Das Groove-Magazin hat durch die Pandemie große finanzielle Einbußen erlitten. Nach 31 Jahren kämpft das Magazin ums Überleben.
Die letzten beiden verbleibenden Macher*innen des Groove-Magazins haben einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie beschreiben, was gerade bei dem Szene-Magazin los ist.
Klar ist: They need our support! Ohne die Groove ginge das letzte große, kritische (Online-)Magazin verloren. Das darf einfach nicht passieren.
Zwar wurde den Macher*innen bisher viel Solidarität ausgesprochen und mehr als 400 neue Abos wurden abgeschlossen, aber das reicht noch (lange) nicht. 1100 Abos fehlen noch, um die Groove bis April 2021 zu finanzieren.
Die frei-festen Redakteur*innen Laura Aha und Raoul Kranz können vorerst nicht weiter beschäftigt werden. So weit ist es also schon.
Was können wir tun, um das Groove-Magazin zu erhalten?
Kauft ein Abo! Kauft zwei Abos! Verschenkt ein Abo! Gerade gibt es auch noch eine andere Aktion. Ihr könnt eines von 16 exklusiven Postern verschiedener Künstler*innen im Rahmen der „2020 Solidarity“-Kampagne zu jedem Abo dazu bekommen, der Preis liegt bei 50 Euro für Poster und Abo (außer einer Ausnahme).
Und klar, auch wir wissen, dass viele von euch schon etliche Euros in das Überleben der Clubs via Startnext oder in Soli-Tickets gesteckt und investiert haben. Aber, die Groove ist (uns) echt wichtig. Ich persönlich kann sagen, dass die Groove für mich wahnsinnig bedeutsam ist. Unter anderem wegen diesem Magazin und deren kritischer Auseinandersetzung mit der Szene wollte ich irgendwann über Techno schreiben. Und nicht zuletzt auch ein Printmagazin herausgeben.
Also, wer noch kein Groove-Abo hat, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, eins zu ordern!
Das Leipziger Kollektiv Nebula veröffentlicht eine neue EP und will damit humanitäre Arbeit auf Lesbos unterstützen.
Nach einer längeren Kreativpause kündigt das Nebula Kollektiv mit der nächsten Various Artists EP die insgesamt dritte Veröffentlichung aus den eigenen Reihen an. Die „Vault V/A“ Digital-EP trumpft mit sechs Tracks der Leipziger Artists Kontinum, Murky fm, NVLS, SPLINTER, Tillman und VANTA auf.
Den Gewinn aus den Verkäufen spendet das Kollektiv an die Hilfsorganisation One Happy Family, die ein Gemeinschaftszentrum für geflüchtete Menschen auf Lesbos bauen will.
Vault Series
Mit ihrer „Nebula Vault Series“-Podcast-Reihe machen sie bereits seit einiger Zeit durch einen wöchentlich erscheinenden Mix auf Organisationen oder Kampagnen aufmerksam, welche vor allem zu Zeiten von Corona mehr Unterstützung denn je benötigen.
Gerade jetzt wollen sie mit ihrer Soli-EP nochmals deutlichst auf die prekären Zustände auf Lesbos hinweisen und die humanitäre Arbeit vor Ort unterstützen.
Sarah Farina ist seit Jahren eine bekannte DJ und stand schon unzählige Male hinter dem DJ-Pult, davon auch einige Male vor der Boiler-Room-Kamera. Mit ihrem #Rainbowbass reist sie normalerweise durch die Welt und versucht, mit ihrem Publikum nicht nur zu feiern, sondern auch musikalisch-politisch zu arbeiten.
Sie wäre, wenn nicht gerade Corona wäre, dieser Tage als eine der sehnlichst erwarteten Headliner*innen des Balance Club / Culture-Festivals nach Leipzig gekommen. Wäre, hätte, würde, könnte – es ist, wie es ist und wir alle machen das Beste draus! Wir haben Sarah also via Facetime getroffen, um mit ihr über Musiker*innenförderung, DJ-Gagen nach Corona und Musik als universelle, unabdingbare Sprache gesprochen.
Am Freitag, den 22. Mai 2020, werden wir den Laptop aufklappen und ihr Balance-Set via Streaming anschauen. Genau wie ihr, hoffentlich! Ihr verpasst sonst was, that’s for sure.
Interview
ff: Hallo Sarah, ich freue mich mega, dich virtuell via Facetime zu treffen. Ich hatte noch kein „digitales“ Interview – es fühlt sich einerseits sehr fortschrittlich an, andererseits wissen wir ja, warum wir uns nicht einfach in Leipzig oder Berlin auf einen Kaffee treffen können. Und damit sind wir schon mitten im Thema. Wie erlebst du gerade als Künstler*in diese Pandemie-Zeit? Bist du viel zu Hause, hörst oder machst du mehr Musik?
Sarah Farina: Ich gehe durch verschiedene Phasen. Zu Beginn waren es Schock und Angst, da ich selbständig bin – ich habe keinen Nebenjob. Und mein Job besteht aus der Interaktion mit Menschen und ich kann meine Arbeit nicht so verändern, dass ich, während die Maßnahmen gelten, einfach weiterarbeiten könnte. Deshalb war ich verunsichert, wie die allermeisten wahrscheinlich. Dann kam die Phase der Akzeptanz. Manchmal habe ich launische Phasen, dann gibt es aber auch wieder Tage, in denen ich joyful bin und sehe, wie die Community zusammenhält. Das sehe ich zum Beispiel an United We Stream und auch am Balance-Festival.
Und ich bin natürlich viel zu Hause. Durch dieses erstmal vorherrschende Gefühl der Angst, konnte ich aber gar nicht kreativ arbeiten. Mittlerweile geht das und ich arbeite viel an meiner Musik. Zwar nicht jeden Tag, aber mehr als vorher. Ich muss mir jetzt überlegen, was ich zukünftig machen kann und will, denn ich glaube, es wird noch sehr lange dauern, bis ich wieder in Clubs auflegen kann und davon leben kann.
