Disrupt „Omega Station“ (Jahtari)

Mit „Omega Station“ stellt Disrupt neue Soundforschungen abseits von Dub und Reggae vor.

Es ist ja so ein Kreuz mit Library Music. Unzählige Musiker haben in der Vergangenheit diese Art der Gebrauchsmusik für Fernsehen und Werbung produziert, um ihre Miete zu zahlen, aber bestimmt auch, um in gut ausgestatteten Studios experimentieren zu können. Ebenso unzählige Reissues zeugen davon, dass diese Sounds auch abseits des Gebrauchswert (wieder) Interesse hervorrufen. Angesichts der zum Teil extrem kurzen Stücke frage ich mich aber, worin der Sinn für den Hörer und Käufer eigentlich liegt. Am logischsten erscheint mir die Verwendung als Sample-Material; gegen DJ-Zwecke und gegen Home-Listening spricht die Kürze der Stücke und die fehlende Entwicklung in der Musik.

Was hat das alles mit dem neuen Album von Disrupt zu tun? Ganz einfach, auf „Omega Station“ gibt es zwölf kurze atmosphärische Sound-Collagen zu hören, die zumeist ohne Beats auskommen. In der Label-Info wird direkt Bezug auf Library Music genommen und das macht durchaus Sinn: Selten sind die Tracks länger als drei Minuten. Das ist manchmal schade, denn oft habe ich das Gefühl, dass die Geschichten, die hier angedeutet werden, zu schnell abbrechen. Gleichzeitig passiert aber auch einiges in den Tracks: Es sind eben nicht nur reine Soundausschnitte, die auf weitere Verwendung warten. Erst im Gesamtpaket, also beim (gern auch mehrmaligen) Durchhören wird das deutlich – wenn sich das über die Tracktitel und Cover angedachte Science-Fiction-Kopfkino entfaltet.

Disrupt zeigt, dass er ein Meister darin ist, ein vielfältiges Klangspektrum voller liebevoller Details in wenige Minuten zu packen, auch wenn er auf das für Jahtari typische Dub-/Reggae-Korsett verzichtet. Und es macht sehr viel Spaß, den Ergebnissen seiner Studio-Forschungen zu lauschen, sich mit auf die Reise nehmen zu lassen. Diese Reise ist so atmosphärisch dicht und spannend erzählt, dass ich an vielen Orten gern länger verweilen möchte.

Bonus: Jahtari hat auch eine Reihe experimenteller Videos veröffentlicht, die das Album passend visualisieren.

10 Jahre Kann Records

2008 bis 2018 – Kann Records feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Hier ein Überblick über die Platten des Kann-Jubiläumsjahrs.

Zehn Jahre sind gefühlt mittlerweile ein Jahrhundert, wenn es um das Betreiben eines Labels geht. Viele andere Labels sind seit 2008 gekommen und wieder gegangen – Kann Records hat sich als Instanz gehalten und wirkt in diesem Jahr vitaler als je zuvor.

So ging die Kann-Crew um Map.ache, Bender, Sevensol, cmd q und Polo auf Jubiläumstour durch Europa. Und der Backkatalog ist um gleich fünf Platten gewachsen. „Das Ideale Geschenk“ von Sevensol & Bender hatten wir bereits vorgestellt.

Danach folgte die erste Artist-EP von Mary Yalex auf Kann Records. Und sie hat auf der „River EP“ ihren feingliedrigen Ambient-House noch weiter verfeinert. Wobei sich Mary Yalex hier eher von House entfernt hat.

Bis auf den Titeltrack stehen ihre dicht verwobenen, organisch pulsierenden Sounds sehr für sich, ohne von einer drückenden Bassdrum angetrieben zu werden. Das macht „River EP“ zu einer hervorragenden Listening-EP.

Das Konterprogramm lieferte cmd q kurz darauf. „Long Distance Call“ lotet die House-Techno-Übergänge sehr deep und classic aus. Mit Verweisen zum Dub-Techno und Power-House. „Fjord“ taucht noch einmal anders ab: neurotisch zuckend zum einen, subtil treibend zum anderen. Er ist der heimliche Hit der EP.

Höhepunkt des Kann-10-Years-Jubiläums war die große Compilation „Familiy Horror X Good Times“. Als 3-fach-Vinyl kam sie bereits im Frühjahr – kurz vor der Tour – heraus. Mit dabei viel fotografierte Kann-Euphorie, Rave-Impressionen und natürlich viel wahnsinnig gute Musik.

Mit Lawrence, Matt Karmil sowie Jacques Bon & Eugene Pascal, Art Alfie & Axel Boman waren auch ein paar internationale Label-Kumpels mit exklusiven Tracks dabei. Aber das Gros bestritt der aktuelle Inner Circle von Kann Records. Meine Superhits: Perms „HEGDL“ – wow, Perm lässt sich mal einen Tracktitel entlocken –, „Island Jam“ von Philipp Matalla und „Thank U Again“ von Map.ache.

Jetzt am Wochenende kommt noch eine weitere Mini-Compilation heraus, das kleine Post-Finale zum Ausklang des Jahres. „Banana Split“ featuret vier Tracks. Und hier punktet besonders Falke mit seinem extrem endorphinstreuenden „Music Institute“.

