Das Leipziger Label Blaq Numbers nimmt uns mit zu einem sommerlichen Abendspaziergang durch Weimar – und Albyrd hat den denkbar besten Soundtrack dazu.
Das erste mal bin ich auf das Label Blaq Numbers gestoßen über eine Compilation namens „Space Invaders“. Angezogen vom Artwork quasi ein Blindkauf. Und einer, der sich gelohnt hat. Ein wahnsinnig gut kuratiertes Tape, was sich fluffig wie ein Mix durchhören lässt.
Seitdem wird jeder Release von Blaq Numbers mindestens ausgecheckt und meistens auch eingesteckt. Das Label hat sich eingegroovt zwischen R’n’B, House, Downbeat und E-Funk. Hier werden alle fündig, die diesen Genres etwas abgewinnen können. Eine alljährliche Compilation des Labels für gute Zwecke sei hier auch allen ans Herz gelegt.
Die neueste Nummer im Raster stammt vom Songwriter und Sänger Albyrd und trägt den Namen „Weimar EP“, geschrieben und produziert vom Künstler selbst. Eine Hommage an die Stadt und das Leben darin mit all seinen zwischenmenschlichen Verflechtungen, wie der Opener „Park an der Ilm“ gleich klar macht. Vögel zwitschern, ein melancholisches Gitarrenpicking setzt ein, ein paar E- Piano-Chords und dann die Stimme, die einen die nächsten acht Tracks begleiten wird. Man will sich dazu setzen und lauschen, wissen wie es weiter geht. Beschwingt und durchaus tanzbar wie sich herausstellt.
Albyrd kombiniert RnB mit Dance Elementen, elektrisches Piano und Synth Bass, es groovt nur so los. Und spätestens bei Stück drei ist klar, das einem diese EP ein perfekter Begleiter für den beginnenden Sommer sein wird. „Your Heartbeat“ ist ein lupenreiner Popsong mit wunderschönen Bläsern, den man den ganzen Tag weiter vor sich hin summen kann.
Es findet sich kein schlechtes Stück auf dieser EP. Im Gegenteil, denn jeder Track ist ein kleiner Hit, der alleine oder im Gesamtkontext der EP wunderbar funktioniert. „Until You Know What I Felt For You“ startet euphorisch und fadet dann nach knapp zwei Minuten einfach aus. Was hilft es? Kassette umdrehen und noch einmal von vorne hören.
Das Artwork stammt von der Künstlerin Nänni Pää und darf hier nicht unerwähnt bleiben, denn es ist stilsicher as usual. Die Kassette könnte somit wieder zum ein oder anderen Blindkauf im Schallplattenladen führen.
Label- oder Artist-Porträt? Bei Bastian Balders lässt sich beides sehr gut verbinden. Der Techno-Producer und DJ hat vor vier Jahren sein eigenes Label Balders Audio gegründet. Here we go!
Eigentlich hätten wir Bastian Balders schon früher auf den Schirm haben müssen. Er lebt immerhin seit fünf Jahren in Leipzig und hat hier 2019 auch sein eigenes Label gestartet. Doch erst mit der Balders Audio 007 klappt es nun. Auf eine kurze Nachricht hin, tauchten wir ein in einen sehr deep-treibenden Techno-Sound mit limitierten Vinyl-Releases und einigen interessanten Verweisen zu Alexander Kowalski, einem prägenden Berliner Techno-Helden der Nuller Jahre. Aber der Reihe nach.
Techno von Anfang an
Bei unserem Interview im Kapital, dem Café der gfzk, skizziert Bastian seinen bisherigen persönlichen und musikalischen Weg. Er führte ihn von seiner Heimatstadt Siegen zum Studium nach Frankfurt am Main. Davor war er schon längst im Techno angekommen. Sein Vater ist selbst großer Fan gerader Bassdrums und schenkte seinem Sohn zur Schuleinführung eine Techno-Compilation. Seitdem schlägt Bastians Herz durchgängig für diesen Sound – mit einem Side-Faible für finsteren Black- und Death Metal sowie House und Electro.
„Am Anfang war Chris Liebling ein großes Vorbild für mich. Das war damals noch die Schranzzeit. Auch Sven Wittekind habe ich oft gehört und bei Viva alle Sendungen zur Mayday und Love Parade geschaut. So etwas wollte ich auch mal machen – einen Sound, der vorwärts geht.“ – Bastian Balders
Als Kind wollte er schon DJ werden. Doch erstens hatte der wenig Lust, in den Ferien zu arbeiten und Geld für Turntables zu sparen. Und zweitens kam es anders: Denn er startete zuerst mit dem Produzieren – eher ungewöhnlich. Oftmals wollen DJs irgendwann selbst Tracks für ihre Sets produzieren oder durch eigene EPs ihre Karriere pushen. Bei Bastian war aber erstmal die Faszination für eigene Musik größer. In seiner Jugend hatte er bereits Schlagzeug und etwas Klavier gelernt – da war der Schritt zum Produzieren später etwas einfacher, meint er. Los ging es in Berlin. Nach seinem Studium zog es ihn dorthin, der Feierkultur wegen natürlich.
Bilder: Iona Dutz
Er entdeckte den Tresor und die Griesmühle für sich, connectete sich mit der lokalen Szene und fing 2015 mit dem Produzieren kann. Mit FL Studio. Bis heute produziert Bastian ausschließlich digital und mit dieser Software seine Tracks. Kurz darauf folgten bereits die ersten EPs und Compilation-Beiträge auf kleinen Techno-Labels – und die Versetzung nach Leipzig.
