New In – Jan 22

Das neue Jahr ist mit Nostalgie, Electro-Funk und analoger Ruppigkeit gestartet. Hier sind unsere sechs EP-Empfehlungen vom Januar 2022.

DjBadshape „Hurrican Kick“ (Defrostatica)

Bevor es mit einer ganzen Reihe an Oldschool-Stuff losgeht, fange ich mit dem freshesten an, was dieser Monat wohl hervorgebracht hat: die erste eigene EP von Dj Badshape. Die Leipzigerin bewegt sich zwischen Design sowie Musik und hatte bei Human und Defrostatica bereits erste Compilation-Beiträge – bei uns gab es auch schon eine Track-Premiere mit ihr. Nun also das EP-Debüt. Und was für eins. Zwei Tracks, die einerseits unglaublich filigran und detailliert ist, andererseits total minimalistisch bleibt.

„Hurricane Kick“ mäandert in Midtempo voran und lässt dem Preacher-Vocal der Londonerin Stormskater viel Raum. „PMS (I Am Tired) verschiebt die Soundgrenzen dann zu düster-ravigem Breaks-Techno. Ohne aber an Minimalismus und Tiefe zu verlieren. Mega gute EP.

Mein Hit: „Hurrican Kick“. Why: Weil mich die fette Bassdrum direkt reingezogen hat und Stormskater die Spannung so gut hält.


Robyrt Hecht „Type EF“ (Clear Memory)

Damit beginnt eine längere Nostalgia-Reise. Robyert Hecht überrascht mich hier mit einer vollen Ladung Electro-Funk, Detroit-Straigthness und wahnsinnig positiven und verspielten Vibes. Irgendwie hatte ich seinen Sound anders in Erinnerung. Aber diese neue selbstbewusste Happieness gefällt mir richtig gut. Raus aus den verspulten interstellaren Träumen, rauf auf den alles umarmenden Dancefloor. „Scrilla Cruise“ strahlt hier besonders heraus und offenbart echte Hit-Qualitäten. Aber auch die anderen fünf Tracks legen den Fokus auf einen eher leichtgängigen, fast poppigen Zugang zu klassischem Oldschool-Electro.

Mein Hit: „The Cone“. Why: Weil er so simpel so viel gute Laune verbreitet, bester Konter gegen das Winter-Grau.


Credit 00 „Data Phobia“ (Mechatronica)

Klanglich nicht weit entfernt bewegt sich Credit 00 auf seiner neuen EP. Gerade „Being Baked“ kommt ähnlich unbekümmert und poppig daher. Allerdings sind die anderen Tracks deutlich darker und rougher und geradliniger. „Fatty Acid“ taucht herrlich tief ein in die Acid-Spirale. Mit kosmischen Melodien, schroffen Claps und äußerst trippigen Synth-Schleifen. „Control Z“ ist der Gegenentwurf dazu: sehr spannungsgeladen mit spooky Vocals und reduziert-düsterer Atmosphäre. I love it.

Mein Hit: „Control Z“. Why: Weil die wenigen, präzise gesetzten Drums eine unglaubliche Spannung aufbauen – und trotzdem hat es Pop-Appeal.


Core „Rise“ (RUNLXC)

Nun wird es richtig oldschool – und zwar tatsächlich. Denn LXC vom Leipziger Traditionslabel Alphacut hat sich entschieden, auf Bandcamp ein Archiv all seiner Tracks zu veröffentlichen. Nach und nach. Von den Neunzigern bis heute. Los geht es mit Core, einem ersten Projekt von LXC aus einer Zeit, als DIY-Producing mit 512 KB RAM auskommen musste und es noch keine tausende Youtube-Tutorials gab. Die ersten elf Tracks wurden alle neu gemastert und sind dadurch quasi kaum gealtert. Musikalisch ist das Ganze äußerst divers: von Breakcore über Jungle, Rave und Drum & Bass bis zu komplett verrückten Riot-Momenten. Eine tolle Zeitreise. Lest unbedingt auch die Liner Notes bei Bandcamp zu jedem Archiv-Release. Dort erzählt LXC noch mehr zu den einzelnen Tracks.

Mein Hit: „Deny“. Why: Weil hier eine super wilde Riot-Hymne wiederhervorkommt, mit in Headphones eingesungenen Vocals.


