Bei Yuyay Records geht das Spiel mit den mythenbeladenen Künstlern und Sounds weiter – erstmals auf Albumlänge.
Kurt Gödel war Mathematiker und ein wichtiger Logiker des vergangenen Jahrhunderts. “Axiomatic System“ spielt als Hommage auf dessen Wirken innerhalb der axiomatischen Mengenlehre an. Natürlich ist das Album nicht von Gödel persönlich. Bestimmt aber auch nicht von den vier Personen, die auf der Rückseite des Artworks notiert sind.
Aber wer weiß das schon bei dem so stringent theoretisch-inszenierten Überbau von Yuyay Records. „Axiomatic System“ zeigt einmal mehr, dass bei Yuyay Records weniger Genres den Aktionsraum eingrenzen als vielmehr eine bestimmte Klangästhetik.
Analoge Weirdness, abgedreht und poetisch zugleich. Da finden über zehn Tracks hinweg Acid, Oldschool-Electro und Ambient authentisch und geschichtsbeflissen zusammen. Manchmal auch etwas humorig und naiv, etwa bei den Synth-Breakbeat-Knäuel von „Cascades“ und „Tape Rider“.
Es schwingt bei „Axiomatic System“ teilweise eine 8Bit-Rastlosigkeit mit, die auch schnell anstrengend sein kann. Die poetischeren Tracks „Airlock“ „Sunrise Faders“ und „Rand“ fangen dies jedoch auf. Zwischen diesen beiden Polen gibt es viel guten Classic-Appeal.
Seit ein paar Tagen ist sie schon draußen, die nächste Moon Harbour-EP.
Unglaublich, welch dichte Release-Taktung Moon Harbour aktuell hat. Im letzten Dezember die sechste „Inhouse“-Compilation, Anfang Januar Cuartero & wAFF, gut drei Wochen später dann diese EP hier von Chris Wood & Meat.
Ihr Beitrag auf der letzten „Inhouse“ zählte zu den schwächeren Tracks der aktuellen Moon Harbour-Compilation. Die beiden neuen Stücke der „Playing What EP“ kompensieren die träge Reduktion hingegen mit etwas mehr Wärme.
Besonders „DaDaDou“ gefällt mit seinem classic Sound – wobei es trotzdem abgefahren bleibt, wie unbeirrt sich Chris Wood & Meat über sieben Minuten hinweg in einem weitgehend unveränderten Loop suhlen können. Auch wenn dieses lost im DaDaDou-Hole nicht ohne Reiz ist.
Passend, dass sich Maximiljan diesem Stück für einen Remix annimmt. Seine „No Space“-EP war im letzten Herbst eine der besten EPs auf Moon Harbour seit langem. Wegen der Rauheit und dem leicht antiquierten Charme. Davon ist hier auch etwas zu hören – bis hin zu einem Acid-Einschlag. Und der Wahl-Amsterdamer lockert „DaDaDou“ dramaturgisch auf. Ein doppelter Gewinn.
Der Titel-Track im Original ist eher mit Gähnen verbunden. Matthias Tanzmann rührt mit seiner Bearbeitung am Drive und akzentuiert die Sounds schärfer. Playing irgendwhat aka Set-Füller in beiden Fällen.
Nach der Eröffnung des temporären Ladens N° 9 folgt die erste neue Platte auf Riotvan – mit neuen Good Guy Mikesh-Stücken.
Es ist schon erstaunlich, wie sehr sich Good Guy Mikesh mit seinen Solo-Stücken von dem beglückenden Pop-Appeal der gemeinsam mit Filburt entstandenen Stücke entfernt hat. Schon „From Another World“ überraschte vor etwas mehr als einem Jahr mit scharfkantigen Synthesizern sowie schleppenderen und offeneren House-Strukturen. Der vormals präsente Gesang rückte als Spurenelement in den Hintergrund.
Nun also „Year Of The Horse“. Vier neue Tracks, die das leichte Glück mit einer wehmütig sperrigen Note verbinden. Aus dem anfangs schwer synth-beladenen „Power Plant“ entwickelt sich eine fanfarenhafte Hymne.
Mit ebensolcher Schwere bestimmen die Synthesizer den etwas schwerfälligen Drive von „Standing“ – bis Mikeshs Gesang alles mit einer großen Milde überzieht. Nur für ein paar Takte aber, das Ende rückt die latente Dunkelheit und leicht bedrohliche Atmosphäre ins Gedächtnis.
Es sind genau jene Reibungen, die diese EP besonders machen – die sie im Zwischenraum von Disco-Referenzen, House-Deepness und Electro-Patina aufleuchten lassen. „Havoc In The Stable“ und „Phoenix“ bringen parallel dazu jenes unwiderstehlich lebensbejahende Gefühl auf den Floor zurück, der auch die früheren Good Guy Mikesh & Filburt-Tracks prägte. Ein super gelungener Brückenschlag.
Für Riotvan läutet die „Year Of The Horse“-EP ein höher getaktetes Jahr ein – es sollen 2015 noch drei bis vier weitere Platten auf dem Label folgen.
Es ist da – das erste Album von Lake People. Und es setzt den viel versprechenden Weg der „Uneasy Hiding Places“-EP fort.
Es erscheint auch auf demselben Label, Permanent Vacation. „Noch filigraner, noch poetischer, allerdings an manchen Punkten auch reduzierter“, so schwärmte ich vor anderthalb Jahren, als die Tracks der „Uneasy Hiding Places“-EP eine erste Verschiebung des zuvor durchaus beladenen Deep House-Sounds von Lake People andeuteten.
Die Reduktion und der Fokus auf klassische Elemente haben Martin Enke alias Lake People seitdem nicht mehr losgelassen. Und sie bescheren uns mit „Purposely Uncertain Field“ ein schwerelos gleitendes Album, das seine Kraft ganz aus dem Mix von melancholischer Ausgeglichenheit und autarker Innerlichkeit entfaltet.
Ein Winteralbum mit einem filigran ausformulierten Spannungsbogen, der sich deutlich hörbar über elf Stücke erstreckt. Sie sind alle für „Purposely Uncertain Field“ entstanden, es ist keine lose Ansammlung einzelner Episoden. Vielmehr sind es elf einzelne Teile eines großen in sich geschlossenen Kleinods.
Lake People spielt mit dem Debüt-Album in angenehmer Bescheidenheit alle Register seiner subtilen und zunehmend reduzierteren Arrangements aus – in mehreren Electronica-Momenten wie „Entangled“, „Orb“, „Bora“ und besonders ergreifend zum Schluss mit „Distance“. Selbst in einem ungewohnt harschen Track wie „Illuminated“ werden die Acid-Spuren behutsam in weitläufige Harmonieschichten eingebettet.
Überhaupt die Harmonien, einerseits entfachen sie all die wunderbar losgelöste Deepness, andererseits schwingen sie so in einer unberechenbaren und sich gegenseitig überlagernden Dynamik umher, als würden sie genau in dem Moment des Hörens erst entstehen.