Durch His Masters’s Voice kommt außerdem ein ungewohnter Western-Blues-Post-Rock-Vibe in den Kann-Kosmos.Das 30-stündige Rave-Finale findet ebenfalls am kommenden Wochenende statt. Dann lädt die Kann Crew zur langen langen Party bis in den Montagmorgen. Mit dabei a lot of Wegbegleiter:

Bender, cmd Q, Daniel Stefanik, DJ Assam, Dwig, Ergin Erteber, Feinrausmarcel, Fr Fels
HW Rhapsody, I$a, Johannes Beck, Kali Avaaz, Kleine Klinke, Llewellyn, Lux, Manamana, Map.ache, MM/KM, Natascha Kann, Neele, Oceanic, Perm, Polo, Rentek, Sevensol, Victor


Btw: Map.ache hat übrigens gerade sehr überraschend sein neues Album veröffentlicht – auf Giegling. „Vom Ende Bis Zum Anfang“ heißt es, und es erzählt in bester Artist-Album-Weise eine sehr vielschichtige Geschichte zwischen House-, Electronica-, Ambient- und Breakbeat–Momenten.

Es ist damit sogar noch vielseitiger als das Debüt-Album, ohne zu zerfasern. Warum das so gut klappt? Ich vermute das: Map.aches Tracks strahlen immer eine große Persönlichkeit und Authentizität aus – das ist hier nicht anders und scheint ein guter Kit zu sein, um verschiedene Welten zu vereinen.

TransCentury Update Festival

Am kommenden Wochenende findet zum dritten Mal das TransCentury Update Festival statt. Dieses Jahr wird alles etwas größer – das wollten wir genauer wissen.

Es ist kein lupenreines frohfroh-Thema, aber irgendwie trotzdem spannend. Denn das TransCentury Update Festival ist gerade dabei, sich zu einem konstanten Highlight im Leipziger Konzert-Herbst zu etablieren. Stilistisch sehr offen und anspruchsvoll kuratiert traten in den vergangenen Jahren Acts wie Bohren und Der Club Of Gore, Thurston Moore, John Maus und Midori Takada auf. Also durchaus große Namen – und das alles im wunderbaren UT Connewitz mit aufwendiger Visuals-Begleitung.

In diesem Jahr erweitert sich das TransCentury Update Festival um weitere Locations und erstreckt sich über drei Tage. Wir wollten genauer erfahren, was ist mit dem Festival auf sich hat und warum es auch für frohfroh-Leser*innen interessant ist. Einer der Veranstalter hat uns geantwortet.

Was ist die konzeptionelle und musikalische Idee des Festivals?

Begonnen hat das ganze 2015 – als Kirmes unter „Eine Welt aus Hack“ sein letztes lokales Konzert im UT Connewitz veranstaltet hat. Wir fanden uns sympathisch und haben uns fix vorgenommen, in der Zukunft trotzdem weiter „Dinge“ zusammen zu machen.

Aus diesen „Dingen“ wurden irgendwann ziemlich konkrete Festivalpläne. Es gab verschiedene Ideen, letztendlich war unser kleinster gemeinsamer Nenner aber, spannende, neue, vergessene und genre-übergreifende Bands und Künstler*innen einzuladen.

Wir haben das als kleines Update für die Leipziger begriffen – ein musikalisches Update sozusagen. Und dass es in der Pre-Zweitausender-Generation dann eine Fernsehsendung gab, die sich „TransCentury Update“ nannte und den Mensch über das Thema Transhumanismus „geupdated“ hat – wurde von uns als spannend eingeschätzt. So kam es dann zu dem – für die meisten unserer Gäste – eher kryptisch wirkenden Namen.

Aber um auf die Frage zurück zu kommen: Das Konzept besteht darin, spannende Musik zu programmieren – und seit der letzten Edition auch mit passenden Visuals zu bestücken, dafür sind die talentierten Kollegen von Wisp zuständig. Klingt einfach, ist aber so.

In diesem Jahr erweitert ihr den Rahmen über das UT Connewitz hinaus – warum?

Wir hatten vor, ein besseres Festivalgefühl zu etablieren, da wir in den ersten beiden Editionen ausschliesslich im UT Connewitz stattgefunden haben. Das UT bleibt auch dieses Jahr als Festivalzentrum für alle Festivaltage erhalten, nur wird es zusätzlich Freitag auch ein Konzert im Ilses Erika geben, Samstag drei Konzerte im Conne Island und Sonntag eine Kurzfilmrolle bzw. Lecutre am Tage in der Kinobar Prager Frühling.

Welche Konzerte sollten wir „Raver“ nicht verpassen?

Wir würden es euch „Ravern“ ans Herz legen, alle Konzerte zu besuchen. Schließlich finden fast alle Konzerte vor eurer eigentlichen „Raver-Ausgehzeit“ statt, und man ist schon warm getanzt und kann locker bis in den morgen weiter raven.

Wer es aber dennoch ausschliesslich elektronisch will: dem sind WaqWaq Kingdom am Samstag im Conne Island, Mario Batkovic am Sonntag im UT Connewitz – btw. der perfekte Afterhour-Soundtrack! –, Gewalt – für den 80ies-Wave-Raver am Freitag im Tanzcafe Ilses Erika und Klaus Johann Grobe am Freitag im UT Connewitz ans Herz gelegt. Wir freuen uns über alle Besucher.

So und hier nun noch einmal das komplette Programm im Überblick – Tickets für einzelne oder alle drei Tage gibt es hier.

