Überraschung und Scham

Ich muss gestehen, dass ich Frankmans Label etwas aus den Augen verloren habe. Dabei hat sich die wackerste Deep House-Adresse von Leipzig noch einmal aufgerappelt und legte in diesem Sommer vier digitale EPs vor.

Es ist schon komisch, es wirkte in der Vergangenheit oft so als sei es um Frankman stiller geworden nach seiner Hochphase um das Album „Different Divides“. Der Blick auf seine Diskografie widerlegt dieses Gefühl jedoch unmissverständlich. Andreas Greiner Jr. ist nur niemand, der laut nach draußen posaunt.

In diesem scheint aber dennoch wieder mehr zu passieren: Allein drei EPs kamen in diesem Jahr schon von ihm heraus. Wobei „Selected Works Vol. 1“ eine dreiteilige Rückschau auf sein Schaffen ist. Drei Tracks aus der Zeit zwischen 2002 und 2007.

Mit „Sunset“ kommt ein neues Stück – ein Zwölf-Minuten-Epos, das ganz behutsam verschiedene Spannungsbögen aufbaut, sich insgesamt aber doch sehr homogen entfaltet. Das ist klassischer, deeper House-Stuff, der aber selbst in der derzeitigen House-Renaissance irgendwie etwas altbacken klingt. Im „Mwua Remixs“ – wahrscheinlich von Frankman selbst – gewinnt das Stück dann überraschend an Dynamik. Allein wie präsent und tight die Bassdrum ausbricht und selbstbewusst den leiernden Synthie-Flächen entgegen tritt. Das ist groß.

Wuttig-Reuter-MarbellaÜberraschend auch die EP „Marbella“ von Wuttig & Reuter. Dort hätte ich die beiden „Kommerzer“ aus dem Shooting Allstars-Umfeld, wie Jan Wuttig neulich sehr sympathisch Selbstironie bewies, nicht erwartet. Hier kommt aber ihre erste richtige eigene EP – bei Ostwind und Mancha Recordings teilten sich die beiden noch die EPs mit anderen.

Die FM-Verbindung ist übrigens schnell offenbart: „All tracks written and produced by Andreas Greiner Jr.“ steht in der Unterzeile. Wuttig & Reuter sind demnach eher die Kuratoren für ihre Tracks. Und da heißt es offensichtlich: Straightere Beats und etwas mehr Rave-Appeal. Eigentlich ziemlich spannend, wie in den zwei Tracks „Marbella“ und „Fuengirola“ zwei Herzen schlagen: Die bekannte Frankman-Deepness, und der Pre-Peaktime-Druck eines DJ-Duos zwischen Tresor, Nachtcafé und Charleston Nischwitz.

Das ist aber weitaus weniger aufgeladen und funktional aufgepimpt, wie man im ersten Moment vermuten würde. Dafür halten die beiden Gegenpole doch ganz gut die Balance. Für FM-Verhältnisse ist diese EP aber doch auch recht straight.

Marvin-Zeyss-HerzVor gut einem Monat erschien schließlich die letzte FM-EP – von dem Nürnberger Marvin Zeyss, der in diesem Jahr mit sechs digitalen EPs gestartet ist. Bei „Herz“ muss ich mich erstmals bei FM wirklich fremd schämen – der ganz leicht angeraute Tech-House-Mix ist okay, aber das Vocal zerrt diesen Track in die Afterhour des ZDF-Fernsehgartens.

Soulig-säuselnde Frauen-Vocals sind ja in House-Tracks ganz generell schwierig. Aber auch noch auf Deutsch? No way! Da hilft auch der Frankman-Remix nichts. Mit „Move On“ versucht es Marvin Zeyss dann noch einmal mit einem Männer-Vocal – auf Englisch. Aber wieder mit diesem unsäglichen Sex-Appeal, der House irgendwann vor zehn Jahren zu belangloser Lounge-Wohlfühlbeschallung hat werden lassen. Da fehlt jeder Crisp. Wuttig & Reuter sind Helden dagegen. Aber eigentlich fehlen mir die Worte, wenn ich an diese EP denke!

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Instabile Statik

Oh, die Überschrift klingt so negativ. Dabei gehören Statik Entertainment und Instabil bekanntlich zusammen. Im September bringen beide Labels zwei neue Veröffentlichungen heraus, die alles andere instabil und statisch sind.

