Leipziger Neuzugang: Schlepp Geist

Vor drei Monaten ist Schlepp Geist nach Leipzig gezogen. Wir haben ihn auf ein Gespräch in der Fleischerei getroffen.

Vorher lebte Schleppp Geist in Berlin und Rostock. Sein Künstlername ist übrigens einfach ein Spitzname, auf den „Schleppi“ seit über zwanzig Jahren hört. „Einige denken auch, es kommt von ‚Abschleppen’ – aber es hat überhaupt keine Bedeutung“, sagte er uns im Interview.

Musikalisch ist Schlepp Geist hauptsächlich bei Katermukke, URSL und Heinz Music zuhause. Die Berliner wurden über seine Soundcloud-Seite auf ihn aufmerksam. Bei einem Geburtstag von Mira vor einigen Jahren hatte Schlepp Geist dann seinen ersten Live-Gig im Kater Holzig. Mittlerweile ist er weltweit unterwegs. Anfang 2016 spielt er unter anderem in Istanbul, Hamburg und Dubai.

Nur Leipziger Clubs sind erstmal nicht dabei. Warum, Schlepp Geist?

Schlepp Geist: In der Stadt, in der ich wohne, will ich generell nicht zu oft spielen. So habe ich es in Rostock auch schon gehandhabt. Letztes Jahr war ich vier mal als Schlepp Geist in Leipzig, auf dem Think Open Air, im Eli, in der Villa Hasenholz und im November in der Blauen Perle.

Hast du einen Song, der für dich für 2015 steht?

Ach da gibt es so viele und auch quer durch alle Genres. Wenn ich jetzt spontan was sagen soll, dann Adam Beyers „Stone Flower“ zum Beispiel. Der Track kam im Frühjahr 2015 auf Drumcode raus:

Oder was ganz anderes: Harro Triptrap „Grandfathers Clock“ auf Osmund Audio:

Und welchen deiner eigenen Releases fandest du am besten?

Wenn ich mich entscheiden muss, dann „Tura“. Der ist auf Connaisseur erschienen:

Und natürlich die aktuelle „New Home EP“ auf URSL:

Wie entsteht deine Musik?

Die besten Tracks entstehen ganz schnell. „Tura“ war in zwei, drei Stunden fertig. Ich produziere nicht zuhause, sondern in meinem Studio, weil ich gerne das Gefühl habe, zur Arbeit zu gehen und ich dort auch produktiver bin. Ich mag es von nine-to-five zu arbeiten und kann auch mal ein Käffchen trinken. Leider ist bei uns zur Zeit die Heizung ausgefallen und von daher ist es eher semi-gemütlich.

Was brauchst du zum Produzieren?

In meinem Studio gibt es das Übliche: Synthesizer, Drumcomputer, Kompressoren, Effektgeräte, etc. Die Vocals nehme ich selbst auf. Ich bin zwar kein besonders guter Sänger, aber es darf auch mal ein bisschen schief klingen. Und klar, ich kann Noten lesen und ein bisschen Klavier und Gitarre spielen.

Bei meinen Gigs will ich den Rechner zukünftig soweit es geht abschaffen und größtenteils Hardware benutzen. Dann klingen die Sets nicht mehr so statisch und ich kann einfach losjammen. Auf der Fusion 2015 hab ich mit Krink ein b2b-Live-Set gespielt, das hat echt gefetzt und war mehr oder weniger eine Improvisations-Session. Das werden wir sicher wiederholen.

Was war neben der Fusion dein Lieblings-Gig 2015?

Die Nation of Gondwana war für mich eins der besten Festivals im letzten Jahr. Es war heiß, die Leute waren super und das Line Up auch. Und die Anlage war echt der Kracher, die hat ordentlich Druck gemacht:

Kriegst du eigentlich mit, was vor dem Pult los ist?

Nein, ich bin ein absoluter Blindfisch. Die Leute kommen dann hinterher und fragen, ob ich sie gesehen hätte. Das ist aber fast nie der Fall. Ich bin immer schon froh, wenn ich meine Freundin in der Masse entdecke. Als ich zum Beispiel in der Panorama Bar gespielt habe, hat es mich beruhigt, dass ich sie in der Masse entdeckt habe.

Wieso ist man als Musiker eigentlich gerade in Berghain und Panorama Bar so aufgeregt?

Ich bin sehr gern als Gast dort, deswegen war das wirklich special. Zum Glück hat alles gut funktioniert.

Hast du dich vorbereitet?

Nein, denn ich kam direkt von einem anderen Gig aus Schweden. Ich war nach Rebekah und vor Ellen Alien dran und habe versucht, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Wir haben aber auch nicht groß geschnackt.Für wen würdest du dich in eine Clubschlange stellen?

Puh, da gibt es wirklich viele, die mich inspirieren. Aber wenn ich nicht gerade spiele, dann gehe ich eher selten aus. Spannender finde ich momentan Kollaborationen. Ich arbeite zum Beispiel gerade mit Douglas Greed und der Berliner Sängerin Kristina Sheli zusammen.

Wie kommst du durch eine lange Clubnacht?

Die Klassiker: Vorschlafen, Kaffee trinken oder einfach wach bleiben. Chemische Drogen habe ich nie genommen, obwohl mein Umfeld da ziemlich liberal ist und ich natürlich auch. Klar, manchmal trinke ich was. Es gibt Abende, an denen macht es einfach Spaß, ein bisschen verschallert zu sein. Gerade wenn ich ein DJ-Set spiele – das finde ich nämlich relativ langweilig. Generell spiele ich deswegen lieber live, da habe ich die ganze Zeit etwas zu tun.

Seit drei Monaten bist du Leipziger. Aus welchen Gründen bist du hierher gezogen?

Der Hauptgrund ist, dass meine Freundin hier einen neuen Job hat. Ich bin ja zum Glück relativ flexibel, von daher passte das gut. Mein Bruder wohnt auch hier und dadurch kannte ich die Stadt schon ein wenig. Es gibt in Deutschland für mich auch nicht so viele Alternativen.

Hast du hier schon einen Lieblingsplatz?

Mein Studio, wenn die Heizung denn endlich mal funktioniert. Ich mag unsere Wohnung, die ist gegenüber vom Gewandhaus. Der einzige Nachteil ist, dass es dort keinen wirklichen Kiez gibt. Die Südvorstadt z.B. ist schön, aber für mich auch kein richtiges Szeneviertel, sondern eher ein gutes Beispiel für die Gentrifizierung. Dann bevorzuge ich eher Plagwitz und Lindenau, weil die Viertel runtergekommener und alternativer sind.Fehlt dir was in Leipzig?

Wir brauchen ein Musikfachgeschäft mit dem neuesten Technik-Kram, so einen Nerd-Laden, in dem man in Ruhe alles ausprobieren kann. Das ist doch voll die Lücke bei der großen elektronischen Szene hier in Leipzig. Oder habe ich den einfach noch nicht gefunden?! Hinweise bitte an mich! Derzeit muss ich nämlich extra nach Berlin fahren, um z.B. in Schneidersladen den neuesten Technik-Kram auszuprobieren. Unter vier Stunden kommt man da selten wieder raus.

Findest du, die Leipziger feiern anders als in Berlin?

Nein, ich finde die Leipziger Feierkultur super. Mittlerweile kannst du sogar in der Tille auch sonntags tanzen und der Sonntag ist mein Lieblingstag, um privat feiern zu gehen.

Und die Leipziger an sich?

Die sind super freundlich und generell ein aufgeschlossenes Völkchen. Bis auf einen Pegida-Taxifahrer, der sein verschrobenes Weltbild verbreitet hat, habe ich noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Aber so was würde mir in meiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern leider auch passieren.

Danke Dir, Schlepp Geist!

Schlepp Geist Website / Facebook / Soundcloud

Blaq Numbers x Leipzig

Blaq Numbers heißt ein junges Label aus Nordthüringen, das seine Fühler auch nach Leipzig ausstreckt – wir verlosen zwei Vinyl-Pakete.

Ach, ich bin so empfänglich für ambitionierte Club-Projekte in der Provinz. Sofort ist da ein romantisches Bild von abgeranzten Militär- oder LPG-Brachen aus denen dann kulturelle Freiräume wurden. Egal ob temporär oder langfristig. Bei Wolkramshausen gibt es einen auf Vereinsbasis betriebenen Club namens Wolke. Seit 20 Jahren schon bildet dieser Ort ein subkulturelles Kleinods inmitten der thüringischen Provinz. Und er pflegt gute Verbindungen nach Leipzig: Micronaut, Solaris, Daniel Stefanik, Sven Tasnadi und Perm spielten dort bereits und auf dem „Wolke wird 18“-Sampler waren auch Leipziger Tracks dabei.

Aus diesem Umfeld kommt auch Matthias Fiedler, in der Wolke ist er Resident und wohl auf dem Sprung nach Leipzig, wie er neulich schrieb. Im letzten Jahr gründete er mit Blaq Numbers sein eigenes Label auf dem gerade die zweite Platte „Blaq Satin Trax“ herausgekommen ist. Eine Compilation mit sechs Tracks, die einen weich bis scharf gezeichneten House-Sound anreißen. Darunter auch die Leipziger Ranko und Lootbeg.

Bei Ranko ist wirklich immer wieder erstaunlich, wie federnd-leicht und vertrackt zugleich er House und instrumentalen HipHop mit UK-Zuckerguss verbindet. Sein „Like This, Like That“ fungiert hier als perfekter Opener. Lootbegs „Paradise“ dagegen als Atempause zwischen den zwei gut ruppigen und rauen House-Tracks von Carlo und Fede Lng. Disco-Reduktion ist sein Ding hier, wobei das Glitzern zu keinem Zeitpunkt fehlt. Zeitlos und auch etwas nostalgisch klingt das.

Und vielleicht wird Blaq Numbers ja demnächst auch ein Leipziger Label.

