Der kuratierte Plattenladen – N° 9

Das Label Riotvan eröffnet einen eigenen Plattenladen – voraussichtlich nur für ein Jahr, aber mit einem besonderen Ansatz.

Plattenläden sind bekanntlich nicht nur Orte zum Kaufen von Schallplatten. Sie sind eine wichtige Schnittstelle für die damit verbundene Szene. Man trifft sich, tauscht sich aus, erfährt andere Neuigkeiten als in der Facebook-Timeline, checkt neue Musik.

Keine neue Erkenntnis. Sie wurde in Leipzig jedoch umso deutlicher, nachdem im letzten Sommer überraschend der Kann-Plattenladen seine Türen schloss. Wenig später öffnete in Connewitz mit Possblthings zwar eine viel versprechende Alternative. Doch die Leipziger Elektronikszene ist divers genug, um weitere Anlaufpunkte zu vertragen.

Tatsächlich hängt die Idee für den nun eröffneten Laden N°9 in der Kolonnadenstraße 9 mit der Kann-Schließung zusammen. Für Riotvan-Betreiber Markus Krasselt fiel eine wichtige lokale Abnahmestelle für seine Platten weg. Und eben auch ein Ort zum Treffen mit anderen Label-Betreibern, Künstlern und Bekannten.

Krasselt hielt Ausschau nach Flächen und bekam schließlich das Angebot von der im letzten Herbst eröffneten Contemporary Urban-Galerie, kurz CU, einen separaten Bereich für ein solches Ladenprojekt nutzen zu können. Temporär, denn das Haus in der architektonisch spannenden Straße mit nahtlos verbundenen Alt- und Plattenbauten wird voraussichtlich im nächsten Jahr saniert und anderweitig genutzt.

Dennoch klingt die N° 9-Idee überaus reizvoll. Es soll kein klassischer Plattenladen sein, eher ein Showroom für Riotvan und Labels aus dem befreundeten Umfeld. Neben den Leipzigern Kann Records, Ortloff, Holger, O*RS, Lunatic, pneuma-dor, Doumen, Rose Records und Karl Marx Land gehören auch Uncanny Valley, Permanent Vacation, Keinemusik und Robert Johnson von außerhalb dazu.

Platten, die musikalisch und visuell herausstechen, möchte Markus Krasselt an einem realen Ort versammeln. Und Showroom ist wörtlich gemeint. An der Wand hängen verschiedene Regale aus schwarzem Multiplex, in denen aktuelle Releases und passender Merchandise bedacht drapiert werden – immer auch mit einem besonderen Fokus auf eine bestimmte neue Platte. Davor zwei klassische Label-Fächer zum Stöbern.

N° 9 möchte zudem auch kleinen Release-Abenden und inhaltlich passenden Ausstellungen einen Platz bieten. Aus der Release-Party wird so eine Release-Vernissage in einem bewusst reduziertem Galerie-Ambiente. Das Soziale steht bei diesem Ladenprojekt eindeutig vor dem Profit an erster Stelle. Für Riotvan wird der Laden außerdem die neue Adresse für die Label- und Booking-Arbeit.Markus Krasselt ist in der Kolonnadenstraße 9 nicht allein: Franziska Eichhorn nutzt den kleinen Laden ebenfalls als Showroom für ihr Modelabel Yes, Boy. Dessen urbane und grafisch inspirierte Kollektionen für Männer stoßen insbesondere in Skandinavien auf viel Aufmerksamkeit. Nun bietet sie auch an dem Ort eine Anlaufstelle, an dem sie lebt und an dem alle Pullover, Mäntel und Hosen in Handarbeit entstehen.

Unterstützung beim Ausstatten von N° 9 kam übrigens aus verschiedenen Ecken: Ein Plattenspieler aus dem Kann-Laden steht nun eingebaut auf dem Plattenspielerpodest, den Filburt eigens für die Vernissage des „Bitte“-Box-Sets baute. An einer Wand hängt eine Lichtinstallation von Markus Gebauer, der als New World sowie als Teil von QY und Boytalk musikalisch aktiv ist. Das Regalsystem entstand zusammen mit Hey Kosch von Electronic Resistance.