Clubkultur und Politik
Ich habe mich eigentlich schon immer gefragt, wie das mal sein wird, mit dem Auflegen als Hauptjob – wie kann ich daraus „noch mehr machen“? Ich möchte eigentlich sowieso die Clubmusik aus dem Clubkontext herausholen und etwas Politisches damit machen. Ich persönlich bin nämlich auch keine Partymaus, was vielleicht auch etwas damit zu tun, dass ich keine Drogen nehme (lacht). Aber der Community-Aspekt der Clubkultur, dass man sich mit Menschen verbunden fühlt, über die Musik. Das ist und war mir schon immer sehr wichtig.
Sarah Farina bei Auf Klo (funk)
Denn, wenn ich in anderen Ländern auflege, und ich die Sprache dort nicht spreche, aber es kommt doch zu einer Verbindung – eben wegen der Musik – dann fühlt sich das immer nach ein paar Minuten Weltfrieden an. Und ich frage mich eben: Könnte man davon eine Remix-Version kreieren? Dass das nicht nur im Club stattfindet, sondern auch außerhalb der Clubwelt. Ich hoffe, dass ich noch herausfinde, wie ich dieser Idee mehr Raum geben kann.
Du wärest eigentlich als eine der Headliner*innen beim diesjährigen Balance Club / Culture Festival aufgetreten. Einige meiner Freund*innen haben sich extra Urlaub genommen, um zum Festival zu kommen und sich auch auf dich schon sehr gefreut. ABER! Das Balance fällt ja – zum Glück – nicht aus. Es gibt eine Webedition des Festivals. Mich macht das sehr froh, wie sieht es bei dir aus? Ist es schon ‚normal‘, dass Festivals und Gigs ins Digitale abwandern und somit stattfinden?
Ich habe alle meine Gigs verloren. Außer das Balance-Festival. Und ich finde das toll, dass das Team die Webedition so schnell auf die Beine stellen konnte. Das Festival ist ein politisches Festival und ich habe sehr viel Liebe dafür und bin mega dankbar, dass sie auch wirklich dafür stehen! Ich bin auch schon sehr gespannt, wie das Festival wird.
Du standest schon öfter vor der Boiler-Room-Kamera. Und ich habe gesehen, dass du vor Kurzem für United We Stream in der IPSE in Berlin aufgelegt hast. Wie ist das so – bist du da viel konzentrierter ohne die physische, „energetische“ Interaktion mit dem Publikum? Ist es langweiliger? Ergebnisorientierter?
Es ist super traurig! Ich lege zum Beispiel auch zu Hause nicht auf. Das macht für mich keinen Sinn. Also klar, ich kann mir eine Playlist anmachen, dazu tanzen und Spaß haben, aber es ist komplett anders, wenn da Menschen um dich herum sind – wenn man eine Energie kreiert, wenn es diesen Weltfrieden-Vibe gibt.
Ich glaube aber, dass das manchen DJs mal ganz gut tut, zu merken, wie wichtig das Publikum ist. Es gibt nämlich immer mehr DJs, die sehr ego-fokussiert sind und narzisstische Züge haben – was ok ist. Aber ich finde es manchmal krass, wie sehr der oder die DJ der Mittelpunkt vom ganzen Clubgeschehen ist. Für manche ist es sicher eine gute Erfahrung, zu merken, wie verunsichert sie doch sind, wenn keine Leute schreien, wenn sie einen coolen Track spielen.
Ich hatte trotzdem Spaß beim Auflegen, weil mir die Musik einfach Spaß macht.
„Aber es gibt nichts, was diese menschliche Interaktion und das Tanzen ersetzen könnte.„
– Sarah Farina
Was findest du persönlich am Balance Festival besonders cool? Welche Veranstaltung würdest du oder wirst du selbst besuchen?
Ich will mir wirklich Alles anschauen. Das Balance ist für mich ein modernes Festival, so sollte für mich jedes Festival sein. Denn es beweist, dass es nicht langweilig oder runterziehend ist, politische Aspekte in ein Programm mit einzubringen. Es geht nicht nur um Spaß und Feiern. Wobei es auch Spaß machen kann, politische Themen zu bearbeiten. Zwei Veranstaltungen interessieren mich aber besonders: „Dance as decolonial and feminist practice“ mit Anisha Müller und Femme Fitness und “Let’s talk about alliances„ mit und von Arpana Aischa Berndt und Mine Wenzel.
Dann lass uns über deine Musik sprechen. #Rainbowbass steht bei Soundcloud in deiner Beschreibung. Was bedeutet das?
Als DJ werde ich oft gefragt „Was legst du denn für Musik auf?“ und ich fand das schwer zu beantworten. Ich dachte mir dann, vielleicht kann ich ein Wort erfinden – zum Beispiel in dem ich Musikstile in Farben übersetze. Ich bin zwar kein Mensch, der Musik hört und Farben sieht, aber ich finde eben, dass die verschiedenen Musikstile bunt sind auch alle miteinander verwoben und verbunden – wie bei einem Regenbogen.
Musik als Regenbogen
Das lässt sich auch auf die Geschichte von Musik übertragen. Zum Beispiel bei Techno: Techno verbindet so viele verschiedene Musikstile und -richtungen, das finde ich einfach schön. Historisch sind Musikstile miteinander verbunden und die Farben des Regenbogens sind es auch. Der Regenbogen an sich weckt dazu noch Freude und Positivität, das macht es auch nicht so ernst (lacht).
Und Bass ist für mich die Essenz von Clubmusik. Du kennst es sicher auch, dieses Gefühl, wenn man im Club ist, und der Bass setzt ein. Leute fangen dann an, sich zu bewegen und darauf zu reagieren. Mir geht es mit dem Begriff auch darum, Genregrenzen aufzubrechen. Ich kann mich selbst auch nicht einem Genre zuordnen, da ich einfach verschiedene Musikstile liebe.
