Video Video: Moritz Fasbender “Swifts”

Gestern erschien ein neues Video zu Moritz Fasbenders “Rabbits”-EP- und Album-Reihe. Und da beides letztes Jahr bei uns untergegangen ist, holen wir hier ein Mini-Interview nach.

Moritz Fasbender ist ein Alias von Friederike Bernhardt, Komponistin, Theater-Musikerin und Pianistin aus Leipzig. Vor rund zehn Jahren hatten wir sie erstmals mit einem großen Interview bei frohfroh vorgestellt. Damals hieß es: 2019 kommt das Album. Es hat dann aber doch bis in den Sommer 2022 gedauert.

Doch who cares – am Ende kamen mit der “Rabbits”-EP und dem “13 Rabbits”-Album zwei sehr überzeugende Werke von Moritz Fasbender heraus. Mit Tracks, die einerseits die Intimität und Nähe von minimalistisch-zeitgenössischer Piano-Komposition haben und andererseits mit subtiler Elektronik und wattiger Ambient-Ästhetik dem zuletzt etwas inflationär ausgespieltem Neo-Klassik- und Piano-Electronic-Genres eine durchaus neue Nuance verleihen.

“Swifts” steht genau zwischen diesen beiden Welten. Mit lang gespielten Chords entstehen gleitende, fast sakrale Momente. Aber sie driften immer wieder kurz ab, fangen sich und bleiben am Ende auf einer nächtlich eingedunkelten Spur. Das Video passt sehr gut dazu mit seinen Wechseln zwischen einer Piano-Session im Wald und einer Studio-Session mit dem Wald im Fernseher.


Interview

Warum das Album länger gebrauht hat und wie viel Theater in ihrer Musik steckt, erzählt uns Friederike Bernhardt im Mini-Interview hier:

Bei unserem ersten Interview 2014 sind wir mit dem Satz: “2019 kommt das Album” auseinandergegangen. Es hat dann doch etwas länger gedauert, was kam dazwischen?

New York wegen eines Stipendiums und eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von “Eine mache ich noch.” Es gab zu viele interessante Theaterarbeiten, ich dachte mir jedes mal: Danach fange ich an. Das gelang mir aber erst nach meiner Zeit in New York.

Bisher war deine Musik sehr stark mit dem Theater verknüpft – spielte das bei “Rabbits“ auch eine Rolle?

Auf jeden Fall. Reine Klaviermusik klingt mir aus meiner Feder zu nackig. Mir hat das Theater offenbar so sehr gefehlt, dass ich’s mir während der Albumproduktion in homöopathischen Dosen wieder mit reingeholt habe.

In den letzten Jahren hat die Verbindung aus Klavier und Elektronik viel Aufmerksamkeit bekommen – was sind musikalisch deine Signatures bei diesem Clash zweier Welten?

Über Signatures müssen andere urteilen. Aber ich habe durchaus ein Faible für einen sehr präzisen Einsatz der Elektroakustik und benutze sie nicht als Effekt à la Hall/Filter/auf/zu/yeah, sondern sehe sie als eine dem Klavier ebenbürtige Partnerin an.

Was macht “Swifts” für dich besonders und was war die Idee zum Video?

Mauersegler waren die Lieblingstiere einer Freundin, die leider nicht mehr unter uns ist – und ich liebe das Pfeifen dieser Vögel einfach sehr. Der erste Teilsatz reicht vielleicht als Hintergrundinformation für das Video.

Was steht als nächstes an bei dir?

Schon wieder Theater. Aber ich spiele auch live beim Reeperbahnfestival in Hamburg. Am 22. September 2023, abends zur Primetime.


Album

“13 Rabbits” ist übrigens digital und auf limitierten Vinyl herausgekommen – beide Varianten unterscheiden sich etwas. Im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin gibt es noch Exemplare. Schnell sein also.

“Swifts” erschien wiederum auf der EP “Rabbits”, auf der nochmals vier weitere Stücke veröffentlicht sind.

Bild: Maximillian König

Kino-Tipp: Housenation

Vor rund zehn Jahren machten sich zwei Stuttgarter Filmstudenten auf den Weg zu verschiedenen Hotspots der deutschen Clubszene, um die lokalen, soziokulturellen Signatures und Codes herauszufinden. Jetzt ist Leipzig-Premiere.

Zugegeben, es ist eine sehr späte Premiere. Denn der Film kam bereits 2016 heraus. Wir hatten 2014 schon von den Filmarbeiten berichtet, dann aber das Ergebnis nicht mehr auf der Schirm. Für “Housenation – Eine musikalische Reise durch Deutschland” waren Chris Gebert und Patrick Gängler in Stuttgart, Leipzig, Berlin, Hamburg, München, Köln sowie in Frankfurt/Offenbach unterwegs. Dort sprachen sie mit ein bis zwei Szene-Protagonist:innen und stellten ihnen immer 20 soziologisch angehauchte Fragen. Die Doku wollte den Eigenheiten der jeweiligen lokalen Szene auf die Spur kommen.

Am kommenden Donnerstag, den 24. August, ist “Housenation” nun erstmals in Leipzig im Kino zu sehen. Und zwar ab 21 Uhr im Sommerkino an der Markthalle Plagwitz. Im Anschluss an den Film gibt es auch noch eine Diskussion mit den beiden Filmemachern sowie Filburt, der zu Leipzig befragt wurde.

Seit 2016 hat sich nun natürlich jede Menge in der Clubkultur getan – national und in Leipzig. Insofern ist “Housenation” eher als interessantes Zeitzeugnis der Zehnerjahre zu verstehen. Eine Zeit ohne Pandemie- und Inflationsherausforderungen, ohne TikTok. Wobei einige der soziologischen Gedanken sicher auch noch heute gelten.

Tickets gibt es hier

Medien-Tipp: Low Budget High Spirit

Das neue Magazin des Low Budget High Spirit-Newsletters ist gerade herausgekommen. Und wer sich für Einblicke und Diskurse zur Musikwirtschaft interessiert, sollte es sich unbedingt bestellen.

Eigentlich wollten wir schon letztes Jahr einen kleinen Artikel zum zweiten LBHS-Magazin bringen, aber irgendwie ging es dann leider unter. Nun aber! Wer es noch nicht auf dem Schirm hatte: Low Budget High Spirit ist ein überaus spannender Newsletter aus Leipzig, der mit klugem Blick, dezentem Humor und viel analytischem Gespür die Entwicklungen der deutschen und internationalen Musikwirtschaft begleitet.

