Delta Aquari & Neptune Allümé (Pattern // Select)

Neuigkeiten bei Pattern // Select: Das mittlerweile vierte Tape gibt es seit einigen Wochen.

Nochmal rekapitulieren: Mit Pattern // Select gibt es seit 2016 ein Label in der Stadt, dass sich gern mit dem Format Kassette auseinandersetzt. Nach einer ersten Compilation, die Beiträge verschiedener Beatmaker kombinierte, gab es zwei weitere eher Hip Hop-lastige Releases. Nun richtet das Label mit der vierten Veröffentlichung den Fokus auf deutlich elektronischere Klänge.Wie Soundtrack-Ausschnitte eines avantgardistischen Films wirkt die Musik der ersten Seite. Hier sind acht Tracks von Delta Aquari aus Leipzig versammelt, die aus Jam Sessions mit seinen Modular-Synthesizer stammen. Faszinierende Sound-Skulpturen gibt es hier zu entdecken, ob mit stetigen Grooves unterlegt wie in “Shades„, mit eher vertrackterer Rhythmik versehen wie in „Aspect“ oder auch mal als Ambient-Miniatur umgesetzt wie in „Complex Cycles“. Dabei kann man spüren, wie behutsam Delta Aquari die Stücke entwickelt und stellenweise meditative Qualitäten erreicht.

Deutlich energiegeladener als bei Delta Aquari kommt der Sound von Neptune Allümé auf Seite zwei daher. Elf Stücke zwischen den Polen House, Techno und – ja, nicht mal negativ gemeint – Trance gibt es hier von dem in Poitiers / Frankreich ansässigen Produzenten, der den Yamaha DX7 als Inspiration (und vermutlich auch Quelle) für seine Musik nennt. Und doch ist auch hier ständig eine ähnliche Verträumtheit präsent, die einer pumpenden Bass-Drum wie in „L’eau des Cométes“ Tiefe verleiht. Das liegt vor allem am omnipräsenten Reverb, dessen Einsatz auch die besagte Trance-Assoziation bei mir hervorruft. Glücklicherweise kriegt Neptune Allümé trotz lieblicher Melodien irgendwie immer rechtzeitig die Kurve, wenn die Kitsch-Gefahr am Horizont auftaucht.

Afterhour #6 Liebe, Techno, Leipzig – Black Nakhur

Black Nakhur, einer der Pferdehaus-Organisatoren stand von Anfang an auf der Afterhour-People-Liste von Antoinette Blume. Ihr Text könnte nun nicht passender erscheinen – denn das Pferdehaus schließt im Juni.

Platz im Gefüge
Als DJ ist es einfach, seinen Platz im Nachtleben zu finden. Hinter dem DJ-Pult, that‘s it. Und das stimmt bei so ungefähr keinem DJ, den ich bisher getroffen habe. Die einen machen noch die Licht-/Technik, die Bar, das Booking, die Künstlerbetreuung; vom Putzdienst bis zum Einlass irgendwie alles. Oder alles das auf einmal. Kommen, Spielen, Gehen – scheinbar gar nicht anstrebenswert.

Um wirklich Teil der Gestaltung des Nachtlebens in Leipzig zu sein, engagieren sich viele Künstler über das Künstlersein hinaus. Symptomatisch hierfür sind die vielen Crews, Open-Airs, Kollektive, Partys und nicht zuletzt unterdessen festetablierte Clubs, die überhaupt erst hieraus entstanden und hoffentlich weiterhin entstehen. Viel benutzt, aber auch mir fällt kein besseres Wort ein: Es ging und geht in Leipzig immer noch um Freiraum und ungeachtet der einigermaßen bekannten und teilweise gepflegten Drogenkultur viel eher um das Kultivieren, Sichtbarmachen, Erleben und Kreieren von (elektronischer) Musik.

Steckbrief
Clubnest?Pferdehaus im Westwerk (RIP)
Zuhausemusik? Dub
Zeit zu gehen?Mal früher, mal später. Meistens aber später.

Nowhere: Black Nakhur
Wer auch einst einfach nur mal eine Party in Leipzig (mit)organisieren wollte und nie mehr davon loskam, ist Black Nakhur. Seit sechs Jahren DJ, von der Skyline bis zum Berghain, Mitgründer des Labels Pneuma-Dor und einer der Menschen, die den allerletzten Track im Pferdehaus spielen werden (warum-wieso-weshalb lest ihr hier). Allerdings soll dieser Text kein verschriftlichter Trauergottesdienst um das Pferdehaus werden, welchen man beim Leichenschmaus zeilenweise zitiert wie den Wetterbericht oder das Line-Up des Nachtdigital-Festivals – nein. Lücken bringen Neues, ob es etwas Neues geben wird, wird sich zeigen. Mit dem Ende einer Räumlichkeit besiegelt sich noch nicht das Ende der Welt.

„(…) klingt pathetisch, macht aber glücklich.“
Black Nakhur kommt ursprünglich aus Berlin, hat mal studiert, kam nach Leipzig, hat dann eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gemacht und seinen Job in eben diesem Metier gekündigt, als es mit dem Pferdehaus ernster wurde. No risk, no Berghain. Dort hat er auch schon aufgelegt, was für jeden mittelmäßig interessierten Technokenner doch beeindruckend ist. Er selbst ist da wesentlich bescheidener:

„Eigentlich ist jeder Auftritt vor Publikum bei dem ich die Musik spielen kann, die ich mag und bei der Menschen dazu tanzen, lachen, weinen, knutschen, … eine Art Traumerfüllung – klingt pathetisch, macht aber glücklich.“

Das sagt Black Nakhur und erklärt, er halte das „ganze Ding“ um das Berghain für etwas hochstilisiert, wenngleich trotzdem auch ein Wunsch in Erfüllung ging, eben dort einmal zu spielen.

Und wie ist das, immer nachts zu arbeiten? Als Veranstalter, DJ und zum eignen Label kommt dazu, dass Freizeit auch Arbeitszeit und umgekehrt ist. Dabei lernt man, nicht jeden Schnaps mitzutrinken – was mir neu war, aber irgendwie schon logisch klingt. Dafür kann man dann morgens noch nett frühstücken, bevor die bessere-andere Hälfte zur Arbeit geht. Und man selbst ins Bett.

Tschüss-Wunsch
Es bleiben zwar die gleichen Themen, fast immer, überall. Partys. Bookings. Feiern. Aber gerade jetzt darf/kann/soll/muss man sich vom festen Etablissement freischwimmen, sich in neuen Kontexten und anderen Erwartungen wiederfinden. Also, auf dass wir Black Nakhur doch mal in ungewohnter Umgebung, nämlich bei Tageslicht und auf einem Festival, auflegen sehen und man ihm endlich seinen geheimen Wunsch eines eigenen Festivalbiers erfülle. Und dass junge Nachwuchskünstler, Crews und Producer wieder einen so freien Ort finden, sich auszuprobieren und zu lernen; mit genauso engagierten Menschen wie es sie im Pferdehaus gab.

Postskriptum
PS: Die letzte Party im WW aka Closing-Party findet am 9. und 10. Juni statt. Wer dem Pferdehaus die letzte Ehre erweisen möchte, der sollte es an diesem Wochenende tun. Un-be-dingt.

PPS: Noch mehr Afterhour gibt es übrigens am 29. Juni zwischen 21 und 22 Uhr bei Radio Blau. Geplaudert wird dort u.a. mit mir über Nachtgeschichten. Ich darf mir fatalerweise sogar Musik wünschen. Ob sich mein allgemein stark überschätzter Musikgeschmack in der letzten Zeit annehmbar verbessert hat, welches meine liebste Gute-Nacht-Geschichte ist und warum das Pferdehaus eigentlich die Geburtsstätte dieser Kolumne ist – findet es heraus. Ich weiß, sonst läuft bei euch nur Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur, aber Radio Blau ist nicht nur an diesem Tag mal ein Reinfrequenzieren wert.

Wir hören uns!

Foto von Henry W. Laurisch
Artwork von Manuel Schmieder

WaqWaq Kingdom & Gl. Harlev Organ Orchestra auf Jahtari

Da sind wir etwas spät dran: Seit April gibt es zwei weitere Releases auf Jahtari, die unterschiedliche Dub-Ansätze erforschen.

WaqWaq Kingdom „Shinsekai“
Beginnen wir mit WaqWaq Kingdom: Nach dem immer noch tollen Album „Karma No Kusari“ und dem Tape des eher experimentellen Projekts NoinoNoinoNoino zeigt uns Kiki Hitomi mit WaqWaq Kingdom eine weitere Facette ihres musikalischen Universums, die sie zusammen mit DJ Scotch Egg auslotet.

Sofort fällt auf, wie stark das Album aus dem gewohnten Jahtari-Katalog heraussticht. Klar, auch hier ist der Sound im Dub verankert, hat hier aber mehr mit den hypnotisierenden Atmosphären britischer Bass-Musik gemein als mit den sich immer noch am Reggae orientierenden Videogame-Vibe des sonstigen Jahtari-Outputs.