Manchmal würde ich mir auch schon wünschen, dass sich Menschen mehr mit Musikgeschichte beschäftigen. Ganz nach dem Motto „How can you know where you’re going, if you don’t know where you’ve been?“ – und das ist auch wieder politisch! Ich war letztes Jahr in Detroit, dem Geburtsort von Techno, habe dort so viel gelernt und gemerkt, wie schade es ist, dass Genres wie Techno so krass weiß-gewaschen sind und weiß-gewaschen wurden.
Durch ein Set, das viele Stile verknüpft, kann man also auch eine Message ans Publikum schicken.
Du wurdest bereits von der Initiative Musik gefördert, wie ich gelesen habe. Wie war das und kannst du es empfehlen, als Künstlerin aus der elektronischen Musikwelt, sich dort zu bewerben?
Initiative Musik, Musicboard, Shape
Ich wurde schon zwei Mal gefördert, einmal, richtig, von der Initiative Musik und einmal vom Musicboard Berlin. Und ich kann es total empfehlen! Die Barriere fühlt sich vielleicht erst einmal hoch an. Aber wenn man einmal angefangen hat, so eine Bewerbung zu schreiben, merkt man doch ziemlich schnell, dass es gar nicht so schlimm ist.
Was ich wichtig finde, ist, dass man schon ungefähr wissen sollte, wer man ist und wo man hin will. Denn es geht in so einer Bewerbung vor allem um das Narrativ, damit diejenigen, die bei so einer Initiative arbeiten und darüber entscheiden, wer gefördert wird, verstehen können, wer du bist, wo du warst, wo du jetzt bist und was du machen willst.
Ich habe da glücklicherweise tolle Leute um mich herum, die mich motiviert haben und mir das empfohlen haben. Weil ich selbst unter dem Imposter-Syndrom* leide (lacht). Ich dachte, dass DJs wie ich, die solche Musik machen und spielen, da keine Chance haben. Aber diese Institutionen werden immer offener. Jetzt ist es sogar so, dass ich in der Jury des Muicboards sitze und anderen Menschen ermöglichen kann, gefördert zu werden. Ich hoffe, das motiviert viele Menschen, sich zu bewerben! Denn, der Papierkram ist wirklich nicht so schlimm. Man kann mit den Leuten, die bei diesen Institutionen arbeiten, wirklich gut reden.
Und du bist eine von vielen Shape-Artist-Alumni. Die Shape-Plattform ist bekannt dafür, aufstrebende, interessante und vor allem Live-Künstler*innen aus der ganzen Welt in ihr Förderprogramm aufzunehmen und dort zu vereinen. Wie hast du von Shape erfahren?
Ich bin als DJ bei Disk Agency und Shape und Disk Agency sind miteinander verbunden, daher hatte ich Shape immer auf dem Schirm. Vor zwei Jahren wurde ich bei Shape aufgenommen und hatte damit Möglichkeiten, an Orten aufzulegen, die sehr besonders sind. Zum Beispiel bei einem Festival in Norwegen, zu einer Zeit, wo es dort immer dunkel ist. Das war richtig abgefahren. Es kam zu einem sehr schönem Austausch und ich durfte über das Shape-Network auch Workshops besuchen, und zwar komplett kostenlos. Da ging es zum Beispiel um Mental Health oder Musiklizensierung, mit Menschen aus aller Welt.
Ich bin immer noch dankbar, bei Shapedabei zu sein. Und ich finde, Musiker*innen sollten sich für genau solche Förderungen und Stipendien viel mehr bewerben.
Verfolgst du, wer jedes Jahr in die Artist-Reihe aufgenommen wird..?
Ja! Ich folge Shape weiterhin auf Instagram und bekomme da alles mit.
Sarah Farina
Du hast auch vor kurzem in Tokyo eine kleine Tour gehabt! Wie war das, das ist ja noch gar nicht lange her. Wie wird dort gefeiert und hast du es besonders genossen, in Japan aufzutreten?
Ich war schon drei Mal in Asien als DJ. Jede Erfahrung dort war super. In Japan war es auch total cool, die Menschen dort waren so unfassbar höflich. Das ist zwar auch so ein typisches Klischee, aber das ist kulturell dort stark verankert. Die Clubs waren die saubersten Clubs, die ich jemals gesehen habe (lacht). In Japan ist mir aufgefallen, dass die Menschen dort teilweise komplett anders auf Tracks reagiert haben, als an anderen Orten. Dann gibt es aber auch Tracks, die wirklich überall die gleiche Reaktion hervorbringen können. Das sind so die universellsten Tracks der Welt. Ein solcher Track ist zum Beispiel The Bug – Skeng! Den finden immer alle gut.
Am krassesten feiern aber die Leute in Shanghai. Diese europäische „Coolness“ in Clubs kann nämlich dazu führen, dass sie länger brauchen, um loszulassen. Und in asiatischen Ländern werden die Artists richtig krass appreciated. Manchmal habe ich in Berlin das Gefühl, dass das Publikum sehr verwöhnt ist und deshalb die Artists nicht so feiert.
Du bist schon wirklich sehr weit herumgekommen und warst viel mit deiner Musik unterwegs. Fehlt dir das Reisen?
Das Reisen fehlt mir schon. Aber es hat mich auch sehr gestresst. Je nach Persönlichkeit ist das sicher auch verschieden. Ich bin eher introvertiert, daher ist es für mich vielleicht in bestimmten Situationen anstrengender. Es kann schon ein komisches Gefühl sein, mit 800 Leuten im Club zu sein, und wirklich keinen zu kennen. Und manchmal kommt eben auch keine Verbindung zu Stande und der Gig wird schlecht.