Überraschung in Leipzig
„Ich hatte nie geplant, hierher zu ziehen – doch ich wurde durch meinen Job nach Leipzig versetzt und kannte erstmal niemanden und nichts von der Szene. Klar, die Distillery war ein Name für mich, aber sonst hatte ich keine Ahnung, was mich hier erwartet.“ – Bastian Balders
In Leipzig angekommen, scannte er über Soundcloud und Facebook die lokale Szene und hat recht schnell gemerkt: Hier geht einiges. Mittlerweile fühlt er sich in Leipzig sehr wohl, er schätzt den guten kulturellen Spirit der Stadt und die Dynamik, die nach wie vor zu spüren ist. In der Kulturlounge hatte Bastian seinen ersten Gig hier – später spielte er auch in der Distillery und im Elipamanoke.
„Leipzig muss sich nicht verstecken – man kann hier sehr gut und auch lange weggehen. Vielleicht hat die Stadt sogar ein Überangebot an Artists, das die Clubs gar nicht stemmen können. Jeder möchte Gigs, gerade nach Corona“ – Bastian Balders
Sein Sound ist zuletzt etwas deeper geworden, meint er. Aber er stand auch vorher schon auf melodischeren Techno. Als er anfing mit dem Produzieren, war ihm zuviel Industrial und Tempo in den Clubs. Seine Lieblingsgeschwindigkeit liegt dagegen bei 130 bpm. „Ich finde das auch viel tanzbarer. Je schneller die Beats, desto schwerer ist es, mit dem Körper darauf zu reagieren“, meint er. Im aktuellen Hard Tek- und Trance-Drive kommt Balders Sound nun nochmals mehr als Gegenentwurf daher. Er ist reduziert und pushend, teils mit diffus-rauschenden Momenten und dann wieder sehr klar-scharfkantigen und auch weiter ausholenden Sounds. Bastians Techno-Entwurf ist fernab schneller Drops und lädt zum Eintauchen in längere Sessions ein.
Das Label – Balders Audio
Foto: Iona Dutz
Auch sein Label schwimmt etwas gegen den Trend: 2019 gründete er Balders Audio – vorwiegend als Plattform für eigene Tracks.
„Es dauert einfach unglaublich lange, bis ein Demo bei einem anderen Label veröffentlicht wird. Und mit manchen Labels klappt die Zusammenarbeit gut, andere entwickeln sich in Richtungen, die man selbst nicht unbedingt gehen mag. Deshalb war es für mich ein logischer Schritt, selbst ein Label zu starten.“ – Bastian Balders
Balders Audio ist ein Liebhaber-Projekt – genauso wie seine Musik. Es geht nicht darum, davon leben zu müssen. Es geht um die Leidenschaft für deepen Techno und die Freude, als Vinyl-Fan und -DJ selbst Musik auf Vinyl herauszubringen und bei R.A.N.D. Muzik direkt abzuholen.
„Es ist ein kleines Label, ja. Aber wer Bock darauf hat, findet mich auch. Ich habe auch gar nicht den Ansporn für einen riesigen kommerziellen Erfolg – das passt gar nicht zu mir als Typ.“ – Bastian Balders
Durch einige Releases auf dem Berliner Label Konsequent kam er mit oben erwähnten Alexander Kowalski in Kontakt – er ist dort als A&R tätig und fand Bastians Tracks gut. Da lag die Idee nah, ihn auch für Balders Audio einzuladen. Nach einem Remix brachte Kowalksi 2021 auch eine eigene EP heraus – in 10″-Vinyl-Kleinstauflage.
Mit der 007 gibt es nun eine weitere Öffnung des Labels. Es ist erstmals eine Split-EP – mit jeweils drei Tracks von Bastian und drei Stücken von Anton Kubikov. Dies ist ein russischer Producer, der mittlerweile in Berlin lebt und den Bastian für seine House- und Dub-Techno-Tracks sehr schätzt. So gibt es auf Balders Audio neben dem dunkel-treibenden Techno erstmals auch noch deepere Sounds zu hören.
Das Split-Format soll es auf jeden Fall weiter auf dem Label geben, meint Bastian. Es sei perfekt, um zwei Fanbases anzusprechen und vielleicht andere für neue Musik zu gewinnen.
Überhaupt hat Balders Audio an Tempo zugelegt. Seit Frühjahr 2022 kamen gleich drei neue Releases heraus. Corona habe Bastian und das Label ganz schön ausgebremst. Es machte einfach wenig Sinn, neue Platten zu veröffentlichen, wenn sie nicht im Club gespielt werden können, erklärt er rückblickend. Auch er selbst habe wenig produziert in dieser Zeit. Und das, obwohl es kurz vor der Pandemie bei ihm durchaus einen gewissen Schub gab, der darin gipfelte, in einem seiner Top-Lieblingsclubs spielen zu dürfen – dem Tresor in Berlin. Wenige Wochen vor den Clubschließungen war das. Ein Momentum, dass sicherlich viele aufstrebende DJs und Producer:innen in dieser Zeit den Boden unter den Füßen weggerissen hat.