Sehr präsent sind zudem die von Andreas Belfi eingespielten Percussions, welche zwar auf ein starkes Interesse an World Music hindeuten, aber gleichzeitig klischeefrei in die Tracks eingebettet sind. „Post-tribal“ nennt der Promo-Text das und mit „Oh It’s Good“ ist das dann auch für Freunde der geraden Bassdrum anschlussfähig.

Gl. Harlev Organ Orchestra „The Organ Sessions“ 
Viel näher am gewohnten Jahtari-Dub ist die „The Organ Sessions“-LP, bei der es sich um eine Neuveröffentlichung einer bereits in Dänemark erschienenen 10″ handelt. Warum die Mühe? Hier handelt es sich um eine Session der drei Dänen Benjamin Lesak, Kristian Nordenthoft und Jesper Kobberoe, die zusammen eine einzige Technics-Orgel sowie einige Effekte bedienten und damit innerhalb eines Tages diese sieben sehr groovigen Stücke mit einem Mikrofon aufnahmen.

Auch mal eine Form der Reduktion – zumindest technisch, denn die Songs sind sehr verspielt und könnten auch ein passender Soundtrack für Retro-Adventure-Games sein. Ja, den offensichtlichen Spaß hört man hier deutlich heraus – nicht zuletzt, wenn sich die drei Musiker zwischendurch auch mal unbeschwert miteinander unterhalten.

Die Experimente von Modern Trips

Modern Trips erlebt gerade eine zweite Blüte. Innerhalb der letzten beiden Monate kamen drei neue EPs heraus. Hier sind sie im Überblick.

Mitte März hatten wir bereits freudig davon berichtet, dass das Label Modern Trips aus einer Pause zurückgekehrt ist. Das Frühjahr bringt aber weit mehr neuen Input mit sich, als ursprünglich erwartet. Und es gibt da eine gute Tendenz zu einem experimentellen Electronica- und Ambient-Sound.

Experimentell sind teilweise auch die Ansätze bei der Entstehung und dem Labeln von Musik. Bei Global Ghettotech werden beispielsweise die hermetischen Werk-Künstler-Grenzen ausgehebelt, indem unter dem Namen in nächster Zeit verschiedene Künstler Tracks produzieren und veröffentlichen werden.

Robin Hase aus Bremen machte den Anfang mit den ersten beiden Tracks der „The Sound Of Global Ghettotech“-Reihe. Dabei perlen in „0“ kristalline, hell und spitz klingende Sounds zusammen, die in ihrer Reduktion fast schon eine kammermusikalische Intimität ausstrahlen. „1“ haut mit festen Tastenschlägen in ein faszinierend blutleeres Keyboard und bringt Glassplitter als Sounds hervor. Wie der Refresh einer alten Cembalo-Miniatur. Sehr speziell, auch für Modern Trips-Verhältnisse.

Ende April folgte eine weitere EP von Robin Hase, „FM8 Works1“. Während das erste Stück ästhetisch an die diffus sakralen Global Ghettotech-Beiträge anknüpft, zersetzen sich bei den zwei anderen Tracks nach und nach die ursprünglich unberührten Harmonien. Einmal in einem zerfasernden Glitch, dann wieder in einem ausladenden Loslassen und Zerleiern. Kleine Spektakel sind das, maximal drei Minuten, doch es ist alles gesagt für den Moment.

Noch einen Schritt dekonstruktiver und von bewährten Formen befreit arbeitet Chang Park aus Seoul. Modern Trips brachte soeben mit „All The Rest Is Silent And Interchangeable“ eine Mini-Album heraus, das auf mikroskopischer Ebene abstrakte Sounds herausschält.

Hier geht es straight in die Avantgarde. Hinein in eine Welt aus scheinbar losen Klängen, losgelöst von jeglichen weltlichen Assoziationen, direkt involviert in eine digitale Dystopie – oder ist es vielleicht sogar eine Utopie? Auf jeden Fall zeigt sich spätestens hier, das sich Modern Trips klanglich komplett neu erfunden hat. Und zwar so, dass hier endlich ein weiterer Raum für konsequente Experimente geschaffen wird – super passend das Artwork. Full Support!

Good bye, Blaue Perle

Der Juni wird ein trauriger Monat für das Nachtleben des Leipziger Westens. Nach dem Ende im Pferdehaus wird auch die Blaue Perle schließen.

In den Titeln einiger Party-Reihen, die sich die Blaue Perle als nächtliche Heimat ausgewählt haben, gab es schon Andeutungen, nun ist aber klar: Ende Juni schließt die Blaue Perle auf der Merseburger Straße.

Zwar war der Laden von Anfang an vom Thrill der Zwischennutzung geprägt, doch in den letzten Jahren hatte sich die Bar mit dem Mini-Dancefloor und der scheppernden Anlage zu einem guten Ort für kleine, verschwitze und stickige Partys mit Locals und interessanten Newcomern von überallher entwickelt. Das Ende tut auch deshalb weh, weil Leipzig durchaus mehr Läden in solch überschaubarer Größe und mit einem konstanten Clubprogramm vertragen könnte – für die Newcomer-Förderung, für neue Veranstaltungskonzepte und für Partys im kleineren Rahmen.

Die Kündigung kam für die Betreiber überraschend. Das Haus soll demnächst saniert werden. Was danach kommt, ist noch unklar, aber es dürfte damit zu rechnen sein, dass es irgendwo anders weitergeht.Btw: Natürlich ist dies nun ein weiteres Puzzleteil in der Gentrifizierungsgeschichte Leipzigs. Doch es darf nicht vergessen werden, dass auch die Blaue Perle in ihrer heutigen Form Teil eines Verdrängungsprozesses war.

Denn die Stammgäste der vorherigen, gleichnamigen Kneipe dürften mit den Künstlern und DJs nur selten gemeinsam gefeiert und getrunken haben. Der Club-Hedonismus ist aus Sicht der Immobilienbesitzer aber sehr wahrscheinlich rendite-fördernder als die verlorenen Bier- und Schnapsseelen von Lindenau. Auch wenn „uns“ die heutige Blaue Perle eine Menge schöner Nächte beschert hat.

Matt Flores „Sidechained Escapism“ (O*RS)

O*RS zeigt mal wieder seine Boutique-Label-Qualitäten und veröffentlicht ein warm umarmendes Beatmaker-Downbeat-Album von Matt Flores. Nicht verpassen: Wir verlosen auch zwei Tapes!

Matt Flores aus Düsseldorf habe ich beiläufig immer als ein Vertreter der Rhein-Ruhr-House-Szene der mittleren Nuller Jahre wahrgenommen, neben Leuten wie Ingo Sänger und Labels wie Combination und Farside. Doch da scheint schon immer eine größere Offenheit für andere Sounds gewesen zu sein. Bei Bandcamp findet sich beispielsweise ein HipHop-beeinflusstes Album von 2005, dazu weitere Releases aus den letzten beiden Jahren, die sich bei Ambient und Beatmaking einordnen lassen.

Und genau in diese langsame Abkehr vom klassischen House reiht sich auch „Sidechained Escapism“, das neue Matt Flores-Album, das O*RS digital und in einer limitierten Tape-Auflage veröffentlicht hat. Alles ist entschleunigt und von eindringlich wohlklingenden, teils elegischen Synth-Sounds getragen. Spannend wird es immer dann, wenn die UK-Einflüsse, wie bei „Haze Void“, „Blue Hour“ und „Take Your Time“, durchschimmern – wenn also die Synths stärker überzeichnet und die Vocals überpitcht sind. Dann wird die Beatmaker-Behäbigkeit, die das Genre immer auch prägt, um eine eskapistische Note ergänzt.Das bedeutet aber nicht, dass der Rest von aufkeimender Altersmilde gedimmt wird. Matt Flores versteht es jederzeit, klanglich einnehmende, nach Fernweh klingende Kulissen zu erschaffen, für die er mit gutem Understatement auch Ausflüge in fernöstliche Folklore und verschlungenen Pop wagt. „Sidechained Escapism“ ist ein Listening-Album, bei dem man beim ersten Hören merkt, dass es mehr zu erzählen hat, als Geschichten von ein paar lässigen Beats.

O*RS erweitert nebenbei seinen Beatmaker-Fokus über den OverDubClub-Radius hinaus und zeigt, dass auch in Düsseldorf der Beatmaker-HipHop gern gepflegt wird.


++++ Win Win ++++ Win Win ++++

Wir verlosen zwei Exemplare des limitierten „Sidechained Escapism“-Tapes. Wer eins möchte, schreibt hier in den Kommentaren, was euer Hit des Albums ist. Bis 31. Mai ist Zeit, dann wir ausgelost. Bitte keine Fake-Mail-Adressen, sonst erreicht euch die eventuelle Gewinner-Mail nicht. 

Mix Mup „Gravity“ (Mikrodisko Recordings)

Im letzten Jahr kehrte Mikrodisko Recordings mit zwei Platten aus einer vierjährigen Pause zurück. Es blieb keine Ausnahme.

Und als wäre das nicht erfreulich genug, ist es auch noch Mix Mup, der die M12 mit drei Tracks bespielt. Es sind drei typische Mix Mup-Tracks, die einerseits von einer spröden Reduktion mit vielen Auslassungen und andererseits von einer mikroskopischen Detailiertheit geprägt sind. Momentaufnahmen, die sich möglicherweise aus forschenden Klangtouren herausschälen. Mit tief schlummernder Deepness, augenzwinkerndem Funk und einer Fülle an Konventionsverschiebungen.