++++ WIN WIN ++++

Wir verlosen 2 x ein Blaq Numbers-Vinyl-Paket, bestehend jeweils aus einem Exemplar der 01 und 02.
Was ist zu tun? Bitte bis zum Mittwoch (20.1.) um 20 Uhr hier unten in die Kommentare schreiben, wo die Provinz musikalisch ebenso perlt wie in Nordthüringen?

Recent Lesetipps

Es gab einige interessante Porträts und Interviews zu Leipziger Akteuren in anderen Medien. Hier ein Überblick.

Gleich mehrmals fiel der Fokus auf das Institut für Zukunft, dem in der Außenperspektive nach wie vor ein besonderes Interesse entgegengebracht wird. Beim Vice-Ableger für elektronische Musik Thump gab es kürzlich ein Interview, in dem die Anfänge und die konzeptionellen Basics des Clubs beleuchtet wurden: „Es ist am Ende ein guter Mittelweg geworden. Was die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen angeht, haben wir jetzt eine klare Entscheidungsstruktur: Das macht das Büro, aber es wird den einzelnen AGs Entscheidungsgewalt gegeben.“

Zuvor besuchte der Autor Nic Tuohey des britischen Download-Shops Junodownload Leipzig und sprach mit einigen IfZ-Aktiven. Am Ende resümiert Tuohey „Leipzig and IfZ’s energy and determination to create something, a vision, is still evident, and left me feeling optimistic about the future, that’s for sure.“

Unter dem unnötig reißerischen Titel „Future Sound Of Leipzig: Inside Germany’s best club“ nimmt auch das Electronic Beats-Online-Magazin in den Blick – in einer fünfteiligen Serie. Aktuell sind zwei Teile veröffentlicht, zuletzt ein Beitrag über Solaris, Resident und Bookerin: „We try to have a balanced ratio of males and females on our lineups. When we started doing this, it seemed to be hard to find ‘enough’ female artists—especially in techno. But I was wrong; there’s a lot of good female acts, but sometimes they’re not promoted that well. It takes more effort to find them sometimes.“

Rose Mardit besuchte ebenfalls für Junodownload Mix Mup auf einen Nachmittag im August und veröffentlichte später im November ein langes Porträt über ihn. Darin zahlreiche Einblicke in seinen bisherigen künstlerischen Werdegang und auch ein paar Statements zur Kultur der elektronischen Musik: „There’s so much music out there – the availability is incredible – so when a DJ is playing and there’s a tune that is not really comfortable for people, or it’s not really their thing, they go off the dancefloor right away to have a drink. Nobody’s waiting and thinking, ‘OK, why is he doing this?’“

Im Januar führte die Taz ein Gespräch mit ihm: „Es gibt in Leipzig einen gewissen Luxus der Geschwindigkeit. Der Puls im Alltag geht langsamer, ich kann daher in Ruhe arbeiten. Das ist nichts, was sich erkennbar sofort in meinem Sound niederschlägt, aber es erlaubt mir eben, mir mehr Zeit zu lassen. Niemand verlangt etwas von mir, es klopft nicht ständig an meine Studiotür.“

Nebenbei wird der konzeptionelle Hintergrund zu seinem Molto-Album noch einmal deutlicher – es ist eine Hommage an Library Music. Noch stärker aber sein Schluss: „Meine Aufgabe ist es, weltoffene Musik zu machen. Der Rechtsradikalismus im Osten lähmt, davon werde ich mich aber nicht beeindrucken lassen. Leipzig und seine gegenkulturellen Orte stellen sicher, dass es kein zweites Dresden gibt.“

Und auch Mix Mups Bookerin Nadine Moser alias Resom wurde von Resident Advisor in sehr ausführlicher und persönlicher Weise in ihrer alten Heimat Leipzig porträtiert. Mit ihren musikalischen und subkulturellen Sozialisationen und Engagements sowie ihrem nun stärkeren Fokus auf das Auflegen: „It’s not about the quality—the quality of life in Leipzig is superb. But what I was missing was the quantity of things, the diversity. I missed speaking English, I missed meeting people from all around the world. I missed the cultural exchange.“

Was gab es noch? Es kann gern in den Kommentaren ergänzt werden.

Mottt.fm ist verstummt

Am letzten Sonntag verkündete Mottt.fm sein Ende – wir haben bei Falk, einem der Radiomacher, nach den Gründen gefragt.

Mottt.fm startete vor fast acht Jahren als Online-Radiosender für Leipzigs Subkultur. In Dauerschleife waren hier DJ-Sets zu hören, die entweder von Leipziger Künstlern stammten oder in Leipziger Clubs oder Open Airs aufgenommen wurden. An den Wochenenden schloss das Mottt.fm-Team oftmals den Laptop an die DJ-Pulte der Leipziger Clubs, knipste das Mottt.fm-On-Air-Licht an und übertrug die Partys online.

Seit Juli letzten Jahres ist der Player allerdings stumm. Auf der Website befand sich lange Zeit nur ein Link zur Soundcloud-Seite des Senders. Was ist passiert?

Ein Relaunch sollte Mottt.fm eigentlich retten. Dafür wurden MitstreiterInnen gesucht, die den Sender in den Bereichen Social Media, Webentwicklung / Programmierung, Live-Übertragung und Hörfunk- und Online-Journalismus ehrenamtlich unterstützen sollten.

Trotzdem wird der Verein um Mottt.fm zum 31. Januar 2016 endgültig aufgelöst. Damit verstummt auch der Online-Sender nach acht Jahren. Falk, einer der Macher, hat uns im Interview erzählt warum.

Warum habt ihr aufgegeben?

Als „aufgegeben“ würde ich das nicht direkt bezeichnen. Aufgrund von diversen Veränderungen – Wohnortwechsel, neue Jobs und Familiengründung bei unseren Crew-Mitgliedern – war es uns letztlich nicht mehr möglich, die nötige Zeit aufzubringen, um 100 % Qualität zu liefern. Es fehlte eine Person, die langfristig alle Fäden in der Hand hält, um dieses „Freizeit-Projekt“ zu koordinieren.

Was hätte im Relaunch passieren müssen?

Für den Relaunch war unter anderem ein lang ausstehendes Re-Design unserer Website geplant. Es sollte sich natürlich auch inhaltlich in Bezug auf Party-Reviews, lokale Artists, Clubs usw. etwas ändern sowie mehr Qualität reingesteckt werden.

Letztendlich scheiterte das unter anderem an der finalen Umsetzung – durch Zeitmangel und aus oben erwähnten Gründen. Wie gesagt: Damit es weitergegangen wäre, hätte es eine Person aus den eigenen Reihen geben müssen, welche zum einen in Leipzig wohnt, zum anderen auch die nötige Erfahrung in Bezug auf die „Seele“ des Senders mitbringt, also wofür Mottt.fm steht und was wir erreichen wollen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die entsprechende (Frei-)Zeit. Und davon braucht man viel. Wenn du Familie oder einen Vollzeitjob hast, dann wird das schon schwierig. Dies war leider nicht gegeben und dementsprechend haben wir das Ende beschlossen.

Ihr habt daher nach Nachwuchs gesucht. Will der womöglich aber nur feiern gehen, aber nichts für die Subkultur tun?

Zu wenig Interessenten gab es nicht. In der Tat waren wir eher positiv überrascht. An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an alle Interessenten für das uns entgegengebrachte Vertrauen an einer Mitarbeit.

Interessierte Leute waren und sind da, nur brauchst du jemanden, der das Ganze koordiniert und zusammenhält. Durch meinen jobbedingten Wegzug aus Leipzig hatte ich am Ende immer weniger Zeit und es kam wie es kam.

Du kannst leider nicht einfach jemanden die Führung anvertrauen, der nur ein bisschen Interesse hat mitzumachen. Wofür steht Mottt.fm, was wollen wir erreichen, wie kommunizieren wir, welche „Sprache“ benutzten wir, welchen Musikstyle lieben wir, was unterstützen wir und und und. Dafür benötigst du einfach etwas Erfahrung und die kommt nicht von ein, zwei Partys auf denen du mal gewesen bist.

Und jetzt?

Viel gibt es da nicht zu sagen. Schade ist es. Für unsere treuen Hörer und natürlich auch für Leipzigs Clubkultur. Ich persönlich bin schon etwas traurig, keine Frage. Es waren vier geile Jahre, mit den verschiedensten Leuten, Labels, Artists, Open Airs und Clubpartys.

Allein das ich nicht mehr in Leipzig bin tut mir innerlich manchmal schon ein bisschen weh. Vor allem im Sommer, wenn du von den Open Airs liest, aber 600 km weit entfernt bist.

Schauen wir mal, was die Zukunft bringt. Es werden neue Leute kommen, die neue Projekte starten. Ich bin gespannt und freu mich drauf. Keep on dancing peeps 😉

Vielen Dank Falk!

„Wir wollen nichts blenderisch verkaufen“ – Interview im Vary

Seit letztem Herbst hat Leipzig einen neuen Plattenladen. Doch Vary ist mehr als nur ein paar Plattenregale. Wir waren zum Interview in der Eisenbahnstraße.

Um genau zu sein war ich bereits im November dort – zwei Wochen nach der Eröffnung. Durch unser Crowdfunding lagen die Aufnahmen des Interviews allerdings länger herum als geplant. Nun endlich ist es soweit und ihr könnt das Interview mit Pascal (Skor Rokswell / Skor72), Julian (Remark / Rufus Grimes) und Falk (Shape) lesen. Mittlerweile sind aber die Plattenregale voller und es gibt ein eigenes Leipzig-Fach.

Um es vorweg zu nehmen: Der Laden ist eine immense Bereicherung für Leipzig. Optisch, inhaltlich und netzwerktechnisch. Viel Platz zum Verweilen und Reden sowie eine eklektische und fein sortierte Vinyl-Auswahl. Besonders gespannt bin ich auf den kulturellen Rahmen, den das Vary ebenfalls mit eigenen und von außen kuratierten Inhalten füllen möchte. Aber lest selbst. Zum parallelen Hören empfehlen wir folgende hauseigene Mixe:

Bei Ashore habe ich gelesen, dass vor einem Jahr die Idee für Vary kam – hattet ihr vorher schon einmal etwas mit Plattenläden oder Cafés zu tun oder ist das hier komplett Neuland für euch?