Foto: Iona Dutz
Doch die Energie ist zurück – auch bei Bastian Balders. Deshalb passt auch unser Spot on gerade jetzt gut. Dieses Mal wieder mit einem exklusiven Mix.
In the mix
Tracklist:
Anton Kubikov – Spring Reverce Echo Delay Kontinum – Digital Octopus Kon Janson – Iteration Loop Pris – Leech (Svreca Remix) Jon Hester – Walking in Circles Reeko – Weak Spots Bastian Balders – Kaamos Alex Bau – Wise Men Say MSDMNR – Panic 1 Moreno Ácido – Kissing Games Bastian Balders – Energies PWCCA – Damage Environment Fixeer – Rotin (Michel Lauriola Remix) Hellix – Spark Antonio De Angelis – Il Filo (Oscar Mulero Remix) Sleeparchive – Peccant Bastian Balders – Machinery Distant Sun – Retrograde Motion
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Und hier noch ein großes Danke an Iona Dutz. Von ihr kommen die Bilder dieses Porträts. Wie sie arbeitet und was sie bei ihrem ersten frohfroh-Shooting geflasht hat, erzählt sie hier:
“Hey, ich bin Iona. (Licht-) Stimmungen und Menschen sind ein super wichtiger Teil meiner Arbeit als freie Porträt- und Dokumentarfotografin. An meinem Job liebe ich es, immer wieder in neue Situationen und (Lebens-) Geschichten einzutauchen und sie sichtbar zu machen.“
Und hier noch ein interessantes Team-up im IfZ sowie sechs weitere Tipps für heute Nacht.
frohfroh-Tagestipp //
IfZ x Fold x Fem*Vak // Institut fuer Zukunft // 23:59 Uhr w/ Xavier, Viscerale, Lockhart, Subkutan, Nbmx, Tender Tantrum, DJ Annita, Ruby Qt, Herz aus Brei
Spannender Besuch und Match: Das IfZ holt einiges Residents des Fold-Clubs aus London nach Leipzig. Das Fold hat sich als Queer-Safe-Space und künstlerisch vielseitiger Techno-Club in London einen Namen gemacht. Da passt es gut, dass in dieser Nacht auch Fem*Vak dazu kommt und den Trakt III mit breakigen Sounds bespielt.
Außerdem heute //
Maniac – Neue Welle, 23:00 Uhr – Techno und Hard-Groove mit Mohajer, Elmar, Momo, Schuma Christ
Saturday Rave – Distillery, 23:00 Uhr – House und Techno mit Chez Damier, Somewhen, Johannes Schuster, Gili, Filburt, Rottnmeier
Wuza Revelation P2 – Mjut, 23:00 Uhr – Tech House, Downbeat, House mit Horst Haller, Glenn Shaw, Saraabb, Philipp Johann Thimm, Mary Quo, Lady Lynzji, Amount, Adrija, Tom Cordes, Amo
Eine ganze Welle-Nacht voller House – mit Disco- und Progressive-Extra-Kurven. Mit dabei ist Fafi Abdel Nour, Resident des Groningener Clubs Oost. In seinen Sets tauchen auch immer mal wieder dramatische Melodien, italienische Raritäten und organische Sounds auf. Es wird also heartwarming und spannend.
Außerdem heute //
Warning – Institut fuer Zukunft, 23:59 Uhr – House, Trance, Breaks und Techno mit Zeynep b2b DJ Sweet6teen, ttyfal, Cryptofauna, P/kstr, Galleur, Sam
Technotopie – Westhafen, 21:00 Uhr – Techno mit Freddy K, The Lady Machine, Freund der Familie, Sledge
Ein überraschend diverses Vorfeiertagsprogramm gibt es heute – unter anderem mit einer neuen Partyreihe im IfZ.
frohfroh-Tagestipp //
Saft // Institut fuer Zukunft // 22:00 Uhr w/ Acid Adams, Projekt Gestalten, Bephal, DJ Eivissa, Bae2Bae b2b Frænz, Hedda, Omegavybe, Performance by Gerda Voigt, Erna Erna & The Mimikry
Schöner Konter zum morgigen Männertag: Direkt am Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie startet startet das IfZ eine neue Queer*-Sex-Positive-Partyreihe – inklusive Dark und Red Room, verschiedenen Performances und wahlweise düsteren, acid-flavoured Techno oder progressive-groovig-pumpenden House. Klingt sehr nice.
Außerdem heute //
Sommerbar Extended x PhonoVision – Mjut, 18:00 Uhr – House, Trance und Techno mit Tamarawrx3, Multifun, HiHat, Various Identities, DJ Detox – erst draußen, später drinnen
Tapas Club – Pittlerwerke, 19:00 Uhr – Footwork, Latin Sounds und Tech House mit Eram, Savnaclvb
Spezial – 120 Minuten – Distillery, 20:00 Uhr – Oldschool Pop, Trash, Electro, House, Techno und Hard Tek mit Miss Mandy Cleenex und ihr Ex, Felipeh, Micronaut, Bigalke, Dari And The Beast , Norman Hentschel, Lucille Du Basse, Lex Landers, Ingmarson, Carma, Lydia M, Isimo, Uwe Thoma, Natasha Plastique, Holly Lehane, Carmen Camouflage
Nun ist es offiziell: Am 31. Mai 2023 muss die Distillery in der Kurt-Eisner-Straße endgültig schließen. Natürlich nicht ohne langes Closing und abschließende Demo vor dem Club.