„Diamonds“ und „Périférique“ klingen dabei noch einmal subtiler, ausgeglichener und filigraner als ich die letzten Mix Mup-Stücke in Erinnerung habe. Befreit und offenporig wie Jazz. Auch die Ambient-Zwischenstation „Post / Pre“ entfaltet diesen Appeal, nur mit wesentlich mehr Wärme. Dreimal Mix Mup at it’s best.

„Diamonds“

„Post/Pre“

„Périférique“

Orange Dot „Live at Distillery“ (A Friend In Need)

Die Zeit vergeht definitiv zu schnell – sieben Jahre liegt die Debüt-EP von Orange Dot zurück. Umso überraschender ist nun, dass A Friend In Need einen Live-Mitschnitt aus der Distillery als EP veröffentlicht.

Sich mit Orange Dot zu beschäftigen, ist mit langem Zurückklicken verbunden. Im Oktober 2010 stellten wir dessen erste offizielle EP auf dem Leipziger Label Spunky Monkey Records vor. Damals war der ursprüngliche Electronica-Background von Orange Dot – er organisierte u.a. das Frequenzcamping im gfzk-Garten und kuratierte die CD-R-Reihe „Alula Ton Serien“ – noch recht offensichtlich, auch wenn sich die Arrangements dem Dancefloor schon näherten.

Mittlerweile scheint sich Orange Dot dort sehr wohl zu fühlen. Die fünf Tracks auf „Live at Distillery“ klingen noch eine ganze Spur geradliniger und aufgeräumter als vor sieben Jahren.

Wo Glättungen sonst eher enttäuschen, sorgen sie bei Orange Dot für einen großen Sprung.

Das liegt auch daran, dass die Kanten und verspielten Abzweige weiterhin hörbar bleiben. Und so ist das noch immer kein lupenreiner House.

Doch genau dieser Mix aus vertracktem Eigensinn und dezent schiebendem, super harmonischem House geht bei Orange Dot voll auf. Und er ist perfekt für ein Live-Set, das sich vom DJ-Standard abgrenzt und nun nachträglich zum Home-Listening einlädt. Das kann bei „Believe In Me“zwar auch leicht ins Süßliche gehen, doch insgesamt prägt eine angenehme Innerlichkeit den Sound dieser EP. Mit „The Forest“ geht es sogar erstmals in Richtung Pop. Eine sehr schöne Wiederentdeckung. Hoffentlich dauert es nicht wieder sieben Jahre bis zur nächsten Orange Dot-EP.

Leipzig Drum & Bass-News

Wir hängen notorisch hinterher: Auch im Drum & Bass gibt es neue Releases aus Leipzig. Zum Beispiel von Defrostatica, Boundless Beatz, 45Seven und Lunar³.

Various Artists „Rogue Style 1 EP“ (Defrostatica)

Ganz frisch ist die vierte Veröffentlichung von Defrostatica: Sinistarr, Kiat, Kabuki und HomeSick vierteln sich mit jeweils einem Track eine 12″, in denen sie ihre Liebe zur HipHop- bzw. B-Boy-Kultur ins Zentrum rücken. Sinistarr eröffnet mit „Yo Speakerz“ die EP und kombiniert gechoppte Vocals mit einem zum Kopfnickenden anregenden Beat. Eine charmante Verbindung aus Juke-Einfluss und Oldschool-Drum-Samples.

Defrostatica-Stammgast Kiat ist noch direkter im Ansatz und lädt Klose für einige Raps über sein staubtrockenes Instrumental ein. Das erinnert stark an die Tracks von Lynx und Kemo und steppt ebenso konsequent durch. Übrigens: It’s Yours! hat sich die beiden für ein Interview geschnappt.

Kabuki überrascht mich am meisten: Eine Melodie, wie sie typisch für britische Grime-Produktionen wäre, gewinnt auf „South Bronx Subway Riddim“ meine Aufmerksamkeit. Klar, Kabuki ist gegenüber den britischen Producern natürlich vergleichsweise entspannt und schlägt außerdem die Brücke zum Oldschool-HipHop, indem er sich typische Breakdance-Drum-Samples ausleiht und (hoffentlich liege ich richtig) einen Ausschnitt aus „Wildstyle“ zitiert.

Zum Abschluss haut uns HomeSick die Beatmaker-Gegenwart mit „Mass Appeal“ um die Ohren und hat gleichzeitig einen Fuß im Jungle. Sehr fresh und ein stimmiger Abschluss für die bisher vielseitigste Platte auf Defrostatica.

Dreadmaul „Dust & Bones EP“ (Boundless Beatz)

Bereits im März erschien die sechste EP auf Boundless Beatz. Wieder gibt es vier superdüstere Tracks von Dreadmaul, der auch hier cinematische Qualitäten aufweist. Track-Namen wie „Vodou Priestress“ weisen auf die naheliegendsten Bilder zu Dreadmauls Sound hin, der von Track zu Track bedrohlicher wird.

Dummerweise höre ich seine Tracks bei strahlenden Sonnenschein und der ersten vorsommerlichen Hitze – denkbar ungünstige Umstände für die Wirkung dieser EP, aber das WLan im modrigen Keller ist leider zu schlecht. Aber ja, auch in sommerlichen Nächten eignet sich die EP besonders gut als Soundtrack für Spaziergänge im Wald und anderen möglichst schlecht beleuchteten Orten.

RUZ „Broke Dub / Love Beyond Price“ + Dub Across Borders „Black Lake / Lack Blake“ (45Seven)

Auch auf 45Seven gibt es neue Releases, die wir bisher nicht vorgestellt haben. Der Leipziger RUZ bekommt die zwei Seiten der Nummer 18: „Broke Dub“ ist eine schön sommerliche Uptempo-Nummer mit allen bekannten Ingredienzien plus einem Saxophon-Sample. Etwas langsamer und noch stärker im Reggae verwurzelt hingegen „Love Beyond Price“, bei dem auch Plug Dubs Toni Wobble beim Dub geholfen hat.

Die Nummer 19 wird von Dub Across Borders bespielt. „Black Lake“ entwickelt einen eigenen Vibe dank durchgängig ratternden Percussions. Erstaunlich, wie vielseitig sich der Sound im 45Seven-Rahmen doch immer wieder entwickelt. Auf der Rückseite sind die Percussion in „Lack Blake“ dann wieder zurückhaltender, dafür tauchen hier ein paar schön schräg gepitchte Sounds auf.

Lunar³ „Occupy Your Heart“

Bereits seit einem Jahr gibt es die Fünf-Track-EP des Live-Projekts Lunar³.

Filburt hat uns auf die vierköpfige Live-Band hingewiesen, deren EP wir im Mai 2016 komplett verpasst haben. Kürzlich standen sie als Support für Jojo Mayer und Nerve im Conne Island auf der Bühne – eine passender Anlass, nochmal in die „Occupy Your Heart“-EP reinzuhören. Die fünf Tracks zwischen Pop und Drum & Bass gibt es als digitales Release, vier davon zudem auch auf Vinyl.

Gleich beim ersten Track „Occupy Your Heart“ fühle ich mich an die Nuller Jahre im Drum & Bass erinnert, in denen das Soul- und Pop-beeinflusste Sub-Genre Liquid Funk die Drum & Bass-Welt in Freunde und Hasser spaltete. Vermutlich ist dies auch für Lunar³ eine prägende Zeit gewesen und so finden sich auf den fünf Tracks der EP eine Menge Gesangs- und Rap-Parts, die von teilweise sehr süßlichen Melodien, knarzigen Bässen und treibenden Drums begleitet werden.

Man möge dem Kritiker verzeihen: Für ihn schimmert hier vor allem auf den ersten drei Tracks zu oft die Rock-Band durch, die mit dem Sound auf einer größeren Bühne besser aufgehoben ist als im gemütlichen Club und eben dafür auf maximale Effekte zielt. Und für diese ist auch sehr gut umgesetzt: Ein Reggae-Jungle-Tune wie „Where The Grass Is Greener“ wird live fantastisch funktionieren. Aber leider sind es vor allem die Vocals, die mich auch hier abschrecken. Dabei zeigt der letzte Track der EP, „Shadowbroker“, dass die Band ohne Gesang eine ganz andere Sogwirkung entfalten kann. Wenn nicht soviele Dubstep-Rave-Bässe dabei wären. Und soviel Rock-Schlagzeug. Oje, Lunar³, ich merke schon, das wird schwierig mit uns beiden …

Various Artists „Transmission Europa“ (Pulse Drift Recordings)

Es gibt eine neue Elektro-Platte aus Leipzig. Dieses Mal handelt es sich um das zweite Release des Leipziger Labels Pulse Drift Recordings.

Anfang des Jahres hatten wir Pulse Drift Recordings erstmals vorgestellt. Platte Nummer 2 heißt „Transmission Europa“ und kompiliert sechs Tracks der gleichen Anzahl Künstler aus vier Nationen auf Vinyl. Neben den deutschen Acts Das Muster, Eoism und XY0815 gibt es darauf Musik aus Kroatien von Zagrebački Električni, aus der Ukraine von Lectromagnetique und aus Finnland von Morphology.