Daniel Stefanik ist nach seinem überraschend ruhigen und experimentellen Album „Reactivity“ im Herbst 2008 ja recht schnell wieder ins Tagesgeschäft der geraden Bassdrums zurückgekehrt – wenn auch einerseits ungewöhnlich technoid auf Oh! Yeah! und Be Chosen und andererseits ungewöhnlich housig auf Kann Records und Bangbang.

Mit der Statik 34 wird einmal mehr klar, dass dieses Label ein Rückzugsort für Stefaniks dunklere und roughere Seite bleibt. „Transmediale“ ist spannungsgeladener Track, der die klangliche Offenheit und die rhythmische Eleganz von Minimal mit dem rauen Charme von Techno in Einklang bringt.

Besonders in den Phasen, in denen schmutzige, hektisch umher wirbelnde Acid-Sounds den Sound dominieren klingt der Track wie eine Zeitreise zu den Techno-Anfängen.

In der „Reshape“-Version verdichtet Stefanik den Tracks und reduziert ihn damit so sehr aufs Wesentliche, dass er sich mühelos über 11 Minuten ausbreiten kann, ohne an Spannung einzubüßen. Einen ganzen Tick besser finde ich das Reshape dadurch.

Instabil-File-Under-Dub-3Der „Transmediale“-Platte beigelegt ist übrigens die neue Instabil-Compilation. Wieder ist sie voll gepackt mit Künstlern, die in der Dub- und Netlabel-Szene wahrscheinlich schon eine gewisse Bekanntheit erlangt haben, die mir aber doch wenig sagen. Dubatech, Näköradiomies und P.Laoss ausgenommen.

In der Gesamtheit fällt sie dieses Mal sehr breit gefächert aus. Der reine Dub-Techno taucht nur noch bei der Häfte der Stücke auf. Stattdessen werden die Dub-Elemente behutsam in anderen Kontexten hörbar. Bei Fischerle, Ozka, Pandemrix und P.Laoss ist es eher House. Das ist nachvollziehbar, weil auch Dub-Techno irgendwann an seine kreativen Grenzen kommt.

Zwei Tracks stechen für mich am meisten heraus. Einmal „1111“ von Smiling Faces. Diese anskizzierte, latent euphorische Detroit-Rohheit hat mich schon bei Actress geflasht. Hier tut sie es ein weiteres Mal. Genau in die andere Richtung zieht das Stück von Time For Trees feat. Layden Bryant – ähnlich der Burial-Reihe von Rhythm & Sound wird hier der direkte – unheimlich bassstarke – Schnittpunkt zwischen gedrosseltem Techno und Dub herausgearbeitet.

Instabil bleibt also in Bewegung und auf weiterhin hohem Niveau digital unterwegs.

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Dan Drastic & Andreas Eckhardt „Help EP“ (Rrygular)

Dapayks Label Rrygular hat ja schon des Öfteren die Fühler nach Leipzig ausgestreckt. Anfang August war es wieder soweit und es brachte eine überraschende Kollaboration hervor.

Überraschend einmal, weil es den Distillery-Resident Andreas Eckhardt erstmals auch als Producer offenbart. Und überraschend, weil es Dan Drastic von einer sehr technoiden Seite zeigt. Die „Help EP“ ist nebenbei ein Verweis auf die gemeinsame Party-Reihe im Sweat und Café Waldi.

Der Titel-Track marschiert ziemlich großspurig los, behält aber trotz der klaren Richtung eine subtil-rauschende Spannung. Selbst das Vocal ist alles andere als anbiedernd. Das klingt nicht nett, das will eigentlich nicht bei Tageslicht auftauchen. Auch die schroffen Chords suchen die Dunkelheit. Doch es passt. Der Drive, das Spiel mit Funktionalitäten und Brüchen.

Der Dan Drastic-Remix von „Help“ überrascht dann fast noch mehr, legt er doch an Druck und roughen Sounds noch zu. Das können auch die Perkussions und die leicht housigeren Chords nicht abfedern. Solchen Techno hätte ich von Dan Drastic nicht erwartet, umso mehr freut der neue Blick.