Pascal: Nicht komplett, aber innerhalb solch eines institutionellen Rahmens schon. Aber wir sind mit dem Medium Vinyl schon lange vertraut – durch das eigene Sammeln und Auflegen.

Wie kam konkret die Idee zu einem Plattenladen in Leipzig?

Falk: Ein bisschen aus dem eigenen Bedürfnis heraus, hier selber einen Laden zu haben. Als langer Plattenkäufer merkt man, was man selbst für Bedürfnisse an einen Plattenladen hat. Wir wollten einfach einen Platz an dem man sich wohlfühlt und wir hatten Lust, gute Musik zu präsentieren. Wir sind langjährige Veranstalter und Plattenkäufer und die Idee eines Ladens war der gemeinsame Nenner für uns nach allem, was wir vorher zusammen gemacht haben. Bei Pascal stand ein Job-Wechsel an, bei mir war das Studium zu Ende – es gab einfach einen Punkt an dem wir uns gefragt haben, was wir gemeinsam machen können mit all den Soft Skills, die man sich als Konsument, Veranstalter und DJ über die Jahre antrainiert hat.

Julian: Wichtig war uns auch, dass wir so etwas wie eine Basis aufbauen von der aus wir agieren können, die aber auch von anderen Leuten angenommen werden kann – ein Ort zum Treffen von Leuten, die die gleichen Interessen haben, aber auch ein Ort für Menschen, die vielleicht gar nicht so musikaffin sind wie wir, die es bei einem Kaffee gemütlich angehen möchten, dann aber über die Musik, die bei uns läuft oder die wir empfehlen, doch Interesse an Vinyl bekommen. Abseits von dem Laden gibt es natürlich noch Veranstaltungen, die wir machen. Es ist uns wichtig, dass das Ganze schon auch in einem kulturellen Rahmen gesehen wird.

Pascal: Im positiven Sinne wollen wir eine Angriffsfläche schaffen. Es ist ja so ein negativ behaftetes Wort, aber wenn man ein wenig anders darüber nachdenkt, ist es oft so, dass Labels, DJs, Veranstalter, Produzenten und Künstler vom Charakter meist eher introvertiert sind und dass ganz viel in einem Atelier, Office oder Wohnzimmer passiert und dass das nie richtig greifbar wird für Leute, die sich über den Konsum hinaus vielleicht noch nicht mit der Kultur beschäftigt haben. Da möchten wir gern eine gewisse Zugänglichkeit schaffen, damit Leute hierher kommen und uns fragen können, wenn sie in irgendeinem der hier relevanten Bereiche aktiv werden und sich vernetzen wollen.

Aus welchen kulturellen Bereichen kommt ihr, wo wart ihr bisher aktiv?

Pascal: Ich bin aus Erfurt hierher gezogen, acht Jahre hatte ich dort gelebt und bin viel nach Berlin gependelt durch meine Arbeit. 2008 hatte ich eine monatliche Reihe in Erfurt gestartet, die mit Live- und DJ-Abenden bis zu meinem Wegzug lief.

Falk: Ursprünglich komme ich aus der Nähe von Jena, später bin ich dorthin gezogen und war dort Veranstalter im Kassablanca – bis jetzt noch. Ich komme auch ein bisschen aus dem HipHop-Background, aber spätestens durch das Kassa habe ich mit allen möglichen verschiedenen Spielarten zu tun gehabt und mich auch davon infizieren lassen, dass die DJs dort immer viel breiter auflegt haben – sei es das Krause Duo, die Wighnomy Brothers oder der Légerè. Die haben an einem HipHop- oder Techno-Abend nie nur das eine gespielt – das hat mir sehr gefallen, das waren spannende Momente, wenn die ausgebrochen sind. Für mich ging es vom HipHop zu etwas Drum & Bass, UK Garage, später auch Dubstep sowie housige und technoide Sachen.

Und du bist auch aus Thüringen, Julian?

Julian: Aus Karlsruhe komme ich. Dort habe ich auch angefangen, Grafik zu studieren und bin dann nach Leipzig gewechselt. In Karlsruhe habe ich aber schon den „Beat Klub“ gemacht. Das war eine Veranstaltungsreihe, die sich mit Beats beschäftigt, also den HipHop-Instrumentals. Es durfte aber auch anderes dort laufen und war offen für das, was diese Kultur mit geformt hat – Funk, Disco, Soul. Als ich nach Leipzig kam, habe ich beim Looprausch mitgemacht.

Danach gab es hier und da noch einzelne Veranstaltungen. Seit acht Jahren mache ich auch selbst elektronische Musik und habe in Leipzig eine gute Vernetzung gespürt, die für mich vorher in Karlsruhe nicht so intensiv war. Hier hat es sich besser angefühlt und wir sind mittlerweile bekannt mit allen lokalen Beatmakern. Es ist uns auch ein Anliegen, das hier mit zu pushen – wie genau, dass wird sich mit der Zeit zeigen.

Hattet ihr vorher schon einmal einen ähnlichen Laden gesehen, der euch inspiriert hat?

Pascal: Nicht in der Konstellation. Klar, gibt es mal irgendwo eine Kaffeemaschine hinter dem Tresen eines Ladens, aber in der Form wie hier nicht. Es war eher das Bedürfnis, selbst so etwas zu haben. So profan es sich anhören mag: Oft ist es bei Dingen so, die niemand sonst macht, obwohl man sie sich aber selbst wünscht, dass man sie einfach selbst machen muss, wenn man sie wirklich will. So ging es uns schon vorher bei vielen anderen kleinen Dingen.

Ich habe in Erfurt beispielsweise die Sorte von Veranstaltungen vermisst, die wir dann selbst gemacht haben. So ähnlich ist es auch mit dem Laden hier. Auch wenn das Bedürfnis und die Idee als Spinnerei schon länger in unseren Köpfen schlummerten, gab es einen Schlüsselmoment an meinem Geburtstag im letzten Jahr. Ich hatte die beiden zum Auflegen eingeladen und als wir nach der Sause gefrühstückt hatten, lief eine gerade neu herausgekommene Platte. Und als ich fragte, ob sie die auch schon hätten, fiel ihnen auf, dass sie gar nicht wüssten, wo in Leipzig sie die hätten kaufen können.

Beim Verabschieden meinten die beiden dann im Scherz, dass wir wohl doch noch einen Plattenladen aufmachen sollten. Ich habe dann hinterher gerufen: „Wenn ihr noch jemanden braucht, der guten Kaffee kocht, dann könnt ihr ja an mich denken.“ Ich hatte eh schon länger darüber nachgedacht, meinen Job zu kündigen und den Sachen die volle Aufmerksamkeit zu schenken, die ich vorher nur nebenbei gemacht hatte.Was waren Anforderungen an den Raum, den ihr gesucht habt?

Falk: Im Vergleich zu den Läden, die wir bisher kannten, sollte der Raum dazu animieren, einfach ein wenig länger sitzen bleiben zu können. Wenn du so eine kleine schmale dunkle Kammer hast, gehst du mal rein, guckst durch die Platten und trinkst vielleicht mal einen Kaffee, aber willst eigentlich so schnell wie möglich wieder los. Schön, dass dies hier teilweise wirklich schon funktioniert. Die Leute sind zwei, drei Stunden hier, chillen und trinken ein paar Kaffees. Ansonsten sind es eher die gesetzlichen Vorschriften auf die man achten muss und dass es bezahlbar bleibt.

Julian: Vom Funktionalen her war es auch wichtig, dass wir unseren Plan mit den drei Säulen Café, Plattenladen und Veranstaltungsraum für kleine Sachen auch umsetzen können. Wir wollten, dass hier 40 Leute Platz finden, wenn mal ein Screening oder ein Vortrag läuft. Mit drei Tischen in einem bistroartigen Zustand wäre das natürlich eine ganz andere Geschichte. Das wird aber alles noch richtig zum Tragen kommen und sicher wird dann auch verstanden, warum wir ein bisschen mehr Luft und Platz haben. Aber abseits der funktionalen Ebene ist für uns auch schön gewesen, viel Licht zu haben und den Platz zu genießen.

War es schwer, den Ort zu finden oder hattet ihr mehrere zur Auswahl?

Pascal: Es lief eher nacheinander. Es war nicht so, dass wir simultan sechs verschiedene Sachen offen hatten aus denen wir uns dann bewusst für eine entschieden hätten. Wir waren immer sehr auf eine Sache konzentriert und haben versucht, schnell zu entscheiden. Bei machen Angeboten hat es von unserer Seite her nicht geklappt, bei anderen von der gegenüberliegenden Partei nicht. Uns war wichtig, dass wir so viele Dinge wie möglich an einem Ort machen können und so wenig wie möglich auslagern müssen.

Generell war es uns ein Anliegen, möglichst viele Dinge inhouse zu gestalten. Julian hat die ganze Gestaltung für alles Visuelle übernommen, wir konnten auch viel vom Ausbau her selbst machen. Zwar schon auch mit der Hilfe von vielen anderen Leuten, aber eben mit viel autodidaktischem Geschick.

Das Label, das der Laden auch beherbergt, soll so viel wie möglich hier umgesetzt werden, sei es beim Vernetzen und Planen mit den Leuten oder beim Coverdruck. Klar, die Abendveranstaltungen, bei denen ein paar hundert Gäste bis frühmorgens tanzen möchten, kann man hier schlecht umsetzen. Das ist uns natürlich bewusst und es fühlt sich auch gut an, mit so etwas an einem anderen Ort sein. Aber grundlegend ist es ganz angenehm, so wenig wie möglich woanders machen zu müssen.

Abgefahren, dass ihr nun genau im aktuellen Leipziger Hot Spot gelandet seid. Hattet ihr vorher eine Beziehung zu der Straße und der Gegend hier?