Der erste Track kommt von Das Muster aus Flensburg, der seit 2010 Musik veröffentlicht, darunter beachtliche zehn Alben. Sein Opener-Track „Die Eisprinzessin“ geht ziemlich doll nach vorne und mischt Rave mit Break-Attitüden.

Eoism, der als Heimstatt Jena und Leipzig angibt, hatte Ende 2016 sein Release-Debüt bei Pulse Drift. Sein Track „Im Vektorraum“ zeigt sich ebenso ästhetisch wie vielschichtig. Er hat zwar wenige Höhen und Tiefen, ist dafür aber so schön knarzig-intelligent wie Dopplereffekt.

Zagrebački Električni zeigt sich mit „MariSari“ unaufgeregt und geht dabei in eine verwaschene Lofi-Richtung, die ich in letzter Zeit häufiger bei Deep House gehört habe.

Lectromagnetique hat schon ein paar Alben und Singles, zumeist digital und vorwiegend beim UK-Label Bass Agends Recordings, rausgebracht. Er stammt aus Tschernobyl und ich kann mir gerade kaum eine geeigneteren Ort vorstellen, an dem man frickeligen Alien-Electro produzieren kann. Bei Avoid The Void gibt es dementsprechend fremdartige und sphärische Klänge, eingebettet in einen knackigen und puren Beat.

Das finnische Duo Morphology kann auch auf eine Vielzahl von Releases zurückblicken. Beispielsweise drei Alben veröffentlichten sie auf dem Leipziger Dark-Electro-Label Zyntax Motorcity, sowie eine Split-EP bei Solar One Music in Jena. „Probing Desire“ ist superschnell und der einzige Track mit Vocals auf dieser Platte. Leider entwickelt er sich erst im letzten Drittel zu etwas Interessantem, wo man zuhören möchte.

Ebenfalls aus Leipzig und der Clear Memory-Crew zugehörig ist XY0815 – in unserer „Neues aus der Wolke“-Reihe hatten wir ihn schon einmal vorgestellt. Für ihn ist „Transmission Europa“ sein -Vinyl-Debüt. „Helios Transfer“ geht in eine klassische Richtung, düster, cool und groovy.

Alien-Video-Kunst mit Meier & Erdmann

Nicht nur wir sind begeistert: Das in Berlin und Leipzig ansässige Duo Meier & Erdmann haut zu seiner neuen LP ein kunterbuntes Video raus.

Im Dezember stellte LXC das bereits seit langer Zeit aktive und doch oft übersehene Minor Label vor und hat bereits auf die LP „Howler Monkey“ von Meier & Erdmann hingewiesen, die in Zusammenarbeit mit deren eigenem Label Moniker Eggplant im Januar erschienen ist. Ein „bunter Strauß von Tönen und Stilen zwischen diversen Bassmusiken“ erwartet den geneigten Hörer.

Aber nicht nur das: Zum Titel-Track gibt es außerdem ein fantastisches Musik-Video, das vom Video-Künstler Víctor Doval produziert wurde. Zum ultra-funkigen Synth-Geschnatter erleben wir, wie eine außerirdische Welt entsteht und einen Tages-Zyklus durchläuft.

Der Clou ist, dass sämtliche Elemente direkt auf die Sounds des Stücks angepasst sind – nein, vielmehr bilden sie die Daten-Grundlage für die Visualisierung. Allein das ist vielleicht gar nicht mal so besonders, hier aber als wunderbar bunte Alien-Welt umgesetzt. Wie das genau funktioniert, kann man direkt unter dem Video oder auch beim begeisterten Musik- und Visual-Technik-Blogger Peter Kirn nachlesen. Genauso schön ist es natürlich, das Video auch ohne allzuviel Hintergrund-Nerd-Infos zu genießen:

Und bevor wir wieder das Minor Label vergessen, sei nochmal auf das Album von Meier & Erdmann hingewiesen: Acht Tracks lang entführt uns das Duo auf eine irrwitzige IDM-Comic-Reise, bei der alle möglichen Styles überfahren und in den Road-Kill-Topf geworfen werden. Das ist nicht nur kurzweilig, sondern besitzt auch einen höchst eigenständigen Sound.

Soundsystem-Kultur in Leipzig – Plug Dub Soundsystem

Im zweiten Teil unserer Soundsystem-Reihe stellen wir euch das Plug Dub Soundsystem vor.

Zur Erinnerung: Anlässlich des zweite Soundsystem Clash im Conne Island haben wir einen einleitenden Artikel zum Konzept der Veranstaltung veröffentlicht. Dabei gab es auch Kritik, dass die Geschichte der Soundsystem-Kultur zu kurz kam und das Konzept des Soundsystem Clash nicht stark genug vom Konzept des Soundclash abgegrenzt wurde.

Um das Thema nochmal kurz aufzugreifen: Der Soundsystem Clash stellte die beiden Anlagen der teilnehmenden Crews Plug Dub und Bassmæssage in den Mittelpunkt und war auch weniger konfrontativ ausgerichtet, als das Wort „Clash“ vielleicht vermuten lässt. Im Gegensatz dazu ist beim klassischen Soundclash der Konkurrenz-Gedanke deutlich ausgeprägter. Es spielen nicht nur die technischen Faktoren eine Rolle.

Fast schon wichtiger als die Anlage sind eine bessere Auswahl an Tracks, gern auch in Form exklusiver Dubplates oder besondere Versionen bekannter Titel, mit denen sich die gegnerischen Parteien messen. Ähnlich wie im HipHop gibt es auch Varianten, bei denen der Gegner auf mehr oder weniger kreative Weise mit vorhandenen Platten beleidigt wird. Kurzum: Es gibt viele Formen des Soundclash, die auf dem ersten Ohr und Auge sehr vom Konzept der Soundsystem Clash-Veranstaltung abweichen, aber gemeinsame Wurzeln teilen. Danke an Steffen für den Hinweis und die Hintergrund-Informationen.

Nun ist also der zweite Soundsystem Clash verdaut und beide teilnehmenden Crews haben gleich zwei Wochen später parallel jeweils eine weitere Party veranstaltet. Der April war demnach ein guter Monat für alle, die sich gern mal vom Sub-Bass durchrütteln lassen.

Jeder, der sich nicht nur in diesem April auf der Suche nach Reggae, Dub oder auch Drum & Bass-Veranstaltungen begibt, wird früher oder später über das Plug Dub Soundsystem stolpern. Im Grunde ist die Crew rund um Jonah Vibes, Jah Listener, Käptn Esteban, Senor C, Miles Won und Toni Wobble eine Institution in Leipzig, kommen sie doch dem Soundsystem-Gedanken, wie er in Jamaika entstand und sich auf der ganzen Welt verbreitete, wie kein zweiter in dieser Stadt nahe.

Dazu zählt natürlich nicht zuletzt ihr selbstgebautes, auf genre-übliche Frequenzen ausgerichtetes Soundsystem, sondern auch ihr Ansatz der Präsentation der Musik: Weniger die einzelnen DJs (die außerdem auch gern „Selector“ genannt werden) als vielmehr die Anlage und die gespielte Musik stehen bei ihren Partys im Mittelpunkt. Die Crew-Mitglieder und die Gast-DJs verschmelzen optisch fast schon mit dem Soundsystem und können umso mehr die Musik für sich sprechen lassen.

Der Fokus liegt dabei auf den verschiedenen Ausprägungen im Reggae, Dub und in den daraus resultierenden elektronischen Spielarten und verschiebt sich je nach Person durchaus von der einen zur anderen Nische. Eine ganze Reihe angeschlossener Effekt-Geräte bietet die Möglichkeiten, das Frequenzspektrum der gespielten Musik live zu manipulieren und dadurch neue Versionen zu entwickeln. Das schafft auch Raum dafür, Musiker und Vokalisten live in eine Session einzubinden, ohne dadurch gleich eine Konzertsituation zu schaffen, die die Party unterbrechen würde. Auch die Plug Dub-Member selbst produzieren eigene Tracks, die auf sie auf ihren Sessions spielen. Einen Eindruck davon schafft ein aktueller Mix für Basscomesaveme von Jah Listener und Miles Won.

Vor allem im Leipziger Westen ist das Plug Dub Soundsystem in unterschiedlichen Locations unterwegs, beehrte aber auch schon die Distillery und war bei der Bassmæssage zu Gast. Auch mit anderen Crews kooperiert das Soundsystem: Mit Ulan Bator und den Vibes Ambassadors veranstalten sie beispielsweise die Reihe „3Takter“. Beim Outlook Festival Launch am 20.05. in der Distillery sind sie demnächst wieder zu hören – nicht verpassen! Aber auch außerhalb des Party-Kontext ist das Plug Dub Soundsystem unterwegs, wie der folgende Ausschnitt einer Demonstration in Gorleben zeigt:

Toni Wobble und Miles Won haben sich Zeit für uns genommen, um einige Fragen zum Thema „Soundsystem“ zu beantworten. Zum Ende hin gesellte sich auch Jonah Vibes hinzu.

Für Leute, die gar keine Ahnung haben, was ein Soundsystem ist: Wie würdet ihr ihnen das erklären? Was macht ein Soundsystem aus?