„Purposely Uncertain Field“ widmet sich der Zeit- und Raumlosigkeit – in klassischer, leicht angerauter Synth-Wehmut und federnd leichten Bassdrums. Ein Album, das mit jedem Monat immer weiter wächst und reift.
Neues von Kleinschmager Audio. Mit großer Rastlosigkeit und einem dubbigen Konter.
Die EP startet äußerst ungestüm. Mit Marek Bois, dem stärker Techno verbundenen Projekt Niklas Worgt alias Dapayk. Sein Remix für „Grown In“ zieht so rastlos und bassgeladen davon, dass man sich mitten in der Peaktime wähnt.
Ein sehr auf Effizienz getrimmtes Stück, das das High-Level um jeden Preis oben halten möchte. Doch haben die Sounds in ihrer schlingernden Stromlinienförmigkeit durchaus etwas subtiles in sich.
Das Original wirkt dagegen geradezu hölzern, wenn auch etwas klarer und aufgeräumter. Irgendwie schafft es Kleinschmager Audio immer wieder, dem Tech House- und Minimal-Sound mit nur etwas mehr Druck die allgemein belanglosen Noten dieser Genres in den Hintergrund zu schieben.
In deepe Dub-Chords webt er schließlich sein „Audio Four“. Klassisch und eingedunkelt bietet er mit dem Stück einen Gegenpart, der zwar ähnlich schiebt, durch die Dub-Deepness aber wo ganz anders hinfliegt.
Sehr dreist: Die Mix-Tipps für Januar erst im Februar posten und den Post zurückdatieren. Doch die zwei Tipps müssen sein.
Weil sie Liebhabermixe sind. Einmal weil wirklich schlichtweg Lieblingslieder ausgewählt wurden und zum anderen, weil das Mixen nicht unbedingt zu den Kernkompetenzen jenes Musikers zählt. Und weil sie dem Winter herrlich leichtfüßig etwas entgegensetzen.
Die Lieblingslieder kommen von Les Citoyens du Monde. Die zwei Weltbürger dahinter – Jane Sapphire und Fonteur de Merde – sind ein Paar und haben für die Relationship Mix-Reihe von O*RS eine einstündige Reise durch die heimische Plattensammlung dokumentiert. Mit HipHop-Classics beginnt es und mündet in sachtem Tempo zu soul- und disco-getränkten House. Sehr lässig, sehr sonnig, sehr rosig.
Abseits der Kernkompetenz bespielt der für seine Tracks und Live-Sets sehr geschätzte Juno6 die aktuelle Podcast-Ausgabe von Freude am Tanzen. Und er bringt es fertig, einen jazzigen Start mit dem schroffen Funk von Blawan in Einklang zu bringen. Und er holt mit „Emotive Vibrations“ von Fred P später noch einen junggebliebenen Überhit der House-Deepness hervor. Sehr various, sehr warm, sehr sophisticated.
Zum vierten Mal sucht das Kurzfilm-Festival Kurzsuechtig in einem Wettbewerb herausragende Filmmusiker und Sounddesigner. Ein konkreter Film soll dafür vertont werden.
Um Musiker aus der mitteldeutschen Region geht es dabei. In diesem Jahr wird der noch unvertonte Kurzfilm „L(ich)t n(ich)t“ von Anastasia Blumberg zur Verfügung gestellt – sobald die Regularien erfüllt sind, wird der komplette Film zum Download bereitgestellt.
Ziel des Wettbewerbs ist nach wie vor aufzuzeigen, „welche reichhaltigen Klangkonzepte fernab von Mainstream-Produktionen möglich sind, wie vielschichtig Musikkomposition und Sounddesign das visuelle Medium aufgreifen oder kontrapunktieren und für neue Sichtweisen öffnen können.“
Bis zum 16. März 2015 können die Vertonungen eingereicht werden. Eine achtköpfige Jury wählt die besten Einreichungen aus. Der Hauptgewinn besteht aus einem zweitägigen Coaching von Leed:Audio, dem Studio von Neonlight und Wintermute. Der komplette Film mit klanglicher Vertonung wird am 11. April 2015 in der Schaubühne Lindenfels prämiert und aufgeführt.
In sechs Teilen schaut das sich kürzlich formierte Relativ Kollektiv dem schon Leipziger Label Analogsoul in die Beutel. Der Artikel hier wächst mit jedem neuen Teil.
So langsam dürften Analogsoul und dessen Protagonisten eines der am besten dokumentiertesten Labels des Landes sein. Angefangen mit einigen Episoden beim Releasing A Record-Projekt von Klinke Auf Cinch über den labeleigenen Blog bis hin zum aktuellen A Forest-Bäume-Projekt.
Nun also der vorläufige Höhepunkt mit der sechsteiligen Dokumentation „Landgang“, die gestern startete. Gehostet und produziert vom Relativ Kollektiv, einem jungen Leipziger Verbund von Grafikern, Textern und Filmemachern.
Vom Filmemachen verstehen sie scheinbar eine Menge. Im ersten Film schauen sie in geschmeidigen Bildern und Schnitten in den Wohnungen von A Forest vorbei und schnappen eine akustische Version von „Picture“ auf. Fünf weitere Teile sollen in den kommenden Wochen die Leute und Aktivitäten hinter Analogsoul beleuchten. Hier werden sie am Ende alle versammelt zu sehen sein.
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#2
Und Teil 2 ist online. Dieses Mal geht es nach Jena in das Hinterhofstudio von Klinke Auf Cinch. So viel Peace, so viel Groove. Jena ist schon toll.
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Weiter geht es mit Teil 3. Das Electronica-Pop-Duo Earnest And Without You spielt über den Weg zum Debüt-Album auf Umwegen. In sanftem Tonfall. Direkt im Studio.
#4
Im vierten Teil wird das Duo Wooden Peak beim Proben und Komponieren in der Kirche porträtiert. Für ein Ensemble schreiben die beiden gerade.
Spannend übrigens, wie das Labelumfeld die Filme wahrnimmt: „Es ist einfach erstaunlich, wie konkret und gleichsam mit offenen Enden die beiden Filmer André und Benny die Bands portraitieren. Wir blicken ja auf jahrelange gemeinsame Beziehungen zurück und wenn dann das, was man für den Kern des jeweiligen Projekts hält, in einer fünfminütigen Doku von den beiden so treffend herausgearbeitet wird, ist das schon frappierend“, schreibt Andreas von Analogsoul.
Und ich freue mich auf die nächste „Landgang“-Ausgabe. Dann schaut das Relativ Kollektiv beim Pressetextschreiben zu.
#5
Oh, doch nichts mit Pressetextschreiben. Oder habe ich es falsch verstanden? Statt dessen ist das Relativ Kollektiv mit dem wunderbaren Arpen durch die Stadt gezogen. Entlang an Industrieruinen, Späti, Hinterhof und zwei weiteren Orten.
Überall spielt er zur scheinbar gleichen Zeit seine Elektronik-Folk-Miniatur „For How Long, How Long“ – ein Musikvideo mit fünf verschiedenen Kulissen vor dem Live-Spiel.