Überraschend ist diese News selbstverständlich nicht. Dass die Distillery – einer der dienstältesten und wichtigsten deutschen Clubs – an ihrem jetzigen Standort in der Südvorstadt nicht ewig bleiben wird, war schon länger klar. Spätestens als 2009 die Brücke auf der Kurt-Eisner-Straße zwischen der Südvorstadt und dem Kohlrabizirkus fertig war, machte ein kleines Detail stutzig: Denn genau vor der Distillery wurde ein Kreuzungsbereich errichtet – inklusive dem Teaser einer neuen Straße direkt durch die Distillery.
Anschließend begann ein langes Ringen zwischen dem Club, dem Stadtrat und dem Eigentümer des riesigen Geländes hinter dem Bayerischen Bahnhof – hier ist der Bau eines neues Wohnquartiers geplant, in dem laute Kultureinrichtungen offensichtlich nie mit eingeplant wurden. Auch eine große Petition sowie ein positiver Stadtratsbeschluss im Jahr 2014 zum Erhalt der Distillery am jetzigen Standort konnten hieran nichts mehr ändern.
Parallel ergab sich für die Distillery-Betreiber:innen die Möglichkeit, mit dem Gleisdreieck in einem ehemaligen Bahnkraftwerk in Marienbrunn eine neue, langfristig sichere Location aufzubauen. Aber auch hier gibt es zahlreiche Stolpersteine – klagende Nachbarn, komplizierte Planungs- und Genehmigungsprozesse und weniger Geld als erwartet. Vor 2026 wird im Gleisdreieck demnach kein Ton aus einer Anlage kommen.
Als Interim-Standort gibt es nun die Messehalle 7 auf der Alten Messe. Wir hatten dazu schon einmal berichtet. Und, ihr ahnt es, selbst hier läuft nicht alles rund. Die Brandschutzvorschriften sind so streng, dass ein direkter Neustart nicht möglich ist. Entsprechend ernüchternd klingt auch die Pressemitteilung zum finalen Ende der Distillery in der Kurt-Eisner-Straße:
„Mit den aktuellen Bestimmungen eine Versammlungsstätte zu planen und schließlich genehmigen zu lassen, ist ungemein komplex und kostspielig geworden. Gerade für junge Kreative, die voller Ideen aber ohne finanzielle Ausstattung einen eigenen Club eröffnen wollen – so wie wir es mit der Distillery vor 30 Jahren konnten – ist es quasi unmöglich geworden, ihre eigenen Orte zu schaffen und zusätzlich noch genug finanziellen Spielraum zu haben, um ein kulturell hochwertiges und bezahlbares Programm auf die Beine zu stellen.“
Selbst das nun finale Ende dürfte nervenaufreibend gewesen sein: Immerhin sollte schon im März 2022 Schluss sein. Dann gab es mehrmals Kompromisse mit den Eigentümern, die zu ein paar Monaten mehr Aufschub führten. Für die Betreiber:innen und Die-Hard-Fans der Distillery sicherlich auch ein belastendes Auf und Ab.
Doch nun ist so weit. Mit einem großen Closing-Programm verabschiedet sich die Distillery vom 26. bis 29. Mai aus der Kurt-Eisner-Straße – einem Ort, an dem die Gentrifizierung der letzten Jahre sehr eindrücklich zu erleben war. Er wurde aus einer dunklen Sackgasse eine vierspurige Straße, später rückten neue Wohnhäuser immer näher heran und bedrängten den niedrigen Backsteinbau der Distillery.
Neben einem 72-stündigem Clubprogramm und einem Kunstmarkt am Samstag findet am Pfingstmontag von 14 bis 22 Uhr auch eine Demonstration direkt vor der Distillery statt. Mit einer seltenen Reunion der Wighnomy Brothers und mehreren Redebeiträgen.
Hier ist das komplette Closing-Line-up:
Fr. 26.05.23 The Last Dance – Part I
Ellen Allien, Coline, Senta Julien, Cleo Snk, Tøsche, Houdafk
Sa. 27.05.23 The Last Dance – Part II – 24 h Wohnzimmer
Finest Selection (Andreas Eckhardt, Chris Manura, Lars Christian Müller) Dreikommanull (Kleinschmager Audio, Mentell, Nikolas Sternberg) Moon Harbour (Dan Drastic, Daniel Stefanik, Sven Tasnadi) Dresden Connection (Albrecht Wassersleben, Gunjah) Fäncy (Mauro Caracho, Napoleon Dynamite) Räucherkammer (Dilivius Lenni, Shuray & Walle, Thomas Stieler) Italo Fundamentalo (Luigi Andrea Ramazotti) Long Vehicle (Anna Malysz, Sevensol) Uppers (Mike van Götze, DJ HDGDL) Unitas Multiplex (Nadine Talakovics, Vincent Neumann) Seelen. (Shaleen, Stigmatique) Proyeckt Qrach (Rottnmeier, Sailent Seihmen) Sachsentrance (Raverpik, Sabu!) Where The Buffalo Roam (0 Dimensional, Daniel Sailer, Stephan von Wolffersdorff) Recorded Things (Oliver Rosemann, Templeton) Blackred (Disko 69, Headnoaks, Magnetic) Lärm (Ninette, subkoØne) Artist Care (Felipeh, Tarik Weiss, Weh8mut) Downers (Atalanta, Bigalke)
Sa. 27.05.23 Flashday meets Kunstmarkt
Mit Nori Blume, Katrin Schütz, Martin Schindler, Oli, Simon Hoppert (Proyeckt Qrach), Liliana De Osorio, Gia Orakel, u.v.m – Dazu: 1stein.Ttt, Abstract.Object, Cosmacosmic.Piercing, Lalu.Bodymod, Rogue.186.Tattoox.Archaea.Xyussuf.Manes
Mo. 29.05.23 Clubs Are Culture – Abschlusskundgebung
Wighnomy Brothers, Teki Latex, Naitwa b2b I$A
Und nun? Die Distillery baut in der Alten Messe weiter und setzt parallel auf polititscher Ebene gemeinsam mit der LiveKomm weiter für allgemein drängende Themen der Clubkultur ein – einen aktuellen Forderungskatalog hat die Initiative im Februar 2023 vorgelegt.