Reflex Blue „RM12014“ (R.A.N.D. Muzik)

Gefühlt kein Monat, in dem nicht eine neue R.A.N.D. Muzik-Platte erscheint. Nach einigen Compilations gibt es mal wieder eine reine Artist-EP – von einem australischen Newcomer. Seit rund einem Jahr gibt es erste Tracks von ihm öffentlich zu hören. Dafür klingen sie aber schon sehr versiert und auf den Punkt gebracht. Die vier House-Stücke sind sehr powerful und treibend, durchaus mit progressiven, kitschigen und triballastigen Vibes, aber nie plump dabei. Immer mit einer gewissen Reibung, um sich der Beliebigkeit zu entziehen.

Mein Hit: „Into the Void“. Why: Weil dieser Track auf entspannte Weise die ganze Vielfalt der EP vereint.


TIBSLC „How To Open Your Eyes In The Eye Of A Sandstorm“

Zum Schluss noch eine Neuentdeckung. TIBSLC, noch nie davon gehört, obwohl es bei Soundcloud schon sechs Jahre alte Tracks gibt. Wahrscheinlich aus dem Pracht-Umfeld, bei einer Compilation erschien auch ein Track. Bei Bandcamp hat er im Januar eine sehr spannende EP mit kurzen Ambient- und Experimental-Tracks veröffentlicht. Mit leicht melacholisch eingehüllten Sounds, unsophisticated Glitches und dennoch einigem Art-Appeal. Bei Instagram lässt sich erahnen, das TIBSLCs Musik sehr eng mit moderner Kunst verbunden ist. Nice one.

Mein Hit: „Curiosity City“. Why: Weil hier Wärme und Unruhe so gut und schlüssig aufeinanderprallen.

Strobo und Kunst im Südwesten – Areal Orbis

Aktuell tut sich einiges an den Rädern von Leipzig. Während im weiten Norden die Pittler-Werke immer mehr Gestalt annehmen, wächst am anderen Ende der Stadt ebenfalls ein neuer Club-, Event- und Kunst-Spot – das Areal Orbis. Wir haben erste Informationen.

Die ersten Gerüchte zu einer neuen Location im Südwesten gab es vor wenigen Wochen bei Twitter und Instagram, danke an Sound of Leipzig btw. Daraufhin haben wir uns auf die Suche gemacht und einen Ansprechpartner gefunden – Philipp. Er ist Initiator und Teil eines kleines Teams, das das Areal Orbis im April 2022 eröffnen möchte. Unter anderem steht ihm dabei auch ein erfahrener Techno-Head zur Seite, der aber incognito bleiben möchte.

Wo entsteht das Areal Orbis?
Im südwestlichsten Zipfel von Leipzig wird das Areal Orbis entstehen, unweit vom Zwenkauer See und der Weißen Elster sowie mittendrin in einem Gewerbegebiet am Bösdorfer Ring. Ganz ehrlich, mir war nicht klar, dass dies überhaupt noch zu Leipzig gehört. Aber es zählt zu Hartmannsdorf-Knautnaundorf. Mit dem Rad braucht es 30 Minuten bis dahin. Alternativ ist aber auch ein barrierefreies Shuttle zwischen dem Areal Orbis und dem Bahnhof Knauthain geplant.

Die Location ist übrigens eine alte Lagerhalle aus DDR-Zeiten, die nach der Wende meist leer stand, ein paar Partys hat sie wohl auch schon erlebt. Rundherum gibt es einen großen grünen Außenbereich, der künftig auch für Open Airs genutzt werden soll. Indoor ist Platz für rund 500 Menschen. Aktuell sei das Grundgerüst für eine geile Party bereits vorhanden, meint Philipp. Aber es brauche noch etwas Feinschliff und die finale Abnahme.

Was ist geplant?
Das Konzept sieht eine stilistisch breite Ausrichtung vor. Zwar gibt es einen großen Fokus auf verschiedene Genres der elektronischen Musik. Aber das Areal Orbis soll auch ein Ort für HipHop- und Rockkonzerte, Festivals, Kunst-Ausstellungen und Poetry-Slams werden. Dazu wird in den warmen Monaten der Außenbereich intensiv bespielt. Parallel dürfte das Areal auch als mietbare Event-Location genutzt werden.

Die Inspiration eine solche Location aufzuziehen, keimt bei Philipp schon seit seiner Jugend. Nach seiner ersten Clubnacht mit 16 war ihm direkt auf dem Dancefloor klar, dass dies sein Ding ist. Über ein Jahrzehnt später traf er auf den oben erwähnten Techno-Pionier und fand den Support, um solch ein Projekt zu verwirklichen.

Mitten in der Pandemie natürlich kein leichtes Timing. Aber es ist ein großer Hoffnungsschimmer, dass nach dem Neue Welt-Club noch an anderer Stelle zuversichtlich nach vorn geschaut wird.