Julian: Die Leute vom Riso Club in der Hermann-Liebmann-Straße sind Bekannte und Freunde von uns. Mit den Leuten vom Goldhorn sind wir auch gut bekannt. Die Connection war schon da, wir wohnen aber alle nicht hier. Es war auch kein Kalkül, hierher zu kommen. Die Räumlichkeit hat sich einfach als lukrativ und wohlfühlend ergeben und dann haben wir es einfach gemacht.

Pascal: Es ist trotzdem schwierig. Nicht falsch verstehen: Es ist klar, dass uns in der Außenwahrnehmung viele ein Kalkül unterstellen, dass wir bloß auf den Hype dieser Straße setzen und darauf warten, dass sie noch weiter aufblüht. Auf der anderen Seite gibt es hier aber auch nicht die Hundertschaften an Laufpublikum, die über eine Karl-Heine- und Zschochersche Straße oder im Zentrum durch die Südvorstadt flanieren.

Hier wohnen natürlich viele Studenten in den Parallel- und Querstraßen, aber es ist trotzdem noch immer eine roughe Gegend – vom Look und dem Gefühl. Wenn du hier auf die Straße gehst, hast du an den kleinen Parks und Straßenecken noch immer die Hustler stehen und im Casino gegenüber stehen mal sechs Sixpacks vor der Tür. Das wirst du auf der Könneritzstraße im schönen Schleußig sicher seltener sehen. Wir sind da irgendwo zwischen dem Gefühl, hier was Sinnvolles zu dieser Ecke beizutragen und dem Stenkern, die Gentrifizierung im Viertel mit anzutreiben.Gab es diesen Gegenwind tatsächlich schon?

Pascal: Mehrheitlich gibt es positives Feedback. Die Leute kommen hier rein und sind angetan, wie sich die Räume hier und draußen entwickeln und sind dankbar, dass es so etwas hier in der Ecke gibt. Aber es gibt auch Leute, die im Vorbeigehen nuscheln, wie furchtbar sie es finden, was wir hier machen. Aber die lassen sich wahrscheinlich selten für ein Interview anhalten und sind zu einem Dialog bereit. Ich glaube, da geht es mehr darum, kurz mal seinen Unmut kundzutun. Es hat sich jetzt aber auch nicht gehäuft. Im Vergleich zu dem Zuspruch, den wir bekommen, ist das verschwindend gering. Aber ich will nur sagen, dass es stattfindet – es gibt nicht nur Fans von der Sache hier.

Julian: Es ist auch ein starker Kontrast zu allem, was hier sonst ist. Es gibt nichts Vergleichbares und alles, was vielleicht ein ähnliches Publikum anspricht, ist auch meist noch kontrastreicher. Das meine ich ganz ohne Wertung. Wir gehen ja auch gern genau dorthin. Aber natürlich fallen wir im Vergleich etwas auf. Im Endeffekt ist es ja jedem selbst überlassen, wo er sich aufhält. Und wer dialogbereit ist, wird auch feststellen, dass wir nette Kerle mit einer guten Intention sind. Dass wir alles selbstgemacht haben und nicht etwas Schlechtes im Sinn haben.

Das ist schon ein Dilemma – einerseits super, dass es hier aufblüht, andererseits ist das aber auch nur Teil eines wiederkehrenden Ablaufs.

Pascal: Ich weiß nicht. Auch wenn ich im privaten Rahmen oft vorschnell im Fällen von Urteilen bin, würde ich schon ein wenig mehr Zeit lassen, bevor ich jemandem meinen Stempel irgendwo draufpacke. Wir haben jetzt seit kurzer Zeit erst geöffnet, wir werden nicht die fiesen Beck’s- und Heinecken-Leuchtkästen dran schrauben und bestimmt auch nicht die von Absolute Vodka gehosteten Vodka-Cocktail-Partys im Garten schmeißen und Scooter einladen.

Es geht im Kern darum, dass sich die Sache selbst trägt. Keiner hat vor, Millionär zu werden oder überhaupt irgendwas unfunky für die Gegend zu machen. Es soll schon etwas Stabiles sein, nicht nur ein temporäres Projekt. Wir nehmen es so ernst, wie es das unserer Auffassung nach nötig ist, damit es nachhaltig und auf einem bestimmten Level läuft. Auf der anderen Seite finde ich es auch schwierig, eine komplette Non-Profit-Sache zu machen, bei der jeder von uns dreien seine drei, vier Tage irgendwo anders arbeiten muss, um das hier tragbar zu machen. Es wäre nicht schlimm, wenn es so wäre, aber das Ziel ist, dass wir perspektivisch damit und davon leben zu können.

Julian: Wir haben auch alle einen kredibilen Hintergrund. Wir verkaufen nur Musik, die wir auch gut finden, picken uns da die Perlen heraus, die wir an die Leute bringen wollen. Wir kommen aus einem künstlerischen Hintergrund, sind selbst DJs und wir wollen nichts blenderisch verkaufen.

Wirklich spannend, dass ihr da in der kurzen Zeit bereits solche Bedenken um eine Außenwahrnehmung habt.

Julian: Es ist eine realistische Auseinandersetzung mit der Umgebung hier. Man muss ja auch realistisch bleiben – hier weht ein anderer Wind. Hier so ein Ding aufzumachen, ist einfach ein grundlegender Kontrast zu allem anderen. Und dass wird vielleicht deshalb auch stark und intensiv wahrgenommen. Aber nichtsdestotrotz: Es gibt mehrheitlich eine gute Response und wir genießen es auch gerade. Das ist ja der Laden, den wir uns gewünscht haben und wir sind davon überzeugt, dass es gut sein wird.

Aber ich war erstaunt, dass es für euch bereits so ein Thema ist – als ich davon zum ersten Mal gehört hatte, dachte ich: Wow, geile Ecke, geiler Style.

Pascal: So geht es uns meist auch. Das ist auch das, was bei allen außerhalb von uns dreien ankommt. Aber ich finde es immer auch wichtig, eine kritische Auseinandersetzung zuzulassen.

Julian: Es ist auch eine Reflektion der eigenen Arbeit. Man muss sich immer in den Kontext mit der Umwelt setzen. Wir sehen natürlich auch, dass es Kritik geben kann. Aber wir machen unser Ding so, wie wir es geil finden. Es soll nichts abprallen, wir wollen offen bleiben für konstruktive Kritik. Was waren große Herausforderungen auf dem Weg von der ersten Idee bis heute?

Pascal: Für mich war es der Kontrast zum vorherigen Leben. Davor hatte ich immer ein sehr konkretes Bild davon, wie mein Tag, meine Woche und mein Monat aussehen werden. Auch wenn sich Termine geändert haben und ich immer wieder mit neuen Leuten zu tun hatte, war die ganze Zeit von einer gewissen Stringenz geprägt. Und auch zu wissen, welche Summe auf deinem Konto landet, weil es einen Arbeitsvertrag gibt, der das fest regelt. Es war einfach leichter zu spiegeln mit dem, was am Ende des Monats auf dich zukommt.

Davon einen Schritt wegzugehen, war zumindest für mich einer der größten Steps, weil ich von meinem Elternhaus krass auf Sicherheit und Kontinuität gepolt wurde. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mir und allen anderen eingestehen konnte, dass das nicht mein Weg ist und ich mich mit der Ungewissheit wohler fühle als mit der Gewissheit, Dinge tun zu müssen, die mir vielleicht nicht für immer liegen.

Falk: Bis jetzt lief aber auch alles recht gut. Natürlich gibt es auch Sachen auf die man sich vorher einstellen muss. Etwa, dass man beim Ausbau auch bis spät abends in der fiesen Staubluft da ist, aber ich mache es gern, weil ich weiß, wofür ich es mache. Das ist eine andere Arbeitsqualität. Es braucht auch ein gutes Team. Wenn man es zu dritt macht, muss eine große Ehrlichkeit, Vertrauensbasis und eine gute Kommunikation da sein. Aber das hat bei uns von Vornherein direkt geklappt und deswegen ist bisher alles gut abgelaufen.

Pascal: Ich glaube, wir hatten eine relativ nüchterne und realistische Einschätzung der Sache. Wir haben keine Luftschlösser geträumt, haben aber auch nicht zu tief gestapelt. Als klar war, dass wir es machen, kam von so vielen Leuten der Spruch „Ah, das wollte ich schon immer mal machen, hat aber nie geklappt“. Ohne eine Form von Respektlosigkeit dachte ich da aber: Ja, mach es halt, es ist auch kein Hexenwerk. Du mietest eine Fläche, du bringst im besten Fall ein paar Jahre Background-Wissen und Authentizität mit.

Es gab keinen Punkt an dem wir dagesessen haben und dachten, dass damit keiner rechnen konnte und dass es unpackbar sei. Natürlich gab es ein paar Sachen, die uns gechallenged haben und bei denen wir schauen mussten, ob wir das auf einer Fertigungsebene oder einer monetären Ebene gestemmt bekommen, aber es hat auch keiner geplant, dass hier ein Marmorboden liegen muss und wir mit einem Stock von 5.000 Platten öffnen. Weil wir eben keine 16 oder 18 mehr sind, konnten wir es wohl relativ gut einschätzen, was das für ein Spektrum an Aufgaben mit sich bringt und ob man die in der Konstellation gewuppt bekommt.

Julian: Ich hatte auch von Anfang an das Gefühl, dass trotz der breiten Spektren der einzelnen Charaktere, was beispielsweise auch in der Musik auftaucht, die Schnittmenge immer so groß war, dass der andere nachvollziehen kann, was der eine nun daran gut findet, auch wenn man selbst gar nicht so tief drin steckt. Das hat mir das gute Gefühl gegeben zu wissen, dass man sich da zumindest auf einer ästhetischen und gestalterischen Ebene nicht in die Haare kriegen wird, weil wir alle einen relativ gleichen Geschmack haben. Es ist auch ziemlich wichtig, um eine Kontinuität im Zusammenarbeiten aufzubauen, dass man sich auf die Meinung und den Geschmack des Anderen immer verlassen kann.