Kuratiert wird der Newsletter von Fabian Schuetze – bei frohfroh und in Leipzig längst kein Unbekannter mehr. Wir hatten viel über seine Bandprojekte und sein Label Analogsoul berichtet. Mittlerweile ist Fabian hinter den Kulissen mit verschiedenen Firmen aktiv, managet Artists, bucht Konzerte, betreibt einen Online-Shop für Soul und noch macht noch einiges mehr.

Mit dem Low Budget High Spirit-Magazin möchte er einmal im Jahr gemeinsam mit unterschiedlichen Autor:innen und Protagonist:innen der Musikwirtschaft das “Musikbusiness neu denken”. Beispielsweise schreibt Franziska Nistler darüber, wie die elektronische Musikszene immer mehr von kommerziellen Tendenzen aushöhlt wird und Aylin Kazi zeigt, wie TikTok für Musiker:innen eine Chance sein kann. Fabian selbst steuert einen interessanten Beitrag zu einem reflektierten Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Zwischendurch gibt es immer wieder kompakte Einblicke in das Daily Business von Kulturschaffenden.

Super spannend, auch wenn einige Artikel gern noch ausführlicher sein könnten. Aber sie liefern, ähnlich wie Fabians Newsletter, interessante Denkanstöße.

Das Magazin ist ab sofort online für 10 Euro erhältlich.

Und wo wir gerade bei Medien-Tipps sind: Genauso spannende Inside-Interviews aus der Musikwirtschaft liefert der Redfield Podcast, bei dem Fabian auch immer wieder zu hören ist.

15 Years Electric Weekender

Hier kommt ein Extra-Tipp aus unserer Dance Dance-Sommerpause: Denn der Electric Weekender im Conne Island feiert ein kleines Jubiläum.

Wahnsinn, seit 15 Jahren gibt es nun schon die spätsommerliche Tradition im Conne Island, dass ein Wochenende lang sowohl der Saal als der Garten mit einem spanennden Electronic-Programm bespielt werden. Entstanden ist die Reihe im Sommer 2008 – mitten in der Hochphase der Electric Island-Reihe. Insofern ist dieses Jubiläum durchaus etwas nostalgisch.

Zumal am zweiten Abend mit Aril Brikha eine House-/Techno-Koryphäe auftreten wird, die ebenfalls vor 15 Jahren im Island für Ekstase gesorgt hat. Die Jubiläumsausgabe startet am Freitag mit einem Showcase der Import/Export-Reihe, bei der vier Live-Acts mit Ambient und Experimental den Sound prägen werden. Samstag gibt es dann House und Techno im Saal sowie Breaks und Experimental auf der Ambient-Veranda. Und am Sonntagvormittag verlagert sich die Party dann komplett zu einer Afterhour nach draußen.

Happy Birthday und danke für viele schöne Erinnerungen! Hier das gesamte Programm zum Reinhören:

Freitag, 18. August 2023, 20 Uhr

Albina, Alto Bloom (live), DJ Balduin (live), Heather Karing (live), Wilted Woman (live)


Samstag, 19. August 2023, 23 Uhr

Akkro, Aril Brikha, Evan Baggs, Jlululu, Naitwa, Perm & HAL, S.ra, 96kbps & Easy Miner


Sonntag, 20. August 2023, 11 Uhr

Catnip (live), DJ DVB, Hannie Phi & Jewelry, Luise, Rosa Red & EnelRAM

Tickets? Gibt es online hier.

Artwork: Nora Keilig

Inch By Inch – 5 Jahre Plattenladen und mehr

Happy Birthday, Inch by Inch. Wir haben uns mit Ladenbetreiber Philipp auf eine Spezi getroffen und über die bisherigen Höhen und Tiefen des Ladens gesprochen.

Das Inch By Inch feiert sein 5-Jähriges. Der Schallplattenladen im Leipziger Westen ist die Adresse in Sachen gebrauchtes Vinyl aus den Bereichen Techno, House, Minimal, Electro und „alles in between“, wie uns Ladeninhaber Philipp Weißbach verrät. Aber auch HipHop, Soul und Jazz sind fester Bestandteil des Sortiments. Ein paar Fächer noch für Rock/Pop und eine kleine, aber feine Auswahl an Tapes lokaler Labels findet sich in den gut gefüllten Regalen.

Wir treffen Philipp an einem sonnigen Vormittag vor Ladenöffnung, ein paar Discogs-Bestellungen müssen noch verpackt werden, es gibt Spezi aus der Dose. Beste Voraussetzungen also für einen kleinen Plausch.

Foto: Nikolas Fabian Kammerer

Gemeinsam blicken wir noch einmal zurück, wie alles begann vor über fünf Jahren – im Juni 2018. Mit Platten verkaufen kannte sich Philipp bereits aus. Er hatte eine Weile bei Musikhaus Kietz im Leipziger Süden als Angestellter gearbeitet. Nach seiner Kündigung dort erwuchs bei Philipp schnell der Wunsch nach einem eigenen Laden. Die Platten dafür hatte er bereits. Ein Ladengeschäft musste her. Einfach gestaltete sich die Suche danach allerdings keineswegs. Und die Entscheidung fiel auch nicht gleich auf den Leipziger Westen.

„Ich hatte lange gesucht (…), aber das ist glaube ich normal. Leute sagen ja immer, Wohnungen seien schwer zu finden, aber ein Laden ist noch einmal was anderes. Man sucht ja eine spezifische Größe, man hat seine Vorstellungen, der Laden muss bestimmte Kriterien erfüllen (…). Um ehrlich zu sein wollte ich nicht in den Westen, sondern in den Süden, weil es hier einfach die meisten Plattenläden Leipzigs, aber keinen Laden explizit für elektronische Musik gab. Aber ich habe dann schnell gemerkt, dass im Süden zu wenig Ladenflächen angeboten werden und die Preise zu hoch waren.“

Fündig wurde Philipp schließlich in der Lützner Str. in der Nähe des Lindenauer Marktes. Der erste, deutlich kleinere Laden dürfte vielen noch gut im Gedächtnis geblieben sein. An vollen Tagen wusste man mitunter nicht wohin mit sich. Es hatte fast schon etwas Klaustrophobisches an sich, erinnert sich Philipp zurück.

„Es waren zu viele Platten in Kisten, die ich nicht mehr rausstellen konnte. Ich hatte wirklich teilweise Platzangst in dem Laden.“

Vor einem guten Jahr fiel dann die Entscheidung, dass man sich vergrößern müsse. Fündig wurde Philipp gleich um die Ecke in der Merseburger Straße. Ein glücklicher Zufall, aber auch sehr viel Arbeit, wie sich herausstellte.