Toni: Das ist grundsätzlich erstmal eine Beschallungsanlage für Musik. Aber dahinter stehen noch andere Sachen. Es gehört eine Gruppe von Leuten dazu, die sich darum kümmert. Es gibt ja so typische Veranstaltungsbeschallungsanlagen, PAs. Das ist so ein Fertigprodukt. Und ein Soundsystem wächst halt. Es ist meistens selbst gebaut.

Das ist sowas wie ein Garten, den man sich anlegt. Nicht wie so ein fertiger Blumenstrauß, den man sich ins Fenster stellt, sondern wie ein eigener Garten: Da kümmert man sich drum, da muss man immer hingehen, da geht mal was ein. Da freut man sich, wenn mal wieder was aufblüht. Und so ist es eigentlich auch mit dem Soundsystem. Man muss sich drum kümmern, man muss ein bisschen was machen. Das ist halt nichts, was es nochmal so gibt. Jedes Soundsystem ist eigentlich ein Unikat.

Das heißt, nach und nach wird die Technik verbessert und das Soundsystem ausgebaut? Oder habt ihr einen Punkt erreicht, an dem ihr sagt, so ist es cool und wir lassen es, wie es ist?

Miles: Es ist fünf Jahre her, als wir die ersten Boxen gebaut haben. Seit 2015 sind wir an einem Punkt, wo es schon ziemlich cool ist und wir relativ zufrieden sind – sodass wir jetzt nicht unbedingt noch mehr Technik brauchen. Aber auf der technischen Seite ist es immer besser, Spielraum zu haben. Wenn man mehr Boxen hat, muss man nicht so sehr aufdrehen und dann ist der Sound halt schöner, aber mit dem Fein-Tuning geht es immer weiter. Klingen die Boxen nicht so wie wir wollen, wird das nächste Design getestet und so weiter.Foto: Gregor Barth

Wie muss man sich den Boxen-Bau vorstellen: Hat einer von euch eine technische Ausbildung in der Richtung oder ist es alles ein Do-It-Yourself- oder Trial & Error-Ding?

Miles: Das Meiste haben wir uns selbst angeeignet. Käptn Esteban ist gelernter Akustik-Ingenieur. Der macht beruflich Bau- und Lärmschutz -Ausmessung und solche Sachen. Er kann Lautsprecher ausmessen und danach wissen wir, was die für technische Daten haben. Und so teilt sich das ein bisschen rein. Jonah Vibes ist Tischler. Er hat supergute Tipps gegeben, wie man bestimmte Verbindungen und Versteifungen baut, was man aus dem Stehgreif nicht sofort könnte.

Weitere Freunde, wie die Siebdruckwerkstatt Offensiwe und der Skateboardshop Bastlboards, haben uns zum Bauen ihre Werkstatt und ihr Werkzeug zur Verfügung gestellt. Aber im Endeffekt ist es sehr primitiv. Es ist kein Hexenwerk. So eine Box ist schnell gebaut, aber sie auszustatten, damit sie gute und saubere Töne macht, ist eigentlich das Schwierigste. Und da haben wir glücklicherweise Daniel Präzzisione, der uns sehr geholfen hat und der seit drei Jahren in Leipzig wohnt. Er kommt vom Dandelion Soundsystem aus Freising, eines der ältesten Reggae Soundsysteme in Deutschland.

Toni: … es ist DAS Soundsystem …

Miles: … die sind seit zwanzig Jahren am Start. Daniel hat dem Ton-Techniker von Dandelion jahrelang auf den Sessions geholfen und gibt uns nun wiederum sein technisches Wissen weiter …

Toni: Er weiß auch aus Erfahrung, um was es geht …

Miles: … und hat schon tausend Boxen gehört …

Toni: Soundsysteme in unserem Sinne sind ja immer für Reggae- und Dub-Musik gedacht, also Musik, die ein bestimmtes Frequenz­-Spektrum anspielt, die von anderer Musik gar nicht bedient wird. Hauptsächlich im Sub-Bass-Bereich braucht man da eben Erfahrung. Die Soundsysteme sind so aufgebaut, dass der Sub-Bass-Bereich extra betont wird, um die Musik einfach physisch spürbar zu machen. Dabei geht es nicht darum, an die Hörgrenzen zu gehen und den Leuten blutige Ohren zu schlagen, sondern darum, einen schönen Klang hinzubekommen, der einzigartig ist. Ich kenne es von keiner anderen Musik-Anlage, die sowas schafft, nur von Soundsystemen, die im Reggae/Dub zu finden sind.

Miles: Das Bauen und die messtechnischen Sachen sind auch nur ein kleiner Teil davon. Am Ende des Tages ist es manchmal auch ein bisschen schade, wenn die Leute sich so sehr auf den Bass konzentrieren. Die Leute sind zu geil auf den Bass und der Rest wird unterschlagen. Man kann sich natürlich 16 Bass-Boxen hinstellen und jeweils Mitten und Höhen. Das ist dann schon krass, aber ich finde es schon wichtig, dass es Full-Range ist …

Toni: … es muss ausgewogen sein.

Testet ihr die Anlage auch mit völlig anderer Musik? Klingt die dann auch nicht gut? Wenn man quasi basslose Musik auf dem Soundsystem spielt?

Miles: Ja, Rock ist schon sehr schwierig auf jeden Fall.

Toni: Das macht keinen Sinn. Manchmal wollen Leute darüber Techno spielen aber das funktioniert nicht.

Miles: Zum Beispiel bei Rock-Musik passiert alles in der Mitte: Gesang, Gitarren, Keyboards usw. Da kannst du den Sub-Bass zu Hause lassen und zwanzig Mitten hinstellen. Das klingt dann besser, als es mit unserem Soundsystem zu spielen, weil drei von unseren Wegen dann gar nicht bedient werden.

Toni: Zum Beispiel hat ja diesen typischen, pumpenden Bass-Ton. Das ist nur so ein Kick-Bass im 80 bis 160-Hertz-Bereich …

Miles: Verschiedene Stile haben ja verschiedene Aufgaben und Anforderungen, man hört sich ja im Club keine Klassik an, zu Hause vielleicht aber schon. Je nach Anlass brauchst du andere Wiedergabe-Arten und Systeme. Bei Techno müssen wir die Subwoofer auch wieder ausschalten, sonst ist es nicht ertragbar, da kommt in der Regel auf jeden Bass Drum-Schlag der daruntergemischte Sub-Bass-Ton. Und der Sub-Bass-Ton ist dann lauter als der Kick Drum-Ton auf unserem System. Das kann man dann natürlich technisch entsprechend umstellen und sich Techno die ganze Nacht anhören, aber dann kann man auch den Sub-Bass gleich zu Hause lassen , weil man den nicht braucht und eh herunter drehen würde. Wie gesagt, es geht nicht um die Lautstärke, sondern um die qualitative und artgerechte Wiedergabe der Musik.

Toni: Es ist eine eigene Ästhetik. Man hat Wohlgefallen daran gefunden und seinen Geschmack entwickelt, den man da haben will. Man muss da im Genre auch gar nicht weit weggehen. Es ist auch im Drum & Bass teilweise schon so, was sich ja aus dieser Reggae- und Dub-Schiene entwickelt hat. Ganz viele Sachen sind ja Remixe, bei denen die doppelte Geschwindigkeit verwendet wird. Aber pumpt so schnell, dass dann diese riesigen Bass-Boxen gar nicht mehr hinterherkommen und ihre Wirkung nicht entfalten. Also man braucht wirklich diese langsamen, langen Bässe, um die Schwingung wirklich zu spüren und ausfahren zu können. Foto: Plug Dub / Microlino / Blendemj

Stört euch das manchmal auch? Gibt es Tracks, die ihr gern zwischen den Dub-Sachen spielen würdet, aber der Bass ist völlig unbrauchbar?

Toni: Na, wir sind ja immer präsent, wir geben unser Soundsystem nie aus unseren Händen. Wir stehen immer daneben und wenn dann jemand sowas wie Drum & Bass oder Dubstep spielen möchte, dann ist das herzlich willkommen. Das kann man alles schon machen, aber dann regeln wir nach, so dass es dann passt und den Hörgewohnheiten entspricht. Das ist dann auch so ein Unterschied. Bei einer Club-Anlage hast du meistens einen Ton-Techniker, der alles einstellt, bevor die Party losgeht, und dann wieder nach Hause geht, und morgens wiederkommt zum Ausschalten oder so.

Miles: Das hat ja auch seine Berechtigung und manchmal ist es ja auch nicht notwendig.

Toni: Braucht man ja auch nicht. Aber bei uns ist das schon unsere Herzensangelegenheit und so ist man dann immer mit dabei. Das macht es aber auch so charakteristisch, dass man dann immer nochmal nachfeilen kann. Das wird dann in der ganzen Effekt-Sektion noch weitergeführt, wo wir die Musik nochmal völlig auseinander nehmen, Sachen herausnehmen und neue Elemente wie Sirenen, Instrumente oder Vocals hinzufügen, die so gar nicht auf der Schallplatte drauf sind.