Pascal: Ja, eine gesunde Menge an Überschneidung und Ergänzung. Die musikalischen Bereiche, die jeder von uns nicht abdeckt, deckelt irgendwie dann der Andere und so ist auch mit den Fähigkeiten. Beim Ausbau hat sich gezeigt, dass der eine besser streichen, der andere besser verspachteln kann und der dritte hatte mehr Ausdauer bei Dingen, die mehr Kontinuität und Geduld gebraucht haben. Es gibt wenige Sachen, auf die gar niemand von uns keinen Bock hat bzw. bei denen wir uns kloppen müssen, wer sie nun übernimmt.

Ist der Laden jetzt so, wie ihr ihn euch vorgestellt habt oder gibt es noch ein paar offene Stellen, die noch Zeit zum Wachsen benötigen?

Julian: Letzteres trifft da zu. Wir sind sehr zufrieden. So wie es jetzt ist, finden wir es sowohl funktional als auch ästhetisch gut, aber natürlich wird da noch viel dazukommen. Am Finalschliff sind wir noch nicht angekommen, aber so wie es jetzt ist, ist es ein sehr guter Abschluss mit der Eröffnung gewesen. Auch der Stock an Platten wird sich kontinuierlich weiter ausbauen – das passiert ja die ganze Zeit. Das gleiche gilt für die Veranstaltungsreihen. Um von außen zu verstehen, dass wir ebenfalls als Kulturraum agieren, als Raum, der auch Inhalt generiert und nicht nur verkauft, wird auch erst im Laufe der Zeit deutlicher. Und an den Veranstaltungen werden wir auch wachsen und schauen, wie wir noch mehr draufsetzen können.

Pascal: Es ist in keinem Fall ein Kompromiss. Manche Dinge sind momentan noch nicht auf den ersten Blick wahrnehmbar, entstehen aber derzeit noch. Das Label etwa, das an dem Laden dranhängt. Wir wollten nicht gleich zur Eröffnung alles Pulver verschießen mit eigener Platte, Vortrag und Screening. Es ist noch einiges an Potential für mehr da.Gibt es bei der Plattenauswahl einen besonderen Fokus auf ein paar Genres oder zählt auch hier ein breiteres Spektrum?

Pascal: In erster Linie geht es um gute Musik nach unserer Interpretation. Das ist natürliche eine komplette Definitionssache und auch so sehr wir alle drei mit HipHop und allem, was sich daraus entwickelt hat, groß geworden sind, so sehr es sich bei jedem etwas anders weiterentwickelt. Keiner von uns hat irgendwelche dogmatischen Vorstellungen, wie das letztendlich auszusehen hat. Wir hatten kein Excel-Sheet in dem stand, dass wir 200 Rap-LPs, 100 Jazz- und Soul-Platten, 50 Pop und 50 Broken Beat-Platten brauchen, sondern wir haben das eingekauft, was wir gut fanden.

Bei den Leipziger Labels wählt ihr auch aus?

Pascal: Wir versuchen schon, so breit wie möglich lokale Strukturen zu unterstützen. Das fängt nicht nur bei den Platten an. Wir haben die Plattenregale in der Behindertenwerkstatt der Diakonie bauen lassen. Auch unserer Kaffeemaschine haben wir nicht über eBay in Hamburg gekauft, sondern bei einem lokalen Partner, der einmal mit dem nötigen Hintergrundwissen und auch mit der entsprechenden Hardware auffahren konnte. So zieht sich das durch alle Bereiche bis hin zur Musik, wo unser Fokus schon darauf liegt, die supportenswerten Leute zu unterstützen.

Falk: Ich finde schon, dass durch die Bank alle Labels aus Leipzig coolen Kram herausbringen. Da muss definitiv viel davon rein. Man muss halt auch schauen, wie viel sie selbst noch vorrätig haben. Mit Tilman vom Ortloff und Alex von Kann Records habe ich neulich gesprochen, um zu erfahren, was man noch bekommen kann und die sind von ihren Platten so viel über die Vertriebe losgeworden, dass eigentlich nur noch von den letzten drei Releases was da ist. Wir versuchen es so gut wie es geht und schon mit einem gewissen Filter auf das, von dem wir denken, dass das gut funktioniert. Wir können sicherlich nicht von allen etwas reinnehmen, weil wir auch nicht alles auf Kommission machen wollen.

Julian: Abseits des Supports steht natürlich der Geschmacksfilter von uns dreien über allem. Wir wollen nur Musik anbieten, die wir auch gut finden und fühlen und die wir verkaufens- und anbietungswert finden. Es ist nicht so, dass wir alles reinnehmen und auf einer falschen Art Sachen an die Leute bringen.

Pascal: Es ist nichts kalkuliert und ich glaube, jede Platte, die hier im Regal steht – egal ob von regionalen oder internationalen Künstlern – würde man in einer unserer Plattentaschen auch finden. Es hat letztendlich etwas mit Authentizität zu tun und da gibt es genug in Leipzig, mit dem wir uns identifizieren können. In allen Genres, egal ob der organische House-Kram oder der etwas straffere Techno aus dem IfZ-Umfeld oder die ganzen Rap-Sachen, die Leipzig beherbergt. Aber eben auch neuere moderne gebrochene Sachen, wie die Defrostatica-Platten.

Julian: Äquivalent zu den Leipziger Labels verhält es sich auch zu den Leipziger Verlagen. Da müssen wir schauen, inwieweit wir künftig auch Magazine reinnehmen. Die Anbindung an die visuelle Kunstszene ist auf jeden Fall groß.Noch einmal zu eurem Label – das ist schon langfristig angedacht?

Pascal: Vielleicht mehr ein Imprint als ein Label. Diese Begrifflichkeit bietet eine Menge Angriffsfläche zum Sich-Lustigmachen. In vielen Rap-Texten passiert das ja: Was dir jetzt noch fehlt, ist ein Label und eine Klamottenmarke. Es soll dann passieren, wenn es sich richtig anfühlt. Wir werden jetzt nicht, um einen Rhythmus einzuhalten, jedes Vierteljahr eine Platte rausbringen, aber wenn es passiert, soll es schon richtig passieren.

Und soll es musikalisch auch various ausfallen?

Pascal: Ja, die erste Platte wird erstmal einen guten Einblick darüber geben, was musikalisch hier abgedeckt wird.

Falk: Es wird eine Compilation, ja. Mit Fokus auf HipHop- und Beat-Geschichten.

Pascal: Vielleicht ist dann die zweite Platte aber eine EP, der künstlerisch ein breites Spektrum abdeckt oder die musikalisch in eine Richtung geht, aber von unterschiedlichen Leuten kommt. Es gibt kein festes Regelwerk unsererseits.

Zum Schluss ein Ausblick auf das Programm. Was habt ihr konkret vor – Vorträge und Film-Screenings wurden schon angesprochen?

Falk: Ja, die beiden Dinge plus Instore-Gigs und Veranstaltungen außerhalb. Das sind schon eine Menge ambitionierter Sachen. Die ganze Idee des Mischkonzepts lässt viel zu, aber es soll trotzdem auch ein roter Faden drin bleiben. Es beschäftigt sich alles mit dem Kontext rundum die Musikkultur. Wir wollen verschiedene Facetten näherbringen.

Pascal: Es gehört ja alles miteinander zusammen. Das ist vielleicht nicht allen so bewusst oder sie hinterfragen das nicht weiter. Sie sehen einen Club und Künstler, die da spielen. Aber dass da 5 bis 10 Veranstalter sind, die ihre Abende hosten, wird nicht immer deutlich und wir möchten das Ganze etwas transparenter und greifbarer machen, indem man den Künstler einer Platte, die wir im Laden haben, hier auch mal treffen oder auf unserer Party spielen sehen kann oder dass man etwas zur Covergestaltung erfährt.

Seid ihr da noch offen für Input von außen, was die Veranstaltungen angeht?

Falk: Ja, jeder Zeit. Wir können nicht alles wissen. Jeder soll sich frei fühlen, seine Idee an uns heranzutragen. Wir müssen aber auch eine gute Möglichkeit haben, es uns anhören zu können, um uns ein konkretes Bild zu bekommen. Was nicht passieren wird, ist, dass wir die Räume vermieten werden für jemanden, der dann einfach freie Hand hat. Es soll schon immer zusammen mit uns geschehen.

Pascal: Es ist ein bisschen so wie mit den Platten von anderen Leuten. Entweder es passiert wirklich so, dass wir dahinter stehen können oder es passiert eben nicht. Eine Platte auf Kommission reinstellen, weil wir nur bedingt dran glauben, ergibt genauso wenig Sinn, wie die Fläche hier für etwas zu überlassen hinter dem wir nicht stehen. So sehr uns das Inhouse-Halten von Dingen am Herzen liegt – gar nicht so aus einem Protektionismus, sondern weil wir independent sein wollen – ist uns sehr daran gelegen, weiter Leute von außen dabei zu haben, um es abwechslungsreich zu halten. Und da darf sich jeder eingeladen fühlen.

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Fotos Vary-Leuchtkasten und Platten-Digging: vanRAW
Restliche Fotos: Vary Inhouse

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Mo-Sa: 10-20 Uhr

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Sehnsuchtsmedium Vinyl – Robyrt Hecht von Yuyay Records im Interview

Mit der achten Veröffentlichung forscht Yuyay Records nun auf Vinyl. Robyrt Hecht erklärt die Label-Mythologie im Interview.

Sechs Tracks von Sophus Y. Lie ‎gibt es hier zu hören, die wieder sehr in der verspielteren Seite der elektronischen Musik verankert sind. Vielleicht ist es dem Medium geschuldet, dass die Stücke diesmal fokussierter daher kommen und somit auch im Club prima einsetzbar sind. Wobei der Einsatz gut gewählt sein will: Die gesamte EP strahlt eine Wärme aus, die sämtliche winterliche Kälte sofort vergessen lässt und auch einen Gegenpol zu den meisten unterkühlten Electro-Platten bildet.