Auf der B-Seite wird es dann ruhiger und minimaler – „Enjoy“ setzt auf abgefederte Beats und legt den Fokus stärker auf das Vocal und die Chords. Genau das Gegenteil der anderen Seite. An sich nicht schlecht, nach dem tighten Höhenflug von eben aber ein harter Kontrast.

Vielleicht muss man beide Seiten aber auch einfach getrennter von einander sehen. Denn zusammen mit „Thank You For Traveling“ bleibt die B-Seite stimmig. Etwas mehr Tempo und etwas positiven Appeal hat das Stück zwar, aber in seinem minimalistischen House-Gewand passt hier hin. Und es bildet den Link zu dem Sound, den ich sonst von Dan Drastic kannte. Mal sehen wie sich Andreas Eckhardt entwickelt.

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Sieben Inch

Die 7“ – was für ein schönes Format für kurze, schnittige Tracks, die schnell raus wollen. An diesem 1. September sind gleich drei neue 7“-EPs mit einem Leipzig-Stempel herausgekommen.

Die erste 7“ in diesem Trio der ungeraden Beats kommt von LXC. Dieses Mal bei dem Hamburger Label Sozialistischer Plattenbau, wo er schon im letzten Jahr auf einer 7“-Split zu hören war. Jetzt also eine eigene Platte mit zwei Tracks, deren Entstehung überraschend offen dokumentiert wird vom Label, wohl auch weil sie beide so eng mit einander verknüpft sind.

„Lyzerk“ entsprang einem Zusammenspiel von der Acidlab Bassline, Vermona DRM und Alpha Juno 2. „Lyzwerk“ wurde dann durch einen Wolf aus Roland 606 und SH-101 gejagt. Geiles Fachsimpeln, bei dem allein schon das Nachsprechen der Worte ein gutes Gefühl bringt. Beim bloßen Hören der Tracks denke ich hingegen an kleine, widerspenstige Acid-Monster, die sich langsam und holprig bewegen – vor einem hallig-sakralen Hintergrund.

„Lyzwerk“ klingt einerseits kompakter und von den Beats her mächtiger, zugleich durch die Delays aber auch zerfranster. Dagegen ist „Lyzerk“ richtig klar abgesteckt in seinen Sounds. Nach drei vier Minuten ist auf allen Seiten Schluss. Damit ist aber auch einfach mal alles gesagt.

Solo-Banton-Maffi-NoJahtari hat sich mit der Maffi-Serie über die letzten Jahre hinweg eine tolle Plattform für Pop-Hits aufgebaut. Jetzt gibt es eine Doppel-Nummer mit Solo Banton. „No“ hat neben tiefer Stimme und tiefem Bass einen Hauch Disco-Glitzer angelegt. Komischerweise schimmert der an manchen Stellen auch bei „Dancehall Nice Again“ hervor. Ist das alles ein Thema? Eine Session?

Auf jeden Fall ist Solo Banton hier nicht allein. Er wird von Trevor Irie am Mikrofon unterstützt – mit einem sehr smoothen Gesang im Refrain. Der bringt eine gewisse Trägheit in das Stück rein, das sonst ordentlich Dampf hat. Die Disrupt-Versionen der beiden Stücke gefallen mir dann beinahe noch besser. Gerade bei „No“ ist der Sound sehr kompakt und angenehm weich gezeichnet. Außerdem ist es alles weniger hektisch, weil der Gesang fehlt.

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Ron Deacon „Sunday Walk EP“ (Falkplatz Daten)

Oh mann, manchmal verstehe ich die Labels nicht. Warum kommt diese EP nur digital heraus? Zwar ist das Format eigentlich egal, aber diese neuen Tracks von Ron Deacon hätten das sanfte Abtasten eines Plattenspielers verdient.

Immerhin ist die „Sunday Walk EP“ das Debüt für den digitalen Ableger von Oliver Deutschmanns Label Falkplatz. Und die ist für ein Digital-Release unglaublich groß besetzt. Sascha Dive und Ingo Sänger als Remixer allein würden viele Labels schon dazu ermutigen durchschnittliche Tracks auf Platte rauszuhauen. Insofern ist es natürlich auch mutig sich von dem Format-Dogma zu lösen und auf das Königsformat zu verzichten.