Ihr habt ja ein Mischpult mit Effektgeräten dabei und ein Theremin und alles mögliche …

Toni: Control-Tower nennen wir das. Da haben wir vier einzeln ansteuerbare Effekt-Wege: Ein Hall-Effektgerät, ein Echo-Effektgerät, ein digitales Delay und so ein typisches Space-Echo – ein Sound, der sehr oft vorkommt. Mehrere Arten von Hall und Echo also, die man dazufügen und untereinander kombinieren kann. Foto: Plug Dub

Ihr baut ja die Anlage in Leipzig auf Partys auf. Fahrt ihr auch viel überregional weg?

Miles: Wir sind im Schnitt vielleicht ein- bis zweimal im Jahr außerhalb von Leipzig mit dem Soundsystem.

Toni: Aber viel würde ich jetzt nicht sagen. Es kommt schon vor und das freut uns immer sehr. Wir waren in Koblenz letztes Jahr. In München waren wir auch schon.

Miles: Und zweimal in Berlin 2014 und 2015.

Toni: In Erfurt sind wir als nächstes. Also es kommt schon immer mal vor, aber in Leipzig sind wir regelmäßiger. Wir probieren einmal im Monat die Kisten rauszuholen und hier was zu machen. Auch nicht immer, weil es schwer ist, was zu finden. Für viele Leute ist es zu krass. Viele haben da Angst um ihre Bauten und ihre Clubs. Manchen wird dann erst bewusst, was der Unterschied ist. Dass ihre Anlage, für die sie ganz viel Geld ausgegeben haben, nicht so einen Wirkungsgrad hat wie unsere, die wir aus so ein paar gefundenen Brettern zusammengeschraubt haben. Das ist immer schwierig. Und dann haben wir auch Voraussetzungen: Wir wollen nicht in jeder Sache spielen, das muss schon passen mit den Leuten. Es muss eine gewisse Toleranz da sein, eine gewisse Grundhaltung, auch technische Gegebenheiten. Sowas wie einen Starkstrom-Anschluss findet man leider auch nicht überall.

Wenn es um Leipzig geht: Gibt es noch andere Soundsysteme – abgesehen von eurer neuen „Konkurrenz“ beim Soundsystem Clash?

Miles: Das entwickelt sich langsam. Generell ist Deutschland ja auch mehr von Techno, EDM und Rock geprägt, Reggae ist halt eine Nische, d.h. die Reggae-Soundsystem-Szene ist nicht groß. Was auch irgendwie der Vorteil und zugleich der Nachteil in Deutschland ist: Dadurch gibt es mehr Freiheit als in England und Frankreich, wo dann jedesmal auch 300-500 Leute kommen, wenn nur Reggae läuft und alles sehr professionell ist.

Das ist hier nicht so, hier kommen nur 300-500 Leute, wenn man explizit nicht nur Reggae spielt. Dafür gibt es hier mehr Spielraum zum Ausprobieren. Das ist wiederum auch das Schöne an Leipzig, dass trotz der kleinen Szene die Leute auch genre-übergreifend zusammenarbeiten. Das ist eher selten nach meiner Erfahrung.

Auch sowas wie die Bassmæssage, die uns zweimal eingeladen haben. Das sind z.B. Leute, die nicht nur Reggae feiern, sondern sehr viel unterschiedliche Sachen, und wo es für uns menschlich einfach passt. Ich kenne es von vielen Städten, wo das nicht so ist. Da ist man für die elektronischen Leute irgendwie der gammelige Rasta und die Reggae-Leute sagen ganz klar, „Ja, mit den Elektronik-Leuten haben wir gar nichts zu tun“.

Es ist schön, dass es es für uns hier von Anfang an anders war, weil auch viele von unserer Crew nicht den starren Blick auf bestimmte Genres haben. Es geht mehr um die Vibes. Dass wir viel mit anderen Crews wie Bassmæssage, Ulan Bator, Vibes Ambassadors und Knagge gemacht haben, war schon supercool. Das ist kein Selbstläufer und diese Crews sind für uns auf keinen Fall eine Konkurrenz, denn sie haben uns immer voll unterstützt – auch als sie uns noch nicht gut kannten.

Hätten sie uns nicht vor vier Jahren schon eingeladen, wo das alles echt noch peinlich war und scheiße klang, dann wäre der Push für uns auch anders gewesen. Weil wir auch jahrelang da hingegangen sind und die Leute gar nicht kannten und das abgefeiert haben und es jahrelang die einzigen Partys waren, die uns musikalisch wirklich gefallen haben.

Es gibt in Leipzig halt auch noch eine „alte“ Generation von Leuten, die in den Neunzigern und Nuller Jahren viele Reggae-Partys gemacht haben, zum Beispiel Jahtari, die R.I.Z.L.A.-Crew und Rotzlöffel HiFi. Diese Generation hat aber, glaube ich, mehr Partys veranstaltet und Riddims gemacht und weniger Soundsysteme gebaut.

Früher war die technologische Schwelle dafür auch einfach höher. Nicht zu vergessen auch Pioneer und sein Label Germaica, die Anfang der Nuller Jahre viele A1-Riddims für Seeed und jamaikanische Artists gemacht haben und immer noch am Start sind, auch weltweit.

Und sonst gibt es soundsystemmäßig den Sascha: Bass Culture Audio. Der ist auch immer mit seinem Sound beim 3Takter dabei. Er kommt mehr aus der PA-Vermietungs-Welt und hat sich über die Jahre richtig, richtig hochwertige Technik geholt, spezifisch auf elektronische Bass-Musik ausgerichtet und hat uns auch sehr mit Tipps, Tricks und Technik geholfen. Er hat z.B. bei der GSO-After-Party 2016 im Werk 2 vier Stacks im Kreis aufgebaut.

Er ist auf jeden Fall einer der Soundsystem-Vorreiter in Leipzig und ich erinnere mich, dass Jonah Vibes mit ihm 2010 eine Dub Session gemacht hat. Das war auch schon richtig geiler Scheiß, da sind die Altbaufenster fast rausgefallen. Er stellt für viele Drum & Bass-Partys in Leipzig seine Subwoofer hin. Das ist auch ein richtiger Unterschied zur durchschnittlichen Club-PA: Zwei, drei Subwoofer von ihm und ein paar Höhen sind schon ganz was anderes. Zusammen mit der Kirsch-Anlage mit entsprechender Einstellung im IfZ würde ich Saschas Anlage als die einzige ernstzunehmende technische Konkurrenz in Leipzig bezeichnen.

Toni: Das wissen die Leute schon mittlerweile zu schätzen. Und es gibt Leute, die nennen sich Soundsystem, haben aber gar keine Lautsprecher. Das ist so ein Neunziger-Dancehall-Ding.

Das ist tatsächlich eine Begriffsverwirrung, die ich schon sehr lange kenne.

Toni: Genau. Und das gibt es in Leipzig auch.

Miles: Aber da ist der Grundgedanke, dass es mehr als einen DJ gibt, die dann zusammen auflegen. Ich glaube, das kommt auch aus der ganzen Neunzier HipHop/Dancehall-Sache. Es klingt dann einfach cool, wenn es unter dem Namen der Crew steht.

Wenn wir bei Begriffen sind: Soundclash. Ist das eigentlich 2015 die Premiere gewesen?

Toni: Das war unser erster Soundclash – auf jeden Fall.

Ist das in Deutschland überhaupt gängig?

Toni: Das gibt es schon ab und zu, aber meistens ist das ja auch kein Clash wie in den Sechzigern und Siebzigern auf Jamaika. Da ging es ja wirklich noch darum, sich einen Namen zu machen und wirklich die anderen in die Ecke zu spielen. Heute in Deutschland ist man eher froh, wenn man was zusammen machen kann im Sinne eines Meetings oder einer Conference.

In Münster gibt es beispielsweise eine relativ hohe Dichte an Soundsystemen und die machen mittlerweile eine Veranstalltungsreihe namens „Dub-Stories“. Die spielen dann alle zusammen, jeder hat seine Zeit und da jedes Soundsystem irgendwie anders klingt, wird eher diese Diversität aufgezeigt.

In Jamaika war der Konkurrenzgedanke vermutlich stärker?

Toni: Das war gang und gäbe, genau. Das waren viele Banden-Sachen, mehr etwas, was man heute vielleicht mit Fussball-Fan-Kultur verbinden kann. Wenn man sich da zu einem Soundsystem zugehörig gefühlt hat und Fan davon war, dann hat man dafür auch gekämpft. Da gab es dann auch Schießereien und Situationen, wo der eine dem anderen in die Boxen reinschießt. Also das machen wir nicht, die Zeiten sind definitiv vorbei. Ich glaube aber, der grundsätzliche Gedanke war auch damals schon, dass man zusammen feiert und einen gemeinsamen Vibe hat. Dieses Konkurrenzdenken ist eigentlich nichts anderes, als dass man sich gegenseitig pusht. Dass man merkt, ok, die anderen haben was drauf – können wir das nicht auch? Beim nächsten Mal zieht man wieder ein Stück nach.