Wer genau aufpasst, hat bestimmt schon festgestellt, dass sich hinter den mysteriösen Namen neben befreundeten Musikern meist Robyrt Hecht selbst versteckt. Die sechs Stücke auf „Endomorphism“ stammen ebenfalls von ihm und zeigen eindrucksvoll sein Gespür für sehnsuchtsvolle, Detroit-inspirierte Harmonien und Sounds.

Woher die Inspiration für all das stammt, erzählt Robyrt Hecht im Interview. Nebenbei könnt ihr bei Bandcamp reinhören.

Yuyay ist vielleicht das einzige Label in Leipzig, das eine eigene Mythologie zur Musik erfindet. Woher kommt die Inspiration dafür?

Die Idee wurde natürlich von Drexciyas umfassendem Werk geweckt. Jener Hybrid aus einzigartiger Musik und Sci-Fi Geschichten multiplizierte sich dort zu etwas unbeschreiblich Größerem. Dies mit eigenem Charakter aufzugreifen war die Initialzündung von Yuyay.

Da ich zu dem Zeitpunkt ein Auslandssemester in Argentinien im Zuge meines Mathematikstudiums bestritt, fanden die Gedankengänge schnell zu einer Mixtur aus lateinamerikanisch-indigenen Kulturen und der Mathematik. Deshalb verarbeiten bei Yuyay Mathematiker das naturwissenschaftliche Nachwerk des Yskay Stammes.

Welchen Einfluss hat die Mythologie auf die Musik?

Die Rohfassungen meiner Stücke entstehen zumeist mit Jam-Charakter ohne initiale Einbindung in das Gesamtwerk. Monate später werden ausgewählte Stücke dieser ersten Versionen wieder aufgearbeitet; diesmal jedoch bereits im Kontext. Somit ergibt sich ein Ausgleich zwischem weitem Experimentierfeld und engem Mythologie-Konstrukt. Es schwingt im zweiten Prozess daher immer der Gedanke um die Kohärenz von Stück und größerem Werk mit.

Bezüglich Titel aus anderer Hand, die auf Yuyay Einkehr finden, geschah die Mythologisierung bisher erst mit der Wahl der Titelfolge, der Aufmachung und dem Geschichtsabschnitt. Und es gilt natürlich stets: den Einfluss des Beiwerks zur Musik bestimmt der Konsument – je nachdem ob er nur hört oder auch anderweitig wahrnimmt.

Wie gestaltet sich die Beziehung zwischen der Mathematik und der Musik für dich? Fließen mathematische Überlegungen in die Musik ein oder trennst du die beiden Welten vielmehr?

In der vormodernen Mathematik wurde stets versucht, gewonnene reale Eindrücke in ein Modell zu übersetzen, um die Realität besser verstehen zu können. Je komplexer dieses mathematische Modell wurde, desto mehr Erkenntnisse konnten aus dem Modell selber abgeleitet werden. Erstaunlicherweise wurden auf diese Weise wiederum reale Ereignisse beschrieben; es kam zum Fortschritt. Das heißt, die Realität führte zur Theorie, welche wiederum die Wahrnehmung der Realität erweitern konnte.

Genau in diesem Komplex sehe ich meine Musik als Realität. Diese kann ich durch Mathematik nicht ändern, wohl aber versuchen, sie mit mathematischen Gedanken zu verknüpfen. Je nach Ausgereiftheit kann dann dies wiederum zu erweiteter musikalischer Wahrnehmung führen, die in irgendeiner Form wieder Einfluss auf die Musik nehmen muss. Denn Beobachtung beeinflusst Wirklichkeit, wie wir aus der Physik wissen.

Gibt es Pläne, die Mythologie auch über andere Medien zu erzählen? Wird es irgendwann eine Roman-Serie geben?

Dem Artwork und der Podcast-Serie SYGNAL – audiolandschaftlich erzählende DJ Mixe – werden ja bereits Textstücke beigegeben; einerseits im Charakter eines Geschichtsbuches, andereseits als Auszüge eines Expeditions-Logbuchs. Gemeinsam mit der grafischen Gestaltung sehe ich derzeit ausreichend Multimedia-Komponenten.

Das Vorbild Drexciya schaffte es nur mit Tracklisten und Vinyl-Etchings viel größere Welten aufzuspannen. Yuyay ist da noch auf dem Weg die Kunst der maximalen Minimalität zu erlernen. Im Video-Bereich kann ich mir allerdings eine zusätzliche Komponente vorstellen.

Bisher sind die fünfte und sechste Veröffentlichung die einzigen Gast-Beiträge auf dem Label. Wer steckt hinter den beiden EPs?

Dass die Künstlernamen um die verstorbenen Mathematiker gewählt wurden, hat natürlich die Intention, das Augenmerk auf das Werk und weniger auf die Personalien zu lenken. Verkrampfte Anonymität soll dennoch verhindert sein; hinter der YUY006 „Axiomatic System“ stehen in wechselnder Konstellation Norman Hecht, Stephan Glowatzky, Radarfilm und Jasper Eberhard, deren Tracks in ein-abendlichen Hardware-Jams entstehen.

Auf der YUY005 „Volatile Increments“ sind je ein Stück von Nachtzug (Norman Hecht + Stephan Glowatzky) beziehungsweise Initial Gain (Nachtzug + Telebot) vertreten. Allesamt Leidenschafts-Musiker, lebhaft im Berliner Sumpf. Nachtzug durften einige Leipziger zuletzt live auf dem Open Air „Clear Memory“ im Spätsommer erleben.Die achte Veröffentlichung erscheint auch auf Vinyl. Welchen Stellenwert hat das Medium für dich?

Wie man dem Artwork seit der ersten Veröffentlichung entnehmen kann, war es von Beginn an das Sehnsuchtsmedium. Die Verbundenheit zu Musik auf glänzendem Vinyl in rauer Pappe ist nicht mit der zu Materiallosem vergleichbar.

Als DJ fahre ich komplett mit Schallplatte; für Yuyay ist nun der erste Schritt mit der achten Veröffentlichung getan. Dabei geht es hier auch vermehrt um Wahrnehmung. Die Flut an Veröffentlichungen jeglicher Couleur bewegt viele Menschen verständlicherweise dazu ihre Aufmerksamkeit nur auf materialisierte Musik zu lenken. Vielleicht erreicht Yuyay nun auch einige von ihnen.

Das Vinyl-Mastering stammt von Alek Stark, der mit Fundamental Audio ebenfalls ein Liebhaber-Label betreibt. Wie kam es zu dieser Wahl?

Alek Stark verschreibt sich seit jeher dem aus Kraftwerk, Breakdance und Sci-Fi inspiriertem Electro. Da die YUY008 zwar diesen Electro aufgreift, jedoch einen weniger computerisiert kalten Klang anschlägt als üblich, fand ich es spannend, mit ihm einen Mastering-Engineer zu wählen, der die eher melancholisch warme Atmosphäre der Stücke etwas in den klassischen Electro einfügt.

Robyrt Hecht Soundcloud
Yuyay Records Website
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2015er Nachlese #5 – Remix Remix

Mit dem heutigen Beitrag endet unsere Nachlese zu liegengebliebenen Releases des vergangenen Jahres. Im Fokus: drei Remix-EPs.

Johannes Beck „Beyond Pleasure And Pain – Versions“ (Mutual Musik)

Denn da gab es tatsächlich gleich mehrere Neuinterpretationen von Alben und einem Label-Backkatalog. Am größten zwischen Original und Remix fällt die Spanne bei Johannes Beck aus. Der Berliner hatte im Mai 2014 sein Album „Beyond Pleasure And Pain“ bei Kann Records herausgebracht. Eines jener Alben, die mehr auf Charakter als auf Funktion setzen und die mit ruhig-melancholischem Unterton zu den subtileren House-Alben gehören.

Anderthalb Jahre später brachte Johannes Beck nun die Remixe auf seinem eigenen Label Mutual Musik heraus. Mit Tristen von Aim, Stanley Schmidt von Rivulet Records und Of.Vincent’s von Dürerstuben wählte er drei Producer aus, die ebenfalls sehr einem feinstofflichen House-Sound verbunden sind.

Umrühren im gleichen Brei also? Ja und nein: Klanglich bleiben die drei in einer ähnlich nach nächtlicher Innerlichkeit klingenden Atmosphäre. Sie lenken die Sounds der Originale aber behutsam auf eine geradlinigere und aufgeräumtere Bahn. Mehr Dancefloor als  Home Listening. Das gelingt allen dreien gleichermaßen gut, macht aber zugleich den sehr eigenen Charakter der originalen Albums deutlich. Unbedingt mal wieder hervorholen.

Zuletzt kommt auch Johannes Beck noch einmal zum Zug mit einem Bonus-Track. „Schwarzer Zucker“ bewegt sich zwischen Electronica, Breaks und Avant-Pop, mit unterkühltem Gesang von Stella Eleven, begleitet von einem schwer drückendem Bass und sich immer wieder neu ausjustierenden Beats. Ein stiller Hit, der mit der Zeit wächst.

Various Artists „Cap d‘ O*RS“ (O*RS)

Kurz vor dem Ende eines eigentlich schon sehr ereignisreichen Label-Jahres tischte O*RS noch einmal groß auf: Neun Remixer nahmen sich ausgewählten Stücken des Label-Katalogs an und betonten sie mehr oder weniger offensiv neu. Darunter neben einigen Leipzigern auch Henry L & Ingo Sänger, Matt Flores, Johannes Albert und Perel.

Am besten gefallen mir dabei die Neubearbeitungen von Lootbeg und Duktus, weil sie sich aus der hier dominierenden klassischen House-Deepness herauswinden – hin in Richtung trockenen Acid und breakiger Beatmaker-Leichtigkeit. Ansonsten wagen sich die anderen sieben Remixe entweder nicht allzu weit weg von den Originalen oder sie glätten die angenehm ungewohnten Ansätze für den Dancefloor. Abgesehen davon, dass „Cap d‘ O*RS“ das hohe House-Niveau von O*RS beibehält, fehlt mir da insgesamt ein wenig die Spannung.