Bild-Credits: Areal Orbis

Neu, neu – Emma Philine im Interview

Emma Philine lebt und arbeitet seit vielen Jahren als Musikerin und Künstlerin in Leipzig. Jetzt erscheint nach vier Jahren ihre erste EP „17 2 20“. Wir haben die Newcomerin kurz vor dem Jahreswechsel zum Interview getroffen und mit ihr über den Start während Corona, Leipzigs Musiknetzwerk und Spotify gesprochen.

„hyperpop-icon“

Gemeinsam mit ihrem Produzenten Dennis Behrendt aka Zoetrop hat Emma Philine seit 2017 an mehreren Songs gearbeitet, die von Sex und Depression handeln. Zwei der Songs, Slow und Ghost of mine, wurden bereits mit aufwändigen Videoproduktionen im vergangenen Jahr veröffentlicht – die Macher:innen des Kaltblut-Magazins beschrieben die Sängerin erst kürzlich treffsicher als hyperpop-icon. Nicht nur das hat deutlich gemacht, dass man an der Newcomerin einfach nicht mehr vorbeikommt.


Emma Philine_17 2 20

frohfroh: Erzähl erstmal gerne von dir… Wie heißt du, wer bist du, was machst du?

Emma Philine: Ich bin Emma Philine, 21 Jahre alt und komme ursprünglich aus Berlin. Mit 13 bin ich nach Leipzig gezogen und habe hier meinen Produzenten Dennis kennengelernt. Mit ihm habe ich angefangen, eigene Musik zu machen. Vorher hatte ich Gesangsunterricht an der Musikschule „Neue Musik“ in Leipzig.

Am 6. Januar 2022 erscheint deine erste EP namens „17 2 20“. Wie lange haben Dennis und du daran gearbeitet?

Wir haben seit 2017 bis 2020 daran gearbeitet… (lacht)

Der Name ist also auch programmatisch. Ist das ein langer Zeitraum für dich?

Ja, das ist lang. Als DIY-Projekt ist es klar, dass es länger dauert als mit einem eingespielten Team hinter einer Produktion. Dazu kommt, dass wir alles – wirklich alles – das erste Mal gemacht haben. Dennis hat zum Beispiel erst mit mir angefangen zu produzieren und ich habe mein erstes Musikvideo geschnitten. Das heißt, alle Prozesse bis zur Fertigstellung – das Artwork, das Setting, die Vermarktung – das alles war bis dahin neu für uns.

„17 2 20“ von Sarah Letalik, Lucas Parsley und Tim Bencker

Worum geht es in deiner EP, inhaltlich?

Es geht um die Jahre von 2017 bis 2020, also um genau diesen Zeitraum. Es gibt zwei zentrale Themen: Sexualität und Depression. Als Titel habe ich „17 2 20“ gewählt, weil ich zu diesen Themen Distanz schaffen wollte.

„Denn ich bin meiner Kunst, egal was ich mache, voraus.“

Ob das am nächsten Tag ist, dann bin ich natürlich etwas näher dran, oder eben ein Jahr oder auch mehrere Jahre später – ich bin dann schon so viel weiter weg von dem, was ich mal produziert habe. Mit dem Titel wollte ich auch die Dramatik etwas herausnehmen.

Bist du sehr perfektionistisch, was deine Darstellung, die Inszenierung deiner Musik und das Konzept dahinter angeht? Deine erste Single Slow und auch die zweite Auskopplung Ghost of mine sieht sehr danach aus, im positiven Sinne.

Es ist sehr schön, wenn du sagst, es wirkt als hätte das Alles ein Konzept – denn das hatte es nicht. Am Anfang, wenn man Musik macht, weiß man noch nicht, was es bedeutet – und wie man die Teile in einer EP oder in einem Album zusammenfasst.

Wir haben einfach Musik gemacht und ich habe dann im Nachhinein geschaut, wie das Alles zusammenpasst, welche Themen es sind, wie es ästhetisch aussieht und wie sich das anfühlt. Mich freut, dass es so professionell aussieht, denn das zeigt, dass sich unsere Arbeit, die wir reingesteckt haben, gelohnt hat.

Wie war das für dich, als Musikerin während Corona zu starten? 

Eigentlich hat das für uns gepasst, kann man sagen. Denn anfangs ging es für uns um Musik schreiben, Videos drehen, Artworks erstellen – jetzt, wo Liveshows immer relevanter werden, wird es natürlich auch für uns kritisch. Corona war aber auch für uns eine Herausforderung als es um die Videoshootings ging, hier mussten wir Auflagen einhalten und Termine wurden uns teilweise abgesagt. 