Bestenfalls geht es alles auch länger als ein Jahr. Auf jeden Fall gewinnt die Kolonnadenstraße nach dem Hinzug des mzin-Buch- und Grafikmagazin-Ladens mit N° 9 noch einiges mehr an Charme, als es Steffen Bennemann bereits in seinem Leipzig-Rundgang für das britische Online-Magazin Ransom Note anmerkte.

Donnerstag und Freitag zwischen 14 und 19 Uhr sowie Samstag von 12 bis 16 Uhr ist N° 9 geöffnet.

Riotvan Website
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Sven Tasnadi „Fired Up“ (20:20 Vision Recordings)

Sven Tasnadi startet mit einem starken Label im Rücken ins neue Jahr. Seine neue EP erscheint bei Ralph Lawsons 20:20 Vision.

Es ist ein großes und effektives House-Programm, das 20:20 Vision seit vielen vielen Jahren liefert. Solide changierend zwischen den Tech- und Deep-Trends. Für Sven Tasnadi dürfte diese EP ein neuer Höhepunkt in der nicht kleinen Diskografie darstellen – mit noch einmal gesteigerter internationaler Aufmerksamkeit.

Die vier Stücke der „Fired Up“-EP entfalten sich in weiträumigen Grooves und straff geschnittenen Arrangements. Dazu eine rollende Bassdrum bei „Another Mother“, Jack-Appeal bei „Back To Groove“ und Stakato-Fanfaren bei „Secrets“.

Tight produzierter House für die größeren Main Floors. Dort werden die Stücke mit hoher Wahrscheinlichkeit und in aller Berechtigung mehr auslösen als bei mir.

Eine interessante Nebennachricht ergibt sich mit dieser EP noch: In diesem Jahr erscheint ein neues Album von Sven Tasnadi. Bei Moon Harbour Recordings.

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Sevensol & Bender „Professional Youth Club“ (Kann Records)

Sie sind rar – die Tracks von Sevensol & Bender. Nach zweieinhalb Jahren gibt es mit „Professional Youth Club“ endlich zwei neue.

Eigentlich wollte ich schon längst eine Liste anfertigen, die all das aufzählt, was gemeinhin zum Erwachsensein dazu gehört. Als gesellschaftliche  Etiketten. Auto, Schrankwand, Gardinen, Geschirrspüler oder Salatschleuder fallen mir immer spontan ein. Das Erwachsenwerden scheint mit dem Anhäufen von materiellen Dingen verbunden.

Ob sich Sevensol & Bender im Subtext des EP-Titels ebenfalls damit auseinandersetzen wollen? Beziehungsweise mit dem entgegengesetzten Leben als Berufsjugendliche. Mit langen Nächten, Klassenfahrten mit DJ-Freunden und den ersten Falten am Morgen danach.

„Piano Ist Der Teufel“ trägt eine gewisse Nachdenklichkeit in sich, die aber bestimmt nicht überbewertet gehört. Denn eine introvertierte Note begleitete die House-Deepness von Sevensol & Bender seit jeher. Bei diesem neuen Track fällt der Breakbeat jedoch auf, eingehüllt von deep plätschernden Dub-Chords wandelt er sich zum Schluss hin ins Gerade und ändert den Drive noch einmal unerwartet.

Eine neue Nuance bringen Sevensol & Bender zudem mit „Tribal.de“ ein. So reduziert und ravig zugleich klangen die beiden noch nie. Ohne etwas an der wehmütig eingefärbten Grundstimmung zu ändern. Perkussiv und hypnotisch schiebt sich das Stück langsam mit einer schraubenden und roughen Synth-Schleife hoch. Höhepunkt ist der gedimmte Rave-Break, der von einem weit weg schwebenden Ambient-Sound aufgefangen wird.

So klingt es also im Professional Youth Club.

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Doumen # Bernhardt

Eigentlich wäre dies hier ein Fall für die Januar-Mix-Tipps. Doch der neue Doumen-Podcast ist zu speziell dafür.

Er ist nämlich die erste größere Werkschau von Friederike Bernhardt – neun eigene Stücke hat sie für „Gengangere“ zu einem 45-minütigem Set arrangiert. Im letzten Sommer gab es bei frohfroh ein großes Interview mit der Theater- und Elektronikmusikerin. Dort hieß es mehr oder weniger lakonisch, dass mit einem Album erst im Jahr 2019 zu rechnen sei.