Freitag – 16.11.2018

UT Connewitz: Kikagaku Moyo, Klaus Johann Grobe, Orchestra of Spheres
Ilses Erika: Gewalt

Samstag – 17.11.2018

UT Connewitz: Crack Cloud, Ought, U.S. Girls
Conne Island: Dream Wife, Unknown Mortal Orchestra, WaqWaq Kingdom

Sonntag – 18.11.2018

Kinobar Prager Frühling: Jessica Nitsche „Denken Sie Groß“
UT Connewitz: Andromeda Mega Express Orchestra, Mario Batkovic

Notes from the Underground: 25 Jahre Zonic

Ein weiteres Jubiläum: Das Zonic Magazin feiert am 9.11. im IfZ sein 25-jähriges Bestehen mit einem Doppel-Event, das sich sehen und hören lässt.

Zweimal zurückspulen, bitte: Vor zwei Jahren gab es an dieser Stelle bereits ein Interview mit Alexander Pehlemann, der im Institut für Zukunft die Reihe Gegenkrach! kuratierte und Herausgeber des Magazins Zonic ist. Außerdem verfasste er die Liner Notes der Magnetband-Compilation, mit der rares Material der DDR-Kassetten-Szene wiederveröffentlicht wurde und die sich ebenfalls auf eine vom Zonic Magazin zusammengestellte Doppel-CD bezieht. Nun feiert Zonic am 9.11. 25-jähriges Bestehen im Institut für Zukunft und knüpft thematisch an die genannten Projekte an.

New Composers live 1985

Zunächst gibt es unter dem Motto Notes from the Underground zwei Talks: Erst werden Jan Kummer und Frank Bretschneider von Frank Apunkt Schneider zu ihrer Zeit als AG. Geige interviewt – ihre Frühwerke werden gerade wiederveröffentlicht. Wer bereits die Kassettentäter-Veranstaltung besucht hat, kann sich vorstellen, wie unterhaltsam das werden kann. Danach wird der Blick auf die Ex-USSR erweitert: Alexander Pehlemann spricht mit dem Valery Alakhov von den New Composers aus St. Petersburg über sein Schaffen, das von Magnetband-Experimenten über Rave bis zu Ambient reicht. Zwei Konzerte runden die Talks ab: Valery Alakhov spielt Material der New Composers aus den späten 80ern, danach stellt Karl Marx Stadt eine Auswahl von Musik aus, nun ja, Karl-Marx-Stadt derselbigen Zeit vor.

AG Geige live 1986

Bleiben wir kurz in der Vergangenheit: Die Talks und Konzerte hängen mit der Veröffentlichung der Compilation „Unearthing The Music presents Notes From The Underground. Experimental Sounds behind the Iron Curtain“ zusammen, auf der nicht nur AG. Geige und New Composers, sondern eine Vielzahl weiterer Underground-Musiker aus dem ehemaligen Ostblock und Jugoslawien vertreten sind. Die Aufnahmen stammen aus der Zeit vor dem Mauerfall und dem Ende des Eisernen Vorhangs, zum Teil auch aus der sich daran anschließenden Transformationszeit.

Zur Musik selbst sagt Alexander Pehlemann:
„Die versammelten Sounds sind experimentell im weitesten Sinne, stilistisch wie im damaligen Kontext. Von elektrischem Post Punk über Dada-Noise oder Schamanen-Punk bis hin zu vokaler Avantgarde-Poesie im Cut-up.“

Das auf der Compilation enthaltene Lied „Elektrische Banane“ von der AG. Geige gibt einen Eindruck, wie das klingen kann:

Die Zusammenstellung wurzelt in der Ausstellung „Notes from the Underground“, welche zuerst im polnischen Lodz und in der Berliner Akademie der Künste den Zusammenhang von Kunst und Klang im Osten zum Thema hatte. Sämtliche vertretenen Musiker waren dort ebenfalls präsent – es handelt sich also um eine Art Audio-Katalog, der von den beiden Kuratoren David Crowley und Daniel Muzyczuk in Zusammenarbeit mit Alexander Pehlemann, dem portugiesisches Online-Archiv-Projekt Unearthing The Music und dem Leipziger Major Label realisiert wurde. Wer in das Thema tiefer einsteigen möchte, kann zur Doppel-LP auch noch ein zusätzliches Buch über den Mailorder des Labels erwerben.

Das sich Alexander Pehlemann darüberhinaus für alle möglichen (nicht nur musikalischen) Subkulturen interessiert, bestätigen einerseits 25 Jahre Zonic wie auch auch der zweite Teil des Doppel-Events. Auf die Konzerte folgt unter dem Namen Electronica Eclectica eine Party auf zwei Floors, die von befreundeten DJs und Live-Acts bespielt werden: Unter anderem Frank Bretschneider, Cora S., Disrupt, Krystoff, LXC sowie diverse Teile der Al-Haca-Crew feiern das Jubiläum des Magazins. Das dürfte dann auch was für Freunde aktuellerer Sounds sein.

Happy Birthday, Zonic!

Various Artists „Recipe Decalogue“ (Moniker Eggplant)

Moniker Eggplant feiert das fünfjährige Bestehen – mit einer Compilation, die wie auch das Label Bezug zu Leipzig aufweist.