Bodenfliesen wurden kurzerhand selbst gestrichen, die Decke schallisoliert, ein neuer Tresen und ein paar neue Regale gezimmert. Mit ca. fünf Tonnen (!) Schallplatten dann der Umzug und schließlich die Wiedereröffnung im Juni letzten Jahres. Eine Entscheidung, die wichtig war und Philipp bis heute nicht bereut. Mehr Platz für die Kundschaft, mehr Platz für Vinyl und vor allem ein angenehmerer Arbeitsplatz für den Betreiber selbst.

„Der Laden ist nun mal mein Arbeitsplatz und da ist es schön, wenn du ein paar Quadratmeter mehr hast, um dich zu bewegen (…). Es ist jetzt deutlich mehr Platz und es sind auch nochmal deutlich mehr Platten geworden.“

Die letzten fünf Jahre waren aber keineswegs nur eine stetig steigende Kurve. So wie für viele andere Läden gingen Corona-Krise und Ukraine-Krieg nicht spurlos am Inch By Inch vorbei. Auf die Frage nach dem größten Highlight in seiner Zeit als Ladenbesitzer, nennt Philipp dennoch ganz klar den Weg in die Selbstständigkeit an sich.

„Die Selbstständigkeit, und das geht sicher jedem Selbstständigen so, ist nun mal eine Achterbahnfahrt und man lässt sich auf etwas ein, wo man nicht weiß, wie die Sache endet. Man muss natürlich auch immer am Ball bleiben. Ich habe gesehen, was passieren kann, wenn man Monate seinen Laden schließen muss und was das mit einem macht. Wenn ein Land mit einem anderen Krieg führt und was das für Auswirkungen haben kann.“

Aller Widrigkeiten zum Trotz erinnert sich Philipp an eine „fette Zeit“ im Inch By Inch. Die vielen Bekanntschaften und Verbindungen, die er knüpfen konnte, wären ohne den Laden nicht möglich gewesen.

„Das ist eigentlich das Schönste an dem Job. Dass man so viele Musikliebende und -interessierte kennenlernt.“

Wie zum Beispiel auch Reece Walker und Oliver Bernstein vom ehemaligen Musikvertrieb Shite Music aus Leipzig. Der Vertrieb beheimatet Labels wie R.A.N.D., Gestalt, Blaq Numbers, Row Records, Source usw. Gemeinsam trafen die drei 2021 die Entscheidung, Vertrieb und Laden unter der gleichen Dachmarke zu vereinen und Shite kurzerhand zur Inch By Inch Distribution zu machen. Seitdem arbeiten sie zwar unabhängig voneinander, aber trotzdem eng zusammen. Alle Platten des Vertriebs gibt es auch bei Philipp im Laden kaufen.

Im gleichen Jahr folgte auch noch die Gründung des eigenen Labels Inch By Inch Records. Philipp packt die Dinge an, wie es scheint:

„Zu dem Label kam es, weil man sich selber denkt, bei einem Plattenladen könnte auch ein Label entstehen. (…) Man setzt das ja quasi voraus, dass zu einem elektronischen Plattenladen in irgendeiner Art und Weise auch ein Label gehört. (…)“

Die Labelarbeit beschreibt Philipp als hart, aber man hört dennoch heraus, dass es ihm ein großes Anliegen war, diese Musik unter die Leute zu bringen.

„Ich wollte Musik auf Platte rausbringen, mit der Erfahrung, die ich in meinem Leben über Musik gesammelt habe. Von der ich denke, dass sie in 20 Jahren genauso gut hörbar ist wie jetzt. Es soll ein zeitloses Label sein.“

Ganze sieben Releases zählt das Label Inch By Inch bereits und stilistisch geht es zwar immer elektronisch zu, aber dafür sehr divers. Von Electro über House, Techno, Ambient, IDM und sogar Italo ist hier alles dabei, was Philipp selbst schätzt und mag.

Die Konstellation aus Laden, Label und Vertrieb nennt Philipp zudem die „heilige Dreifaltigkeit“. Ein System, das sich bewährt hat. Als weitere Beispiele nennt er Rush Hour, HHV oder auch das Hard Wax aus Berlin. Alles Läden mit Label und teilweise sogar angeschlossenem Vertrieb.

Und als ob das alles nicht schon sehr viel wäre, betreibt er gemeinsam mit Oliver vom Vertrieb noch ein weiteres Label namens Hole in One. Geboren aus dem Wunsch heraus, ein Rap-Label bei Inch By Inch Distribution zu haben, widmet sich Hole in One klassischer Rap-Musik. Hier erscheinen Neuauflagen alter und einflussreicher Mid-90s-Memphis-Rap-Alben, viele davon zum ersten Mal auf Vinyl und eine kleine 7-Inch-Serie mit eigenen, alten Hip Hop-Beat-Produktionen von Philipp unter seinem Produzenten-Alias Drunkenstein.

Unser Gespräch dreht sich weiter über angekaufte Plattensammlungen und persönliche Dinge, die man manchmal zufällig darin findet, teure Platten auf Discogs und obskure Erlebnisse im Laden. Die Zeit verfliegt nur so und es ist wie so oft an diesem Ort. Man fühlt sich wohl und bleibt und bleibt.

Fotos: Nikolas Fabian Kammerer

Am Ende wagen wir noch einen kleinen Blick in die Zukunft. Philipp, Hand aufs Herz, wie viele Jahre sollen es denn noch werden?

„Na, auf die nächsten 50, oder?“

Platten verkaufen also bis zur Rente. Aber auch in das Label soll Energie fließen. Ein bis zwei Releases pro Jahr möchte er sich vornehmen. Und vielleicht gibt ja auch eine kleine Feier zum 5-Jährigen? Wer weiß? Fest steht, Philipp möchte nichts halbherzig machen.

Das Spezi ist alle, der Laden muss so langsam aufgesperrt werden. Any last words, Philipp?

„Danke an meine ganzen Kunden! Ohne euch wäre es nicht möglich gewesen!“

Und wir danken dir, Philipp! Für deine Energie und Liebe, die du in diesen Laden steckst. Ein Ort, an dem es sich herrlich verweilen, diggen und unterhalten lässt. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum. Cheers!

Fotos

Zum Schluss noch ein herzliches Hello und Danke an Nikolas Fabian Kammerer für die wunderbaren Fotos zu diesem Treffen on. Dies ist Nikos Foto-Premiere bei frohfroh – hier also ein paar einleitende Worte von ihm zu sich und dem Shooting mit Philipp:

“Music was my first love … dann kam die Fotografie dazu. Letzteres habe ich sogar mal studiert. Die Studienzeit habe ich größtenteils an zwei Orten verbracht: In der analogen Dunkelkammer und im Proberaum. Seit dem ist meine Arbeitsweise deutlich digitaler geworden, die Affinität zur Musik aber ist unverändert geblieben.”