Aber beim Reisen merke ich immer wieder, wie wichtig Musik als universelle Sprache ist. Und wie wichtig es ist, safer spaces zu haben, in denen Menschen loslassen, im Jetzt leben, sich selbst und die Menschen um sich herum feiern können. Dass gerade diese Orte derzeit so bedroht sind und werden, macht mir echt Sorgen. Denn diese Orte brauchen wir – angesichts des Rechtsrucks überall auf der Welt – mehr denn je.
Und noch eine letzte Frage: Wie sieht die Clubwelt nach der Krise aus, was meinst du?
Nehmen wir mal an, dass es Anfang nächsten Jahres wieder losgeht. Dann glaube ich, dass Clubnächte was die Anzahl des Publikums angeht, stark limitiert sein werden und das Line-Ups eher lokal sind. Was ich gut finde! Denn wir haben so viel lokales Talent, das immer übersehen wird. Und die Gagen werden sich verändern, was ich teilweise auch richtig gut finde. Im besten Falle wird eine Umverteilung stattfinden, dahingehend, dass 15.000 Euro nicht mehr nur für einen Headliner-DJ ausgegeben werden, sondern dieses Geld an mehrere Künstler*innen verteilt wird.
Clubwelt nach der Krise
Ich hoffe, dass es nicht dazu führt, dass Safer-Space-Guidances ihre Jobs verlieren, also das gerade hieran dann gespart wird. Dass es einen Ausbruch der Freude gibt, im besten Falle! Das kennt man ja auch der Geschichte, beim Mauerfall zum Beispiel. Vielleicht geben Menschen zukünftig dann auch wieder mehr Geld für Clubnächte aus und es führt dazu, dass wir insgesamt kollektiver denken – und nicht nur jede*r schaut, irgendwie auf die Gästeliste zu kommen. Und ich hoffe sehr, dass Clubs sich gegenseitig unterstützen und sich die Konkurrenz nicht noch verschärft.
Interview_Webedition
Danke an Sarah Farina und danke – again – an das Balance Club / Culture Festival. Wenn ihr das Festival unterstützen möchtet, kauft ein Soli-Ticket!
Das Conne Island hat seinen ersten Slot bei für UWS Global auf arte concert bekommen.
Sieben Künstler*innen treten auf – und die Island-Crew ist ziemlich excited. „Live-Ambient über ’nem riesigen Technikhaufen, ein Stream zum Liegen.“
Unter dem Schirm der Import/Export Reihe spielen von 20-24 Uhr unter anderem Molto aka Mix Mup und P.A. Hülsenbeck, der eigentlich nächste Woche im Gewandhaus mit „Two Play To Play“ aufgetreten wäre. Ihr könnt eine Klangdokumentation der Künstlerin Anna Schimkat zu den „Glocken von Mutzschen“ erwarten, Violonistin Izabela Kałduńska und White Wine Music-Chef Fritz Brückner aka Turbofritz aka Modus Pitch sind ebenfalls dabei.
Bunt, bunt, bunt! Das Artwork ist von unfun, Visuals von Lumalenscape. Die Facebook-VA inkl. full Line-Up findet ihr hier. Der Stream wird der vorerst letzte aus Leipzig auf arte concert ein.
Monate Arbeit in ein Festival zu stecken, welches dann nicht stattfinden kann, tut weh! Aber das Kollektiv rund um das Balance Club / Culture Festival lässt sich so schnell nicht entmutigen.
Sie wollen viel mit diesem Festival und haben deswegen Wege gefunden, jedem Act (außer einer Künstler*in) die Chance zu geben, dabei zu sein und jedes Thema, welches erarbeitet wurde, zu besprechen und Workshops anzubieten.
Balance Club / Culture Festival
Vom 20. bis 24. Mai 2020 könnt ihr dabei sein! Dieses Mal besonders niedrigschwellig, egal wo ihr gerade seid. Also alles wie gehabt beim Balance? Nur neu und irgendwie anders! Wie, darüber hat Kathi Groll mit einer der Macher*innen des Festivals, Ulla Heinrich, gesprochen.
Das Balance Club / Culture Festival hätte vom 20.-24. Mai in Clubs, Konzertorten und Off- Locations in Leipzig als interdisziplinäres Festival mit über 30 Acts und ebenso vielen Einzelveranstaltungen stattgefunden.
Die aktuelle Situation rund um Covid-19 fordert nun gewisse Änderungen – dennoch findet das Balance Club / Culture Festival statt, als Web Edition mit einem Großteil der bereits angekündigten Künstler*innen statt! Yay!
Auch wenn das Erlebnis im Club unnachahmbar ist, bedeutet Clubkultur 2020 eben einfach mal selbstbewusst von der Couch aus raven. Und zoomen, streamen, chatten, vor dem Laptop sitzen, zuhören, tanzen… Das Festival wird in die digitale Webwelt projiziert, aber damit nicht weniger eindrücklich.
Surprise, Surprise: Balance-Sampler
Alles wird ein wenig anders, aber der Community-Gedanke wird nochmals stärker ausgespielt, könnte man sagen. Gemeinsam mit dem Publikum wird das Festival zu einer kollektiven, wenn auch etwas fragmentierte(re)n Erfahrung werden, da sind wir uns jetzt schon sicher.
Zum krönenden Abschluss wird übrigens der erste Balance-Sampler: „Various Artists – Tender Squads“ veröffentlicht. Damit erfüllt sich das Festivalteam zugegebenermaßen selbst einen Herzenswunsch.
Wir dürfen uns auf Hard-Drum, Rap, Elektro und Breakbeat, lokale Acts und internationale Musikprojekte freuen. Bisher bestätigt sind folgende Acts: ABOGAR (Leipzig), Ana Bogner solo (Leipzig), Avbvrn (Frankfurt), Crystallmess (Paris), Kelman Duran (US), Moesha13 (Paris), TSVI (London), Animistic Beliefs (Rotterdam) und Tadleeh (Mailand).