Du warst erst kürzlich als Künstlerin bei einer Spotify-Playliste auf dem Cover. Was hältst du von Musik-Streamingdiensten wie Spotify & Co.?

Das Thema ist für mich super aktuell und sehr neu. Ich war demgegenüber relativ unkritisch. Bis wir die EP veröffentlicht haben.

„Jetzt merke ich Schritt für Schritt, wie sehr Spotify Künstler:innen über den Tisch zieht und wie wenig Einnahmen bei mir als Artist ankommen.“

Für mich geht es zwar gerade noch weniger um Geld als um Reichweite und da freue ich mich natürlich, dass es derzeit bei Spotify für mich so gut läuft, allerdings wird es zunehmend als DIY auch wirklich wichtig Einnahmen zu generieren. Und da 10.000 Streams auf Spotify nicht mal einer Pizza mit Cola dazu entsprechen, ist das natürlich schon frech.

Man muss andere Wege finden sein Geld wieder rein zu kriegen. Deswegen ist es wichtig, dass Musikkonsument:innen sich dieses Umstandes im Klaren sind und schauen wie sie insbesondere die small Artists unterstützen können. Ich habe jetzt zum Beispiel neuerdings ,,Fanklub“, da kann man mich monatlich mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen und bekommt exklusiven Content und BTS Material im Gegenzug zurück. Checkt das auf jeden fall aus. 

Stichwort Netzwerke: Mit welchen Künstler:innen aus Leipzig hast du bisher zusammengearbeitet?

Die einzige Konstante in meiner künstlerischen Arbeit ist Dennis. Er ist immer dabei, das übrige Team wechselt. Ich muss sagen, auch wenn ich sehr dankbar für die Unterstützung, die ich erhalten habe, bin, habe ich viele Schlüsse gezogen, die mir gezeigt haben, dass ich mit einigen Menschen nicht mehr zusammenarbeiten möchte. Das betrifft vor allem cis männliche Personen.

„Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich am liebsten nur mit FLINTA-Personen zusammenarbeiten.“

Ich habe was das angeht aus meinen Fehlern gelernt – und bin vorsichtiger. Ich war vertrauensvoll und habe mich sehr geöffnet und dabei wenige Grenzen gezogen. Ich wusste damals auch noch nicht, wie ich mit meiner Rolle als diejenige, die das letzte Wort hat, umgehen soll. Und das als Frau unter Männern. Ich bin trotzdem froh, dass ich diese Erfahrungen jetzt gemacht habe und nicht erst später, wenn mehr Geld oder ein größerer Deal im Spiel ist. 

_Ghost of Mine

Wie feiert ihr den Release, jetzt, wo wieder Lockdown ist – und vermutlich auch im Januar noch nicht mit der Öffnung von Clubs und Konzertlocations zu rechnen ist?

Ich würde mir sehr wünschen, falls es erlaubt ist, eine kleine Party zu organisieren. Mit meinen engsten Freund:innen und allen, die an der EP beteiligt sind und die ich schätze und gerne habe. Und mit ihnen möchte ich gerne anstoßen und einfach einen sweeten Abend verbringen.

Letzte Frage: Was kommt noch, was hast du vor? Planst du deine Karriere auch über Leipzig als Standort hinaus?

Erstmal werde ich in Leipzig bleiben, weil ich hier gerade mein Abi nachhole. Aber ich könnte mir natürlich vorstellen, über Leipzigs Grenzen hinweg zu gehen, Berlin bietet sich da an. Mein großes Ziel ist ein Album, das ich aber was Lyrics, Performance und Message betrifft, mit Sinnlichkeit angehen möchte – dafür müssen wir uns aber erst Zeit freiräumen. 


Die aktuelle EP ist ein Abbild der musikalischen und künstlerischen Entwicklung von Emma und Dennis, die nun hörbar geworden ist. Und eben diese Entwicklung ist noch lange nicht vorbei, wie Emma sagt.

YouTube, TikTok, Instagram, Spotify, Twitter… die beiden sind überall, vor allem aber im Ohr. Einen Überblick, was wo wann passiert, was wo zu hören ist und wie ihr sie unterstützen könnt, lest ihr auf ihrer Website.

Headerfoto von Wolfgang Grote.

New In – Dez 21

Kurz vorm Jahresende noch ein Blick auf die Leipzig-Releases der letzten Wochen. Mit dabei zwei Classics, ein Remix und ein Techno-Pionier aus Leipzig.