Es ist tatsächlich ein Musikvideo, denn Arpen sagt kein Wort. Ein Bruch im bisherigen Verlauf der „Landgang“-Reihe.
#6
Mit dem sechsten Teil endet die „Landgang“-Reihe. Das Relativ Kollektiv war in Erfurt unterwegs und hat das Pop-Trio Lilabungalow beim Proben für die anstehende Tour filmisch begleitet.
Ein Wiedersehen mit Analogsoul im Doku-Format steht wohl an. Sehr gern, nachdem ich die behutsam zusammengeschnittenen Bilder und Sequenzen hier in den vergangenen Monaten verfolgt habe.
Boundless Beatz ist in den vergangenen sieben Jahren als Party-Reihe zu einer festen Institution der Leipziger Breakbeat-Szene geworden. Nur schlüssig, dass nun ein Label daraus wird.
Der Start könnte mit zwei aufeinanderfolgenden Label-Launch-Partys im Berliner Gretchen-Club und der Distillery kaum besser gelingen. Doch auch die Katalognummer 1 hinterlässt bleibenden Eindruck.
Von Dreadmaul, einem Mainzer Producer kommt sie. Und seine „Blood Magic“-EP strotzt nur so vor düster-pumpender Kraft. Mit scharf schneidenden und schweren Sounds schiebt sich Dreadmaul entlang der Drum & Bass- und Dubstep-Grenzen.
Bei allen vier Tracks liegt eine ungeheure Spannung in der Luft, die sich nie so recht entlädt. Ein arg anziehender Effekt, der durch die Film- oder TV-Stimmensamples einen Tick zu viel Pathos bekommt. Doch die angematschten Claps und Sounds bei „Blood Bath“ und „Volcano“ sowie das kurzzeitige Geballer bei „Shutter“ hallen enorm nach.
Wie die Labelidee bei Boundless Beatz entstand und was geplant ist, erklärt Jan Stern alias Audite als einer von drei Betreibern nun selbst.
Break The Surface hat sich als Label im letzten Jahr wieder auf Breaks konzentriert, Booga möchte ein Bass-Label starten, nun auch Boundless Beatz: Gibt es in letzter Zeit einen Schub an neuen D & B-/Bass-Producern aus Leipzig?
Darüber, dass Break The Surface wieder mit Drum & Bass am Start ist, freuen wir uns ganz besonders. Mit diesem Label verbindet uns mehr, als sicher so manche Leipziger wissen. Dennoch hat unsere Label-Gründung nichts mit den Geschehnissen in Leipzig zu tun. Wir mögen die D & B-Szene hier sehr.
Sie ist eine der vielseitigsten, angenehmsten und offensten Szenen in Deutschland. Nach einem Anfangs-Hype in den Neunzigern war Drum & Bass generell, in Deutschland und auch in Leipzig nie weg und mäandert immerin einem sehr gesunden Maß zwischen Underground und Mainstream. Das ist etwas besonderes.
Wir meinen damit, dass es immer wieder in gewissen Abständen kleine Schübe gibt, die man hier und da wahrnimmt, die aber jetzt nicht ausschlaggebend für uns waren, ein Label zu gründen.
Es soll vom Sound her nicht nur bei Drum & Bass bleiben, heißt es im ersten öffentlichen Statement.
Wir haben über die Jahre neben Drum & Bass auch verschiedene ähnliche Breakbeat-Richtungen, wie Dubstep und Funky/Nu-Skool Breaks präsentiert. Auch Dub und Dubtechno. Wir denken nicht, dass wir die Breakbeat-Richtung verlassen, aber darin sind wir offen für so ziemlich alles. Es muss passen und uns kicken. Wir lassen die Zukunft da ganz entspannt auf uns zukommen.
Seit dem Sommer 2013 schlummert die Label-Idee in euren Köpfen?
Seitdem Boundless Beatz nicht mehr nur von mir gemacht wird, sondern Dubbalot und MC Amon Bay dazu gestoßen sind, war auch mehr möglich. In unseren Treffen fiel dieser Gedanke öfter mal, aber bis er konkret wurde, verging dann doch noch mal etwas Zeit und die Tracks von Dreadmaul mussten unserer Meinung nach einfach raus, also sahen wir die Notwendigkeit das entsprechend anzugehen und umzusetzen.Es geht mit Dreadmaul los – wen habt ihr noch im Artist-Roster?
Wird noch nicht verraten.
Mit dem Label dürfte auch Boundless Beatz als Party über Leipzig hinaus wachsen – versprecht ihr euch davon einen extra Push als DJs?
Das war nicht der Hintergedanke dabei. Wir konnten uns von Anfang an sehr gut mit diesen Tunes identifizieren und da sie noch alle ungesigned, und untereinander sehr stimmig waren, faszinierte uns die Idee, sie selbst zu veröffentlichen.
Wir haben gute Kontakte zur Szene in Deutschland und sind auch teilweise international gut vernetzt. Natürlich werden wir zusehen, dass wir das Label und die darauf veröffentlichenden Künstler so gut pushen können wie möglich. Im besten Falle profitieren die Künstler dann auch in Form von DJ-Gigs davon.
Wir möchten, sofern es sich anbietet und passt, die Künstler, die bei uns veröffentlichen, auch in unsere Veranstaltungen mit einbauen. Mit der Distillery in Leipzig und dem Gretchen in Berlin haben wir z.B. gute Partner in zwei uns wichtigen Städten. Für unseren Label Launch konnten wir daher auch gleich ein ganzes Wochenende zusammen mit Dreadmaul verbuchen.
So etwa in dieser Art könnte das auch noch öfters in Zukunft passieren, allerdings ist Berlin die einzige Stadt, in der wir das zur Zeit aktiv selbst mit gestalten würden. Wir kennen die Berliner Szene sehr gut und es ist eine große Stadt, die unsere kleine Aktivität dort ab kann. In anderen Städten würde man das sicher nicht so gerne sehen. Wer aber eine Boundless Beatz Nacht buchen möchte, darf das natürlich gerne tun.
Was ist das? Kassem Mosse nimmt sich drei Songs der amerikanischen Singer/Songwriterin Simone White an. Und es wird die Platte des Winters.
Nebenbei ist es für mich eine – zugegeben – sehr späte Entdeckung der Musikerin. 2003 erschien ihr erstes Album, schon länger gehört sie fest zum Künstlerstamm des Londoner Labels Honest Jon’s, arbeitete u.a. mit Damon Albarn und Andrew Bird zusammen.
Die drei von Kassem Mosse neu bearbeiteten Stücke stammen alle von ihrem letzten, 2012 veröffentlichten Album „Silver Silver“, das auf intime Weise spartanisch klingt und sich von den vorherigen Alben mit seinen experimentelleren Nuancen abhebt. Instrumentiert mit Bass, Gitarre und fragilen elektronischen Texturen. Simone Whites Gesang steht darin nicht immer im Mittelpunkt, er wird eingebettet in melancholisch gestimmte Schwerelosigkeit.