Miles: Hier bei unserer Clash-Variante geht es ja auch eher darum, dass unterschiedliche Bass-Typen auf der technischen und musikalischen Seite aufeinandertreffen. Wenn sich Reggae-Soundsysteme treffen, sind die Boxen meist ähnlich designt und klingen trotzdem unterschiedlich, je nachdem was die Leute machen, die sie ansteuern. Beim Soundsystem-Clash sind es unterschiedliche Sub-Bässe, bei denen man auch deutlich einen Unterschied hört, wenn man das gleiche Lied spielen würde. Foto: Gregor Barth

Vor zwei Jahren Jahren hat die Party im Conne Island gut funktioniert, oder?

Miles: Da war auch der ursprüngliche Gedanke, den Leuten zu zeigen, dass es alles der gleiche Ast eines Baumes ist. Die meisten alten Drum & Bass- oder Jungle-Sachen haben einen gesampleten Offbeat-Riddim, ein bisschen verändert, mit mehr Akzenten auf den Sechzehntel und einem Breakbeat – nicht nur die Snare und HiHat wie bei Ska oder Reggae. Das dann wieder zurückzunehmen und zu zeigen, dass das alles schon da war, mit einem anderen Tempo/Takt …

Toni: Eigentlich ging es dabei auch darum, dass die Anlage im Conne Island die berühmt-berüchtigste, fetteste Anlage in Leipzig war und das wollten wir einfach mal auf die Probe stellen. Und da war es eben genau das: Da kam eben der Ton-Techniker, hat da was eingestellt, hat seine Disco-Einstellung auf Bass-Party-Einstellung geändert, aber das war’s.

Das war eigentlich kein ehrwürdiger Gegner. Da freue ich mich schon auf den zweiten Soundsystem-Clash viel mehr. Da sind Leute dahinter, die haben diese Leidenschaft, die haben sich dahinter geklemmt und die werden auch den ganzen Abend da sein und was machen. Und wenn sie nach den ersten Runden merken, dass sie da noch was rausholen können, können sie sich nochmal dahinter klemmen. Was bei der ersten Party eben nicht der Fall war. Da war es eben unser Soundsystem gegen die Anlage vom Conne Island. Es war schön, da mal aufzuzeigen, dass da noch ein bisschen mehr geht, aber so ein richtiger „Gegner“ war das eigentlich nicht.

Quasi ein Heimspiel für euch.

Toni: Naja, ja.

Miles: Es gibt ja auch viele Leute, die in Leipzig echt lange am Start sind und viele Sachen gemacht haben, die mit Herz dabei sind und die Sache auch viel unterstützen. Zum Beispiel LXC, der hat uns viel geholfen. Oder auch Jahtari, die auch ein bisschen das „Reggae in Deutschland“-Dilemma haben. Sie spielen weltweit auf großen Festivals, aber in Leipzig vor vielleicht 100 Leuten. Die haben uns auch immer mit Wissen oder auch Connections supportet. Gerade Dressla, der beim Soundsystem-Clash dabei ist. Er hat viel Networking betrieben und Connections für uns klar gemacht.

Er hat 2011 ein Booking mit OBF angeleiert, ein ziemlich bekanntes französisches Soundsystem, die zum Auflegen in die Distillery kamen und zu denen wir unsere Anlage hingestellt haben. Und da klang die Anlage auch echt rotzig und so, weil sie noch ganz am Anfang war, aber das dann jemand wie Dressla und die Tille da sind, die das dann unterstützten und klar machen, das hat uns dann schon viel weiter gebracht.

Zum Thema Dancehall: Da ist ja z.B. auch Trettmann wieder sehr im Kommen zur Zeit mit seinem KitschKrieg- und 187-Zeug. Sein alter und neuer Sound sind auch nicht 100% unser Sound, aber er ist echt seit langem am Start und macht Werbung für die Stadt und Reggae/Dancehall auf hohem Niveau.

Sein alter Kumpel Kid Gringo, der auch aus der Dancehall-Ära kommt, macht auch seit 20 Jahren Sound und das ist umso wichtiger für die Culture, weil die Szene nicht sehr groß ist. Er hat zum Beispiel letztes Jahr so einen richtig klassischen Soundclash in Berlin gegen einen Anderen gemacht. Das ist der Soundclash, wie wir ihn nicht machen, aber es ist trotzdem geil. Gerade dieser Clash, Kid Gringo im Yaam 2016 in Berlin. Das ist einfach pure Unterhaltung. Das steht auch in der Tradition des Original-Soundclash aus Jamaika. Schön, dass es passiert. Gringo versuchen wir auch schon lange dazu zu überreden, mal ein Set mit seinen Dubplates aus den Neunzigern zu spielen. Foto: Plug Dub / Microlino / Blendemj

Wieviel Leute seid ihr eigentlich insgesamt ungefähr?

Miles: Das wechselt auch immer so ein bisschen, wer gerade Zeit und Bock hat. Am Ende sind es eigentlich sechs Leute, die immer dabei sind. Die Leute, die für das Conne Island auf dem System-Line-Up stehen, sind die Leute, die seit fünf Jahren dauerhaft am Start sind und Bock auf die Sache haben, nicht nur auf Party: Jonah Vibes, Jah Listener, Käptn Esteban, Senor C. Das sortiert sich mit der Zeit auch immer aus, dann kommen auch immer neue Leute, die Bock haben und dann merken, dass es Arbeit ist. Wenn sie nicht direkt nach einmal Helfen Prime-Time auflegen oder singen können, gehen sie wieder.

Toni: Das ist ein bisschen schade.

Miles: Das ist aber auch überall so, das ist ganz normal. Manche haben Familie und so weiter. Ich finde es aber auch eigentlich schön, dass wir eine so diverse Gruppe sind. Drei Leute sind auch ca. zehn Jahre älter als wir beide. Jonah Vibes ist in den Neunzigern, als es noch kein DSL-Internet gab und wir noch Bravo Hits gehört haben, immer nach London gefahren und hat sich dort die neuen Reggae Platten geholt.

Das ist schon krass und ein harter Support für uns, dass solche Leute dabei sind. Denn dadurch ging auch einfach alles schneller. Von Wissen über Platten oder Produktionstechniken, was haben die Leute vor zwanzig Jahren gemacht usw. Die älteren Crew-Mitglieder sind ja nicht immer unbedingt zwölf Stunden dabei und schleppen die Boxen, aber sie geben sehr viel andere Sachen mit rein, die wichtig sind. Platten, Wissen, Logistik, Werkzeug, diverse Sachen.

So ist es auch mit der Musik. Jeder hat so seine spezifischen Vorlieben. Einer mag Hardcore-Dub-Sachen, englische Produktionen aus den Achtzigern und Neunzigern. Ich bin schon eher auf dem Oldschool-Siebziger-Film. Toni ist mehr auf der modernen elektronischen Variante unterwegs. Der nächste hat unglaublich viele rare Klassiker als Singles usw. Senor C. ist ausgebildeter Jazz-Musiker und gibt dadurch sehr viele Impulse. Er kommt auch nicht aus dem 100%-Soundsystem-Reggae-Ding, aber er war wiederum der, der sagte, „Hier steht das Holz – lass die Box bauen“.

Auch wenn man z.B. vom Jazz oder vom HipHop kommt: Es ist irgendwie die gleiche Bewegung. Das ist immer schwierig, den Leuten zu vermitteln, aber es hat alles den gleichen Hintergrund. Die Leute, die in New York in den Siebzigern angefangen haben, Funk und Soul zu mixen, waren z.B. jamaikanische Einwanderer. Mit Jazz hat sich auch vieles gegenseitig beeinflusst, 50 Jahre davor.

Uns ist Allgemein der Hintergrund bzw. der Inhalt der Musik sehr wichtig. Zu viele Leute vergessen die Roots der Musik und verlieren sich in einem egozentrischen und inhaltslosen 24/7-„Gute Zeit“- oder „Wegballern“-Party-Ding. Ohne Jazz, Soul und Reggae gäbe es keine Club-Kultur und Tanz-Musik, wie wir sie heute kennen. Zu viele Leute in Europa bedienen sich der Musik der afrikanischen Diaspora, aber unterschlagen den damit verknüpften inhaltlichen und historischen Kontext.

Wir wollen jetzt auch niemand bekehren, die Leute müssen sich ja nicht mit Rastafari und Selassie-I 100% identifizieren, doch Rastafari ist ein substanzieller Bestandteil von Soundsystem-Kultur und Reggae-Musik. Das sollten die Leute wenigstens anerkennen und respektieren wenn sie Reggae- oder Bass-Musik abfeiern.

Zu dieser Soundsystem-Kultur gehört auch, dass die Leute ihre eigenen Sachen produzieren. Macht ihr das auch und testet ihr das auf der Anlage?

Toni: Wir sind alle Musiker und probieren uns da gerne aus. Ich kann da nur für mich sprechen: Meine Musik würde sonst vielleicht nirgendwo gespielt werden, aber da ist das Soundsystem mein persönlicher Kanal, bei dem ich sie spielen kann und weiß, wie ich sie zu produzieren habe, dass sie darauf auch funktioniert. Man kennt ja die einzelnen Frequenzen von den einzelnen Boxen und gestaltet die Musik dann auch so, dass sie alles entsprechend bedient. Und das ist schon eine absolute Erfüllung, definitiv – dieses Im-Studio-rumprobieren, Sachen machen, sich da reinhängen, gegenhören.