Erhältlich digital oder als limitiertes Tape.

Lake People „Purposely Uncertain Field Remixes“ (Permanent Vacation)

Zuletzt noch ein verspäteter Blick auf drei Remixe zum Lake Peoples Debüt-Album aus dem letzten Frühjahr. Die Auswahl sehr hochkarätig: Redshape, Lawrence und Map.ache. Das ergibt eine weit ausholende Range, die mit dem düster-neurotischen Redshape-Sound ihren Höhepunkt findet. Sein „Illuminated“ beginnt harsch, steigert sich später ins Epische und zerfasert nach hinten raus wieder – ohne die wehmütig-treibende Essenz des Originals aus dem Blick zu verlieren.

Lawrence überträgt das kantig-breakige „Drifting Red“ in ein federleichtes House-Bett mit kaum spürbaren Bassdrums und kilometerweit emporragenden Ambient-Flächen. Sehr glatt, aber nach einer längeren Abstinenz vom Lawrence-Sound auch wieder sehr anziehend.

Map.ache pusht das träumerisch schlendernde „Cooping“ schließlich auf ungewohnt rastlose und zugleich erfrischend lebensbejahende Weise, inklusive eines neues Vocal-Samples und eines gleißend hell aufleuchtenden Finales. Hier wird wirklich in drei Remixen der Rahmen der Originale erweitert. Daher die spannendste Remix-EP in diesem Remix-Trio.

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2015er Nachlese #4 – Eargoggle, Kan3da & Weltwirtschaft „Karl EP“

Weiter geht’s mit der Nachlese zu 2015: Auch Lunatic hat im Dezember eine neue 12″ herausgebracht, die wir euch nicht vorenthalten wollen. Mit der „Karl EP“ baut das Label seine Connection nach Schweden aus und veröffentlicht vier Tracks von Luke Eargoggle, Kan3da und Weltwirtschaft.

Erstgenannter trägt nicht nur mit seinem Label Stilleben seit 1998 dazu bei, klassischen Electro und Acid ins neue Jahrtausend zu überführen, sondern veröffentlichte auch Tracks auf Labels wie Bunker und Transient Force. Die beiden Kollegen Kan3da und Weltwirtschaft haben da es etwas schwerer, mit ihren Diskographien mitzuhalten. Glücklicherweise ist Musik kein Leistungssport oder sollte es zumindest nicht.

Bereits beim ersten Durchhören drängt sich ein Gedanke auf: Eigentlich wären die vier unterkühlten Tracks der „Karl EP“ die perfekte dritte Blackred-Veröffentlichung – allein, das Erbe ist bei Lunatic in besten Händen.

Straight auf den Dancefloor zielt die A-Seite der EP. Sowohl bei „Icelandic Lady“ von Eargoggle und Kan3da wie auch beim Kan3da-Remix von „Ocean Movers“ fallen die sphärischen Harmonien auf, die abhängig vom eigenen Gemüt wahlweise erhaben oder pathetisch klingen und auch auf der zweiten Seite auftauchen. „Ocean Movers“ ist hier aufgrund der Vocals der offensichtlichere Hit, der im Vergleich zum trockenen Funk des Originals mehr in den Weltraum abhebt.

Eine Spur mehr großstädtische Melancholie trägt „Die Ganze Welt“ von Eargoggle und Weltwirtschaft in sich. Vielleicht ist es das behutsame Zusammenspiel der einzelnen Elemente, vielleicht ist es der entrückte Soul des Stücks – „Die Ganze Welt“ ist für mich der stärkste Track der EP. Möglicherweise sieht das Label das genauso und gönnt ihm ein Video. Passend zum Track-Namen werden verfremdete Szenen des Planeten übereinander geschichtet, die zumindest für mich eigentümlich und bedrückend wirken.

Zum Abschluss blicken Eargoggle und Kan3da auf den Label-Katalog zurück und remixen „Astra“ von Jennifer Touch. Obwohl eindeutiger im Disco verankert, schließt sich auch hier der Sound an die anderen Stücke der EP an und bereitet das Stück damit für den Club-Einsatz etwas zugänglicher auf.

Insgesamt fällt beim vergleichenden Durchhören auf, dass die vier Stücke sich in ihren Zutaten und Herangehensweisen sehr ähneln, ja, fast formelartig produziert wirken. Im Rahmen der EP hätten stärkere Kontraste womöglich mehr Spannung erzeugt. Aber vielleicht zeigt sich ihre individuelle Stärke im DJ-Mix dafür umso deutlicher.

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Luke Eargoggle Soundcloud
Kan3da Website
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2015er Nachlese #3 – Sneaker „Algerian Raï“

Um das Uncanny Valley-Label Rat Life Records ging es hier schon einmal – ab nun wohl auch regelmäßig, denn Label-Head Credit 00 lebt mittlerweile auch in Leipzig.

An späterer Stelle soll das näher thematisiert werden. Heute steht erstmal die „Algerian Raï„ von Sneaker im Mittelpunkt, die bereits im November letzten Jahres veröffentlicht wurde. Doch das Zuspätschnallen wird mit einer inhaltlich wie musikalisch spannenden EP entschärft, die sich mit einer in Algerien beliebten Musik auseinandersetzt, von der ich vorher noch nie etwas gehört habe: Raï. Mir kamen die algerischen Wurzeln des Leipziger DJs Fouteur de Merde in den Sinn, also bat ich ihn um eine kleine Einordnung:

„Der Raï ist eine algerische Volks- und Populärmusik. Zentrum ist die Küstenstadt Oran, im Westen der algerischen Republik. Was im späten 19. Jahrhundert als einfache Hirtenmusik aus dem Umland Orans in die Stadt getragen wurde, entwickelte sich im 20. Jahrhundert zu einer rebellischen Bewegung der ungebildeten jugendlichen Unterschicht. Man sang über verbotene Themen und gesellschaftliche Probleme – Liebe, Frauen, Alkohol und was das Leben ausmacht. Nicht umsonst bedeutet das Wort Raï im Arabischen ‚mit einfachen Worten seine Meinung und Gedanken äußern‘. Auch heute noch spielt die Raï-Kultur eine große Rolle im Leben der algerischen Jugend und dient, ebenso wie damals, dem individuellen Ausdruck und Protest.„

In Algerien selbst war Sneaker zwar nicht, aber er stieß bei Internet-Recherchen auf der Suche nach Cumbia und russischem Wave der 1980er auch auf Raï. Die sehr präsenten Vocals der Originale wollte er aber nicht aufgreifen und mit klassischen House-Beats unterlegen. Kein Copy & Paste ohne historischen und kulturellen Kontext, wie er auf seinem Blog schreibt. Stattdessen hat sich Sneaker in die hypnotische Polyrhythmik des Raï eingegraben und sich auf das Instrumentale konzentriert.

Für den Titel-Track griff er dabei auf ein Raï-Tape mit instrumentalen Synth-Tracks aus den 1980ern zurück – mit schleppendem Beat zieht Sneakers Version entlang scheppernder und sirenenhafter Synth-Sounds von Raï-Samples und formt daraus ein sehr eigenwilliges Stück Slow-House, das gleichermaßen nördlich und südlich des Mittelmeeres aus dem Rahmen fällt.

Auch Fouteur de Merde kennt das Original: „Sneaker nutzt einen algerischen Raï-Klassiker als Inspiration für seinen Track ‚Algerian Raï‘ und unterlegt das traditionelle Stück mit einem für ihn typischen Down-Tempo-Beat. Er schlägt damit eine musikalische Brücke zwischen zwei Welten, die auch heute noch kaum unterschiedlicher sein könnten.“

„Haunted Samba“ und „Disco Sidekick“ entfernen sich dann wieder vom Raï und loten die Reduktion bis zum Äußersten aus, perkussiver und super karg in den Arrangements – Tools, die in ihrer effektiven und filigranen Einfachheit nach komplett entschlacktem Kraut-Techno klingen. Eine herrlich bemerkenswerte EP.

Vor wenigen Tagen kam übrigens die nächste Rat Life-EP heraus – dieses Mal von dem finnischen Techno-Pionier Mono Junk. Seit Anfang der 1990er ist er dabei – als Producer und Betreiber des Labels Dum Records, das den frühen finnischen Techno neben Sähkö Recordings entscheidend mitprägte. Verrückt, dass sein zweiter Frühling nun auch bei Rat Life zu erleben ist.

Andererseits passt der dunkel eingefärbte, unterkühlt und rau klingende Techno von Mono Junk bestens dahin. Doch mit den verhallten Vocals und den simplen Synth-Harmonien kommt noch extra Pop-Appeal dazu – ein Gemisch, das vor zehn Jahren in der Electro-Clash-Hochphase wahrscheinlich sehr steil durch die Decke gegangen wäre.

Vielleicht wäre es aber auch untergegangen und kommt 2016 als Solitär mit analoger Dark-Disco-Patina besser zur Geltung. Auf jeden Fall kann hier nicht von Retro die Rede sein – das hier sind unverfälschte Zeichen von jemandem aus den Anfängen des Techno.

2015er Nachlese #2 – MM/KM & Molto

Teil 2 unserer Nachlese über die spannenden Ausläufer von 2015 – heute mit drei Platten von Mix Mup und Kassem Mosse.

Der November und Dezember waren gute Monate für Fans der beiden. Erst kam eine neue MM/KM-EP, ein paar Wochen später dann ein Album von Mix Mup, das als Molto bei Ominira veröffentlicht wurde. Und schließlich eine weitere 7″ der Paid Reach-Reihe von Kassem Mosse.

MM/KM „Have You Seen Them“ (The Trilogy Tapes / Palace)

Doch zuerst ein Blick auf MM/KM und einer EP mit fast schon programmatischem Titel: „Have You Seen Them“ Eher nicht, so scheu wie sich die beiden abseits ihrer Live-Auftritte der Öffentlichkeit entziehen.