„Gengangere“ verkürzt die Wartezeit und gibt einen Einblick in das klangliche Spektrum, in dem sich Friederike Bernhardt zwischen Theaterbühne und vage ausformulierten Track- und Song-Ideen bewegt. Kaleidoskopisch wechseln die Farben und Stimmungen mit jedem Stück, das sich neu aus dem Ganzen herausschält.

Still der Anfang, kurz und befreiend der Kraut-Techno-Ausbruch im Anschluss. Er läutet den mittleren – und spannendsten – Part ein: Zwanzig Minuten weit abtauchendes Electronica-Mäandern, experimentell, verstörend, umarmend. Immer wieder wird es durchbrochen von sich ebenso harsch wie episch aufbäumenden Song-Skizzen.

Es endet mit einer mehrteiligen Marilyn Monroe-Hommage, resultierend aus der sechswöchigen Lektüre ihrer Tagebücher sowie einem Konzert im Rahmen des Abends „Fragments x Marilyn Monroe“, der Ende letzten Novembers in der Berghain-Kantine stattfand.

Vier Stücke von diesem Abend finden sich auch in „Gengangere“ wieder – sie sind unten im Stream zu hören. Der komplette Mix ist momentan nur auf der Doumen-Website herunterzuladen.

Zum Schluss deutet „Thank You, Mister“ an, dass noch ganz andere Spannungsfelder möglich wären. Aber: „I’m Thru With Love“.

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Juno6 „No Chappi“ (Freude am Tanzen)

„No Chappi“ könnte der Slogan einer neuen Hunde-Bio-Futterbewegung sein? Es ist aber die neue herrliche Juno6-EP, die diesen Namen trägt.

Juno6 hat mittlerweile einen soliden Draht zur Jenaer Label-Institution Freude am Tanzen. „No Chappi“ ist seine dritte EP dort – nach „My Name Is Schultz“ und „Jentz Lutz“. Nicht mit eingerechnet die exklusiven Beiträge zu den FAT-Compilations der vergangenen Jahre.

Aber welches anständige House-Label möchte nicht gern einen soliden Draht zu Juno6 haben – hä? Seine organisch schwingenden Tracks sind so etwas wie die gute Seele eines jeden musikgeschichtlich beflissenen House-Floors. Noch dazu, da sie weitgehend ohne Computer entstehen und mit Ungeradem, auf dem Feld eingefangenem und viel viel Wärme daherkommen.

„No Chappi“ legt noch einmal an Tiefe zu, indem ein Großteil der Tracks so nahtlos Jazz-Bezüge in die hintergründig schiebenden Arrangements einbindet, dass man annehmen muss, Juno6 hätte mit einer kleinen Band im Proberaum gejammt.

No innovation, aber auch no chappi. Kein Fertigmix mit Ballast. Es ist ein ebenso beflissener wie leichtfüßiger Umgang mit House und Jazz, bei dem größter Wert auf Wärme im Sound und Herzen gelegt wird.

Eher laid-back bei „The Session“ und „Woe And Flatter“, dann wieder super tight bei „Hey There Buddy“ und nebenbei traumwandlerisch umher wankend mit „Rnapo Pina“ – letzteres Stück ist übrigens als Free Download erhältlich. Es gibt auf dieser EP auch ein Wiederhören mit „Tanger“, jenem sanftmütigem Opener der „Jentz Lutz“-EP.

Vier Jahre später ist das Stück nicht wieder zu erkennen. Erfrischend stolpernd der Beat, ungewohnt neurotisch einige der Harmonien. Ein Stimmungswechsel auf ganzer Linie, der der „No Chappi“-EP zum Ende hinaus noch einmal eine andere, etwas introvertierte Färbung verleiht.

Wo ist noch einmal die Bio-Ecke bei Fressnapf?

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Markus Masuhr / dwntmpo „The Noise Of Clarity …“ (Pragmat)

Pragmat setzt gerade auf Leipziger Kollaborationen. Nach Georg Bigalke im letzten Sommer trifft Label-Head Markus Masuhr nun auf Dwntmpo.

Zur Erinnerung: Dwntmpo ist das dunklere, im Techno verankerte Projekt von A Friend In Need-Betreiber, DJ und Producer Lootbeg. Er steuert bei der achten Pragmat-Veröffentlichung seinen Track „Obsession“ bei – allerdings nicht im Original, sondern als Ausgangspunkt für drei Versionen.