Und dann hört man es wieder auf einer Club-Anlage und weiß, was der Unterschied ist. Das ist so ein Trial & Error-Ding. Man hat was produziert, probiert es aus, meistens – wenn man sich noch nicht so sicher ist – bevor die Party losgeht. Da kann man mal gucken, wie es wirkt. Man hat ein Bild davon und geht dann wieder ins Studio und hat seine Vorstellung. Das ist schon so ein ständiges Ausprobieren.

Da ihr an eigenen Produktionen und so feilt: Habt ihr auch Label-Pläne?

Toni: Ein eigenes Label zu machen? Die gab es bisher noch nicht. Es gab auf dem 45Seven-Label ein Release, auf dem ich den Dub gemacht habe.

Dann hatten wir was mit ein paar Leuten aus Erfurt gemacht. Die haben schon letztes Jahr angefangen, Spendengelder für Kinder aus verschiedensten Ländern zu sammeln, die hier Sprachunterricht bekommen. Das Projekt ist ehrenamtlich und heisst „Sprachbrücken“. Die haben erstmal eine CD gemacht und die lief so gut, dass sie jetzt eine Schallplatte herausgebracht haben. Aber das ist bis jetzt auch nicht als Label angelegt.

Miles: Wir machen alle ein bis zwei Jahre einen Sampler mit Tunes und Dubs von uns selbst und Gästen und Freunden. Demnächst drucken wir auch T-Shirts, die wird es aber nur für Bekannte und auf Session geben.

Toni: Aber weitere Pläne gibt es bei uns nicht. Wir sind froh, dass wir eine Connection zum Dubplates-Kratzen haben und es reicht uns, wenn wir die Platten einmal bei uns in der Kiste haben. Dann können wir das auf unserem Soundsystem spielen.

Dubplates schneiden ist also ein Thema für euch?

Toni: Definitiv, ja. Das ging eigentlich los nach dem ersten Soundsystem Clash, bei dem auch LXC bei uns gespielt hat. Da wurde ein Samen in unseren Garten gepflanzt, der Dubplates hat wachsen lassen.

Miles: Überhaupt: Dass es die Möglichkeit gibt, dass man bei R.A.N.D. Muzik vorbeifahren kann und innerhalb von ein paar Tagen eine Dubplate geschnitten bekommt. Das ist auch nicht selbstverständlich und gibt es auch nicht in jeder Stadt. Es ist auch oft so, dass wir von Bekannten Platten bekommen, die sie auf ihren Labels herausbringen. Dann stellt sich heraus, dass die ihre Platten in Leipzig pressen. Das wird zu denen z.B. nach Frankreich geschickt und dann schicken sie die Platten wieder an uns.

Toni: Gerade Reggae und Dub wird entweder in Leipzig oder in Hamburg bei Ameise gepresst. Viel mehr Auswahl hat man gar nicht.

Würdet ihr auch digital spielen oder macht das schon einen Unterschied aus?

Miles: Digital ist sauberer und hat mehr hohe Frequenzen, Vinyl ist limitiert auf bestimmte Frequenzen und nicht so sauber, hat dafür z.B. lautere Mitten bzw. einfach einen anderen Sound. Das hat beides Vor-und Nachteile.

Toni: Schon, ja. So eine Platte klingt schon auch organischer und authentischer, gerade bei diesem Sound. Klar haben wir das schon ausprobiert. Ich habe auch ein Live-Set, bei dem ich alles digital spiele. Das ist schon ok und klingt schon auch gut, sonst würde ich es nicht machen. Aber wenn man mal eine Bandmaschine in der Hand hatte … das verfälscht den Klang auf eine ganz schöne Art und Weise. Eigentlich möchte man das dann nicht mehr missen.

Wahrscheinlich auch die Exklusivität.

Toni: Genau. Das ist ja auch etwas, das die Dubplates ausmacht. Das hat kein anderer. Wir sind auch nochmal dran, einen Tune für den Soundsystem Clash zu machen, der auch relativ bekannt ist, für den wir nochmal eine spezielle Version machen, den kein anderer haben wird. Ich denke, der wird ganz gut einschlagen. Zuviel will ich da eigentlich gar nicht verraten. Da muss man auf der Party da sein und wird das schon merken.

Miles: Exklusivität: Auf der einen Seite ja, auf der anderen Seite auch total lächerlich. Es ist schon cool, Dubs zu haben, die nur auf dem System zu hören sind, aber es geht uns nicht darum, vom JA-Nummer-1-Hit noch eine Special-Dubplate-Version zu haben.

Toni: Das ist nur eine Geldfrage und nicht unser Style.

Miles: Das verstehen die meisten Leute unter Exklusivität. Gerade bei Dancehall-Soundclashes: Da kannst du dir teilweise einen Kleinwagen von dem Geld kaufen, dass die für Dubplates ausgeben.

Toni: Damit sie am Anfang des Tracks mal den Namen des Soundsystems nennen, welches sie nicht mal persönlich kennen. Ich finde das unauthentisch.

Miles: Das hat alles seine Berechtigung, weil das Geld meistens immerhin direkt an die Künstler geht.

Toni: Wir machen das nur mit Leuten, die wir wirklich kennen, mit denen wir besondere musikalische Momente hatten. Und dann ist das auch nicht mehr so eine Geldfrage. Natürlich gibt man den Leuten gern was, wenn man was geben kann. Aber es sollte nicht im Vordergrund stehen.

Miles: Dadurch, dass das System schon da ist und wir unabhängig sind, können wir machen, was wir wollen. Wir brauchen nur eine Location und sonst gar nichts, das ist uns sehr wichtig. Und die Exklusivität entsteht schon allein dadurch, dass wir das System haben. Da klingt der normale Tune schon anders als auf einem anderen System. Man sollte nie vergessen, dass es am Ende darum geht, den Leuten was mitzugeben und eine gute Session zu haben – inhaltlich und körperlich. Nicht nur den typischen Party-Ablauf, was auch durch das System transportiert wird.

Toni: In den Jahren vor dem ersten Clash war das ein harter Weg, den Leuten das erstmal nahe zu bringen. Eben weil es nicht so typisch war. Dass wir oft nur einen Schallplattenspieler nehmen bis hin zu Phasen, in denen erstmal relativ wenig passiert. Es ist so ein Auf und Ab. Wir wollen nicht die ganze Zeit Vollgas fahren. Wir könnten es, aber es ist auch schön, die Sachen erstmal rauszunehmen, zuzuhören und gern die Nadel zurückzunehmen und das Lied nochmal von vorne zu spielen. In den ersten Jahren sind da Leute nicht so drauf klargekommen und haben sich gefragt: Was ist los bei euch, habt ihr da technische Probleme? Was macht ihr denn hier? Warum die Pause zwischen den Liedern?

Jonah Vibes: „Der DJ ist ein ganz schöner Arsch.“

Toni: Ja, eher sowas. Beim Clash war es dann eher so, dass wir eine Masse von Leuten hatten, die es verstanden hat, damit umzugehen. Die die Geduld hatten, zu warten, bis der Bass einsetzt und wahrscheinlich zufrieden sind, wenn er richtig laut läuft. Es ist schon eine Steigerung. Die letzten Tunes, die gespielt werden, sind die heftigsten. Der letzte Tune ist immer die größte Perle aus der Kiste.Foto: Gregor Barth

Gibt es auch generell Reaktionen des Publikums auf die Anlage?

Toni: Ja. Leute, die das einmal gespürt haben, die suchen dann nach sowas. Wenn man einmal Blut geleckt hat, will man das nochmal. Das ist etwas, das man nicht überall bekommt.

Miles: Manchen Leuten ist aber auch gerade die körperliche Dimension zu viel. Es kommen immer zwei bis vier Leute pro Session, die uns auffordern, den Sub leiser zu machen. Dann gibt es immer die Rack-Checker, die sich die Boxen und Technik ganz genau anschauen und uns dann fragen, was wir selbst gebaut haben und was wir für Membrane benutzten. Was wir auch oft haben: „Dieses Lied kenne ich doch. Was ist das für ein Remix?“ Dann zeigt man den Leuten die Platte und es ist ein normaler Release, exakt das gleiche Lied, das sie von Zuhause kennen. Sie hören es auf dem Soundsystem und denken, das ist der krasse neue Bass-Remix. Das ist halt der Unterschied, ob du dir es zuhause auf YouTube anhörst, gerade bei den ganzen Siebziger-Klassikern wie z.B. Lee Perry Tunes, oder ob du es auf einem System hörst, dass für diese Musik gebaut wurde. Natürlich klingen die auf dem Soundsystem anders. Das fasziniert die Leute immer wieder. Manche glauben es dann auch nicht.

Toni: Man verfälscht den Klang auch teilweise, indem man Frequenzen komplett rausnehmen kann. Oftmal machen wir das Spiel, die Höhen und Mitten komplett rauszunehmen, so dass nur noch die Bassline läuft, und lassen z.B. Senor C. am Saxophon komplett was neues drüberspielen. Natürlich ist das etwas, was es so vorher noch nicht gab. Aber das ist eben Dub. Dub ist immer anders und einmalig. In dem Moment ist es ein völlig authentisches Ding, das entsteht.