Das Inch By Inch strahlt eine unprätentiöse Coolness aus, die ich sehr ansprechend finde. Erwartungsgemäß entspannt war auch der Porträt-Termin mit Betreiber Philipp, der mit dem Inch By Inch eine Institution für fein selektierte Musikkultur geschaffen hat. Toll eingerichter Laden auch. 5 Sterne. Wärmste Empfehlung. Gerne wieder.”

“Manchmal wache ich mit fertigen Tracks im Kopf auf” – DJ Balduin

Anfang Juni hat DJ Balduin sein Debüt-Album auf Kann Records veröffentlicht – ein äußerst vielschichtiges und warmherziges Werk. Im Interview wollten wir mehr zu dessen Entstehung wissen.

Es ist ein besonderer Interviewtermin mit DJ Balduin. Ende Mai, wir müssen nur ein paar Schritte aus dem gemeinsamen Co-Working-Studio heraus in den Hof des Tapetenwerks laufen. Ja, DJ Balduin und ich, wir sind Büro-Kollegen. Und unabhängig davon bin ich DJ Balduin-Fan. Dies ist also kein klassisches, rein-objektives Interview, ab und zu gibt es auch persönliche Abschweifungen.

Recht persönlich war auch schon DJ Balduins Beitrag zur detektor.fm-Reihe Plattenkoffer. Im Frühjahr 2021 stellte er dafür einige der Tracks vor, die ihn musikalisch sozialisiert haben – als Kind, Jugendlicher und junger DJ. Als Ergänzung zu unserem Interview ist diese Ausgabe auf jeden Fall zu empfehlen:

“Concrete Mimosa”

Doch in diesem Interview steht “Concrete Mimosa” im Fokus. Ein Debüt-Album, das so reif und erwachsen, so forschend und selbstbewusst, so erfrischend und nostalgisch zugleich klingt, dass ich es auch ohne Fan-Addiction feiern würde – ich bin mir äußerst sicher.

Denn “Concrete Mimosa” hat alles, was ein Album braucht: Den Mut, sich abseits dessen zu bewegen, wo sich DJ Balduin in seinen Club-DJ-Sets sonst bewegt. Die Überraschung dank des gelungenen Spagats, super vielfältig und doch total stimmig zu sein. In dem Happiness und dunkle Momente Platz haben dürfen. Auf dem in jedem Ton eine große Nähe, Vertrautheit, Herzlichkeit und Authentizität herauszuhören ist.

Damit passt “Concrete Mimosa” perfekt auf Kann Records, wo in den vergangenen 15 Jahren immer wieder solche starken Artist-Alben herauskommen. Falls noch nicht geschehen, dann hört unbedingt selbst rein:

Interview

Wir kennen uns ja seit ein paar Jahren persönlich und ich bin auch ein erklärter Balduin-Fan. Im Vorfeld zu dem Interview ist mir dennoch nochmal bewusst geworden, wie lange und vielfältig du dich bereits mit Musik beschäftigst. Seit 20 Jahren legst du auf, mit GLYK Musik hast du ein eigenes Label, vor einigen Jahren kam eine Platte auf Kompakt heraus. Da sind schon sehr viele Sachen passiert und doch gibt es jetzt einen besonderen Schub. Woher kommt das?

Ich habe schon das Gefühl, dass ich dieses Jahr Früchte ernten kann. Gerade bei der Musikproduktion war ich stets geduldig. Es hat sehr lange gedauert, bis ich zufrieden war mit meinem Output. Ich merke aber jetzt, dass ich extrem davon zehre, nicht alles sofort veröffentlicht zu haben. Es sind mittlerweile 15 Jahre Musikproduktion, auf die ich zurückgreifen kann. Das sind nicht immer vollständige Tracks, aber wenn mir bei einem neuen Stück irgendwas fehlt, kann ich mein Archiv durchforsten und finde darin immer irgendwas – egal, ob das ein Sample oder eine Idee für eine Melodie ist. Zudem gibt es bei all dem, was ich kreativ mache, immer eine theoretische Auseinandersetzung mit mir selbst. Und die führt jetzt dazu, dass ich etwas entspannter mit meinem Output sein kann.

Wie ein Reifeprozess also, an dem du nun an einem wichtigen Punkt angekommen bist.

Schon, ja. Zum Beispiel stecken hinter den aktuellen Releases Leute, die ich auf natürlichem Weg kennengelernt habe. Sich zu kennen und sympathisch zu finden, macht das Zusammenarbeiten natürlich um vieles einfacher. Ich habe jedoch schon oft meine Heimat und auch Profession gewechselt. Leipzig ist nun die Stadt, in der ich am längsten am Stück lebe. Und es hat natürlich einen Vorteil, wenn ich irgendwo ankomme, Netzwerke weiterspinne und nicht sofort wieder abreise.

Foto: Toto Wolsky

Lass uns mal gleich zum Album kommen. Du meintest beim detektor-fm-Plattenkoffer, das Alben in der elektronischen Musik für dich schwierig sind und du da einen hohen Anspruch hast. War es für dich extra schwer, mit diesem Anspruch selbst ein Album zu machen?

Es hat sich sogar eher wie ein Befreiungsschlag angefühlt. Wenn ich in den letzten Jahren meine Demos angehört habe, hatte ich oft keine Ahnung, wie ich daraus eine EP machen soll. Die Genres waren einfach zu unterschiedlich. Und selbst wenn ich Kontakte zu Labels hatte, von denen ich wusste, dass sie an einem Release interessiert sind, fiel es mir schwer, darauf hinzuarbeiten. Wenn ich einen Track anfange, muss dieser meistens innerhalb von ein paar Tagen fertig sein. Ich kann aber selten voraussehen, mit was das anfängt und wohin das führt. Das kann mit Ambient, Techno oder House beginnen und am Ende doch etwas ganz anderes werden. Mir fehlt da manchmal der Weitblick oder die Objektivität, um darin eine kohärente Selektion zu sehen.

Und so ähnlich war das im letzten Jahr, als ich Alex (alias Sevensol, Betreiber von Kann Records) meine Tracks geschickt habe. Ein Album konnte ich darin keinesfalls erkennen. Ich weiß nicht mehr, wer es als erstes vorgeschlagen hatte. Aber als die Idee des Albums im Raum stand, hat es bei mir zum ersten Mal Klick gemacht. Im Sinne von: Gerade diese unterschiedlichen Genres könnten eine schöne Dramaturgie für ein Album hergeben. Ab da war es sogar etwas einfacher, weil ich eine Richtschnur hatte, an der ich mich entlanghangeln konnte.