Und genau die greift Kassem Mosse in seinen Versionen auch auf. Kein zwingender Pop, der das Euphorie-Level auf dem Floor heben will. Vielmehr ist es ein neues klangliches Verorten von Simone Whites kontemplativer Musikalität. „Flowers In May“ löst den anfangs nur mit kühl-hölzerner Rhythmik begleiteten Gesang in einer gerade durchlaufenden Bassdrum auf. Plötzlich ist sie da und läuft ganz selbstverständlich schier unendlich weiter.
„In The Water Where The City Ends“ entfaltet sich dagegen mit fast sakral-spiritueller Erhabenheit. Whites Gesang wird zum Choral, ein heilendes Ruhen und Innehalten, kurz aufgerüttelt von einem sich überraschend-expressiven Schlagzeugpart Es ist der emotionale Höhepunkt dieser EP.
Komplett auf den Gesang verzichtet Kassem Mosse bei „Long Moon“ – obwohl das Original stark davon getragen wird. Er flutet es mit einem warm-schnarrenden Bass und jener besänftigenden Leichtigkeit, die Simone Whites Stimme innewohnt.
Es ist ein anderer Kassem Mosse und eine andere Simone White, die hier zu hören sind. Ein freundschaftlich und herzlich klingendes Aufeinandertreffen zweier verschiedener Musiker – in ähnlich durchdringender und doch ganz anderer Form als bei Stellar OM Source.
Gestern Abend konnte man einen kleinen Repress-Hype miterleben. Rose Records hatte sich entschieden, zwei Katalognummern nachzupressen.
Die Thematik ist nicht neu: Auch bei Kassem Mosse kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu mehr oder weniger hypebedingten Vinyl-Engpässen aus denen sich bei Discogs teils horrende Preise ergaben.
Rose Records wurde spätestens mit M.onos EP „Easydance“ von der international gesteigerten Aufmerksamkeit überrollt. Nicht zuletzt durch den Fabric-Mix von Move D, für den „Holding Back California“ lizensiert wurde. Wenige Wochen nach der Veröffentlichung mehrten sich bei Discogs die Repress-Kommentare – und auch die exorbitanten Preise im Discogs-Marketplace. Im Durchschnitt lag der Preis für die EP bei 77 Euro und über 900 Discogs-Nutzer haben „Easydance“ auf ihrer Want-Liste.
Nach langen Diskussionen entschieden sich die Label-Betreiber zu einer Nachpressung der Katalognummern 4 und 5. Das neue Drama: Nach nur 20 Minuten waren auch diese 150 Kopien weg. Es folgte der Unmut all jener, die zu spät von der Bandcamp-Aktion erfahren hatten oder sich fragen, weshalb nur so wenige nachgepresst worden.
Martin Hayes von Rose Records erklärt es so: „Wir haben nur 150 nachpressen lassen, damit es wie bei der Nummer 06 500 Stück sind. Anfangs sollte es ja gar kein Repress geben, aber damit alle Artist-Platten eine 500er-Auflage haben und auch noch einige Leute die Shance bekommen, eine zu kaufen, haben wir uns dafür entschieden. Dass man nie alle befriedigen kann, ist klar. Es ist auch nicht das Ziel, jetzt noch 1000 nachzupressen. Dann würden immer noch Leute meckern. Es geht nicht um Aufmerksamkeit und Geld verdienen oder so.“
Eine teilweise entschärfende Entspannung mit digitalen Formaten ist von Rose Records jedoch nicht zu erwarten: „Es wird bei Schallplatten bleiben, egal wie groß die Nachfrage ist“, so Martin.
Demnächst steht die nächste neue EP auf Rose Records an.
Klassik und Elektronik – Fabian Russ sucht nach möglichst nahtlosen Schnittstellen zwischen beiden Welten. Wie das gelingt und ob Leipzig der richtige Ort dafür ist, erklärt er im großen frohfroh-Interview.
Fabian Russ ist kein neues Gesicht für frohfroh. Im Jahr 2013 überraschte er als fdong mit weirdem, unverständlichem Rap. Auch um den von ihm initiierten Wettbewerb „Klangsüchtig“ für lokale Filmmusiker ging es hier bereits. Danach habe ich sein Schaffen jedoch nicht weiter verfolgt – wohl auch, weil es sich zum Großteil außerhalb von Leipzig entwickelte.
Einiges ist mir dabei entgangen – in erster Linie sein spannender Versuch, klassische und elektronische Musik organisch mit einander zu verbinden. Sowohl im kleinen als auch im großen Konzertrahmen, aber auch für Theater, Tanz und Visuals. Fabian Russ unterscheidet nicht nach künstlerischen Disziplinen, wenn er seine Stücke komponiert.
In Braunschweig wurde er geboren. Es zog ihn nach dem Abitur für einige Zeit nach Frankreich, der Heimat seiner Mutter. Nach kurzweiligen schauspielerischen Ambitionen und einem kulturwissenschaftlichen Studium in Weimar landete er schließlich in Leipzig. Mittlerweile arbeitet er jedoch zumeist auswärts, er ist der Haus-Elektronik-Komponist vom Berliner Radialsystem V und freiberuflich an zahlreichen renommierten Projekten beteiligt.
Zeit für ein großes Interview: Über seine Arbeit, seine Sicht auf Leipzig als Ort für musikalische Innovationen und konkret zur Zusammenarbeit mit weltbekannten Oboisten und Countertenören.
Ich fühle mich total unvorbereitet. Und ich glaube, es liegt an deinem interdisziplinären Schaffen. Ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll.
Ich weiß auch nicht, wo ich aufhören soll.
Was hat es mit dem interdisziplinären Arbeiten auf sich: Ist das für dich ein Ausprobieren, ein Suchen nach der am meisten geeigneten Ausdrucksform oder ist das Dazwischen einfach dein Raum?
In gewisser Weise ist es beides. Es ist mittlerweile mein Raum geworden, da am Anfang noch ein Nichts da war und ich nicht wusste, wie ich das Nichts richtig in den Griff bekomme. Ich musste es erstmal befüllen.
Mit dem, was dich am Anfang am meisten gekickt hat?
Ja, was mich an Ideen gekickt hat. Ein geiler Sound, eine tolle Melodie. Ich habe mir viele Dinge angeschaut und angehört. 2008 bin ich auf „Walls“ von Apparat gestoßen. Das hatte eine Initialwirkung auf mich. Und von solchen Momenten gab es mehrere. Ich wusste, dass ich nicht genau das nachmachen wollte, aber ich mochte mir auch meine eigene Welt zusammenbauen.
Das hat mit Ausprobieren angefangen, interessanterweise sind daraus später auch Techniken entstanden. Mittlerweile ist es längst nicht mehr nur ein trial and error. Meist habe ich nun eine sehr genaue Vorstellung von dem, was ich tun muss, um von A nach B zu kommen. Aber zugleich empfinde ich das Experiment nach wie vor als spannende Geschichte, weil ich merke, dass ich mich schnell langweile.
Du befindest also weiterhin auf einem riesigen Spielplatz und nimmst alles, was geht?
