness ausgedacht.

Eines Tages wurden die drei gefragt, ob sie nicht zusammen eine Party im IfZ veranstalten wollen. Daraus ergab sich der Zusammenschluss beider Crews unter dem Namen Young Shields. Same Old Madness ist als Partyname für das IfZ übrig geblieben. Die erste Party fand dann aber doch nicht im IfZ, sondern in der Ostapotheke statt. Seitdem haben die fünf ca. 20 Parties veranstaltet und planen fleißig weiter in die Zukunft.

Was aber macht diese Crew aus und wofür steht sie? Sie hat ein Motto formuliert, woraus sich ihre Grundsätze ableiten lassen: „It’s about music, it’s about people, it’s about personal politics.“ Die „Music“ ist rauher House, Acid und Electro. Jeder der Young Shields-Mitglieder ist auch DJ und legt entsprechende Platten auf. Dass es um Musik geht, ist in der Feierei ein alter Hut, den sich heute aber kaum mehr jemand aufzusetzen traut, der wirtschaftlichen Erfolg in der Musikbranche erreichen möchte.

Gute Musik heißt nämlich nicht gleich viele Gäste und Gewinn. Gute Musik kann auch bedeuten, dass man jemanden einlädt, von dem man nicht zwangsläufig erwarten kann, dass er oder sie ein großes Publikum anzieht. Damit umzugehen ist für Young Shiels aber eine Selbstverständlichkeit, wie Philipp klar formuliert:

„Wir wollen keine Booking-Party-Maschine werden.“

Denn es geht ja auch um „People“. Für die Crew ist es wichtig, DJs einzuladen, mit denen auch abseits der Themen Musik und Party eine Schnittmenge zustande kommt. Philipp ergänzt: „Es geht nicht darum, wer die cooleren Typen kennt oder wer der ‚Szene-King‘ ist. Es geht darum, dass man sich mit den eingeladenen DJs bestenfalls auch außerhalb des Clubkontexts was zu sagen hat.“Viele der bisher gebuchten Gäste sind aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, wie z.B. Athene von Brokntoys aus London, die demnächst mit Young Shields im Dr. Seltsam auflegen wird. Sie, Philipp und Peter haben sich auf einer Party in Berlin kennengelernt. Dass alles nur auf Freundschaftsbasis funktionieren soll, klingt ein bisschen nach Märchenbuch, oder?

Deshalb müssen auch Young Shields manchmal „im Business mitspielen, aber nur so wenig wie möglich“, beteuert Philipp. Das heißt, es werden auch DJs gebucht, die nicht aus dem Bekanntenkreis kommen, aber wahrscheinlich den Laden vollmachen. Das ist vor allem wichtig, wenn große Locations bespielt werden, die sich einen leeren Floor nicht leisten können.

Im IfZ beispielsweise agieren Young Shields selbst als Veranstalter und übernehmen die Auswahl der DJ’s. Wenn die Crew an anderen Orten als Veranstalter auftritt, nehmen sie sich jedoch meistens keine Gage, sondern bezahlen nur die Gast-DJs. Womit wir beim letzten Punkt ihres Wahlspruchs angekommen sind.

Die „Personal Politics“ der Gruppe entstammen der Punk- und Hardcore-Vergangenheit von einem Großteil der Crew. Der Do-It-Yourself-Gedanke, der der Punk-Szene anhaftet, wird hier groß geschrieben. Die fünf machen das alles nicht, um Geld oder Ansehen zu verdienen, sondern um selbst etwas zur Szene beizusteuern und etwas zurückzugeben.

Sie spielen daher neben dem IfZ gerne auch in kleinen Clubs und Off-Locations, um einerseits selbst alles planen zu können und andererseits den Zugang für alle Menschen zu gewährleisten, die sich hohe Eintrittspreise oder kritische Türsteherblicke nicht leisten können oder wollen.

Der Gang in Off-Locations ist durch die oftmals fehlende Feier-Infrastruktur etwas anstrengender als in einem bereits eingerichteten Club. Dazu sagt Philipp: „Man muss sich mehr darum kümmern, um in so einem Laden eine Party machen zu können. Da muss man auch mal an einem Plenum teilnehmen und den Leuten erklären, dass man Lust hat, bei ihnen eine Party zu machen. Der Mehraufwand wird durch die Freiheiten aber wieder wett gemacht.“

Der Gewinn, der bei diesen Partys erzielt wird, geht dann nach Abzug der Gage für den Gast meist komplett an die Location zurück oder wird in die nächste Party investiert.

Young Shields wollen so dafür sorgen, dass auch kleine Läden und Wohnprojekte weiter existieren.

