Various Artists „Ov3r Contruct10n Vol. 2“ (Alphacut Records)

Oh, da hat es etwas länger gedauert mit dem zweiten Teil der 10-Jahres-Remix-Trilogie von Alphacut Records. Jubiläumskater oder wie?

Zur Erinnerung: im letzten Jahr konnte LXCs Label groß feiern, 10 Jahre Bestehen, riesige Party, viele Props via frohfroh und die Ankündigung einer Trilogie mit drei 10“-Platten, die sich noch einmal quer durch den Labelkatalog remixen. Alles innerhalb der Familie.

„Vol. 2“ pickt sich ein Jahr danach zwei Stücke von den Katalognummern 19 und 22 heraus und lässt sie von Martsman und Phuture-T neu betonen. Super spannend hat sich dabei „Hollow“ entwickelt. Phuture-T lässt das Original von Trisector & Creep fast identisch beginnen, zerpflückt es aber zur Mitte hin einmal komplett. Dadurch bekommt es an manchen Stellen einen gewissen Free Jazz-Appeal, der sich zum Schluss raus immer wieder mit den Originalsounds duelliert.

Die ursprüngliche „Apathetic Vibe“-Version von Abstracts Elements ist ein reduziertes, filigran nickendes Drum’n’Bass-Stück. Martsman dubbt es merklich ein, mit einem sich viel Zeit nehmenden Intro und einem verwinkelt schleppenden Vibe. Mit diesem Remix kommt das Stück dem im Titel verlautbarten apathischen Drive deutlich näher.

Zwei sehr schön abgestimmte neue Versionen insgesamt. Die Alphacut-Hardfacts zum Schluss: 303 Exemplare gibt es von der Platte, 51 davon supergelb. Außerdem finden sich in den Rillen erneut acht Locked Grooves.

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Abseits der Rosen

Das neue Jahr hat sich eingegroovt für M.ono und Luvless – drei neue EPs sind abseits ihrer Rose Records-Heimat soeben herausgekommen. Nicht nur das.

Ein kleiner Höhepunkt verbirgt sich im Kleingedruckten. In der Tracklist des neuen Move D-Mixes, den der Londoner Club Fabric im Rahmen seiner DJ-Mix-Reihe findet sich nämlich „Holding Back California“, ein Stück von M.onos „Easydance EP“. Ein doppelter Ritterschlag, keine Frage.

Von M.ono sind aber auch gleich zwei neue EPs veröffentlicht wurden. Einmal beim Londoner Label Tenth Circle die „Lumberjacks From Hell“-EP. Gewohnt soul-getränkter House, leichtfüßig und Piano-flimmernd. Bei „Cocktail Umbrella“ mischt sich überraschenderweise ein dezenter Peak-Schub mit rein. Ansonsten die sonnige Deepness in Reinform bei „Mind Tricks“.

Schon etwas länger draußen ist eine weitere EP beim südfranzösischen Label Brown Eyed Boyz Records. Als Mdot taucht M.ono mit zwei Stücken auf. „Lovley Lion und „Shokohaube Mit Zimt“. Und auch bei letzterem gibt es einen offensiveren Zugang zur Peak-Time.

Mit den mächtigen und flächigen Synth-Chords sogar noch deutlicher als bei „Cocktail Umbrella. Da ist der Soul auf der Strecke geblieben, dafür alles ungewohnt eingedunkelt. Es geht also auch anders bei M.ono.

Nicht vergessen: auf dem neuen Leipziger A Friend In Need-Label ist auch ein neues Stück von ihm.

Und noch einmal London. Dieses Mal aber mit Luvless, der bei TSUBA drei neue Tracks herausbringen konnte. „Luvmachine“ heißt die EP. Darauf in sich ruhender und unbeschwerter Deep House, langsam gleitend und mit einer souligen Aufrichtigkeit, die mich jedes Mal aufs Neue bei den Rose Records-Leuten fasziniert.

Die Rose Records 06 kommt übrigens demnächst. Dann eine Artist-EP von Martin Hayes.

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Welcome A Friend In Need

afin deep radio sessions dürften nicht wenige als sorgfältig kuratierte Podcast-Reihe kennen. Nun wird auch ein Label daraus.

A Friend In Need, so der komplette Name hinter dem afin-Akronym. 24 Mixe wurden darüber veröffentlicht, gehostet von Lootbeg, der im letzten Jahr gehörig an Fahrt gewonnen hat. In den Podcasts waren immer wieder auch Leipziger DJs zu hören – aus verschiedenen Kontexten, zwischen Iami und Perm wurde stilistisch breit aufgefahren.

Nun also ein Label unter demselben Banner. „Pleased To Meet You“ heißt die ersten Compilation, die vom Sound her sehr klar in den positiven und disco-inspirierten Bereich von House drängt. Nicht weit von Rose Records entfernt, so dass „Rain Down Tears“ von M.ono auch bestens reinpasst. Lootbeg selbst ist natürlich auch mit einem Track dabei.