Fast kann der Titel als erweiterte Persiflage der „Track ID?“-Fragerei in den Kommentarspalten der DJ-Mixe gesehen werden, gehört die Celebrity-Inszenierung des künstlerischen und privaten Schaffens über alle Social Media-Kanäle längst zum Tagesgeschäft vieler Artists. Sich da rauszunehmen, kann natürlich auch schnell als Kalkül gewertet werden, um das Interesse zu steigern und einen Mythos heraufzubeschwören.

Es kann aber auch schlicht eine Lustlosigkeit gegenüber den gängigen Promo-Mechanismen oder ein Selbstschutz vor einen Hype-Moment sein. Am Ende ist es bei Kassem Mosse und Mix Mup einfach ein sehr selektiver und bewusster Ansatz, wo und in welcher Art etwas kommuniziert wird und stattfinden soll. Und darin sind sie trotz aller Verschlossenheit höchst effektiv.

„Have You Seen Them“ kommt wieder bei Will Bankheads Label The Trilogy Tapes heraus – wie schon das Debüt-Mini-Album der beiden vor knapp vier Jahren. Dieses Mal ist es allerdings eine Kooperation mit dem britischen Mode-Label Palace. Besonders toll die Artikelbeschreibung im Online-Shop:Die drei Stücke bewegen sich im abgesteckten Rahmen der beiden – zwischen rauen House-Arrangements und kleinteiliger bis ausladender Melodiösität. „Tane“ lotst sich abseits der Tanzfläche, als unberechenbare Spielerei, als Anti-These zur klassischen A-Seite.

Auf der anderen Seite sind dann mit „Chorus Beach“ und „Watching Gischt“ zwei Stücke, die trotz Rumpeln, Rauschen und Rasseln für MM/KM-Verhältnisse erstaunlich klar und eingängig strukturiert klingen, inklusive Folk-Gitarren-Touch. I don’t understand / What is KM/MM?

Molto „Versatile Service Internation“ (Ominira)

Eine andere Art der Kooperation der beiden gab es mit dem Molto-Album „Versatile Service International“, das Mix Mup auf Ominira, dem Label von Kassem Mosse im Dezember rausbrachte. Hier vermischt sich der Kunst-Kontext aus dem Lorenz Lindner alias Mix Mup ebenfalls kommt mit dem offenporigen Analog-Sound von Mix Mup zu einer neuen Form.

Wohl deshalb ist es eben kein Mix Mup-Album. Auch musikalisch ist es weit entfernt von dem, was sonst unter dem Pseudonym bekannt ist. Die 18 Stücke sind Fragmente aus losen Sounds, Field Recordings und Effekten, zwischen einer und vier Minuten lang. Irgendwo zwischen Ambient, Soundtrack und Avantgarde entlang gleitend. Von 2010 bis 2015 entstanden diese Aufnahmen in Deutschland und Frankreich. Claire Potter begleitet das Album mit Liner Notes, die vage Spannungsmomente zwischen Party- und Galerie-Erwartungen anreißen.

„Versatile Service International“ ist ein intensives Sammelsurium ohne feste Struktur, mehr Bildende Kunst und Performance als klassisches Musikalbum. Aber genau an der Schnittstelle bricht es sehr gut den mittlerweile durchaus festgefahrenen Sound von Kassem Mosse und Mix Mup auf und bringt eine neue Spannung herein.

Zum Vorhören sei der Boomkat-Player empfohlen.

Paid Reach „I Ping / Experience Change“ 

Aber auch Kassem Mosse bricht seinen Sound mit der Paid Reach-Reihe, die auf 7″-Vinyls höchst spartanische Techno-Skizzen featuren. „I Ping“ und „Experience Change“ heißen zwei neue Stücke. Rhythmisch verzogen klingen sie, als Loops hingejammt und roh belassen. Sounds für Zwischenräume oder organisch-abstrakte Kunstwerke, mit schräger Spannung beladen.

Vorhören geht auch hier gut bei Boomkat.

Und nicht verpassen: Kassem Mosse hat am Neujahrstag den Start ins neue Jahr mit einem unglaublich guten Mixtape versüßt. Erhältlich via WeTransfer.

Bild-Credits MM/KM: Palace
Bild-Credits Paid Reach & Molto: Airbag Craftworks

Mix Mup Website
Kassem Mosse Facebook
Ominira Website
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2015er Nachlese #1

Das neue Jahr ist da – aber es gibt noch ein paar Releases der letzten Wochen von 2015 vorzustellen. Die ersten vier gibt es heute.

Kumquat „Romance Revenge“ (A Friend In Need)

Los geht es mit der letzten EP von A Friend In Need, die das Amsterdamer Duo Kumquat mit drei Tracks bespielen durfte. Sie nutzen den Raum für fluffig-weichen Deep House und einem HipHop-Sidekick. Besonders letzterer entpuppt sich als echte Perle. Einerseits lebt „Times Like These“ von einer lässig-nickenden Beatmaker-Attiüde, die zwischendurch von einem beiläufig mitgeschnitten klingenden Spoken Word-Sample aufgelockert wird, andererseits behält das Stück über die gesamte Länge eine subtile Spannung.

„Romance Revenge“ und „The Honeymoon“ gleiten hingegen kantenlos durch die abgesteckten Felder des klassischen Deep House. Sehr solide und smooth, aber auch ohne wirklich inspirierenden Kick. M.ono von Rose Records konzentriert den Schub von „The Honeymoon“ mit seinem Remix zu einem pastellgefiltertem, federnd galoppierenden House-Track.

M.ono & Luvless „Getting Down“

M.ono & Luvless waren im Dezember beim Stamp The Wax-Adventskalender mit einem unveröffentlichten Track vertreten. „Getting Down“ reiht sich nahtlos ein in den flockig-sanften House-Sound der beiden. Interessanter der Nebenaspekt: Die Erlöse des Kalenders gingen an Help Musicians, einer britischen Initiative, die in Not geratene Musiker finanziell unterstützt.

Sven Tasnadi „Magic 29“

Auch Sven Tasnadi haute kurz vor Weihnachten noch einen Free-Track via Soundcloud raus. Piano-House mit Streichern und scheinbar auch einem Augenzwinkern – so klingt „Magic 29“ zum Abschluss eines Jahres, das für ihn mit seinem zweiten Album „All In“ durchaus wichtig war.

Cuartero „Shadow EP“ (Moon Harbour Recordings)

Nach dem großen 15-Jahre-Reigen von Moon Harbour verabschiedete sich das Label mit einer EP des Spaniers Cuartero aus dem Jahr 2015. In den vergangenen Jahren war er bei Moon Harbour in zwei Kollaboration mit Waff und Sabb zu hören.

Hier nun also solo. Und was wirklich gefällt, sind die packenden Bassdrums, die den loopigen, soul-geteasten Tracks eine gute Kantigkeit verleihen. Und dreimal ein enorm hohes Energielevel, das klar auf die Peaktime abzielt. Aber irgendwie eben auch packend.

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Sven Tasnadi Facebook
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Walter Schulze „Water On Mars“ (Edition Schulze)

Neuigkeiten von Karl Marx Stadt: Nach dem Start seines eigenen 7″-Labels Karl Marx Land, seinem Umzug nach Leipzig und diversen Remix- und Compilation-Beiträgen meldet er sich nun mit seinem jüngsten Alter Ego Walter Schulze zurück.

Walter Schulze? Da war doch was! Auf unserer Support-Compilation „Electronic Music Leipzig“ könnt ihr bereits ein Stück von ihm hören. Nun gibt es die erste EP „Water On Mars“ auf Edition Schulze, die sich dem experimentellen Space-Ambient von Walter Schulze widmet. Fast zwanzig Minuten Gesamtlänge ergeben die drei Stücke, die direkt vom roten Planeten zur Erde geschickt wurden.

Erst kürzlich entdeckte die Nasa Salzspuren auf dem Mars, welche die Existenz von fließenden Wasser beweisen. Eine Sensationsmeldung für die Wissenschaft, ist Wasser doch eine grundlegende Notwendigkeit für Leben. Was bei den einen Begeisterung auslöst, löst bei anderen nur Schulterzucken aus. Und dann gibt es noch diejenigen, für die solche Nachrichten Anlass zum Träumen und zum Erdenken von Geschichten sind. Die unzähligen Sci-Fi-Romane und -Filme fallen euch bestimmt selbst ein.

Walter Schulze nutzt Modular-Synthesizer für seine Interpretation einer Reise auf den Mars. Wie fremdartig und faszinierend diese lebensfeindliche Umgebung wirkt, lässt sich kaum besser beschreiben als mit seiner Form von trippigen Space-Ambient. Eigentlich kalte, mäandernde Sounds umkreisen einfache, sich wiederholende Grundmelodien. Trotzdem strahlt die Musik eine Wärme aus, vielleicht, weil sie an alte, utopische Filme erinnert. Retro-Futurismus im besten Sinne also.

Der erste Track „Ankunft auf dem roten Planet“ gibt nicht nur die Fremdartigkeit des Mars wieder, sondern auch die Anspannung ob der Frage, was die Besucher wohl erwarten mag. Mehr als elf Minuten erkundet Walter dann den Planeten im zweiten Stück der EP „Walter On Mars“. Während die ersten vier Minuten quasi schwerelos vergehen, scheinen sich die Geheimnisse des Planeten ab der fünften Minute blubbernd und schnatternd zu offenbaren.

Wer dann im dritten Track wohl den „Funkspruch zur Erde“ sendet, lässt sich schwerlich heraushören. Vielleicht ist es ein sichtlich verstörter Walter Schulze, vielleicht aber auch seine Begegnung auf dem roten Planeten. So oder so, es ist das Ende eines verrückten Trip auf den Mars, gleichzeitig aber erst der Start der Edition Schulze.


Ihr wollt weiteren experimentellen Ambient von Walter Schulze? Hier gibt es noch den Mitschnitt eines Live-Sets im Elipamanoke:

Walter Schulze Bandcamp
Walter Schulze / Karl Marx Stadt Facebook
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