Was jetzt wieder nach Märchenbuch klingt, aber wohl die Wahrheit ist.

Die nächste Young Shields-Party ist am 13. April in einer dieser Off-Location, mehr kann ich leider nicht sagen. Im Mai folgen die bereits erwähnte Feier im Dr. Seltsam mit Athene und DJ Carmel sowie eine im IfZ mit Rocky, DJ Boring und Willie Burns. Schaut einfach regelmäßig nach unseren Dance Dance-Dates.

Ans Herz gelegt sei euch noch die brandneue Young Shields-Podcast-Reihe.

Sowie ich diesen Text beende, sehe ich, dass das Young Shields-Credo etwas verändert wurde. Ich lese plötzlich „Friendship“ statt „People“. Wie schön, jetzt passt das letzte Zitat von Philipp gleich viel besser: „Es fühlt sich einfach gut an, mit Freunden etwas zusammen aufzubauen.“ Das kann man so stehen lassen. Sympathisch, die Leute!

Cuthead im MiXery-Plattenkoffer bei detektor.fm

Seit drei Jahren stellen DJs und Musiker beim Leipziger Radio detektor.fm ihre Lieblingsplatten vor. Ab sofort sind wir indirekt beim Kuratieren mit dabei.

Jeder DJ hat ein paar Tracks, die ihn besonders geflasht und geprägt haben. Tracks, die immer in den Club mitgenommen werden, die beim Reisen oder im Hotel entspannen. Um genau diese Stücke geht es beim MiXery-Plattenkoffer auf detektor.fm. Einmal monatlich gibt es eine neue Folge, jeden Freitag um 19 Uhr stimmt der jeweils aktuelle Plattenkoffer-Mix musikalisch auf das Wochenende ein. Mit Daniel Stefanik, M.ono & Luvless, Micronaut, Pwndtiac, Filburt, Lootbeg und Panthera Krause waren auch schon einige Leipziger dabei – neben Dürerstuben, Robot Koch, Christian Löffler und Mathias Kaden.

Seit der April-Ausgabe darf ich die Sendung redaktionell betreuen, was mich sehr freut. Für den Anfang habe ich Cuthead von Uncanny Valley angefragt und er hat einen super vielseitigen Mix mit vielen Statements geschickt. Im Stream ist er auch bei Soundcloud zu hören.

Am Freitag, den 21. April 2017 findet übrigens eine MiXery-Plattenkoffer Live-Ausgabe statt. Dann werden Schlachthofbronx aus München in der Distillery erst im Talk mit mir was zu ihren All-time-favorites erzählen und später selbstverständlich auch einige davon auflegen. Ihr MiXery-Plattenkoffer-Mix ist dann am 5. Mai auf detektor.fm zu hören.

Zu Hause bei CVBox

Anfang des Jahres hat CVBox mit „So ist es im Nadelwald“ ein sehr deepes, nächtlich gedimmtes Album veröffentlicht. Wir haben ihn zu Hause besucht.

Mit CVBox verschieben sich die zeitlichen Dimensionen. Und es vergegenwärtigt, dass nicht immer alles on point fertig sein muss, um gut zu werden. Das war bei seinem Album „So ist es im Nadelwald“ so, das seine Zeit zum Reifen brauchte.

Und so war es auch bei unserem Interview. Noch nie ist zwischen dem Interview und seiner Veröffentlichung so viel Zeit bei uns vergangen. Ende Januar waren wir mit CVBox in der Südvorstadt verabredet – neben mir war auch Gregor mit seiner analogen Kamera dabei. Doch dann brauchte ich einen Monat zum Abtippen und CVBox einen weiteren Monat zum Gegenlesen, zwischendurch gab es ein zweites Foto-Shooting.

Dennoch, oder vielleicht genau deshalb, gehört das Interview mit CVBox zu meinen liebsten. Wahrscheinlich, weil es den sympathischen Eigensinn meines Gegenübers und die unberechenbare Direktheit dieses Gesprächs so treffend widerspiegelt. Im Hintergrund könnte übrigens sein aktueller Podcast von IO laufen:


Du kommst ursprünglich aus Zittau. Rührt deine Naturverbundenheit daher?

Ja. Das Beste war das Klettern. Das haben wir damals viel gemacht. Bouldern, Pilze sammeln und Tschüss sagen für einige Tage. Das war herrlich.

Als Jugendlicher war das oder als Kind?

Ja, als Jugendlicher. Als Kind war ich viel allein.

Hast du dich einsam gefühlt?

Nein, ich kannte es nicht anders.

Wieso bist du nach Dresden gezogen?