Ja, das sehe ich auch so. Es ist ein immenser Spielplatz. Wenn ich nicht den Stopp-Knopf drücke und eine Runde rausgehe, ließe sich dieser Spielplatz unendlich weit erlaufen. Es kommen immer wieder neue Angebote, neue Möglichkeiten, neue Ideen. Ich weiß auch noch nicht, was genau das werden soll.
Interessanterweise ist das auch ein Thema, wenn sich manche Sachen etablieren und man von der Arbeit leben kann. Dann beginnt man auch, sich andere Fragen zu stellen. Ich lege nun beispielsweise viel mehr Wert auf private Zeit, die nichts mit Arbeit zu tun hat. Auf Balance und Ausgleich, weil das etwas ist, bei dem man gut aufpassen muss.
Ich finde Geld und Wohlstand, Interviews und Zusammenarbeiten mit tollen Leuten natürlich reizvoll, aber ich bin auch schon an Punkte gekommen, an denen ich merkte, dass bei einem Zuviel von allem, der eigene Qualitätsanspruch droht nicht erfüllt zu werden. Mittlerweile fliegen auch Sachen raus, die möchte ich nicht mehr machen oder das Experiment ist bereits erledigt.
Hast du einen Plan im Hinterkopf?
Es gibt einen groben Fahrplan für die Zukunft über das, was ich zusammenbauen möchte in den nächsten zwei bis drei Jahren. Dafür muss ich jetzt an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Konstellationen Tests durchführen. Und vielleicht lassen sich dann später Dinge wie mit einem Baukasten arrangieren.
Ich würde gern mit der Elektronik irgendwann ein System entwickeln, mit dem man den Computer eher wie ein Instrument benutzen kann. Das interessiert mich, ist aber auch schwierig, weil ich manchmal das Gefühl habe, dass es vielleicht gar nicht geht.
Ich stelle mir vor, dass Leute nicht einfach nur ein Computerding an ihr Instrument dran klemmen, was noch etwas anderes macht, sondern es muss etwas erfunden werden, mit dem sich die beiden Welten noch enger und organischer verbinden kann – besonders in der Spielweise, nicht nur in der Produktion. Daran hapert es noch. Die Instrumentleute nehmen die Computerleute nach wie vor nicht richtig ernst.
Aber ich kann es auch verstehen. Beide Seiten haben zwar lange gelernt, das Instrument zu beherrschen, aber trotzdem erzeugt der eine seinen Klang manuell auf einer Saite und der andere drückt einen Knopf und die Tonerzeugung findet in den meisten Fällen im Rechner statt.
Hast du bei den verschiedenen Disziplinen besondere Präferenzen ausmachen können – oder sind die für dich gleichrangig und immer bezogen auf ein Projekt?
Ich merke schon, dass mich Apparate wie Orchester immer mehr interessieren. Sie mit anderen Stoffen zusammenzubringen, macht schon großen Spaß. Im weitesten Sinne zieht mich aber immer die Kraft an. Es muss Kraft haben und da ist es vermutlich egal, ob es sich um Visuals, Musik oder die tolle Frau Müller hier auf dem Lindenauer Markt handelt.
Sie verkauft nur sechs Produkte, die aber alle fett sind, weil sie sich auf gutes Gemüse der Saison spezialisiert hat. Hauptsache es sind spannende Leute, die Lust haben, um Zeit und Kraft in Sachen zu investieren und die auch auf einem hohen Niveau arbeiten wollen. Das ergibt sich aber oft auch selbst.
Neue Musik, Neue Klassik – sind das Begriffe mit denen du etwas für deine Arbeiten anfangen kannst?
Neue Musik ist ja immer schwierig. Ich sehe mich musikalisch nicht in dem Lager, in dem schräge Töne erzeugt werden. Wenn überhaupt, dann sehe ich mich in einem post-romantischen Lager. Aber eben mit dem Computer. Mich interessieren schon tonale und harmonische Gebilde, songhafte Anspielungen und Kohärenzen.
Ich bin auch kein Verstörtyp. Ich möchte nicht Sachen machen, bei denen die Leute rausgehen und meinen, es hätte ihnen den Boden rausgehauen. Mein Wunsch war schon immer, Musik zu machen, die Leute fasziniert.
Wobei die Zerstörung auch eine Faszination haben kann.
Hat sie auch. fdong ist zum Beispiel eher eine Zerstörerfigur gewesen – zumindest als er die Welt erblickte. Aber er hat sich dann auch verändert. Es unterliegt ja auch immer stark einer Veränderung, abhängig vom eigenen Seelenleben, was einen beschäftigt. Das fließt ja immer auch mit ein.
Du hast eine eigene Sample-Technik entwickelt. Was ist darunter zu verstehen – eine Software?
Es ist keine Software, ich kann ja nichts entwickeln. Ich habe einfach damals Ableton in die Hand bekommen und bin dort über das Instrument Simpler gestolpert. Dort habe ich immer alles Mögliche an Material reingeschmissen. Wie eine Black-Box, die man mit einem Midi-Keyboard anspielen kann. Das fand ich geil.
Ich kann mein eigenes Zeug reinwerfen und damit etwas anstellen. Und wenn ich das bis zum Exzess betreibe, kommen unter Umständen am Ende auch wieder interessante Dinge dabei heraus. Das war dann die Arbeitsgrundlage für alle nachfolgenden Geschichten und für das, was sich allmählich zu einer Art Handschrift zu entwickeln scheint.
Was passiert da genau?
Na, ich möchte auch nicht zu viel verraten. Aber wenn man ein Instrument nimmt, es dort hineinwirft, um damit neue Musik zu erstellen und später das ursprüngliche Instrument wieder hinzunimmt, bekommt man eine große Nähe zu diesem Ausgangsinstrument hin.
Man hat eine elektronische Verarbeitungsweise und kann ähnliche Dinge wie bei einem Synthesizer machen, aber in dieses Sample ist auch die Textur des Instruments eingeschrieben. Und das ist eine interessante Geschichte, weil ich bisher nur mit dem Simpler richtige Landschaften erstellen konnte.
Inzwischen hat sich das auch wieder verändert. Ich tue auch noch andere Dinge dazu, Geschmacksverstärker hat das mal jemand genannt – das trifft es ganz gut. Aber im Grunde ist das die Art und Weise, wie ich arbeite und wie ich glaube, dass ich Elektronik und Instrumente sehr organisch miteinander verweben kann.
Woher kommt das Ursprungsmaterial? Aus Field Recordings oder speziellen Aufnahmen von echten Instrumenten?
Ja. Inzwischen lasse ich Sachen extra mastern, nur um sie weiterverarbeiten zu können. Ich lasse sie technisch normieren, damit sie den letzten Schliff bekommen. Aber nicht, um sie in der Produktion zu verwenden, sondern um sie als neues Ausgangsmaterial nehmen zu können. Da ergeben sich erstaunliche Sachen. Oktavieren ist wichtig, oktavieren ist geil. Ich kann immer nur den Tipp geben, alles einmal eine Oktave tiefer auszuprobieren.