Web Edition: Artists, Art, Diskurs
Artists
Aleen Solari _ Lyzza _ Solaris _ Flufflord _ Dorian Electra _ Peter Hermanns _ Dopplereffekt _ Lotic _ Lotion _ Nazira _ Authentically Plastic _ Anastasia Kristensen _ DJ Fart in the Club _ Resom _ Anna Adams _ Crusat _ Futurecore2000 _ Myss Keta _ Sarah Farina _ FemmeFitness Anisha Müller _ Arpana Aischa Berndt/Mine Wenzel _ Inga Zimprich/Julia Bonn _ Moesha13 _ Torvs _ fr. JPLA _ Holfeld/Kaiser _ Vice Versa _ Carbon Dehydrate _ ANTR
Art & Soli-Merch
Eigentlich hätte Aleen Solari das Festivalzentrum mit ihrer Rauminstallation zum ästhetischen und inhaltlichen Container für alle weiteren Beiträge gemacht. Für das Webfestival wird die Hamburger Künstlerin nun eine exklusive Merch-Edition herstellen, die ihr während des Web-Festivals kaufen könnt. Die Gewinne fließen an Seawatch.
Vorträge, Podcasts, Workshops, Multimedia-Texte
Das Diskursprogramm des Festivals mit u.a. einem Vortrag zum Thema Gabber von Bianca Ludewig, einem Multimedia-Beitrag zu Drag, einem Workshop zum Thema „Allianzen“ und dem Tanzworkshop von Femme Fitness wird komplett online stattfinden.
Soli-Ticket für das Balance
Trotz aller Förderungen, die das Festival bekommt, ist eines klar: Das Festival war ursprünglich darauf ausgelegt, Einnahmen durch Eintritte zu generieren. Dass das Festival, das auch in seiner ursprünglichen Form einen großen Anteil kostenloser Workshops und Screenings für uns alle angeboten hätte, mit finanziellen Einbußen zu rechnen hat, ist an einer Hand abzählbar.
Daher: Wer kann, dem sei das Soli-Ticket ans Herz gelegt.
Hier findet ihr das Ticket und (noch) mehr Infos zum Festival.
Stream on and stay safe!
Wir freuen uns jetzt schon auf die Web Edition des Balance Festivals und werden nicht müde zu betonen: Unser Lieblingsfestival findet statt. Zum Glück. Lasst uns also bitte alle „hingehen“ und lernen, tanzen, raven und neue Erfahrungen machen. Bleibt solidarisch und kauft ein Ticket, wenn ihr könnt.
Würde Carlotta Jacobi durch die Zeit reisen können, wäre sie wohl dennoch im Jahr 2020 am liebsten. Oder in der Zukunft. Ihre Sets und eigenen Produktionen sind zeitgemäß im Hier und Jetzt – aber niemals retroperspektivisch. Unsere Podcasterin und Autorin Kathi hat sich in Zeiten der Kontaktsperre mit ihr zu einem digitalen Frühstück getroffen.
Aufgewachsen in Hamburg, zwischen klassischem Klavierunterricht und durchtanzten Nächten im Golden Pudel Club und dem autonomen Kulturzentrum Rote Flora, ist Carlotta Jacobi zu einer Musikerin gewachsen, die verschiedenste Erfahrungen in ihrer Musik verarbeiten kann. Und das macht ihren Sound, sowohl als DJ als auch als Produzentin, so tiefgründig.
Die Liste ihrer weiteren Projekte, neben dem Musikmachen ist ebenso lang, wie ihre musikalischen Einflüsse: Sie ist eine der Organisator*innen der Fe*male Ableton User Group Leipzig, arbeitet im Institut fuer Zukunft mit, ist Mitglied der Connwax-Crew, macht für das Connwax-Label die Öffentlichkeitsarbeit und organisiert für das Netzwerk feat.fem den monatlich erscheinenden Podcast.
Die Corona-Krise fühlt sich für sie also nicht wie eine Ruhepause an, auch wenn alle Auftritte der letzten Wochen ausgefallen sind. Besonders schmerzlich war die Absage ihres allerersten Gigs im ://about blank Ende März. Diesen nicht spielen zu können, hat ihr – völlig verständlich – das Herz gebrochen. Auch wenn zur Zeit der Schutz der Feiernden das Wichtigste ist und die Clubs geschlossen bleiben müssen.
Hamburg, Stockholm, Montreal, Leipzig
Als Carlotta Jacobi vor knapp 7 Jahren nach Leipzig kam, war sie zunächst als Gast in Clubs unterwegs und wuchs langsam in die lokale Szene hinein. Vorher lebte sie in Hamburg, zog mit 8 Jahren mit ihrer Familie nach Schweden und dann mit 13 Jahren wieder zurück in die Hansestadt. Der Job ihres Vaters bestimmte die Wohnorte der Familie.
Nach ihrem Abi ging Carlotta ein Jahr nach Kanada und lebte einige Zeit in Montreal. Sie kaufte sich eine kleine Gitarre und verdiente etwas Geld als Straßenmusikerin. Schon von Kanada aus, beschloss sie, danach nach Leipzig zu ziehen. Auch in der Hoffnung, dass die Stadt ähnliches zu bieten hätte. Und, ja, für Carlotta ist Leipzig eine Heimat geworden. Derzeit studiert sie Kulturwissenschaften im Master an der hiesigen Uni.
Trotz des Studiums ist ihr WG-Zimmer ist zu einem Musikstudio geworden. Auch wenn sie es nicht mit zuviel Instrumenten zustellen möchte. Denn für sie ist wichtig, jeden ihrer Synthesizer und ihre Drum Machine auch verstehen zu lernen und eine „gewisse Beziehung zum Instrument“ aufzubauen. Ihre Tracks dürfen zuhause entstehen, da sie tolerante Nachbarn hat. Ihr Nachbar von unten spielt selbst gern laut Gitarre und ihre Nachbarin von oben geht gerne feiern. So ist Leipzig!