An der Uniklinik hatte ich einen guten Job bekommen und das war super. Allerdings musste ich dann irgendwann weg.

Und dort hast du auch die Leute von Uncanny Valley kennengelernt?

Da ist das Fat Fenders dran schuld. Fabian von dort hat mich mit den Jungs zusammengebracht. Mit Micha Freier hatte ich mal eine CD gemacht und die habe ich im Plattenladen abgegeben. So sind sie auf mich und uns aufmerksam geworden. Früher gab es offensichtlich Treffen, bei denen neue Musik angehört wurde. Da ging es dann auch um die ersten Uncanny Valley-Platten, nehme ich an. Ich hatte gar keinen Plan, was da geht und bin dann mal mitgegangen.

Wer ist Micha Freier? In einem anderen Interview habe ich gelesen, dass deine Eltern sein Equipment zwischengelagert haben, wodurch du mit Synthesizern in Kontakt kamst.

Micha kommt aus Löbau und wir haben früher ein paar kleinere Partys zusammengemacht. Er war eine Zeitlang unterwegs und die Geräte mussten irgendwo hin.

„Schöne Geräte, dachte ich damals, die probiere ich doch mal aus. Damit war es geschehen.“

Du hast sie dir dann selbst nachgekauft oder nutzt ihr sie noch immer gemeinsam?

Teils teils.

Von ihm selbst wurde gar nicht so viel veröffentlicht.

Ich habe mich darum meist bemüht, weil ich einige gemeinsame Tracks von früher wirklich gut finde. Da haben wir zusammen ein paar rausgesucht und vorgestellt.

Das sind also alles richtig alte Tracks?

Von den Stücken, die auf Ortloff rauskamen, ist das älteste Stück von 2004. Wir haben zwar in Zittau schon um 2000 Musik gemacht, das ist aber alles, nun ja … da waren wir wohl etwas depressiv.Konnte man in Zittau eigentlich damals weggehen?

Wir veranstalteten selbst Partys – das war das einzige. Die Partys, die sonst noch waren, waren eben so, wie Partys in einer Kleinstadt sind. Da gab es bloß große Diskotheken. Die Techno-Partys musste man schon selbst machen.

Was für Orte habt ihr da ausgehoben?

Wir konnten das meist in einem alternativen Café machen. Es gab auch noch leerstehende Industriehallen.

Wer kam da? Gab es da eine kleine Szene?

Da gab es schon eine Szene. Ich bin da nur dazugekommen als Hörer. Anfang der Neunziger gab es den Eiskeller in Löbau. Irgendwie ist Sachsen eh ganz merkwürdig bei der Musik.

Inwiefern?

Es kommen mittlerweile viele Leute aus Sachsen, die gute Musik machen.

Alte Netzwerke der Provinz, die dann in den Großstädten die Szene mitprägen.

Vielleicht, in Dresden kenne ich auch Leute aus Zittau.

Gibt es in Zittau heute noch Leute, die Techno-Partys veranstalten?

Keine Ahnung. Ich habe mich da komplett herausgenommen und sehe auch kaum Jugendliche, wenn ich dort bin.

Das ist wahrscheinlich eine Spirale – wenn kein Angebot ist, gehen die Jungen weg.

Sicherlich, aber es muss doch ein paar Zehntklässler, Abiturienten oder Studenten geben, die ausgehen wollen und ein bisschen musikalisches Niveau haben? Es muss ja nicht Techno sein, es gibt ja auch Reggae oder Tango.

In einem anderen Interview erzählst du, dass du bei deinen Eltern schon Platten mit elektronischer Musik gehört hast. Was sagen die jetzt zu deiner Musik?

Meine Mutter findet es großartig. Sie ist selbst Künstlerin. Als Kind fand ich die Klaus Schulze- und Vangelis-Platten wirklich toll. Für Kinder ist das vielleicht eine Art Fantasy-Musik gewesen, zumindest für mich.

Ein künstlerisches Elternhaus also.

Ich glaube schon. Damals war eben nichts mit Pistole oder ferngesteuertes Auto kaufen oder Fernsehen gucken. Das war schon schwierig. Mit 12 gab es endlich einen Fernseher, großartig. Sonst war es so, dass ich zu anderen Leuten ging, um dort Fernsehen zu schauen.

Und da bist du als Kind eben allein durch die Wälder gezogen.

Nein, mit meinem Vater war ich Pilze sammeln.

Er hat dir alles gezeigt, wie sie heißen, welche man essen darf und so weiter?

Genau. Ich nehme alle, nicht nur die mit Schwamm. Auch die anderen, die es noch so gibt.

Die psychedelischen meinst du?

Was für welche? – Ich habe keine Ahnung.