Irgendwie ist das ja auch manchmal kompliziert mit Leipzig. Einerseits habe ich längst den Überblick verloren, wer was so alles an Musik macht, andererseits ziehen auch immer wieder spannende KünstlerInnen weg. Das IDM-Duo Meier & Erdmann weilt bereits seit einigen Jahren in Berlin, hält aber nicht zuletzt mit der Auswahl ihrer Musiker auf dem hauseigenen Label Moniker Eggplant Kontakt zu Leipzig. Nun wird fünfjähriges Bestehen gefeiert: Zehn Tracks gibt es digital und auf Vinyl zum Geburtstag.

Ein Blick auf die Tracklist verdeutlicht den Netzwerkgedanken des Labels. Wie auch schon bei den vorangegangenen Compilations versammelt das Label eine Menge MusikerInnen, die sich gefühlt seit Ewigkeiten mit wilderen elektronischen Sounds beschäftigen, aber auch von den größeren Musikmedien ignoriert werden. Da tauchen IDM-KünstlerInnen wie Karsten Pflum, MimiCof, Ivan Shopov und Roel Funcken neben Skweee- und House-Maestro Duke Slammer und dem Bass-Experten Desmond Denker auf. Und auch Leipziger Musiker sind vertreten.

Beginnen wir mit Leise im Kran, den wir einerseits als Teil von Meier & Erdmann kennen, dessen Welding Sessions wir aber auch bereits vorgestellt haben. Sein „Krafthammer“ ist der zweite Track der Platte und vielleicht auch der wildeste: Er klingt, als ob verspulte Comic-Figuren Keller-Clubs stürmen, um auf dem Techno-Floor zu pogen. Ich kann mir keine größere Freude vorstellen, als „Krafthammer“ auf ein unvorbereitetes Publikum loszulassen.

Außerdem gibt es ein Wiederhören mit PorkFour: Sein „Specular Reflections“ ist eine gutgelaunte Frickel-Electro-Funk-Nummer, die durch ihren Reichtum an Melodien und durch verspielte Synthesizer beeindruckt, beides jedoch mit einem durchgängigen Groove zusammenhält. Selbst nach mehrmaligen Durchhören habe ich nicht das Gefühl, den Detailreichtum des Tracks erfasst zu haben, gleichzeitig wirkt er aber auch nicht überfrachtet.

Wie Leise im Kran hat auch Karl Marx Stadt Leipzig Richtung Hauptstadt verlassen. Möglicherweise deutet der Name „Wedding Sofa Crasher“ an, in welcher Lebensphase der Track entstanden ist. Roboterhafte Beats sind da auf dem Sofa entstanden, die zwischendurch unkontrollierte Laser durch die Luft ballern und eine bedrohliche Atmosphäre aufbauen.

Kommen wir zum Ende zurück zu Leise im Kran: Zu „Krafthammer“ gibt es ein fulminantes Video, in dem ein Werbevideo des VEB Maschinen- und Apparatebau Schkeuditz remixt wurde. Seht selbst, wie gut DDR-Technik zu IDM passt:

Zum Spaß das Original:

Und hier die gesamte Compilation zum Reinhören und natürlich auch zum Kauf:

Update Update: Defrostatica

Im Mai fragten wir uns, ob Defrostatica „das fleißigste Label in der Stadt“ ist. Die letzten Wochen scheinen diese Annahme zu bestätigen: Zwei neue EPs von Maltin Worf sind erschienen: „City of Meth I“ und „City of Meth II“, wobei die erste nur digital erhältlich und die Vinyl-Ausgabe der zweiten fast ausverkauft ist. Diesen Oktober legt Defrostatica nach und veröffentlicht eine weitere 12″ von Detroit’s Filthiest.

Maltin Worf „City of Meth I EP“ (Defrostatica)

Maltin Worf war bereits auf der Defrostaticas Leipzig-Compilation zu hören und bekommt nun seine erste eigene, aus fünf Tracks bestehende EP. Diese beginnt mit den sommerlichen Tracks „Exploration“ und „IWP“, wobei das erste Stück noch im Jungle zuhause ist und das zweite bereits Footwork-Patterns enthält. Maltin Worfs Hip Hop-Einfluss ist hier übrall in den Samples deutlich zu hören, die für Drum & Bass-Verhältnisse relativ dreckig klingen. Das leicht derangierte Leiern in „New Ground“ zeigt das ganz wunderbar. Während ich „Proxima Centauri“ und „Warp“ durchhöre, kommt mir in den Sinn, dass die EP eigentlich den klassischen Ninja-Tune-Sound fortführt und ins Jetzt überführt.

Maltin Worf „City of Meth II EP“ (Defrostatica)

Natürlich knüpft die „City of Meth II EP“ daran direkt an. Und beginnt direkt mit dem Knaller „Dream“, bei dem gechoppte Soul-Samples im Juke-/Footwork-Korsett umherspringen. „Old Love“ bleibt dieser Mischung treu, es ist dann aber „Clave“, dessen Percussions aufhorchen lassen. Wahnsinns-Track! Mit „Rock On“ greift Maltin Worf die sommerliche Stimmung vom Anfang der ersten EP auf, womit sich der Kreis schließt.