Vielleicht konnte sich Dwntmpo aber auch einfach nicht entscheiden, welche seiner zwei Varianten auf die limitierte Platte soll. Beide loten auf höchst einnehmende Weise die Frage aus: Wie viel Leere verträgt Dub-Techno? Leere im guten Sinn, aber in einem anderen als bloße Reduktion. Sein „Don’t Be On Acid Rework“ ist eine heruntergepitchte Antwort darauf.

So viel Langsamkeit und Leerraum muss man auch erstmal zulassen können. Es ist nah dran an einem hölzern und seelenlos klingenden Soundgebilde. Selbst der später einsetzende Dub-Chord wirkt wie weit entferntes einsames Aufflackern.

Natürlich gibt es hier auch noch eine weitere Assoziationsebene: Die Doomness eines tiefgreifenden Rauschs, der jede Wahrnehmung verlangsamt, einzelne Elemente intensiviert, Zeit und Raum in seinen Dimensionen auflösen lässt. Wie würde wohl diese Version in einem echten Rausch wirken? Noch unwirklicher?

Markus Masuhrs Remix von „Obsession“ beschäftigt sich nicht mit dieser Ebene. Er webt das Vocal-Sample in ein klassisches, schwerelos fließendes Dub-Techno-Gewand. In der Fülle fast ein wohltuender Kontrast – auch wenn die Dwntmpo-Versionen in ihrer Eigenheit herausragen.

Der Pragmat-Betreiber ergänzt die EP auf der anderen Vinyl-Seite mit „The Noise of Clarity“ in zwei Teilen. Hypnotischer Techno verbirgt sich dahinter, der sich in zwei Nuancen entfaltet. Einmal sehr treibend und gerade, dann wiederum schleppender und breakiger. Ich kann jetzt nicht wieder schreiben: Die beste Pragmat-Platte bisher. Oder doch?

Sticker und Kunstdruck liegen der auf 100 Kopien limitierten Vinyl-Version bei.

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Nikolas Noam „Celeste“ (Blankhaus Music)

Es gibt neue Solo-Tracks von Nikolas Noam – veröffentlicht von einem gar nicht mal so kleinen peruanischen Label.

Ich muss gestehen, dass ich der melancholischen und unaufdringlichen Stimmung von Nikolas Noams Tracks durchaus erliege. Trotz der übersauberen und satten Produktion. Es ist klassischer europäischer House, aber eben nicht diese schreckliche Feelgood-Schunkel-Pop-Variante, die es mittlerweile sogar in die Formatradios geschafft hat.

Die „Celeste“-EP auf Blankhaus Music behält die träumerische Stille und Tiefe von Noams Solo-Debüt „Falling“ vom letzten Jahr bei, verzichtet jedoch auf einen prägnanten Gesangspart. Abgesehen von dem beiläufigem Sample bei „La Catrina“ – was aber gleich etwas nervt. Dafür überzeugt das aufgeräumte „Celeste“ mit der vielen Wärme und dem dezenten Aufbäumen. Stimmig und ausgewogen.

Überraschend schließlich das beatlose Ambient-Piano-Stück „We Will Be Alright“. Wie ein herrlich erhabener Filmscore mit hintergründigem Rauschen und Knistern. Mein bisheriges Nikolas Noam-Highlight. Luis Leon hätte sein Tech House lieber nicht darüber laufen sollen.

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Cuartero & wAFF „Break A Sweat EP“ (Moon Harbour Recordings)

Die letzte „Inhouse“-Compilation hatte nur wenig Zeit zum Nachwirken – es geht gleich weiter bei Moon Harbour. Mit der EP eines spanisch-britischen Duos.

Langsam bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil mir immer weniger zu den Moon Harbour-Veröffentlichungen einfällt. Hier ist also eine neue EP. Newcomer sind Cuartero & wAFF keineswegs.

Ersterer aus Spanien hat es schnell zu einer enorm gewachsenen Diskografie – fast parallel zu dieser „Break A Sweat“-EP erschien auch gerade eine auf Desolat – geschafft, letzterer kommt aus Großbritannien und brachte ebenfalls fast parallel eine EP auf Cocoon Recordings heraus.