Wir sagen danke für die vielen Jahre in der Kurt-Eisner-Straße – und auf Wiedersehen!
Viel los, viel Trance – und ein starkes Finale bei den Trip Days. Das ist der KW 19-Samstag.
frohfroh-Tagestipp //
Trip Days Final // Conne Island // 23:00 Uhr w/ Grove, Otto von Schirach, Deki Alem, Valeska, John Minus Plus
Und hier kommt das Finale der Trip Days – und was für eins. Mit einer langen Clubnacht und drei sehr speziellen Live-Acts hat die Trip Days-Crew noch einmal ein großartiges, diverses, queer-emanzipatorisches und bouncy Line-up zusammengestellt. Grove und Deki Alem sind mit ihrem Dancehall-Electro-Rap-Breaks-Hybriden unsere Highlights. Dazu noch die komplette Genre-Auflösung mit Otto von Schirach – es wird wild. Als DJs supporten die Leipziger:innen Valeska und John Minus Plus mit special sounds.
frohfroh präsentiert The Trip Days // Verlosung Wir verlosen für den heutigen Abend 2 x 2 Tickets. Lust darauf? Dann schickt eine Mail an dance @ frohfroh.de mit dem Betreff „Trip Saturday“. Die Gewinner:innen bekommen eine Mail.
Außerdem heute //
Kleine Klinke Present(s) Part II – Distillery, 23:00 Uhr – House, Techno, Bass, Deconstructed Club Music mit Kornel Kovacs, Kleine Klinke, Bonbons, Thomas Hamman b2b Innere Tueren, Charlott, Gal, XVII, Benzo
Aequalis x Ankali x Harmony Rec. – Institut fuer Zukunft, 23:59 Uhr – Techno mit Sandrien, Trevor Linde, Alfred Czital b2b Yan, Kontinum, Mor Wen, Atch22, Claudia, Medha b2b Ayumi, N.akin, Eva Porating
Drops & Crispy Festival – Mjut, 23:00 Uhr – Trance, Hi-Tech, Psy, Goa und Techno mit Miauhx, Exotype-c137, Dregspin, Tegnigma, CaroSunshine, Jahbo, Tengri, Isometric, Sasha, Fifs, Nibiru
Elotrance – Neue Welle, 23:00 Uhr – Trance, Rave und Techno mit Monsoon Traxx, Felix Schwarzenberger, Cargo x Igor, DJ Sexex, Transaction
Sanity – Elipamanoke, 23:59 Uhr – Techno, Trance, Hard Tek mit Alma Marter, Boicot, Erasmios, Genelelle, Kamafaka, Kunsttechnologe, Paraçek, Punktmidi
Klubnacht – Westhafen, 20:00 Uhr – Tech House und House mit Marcus Meinhardt, Giz, Jana Falcon, Koschmidder, Sinah, Lievar, Markus Knauth
Am zweiten Tag des Trip Days wird es etwas düsterer und kantiger von den Sounds her. Mit Ambassade ist ein niederländisches Trio zu Gast, das in den letzten Jahren mit seinem wavig-kargen, unterkühlten, aber auch unglaublich charmanten DIY-Düster-Pop für einiges Aufhorchen sorgte – besonders mit dem Debüt-Album „Duistre Kamers“. Im März kam ihr neues Album „The Fool“ auf dem Optimo-Label heraus. In einer ähnlichen 80s-inspirierten Atmosphäre sind auch Isolationsgemeinschaft aus Berlin unterwegs. Das wird spannend im IfZ.
frohfroh präsentiert The Trip Days // Verlosung Wir verlosen für den heutigen Abend 2 x 2 Tickets. Lust darauf? Dann schickt eine Mail an dance @ frohfroh.de mit dem Betreff „Trip Friday“. Die Gewinner:innen bekommen eine Mail.
Außerdem heute //
Riotvan – Neue Welle, 23:00 Uhr – Cosmic House und Disco mit Shubostar und Peter Invasion
Seelen. Records – Distillery, 23:00 Uhr – Techno mit Shdw & Obscure Shape, Anna Hjalmarrson, Seelen. Sound.System, Shaleen, Martin Menge b2b Closure
Sanity – Elipamanoke, 23:59 Uhr – Techno, Trance, Hard Tek mit Alma Marter, Boicot, Erasmios, Genelelle, Kamafaka, Kunsttechnologe, Paraçek, Punktmidi
H25D – Kulturlounge, 23:00 Uhr – Electro, House, Techno und Breaks mit Alba Acab, Fatmuska, Natalie Luengo b2b Sfti
Dieses Wochenende steht ganz im Zeichen der Trip Days – heute geht es los. Wir verlosen Tickets.
frohfroh-Tagestipp //
Trip Days // UT Connewitz // 21:00 Uhr w/ Catnapp, Magi Merlin
Yeah, das Trip ist zurück – dieses Jahr als Compilation mehrerer, musikalisch für sich stehender Abende. Trip, was? Hier gibt es noch einmal ein kleines Intro, inklusive den Besonderheiten in diesem Jahr.