Detroit’s Filthiest „Honor Among Thieves EP“ (Defrostatica)

Ganz frisch ist die achte EP auf Defrostatica, mit der das Label sein Sound-Spektrum erweitert: Ghetto-Tech ist das Thema der „Honor Among Thieves EP“, eines der vielen aus dem Electro stammenden Genre-Bastarde, das auch wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung von Juke und Footwork hatte und offensichtlich auch bei 160bpm angekommen ist. Wie ungemein funky und leichtfüßig das dann klingen kann, zeigen die ersten beiden Tracks „Funky Sperm“ und „Clap Back“ – für Liebhaber des Detroit-Sounds quasi zwei No-Brainer für den Einkaufskorb. Es ist dann aber „Secret Sauce“, dass die Verbindung zwischen Detroit, Hip Hop und Drum & Bass aufzeigt und damit die Fäden wieder zusammenführt: Klassische, hochgepitchte B-Boy-Breaks mit gesampleter (oder nach einem Sample klingender) Bassline treffen auf Detroit-Techno-Strings – „Secret Sauce“ steht damit kurz vor der Mutation zu Jungle. Der dazugehörige „Salsa Secreta Remix“ von der BSN Posse komplettiert die EP, indem er den Track auf Halfstep-Geschwindigkeit drosselt, im Verlauf aber zum Amen-Monster ausbaut.

Noch ein Wort zum Artwork: Defrostatica produziert parallel zu ihren Platten auch einiges an Merchandise. Für die Gestaltung der „Honor Among Thieves EP“ ist das Duo Doppeldenk verantwortlich, die zudem nicht nur ein zugehöriges T-Shirt sondern auch ein Bandana entworfen haben. Wer noch nicht deren unzählige Bilder in Galerien, auf Flyern oder an Wänden gesehen hat, sollte unbedingt mal einen Blick auf ihre Website werfen. Die beiden „City of Meth“-EPs wurden von Peter M. Hoffmann gestaltet, der Illustrationen u.a. für Tageszeitungen wie die Süddeutsche Zeitung anfertigt, aber auch für das früher noch als gedruckte Ausgabe erschienene Leipziger Indie-Pop-Magazin Persona Non Grata. Auch der legendäre Bau-Biber der LVB geht auf sein Konto. Seine Website findet ihr hier. Freunde des schwarzen Humors sei noch seine legendäre Comic-Reihe Kreuzfeld & Jacob empfohlen, die Ende der 90er veröffentlicht wurde und sicherlich auf so manchen Flohmärkten zu finden ist.

Update Update: Alphacut

Mit dem Herbst gibt es wieder ein großes Update bei Alphacut und seinen Sub-Labels.

Various Artists „A Phuture Never Happened EP“ (Alphacut)

Eine Zukunft, die nie stattgefunden hat: Mit der neunten EP der dritten Welle wirft Alphacut einen Blick zurück auf die Jungle-Anfänge. Achtung, Nostalgie-Verdacht! Und ja, hier klappern die Drums und grummeln die Bässe, als hätten 20 Jahre Drum’n’Bass-Geschichte nicht stattgefunden. Find ich gut: Irgendwie bringt dieser Sound eine Leichtigkeit mit, die der hochverdichteten Drum’n’Bass-Suppe so häufig fehlt. Wahrscheinlich hätten die Tracks so auch schon Mitte der Neunziger veröffentlicht werden können. Mit einer Ausnahme: Paranoid One’s „Sumo Spectah“ lässt seine Samples so im Hall- und Filternebel verschwimmen, als handelt es sich um eine bruchstückhafte Erinnerung an fast vergessene Tunes statt um eine originalgetreue Reproduktion.

Dyl „Infinite Dylays EP“ (Alpha Cutauri)

Alpha Cutauri setzt wie gewohnt seine Raumfahrtmission fort, diesmal mit Dyl am Steuer. Na sowas: Dyl kennen wir bereits von einer 7″ auf Minor, die der Alpha Cutauri-Ästhetik sehr nah kommt. Tatsächlich ist die EP weitaus aufgeräumter, aber schon allein aufgrund der sechs Tracks sehr viel hypnotischer. Natürlich sind die Zutaten bereits bekannt, aber es ist immer wieder faszinierend, wie gebannt man den Erzählungen auf Alpha Cutauri folgt. Wenn aktuelle Science-Fiction-Filme genau so aussehen würden wie diese EP klingt, würde ich die ganze Zeit im Kino verbringen.

Inushini „Organisierte Ruhestörung“ (Alphacute, Minor Obscur, Ohm52, Phantomnoise & Scrotum)

Die größte Überraschung ist aber, dass das Alphacute-Label nach fünf Jahren reaktiviert wurde. In Zusammenarbeit mit gleich vier weiteren Labels erscheint die 7″ „Organisierte Ruhestörung“, die vier lärmige Breakcore-Tracks von Inushini sammelt. Unwillkürliches Grinsen angesichts dieser zweieinhalb-Minuten-Punk-Ausbrüche: Damit kann man auch im Jahr 2018 immer noch Connaisseure des schönen Klangs ärgern. Das wird bei mir sicherlich nicht in Dauerrotation laufen, erinnert aber gut daran, wie häufig sich radikal gebende Musiker eigentlich konventionelle Musik machen. Inushini ist da ein gutes Gegenbeispiel.

Behind the nights – Very Good Plus

Mit dem Namen „Very Good Plus“, einem gewissen Happiness-Vibe und neongelben Plakaten präsentieren Aline von Spotz und Qnete eine neue Veranstaltungsreihe mit viel Augenzwinkern, Helligkeit und guten House-Acts.