Eigentlich ist nur „Break A Sweat“ ein Gemeinschaftswerk. Etwas Bassdrum und Perkussion, etwas Bassline, ein paar Turntablism-Samples, jede Menge Mucker-Vocals.

Mit „Trouble In Paradise“ ist zudem ein Solo-Track von Cuartero auf der EP. Etwas Bassdrum und Perkussion, etwas Bassline und exakt zwei Chord-Skizzen. Verzeiht, ich verstehe das nicht. Auch die beiden Remixe von Patrick Topping und Hector Couto bringen keine weitere Erkenntnis. Die DJ-Profis sind dagegen hellauf, wie ein paar Feedbacks zeigen:

Re.You (Mobilee)
Trouble in Paradise is great.

Nick Curly (Cecille)
Top Release!

Santé (Avotre)
Super great release!

Adana Twins
Strong release.

Meat (Freebase)
Let’s smash the floor.

Kaiserdisco
Great release! Both Originals are great and the remixes are nice as well!

Oxia
Good EP, Hector Couto remix is the one for me.

Detlef (VIVa MUSiC)
Amazing EP.

Kiki (BPitch Control)
„Break A Sweat“ is a perfect weapon for BPM Festival!

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Post aus Halle an der Saale

Neulich kam die Postfrau nicht klar. Ein Plattenpäckchen adressiert nur an frohfroh. Am nächsten Tag klappte es dann doch – mit einer schönen Überraschung darin.

Und zwar ein Unikat der ersten Orobos-Platte, einem soeben gestarteten Label aus Halle. Auf der weißen Plattenhülle eine amorphe Form, ein breiter Tuschestrich, der viel Raum für Assoziationen lässt – jedes Motiv ist von Hand gezeichnet und existiert nur einmal. Die Platte aus transparentem Vinyl – ein Gesamtkunstwerk, eine Kunstedition. Orobos entstand von Franz Paul Senftleben im Rahmen eines Seminars zum Thema „Simple“.

In Leipzig geboren, lebt er seit einiger Zeit 40 Kilometer weiter westlich und studiert an der Hallenser Kunsthochschule Burg Giebichenstein. In dem „Simple“-Seminar wurde „auch über Muster, Geometrische Formen und Aneinanderreihungen gesprochen“, erzählt Senftleben in einem aufschlussreichen Interview auf sceen.fm.

Und weiter dort: „Häufig musste ich an den modularen Aufbau von elektronischer Musik denken. Wie sie sich aus Ebenen, Flächen und Fragmenten zusammen setzt.“Als Paul Rewind produziert er ebenfalls Musik, eingedunkelten federnden Techno. Die Idee von Label, Design und Kunst lag also sehr nahe. Mit zwei Tracks ist er auf der ersten Orobos-Platte zu hören.

Die zwei Freunde Sub.Made und Prismic ergänzen die Mini-Compilation mit super reduzierten Dub Techno komplettieren. Die vier Stücke sind dabei so reduziert, dass ihnen leider die Spannung abhandenkommt. Trotz der klassischen Ansätze, die ja stark auf dem schwebenden Loop beruhen.

Interessant aber, dass Franz Paul Senftleben bei der Namensfindung für das Label auf den Begriff „Ouroboros“ stieß. Denn parallel greifen auch Pentatones bei ihrem neuen Album diese antike Figur des völlig Autarken auf.

Je nachdem wie es die Zeit hergibt, sollen auf Orobos weitere Platten folgen. Dann aber nicht mit derart aufwendigem Cover-Artwork. Also nicht lange zögern mit der ersten Katalognummer. 100 Stück gibt es nur davon.

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CVBox „What You Hear Is What You Get“ (Lunatic)

Nach nur zwei Platten ist Lunatic soweit, dass man sich unwillkürlich auf die nächste freuen kann. Sie kommt erneut vom Dresdner CVBox.

Er hatte das Debüt von Lunatic schon sehr angenehm analog und angeraut bespielt. Danach kam im letzten Frühsommer die wunderbar dunkel-poppige EP von Jennifer Touch. Es geht analog pulsierend und mit CVBox weiter auf Lunatic. Und wir bekommen tatsächlich das, was wie hören: Einerseits roh belassene und weitgehend klassische Acid- und Electro-Sounds, andererseits sphärisch flimmerte Wärme.