Producing, Ableton, Clubs
Die Stadt veränderte auch Carlottas Musik. Was mit Kompositionen am Klavier begann und in Kanada das Gitarren Spielen und Singen war, wurde hier das Produzieren von Beats. Durchs Feiern gehen wurde ihr Interesse an Elektronischer Musik immer größer, sie begann aufzulegen und fasste den Mut, sich das Produzieren mit Ableton selbst beizubringen.
Damals noch ohne den Support der fe*male Ableton User Group, denn die gab es damals noch nicht. Umso wichtiger ist ihre Arbeit für diese Gruppe mittlerweile, denn nach wie vor sind weibliche Produzierende in der Szene unterrepräsentiert.
News: Erster Release bei Human
Bald kommt der erste digitale Release von Carlotta Jacobi auf dem Soli Sampler vom Leipziger Label Human raus. Es wird eine limitierte Ausgabe, und dass ein Teil der Einnahmen gespendet wird, ist für Carlotta ein Grund mehr, genau dafür einen Track beizusteuern. Und es wird ihr erster offizieller Release, obwohl sie schon seit längerem Tracks produziert und diese in ihren Sets spielt.
Aber gut Ding will Weile haben und einen gewissen Perfektionismus kann Carlotta nicht ganz ablegen. Die Tracks sollen einfangen, was sie gerade spürt: Manchmal stellt sie sich dabei Trakt 1 im IfZ vor oder ein Publikum, das bei den Klängen mitgeht.
Aber auch der Druck von Außen spielt eine Rolle. Immer noch werden Produzent*innen „strenger“ bezüglich ihrer technischen Versiertheit beurteilt. Auch die Gefahr als Quotenfrau auf einem Line Up zu stehen, und nicht wegen des großartigen Sounds, besteht nach wie vor.
…straighter, sphärischer Techno
Für unsere Spot on-Reihe hat Carlotta einen exklusiven Mix zur Verfügung gestellt. In ihrem Set hört ihr neben geliebten Tracks auch eine eigene Produktion.
Aufgenommen hat sie das Set während des Connwax Closings Ende Januar im IfZ. Der Abend war einfach großartig: Das Publikum war die kompletten zwei Stunden dabei und da das Set relativ kurz war, ist es komprimiert (und on point!). Also ein echtes Hits Hits Hits Set!
Genießt es!
Disclaimer
Die wundervollen Fotos stammen von Fotografin und Autorin Paula, die sich für ihre Porträt-Reihe noch vor Corona mit Carlotta getroffen hat. It’s a match, oder?
Danke an dieser Stelle an Paula, Kathi und Carlotta für die gemeinsame Arbeit an dieser Spot On-Ausgabe!
Zuletzt dachte ich, die große Label-Gründerzeit in Leipzig ist durch. Doch es gibt immer noch Neuentdeckungen. Hier sind drei davon: QC Records, Bitterfeld Musik und GLYK.
House- und Ambient-Glück mit GLYK
Schon 2016 erschien die erste GLYK-Platte, also wirklich neu ist es nicht. Aber erst im letzten Jahr gab das Label von DJ Balduin etwas mehr Gas. Und hey, GLYK hat es in den Kompakt-Vertrieb geschafft. Völlig zurecht, denn die bisher fünf veröffentlichten EPs (Vinyl und Digital) sind ohne Ausnahme hörenswert. Besonders durch ihre experimentellen und freieren Ansätze.
Natürlich gibt es auch schön deepe und klassische House- und Electro-Tracks, aber noch vielmehr wird auf GLYK musikalisch geforscht. Ich mag es immer, wenn sich Labels trauen, abseits der Clubgrenzen zu bewegen. Und GLYK wagt einiges.
Zuletzt kamen zwei Releases von Knat heraus, einem Session-Projekt von Steve Hartmann und Jan Harder (haben die beide wirklich zufällig hart/hard im Namen??). Zwei Mini-Alben sind das, die sehr spannend und scheinbar analog Drones, Ambient und Electronica ausloten. Wer lieber ein paar gerade Bassdrums möchte, sollte zur DJ Balduin-EP greifen.
Roughe Sounds aus Bitterfeld
Auch das nächste Label ist nicht taufrisch. Seit Ende 2017 gibt es Bitterfeld Musik und ich wollte es schon längst mal vorgestellt haben. Gegründet haben es der Leipziger Carmel und Marius Reisser und Berlin. Bitterfeld liegt quasi dazwischen und die Chemie-Industrie-Tristesse der kleinen Stadt dürfte für Electro- und Techno-Heads mit Hang zu darken Sounds ein echter Sehnsuchtsort sein.
Das Logo von Bitterfeld Musik greift die Industriegeschichte direkt auf – und auch musikalisch ist es eher dark und teils richtig kantig, mit Ausflügen in Richtung Techno, Jungle, UK Garage, Acid, EBM, House und Electro. Zugleich ist das Label eine Plattform für Carmels gute Connections in die australischen und Leipziger Szenen. Da finden Interviews genauso eine Heimat wie Guy Contact und Consulate aus Perth.
Schaut man bei Bandcamp rein, zeigt sich schnell: Bitterfeld Musik hat sich eine beachtliche internationale Fanbase aufgebaut. Sie will einfach Musik for a bitter tomorrow. Ganz im Sinne des besten EP-Titel im bisherigen Labelkatalog.
Happy Vibes mit QC Records
Zum Schluss noch einmal Carmel. Es ist wirklich Wahnsinn, wie aktiv der australische Wahl-Leipziger derzeit seine Spuren in der Stadt hinterlässt. Gerade kam ja eine neue R.A.N.D. Muzik-Compilation heraus, die auch Carmel kuratiert. Zusammen mit Qnete hat er letztes Jahr noch ein weiteres Label an den Start gebracht: QC Records.
Ich dachte erst, das QC steht für Qnete und Carmel, aber es ist die Abkürzung von Quality Control. Und die scheint ziemlich gut zu klappen bei den beiden. Die drei bisher veröffentlichten EPs sind so herrlich euphorisch und happy. Egal ob sie House, Jungle, Downbeat oder 90s-Rave als Rahmen nehmen – jeder Track klingt so positiv und unbefangen.