Bitte kein Techno
Mit dem Mjut hat Leipzig nicht nur einen neuen Club gewonnen, sondern auch gleich mehrere neue Partykonzepte und Veranstaltungsreihen. Eine davon ist Very Good Plus, die als reine House-Reihe und mit viel Licht einiges anders macht, als es Leipziger Clubgänger an vielen Abenden und Nächten bisher gewohnt sind.

Aline von Spotz und Qnete, die u.a. durch ihr gemeinsames Klamottenlabel Can‘t Decide in Leipzig und darüber hinaus bekannt sind, benannten ihre Party nach einer Plattenbewertungskategorie bei Discogs. Very Good Plus soll auch die Atmosphäre und die Gestaltung beschreiben, die herrschen soll. Übersetzt heißt das wohl so viel wie: „Unsere Party wird nicht perfekt, aber schon ganz gut“, lacht Qnete.

Warum sie die Reihe starten, liegt für beide auf der Hand: Wirklich gute House-Partys in kleine(re)n Räumen vermissen sie bisher in Leipzigs Angebot – das wird sich nun bestenfalls ändern. Die Partys von Spotz und Qnete werden also explizit keine Techno-Partys, auch nicht ansatzweise. House ist und bleibt die Richtung und das Booking hangelt sich an der Frage „Welche Freunde wollen wir mal wieder nach Leipzig einladen?“ entlang.Mehr Neon, mehr gute Laune
Musik als verbindendes Element zwischen den Gästen und die Kommunikation zwischen eben diesen soll auf der Party für die Komponente ‚sozial‘ sorgen. Den/die Lichttechniker*in des Clubs werden sie bitten, „mal das helle Programm“ zu machen, damit der richtige Vibe entstehen kann. Negativität und Dunkelheit haben bei Very Good Plus keinen Platz, weil, ja, es soll eine soziale Party werden.

Zur ersten Ausgabe von VG+ wird Giraffi Dog live spielen und Spotz sowie Qnete werden im Laufe des Abends auch noch selbst den oberen Floor im Mjut bespielen. Einen „Very Special Guest“ haben die Veranstaltenden für ihre Debüt-Party ebenfalls gewinnen können. Der geheime Act wird (leider) nirgends bekannt gegeben, nur so viel sei verraten: Er/Sie tourt seit Jahren national und international und wird eine ganz schöne Überraschung im Line-Up sein. Und nur wer zur Party kommt, wird erfahren, wer sich dahinter verbirgt.

1x Eintritt, 2x Party: Wer sich genau das auch schon lange wünscht, der sollte sich den 12. Oktober rot im Kalender anstreichen und das Mjut ansteuern. Unten Smallville Labelnight mit Christopher Rau, Julius Steinhoff und DJ Scout 24, oben VG+ mit Giraffi Dog (live), Spotz, Qnete und Secret-Act.

SeaNaps Festival 2018

Heute startet zum zweiten Mal das SeaNaps Festival – mit diversem Musikprogramm, verschiedenen Workshops und mehr.

Im letzten Jahr fiel das SeaNaps Festivals bereits nicht nur durch ein höchst ambitioniertes Programm auf. Auch der Blockchain-Ansatz zur fairen Bezahlung aller beteiligten Akteur*innen war besonders. Beides gibt es 2018 noch einmal.

Das Festival connected sich dabei noch mehr mit verschiedenen Kultur-Spots der Stadt: So finden in diesem Jahr mehrere Veranstaltungen im Noch Besser Leben, Institut fuer Zukunft, Westflügel von der Schaubühne Lindenfels, Social Impact Lab, BSMT und an zwei geheimen Orten statt.

Inhaltlich ist das SeaNaps Festival nah an aktuellen subkulturellen und leipzig-spezifischen Themen dran – sowohl bei der Ausstellung im BSMT als auch bei den Diskussionsrunden und Workshops.

Musikalisch ist das Festival perfekt, um neue Acts kennenzulernen. Mir sagen aktuell nur Bernhardt, Syncboy und Jan Roth etwas. Zum Ausklang gibt es einen Sleep Over – also zu Ambient wegdämmern und deep träumen.

Das ganze Programm findet ihr auf der SeaNaps-Website.

Update Update: Minor Label

Das Minor Label hat dieses Jahr eine hohe Release-Dichte. Drei neue Platten wollen gehört werden.

Grmmsk „Reality Asylum“ (Minor Label / Totes Format ‎/ Canopy Weekends ‎/ Sozialistischer Plattenbau / Hafenschlamm Rekords / False Move Rec. )

Was für Aufgebot: Gleich sechs Labels arbeiten zusammen, um „Reality Asylum“ von Grmmsk als Vinyl und Tape auf die Welt loszulassen. Einen deutlicheren Hinweis, wie unkonventionelle Musik abseits der üblichen Hypes und Dancefloor-Kriterien angenommen wird, kann man sich kaum vorstellen. Dabei lohnt sich bei Grmmsk ein offenes Ohr, haut er uns hier den spannendsten Kommentar zu Dub um die Ohren, den zumindest ich in letzter Zeit gehört habe.