Du lässt auch extra Musik einspielen, um die gewünschte Textur zu bekommen.
Ja, das kommt immer mal wieder vor. Wenn wir mit Orchester arbeiten, schreibe ich manchmal extra Sachen in die Partitur, bei denen ich weiß, dass ich sie später einmal brauchen werde. Das ist wie eine gezielte Materialerstellung. Gerade Streichinstrumente bringen spezielle Texturen mit, die sich auf synthetischer Basis gar nicht imitieren lassen.
Man darf aber auch nicht annehmen, dass man nur durch dieses Sampling-Verfahren später eine astreine Geige erhält. Man muss es natürlich auch künstlerisch einsetzen – ab da wird es eigentlich erst spannend. Mir geht es ja nicht um eine exakte Nachbildung, sondern darum, eine gute Anbindung an das später dazu instrumentierte Material hinzubekommen.
Vor ein paar Jahren gab es den Neo Classical-Hype – u.a. mit Moritz von Oswald, Carl Craig und Francesco Tristano. Hatte das einen Einfluss auf dich?
Das ist witzig, weil ich vor ein paar Wochen erst mit der Managerin von Tristano telefoniert habe. Der Gründer des Radialsystems Folkert Uhde wird nächstes Jahr Intendant des Bachfestes in Köthen und er fragte mich, ob nicht etwas mit Francesco Tristano und meiner Kreis-Geschichte denkbar wäre.
Als ich mit der Managerin das erste Mal telefonierte, meinte ich, dass ich es interessant finde, was Tristano macht, dass da aber noch mehr geht. Wir würden das gern kombinieren mit dieser Sample-Technik und dem Kreis-System. Nicht um zu zeigen, dass wir cooler sind, sondern um Fertigkeiten zusammenzulegen.
Die Sachen, die ich ihr von mir geschickt hatte, waren ihr aber wohl nicht poppig genug. Sie sah darin keinen Mehrwert für Tristano, weil er eben doch eine andere Kiste bedient. Ich kenne auch die Sachen von Moritz von Oswald und Carl Craig, aber das fand ich ziemlich langweilig.
Es war insofern eine Inspiration als dass ich dachte, dass man diese Vermischung noch geiler machen könnte. Es sind wir aber wohl auch unterschiedliche Künstler mit verschiedenen Denkweisen.
Du sprichst von einem Kreis-System. Was ist das?
Als ich das erste Mal mit einer Produktion des Leipziger Tanztheaters einen abendfüllendes Programm am Schauspiel Leipzig hatte, bin ich mit der Musik zu Folkert Uhde ins Radialsystem nach Berlin gegangen und habe ihm das gezeigt. Er brach meine Vorstellung nach ein paar Minuten ab und fragte, was wir nun machen wollen.
Er hatte mehrere Sachen vorgeschlagen und von der sehr guten Barockgeigerin Midori Seiler erzählt. Er würde gern etwas mit Bachs Partiten für Solovioline, Tanz und Quadrofonie machen – mit vier Lautsprechern. Er hat mir da das Feld überlassen und ich habe mir zuhause die letzte CD von der Geigerin gekauft und sie in den Simpler gehauen.
In meinem damaligen WG-Zimmer hatte ich mir dann vier Lautsprecher vor und hinter mich gestellt – ein großer Dank an meine liebe Freundin und Kollegin Friederike Bernhardt, sie hat mir damals zwei Lautsprecher ausgeliehen. Als ich in der Mitte saß, dachte ich, wie geil es doch wäre, wenn die Musik um meinen Kopf herumfahren würde.
Daraufhin wollte ich dann eine Software auftreiben, die es ermöglicht, Musik jeder Art im einem Raum im Kreis laufen zu lassen. Also haben wir recherchiert und uns an mehrere Hochschulklassen für elektroakustische Musik gewandt, die sich auch mit Softwarelösungen beschäftigen.
Witzigerweise bin ich wieder in Leipzig gelandet, nämlich an der Musikhochschule bei Egor Poliakov. Es gab die ersten Tests und Musik begann sich im Kreis zu bewegen. Egor passte dann die Software nach unseren Bedürfnissen an und die Sache hat ihren eigenen Weg eingeschlagen.
Zurück zur Mischung von Klassik und Elektronik – welche von beiden Seiten muss mehr von einer Zusammenarbeit überzeugt werden?
Schon die Klassik. Ich glaube, die Elektroniker sind offener. Wobei sich das auch nicht generalisieren lässt. Es hängt ja auch immer von dem Menschen ab und wie sehr er Lust hat. Aber es sind schon beides Bereiche, die eigentlich nicht so viel miteinander zu tun haben.
Es liegt bestimmt auch daran, dass die Elektroniker nicht den Stellenwert genießen bei den Klassikern wie umgekehrt. Krasse Dudes, krasse Instrumente, krass lange lernen – die anderen denken wiederum: Nur der Computer. So habe ich das auch wahrgenommen. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt bis man Dinge vorzeigt oder etwas möglich macht, was vielleicht nur im Verbund entstehen kann.
Wie sieht die Überzeugungsarbeit aus?
Ich glaube es überzeugt, weil ich mit meinen Kollegen am Radialsystem durchgängig auf hohe Qualität geachtet habe – musikalisch und technisch. Und wenn Idee und Technik zusammenkommen, ist das schon interessant.
Die Idee mit dem Countertenor Andreas Scholl war auch ein spezieller Moment. Ich hatte eine richtige Blockade, weil ich bis zuletzt nicht wusste, wie ich die Stimme rein bekomme und mich anfangs auch nicht getraut habe. In den ersten Telefonaten habe ich auch meine Position nicht wirklich finden können.
Ich dachte immer, der muss doch irgendwann mal sagen, dass er etwas gut findet. Hat er aber nicht. Erst am Ende. Aber für ihn war klar, dass ich ein Kollege bin, der sich seiner Sache schon sicher sein wird.
Wie hast du ihn überhaupt für eine so experimentelle Zusammenarbeit bewegen können?
Wir hatten ein Skype-Telefonat und ich habe ihm ein paar seiner Stücke vorgeschlagen, die für den Eröffnungsabend der Biennale in Basel passen könnten. Parallel habe ich ihm Sachen von mir vorgespielt und natürlich auch ein paar Namen genannt mit denen ich zuvor schon gearbeitet hatte. Da kam ich nicht darum herum. Zumal er das Radialsystem auch gut kannte und mochte.
Aber entscheidend war, dass ich das erste Demo noch einmal mastern ließ. Das sei ja schon noch einmal eine andere Sache, meinte er dann. Da habe ich gemerkt, dass er jemand ist, der sehr audiophil ist und großen Wert darauf Wert legt, dass Sachen gut klingen. Und dass sie ihn auch entsprechend repräsentieren.
Solisten sind ja noch einmal anders drauf als Ensembles. Es muss einem schon bewusst sein, dass es in erster Linie um den Solisten geht. Man muss also einen Mittelweg finden, einen Solisten für eine Zusammenarbeit zu gewinnen ohne sich selbst zu sehr in den Hintergrund zu stellen.