The Micronaut „Curling“ (Ki Records)

Ende Januar 2022 kommt der zweite Teil von Micronauts Ode an die Olympischen Spiele. Nachdem im Sommer mehrere Sportarten der Sommerspiele einen Song erhielten, kommen dann die Wintersportarten zum Zuge. Mit „Curling“ erschien neulich die zweite Single-Auskopplung von „Olympia (Winter Games)“. Und mittlerweile ist es zu einem Micronaut-Classic geworden, dass ein Song mit der Leipziger Komponistin, Musikerin und Sängerin Bernhardt entsteht. „Curling“ ist dreamy Indietronic – mit filigraner Rhythmik, lässigem Gesang und direkt umarmenden simplen Melodien. So soft kann Wintersport also sein.

Checkt auch mal das Video zur Single. Übrigens gibt es an Silvester einen Livestream mit Micronaut und den Leipziger IceFighters. Tickets gibt es hier.

Mein Hit: „Curling“. Why: Naja, lol, weil es eine Single mit einem Track ist


Ana Bogner „I Can Hear The Wind“ (Filburt Remix) (O*RS)

Lange nichts mehr von Filburts Label O*RS gehört. Obwohl: Im Sommer kam eine hörenswerte Workshop-EP, die ich nebenbei hier noch einmal auf den Radar hieven möchte. Eigentlich geht es aber um einen Remix eines sechs Jahres Ambient-Pop-Song von Ana Bogner. Filburt scheint er nach wie vor nachzuhallen – und so hat er aus „I Can Hear The Wind“ eine super weich gleitende House-Hymne gemacht. Perfekt für sehr späte und sehr emotionale Stunden. Hört auch gern nochmal in die EP des Originals rein. Ana Bogner sollte viel mehr Aufmerksamkeit bekommen.

Mein Hit: „I Can Hear You (Filburt Remix)“. Why: Weil dieser Remix nochmal ein Spotlight auf einen wunderbaren Song wirft


Klima „Static Off“ (Kellermusik)

So, nun aber raus aus den kuscheligen Wolldecken – ab in den Techno-Keller. Kellermusik ist nämlich wieder zurück. Seit 2001 featured das Leipziger Label Underground-Techno in verschiedenen Facetten – allerdings gab es mehrere Jahre keinen neuen Release mehr. Label-Head Klima nutzt das Comeback und btw. 20. Labeljubiläum für eine eigene Vier-Track-EP. Und ein bisschen klingt es so, als sei die Zeit stehengeblieben. Zwar sind die rougheren und analogen Sounds längst wieder groß zurück, aber es ist hörbar, dass hier jemand mit einem längeren Erfahrungshorizont Techno produziert. Scheppernden Hard-Tek mit Industrial-Einschlag sowie breakige Electro-Basslines vereint Klima auf der EP – alles mit einer gewissen Patina.

Mein Hit: „Static Off“. Why: Weil er irgendwie super dystopisch und rau, aber auch sympathisch verspielt klingt


Various Artists „RM241221“ (R.A.N.D. Muzik)

Hier noch ein Classic: Das Label vom Leipziger Vinyl-Presswerk bringt seit geraumer Zeit jedes Jahr eine Weihnachts-Compilation heraus – immer pünktlich zu Heilig Abend. Dieses Jahr sind vier Tracks von Producern aus Leipzig, Australien und Tel Aviv dabei. Der Anfang und das Ende sind die Highlights: Olsvangèrs „Pkak Del Mar“ entfaltet sich ewig lang in einer trippy-perkussiven Cosmic-House-Session. Barney In The Tunnel verschwindet mit „Emojional Rescue“ in einem verschrobenen Strudel aus breakigem Techno, hell gleisenden Synth-Flächen und wilden Zwischenphasen. Tim Schlockermann und Adam Strömstedt sind da deutlich aufgeräumter und unaufregter in bewährten House-Gefilden unterwegs.

Mein Hit: „Emojional Rescue“. Why: Weil dieser Track so viel Spannung und Wendungen hat, dass er eine eigene EP bespielen könnte

Ordinary Pleasures für einen guten Zweck

Blaq Numbers veröffentlicht im Januar eine sehr tolle und diverse Tape-Compilation. Die Erlöse gehen komplett an das Kinderhospiz Bärenherz. Also Herzen auf und Beats raus.

Matthias Fiedlers Label Blaq Numbers war in den letzten Jahren äußerst umtriebig – mehrere EPs kamen auf Tape und Vinyl heraus. Wer es wie ich verpasst hat, sollte bei Bandcamp mal durchstöbern.