Grmmsk bearbeitet die üblichen Reggae-Samples auf dermaßen respektlose Weise, dass er sich vermutlich vor Heerscharen dogmatischer Dub-Jünger verstecken muss. Treffend als „Doom-Dub“ bezeichnet, wird durch Time Stretching, Pitch Shifting und weitere Effekte die apokalyptische Seite im Dub übersteigert. Am stärksten ist das zu hören, wenn im letzten Track „[false] HIGH“ die Songstruktur des Reggae durchschimmert – für mich der Höhepunkt des Albums. Dieser Monster-Tune könnte auch die Vertonung des Katers nach der Reggae-Party sein: Da war wohl doch was sehr komisches drin im Spliff.

Um zum Hype zurückzukehren: Der gesamte Ansatz – also wie Grmmsk vertraute Samples manipuliert und damit Erinnerungen an bereits gehörte Musik, bereits erlebte Partys wachruft – lässt Vergleiche mit Burial zu, ohne dabei dessen Sound zu kopieren. Aber hört selbst:

Giedo Secundo ‎“Trilobite Trax“ (Minor Label)

Mit den „Trilobite Trax“ gibt es eine weitere neue 12″ auf Minor, die sich dunkleren Ambientklängen widmet und das Kopfkino anwirft. Nachdem der Opener „Baglæns Ind I Mørket“ schon unheilvolle Entwicklungen ankündigt, sorgen tief schiebende Bässe und leierndes Computer-Gefiepse auf „Kambrisk Frost“ für eine angespannte Atmosphäre, als ob ein Raumschiff unbemerkt die falsche Koordinaten ansteuert. Wie es klingt, wenn der Bordcomputer sich dann komplett verselbstständigt, lässt sich in der Kakophonie von „Trilobitspor“ nachhören. Auf der B-Seite sendet das mehr als 17-minütige Stück „I Den Dunkle Verden“ Hilferufe in das All. Ob die Story gut ausgeht, lässt sich am Ende mit der rätselhaften Melodie in „De Sidste Spor Forsvinder“ nicht eindeutig sagen.

Tembok Kamar Dinding Sekolah (Flop Beat Disk)

Außerdem erschien dieses Jahr eine unbetitelte 7″ auf dem Sub-Label Flop Beat Disk, welche vier rohe Tracks von Tembok Kamar Dinding Sekolah aus Indonesien sammelt, der auch als Busukyangbernanah bereits zwei Alben veröffentlicht hat. „Grey“ und „Drips“ sind energiegeladene, noisige Techno-Stücke, die gleich auf den Punkt kommen und sich nicht mit DJ-konformen Strukturen aufhalten. „Linger“ und „8373“ sind dann wohl die Stücke, die bei Discogs mit „Rhythmic Noise“ gut beschrieben werden. Ein Release für die Freunde der härteren Gangart also. Gleichzeitig ist die 7″ auch ein Tribut an den Musiker, der sich hinter Tembok Kamar Dinding Sekolah verbirgt und Anfang des Jahres verstarb.

Two Play To Play – 2. Saison

Nach dem beeindruckenden Start der Two Play To Play-Reihe mit Martin Kohlstedt, startet in dieser Woche offiziell die zweite Runde – mit Micronaut.

Two Play To Play realisiert das, was ich mir von der Audio Invasion immer gewünscht habe. Die Reihe bietet den Freiraum, elektronische und klassische Musik zu verbinden. Zwei Welten prallen so aufeinander. Und das nicht als lose Aneinanderreihung von rein klassischen und rein elektronischen Parts. Sondern gegenseitig durchdrungen.

Neu ist dieser Ansatz längst nicht mehr, aber bei Two Play To Play zählt auch der Weg – er ist in der zweiten Saison ebenfalls transparent gestaltet. Bis zur Uraufführung im April 2019 können wir erleben, wie Micronaut mit einem Ensemble des Gewandhauses ein neues Werk entwickeln.

Die wichtige Schnittstelle zur Klassik ist in dieser Saison die Bratschistin Thalia Petrosian. Im gemeinsamen Interview mit ihr und Micronaut lassen sich schon erste konzeptuelle Richtungen herauslesen, wo es in etwa hingehen wird.

Die Herausforderung in der Zusammenarbeit sieht sie vor allem darin, „dass wir nie pünktlich mit dem Takt oder mit dem Beat spielen, was aber die Grundlage für Stefans Musik ist und wir plötzlich sehr streng im Tempo bleiben müssen.“

Auf dem Blog von Two Play To Play gibt es noch weitere interessante Impressionen und Worte zum bisherigen Verlauf des aktuellen Projekts.

Hier der Zeitplan für die zweite Saison:

TWO PLAY TO KNOW – Portrait-Konzert
11. Oktober 2018, 20:00 Uhr / Distillery

TWO PLAY TO JAM – Öffentliche Probe
30. Oktober 2018, 20:00 Uhr / Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

TWO PLAY TO KNOW – Künstlergespräch
17. Januar 2019, 20:00 Uhr / Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig

TWO PLAY TO JAM – Öffentliche Probe
01. Februar 2019, 20:00 Uhr / Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

TWO PLAY TO JAM – Öffentliche Probe
12. März 2019, 20:00 Uhr / Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

TWO PLAY TO LISTEN – Uraufführung
28. April 2019, 20:00 Uhr / Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

Übrigens: Die Audio Invasion gab vor wenigen Tagen bekannt, dass sie erstmal pausieren wird. Obwohl das Format immer ausverkauft war, scheint es konzeptionell ein Update zu benötigen. Two Play To Play ist in gewisser Weise ein Teil davon – denn es stecken die gleichen Veranstalter dahinter.