Die anderen drei verlassen Leipzig als lokalen Bezugsrahmen. A Friend in Deep öffnet sich gleich international oder was? Vier Fragen gingen an Label-Betreiber Lootbeg.Bisher war AFIN eine Podcast-Reihe – gab es plötzlich auch genügend unveröffentlichte Tracks oder woher kam die Idee zum Label?

Die Idee ein eigenes Label zu starten, schwirrte schon eine ganze Weile im Kopf, nur fehlte bislang ein für mich sinnvoller Ansatz. Seit dem Start der afin deep radio sessions-Podcast Reihe Mitte 2011 wächst unsere regionale sowie auch internationale Hörerschaft stetig, wobei auch die Marke AFIN bzw. A Friend In Need immer bekannter wird.

Der Gedanke, ein Label zu gründen, stand nun also in einem völlig neuen Kontext, da der Grundstein mit den Podcasts und den damit verbundenen Hörern und dem bestehenden Kontakt zu den Künstlern bereits gelegt wurde.

Da ich bereits klare Ideen hatte, war das Konzept dann relativ schnell ausgearbeitet und ich fing Ende 2013 an, die passende Musik zusammenzutragen, die bis auf eine Ausnahme ausschließlich von Künstlern stammt, die bereits einen afin-Podcast aufgenommen haben.

Gibt es schon eine Art Künstlerstamm, oder wie ergab sich die Auswahl der ersten Compilation?

Es sind bereits einige Künstler für zukünftige Releases geplant, einen festen Künstlerstamm gibt es aber noch nicht. Wichtig ist uns – wie auch bei den Podcasts – nur, dass in sinnvollen Abständen der Bezug zu Leipzig erhalten bleibt. Bei der ersten Veröffentlichung ist das neben mir auch M.ono von der befreundeten Rose Records-Bande.

Ansonsten haben wir uns keinerlei Grenzen gesetzt und bauen beim aktuellen Release auch auf internationalen Sound aus England, Spanien und Rumänien. Mit der Zeit wird sich dann zeigen, ob man den einen oder anderen Interpreten noch einmal auf einem der nächsten Releases wiederhört und sich eine Art fester Künstlerstamm entwickelt.

Wo soll es vom Sound her hingehen?

Da ist momentan alles offen. Das erste Release geht auf jeden Fall bewusst in Richtung House und Disco. Das hat sich durch die befreundeten und vertretenen Künstler dann auch super so ergeben.

Das zweite Release wird wahrscheinlich auch in diese Richtung gehen um am aktuellen sinnvoll anknüpfen zu können. Es wird auch wieder eine Various Artists-EP werden, auf der wir dann auch eine gewollt deepere Seite einschlagen werden. Eine klassische 90er Jahre-inspirierte House EP-Serie sowie Artist-EP’s sind ebenfalls geplant.

Digital ist der Weg?

Ja, zunächst. Einfach um ausloten zu können wie die Resonanz ist ohne ein großes finanzielles Risiko dabei eingehen zu müssen. Vinyl ist und bleibt aber auch für afin etwas Besonderes, wobei langfristig gesehen natürlich auch der Switch zur Schallplatte geplant ist. Momentan ist das Feedback international wirklich gut – die Weichen zeigen also bereits in die richtige Richtung.

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Ron Deacon „Teamone“ (Team Records)

Zwei neue Lebenszeichen von Ron Deacon gibt es. In Form einer 1-Track-EP und eines Podcasts.

Team Records adaptiert das One-sided-Vinyl-Prinzip ins Digitale. Hin zum One-sided-MP3, Team One heißt eine Reihe, die exklusiv über Beatport veröffentlicht wird. Eine EP, ein Track. Letzte Woche kam auch Ron Deacon dran, der dem niederländischen Label seit drei Jahren verbunden ist.

Sein „Confusion“ dreht ordentlich aufs Tempo. Die scharfen HiHats, die schiebende Bassline und die Chord-Fanfaren – alles ist auf viel Glück auf dem Dancefloor ausgelegt. Ron Deacon behält die Lässigkeit aber.

Selbst über das Saxofon komme ich einigermaßen hinweg, wahrscheinlich ein Ron Deacon-Bonus. So offensiv ist er selten. Zum One-Sided-MP3 passt übrigens auch der viele JPG-Dreck im Cover.

Zur selben Zeit hat Esoulate in seinem Podcast einen Ron Deacon-Mix hochgeladen. Von schillerndem bis dubbigem House mit angerauten Oberflächen ist der geprägt. Eine neue RDF-Platte mit Filburt soll wohl auch bald kommen.

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Talski in Dur

Demnächst gibt es ein neues Vinyl-Label – DUR. Betrieben von Talski. Die Podcast-Nummer 001 gibt einen ersten Eindruck auf den Sound.