Das heißt, das Album ist nicht mit einem konzeptionellen Vorlauf entstanden, sondern eher aus dem Moment und aus der Interaktion mit Alex heraus?

Ja, schon aus dem Moment heraus. Im Nachhinein finde ich es aber richtig spannend, was ich immer noch darin entdecken kann. Mit dem Stück „Okayhole“ sind die Hörenden erstmal in einer etwas düsteren Welt unterwegs, während einen dann „Wherever You’re Going Take Me With You“ sprichwörtlich an die Hände nimmt und aus dem Loch rausholt. Da sind auf einmal lauter dramaturgische Elemente, an die ich vorher nicht gedacht habe – die aber im Nachhinein total Sinn ergeben. Und irgendwie bin ich der Überzeugung, wenn es authentisch in dem Moment aus mir herauskommt, ergeben sich solche Zusammenhänge automatisch.

Das finde ich auch spannend an Bildenden Künstlern, die gut darin sind Räume zu gestalten. Oder eben Filme, die nicht einfach nur Szene an Szene aneinander reihen, sondern mich zwischen den Bildern zum Denken bewegen oder eine Emotion in mir hervorrufen. So ähnlich funktionieren für mich gute Alben. Ich glaube, wenn es einfach nur eine Aneinanderreihung von Stücken ist, die auf der Festplatte übrig sind, dann merken wir das einem Album auch an.

Was ist für dich der rote Faden bzw. die Essenz, die das Album zusammenhält? Es ist ja musikalisch sehr divers und trotzdem kohärent.

Jedes einzelne Stück hat seine eigene Geschichte, die zur Geschichte des ganzen Albums beträgt. Ich könnte zu jedem Stück etwas erzählen – das würde es aber kaputt machen. Es ist ja auch fast pathetisch, wenn jedes einzelne Stück so emotional aufgeladen ist, dass da was sehr Autorenhaftes drinsteckt. Aber selbst, wenn ich bei der technischen Produktionsweise bleibe, finde ich es schön, wie sehr ich darin meine Entwicklung der letzten zehn Jahre hören kann. Als das Album fertig war, habe ich meine erste „Vvigmara EP“ auf GLYK wieder angehört – und es war so schön, wie viele Parallelen ich ziehen kann und wie es doch ein paar ganz neue Steps gibt. Zum Beispiel sind auf „Vvigmara“ so gut wie keine Vocals zu hören – die haben nun auf dem Album aber viel Einsatz.

Wie kam es dazu?

Ich glaube, es ist neue Art von Selbstbewusstsein, sich zu trauen, Fremdmaterial zu benutzen. Für die ersten zig Jahre hat sich das für mich weird angefühlt, wenn ich auch nur ein Synthesizer-Preset benutzt habe. Ich musste jeden einzelnen Sound selbst herstellen. Egal, ob ich das jetzt per Mikrofon aufgenommen oder in meinem Synthesizer bearbeitet habe. Breakloops waren damals für mich tabu. Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass vieles in meiner Lieblingsmusik tatsächlich einfach nur gesampled ist. Zu realisieren, dass ich mich daran schon auch mal heranwagen kann, hat mir nochmal ein ganz neues Feld eröffnet.

Fotos: Toto Wolsky

Ich höre auf „Concrete Mimosa“ eine süße, melancholische Nostalgie. Bist du ein nostalgischer Typ?

Ja, extrem. Also ich denke sogar bewusst drüber nach, wie ich das Gefühl von Nostalgie hervorrufen kann. Es gibt manchmal Stücke oder Alben, von denen ich weiß, dass ich sie noch nie gehört habe, die mir aber gleich beim ersten Mal hören sehr vertraut vorkommen. Ich glaube, da gibt es keine Anleitung dafür, wie so ein Stück, ein Film oder ein Buch gemacht werden. Aber ich denke, der eigene Lebenslauf trägt da gut seinen Teil dazu bei. Es gibt bestimmt auch Leute, die sind bei Nostalgie eher wehmütig. Aber ich habe fast nur positive Gefühle zu Nostalgie.

Und hast du Bock auf ein neues Album? Es kann ja sein, dass das so ein Moment ist, der einen so empowered und mitzieht.

Es gibt tatsächlich ein paar Tracks, bei denen ich schon weiß, dass sie nur im Album-Format funktionieren werden. Ich glaube aber, das muss natürlich passieren. Gerade bei so etwas wie einem Album hätte ich jetzt nicht das Gefühl, dass es mir sonderlich helfen würde, wenn ich mich dazu zwinge, eines produzieren zu wollen.

Wie entstehen bei dir Tracks so ganz allgemein?

Ich habe keine Ahnung, warum das so ist, aber ich wache morgens manchmal mit fertigen Tracks im Kopf auf. Ob ich die dann so umgesetzt bekomme, ist eine andere Frage. Ich öffne dann eine 4-Spur Recodring-App und pfeife die Parts ein. Ich habe bestimmt 30 bis 40 solcher Skizzen auf meinem Telefon. Die sind cringe hoch zehn, aber sobald ich die höre, habe ich den ganzen Song wieder im Kopf. Ich kann kein Instrument flüssig spielen und eine Idee demnach auch nicht sofort umsetzen. Da fehlt mir die Sprache dazu. Aber mit diesen Skizzen und Aufnahmen funktioniert es eigentlich ganz gut die Idee festzuhalten. Und dann wird im Prozess ja meistens noch einmal was ganz anderes daraus. Ich habe das Gefühl, dass der Idee da auf jeden Fall schon was inne ist, was sehr authentisch ist.

Eigentlich kommst du aus dem DJing – du hast vor 20 Jahren mit dem Auflegen angefangen. Was ist nach dieser langen Zeit immer noch der Reiz am Auflegen – und hat sich die Faszination auch gewandelt? In dieser langen Zeit ist auch im DJing total viel passiert.