Klar, irgendwie auch naiv und voller musikalischer Zitate, aber so what. Neben dem ganzen Dark-Techno-Game ist das eine echte Erfrischung. „Happyrave“ heißt passenderweise ein Track der aktuellen EP. Genau darum geht es den beiden wohl. Ich bin Fan!
Ein 2 Sekunden kurzes Sample schreibt über 20 Jahre Rechtsgeschichte. Das heutige Urteil des BGH im Streit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham hat das Potenzial, die elektronische Musikszene nachhaltig zu verändern. Es geht um nichts Geringeres als die Grundlage einer gesamten Musikrichtung. Rechtsanwalt Henning Fangmann ordnet den Fall für uns ein.
Ein Paukenschlag ertönte heute aus Karlsruhe. Dort verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) sein Urteil im Streit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham. Das Gericht entschied dabei über die Zulässigkeit des Samplings – und damit auch über die Zukunft der elektronischen Musik, wie wir sie bisher kennen. Wie passend, dass dabei ausgerechnet deren deutsche Gründungsväter involviert waren.
Was war passiert?
Dem Urteil ging ein 21 Jahre andauernder Rechtsstreit voraus. Moses Pelham, bekannt als Musikproduzent, Rapper und Nasenbrecher Stefan Raabs, produzierte und komponierte in den 90er-Jahren nahezu alle Songs von Sabrina Setlur, darunter auch den Track „Nur mir“.
Für den Beat des Liedes wurde ein Ausschnitt aus einem Stück der Technopioniere Kraftwerk genutzt. Es handelte sich dabei um ein zweisekündiges Sample aus deren Song „Metall auf Metall“ aus dem Jahr 1977.
Als Sample werden Töne oder Tonfolgen bezeichnet, die einem bereits bestehenden Musikstück entstammen. Werden diese Ausschnitte in ein neues Musikstück eingefügt, spricht man von Sampling. Meist wird das Sample dazu bearbeitet, indem etwa die Geschwindigkeit oder Tonhöhe verändert oder das Sample fortlaufend wiederholt wird.
Auch die von Pelham genutzte Tonfolge, die wie aufeinandergeschlagene Metallstücke klingt, wurde geloopt und leicht verändert und lag dem ganzen Song als Rhythmus zugrunde. Um Erlaubnis gebeten wurde Kraftwerk vorher aber nicht.
Kraftwerk, die übrigens in einigen ihrer Stücke selbst Samples nutzen, war davon nicht gerade begeistert. Deren Gründungsmitglieder Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben haben daher im Jahr 1999 Klage erhoben und wollten vor allem erreichen, dass der Song nicht mehr verbreitet werden darf und Moses P. Schadensersatz für die Nutzung zahlt.
Was folgte war ein wilder Ritt durch die Instanzen um die Frage zu klären, ob überhaupt und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen die Nutzung des Samples ohne Zustimmung von Kraftwerk zulässig ist.
Grundsätzlich ging es dabei um die Abwägung zwischen den urheberrechtlichen Ansprüchen Kraftwerks auf der einen und dem durch die Kunstfreiheit geschützten kreativen Schaffen Pelhams auf der anderen Seite.
Es steht viel auf dem Spiel
Es geht als um Grundsätzliches. Und um die Zukunft einer ganzen Branche. So offenbart ein Blick auf die laut der Website www.whosampled.com meistgenutzten Tracks den maßgeblichen Einfluss von Sampling auf ganze Musikrichtungen.
Weit oben steht dabei der Amen Break, ein über vier Takte reichender Ausschnitt aus dem Song „Amen, Brother“ der Band The Winstons von 1969. Dieses treibende Schlagzeug-Sample liegt als Rhythmus nahezu allen Drum’n’Bass Beats zugrunde. Gleiches gilt für den Think Break, einen Ausschnitt aus dem Lied „Think (About It)“ von Lyn Collins. Ohne Sampling dieser Tracks wäre Drum’n’Bass vermutlich nicht entstanden. Dies ist die kulturelle Seite.
Auf der juristischen Seite steht die Rechte von Komponisten und Producern aus dem Urheberrechtsgesetz. Dem Produzenten eines Albums stehen an den Aufnahmen bestimmte Rechte zu. Das ist das sogenannte Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers. Dahinter verbirgt sich vor allem das Recht, zu entscheiden, wer in welcher Art und Weise die Aufnahmen nutzen darf. Dabei sind selbst einzelne Töne geschützt und dürfen grundsätzlich nicht einfach ohne Zustimmung des Produzenten verwendet werden.
Das Urheberrecht sieht aber selbst auch Einschränkungen dieses Rechts vor, insbesondere durch das Recht auf freie Benutzung und das Zitatrecht. Im Rahmen dieser Einschränkungen muss auch die Kunstfreiheit der Sampler berücksichtigt werden. Es stellen sich also viele urheberrechtliche Einzelfragen, die zum Teil sehr komplex sind.
Hinzu kommt eine Änderung des Urheberrechts auf europäischer Ebene aus dem Jahr 2002. Diese führte dazu, dass sich sich im vergangenen Jahr auch schon der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem Fall befasst und manchen Vorschriften des deutschen Urheberrechts für europarechtswidrig und nicht anwendbar erklärt hat.
Das heutige Urteil
Heute hat der BGH zwar noch keine endgültige Entscheidung getroffen, sondern die Sache nochmal an das OLG Hamburg zurückverwiesen. Dabei hat er dem OLG aber Leitlinien mit auf den Weg gegeben, wie dies den Fall zu beurteilen hat. Die schlechteren Siegchancen hat dabei Moses Pelham.