Kernstück der EP ist „Hitchhike The Plain“, das nach einem verschlungenen Anfang zur Mitte hin plötzlich zu einem pumpenden House-Track mutiert. Durch die Vocals mischt sich sogar so etwas wie ein dunkel schwelender Pop-Appeal mit hinein. Ein Track mit zwei Gesichtern.

„Apolda13“ und „TP-One“ erweitern das Spiel aus dunklen und gleißend-hellen Momenten – auf polyrhythmische und geradlinige Weise. Und es gibt ein Wiederhören mit „Drive By Circle“, dem wunderbar deepen, britzelten House-Track der ersten Lunatic-EP.

Die „Zappa Version“ entzieht sich der Deepness, dafür bleibt ein Britzeln an den Bassdrum- und HiHat-Rändern, während im Hintergrund eine stoische Bassline und später eine wirre Snyth-Schleife ihre Runden drehen – auf sehr andere Weise anziehend.

Neben einem Sticker liegt der Platte übrigens auch noch ein Kunstdruck bei. Komplettpaket also.

Parallel zur Lunatic-EP gibt es bei Uncanny Valley auch gerade eine neue EP von CVBox. Zusammen mit Micha Freier – auf der ersten Blackred-Platte waren beide bereits als Invalog zu hören – entstanden vier Tracks für „Transparency“.

„Blinking Lights“ offenbart dabei große Hit-Qualitäten – Gus Gus-inspiriert vielleicht. Als Konter: Ambient mit „XOXO“. Unbedingt mit zur Lunatic dazu packen.

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Radio Blau wird grün

In diesem Jahr feiert Radio Blau sein 20-jähriges Bestehen. Um künftig Kosten zu sparen, will der Sender nun in neue Technik investieren. Mit euch zusammen.

Unter dem Motto „Radio Blau wird grün“ versucht Leipzigs freies Radio derzeit, 5.000 Euro über die Crowdfunding-Seite Visionbakery zu sammeln. Die Idee: Alte Technik für den Radiobetrieb mit hohem Energieverbrauch gegen neue energieeffizientere Technik ersetzen.

Pro Jahr sollen so 900 Euro eingespart werden. Hinzu kommt die umweltschonende Komponente: Es werden dadurch 400 Watt weniger Strom und 1,9 Tonnen CO2 im Jahr verbraucht.

Die Wunschliste mitsamt den sinkenden Verbrauchswerten klingt wie ein IT-Poem:

Switches von 140W auf 40W
VirtServer von 150W auf 60W
FileServer von 150W auf 60W
BackServer von 150W auf 60W
FirewallRouter von 150W auf 30W
Pult von 200W auf 150W

Bis 1. Februar ist Zeit zum Spenden, Gegenleistungen gibt es selbstverständlich auch. 

Auf Distanz zu den Techno-Düster-Standards – DUR

Neues Jahr, neues Glück. Stimmt, denn mit DUR startet ein neues Label für die experimentelleren Ränder von Techno und Ambient. Niklas Kraft alias Talski beantwortet ein paar Fragen dazu.

Es hat dann doch etwas länger gedauert als gedacht. Insgesamt, aber auch seit der ersten Ankündigung bei frohfroh im letzten März. Zwischendurch gab es mehrere Podcast-Mixe und eine Label-Nacht im Institut für Zukunft. Mit der Katalognummer 001 startet DUR nun als Label. Nicht nur von Talski betrieben – wie es dazu kam, erklärt er später selbst.

Ein Grund für die Verzögerung war auch die Suche nach einem passenden Vertrieb. Mit Ready Made aus Berlin wurde einer gefunden, der mit Blackest Ever Black und Downwards Records einige Perlen einige sperrige Perlen vertreibt.

Das DUR-Debüt teilen sich Talski, Konrad Wehrmeister, Emrauh sowie Detlef Diamand & Lukas Rabe. Was sofort auffällt, ist der hypnotisch-kontemplative Sound aller Stücke. In vier verschiedenen Nuancen – angereichert um Dub- und Ambient-Elemente – kommt er zum Tragen.