Die Grundbasis ist für mich immer noch die gleiche. Ich finde es sehr spannend, was mit einem Lied passiert, wenn ich ein anderes darauf folgen lasse. Es bekommt dann einen neuen Kontext und eine andere Stimmung. Und nicht nur eine Stimmung, sondern es hat auch eine auch eine Bewegung inne, die einen zum Tanzen bewegt. Dass so etwas überhaupt möglich ist, war auch der erhellende Moment von den ersten DJ-Sets, die ich gehört habe. Davor kannte ich nur Compilations wie „Bravo Hits“ und „Dream Dance“, bei denen einfach Lieder hintereinander liefen. Als Kind hatte ich mir da nie Gedanken darüber gemacht, warum die so arrangiert sind. Aber als ich auf einmal ein DJ-Set gehört habe, war das für mich super krass. Das war ein ganz anderes Level. Das ist auf einmal eine musikalische Geschichte gewesen, die mich zum Tanzen bringt und nicht nur eine einfache Aneinanderreihung von Liedern.

Foto: Toto Wolsky

Das war der Startpunkt für mehr dann?

Ja, ich war direkt hooked, so was auch zu können. Lange hatte ich den Anspruch, dass ein Set so reibungslos wie möglich sein muss. Übergänge sollten so slick wie möglich und ohne Stolperer sein. Da bin ich mittlerweile ein bisschen weg davon. Beim Auflegen im Club finde ich es geil mit dem Moment zu spielen – und da kann ein vermeintlicher „Fehler“ auch übelst zünden. Wenn beispielsweise ein Stück für eine Weile richtig leise läuft oder der Bass nicht dann einsetzt, wenn es alle erwarten, sondern erst eine halbe Minute später.

Ich merke aber auch, dass ich durch die längere Pause, in der ich nicht viel in Clubs gespielt habe, auch wieder etwas mehr Interesse habe, so fluid auf solche Momente hinzuarbeiten. Wenn ich während eines Sets in der Plattentasche grabe, eine Platte rausziehe und merke, dass sie gerade nicht passt, dann behalte ich sie im Hinterkopf. Dann fängt so ein Automatismus an, so dass ich dort hinkomme, um die Platte spielen zu können. Ich bin kein großer Fan von DJs, die ihre Musik einfach nach Genre sortieren, um dann alle mixing-technisch gut passenden Tracks hintereinander zu spielen. Das finde ich irgendwie zu kurz gedacht und auch nicht mutig genug. Wer als DJ nur fünf Minuten weit denkt, darf gerne in Zukunft von Spotify abgelöst werden.

Du hast beim detektor.fm-Plattenkoffer auch von deinen ersten Auftritten als DJ erzählt – wie du gelernt hast, das Publikum zu lesen. Das fand ich einen spannenden Begriff. Was bedeutet das für dich genau?

Ich weiß gar nicht, ob Lesen der richtige Begriff war. Er ist vielleicht doch zu einseitig. Mir fällt zu diesem Thema eine spezielle Nacht ein – als ich einen meiner ersten Club-Gigs hatte. Der Club war schon relativ gefüllt. Und da standen echt viele Leute an der Bar und haben alle in einer Reihe gewartet. Als ob uns eine unsichtbare Wand voneinander trennt. Und witzigerweise haben die meisten angefangen, mit ihrem Arsch zu wackeln, standen in meine Richtung gedreht und hatten Drinks in der Hand. Aber sie sind nicht auf den Dancefloor gekommen. Ich habe richtig Panik gehabt – und als ich merkte, dass die Leute weiterhin nicht anfangen haben zu tanzen, hat mich das noch mehr verunsichert.

Da ist mir irgendwann aufgefallen, dass ich die ganze Zeit vor Angst meinen Blick auf die Plattenspieler und den Mixer gerichtet hatte. Wenn ich heute ein DJ-Set anfange, kann ich noch immer das gleiche beunruhigende Gefühl haben. Und dann ist immer die Devise: Kopf hoch und die Leute anschauen. Mit ihnen interagieren und vor allem mit Leuten interagieren, die auch mich anschauen. Ein Blick reicht, um zu merken, dass wir füreinander da sind. Deswegen ist „Lesen“ eigentlich der falsche Begriff. Es ist eher eine Art von Connecten. Und ich glaube, wenn die Verbindung und das Vertrauen einmal da sind, können musikalisch auch noch ganz andere Dinge passieren.

Hast du eine Lieblings-Crowd?

Je weniger Cis-Männer, desto besser, hahaha. Nein ernsthaft, wenn ich selbst in der Crowd stehe, gefällt es mir, wenn die Crowd um mich herum sehr divers ist. Das ist nicht überall der Fall. Für mich ist Tanzen was sehr introvertiertes, auch wenn es sehr extrovertiert wirken kann. Ich kann es schwer verstehen, wie die Tanzfläche zum Flirten und Baggern genutzt wird. Diesen Vibe kenne ich meist nur von Cis-Personen und der nervt mich. Da hilft es sehr, wenn die Crowd divers ist und die Erwartungen bei der Musik selbst bleiben. Während des Auflegens habe ich meistens nur die ersten Reihen im Blick, aber da macht es mich glücklich, wenn Ich gewisse Personen fast das ganze Set über wiedersehe. Das ist ja das, was ich mit einem DJ-Set bewirken will – dass Leute nicht alle zehn Minuten zur Bar gehen, sondern dass ich was Kohärentes schaffe, das über Stunden hinweg funktioniert.

Foto: Toto Wolsky

Was überwiegt dann bei dir in so einer Nacht: Deine Story, die du gern mit dem Set transportieren möchtest oder das Pleasen der Crowd – gerade in diesem Spannungsfeld von dramaturgischen Gedanken, Sorgen wohin die Reise hingeht und kurzsichtigen DJs, die von Spotify abgelöst werden können.

Das ist ein Balance-Akt. Ich kenne das auch vom Design. Selbst wenn du einen Stuhl für niemanden spezielles entwirfst, gestaltest du ihn immer noch zum Sitzen. Du musst also die Balance schaffen, wie viel von deiner Persönlichkeit in den Stuhl geht, so dass auch jemand anderes ihn benutzen kann.

Das Schöne am Auflegen: Es ist im Moment. Wenn ich merke, es braucht gerade ein bisschen mehr Emotions, dann gibt es Möglichkeiten, die herzustellen. Wenn ich merke, es braucht nur einen neuen Rhythmus, dann kann ich den auch vorgeben. Selbst ein leer gespielter Floor ist nicht für die Ewigkeit – es gibt Mittel und Wege, diesen wieder zu füllen. Vielleicht sind es oft gar nicht Tracks, auf die ich hinarbeiten will, sondern Stimmungen. Wenn ich merke: Okay, jetzt war es alles sehr smooth und liquide und alle Tracks hatten glatte Übergänge. Aber jetzt kommt mal wieder ein schöner Rough-Cut zu einem Diva House-Track. Das passt, why not.