Nach den europarechtlichen Änderungen im Jahr 2002 ist laut BGH die Verbreitung des Samples ohne Zustimmung von Kraftwerk nur dann rechtmäßig, wenn der durchschnittliche Musikhörer das Original im neuen Song nicht wiedererkennen würde. Im Fall von „Nur mir“ ist das aber nach Ansicht des BGH so.
Damit blieb Moses Pelham nur noch der Notanker des urheberrechtlichen Zitatrechts. Aber auch dies hat der BGH abgelehnt, da aus seiner Sicht für die Hörer nicht erkennbar war, dass der dem Beat zugrundeliegende Loop aus einem anderen Song übernommen wurde. Zudem wurde Kraftwerk nicht als Quelle des Samples benannt.
Auswirkungen auf Sampling und die Szene
Das Urteil dürfte für alle Producer elektronischer Musik große Auswirkungen haben. Der BGH hat klargestellt, dass Sampling nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Dies ist von nun an nur noch in vier Konstellationen der Fall.
Erstens, das Sample ist ein Zitat. Dazu muss der Originalausschnitt wiedererkennbar im neuen Song eingebaut werden, mit dem Original interagieren und die Quelle des Ausschnitts etwa im Booklet oder der digitalen Beschreibung benennen.
Zweitens, das Sample wird so stark bearbeitet und verändert, dass es in dem neuen Beat nicht mehr wiederzuerkennen ist. Wann diese Voraussetzung erfüllt sind, lässt sich pauschal kaum sagen.
Drittens, das Sample wird selbst nachgespielt. Das dürfte in der Praxis wohl nicht realistisch sein.
Und viertens, die einfachste und verbreitetste Lösung: Man holt sich vor der Nutzung die Zustimmung der Rechteinhaber ein. Das kann zwar den Schaffensprozess verzögern oder sogar das Sampling unmöglich machen, wenn die Interpreten die Zustimmung verweigern. Es ist aber auf jeden Fall der sicherste Weg.
Ausblick
Nun liegt der Ball also wieder beim OLG Hamburg. Eine Entscheidung des Gerichts ist frühestens Mitte nächsten Jahres zu erwarten. Danach kann sich Moses Pelham überlegen, ob er noch Chancen sieht, mit dem Fall wieder vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Kurz vorm Lockdown waren DŌMU noch einmal mit einer besonderen audiovisuellen Live-Performance in der Leipziger Peterskirche zu erleben. Wer es verpasst hat, kann es nun auf der Live-EP nachhören.
„Suspiria“ ist ein Horrorfilmklassiker aus den Siebzigern. Den Soundtrack dazu steuerte damals die italienische Prog-Rock-Band Goblin bei. Und im Februar 2020 vertonte die Band „ihren“ Film nochmals live in Leipzig. Schön verpasst, ey. Auch das Vorprogramm klingt im Nachhinein viel versprechend. DŌMU hatten eine 20-minütige Performance aufgeführt, bei der neben der Musik auch drei Tänzerinnen abgefilmt und live auf die Leinwand mit Filmelementen projiziert wurden.
Die Musik bringen DŌMU nun aber glücklicherweise als EP heraus. Auch als Soli-Aktion, denn ein Teil der Crew ist durch die Coronakrise in finanzielle Schieflage geraten.
„Live for Suspiria 2020“ enthält die zwei Stücke der Performance und vier Remixe. Die Originale sind schön dark und trippy, sakral und breakig-technoid, teilweise aber komplett auch überfordernd. Gerade der letzte Part von „La Marcia Della Strega“ schraubt sich so unermüdlich und neurotisch ins Mark, das danach zwei Stunden Downbeat nötig wären.
Oder eben die Remixe, die durchweg sehr gelungen sind und etwas runterfahren. In Corecass‘ Version ist die Horrorfilm-Atmo noch deutlich hörbar. Sehr düster, mit einem ätherischem Orgel-Sample und Schwalbengeschrei. Meine absoluten Highlights dieser EP sind aber die Remixe von Pheast und Ezuri. Beide spielen mit einer permanent schwebenden Spannung, wie neverending Techno-Breaks.
„Bardo“ gefällt mir mit seiner Hektik und der angeteasten Euphorie noch einen Tick mehr. Doch statt die erlösende Bassdrum am Ende rauszulassen, fährt er einfach runter. Aber das können ja die DJs noch nachholen. Und dann ist da noch der Remix von Window Magic – ein besänftigend harmonisches Outro, helle, flächig-verwaschene Ambient-Sounds mit etwas Kraut-Flair, ich mag es sehr.
Bei Bandcamp könnt ihr euch das ganze Paket herunterladen – für 6,66 € oder mehr.
Die Situation für viele Künstler*innen der Subkultur war vor der Krise schon prekär. Seit März haben die meisten nun so gut wie gar kein Einkommen mehr. Zusammen mit Ana Bogner kämpfen wir uns durch Förderanträge und stellen uns auch der persönlichen Challenge, trotz allem positiv in die Zukunft zu blicken.
Ob Bestimmungen, Kontaktverbote oder neue Informationen über Förderungen: Die Lage in der Corona-Krise änderte sich in den letzten Wochen beinahe täglich. Ana Bogner und ich hatten unser Interview bereits kurz nach Bekanntgabe der Corona-Soforthilfe durch den Bund aufgenommen, aber mit der Veröffentlichung zögerte ich ich aufgrund der Nachrichtenlage noch.
Nun ist das Thema aber zu wichtig, daher habe ich durch eine Recherche viele zusätzliche Infos zur Denkzeit, zu Spotify und weiteren Fördermöglichkeiten ergänzt. Auch Schlepp Geist, Live-Musiker und Produzent aus Leipzig ist in dieser Folge dabei. Er hat sich mit der Gema und der GVL beschäftigt.
Es geht also ums Geld… und darum, wie Künstler*innen gerade in der Corona Krise überleben (sollen).
Hier geht’s zur neuen Folge Talk Talk:
Redaktion und Produktion: Kathi Groll Sprecher: Felix Gebhardt
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