So tritt selbst in der bedrohlich-düsteren Atmosphäre von Talskis „Eckbert“ und der kaum helleren, dubbig-hallenden Weite von Emrauhs „Vademecum“ ein angenehmes Gefühl der Losgelöstheit hervor.

Eingerahmt von diesen beiden Stücken strahlenDetlef Diamand & Lukas Rabe sowie Konrad Wehrmeister mit „Projection“ und „Search“ mehr Wärme und sogar einen Hauch von klassischer House- und Ambient-Deepness aus. Eine tatsächlich herausragende Platte zum Versinken. Im Sound und in Assoziationen.

Warum DUR entstanden ist und was noch passieren soll, erklärt Niklas Kraft alias Talski nun selbst:Bei Facebook steht „Ist am 18. Oktober 2010 beigetreten“ – die Idee zum Label schlummert schon lange?

Ja, der Gedanke eine Plattform für elektronische Musik mit Labelstrukturen zu gründen, ist tatsächlich schon ein längerer Plan von mir gewesen. Allerdings haben mir zur realistischen Umsetzung die finanziellen Mittel und das bis vor einem Jahr noch viele Unterwegssein mit Projekten einen Strich da durch gezogen.

Daher habe ich die Idee für ein paar Jahre wieder auf Eis gelegt und als Utopie schlummern lassen. Als dann die Produktionen für die erste Platte entstanden, gab es für mich keine Zweifel mehr, das endlich auf Vinyl rauszubringen und dabei hat sich wiederum die Label-Idee manifestiert.

Ursprünglich war nur von dir als Betreiber die Rede. In der Zwischenzeit hat es sich erweitert – wie kam es dazu?

Das damalige Hirngespinst bzw der „Grundstein“ wurde von mir gelegt, um die ganze Sache in Gang zu bringen und zu konkretisieren. Für mich war aber von Anfang an klar, dass ich dabei Gleichgesinnte brauche, die ein musikalisches Konzept teilen und sich für verschiedene Bereiche mitverantwortlich fühlen.

Emrauh hat jetzt beispielsweise das Grund-Mastering der gesamten Platte übernommen – mit einem abschließenden Feinschliff von Lake People. Perm kümmert sich um verschiedene organisatorische Bereiche, wie z.B. Promo und Vertriebsangelegenheiten. Beide hatten Lust auf die Labelarbeit und ich bin sehr froh, sie als Austauschpartner zu haben. DUR sind also wir zu dritt.

Gibt es ein musikalisches Konzept hinter Dur?

Wir wollen mit diesem Label vor allem Produktionen veröffentlichen, bei der die hypnotisch-meditative Ebene die Basis ist und auch mit kommenden Releases versuchen, noch mehr das Augenmerk auf ambient beeinflusstes Sounddesign zu legen. Einen starken Hang zur experimentellen elektronischen Musik habe ich persönlich sowieso, daher kann theoretisch in diesem Rahmen auch alles passieren. Auf jeden Fall wollen wir versuchen „anders“ zu klingen.

Warum eigentlich Dur? Irgendwo habe ich aufgeschnappt, dass viele Techno-Tracks in Moll sind.

„Durus“ ist das lateinische Adjektiv für „hart“. Ich finde die etymologische Herkunft dieses Wortes, bezogen auf das Wort Dur, welches im deutschen ja nur im Musikwortschatz zu finden ist, sehr interessant. Eine Tonart, die in Dur ist, bezeichnet ja ein freundliches, warmes Gefühl, das für mich schwierig mit Härte in Einklang zu bringen ist.

Darin liegt für mich eine Art Zwiespältigkeit verborgen, die ich wiederum mit meiner persönlichen Hörgewohnheit mit Techno in Einklang bringen konnte. Daher kam ich zu jenem Namen. Ich hoffe, dass hierbei auch eine gewisse Ironie erkennbar wird, denn die Welt braucht wahrscheinlich mittlerweile sowieso keine neuen Techno-Labels mehr, aber schon gar keine mit pseudo-düsteren Messages, die einem nur so ins Gesicht geballert werden, damit auch jeder versteht, dass Techno eine extrem tiefgängige Angelegenheit ist.

Vielleicht ist DUR eben mehr als eine Metapher zu sehen, um sich ein wenig von jener standardisierten „Düsterness“ zu distanzieren und trotzdem für tiefgründige und anspruchsvolle Musik stehen zu können.

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