Das war auch ein wichtiger Punkt bei der Überzeugungsarbeit: Wir probieren etwas aus, Sie gehen dabei aber nicht unter und müssen auch keine komischen Töne und Geräusche singen. Wir belassen den Stoff, ich bearbeite nur die Umgebung.
Im Falle von Albrecht Mayer war es so, dass er ankam und meinte, dass es geil wäre, wenn ich ihn durch einen Effekt jage. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich dachte, er mag es lieber sehr clean, er bleibt die Oboe. Doch er hatte Bock zu experimentieren. Und da merkte ich, dass die Klassikleute doch auch Lust darauf haben als immer nur mit ihrer Mischpoke zu arbeiten mit der sie seit 30 Jahren durchs Land gondeln.
Über die Sampling-Technik gibt es auch eine hohe Nähe zu ihrem Stoff und zu der Art wie klassische Musik funktioniert. Die funktioniert eben nicht über Patterns, sondern indem sie etwas erzählt. Sie ist eher non-linear, zugleich gibt es aber doch eine gewisse Linearität darin. Das ist interessant für die Leute.
Wie läuft das im Konzertrahmen ab – es ist alles durchkomponiert und wird zur Aufführung gebracht? Ohne improvisatorische Möglichkeiten?
Bei einer Lesung mit Robert Gwisdek (Käptn Peng) gab es den schon. Wir hatten etwas vorbereitet, wo ich Töne in dem Kreis-System manipulieren konnte.
Das ist schon reizvoll, aber ich habe mich nicht so richtig auf das Terrain getraut, auf der Bühne direkt Sachen zu verfremden. Ich befürchte, dass ich das, was ich mir ausgedacht habe, nicht wieder so hergestellt bekomme. Vieles ist schon sehr genau gedacht, ganz kleinteilig.
Sind bei den Stücken mit anderen Musikern beide Parts durchkomponiert – also dein elektronischer und der andere klassische? Oder lässt du den anderen einen eigenen Spielraum?
Ja. In den meisten Fällen ist es ein Guss. Es ist auch eine Vertrauenssache. Bei Leuten wie Robert ist das kein Problem, weil da vieles gemeinsam herauskommt, was stark ist. Aber sonst bin ich schon sehr bedacht darauf, dass es durch meine Hände geht, bis es dann irgendwo herauskommt.
Das ist aber auch mit dem Gefühl verbunden, dass es sonst für mich selbst nicht gut genug ist. Bevor es das nicht ist, kann ich es auch nicht rausgeben.
Vielleicht kommt dir da ja die Routine der klassischen Musiker entgegen – dort scheint es ja meist um das bloße Nachspielen zu gehen. Das hat ja auch etwas Passives. Im Jazz-Kontext wäre dies schwieriger.
Ja, aber ich hatte auch eine Zusammenarbeit mit dem Saxofonisten von Clueso Antonio Lucaciu. Das hat auf Anhieb gut funktioniert. Aber da hatte ich auch vorab die Idee und habe den Track gemacht und ich wollte gern ein Saxofon dazu.
Als sich herausstellte, dass er seinen Arbeitsraum ein paar Häuser weiter hatte, habe ich ihn angeschrieben und wir haben uns in seinem Studio getroffen und in der Kirche nebenan aufgenommen. Das hat auch gleich funktioniert und ich fand es sofort gut.
Ich hatte nicht das Bedürfnis, etwas korrigieren zu wollen, sondern Antonio hat interessanterweise intuitiv sofort verstanden, was da am Ende herauskommen kann. Es ist ein toller Titel geworden, zu dem es inzwischen auch ein Tanzvideo gibt. Aber du hast recht: Die Klassiker sind oftmals schon froh, wenn sie vorher wissen, was sie wann und wie tun haben.Da gibt es dann auch keine großen Diskussionen und Umstellungen mehr?
Doch, Interaktion gibt es definitiv. Auch weil ich nicht der Typ bin, der an die Noten alles dran schreibt. Ich sage schon oft, dass sie es beim Spielen selbst auschecken sollen, ob es leiser oder lauter intoniert besser klingt.
Ich sehe die Partitur als Vorschlag, um auszuloten, ob der andere überhaupt etwas damit anfangen kann. Es würde für mich keinen Sinn machen, mit jemanden zusammen zu arbeiten, der keine Lust darauf hat. Wenn es aber klappt, möchte ich den Musikern möglichst viel Gestaltungsspielraum lassen. Aber das Interessante ist, dass sie oft diese Arbeitsweise nicht gewohnt sind. Und es gibt auch Stücke bei denen es keine Partituren gibt.
Bei Midori Seiler fand ich beispielsweise eine Partitur unsinnig. Ich hatte ihr vorgeschlagen, dass ich ihre Spur in Ableton farblich heraushebe und ihr den Song während des Abspielens abfilme. Das Video konnte sie sich dann auf dem iPad anschauen und es hat super funktioniert zum Einstudieren der Stücke. Seitdem habe ich das in solchen Zusammenarbeiten fast immer so gemacht. Aber ich habe natürlich auch schon Noten dazugeben – jedoch nur dann, wenn zum gemeinsamen Proben nicht viel Zeit bleibt.
Bei Albrecht Mayer und Andreas Scholl mussten wir zügig auf den Punkt kommen. Das sind beide Leute, die einfach nur sehr wenig Zeit haben. Da schickt man sich eine E-Mail rum, telefoniert eine Runde und trifft sich für zwei Stunden zum Proben. Das sind auch noch einmal eine andere Arbeitsgeschwindigkeit und ein hoher Druck, unter dem man einfach bestehen muss.
Das sind Faktoren, die ich anfangs unterschätzt habe. Für mich, der einen riesigen Respekt vor diesen Leuten hatte und dachte, dass sie mich mit meinem Computer niemals anerkennen werden, waren das Punkte, an denen ich sehr viel gelernt habe. Einmal weil ich sehen konnte, dass sie auch nur mit Wasser kochen und zweitens, weil sie sagen können, wenn ihnen etwas nicht passt, so dass man gemeinsam Entscheidungen fällen kann.
Hattest du jemals das Gefühl, dass sich dieser Komplex bestätigen könnte – ach, dieser Computertyp?
Wenn ich mit Leuten zusammenarbeite, die sehr akademisch arbeiten, gibt es schon manchmal Anspielungen, man hat mich auch schon Computerfuzzi genannt. Aber durch meinen Erfahrungshorizont und meine Referenzen kommt es eigentlich nicht mehr vor. Tatsächlich hat das dafür gesorgt, dass ich in den meisten Fällen ernst genommen werde. Es ist den Leuten schon bewusst, dass dies kein Witz ist und wir jetzt steilgehen.
Bisher scheinen die Zusammenarbeiten im Konzertrahmen entstanden zu sein – sind die auch auf klassischen Tonträgern für dich denkbar?
Auf jeden Fall. Die Thematik stellt sich auch immer öfter. Es ist in gewisser Weise sogar noch reizvoller, weil die Produktion noch einmal ganz andere Möglichkeiten bietet, was die Bearbeitung angeht. Da gibt es durchaus Überlegungen.