Musikalisch überrascht mich Ron Deacon vollends mit seinen zwei Tracks. Nicht dass ich annahm, dass sein glatter „Secret Garden“-Deep House eine strenge Linie vorgibt. Aber „Sunday Walk“ und „Tune In“ sind so wunderbar angeraute und entschleunigte House-Tracks – damit hätte ich irgendwie doch nicht gerechnet.

Bei „Sunday Walk“ fällt auf, wie hier eine klare Straightness in Zeitlupe durchgespielt wird. Und wie selbstbewusst Ron Deacon längere rhythmische Pausen setzt. Dadurch entstehen trotz der Langsamkeit tolle Spannungen. Der dezente Disco-Appeal gesellt sich da auch ganz stimmig dazu.

Sascha Dive greift die Straightness des Originals auch auf, er verstärkt sie sogar noch in Richtung Techno. Und er überzieht den ganzen Track mit einem düsteren Schleier. Das passt sehr gut.

Dagegen ist der Ingo Sänger & Henry L-Mix von „Tune In“ in fader Weise auf Deep House-Linie gebracht. Unnötig lässig und positiv gestimmt. Gerade weil das Original mit seiner spröden Art so überzeugt.

Die Sounds sind einzeln voller Deepness, in ihrem Zusammenspiel klingen sie beinahe eingestreut und lose verknüpft. Das gibt dem Track jenes Gefühl des Unfertigen, das ich bei „Secret Garden“ so vermisst habe. Und das Tempo, unglaublich. Ich bin für mehr Langsamkeit. Da wirken die Sounds viel intensiver.

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Various Artists „Don’t Turn Around“ (Kann Records / Mikrodisko Records)

Seit gestern ist sie nun draußen, die gemeinsame Platte von Kann Records und Mikrodisko Records. Neben tollen HiHats hält sie einige Statements bereit.

Es hat sich ja schon länger rumgesprochen, dass die beiden Labels eine gemeinsame Platte herausbringen. Und doch überrascht es mich immer noch. Für Mikrodisko ist es das erste Lebenszeichen nach über zwei Jahren. Kann Records hat in der Zeit Laufen gelernt. Musikalisch gehen beide eigentlich recht deutlich auseinander.

Dennoch eint beide Labels etwas: sie sind eigenwillig und ihre Platten sind kleine Statements. Statements für ein Verständnis von elektronischer Clubmusik bei dem die Zwischentöne wichtiger sind als die Bassdrum. In den Zwischentönen unterscheiden sich beide dann aber wieder. Bei Kann sind es die Deepness und die Lässigkeit, bei Mikrodisko wiederum das Roughe und das Spontane, was mich immer wieder anzieht. „Don’t Turn Around“ dokumentiert dieses Spannungsverhältnis aus Gemeinsamkeiten und Unterschieden zweier Brüder im Geiste nun auf einer EP.

Map.ache spricht zweimal für Kann. Bei „Carnival“ still und behutsam, sehr melodisch und ruhig, fast schon post-rockig. Eine ähnlich positiv gestimmte Melancholie klingt auch bei „Staten Island Aquarium“ durch, wenn auch etwas forscher. Wunderbar hier sind die HiHats am Anfang, wie sie immer wieder wegziehen.

Kann-Records-Mikrodisko-2Auf der Mikrodisko-Seite ist einmal Besuch aus Hamburg zu hören. Nike.Bordom kenne ich von Dial, das ist aber auch schon vier Jahre her. Ihr „Substitute“ ist ein House-Electro-Hybrid, musikalisch genau richtig ausjustiert zwischen Reduktion und Eleganz. Selbst in den Phasen in denen die Electro-Seite die Überhand gewinnt. Nur die Vocals stören mich. Warum säuseln die so? Die überladen die Balance.

Bei Mix Mup und Kassem Mosse dann der Beweis wie hell ungeschliffene Diamanten schillern können. Wie hingerotzt die Bassdrums und HiHats klingen. Dann noch etwas kantiger Funk und viel Rauschen dazwischen. „We Beat This Thing“ ist durch und durch ein Statement und passt genau auf diese Platte.

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Achtung! Klebt!

Jetzt ist die frohfroh-Print-Trilogie perfekt – die Aufkleber sind nämlich angekommen.