Zum Start geht es mit bouncy HipHop-Breaks-R’n’B-Clashs los. Catnapp ist hier wirklich herausragend. Sie bündelt jede Menge Energie in kurze, pushende Tracks, mixt Avant-Pop mit Subversion und ist live definitiv ein Erlebnis. Letztes Jahr kam ihre letzte EP heraus – mit Features von Modeselektor. Etwas klassischer souliger ist dagegen Magi Merlin. Dafür aber nicht weniger spannend. Sie bringt ein contemporary Refresh von Soul und R’n’B mit elektronischem Einschlag auf die Bühne.
frohfroh präsentiert The Trip Days // Verlosung Wir verlosen für den heutigen Abend 2 x 2 Tickets. Lust darauf? Dann schickt eine Mail an dance @ frohfroh.de mit dem Betreff „Trip Thursday“. Die Gewinner:innen bekommen eine Mail.
Letzte Woche erschien die Debüt-EP der Sängerin Deslin Ami Kaba auf VLOP – für das von Cyan85 kuratierte Leipziger Label ist das zugeich die erste Veröffentlichung. Was Deslins Mutter und Olli Schulz mit der EP zu tun haben und wann wir sie live mit Band in Leipzig erleben können, erfahrt ihr hier.
Deslin Ami Kaba
Als ich Deslin via FaceTime anrufe, sitzt sie im Wohnzimmer ihrer WG in Erfurt. Die ursprüngliche Hallenserin ist vor fünf Jahren für ein Studium dorthin gezogen. Musik hat schon von klein auf einen besonderen Platz in ihrem Leben eingenommen. Ihre Mama ist DJ und hat sie nicht nur früh mit elektronischer Musik in Kontakt gebracht, sondern ihr auch den Zugang zu einer Vielfalt von Genres ermöglicht. Als Kind hat sie in Musicals des Kinder- und Jugendchors der Oper Halle gesungen, wodurch sie ihre Verbindung zum Gesang kontinuierlich bis zum Abitur aufrechterhielt.
Als Deslin 2020 bei der Arbeit im Erfurter Sommertheater im Kassenhaus vor sich her sang, wurde ihr Chef auf ihre Stimme aufmerksam. So kam es, dass sie kurze Zeit später einer Jazz-Band vorgestellt wurde und sich als Sängerin in Erfurt einen Namen machte. Das waren dann zunächst Coverkonzerte mit ihren Lieblingsliedern: „soulig, emotional, bisschen jazzy und RnB-mäßig“, beschreibt sie die ersten Songs. Deslin hat dann schnell gemerkt, wie wohl sie sich auf der Bühne fühlt und sie erzählt mir mit einem breiten Lächeln:
„Es ist besser als alles andere, was ich bisher gemacht habe. Nichts kann mir dieses Gefühl geben, wie auf der Bühne zu stehen und zu singen.“ – Deslin Ami Kaba
„Ok, dann machen wir eine ganze EP“
Für die Antwort auf die Frage, wie die Idee zur EP kam, holt Deslin etwas weiter aus: Produziert wurde „Endless Pleasure“ in Cyan85s Studio in Leipzig. Cyan85 hatte frohfroh im letzten Jahr schon einmal näher vorgestellt. Er kommt ursprünglich aus Erfurt und ist auf Deslin über einen gemeinsamen Erfurter Freund aufmerksam geworden. Dieser gemeinsame Freund, Max Priesnitz, war übrigens auch am Schreibprozess der Songs beteiligt. Für ein erstes Reallife-Treffen mit Cyan85 ist Deslin dann nach Leipzig gefahren. Ursprünglich wollten Sie nur einen Song aufnehmen, haben aber schnell gemerkt, dass es richtig gut flowt: „Dann haben wir noch einen Song aufgenommen und dann waren es auf einmal zwei und wir waren richtig cool damit. Am Ende dachten wir: Ok, dann machen wir eine ganze EP“, erzählt Deslin.
Die Texte hat sie zum Teil selbst, aber auch in Zusammenarbeit mit Yannick und Max geschrieben. Im namensgebenden Song der EP „Endless Pleasure“ singt Deslin von einer Zeit, in der sie über einen Sommer hinweg ziemlich verknallt war. Und der Song traut sich, all jene Dinge zu sagen, die sie sich nicht getraut hat, der Person in echt zu sagen. Deslin lacht: „Liebe ist ein riesiges Thema in meinem Leben.“ Das Thema ist natürlich ein Dauerbrenner und passt auch zum musikalischen Genre der EP. Die discoide, RnB-anmutende, soulige EP erinnert an groovig-sanfte Lovesongs aus den 1980ern und 1990ern.