Wo findet man hier die besten Pilze?

In den Kiefernwäldern. Viele Pilze gibt es hier aber auch nicht. Durch Leipzig habe ich immerhin den Edel-Reizker kennengelernt. Den gibt es in Zittau selten. Das ist ein rötlich-oranger Pilz mit Lamellen. Wenn man den anschneidet, kommt eine rötliche Milch heraus – und der schmeckt super.Warum bist du nach Leipzig gezogen?

Ich musste aus Dresden weg. Mir ging es gesundheitlich nicht gut und mit der Arbeit in der Notaufnahme wurde mir das zu viel. Ich hatte viel Verantwortung. Meine damalige Freundin hat das gemerkt und mich da rausgeholt. Es ist halt schwierig, wenn man arbeitet und nebenher Musik macht – ich habe nichts anderes mehr gemacht. Ich bin nicht mehr rausgegangen. Arbeiten, Musik machen, Arbeiten, Mucke machen. Da hat mein Körper irgendwann gesagt, es reicht. Es war eine gute Entscheidung.

Dann hatte die Musik einen sehr großen Stellenwert?

Sicher, für mich war das auch Entspannung. Abschalten können. Ich brauchte zwar immer erst eine Zeit, um alles auf Null zu setzen, um dann produktiv zu sein.

Kannst du Muster sehen: Wenn es mir so ging, klang die Musik so?

Das höre ich so, aber manch andere hören das nicht so. Meine Freundin sagt oft, dass es so schön und verträumt klingen würde. Ich sehe da aber schon viel Negatives. Ich finde die Musik teilweise traurig. Da sind sicherlich viele Erinnerungen dabei.

„Es gibt Harmonien, die bewegen sich an der Grenze von traurig und fröhlich.“

Vermisst du die Uncanny Valley-Crew, seitdem du in Leipzig lebst?

Als ich die Jungs kennengelernt habe, bin ich gerade aus Dresden weggezogen. Wir treffen uns jetzt also mehr als vorher, einmal im Monat etwa. Das ist sehr angenehm.

Ach, du wohnst schon so lange in Leipzig?

Ja, seit 2011. Aber schön, dass Alex (Credit 00) nun auch hier wohnt.

Kanntest du die Leute von Uncanny Valley schon aus deiner Dresdner Zeit?

Nur Jacob Korn. Den hatte ich ein paar Mal gehört.Produzierst du jetzt anders als in der schwierigen Zeit in Dresden?

Als ich in Leipzig angekommen bin, habe ich mich erst einmal runtergefahren, gefunden und anders produziert. Die letzte Zeit habe ich allerdings nichts produziert.

Das heißt, das Album ist auch eine Zusammenstellung von alten Stücken?

Ja. Ich habe in den letzten Jahren viele Stücke fertiggemacht, die ich über die ganzen Jahre aufgenommen habe und die jetzt auf dem Album zu hören sind.

Du könntest dich also zurücklehnen und einfach dein Archiv nach und nach veröffentlichen.

Nein, eben nicht. Da sind schon gute Sachen, aber auch viel Schrott dabei.

Die Stücke auf dem Album klingen sehr fokussiert, sehr kompakt und stromlinienförmig. Weniger rau als bei den EPs. Es hat auch eine nächtlich klingende, einsame Stimmung. Bist du für das Album anders herangegangen oder hattest eine bestimmte Idee von einem Sound?

Das liegt eher an der Auswahl, die ich getroffen habe und der Rest hat sich ergeben.

Wie ist es eigentlich im Nadelwald?

Spitz und hohl im Aluminium.

Das erstaunt mich aber. Ich habe tatsächlich an einen herrlichen Nadelwald gedacht. Das Artwork geht ja auch in die Richtung.

Der Nadelwald hat eben viele Seiten. Es kann auch die Nähnadel, Flexüle-Kanüle oder eben die Plattennadel sein. Aber natürlich auch der Wald in der Natur.

„Am Ende kann jeder die Nadeln assoziieren, die er mag.“

Wie ist es mit dem Wald in Leipzig?

Naja, an den Seen um Leipzig hast du leider nur künstlichen Wald.

Aber was ist mit dem Auwald, der ist sehr speziell.

Damit kenne ich mich nicht so aus. Da riecht es im Frühling nach dem Knoblauchgewächs.

Bärlauch.

Ja.

Wann denkst du, wirst du wieder mit neuen Aufnahme-Sessions anfangen?

Bald. Ich habe wieder richtig Bock darauf zu produzieren. Lust auf Musikmachen habe ich eigentlich oft, aber dann setze ich mich einfach ans Klavier.