Ganz in Weiß mit schwarzer Schrift, matter Oberfläche und gewohnt klarer Ansage kommen sie daher. Noch etwas klebrig an den Seiten. In den nächsten Tagen werden sie im Freezone in der Kochstraße 10 zu finden sein. Vielleicht noch an verschiedenen anderen Orten. Und dann seid ihr dran – klebt was das Zeug hält.

Kassem Kassem

Wow, es gibt gerade einen kleinen Kassem Mosse-Schub. Zwei Platten mit neuen Stücken von ihm sind in den letzten Wochen rausgekommen. An ganz unterschiedlichen Stellen.

Den Anfang machte im Juli eine Split-EP auf Laid, einem noch recht frischen Sublabel von Dial Records aus Hamburg. „Workshop EP“ heißt die und es ist quasi eine Zweier-Klassenfahrt der Workshop-Label-Crew zu der Kassem Mosse ja auch gehört. Neben einem unbetitelten Track von ihm ist auf der B-Seite noch ein Track des Workshop-Betreibers Lowtec enthalten.

Kassem Mosse nimmt sich Zeit für einen 10 Minuten-Flug. Zum Start gibt es eine diffuse Spannung aus stolpernd-geraden Beats und latent durchscheinenden Vocal-Samples. Dann hebt der Track langsam ab – mit melancholisch ausschweifenden und Patina überzogenen Chords.

Mir fällt niemand außer Lowtec ein, der mit diesem etwas antiquiert-reduzierten Sound so zeitgemäß klingt, der so viel hagere Deepness und Wehmut in seine Stücke bekommt. Wahrscheinlich ist das Afterhour-Musik, aber sie bewegt auch noch an einem Mittwoch Mittag.

Es gibt übrigens noch einen anderen Verweis von Kassem Mossem ins Dial-Umfeld. Und zwar remixte Kassem Mosse vor einigen Monaten auch einen Lawrence-Track für eine Compilation des US-Labels Spectral Sound. Und? Auch da schwelgerisch-kantige Schönheit.

Kassem-Mosse-We-Speak-To-ThoseDie andere Platte ist etwas überraschender verortet, nämlich bei dem britischen Label Nonplus, auch ein noch junges Label mit einem überaus breit ausgelegten Sound – Drum’n’Bass, Dubstep, Techno, House, so dass dort auch Actress, Instra:mental und Skream ihren Platz finden können.

Kassem Mosse nutzt die stilistische Weite und er lässt sich sogar mal wieder auf Tracknamen ein. „We Speak To Those“ ist ein rough geschnittener, langsam wirkender Techno-Track mit tiefer Bassline, trockener Bassdrum und einem beiläufig aufflackerndem Chord, der diesem eingedunkelten Stück doch noch Wärme einhauchen kann.

„Hi Res“ ist dagegen ein Stück, das in seiner Entrücktheit so filigran und zugleich so brüchig klingt. Break-Beats, Rauschen und schwebende Chords – und alles so gedrosselt. Da hätte Alphacut auch anklopfen können.

Demnächst geht es übrigens weiter mit Kassem Mosse auf der Split-EP von Kann und Mikrodisko.

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Digitaler Sommer

Der Sommer ist toll. Aber nicht vor dem Computer. Daher war es hier über die letzten Wochen auch etwas stiller als sonst. Es gilt einiges aufzuholen, was zuletzt in dieser Stadt passierte. Los geht es mit einem digitalen Überblick.

Eigentlich komisch, dass es in meinem Kopf noch immer die Kategorisierung nach Formaten gibt. Aber irgendwie ist es auch reizvoll drei musikalisch völlig verschiedene Veröffentlichungen aus genau diesem Grund gemeinsam in den Fokus zu rücken.

Immerhin gibt es auch genügend Labels und Künstler die sich vom Dogma des physischen Tonträgers nicht beeindrucken lassen – oder das Digitale zumindest als eine eigenständige Form der Verbreitung zu nutzen wissen. Darin zumindest sind sich Analogsoul und Instabil einig – beide Net- bzw. Digital-Labels veröffentlichen ausschließlich digital, in deren weiteren Rahmen gibt es aber auch CDs und Vinyl-Platten.