Und noch ein PS: Wir hängen mit den Rezensionen von Leipziger Platten leider hart hinterher. Deshalb möchte ich hier kurz erwähnen, dass Micronaut im Frühjahr auf Freude am Tanzen eine sehr gute EP herausgebracht hat – „Contrast“, heißt sie und sie kann hier zur Einstimmung noch einmal angehört werden. Mein Hit: „Oldnew“.

Backstock 2018: XY0815, Tinkah und Enuit

Irgendwie hat der Sommer jegliche Rezensier-Motivation vertrieben. Na gut, ein paar andere Faktoren spielten auch eine Rolle. Aber Musik wird ja nicht unbedingt schlechter. Es gibt also (immer noch) neue Musik auf Yuyay Records, Pattern // Select und von Enuit, die ich endlich vorstellen möchte.

XY0815 „This Tool Has No Options“ (Yuyay Records)

Seit Mai gibt es mit „This Tool Has No Options“ von XY0815 die 10. Veröffentlichung auf Yuyay Records. XY0815 haben wir 2014 vorgestellt, seitdem gibt es auf diversen Labels Tracks von ihm zu hören. Nun gibt es seinen Sound auf Album-Länge.

Die Sammlung macht Sinn: Die dreizehn Tracks (plus zwei Remixe) auf „This Tool Has No Options“ paddeln eher in den ruhigen, manchmal zappelnden IDM- und Electro-Gewässern herum und sind meist recht kurz. Musikalisch hört man die Vorbilder deutlich durch – Rephlex und Warp werden im Promo-Text nicht umsonst erwähnt. Gleichzeitig ist dies eine fiese Messlatte und führen mich unweigerlich zu meinem Hauptkritikpunkt: Zu oft enden die Tracks von XY0815 genau an der Stelle, an der sie gefühlt erst losgehen sollten und gern irrwitzige Brüche und Wendungen bereithalten könnten. Das ist für meine Ohren vor allem bei „MDK44 – Transit To Nowhere“ und „Fuck Mars, We’re On Earth Now“ sehr schade, hier sind eigentlich alle Zutaten für epische IDM-Opern vorhanden. Da funktionieren fokussiertere Tracks wie „The Square Of Any Planet“ für mich besser. Zwiespältige Gefühle also bei mir.

Vielleicht helfen mir die Remixe: Robyrt Hecht fügt dem Opener „16mBit“ catchy manipulierte Vocals hinzu und Varum überführt „TRQ21 Pasadena“ in kosmische Dimensionen.

Tinkah „A Dream In The Life Of“ (Pattern // Select)

Im April veröffentlichte Pattern // Select ein weiteres Tape, das diesmal Tinkah solo bespielt. Wie der Titel schon sagt, erzählen die acht Tracks von den Schlaf- und Traumphasen, unterstützt durch ein Booklet mit Illustrationen zu jedem Track. Und die Atmosphäre nimmt mich vom ersten Track an gefangen. Verrauschte Samples treffen tiefe Bässe treffen Dub-Techno-ähnliche Soundscapes treffen angedeutete Drum’n’Bass-Hektik. Tinkah zeigt nicht nur das friedliche Bild des Schlafs, wie es „Let Go“ und „Boundless“ andeuten, sondern auch dessen nervöse, manchmal unheimliche Seite mit „Seismic Stimulus“ und „Grinding Teeth“. Das häufig viel zu fertige Erwachen kommt dann mit den ersten Sonnenstrahlen: „Sun Kiss (U Slept Too Long)“ sagt eigentlich alles.

Enuit „Hyperspace Dogfights – Original Game Soundtrack“ / „Hyperspace Dogfights Score – Counterpart e​.​p​.“

Game-Soundtracks stellen wir ja eher selten vor, „Hyperspace Dogfights“ ist also eine Ausnahme. Der aus 14 Tracks bestehende Soundtrack des Leipziger Musikers Enuit ist seit Mai als Download und als CD erhältlich.

Beim Durchhören fällt sofort auf: Die Tracks sind alle recht statisch und bestehen meist aus simplen, eingängigen Motiven, die ein wenig variiert werden. Das Sounddesign wirkt sehr sauber, könnte aber auch aus den 90ern stammen. Was ist da los?

Erhellend sind die Videos, die man zu dem Game anschauen kann. Ein bonbonfarbenes Weltraumballerspiel erwartet uns, das ordentlich Geschwindigkeit aufnimmt. Klar, das nötige Maß Reaktionsvermögen sollte nicht von der Musik abgelenkt werden. Da passen die Ambient-Entwürfe nicht zuletzt zur retrofuturistischen Optik ziemlich gut. Allerdings ähneln sich die Tracks doch zu sehr, um sie als eigenständiges Album genießen zu können. Das fällt vor allem zum Schluss mit „Successfully Failed Venture (HDogs Edit)“ auf, denn hier taucht das erste mal überhaupt ein Beat auf.

Enuit schiebt aber gleich die „Counterpart e​.​p​.“ hinterher, welche fünf alternative Versionen enthält, die nur im Battle-Modus des Spiels vorkommen. Vier Tracks enthaltendann tatsächlich die vermissten Beats, wodurch der Soundtrack etwas runder wirkt.