Das Thema Charity ist für Blaq Numbers nicht neu – 2019 und 2020 erschienen bereits Tape-Compilations, die einmal Geld für das Leipziger Kinderhospiz Bärenherz und für Takin Shelter, eine Initiative zur Rettung von frei lebenden Hunden und Katzen auf der griechischen Insel Kreta, sammelte.

Die dritte Ausgabe widmet sich erneut dem Kinderhospiz, das unweit des Cospudener Sees schwerstkranke Kinder und Jugendliche sowie deren Familien unterstützt.

Angesichts dieser wichtigen und fordernden Aufgabe wirken Musikhören, Tanzen, in der Bar abhängen und Produzieren tatsächlich wie „Ordinary Pleasures“.

Aber eben auch Pleasures, die empowern, aufmuntern und ablenken können.

Die 19 Tracks der Compilation schaffen dies auch durchgehend. Egal, ob HipHop oder House, Electro oder Lofi, Experimental oder Jazz – immer gibt es eine gute Leichtigkeit, die jede Schwere nimmt.

Mit dabei sind einige Bekannte, aber auch viele neue Namen. Meine Hits sind: Jana Falcons breakig-power-poppiges „Make It Happen“, Janthes acid-flirrende „Dots“, KGs grime-jungle-haftes „Sneaky Willy“ und Workshops drückend-chord-überschwellendes „Willkommen Am Ende Der Welt“.

Daneben gibt es aber viele viele gute House- und HipHop-Classics. Also insgesamt eine sehr gut und vielschichtig kuratierte EP. Wer noch ein Weihnachtsgeschenk mit gutem Zweck sucht, sollte hier auf den Pre-Order-Button klicken. Am 7. Januar 2022 gehen die komplett bedruckten und auf 100 Stück limitierten Tapes dann raus. Das nice Artwork kommt übrigens von Verena Mack.

Hier gibt es schon mal die Snippets:

Neu entdeckt: FLED

Vor zwei Jahren gingen wir filmisch der Frage nach, inwieweit die Leipziger Hochschule für Musik und Theater eine Keimzelle für elektronische Musik ist. Nun gibt es ein weiteres spannendes Beispiel dafür – Asita Tamme alias FLED.

Dies ist eine überraschende Neuentdeckung, sicher auch, weil Asita Tamme musikalisch bisher in Klassik- und Pop-Kontexten unterwegs war. Meist gemeinsam in Ensembles und Bands. Mit FLED hat sie nun ihr erstes Solo-Projekt gegründet. Wohl aus einem Zufall heraus.

Denn in einem Experiment nahm sie mit ihrer Geige verschiedene Töne auf und schickte sie anschließend als Samples durch Filter und Klangsynthesen. Streichen, Zupfen, dazu Sounds aus dem Korpus ihrer Geige. All das formte sich zu einem erstaunlich organischen und unverkrampften Klassik-Elektronik-Track, der nun als „Fear x Devotion“ veröffentlicht wurde.

Der Track klingt polyrhythmisch und sehr versiert zwischen Avantgarde, Ambient und House kombiniert. Auch wenn zum Schluss das Progressive-House-Level bedenklich steigt, mag ich die insgesamt filigranen und reduzierten Arrangements sehr. Tatsächlich schafft es FLED hier, Violine und Elektronik so nahtlos zu vereinen, das sich die Grenzen der eigentlich verschiedenen Welten aufheben.

Wer hinter FLED steckt? Asita Tamme aus Berlin. Sie studierte an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Violine und Bassgitarre. Später hängte sie noch ein Musiktheorie- und Kompositionsstudium an der Folkwang-Universität der Künste in Essen dran. Seit 2014 arbeitet sie als freie Musikerin und Dozentin an verschiedenen Musikhochschulen.

„Fear x Devotion“ ist erst der Anfang, im nächsten Jahr sollen noch weitere Stücke ihres FLED-Projekts folgen. Sehr gern, sehr gern.

Video-Premiere: Warm Graves „Sun Escape“

Warm Graves sind zurück – spürbar elektronischer, waviger und introspektiver. Heute erscheint das zweite Video zum neuen Album. Don’t miss it!

Wer die Band noch nicht auf dem Schirm hatte, never mind. Es war tatsächlich länger still um das Projekt des Leipziger Musikers und Komponisten Jonas Wehner. 2014 erschien das Debüt-Album „Ships Will Come“ und sorgte für viel Aufmerksamkeit. Vor allem durch seine luzide, darke Atmosphäre mit ausladenden Chorgesängen. Mit dem Album war die Band viel auf Tour durch ganz Europa, bevor sie wieder abtauchte.