Analogsoul nutzt seinen digitalen Ableger für Newcomer. Und da sind in letzter Zeit auch einige sehr viel versprechende ans Tageslicht gekommen. Ich denke nur an Anda oder Rio Blanco. Deef + Freunde könnten sich da einreihen. Die EP „Kolonie“ hat viele verwunschen klingende Momente – einiges erinnert mich sogar an den tollen Marsen Jules der unheimlich elegische, im besten Sinne langatmige Ambient-Stücke produziert.

Bei Deef und seinen drei Freunden kommen neben der verhallt mäandernden Elektronik noch mehrere Gitarren dazu. Der Sound hat etwas wunderbar naturalistisches, als ob jemand mit einem Segelflieger über den Wald fliegt und die verschiedenen Düfte aufnimmt um sie in Töne umzuwandeln. Nur einen Aussetzer gibt es: Das letzte Stück der Trilogie „Utopische Angelegenheiten“. Da ist mir die Mischung aus Laptop-Reggae, 8bit-Niedlichkeit und Ambient zu plump und nicht stimmig genug. Auf dem Analogsoul-Blog gibt es übrigens ein Interview mit Deef zu lesen.

P-Laoss-Dub-ShadesBei Instabil geht es mit deepen Dub-Techno weiter. Von P.Laoss höre ich das erste Mal, obwohl er im digitalen Dub Techno-Bereich schon einige Veröffentlichungen aufweisen kann. Was auffällt an den beiden Stücken des Schweriners sind die Aufgeräumtheit und die geschliffenen Sounds – bei „Dub Shades“ wird dies noch deutlicher als bei „Kiwi Fruits“, der etwas rougher ist.

Das Problem an solchen Stücken ist aber generell, dass sie in ihrer Deepness viel Raum auftun. Sie rauschen aber auch sehr haltlos vorbei. Das ist Musik für den Moment, nichts was man lange mit sich nimmt. Vielleicht macht gerade das Dub Techno auch aus. Im Martin Schulte-Remix wird „Dub Shades“ dann noch stärker auf House-Kurs gebracht. Das tut dem Stück sogar erstaunlich gut.

Falk-America-EPDer Übergang von Instabil zu Falk, einem Leipziger Producer ist leicht. Denn demnächst erscheint eine EP von ihm dort und auch ein Track auf der nächsten Ausgabe der „File Under Dub“-Compilation-Reihe. Seit sieben Jahren produziert Falk Golz, doch erst jetzt dringt einiges von seiner Festplatte nach außen. 2010 könnte ein gutes Jahr für ihn werden, immerhin stehen fünf digitale EPs an.

Anfang August erschien bei dem Berliner Netlabel Electrolyt seine „America EP“. Vom Sound her ist die sehr im Electro verwurzelt. Dicke und verspielte Synthie-Basslines, digitaler Funk – mit sehr eingängigen Stücken präsentiert sich Falk auf dieser EP. Besonders „Urban Chaos“ will ein kleiner Hit werden.

Das bringt viel Hörfreude und könnte teilweise auch gut zu Mikrodisko passen, wenn es vom Sound noch einen Tick rougher wäre. Wobei zu vermuten ist, dass sich Falk nicht nur auf einen Sound festgelegt hat – auf Instabil würde die „America EP“ nämlich kaum passen. Auf jeden Fall mag ich davon noch mehr hören.

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Good Guy Mikesh „Spare“ (KI Records)

„Spare“ verzückt ja als Video schon länger. Jetzt ist das Stück als erste Single-Auskopplung von Mikeshs Debüt-Album auch auf Vinyl erschienen – als dickes Remix-Paket.

„Spare“ ist eines dieser Stücke, die mich sofort gepackt haben. Diese mäandernden Synthie-Sounds, der behäbige Rhythmus und dann die für Mikesh untypisch verzerrte Stimme, die trotz aller maschinellen Kühle noch unheimlich viel Wärme transportiert. Wegen mir bräuchte es keine Remixe von diesem Stück, das sich so exakt wie nur möglich zwischen Club und Wohnzimmer niedergelassen hat. Was sollen Remixe an solch einem wunderbar ausbalancierten Stück noch rausholen.

Mehr Club-Appeal – aber braucht es die? Ich bin voreingenommen, keine Frage. Aber die Remixe von Alex Boman und Mano Le Tough hätten auf deren Festplatten bleiben können. Ersterer bläst ausschließlich die Bassline für den Club auf, letzterer will mehr Rave.