Lass uns zum Schluss noch einmal einen großen Sprung machen – hin zur Kunst. Du bist künstlerisch ganz unterschiedlich unterwegs, Zum einen das Design und das Medienkunst-Studium in Konstanz und Weimar. Dann arbeitest du auch als Webdesigner. Hast du für dich noch einmal einen ganzheitlicheren Kunstbegriff, in dem diese verschiedenen Bereiche verschwimmen.

Die beeinflussen sich alle und das hilft mir auch, extrem produktiv in den einzelnen Feldern zu sein. Das ist wie ein Katalysator – zugegeben ein sehr behäbiger Katalysator. Mir ist schon bewusst, dass, wenn ich die gleiche Energie in nur ein Feld stecken würde, vieles schneller von statten gehen würde. Aber ich hatte immer das Gefühl, bei all den Dingen, die ich mache, dass sie sich gegenseitig befruchten. Denn letzten Endes sind es in allen Bereichen auch immer ähnliche Dinge, die mich beschäftigen.

Was ist das?

Wir haben nun schon oft über den Begriff der Dramaturgie gesprochen oder auch über das Balancieren zwischen Verhältnissen. Diese Auseinandersetzungen sind auf jeden Fall immer präsent gewesen, auch in der Zeit, in der ich wenig aufgelegt habe. Was passiert zwischen Kunst, Künstler und Betrachtenden. Welche Energie besteht zwischen Publikum und DJ. Was muss zwischen Stücken auf einem Album passieren, damit es ein Album wird? Das sind auf jeden Fall Gedanken, die sich alle gegenseitig befruchten. 

Warum kam diese Pause vom Auflegen eigentlich?

Ich glaube, als junger Mensch hatte ich große Ambitionen, die ich nicht erfüllen konnte – vor allem in meinem ersten Grafikdesign-Studium. Davon musste ich mich lösen und es etwas reflektieren. Dazu gehörte auch eine Distanz zum Auflegen.

Du hattest das Bild des award-wining Grafikdesigners im Blick?

Das fing ganz harmlos damit an, dass ich von meinen Idolen inspiriert wurde und es mein Traum war, so etwas ähnliches zu tun. Das führte aber dazu, dass ich meine Erwartungen nicht erfüllen konnte und frustriert war. „Warum mache ich das jetzt gerade?“, war die große Frage. Die hat sich auch auf die Musik ausgeweitet.

Aber dann schließt nun der Kreis zum Album, oder? Wie du deine aktuelle Stimmung beschreibst, hast du deinen Weg ja gefunden – und diese Ruhe und Selbstsicherheit

Ja, voll.

Fotos

Zum Schluss noch ein herzliches Hello und Danke an Toto für die tollen Fotos zu diesem Spot on. Dies ist Totos Foto-Premiere bei frohfroh – und wir sind mega happy damit.

“Hi, ich bin Toto. Ich bin durch einen Open Call bei frohfroh gelandet und super froh, dass ich jetzt so viele neue Leute und Musik kennenlernen darf. Für die Artistportraits ist es mir wichtig, dass ich mich mit der Musik der jeweiligen Person auseinandersetze und wir gemeinsam den Vibe der Fotos erarbeiten, oft auch konzeptionell. Ich liebe Musik und bin dazu aber auch ein sehr visueller Mensch, weshalb mein Ziel bei den Shoots immer ist, visuellen Kontext zur Musik zu schaffen.

“Der Shoot mit Baldu war total entspannt. Wir haben sehr symbiotisch gearbeitet, er hat mir auch von Anfang an direkt viele coole Impressionen angetragen, was das ganze total erleichtert hat. Ich denke, im Endeffekt habe ich versucht, die Dinge, die ich beim Hören empfinde und er beim Machen von seiner Musik im Kopf hat, zusammenzutragen und zu visualisieren. Dadurch, dass er auch aus der bildenden Kunst kommt, hat sich das eher wie ein gemeinsames Projekt angefühlt, was total Spaß gemacht hat.”

KW 28 – Samstag

Und hier noch vier spannende Tipps für den Samstag.

frohfroh-Tagestipp //

All The Hours // Mjut // 23:55 Uhr
w/ J Nuggetz, Main Phase, Nasra, RST98, DJ Over’n’Out, Nugget, Lil xs Detox, Franziska Berns, Catelle und DJ Lif
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Zweite Ausgabe der neuen, extra langen All The Hours-Reihe. Wir hatten mit dem Planungsteam ein kleines Interview – don’t miss it.


Außerdem heute //

Saft – Institut fuer Zukunft, 23:59 Uhr – Techno, Trance, Performances, Red und Darkroom mit Kikimike, Lolsnake, Under Pleasure, S-Ray, Kunu

Hey Ciao, Vacanza! Vol. 07 – Elipamanoke, 23:59 Uhr – Trance und House mit 1000kjulez, DJ G1na R., Don Ramones b2b Sam Paradise, Goldie Palm, Janthe, KR:UMM aka KRUE b2b :MUMM, Spielkameraden, Tillydin

Klubnacht – Westhafen, 18:00 Uhr – House und Techno mit Cinthie, Sevensol, Stephan von Wolffersdorff, Meat, Livet, LeSuri

KW 28 – Freitag

Drei Tipps für diesen Freitag.

frohfroh-Tagestipp //

Hotline // Elipamanoke // 23:59 Uhr
w/ Beqqi, Daddy Danger, DJ Carrera, Hypnosta, Jung und Schön, Magarethe Specht, Obito, Penglord, Toni Coach

Die Never Happened-Crew hat die Hotline freigeschaltet – und in der Warteschleife gibt es einen guten Mix aus Techno, House und Tech House.


Außerdem heute //

Substituierbar – Mjut, 16:00 Uhr – Various Styles und Special Drinks mit Maryana Klochko, Guava, Heckintosh, Sophiise, Mauv.e, C.qit, Gent1e $oul, Rolex3k

Mesopotamian – Ilses Erika, 23:00 Uhr – Arabic Disco, Techno und Trance mit Hamode, Rahmlet, Aikali, Cheetah

Behind The Nights (and Days) – All The Hours

Wir reanimieren eine Serie, bei der spannende Party-Reihen im Fokus stehen. Dieses Mal geht es ins Mjut, wo seit Kurzem eine 22-Stunden-Party gestartet ist.

Feste Party-Reihen sind klassische Anker der Clubkultur – in Off-Locations und Open Airs ebenso wie in Clubs. Meist stehen dahinter bestimmte kuratorische Ansätze und Gedanken von interessanten Menschen. Genau das möchten wir künftig wieder mehr beleuchten. Los geht es mit der “All The Hours”-Reihe. Anfang Juni fand sie erstmals im Mjut statt und sorgte mit ihrer musikalischen Offenheit und ihrer 22-stündigen Laufzeit drinnen und draußen für ein erstes Wow.