In der Zwischenzeit hat sich der Sound der Band sehr verändert. Das neue Album „Ease“ dokumentiert genau diese Transformation. Hin zu offeneren Strukturen, kosmisch-unterkühlten, ebenso kontemplativen wie experimentellen Electronic-Sounds sowie mehr Raum für Jonas Wehners hintergründig rauschenden melancholischen Gesang und dessen Auseinandersetzung mit verschiedenen Veränderungen.

„Für mich führt ‚Ease‘ immer wieder auf die Idee der Transformation zurück. Hier im Sinne eines Wandels von Anstrengung zu Mühelosigkeit, von Chören zu Flüstergeräuschen, von Eile zu Geduld. Die sieben Jahre waren nicht leicht. Es gab viele Wendepunkte in meinem Leben und ich musste einiges dazulernen. All das steckt komprimiert in den neun Songs“, erzählt Wehner im Info-Blatt zum Album, das am 25. Februar 2022 beim Londoner Label Fuzz Club erscheinen wird.

Nach „Neon“ kommt nun ein weiterer Song vorab mit Video heraus: „Sun Escape“. Jonas meint dazu, dass der Song in einer fiktiven Welt spielt, die mittlerweile näher ist als uns lieb sein mag. Es ist …

„eine Welt, in der Menschen nicht mehr nach draußen dürfen und folgt einer Figur, die mit zunehmender Einschränkung ihres Denkens und Handels vollkommen wahnhaft wird“

Hier ist das Video:

Wir konnten auch schon in den Rest des Albums reinhören und sind begeistert. Deshalb präsentieren wir das Leipzig-Konzert von Warm Graves im UT Connewitz. Am 4. März 2022 soll es stattfinden mit AUA als Support. Tickets gibt es online hier.

Es ist übrigens der Auftakt einer Tour, die auch nach Brüssel, London, Manchester und Paris führen wird.

Foto: Julia Perkuhn

New In – Nov 21

Hier kommt ein neues Format, „New In“ gibt einmal im Monat einen kurzen und knappen Überblick über neue Releases made in Leipzig. Los geht’s mit neuen Platten von Defrostatica, Kann, Riotvan und weiteren.

Detroit’s Filthiest „Fight To The Finish“ (Defrostatica)

Defrostatica hat ja schon länger gute Kontakte zum Ghettotech-Pionier Detroit’s Filthiest. Hier kommt nun seine zweite komplette EP auf dem Leipziger Label. Vier reduzierte Uptempo-Tracks, die die feinen Grenzen zwischen Oldschool-Electro, Ghettotech und Jungle verflüssigen. Mit eingängig bohrenden Synth-Schleifen und einer 90s-balsamierenden Jungle-Hommage.

Mein Hit: „Failure 2 Launch“. Why: Wegen der exstatisch-bouncy und roboterhaft tänzelnden Melodie.


Adam Strömstedt „Escalator Music“ (Kann Records)

Bei Kann war mal wieder Zeit für ein Album – der Australier Adam Strömstedt kann sich hier erstmals im Langformat austoben. Und er tut dies in sehr entspannte Weise. Mit super softer House-Deepness, organischen jazzy-funky Vibes und versierter Afterhour-Nostalgie. Klar, hier wird nichts grundlegend neu erzählt. Aber Adam Strömstedt sucht immer wieder auch Abzweige weg vom Floor – und wenn Floor, dann auch nie rein funktional, sondern mit Wärme und Empathie. Guter Konter gegen November-Lockdown-Blues.

Mein Hit: „Help Computer“. Why: Wegen der hektisch rasselnden Hi-Hats und Basslines und dem improvisierten Session-Vibe.


Qnete „RM12013“ (R.A.N.D. Muzik)

Wahnsinn, wie gut sich das Label vom Leipziger Plattenpresswerk R.A.N.D. Muzik entwickelt hat. Im Oktober erschien auch eine Compilation, die das San Franciscoer Label 90s-Label The Future Was Visible … mit unveröffentlichten Tracks wiederaufleben lässt. Kurz darauf folgte eine neue EP vom Leipziger Producer Qnete – eine sehr sichere Nummer für wohlausbalancierten House. Wer es classic mag, bekommt mit „Mild Warp“ neues Futter. Wer es more trippy will, sollte zu „Hover“ skippen. Die wirkliche Spannung liegt aber in „Weightless“. Im Original ist es ein aufgeladener Breakbeat-Ambient-Hybrid, im Remix mutieren die Elemente mehr in Richtung Rave und Trance. Aber sehr stilsicher und dezent.