Christian Löffler ist der Einzige, der auf die ursprüngliche Melancholie eingeht, der sie behutsam entschlackt und einen elegischen House-Track daraus macht, wie er auch zu Dial passen würde.

Und Marbert Rocel? Die legen den besten Start hin mit dem super pathetisch veränderten Vocal-Sample. Der Rest ist die gewohnt leichtfüßige Art der Erfurter House, NuJazz und einem organisch klingenden Funk unter einen Hut zu bringen. Außer dass die markanten Synthies von Mikesh mit drin auftauchen.

Zur Erinnerung: Ich bin Remix-Fan. Doch es gibt Stücke, die sollten nicht angefasst werden. Und „Spare“ hat diese Qualität. Umso gespannter bin ich auf das Album im Herbst.

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Sevensol & Bender „Sleepers / Poland“ (Stretchcat)

Wie toll, wenn sich die Sphären vermischen. Mit einer Platte von Sevensol & Bender im Statik Entertainment-Umfeld hätte ich nicht gerechnet. Andererseits ist das Sublabel Stretchcat ja für deepen House gebucht.

Ein paar Wochen ist sie schon draußen, doch vielleicht musste sie die sommerliche Überschwänglichkeit erst überdauern damit sie richtig wirkt. Denn diese Platte klingt nicht nach Club, nicht nach Exzess. Sie klingt nach tiefer Nacht, nach süßer Melancholie und Einsamkeit im positiven stillen Sinne. Bei „Poland“ noch ein wenig mehr als bei „Sleepers“.

Letzterer Track ist dabei stärker im House verwurzelt, „Poland“ dagegen eher im Dub – bei ihm gefällt mir der unterschwellige Drive, der ohne großen Druck auskommt und die Dub-Wolken mit ordentlich Rückenwind schweben lässt. In der Reprise-Version von „Poland“ schweben die Chords ganz gemächlich, weil die Beats draußen bleiben.

Die dubbig-verwunschene Tiefe hebt aber Tracks insgesamt ab von den bisherigen Stücken der beiden. Obwohl auch schon da eine etwas innerlichere Deepness durchzuhören war – aber nicht so deutlich wie hier.

Und der Blick auf Stretchcat: Im Gegensatz zum offiziellen Debüt vor einem halben Jahr ist diese Platte auch um Unmengen deeper und introvertierter als Thomas Fröhlichs Einstand. Mal sehen, wie sich das entwickelt.

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Sensual 001

Daniel Stefanik und Stefan Schultz aka Juno6 machen gemeinsame Sache. Auf dem Nachtdigital werden sie ihr Projekt Sensual erstmals live präsentieren. Dass hinter der ganzen Idee die Vision eines Gesamtkunstwerks steht, wird bei dem ersten Video deutlich, das auch einen musikalischen Vorgeschmack gibt.

Die beiden fühlen sich ja nicht nur auf dem Dancefloor bzw. auf den Bühnen davor wohl. Das zeigte Daniel Stefanik mit seinem Debüt-Album auf Statik Entertainment ebenso wie Stefan Schultz mit seinem zweiten Solo-Projekt Beautiful Planet Earth. Bei Sensual kommen diese beiden eher introvertierten Seiten der beiden geballt zum Vorschein. Electronica im weitesten Sinn, episch schwebend,  in sich ruhend und mit einer latenten Darkness.

Als erstes offizielles Lebenszeichen ist seit wenigen Tagen ein Video zu einem noch unbetiteltem Track im Netz zu finden. Im Original stammt das Video von Lutz Mommartz, einem 76-jährigen ehemaligen Filmprofessor, der einen Haufen 16mm-Filme aus seinem Privatarchiv unter CC-Lizenz im Internet zugänglich gemacht hat. Sein „Weg zum Nachbarn“ stammt aus dem Jahr 1968 und zeigt in nur einer Perspektive eine Frau beim Sex.

In der Sensual-Version ist das Video auf wenige repetitive Sequenzen reduziert. Das gibt den Bildern eine Spannung, die der 10-minütige Originalfilm so eigentlich gar nicht transportieren kann. Ziemlich gut. Auch die Musik. Ein Album ist geplant, wo es erscheinen soll, ist noch unklar.

Sensual Facebook
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