Mit dem Ziel, etwas Nostalgisches erschaffen zu wollen, haben Deslin und Yannick mit dieser EP den Nagel auf den Kopf getroffen. Deslin beschreibt, dass sie sich musikalisch in den 80ern, 90ern und 2000ern verloren hat. In dieser Zeit findet sie sich am ehesten wieder und kann sich viel weniger mit der aktuellen Musik identifizieren. Dabei erwähnt sie Musikerinnen wie Donna Summer, Whitney Houston, Mary J. Blige, Zhané oder Beyoncé, die sie inspiriert haben. Ihr Wunsch ist es, dass sie durch das Aufgreifen dieses nostalgischen Vibes etwas Zeitloses schaffen kann, was auch noch in Jahrzehnten gerne gehört wird. Und damit das Ganze auch haptisch eine langfristige Errungenschaft ist, erschien die EP nach 1,5 Jahren Zusammenarbeit mit Cyan85 über das frisch gegründete Label VLOP als Vinyl.
VLOP und die erste Platte
Zur Labelgründung kam es, weil die EP „Endless Pleasure“ auf Vinyl herauskommen sollte. Sowohl Deslin als auch Cyan85 sind beide Vinyl-Fans. Deslin beschreibt auch, dass ihr Faible zu Vinyl wahrscheinlich dadurch zustande kommt, dass ihre Mutter selbst nur mit Vinyl auflegt und sie deshalb einen anderen Bezug dazu spürt. Außerdem ist für sie der Musikgenuss ein anderer:
„Zu Hause sich die Zeit nehmen zum Musik hören … Ich finde das so viel entspannter und ich kann mich da so viel mehr drauf einlassen.“ – Deslin Ami Kaba
Und zu dem Wunsch nach zeitloser Musik gehöre schließlich auch ein zeitloses Medium, ergänzt Deslin. Das Plattenpressen lässt sich jedoch nur mit einem Label realisieren – und Cyan85 hatte schon länger vor, eine neue Plattform zu gründen, die musikalisch vielseitig ist und bei der es nicht immer clubtauglich daher geht. Hinter dem Label steckt er zurzeit allein als Produzent, aber mit einem „wahnsinnig kreativen und magischen Team im Nacken“, meint er. Er zeigt sich dankbar gegenüber Frieder Oelze, der das Grafikdesign übernimmt, Matthias Wolf und Ruth Schönherr als Fotografinnen und gegenüber Yngwie von Nada ounddesign, mit denen er die Songs des Releases gemischt hat. Bei dem tollen Team können wir also gespannt sein auf all das, was uns noch an Veröffentlichungen erwartet. Dabei wird sicherlich nicht jedes Release auf Platte erscheinen, und auch genretechnisch möchte Cyan85 erstmal keine Einschränkungen machen und „das Auto während der Fahrt bauen“.
Erste Reaktionen zum Debüt – von Freunden bis zu Olli Schulz
Deslin hat das viele, positive Feedback auf die „Endless Pleasure“-EP ziemlich umgehauen. Sie wurde nicht nur von Freunden und Leuten, die sie kennt auf ihr Debüt-Single angesprochen, sondern auch von random Personen. Das hat sie auch etwas überfordert. Zusätzlich war es ein enormer Push für die Sängerin, dass sie mit ihrem Song „Endless Pleasure“ in der „Fidi & Bumsi“-Playlist vom „Fest & Flauschig“-Podcast mit Jan Böhmermann und Olli Schulz gelandet ist.
Vielleicht kurz zur Erklärung: Richtig große Reichweite erlangt man in der Songwelt heute oft nur, wenn man auch in großen Playlists auf Spotify landet, da dies viele Klicks und Hörer:innen generiert. Ich hatte aber auch zuvor mitbekommen, dass Deslins erster Song sogar selbst von Olli Schulz in einer „Fest & Flauschig“-Ausgabe angekündigt wurde. Das hat mich neugierig gemacht. Also frage ich Deslin, wie es eigentlich dazu kam.
Wieder lacht Deslin herzlich, bevor sie zur Antwort kommt. Ihre Mutter hört gerne den Podcast und hat dann Olli Schulz eine Nachricht mit einem Link zu Deslins Song geschickt. Und dann kurz darauf, erinnert sich Deslin zurück, am Samstag oder Sonntag nach dem Release der ersten Single, rief ihre Mutter sie um 8 Uhr morgens völlig aufgeregt an: „Deslin, oh mein Gott!!! Olli Schulz hat dich in seinem Podcast erwähnt!“ – „Ich habe halt gar nichts gecheckt“, erzählt sie weiter und lacht. Rückblickend freut sie sich total und meint, dass es für eine Newcomerin wie sie gar nicht hätte besser laufen können.
Was uns erwartet
Deslin versichert mir, dass da auf jeden Fall noch Songs kommen werden – was genau aber „in the Loading“ ist, verrät sie natürlich noch nicht. Wir dürfen also gespannt bleiben. Worauf wir uns in Leipzig auf jeden Fall schonmal freuen können, ist, dass Deslin am 01. Juli 2023 in Leipzig mit Band in den Pittlerwerken zu hören sein wird. Dann gibt es die Songs ihrer EP und ein paar ihrer RnB-Favorites auf die Ohren. Damit wir das nicht verpassen, erinnern wir euch gerne rechtzeitig nochmal daran! In der Zwischenzeit legen wir euch ans Herz, in ihre EP reinzuhören.
Clear Memory geht in die zehnte Runde! Und zwar mit einer Compilation. Mit dabei sind dieses Mal Milium, Alley X, 0341 Hills, VR-System, Varum und Robyrt Hecht.