Mein Hit: „Weightless“. Why: Wegen dieser lang anhaltenden Spannung, die sich einfach entladen möchte.


Hard Ton „Under This Fantasy“ (Riotvan)

Riotvan hat Gefallen an Digital-only-Releases gefunden und startet eine kleine Reihe. Zum Start geht es nach Venedig zu Hard Ton. Ein Duo, das mit analogen Maschinen und emotionalen Vocals einen sehr herzöffnenden und queeren Disco-Acid-Pop-Mix produziert. Da klopfen die 80s ohne Verkleidung an und werden sicher freudig empfangen auf sehr verschiedenen Dancefloors. Jorkes aus Stuttgart liefert einen dubberigen Remix, der durch seine Klarheit besticht.

Mein Hit: „Under This Fantasy (Original Mix)“. Why: Wegen der herrlich ausladenden Hymnenhaftigkeit.


NAJIB „The Voluntary Prisoners“ (HUMAN)

Ok, dieses Album muss noch mit rein, auch wenn es bereits Ende Oktober rauskam. Aber Tinkahs Label HUMAN bringt einmal mehr einen spannenden Gegenentwurf zum sonst gängigen Clubsound heraus. Dieses Mal mit NAJIB, einem Act aus Brüssel. Die acht Tracks seines Albums dekonstruiert jede Erwartung, jede Ästhetik, jedes Genres. Stattdessen gibt es eine heftige und nimmermüde Dynamik an Sounds, Patterns und Rhythmen. Kaum Anker, nur Bewegung, viel Glitch und Chaos. Ja, das ist anstrengend und kein Soundtrack für das entspannte Hören nebenher. Das will es aber auch nicht sein. Vielmehr erleben wir hier eine artifizielle und aufwühlende Performance, die Zeit, Aufmerksamkeit und Offenheit braucht.

Mein Hit: „Impasse!“. Why: Wegen seines versöhnlich-harmonischen Starts, der aber zunehmend entgleitet.

Kid Kozmoe „Talking To Ghosts“ (Istotne Nagr.)

Wie lässt sich Musik mit möglichst wenig BPM-Klarheit produzieren? Diese Frage stellt sich unser Ex-Autor Christoph mit seinem Musikprojekt Kid Kozmoe. Seine Antworten sind umwerfend gut.

Für frohfroh war es ein sad moment, als Christoph uns im letzten Jahr als Autor verließ. Über 250 Beiträge hatte er zwischen 2015 und 2020 geschrieben. Reviews, Interviews, News, das ganze Programm. Nebenbei produzierte er schon lange im Stillen eigene Musik und legte ab und zu auch auf – alles unter seinem Alias Kid Kozmoe.

Genau auf dieses Projekt wollte er sich 2020 mehr konzentrieren. Und rückblickend war das eine gute Entscheidung. Denn heute ist Kid Kozmoes erste offizielle EP erschienen – beim polnischen Special Sounds-Label Istotne Nagr.

„Talking To Ghosts“ versammelt nicht nur sechs Tracks, die in den letzten Jahren entstanden sind. Sie vereint all die musikalische Inspiration, Leidenschaft und Offenheit, die Kid Kozmoe schon immer ausgemacht haben. Da ist zum einen ein Faible für alte Computerspielsounds und analoge Synths, zum anderen eine Liebe für oftmals unter dem großen Radar laufende Genres wie IDM, Skwee und Electric Boogie.

Die EP startet entsprechend wild, augenzwinkernd und quirlig mit „Quirky Boogie“, „Meltdown Funk“ und „The Oceans Are Dying“. Drei Tracks, die immer wieder neue Richtungen einschlagen, mit naiver Kindlichkeit umherstolpern und alles außer eines wollen – sich festlegen.

Das nimmt teilweise fast avantgarde Züge an, könnte aber auch gut Classic-Games vertonen.

Dass es Kid Kozmoe nicht nur um wilde Ritte abseits der Geradlinigkeit geht, zeigen die anderen drei Tracks der EP. „A Sad Tune“, „Talking To Ghosts“ und „Don’t Panic“ nehmen die Wildheit etwas raus und öffnen kontemplative Weiten – mit lang gedehnten und wärmeren Klängen sowie klug kombinierten Schichten. Dennoch finden sich auch in diesen drei Tracks immer wieder Brüche und Spurwechsel. Aber eben abgeschwächter und harmonischer.

Besonders dieser zweite Teil der EP macht auch deutlich, welch dramaturgische und soundästhetische Qualität sich Kid Kozmoe in all den Jahren angeeignet hat. Ein unglaublich gutes und sehr eigenes Debüt. Please share!