Du bist hauptsächlich außerhalb von Leipzig tätig – ist die Stadt kein guter Ort für musikalische Innovationen an der Schnittstelle Elektronik-Klassik?
Nein, an der Stelle ist Leipzig nicht innovativ, jedenfalls nicht in der Hochkultur. Es ist auch super schwierig in große Häuser wie das Gewandhaus reinzukommen und das nicht unbedingt, weil die Referenzen nicht stimmen. Sie haben ihre eigenen Abwehrmechanismen.
Es gibt zwar die „Musica Nova“-Reihe, da geht es aber um Neue Musik. Da wird viel Neues und älteres Neues gespielt, es hat aber nichts mit Elektronik zu tun. Und die Audio Invasion ist inhaltlich – böse formuliert – ein bisschen gemogelt, weil die Versprechung Klassik und Elektronik zu verbinden, nicht eingelöst wird und darin ja genau der Reiz des Unbekannten liegt, wie ich finde.
Beide Seiten existieren an den Abenden unabhängig voneinander, obwohl einer wie ich dabei ist, die Brücke zu konstruieren und die Lücke füllen könnte. Das interessiert aber niemanden. Dafür finde ich die Sachen, die gebucht werden, schon auch abgefahren und speziell.
Und die Oper ist ein Trauerspiel. Was dort passiert, ist so ewig gestrig – gestriger kann man kaum noch sein. Das Schauspielhaus mit dem Musikkurator Tobias Schurig könnte so etwas auch viel mehr wagen. Natürlich fanden dort auch schon sehr interessante Konzerte statt. Aber das war dann mal eines von mehreren im Jahr auf so einem hohen Niveau.
Und abseits der großen Häuser gibt es keine Orte, die das finanziell und organisatorisch leisten können?
Organisatorisch klappt das nicht, denke ich. Es müssen ja am Ende nicht nur Stars sein, die man bucht, aber es sollten schon Leute sein, die eine gewisse Strahlkraft haben, sonst interessiert sich niemand für die Geschichten. Außer das Haus genießt ein hohes Vertrauen bei seinem Publikum.
Künstler auf hohem Niveau kosten natürlich auch Geld und bringen viel Geraffel mit. Das kann ein Ort wie das Neue Schauspiel nicht leisten – obwohl dies die Orte für Experimente sind. Bestimmt, weil sie keine Gagen zahlen können, weil sie die Kontakte nicht haben.
Generell habe ich es in Leipzig so oft erlebt, dass die grundsätzlichsten Dinge wie Zurückrufen, Absprachen halten nicht funktionieren. Ständig ändert sich alles, alle düsen rum. Es gibt hier schon auch ein hohes Maß an Unprofessionalität und Lameness.
Wäre das für dich nicht ein Ansporn, hier eventuell eine Plattform aufzubauen. Im Vorfeld des Interviews sprachst du davon, der Stadt gern auch etwas zurückgeben zu wollen.
Klar. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, aber es ist eine schwierige Sache mit Leipzig. Auf der einen Seite liebe ich diese Stadt sehr. Sie ist ein großer Spielplatz, auf dem ich meine Fähigkeiten entwickeln konnte, ausprobieren, unter teilweise sehr schweren eigenen finanziellen Bedingungen vorantreiben, aber genau das ist es ja auch, was es braucht, wenn man an eine Sache glaubt,
Da ist das Geld im Grunde genommen egal, deine Miete musst du aber trotzdem zahlen können. Und zwei Mal konnte ich das nicht, es ging damals schief. Ließ sich reparieren und es ging weiter, die Musik hat mich gehalten. Aber ich habe Leipzig eben auch recht zügig verlassen, um mir Mitarbeiter und Unterstützer zu suchen, ein Team, das auf höchstem Niveau arbeiten möchte und wo das Finanzielle ruhig auch beim Namen genannt werden darf.
Hier in Leipzig bin ich sehr schnell an Grenzen gekommen – inhaltlich, logistisch und langfristig. Und dass man sich hier nicht so richtig für diese Sachen interessiert, das macht mich traurig so manches Mal. Ich verstehe es einfach nicht und es fühlt sich komisch an. In der Stadt, die man liebt zu leben und zu arbeiten, aber so gut wie nie aufzuführen.
Du, Jens, schriebst ja in einer E-Mail mal, in der ich mich darüber ausgelassen habe etwas von einem Prophet im eigenen Dorfe. Prophet sein? Bin ich auf keinen Fall. Aber Dorf, das würde ich so manches Mal unterschreiben. Mit einem Herzchen dahinter.
Dennoch gibt es so die eine oder andere Idee, was man hier noch so machen könnte. Dafür aber muss ich im Hintergrund erstmal kräftige Strukturen errichten, um solche Unterfangen zu stützen. Letztlich aber ist es eben wie es ist hier: Eine riesige Experimentierbude und Experimente haben oft mehr als eine gute und eine schlechte Seite. Ich möchte aber in jedem Falle jeden ermutigen, vor allem das zu tun, wovon man träumt, das ist wichtig und das gibt Kraft. Alles andere gesellt sich von alleine dazu.
„Black is the Colour“ mit Andreas Scholl, Aufzeichnung des SFR Basel im September 2014:
Remix-Trailer mit Giardino Armonico / Giovanni Antonini im Rahmen des HAYDN2032-Projektes:
„Capella de la Torre“ / „Ciaconna Lounge“ (Renaissance Ensemble vs. Elektronik) Snippets:
Die nächsten Termine mit Arbeiten von Fabian Russ
1. Februar 2015: „Wälder unter Blau“ – Elektronik rückübersetzt für Sinfonieorchester und Chor in der Laeiszhalle Hamburg als After Show ohne Elektronik. Zusammen mit dem Clueso-Arrangeur Tim Jäkel.
28. Februar 2015: Bespielung des Montforthauses, ein neu erbautes Konzerthaus im österreichischen Feldkirch. Dort wird unter anderem mit der Kreis-Software ein Planetensystem aufgebaut, mit dem der 3000 Leute fassende große Saal umkreist werden kann – Harmonia Mundi, Sphärenharmonie nach Kepler.
18. April 2015: Premiere von „Butterfly Under Glass“. Zusammen mit Frieder Weiss (Videotracking-Pionier) und Laurie Young (Tänzerin, Choreographin). Eine Koproduktion mit dem Podium Festival in Esslingen am Neckar und dem Radialsystem.
11. – 18. Mai 2015: als Gast bei den Dresdner Musikfestspielen im Rahmen der Reihe Sound & Sience, bei der internationale, junge Künstler etwas zusammen basteln.
August 2015: Eröffnung des Kunstfestes Weimar mit einem Projekt der STÜBA Philharmonie, bei dem vier weitere Komponisten beteiligt sind. Es geht u.a. um Sinfonieorchester und Elektronik.
Foto-Credits: fdong (Johannes Plank), Fabian Russ & Albrecht Mayer (Matthias Heuermann & Johannes Plank)
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