Wir wollten wissen, was es mit “All The Hours” auf sich hat und wie es weitergeht. In einem kleinen Mail-Interview antwortete uns die Planungs-Crew des Mjut. Here we go:

Wie kam die Idee zu “All The Hours”?

Meistens finden klassische Afterhours in Leipzig privat oder hinter verschlossenen Türen statt. Mit dem Konzept “All The Hours” wollten wir den Versuch wagen, ob Leipzigerinnen Afterhours im Kontext von öffentlichen Veranstaltungen wahrnehmen. Mit der dadurch entstehenden Verbindung einer Clubnacht mit einer Tagesveranstaltung können wir unterschiedliche Formate kombinieren und ein breiteres Angebot schaffen. Unter anderem verschafft das “All The Hours” ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen Veranstaltungen in Leipzig.

Was sind konzeptionell die Highlights für euch?

Wie bereits angeklungen, wollen wir verschiedene Möglichkeiten schaffen, um an der Veranstaltung teilzunehmen. Menschen können also über die gesamte Dauer bleiben, irgendwann wieder, nach einer anderen Veranstaltung oder nur tagsüber am Sonntag vorbeikommen. Das Verschmelzen der Veranstaltungsformate ist auch konzeptionell in unserem Programm etwas Neues und bietet vielfältige Möglichkeiten. So können wir beispielsweise den größeren Umfang der Veranstaltung nutzen, um größere Bookings zu gewinnen. Zusätzlich liegt ein größeres Augenmerk auf unserem schönen Außenbereich, der ansonsten meist nur unter der Woche genutzt wird. Wir verlagern bereits Sonntagvormittag das Programm direkt aus dem Club in den Außenbereich, dadurch ändert sich natürlich auch der Verlauf der Party. Ein weiteres Highlight der Veranstaltung ist das grandiose Artwork von I NEED ¥, das sich von Veranstaltung zu Veranstaltung immer etwas ändert und auf dem es super viele Details zu entdecken gibt.

Ist das nur ein Sommer-Format?

Bisher ist die “All The Hours”-Reihe ein Sommer-Format, ja. Wir wollten zuerst einmal ausprobieren, wie das Konzept bei unserem Publikum ankommt, weil es zu einem großen Teil im Garten stattfindet. Wir werden sehen, inwieweit wir “All The Hours” im Herbst und Winter weiterführen werden.

Worauf achtet ihr beim Booking?

Allgemein achten wir natürlich darauf, ein in vieler Hinsicht diverses Booking zu schaffen. Gerade bei dieser Veranstaltung ist es uns zudem wichtig, eine große musikalische Bandbreite zu zeigen und gleichzeitig einen roten Faden beizubehalten. Der Wechsel vom Innen- in den Außenbereich muss natürlich auch musikalisch stimmig sein. Das Publikum soll so gut es geht abgeholt werden – egal in welchem Moment sie auf die Party kommen. Ein weiteres Merkmal ist sicher auch der Mix aus Newcomerinnen, lokalen Artists und größeren, namhaften und teils internationalen Acts.

Gibt es eine Special “All The Hours”-Deko?

Für “All The Hours” gibt es keine bestimmte Deko, aber es gibt eine Reihe an Specials wie beispielsweise besondere Drinks, vegan-vegetarisches Essen und Eis von Aziz und unterschiedliche Happy Hours für Drinks – aber auch für den Eintrittspreis.


Am 15. Juli 2023 findet die zweite Ausgabe statt. Mit dabei sind J Nuggetz, Main Phase, Nasra, RST98, DJ Over’n’Out, Nugget, Lil xs Detox, Franziska Berns, Catelle und DJ Life

Neuer Avant-Pop mit Wylid Node

Der äußerst talentierte Leipziger Komponist und Produzent Philipp Rumsch lässt uns neue Musik zukommen – die erste Single seines neuen Projekts Wylid Node.

Die letzte Veröffentlichung des Künstlers mit dem Philipp Rumsch Ensemble auf Denovali hallt noch nach und ist mir durchaus in sehr guter Erinnerung geblieben. Leider hatte ich nie das Glück das Ensemble live zu sehen, denn die Auftritte sollen wohl der Shit schlechthin gewesen sein.

Philipps neues Projekt trägt den Namen Wylid Node und dessen erste Single „Greyhound“ ist soeben auf seinem eigenen Label Nynode Intermedia erschienen. Es ist in vielerlei Hinsicht eine besondere Veröffentlichung. Erste Ideen zum Projekt kamen Philipp in seiner einjährigen Zeit in Island 2020, die er nutzte, um neue Musik zu kreieren – allein oder gemeinsam mit anderen Mitmusiker:innen. Dass der Künstler nun Musik nicht unter eigenem Namen veröffentlicht, sondern einen neuen Projektnamen ins Leben ruft, unterstreicht das Kollaborative des Vorhabens. Und so ist die Liste der mitwirkenden Musiker:innen bei „Greyhound“ international und lang. Vocals von Ayen GL, Jörg Wähner am Schlagzeug, Rakhi Singh an Violine und Paula Wünsch am Kontrabass. Produziert und aufgenommen wurde die Musik in Dolby Atmos, was das Klangerlebnis vor allem auf Kopfhörern noch feiner und räumlicher macht. So weit, so nerdy. Wie klingt denn aber nun
eigentlich die Musik?

Grob gesagt lässt sich das Ganze unter Avant-Pop verbuchen. Weniger schwammig ließe sich die Musik auch zwischen Neoklassik und abgedunkelter Popmusik à la Ghostpoet einordnen. Spoken Word-Lyrics über bedeutungsschwangeren Streichern, glockenähnliche und sich wiederholende Sounds über progrockigem Schlagzeug, dazu leichte elektronische Spielereien. Isländische Schwere und ein wenig Rest der Dunkelheit aus dem Jahr 2020?

Der Weg ist auf jeden Fall einer, der nach unten führt. An einen Ort, wo nicht unbedingt dauerhaft die Sonne scheint. Klanglich fällt das Stück auf Kopfhörern tatsächlich sehr cineastisch aus und so sollte man es sich auch optimalerweise zu Gemüte führen.

Am besten gleich mit dem imposanten Video in Super Slow Motion von Tobias Schütze. Spannend bleibt es zu sehen, in welchem Kontext sich das Projekt 2024 präsentieren wird, denn dann erscheint das Mini-Album von Wylid Node. An einer Live-Umsetzung wird ebenfalls bereits getüftelt.