Das Leipziger Record Label Clear Memory ist schon seit einer Weile mit dabei. Es releast seit 2019 eigene Platten und besitzt eine der talentiertesten Leipziger Crews für Electro. Ganz frisch erschein letzten diesen Freitag die neue Compilation.
Milium legt den ersten Track der EP vor. “Lidl Darknet“ ist roh, kompromisslos, modular. Mechanische Sounds und Klangkulissen werden hier hochgehalten – und wirken hypnotisch. Hallige Vocals und Old-School-Synths, die stark an Electro-Labels Ende der 1990er und Anfang der 2000er erinnern, bereiten auf die Stimmungslage der EP vor.
Denn: „Clear Memory 010“, bewegt sich, trotz der Elemente von härterem Elektro, in atmosphärischere Richtungen. Zum einen liegt das an den etwas weicheren Tracks, aber auch an der Wahl von mysteriös geheimnisvoll gehaltenen Pads, Melodien und Stimmungslagen. Das zeigt sich verstärkt auch bei Track 2. „Alley X – I Got Mail“ ist auf der einen Seite groovy, auf der anderen Seite erinnert der Sound an cheesige Spionagefilme der 1990er. Hier funktioniert dieser Vibe richtig gut. Auch weil kleine Glitch-Sounds und Vocals so arrangiert sind, dass sie sparsam, aber an den richtigen Stellen Platz bekommen.
Nicht wirklich abgeholt hat mich dafür Track Nummer 3 „0341 Hills – No Sense“. Unter dem Überthema Distortion werden hier Acid-Lines mit distorted Kicks und distorted Snares sowie Hi Hats. etc. kombiniert. Distortion en masse also. Das klingt zwar schön böse, der Funke will dennoch nicht überspringen. Dem Acid-Bass wird hier viel Platz gegeben. Für meinen Geschmack kommt dort zu wenig Bewegung auf, zu wenig Elemente, die überraschen.
Dafür ist Track Nummero 4 „VR System – S.Tek.V.O.“ das Highlight der EP. Der Kontrast zwischen härteren Drums, brachialerem Bass und den später einsetzenden Pads funktioniert hier am besten. Es entsteht ein Wechselspiel aus Straight-Forward Sounds, die sich in der Kombination mit träumerischen Synths in atmosphärische Gefilde etablieren.
Diese Stimmung wird durchaus in Track 5 weitergeführt. „Varum – Dusky“ legt Gewicht auf die Synths, den Sub-Bass der sich immer wieder hochwölbt. Drums wirken im Gegensatz zu den anderen Tracks weiter hinten im Fokus. Ganz genaues Hinhören lohnt sich: Verschiedene Melodien gehen verspielt in und aus dem Fokus hinaus – wirken dabei aber nicht so überladen, dass es nervig wird.
Abgerundet wird die EP vom Robyrt-Hecht-Remix von Aizrs „Ultrafunk“. Funky auf jeden Fall. Dabei wirken hier viele Stimmungen zusammen, die in den vorherigen Tracks schon mal aufkamen. Sphärige Pads, groovige Percussions und vor allem das Spiel zwischen erst düsterem und später fröhlicherem Vibe.
Bilanz zum Ende: Der zehnte Release von Clear Memory ist richtig gut geworden. Die Songs lassen sich mehr Zeit, um zu wirken. Das fällt vor allem nach mehrerem Anhören auf, bei dem sich immer weitere kleine interessante Sounds entdecken lassen.
Aus dem Vary-Umfeld kam im April eine sehr haarige Platte – mit Tracks, die beinahe für immer auf einer Festplatte verborgen geblieben werden.
F.B.ILLWIG ist ein Alias von Julian Kramer. Als Mitgründer des Vary-Plattenladens, DJ, Producer, Illustrator und Grafikdesigner von vielen Plattencovern und Plakaten ist er vielfältig vernetzt in Leipzig.
Vor drei Jahren erschien mit „Unknown Spheres“ ein erstes Album auf Tape mit filigranen und minimalistischen Ambient-Tracks. Viele Jahre davor entstanden jedoch Tracks, die noch ganz anders klangen. Aufgenommen mit einem billigen Mikrofon und Sampler, Drum Machines und ein paar geborgten Platten bastelte er an einem Tribute zur Gründungszeit von Soul und House. In diesen Homestudio-Sessions kamen analog-kantig und simpel arrangierte Tracks voller Oldschool-Funk heraus, die alle von einem Thema zusammengehalten werden: Es geht bei den acht Tracks der „Hairy Situations“ immer um Haare.
Und das gibt dem Ganzen eine unerwartet ironische Leichtigkeit. Zwar steckt auch in den Beats und kleinen Melodien schon viel Augenzwinkern und eine angenehme Leichtigkeit, doch erst die weirden Vocals und Vocal-Samples über unterschiedlichste Haar-Befindlichkeiten geben dem Album einen extra charmanten Twist.
Dass diese rough produzierten Perlen nun noch an die Öffentlichkeit gelangen, ist wohl Julian Kramers Freundin zu verdanken. Sie spielte einem Bekannten aus Berlin die Stücke vor – und der war davon so angetan, dass er gleich ein Label dafür gründete: MoonWalk X. Ach ja, ich stehe auf solche Geschichten. Und diese analoge Unbeschwertheit.
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