Talski fiel ja mit seinen Platten auf Rivulet Records bereits sehr positiv auf. Einerseits durch die Reduziertheit, andererseits durch seine feinsinnige Musikalität. Mit Perm zusammen wird es technoider, Pandt heißt das gemeinsame Techno-Projekt, das es im Yvonne-Voting auch in die zweite Phase geschafft hat.

DUR scheint sich eher auf einen hypnotischen Techno und düsteren Ambient konzentrieren zu wollen. Zusammen mit Emrauh hat Talski einen ersten Podcast-Mix veröffentlicht, der genau diesen Sound wiedergibt. Für den Frühsommer ist die erste Platte geplant, obwohl die Idee schon seit vier Jahren im Kopf von Talski schwirrt. Aber er traut sich erst jetzt.

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„Zu gerade ist nicht mein Ding“ – Micronaut-Interview

„Wir müssen diesen Typen hier halten“, forderten wir zum ersten Album von Micronaut. Er wollte von ganz allein. Das war nicht immer so bei seinem Solo-Projekt, wie er im großen frohfroh-Interview erzählt.

Der kurze Dokumentarfilm von Hannes Wichmann von neulich vermittelte bereits ein Bild des gebürtigen Rostockers. Dass es immer ein Bild braucht, dass er die Dramatik mag. Sein zweites Album „Panorama“ knüpft nahtlos an das Debüt „Friedfisch“ an.

Verspielte Opulenz auf der einen, vertrackte Rhythmen und dramaturgische Wendungen auf der anderen Seite. Aber Stefan Streck alias Micronaut hat sich noch weitere Bereiche erschlossen. Ein Dub-Ausflug mit dem Leipziger MC Flipstar, eine amtliche Rave-Hymne mit dem wunderbaren Gesang von Arpen und flockig leichter 2Step.

„Panorama“ ist nicht leicht einzugrenzen, es möchte wahnsinnig viel Details auf möglichst wenig Raum vereinen. Dass dies nicht ins Beliebige ausleiert oder krampfhaft crossovert ist die große Stärke des Mecklenburgers.

Mit Wooden Peak teilt er sich im Lindenauer Industriehinterland einen Proberaum. Beheizt, mit großen Fenstern und einem Kaffeeautomaten im Treppenhaus. Die Umgebung mit Ruinen, Brachen und einfältigen Gewerbebauten bildet einen harschen Kontrast zu dem durchaus euphorischen Micronaut-Sound.

„Zum Ströpen“ sei die Ecke super. Ziellos durch die Gegend ziehen, ist damit gemeint. Ein tolles Wort aus dem Norden, das ich bei unserem Interview zum ersten Mal höre. Und noch etwas: nach Neubrandenburg wäre er niemals gezogen. Da bin ich im Januar 2012 schön drauf reingefallen.

Wie geht es dir in Leipzig?

Super, von Anfang an. Das mit dem Herziehen war total spontan. Ich habe in Rostock auf der MS Stubnitz als Tischler gearbeitet. Während der Veranstaltungen musste da auch schon einmal der Fußboden lackiert werden – und sobald der Lack trocken ist, muss sofort nachgeschliffen werden, egal zu welcher Zeit. Manchmal war ich also auch nachts da, nebenan Party.

Ich hatte vorher schon viel Musik gemacht, in Bands gespielt und andere Bands abgemischt. Irgendwann habe ich auf der Stubnitz mehr den Ton übernommen. Und jedes Jahr ging es nach Kopenhagen zum Jazzfestival – da hieß es dann: 50 Bands in einer Woche mischen. Ich dachte damals schon, dass es ja leicht wäre, einfach mal aus Rostock wegzugehen.

Gar nicht, weil ich Rostock doof fand. Ich hatte einfach Lust woanders hin zu gehen. Leipzig, Dresden, Jena hatte ich im Kopf. Ich war dann einmal in Leipzig auf Besuch und auf einem Konzert in der Moritzbastei. Das Zimmer von der Freundin, bei der ich da geschlafen hatte, wurde spontan frei und dann bin ich innerhalb von einem Monat hier her gezogen.

Es hätte also auch Jena sein können?

Genau, es war Zufall. Im Nachhinein natürlich ein großes Glück. Anfangs habe ich in der Karl-Heine-Straße gewohnt und in der Moritzbastei gearbeitet. Klar, ein Studentenladen, aber ich arbeite sechs bis zehn Tage im Monat dort, hammergern.

Erst Ton, jetzt mehr Licht. Ich hatte in Leipzig ganz lange Urlaubsgefühle. Immer wenn ich zur Moritzbastei gefahren bin, habe ich andere Wege genommen und neue Sachen entdeckt.

Hattest du hier schon viele Kontakte oder bist du ins kalte Wasser gesprungen?

Es war richtig kaltes Wasser. Aber das mochte ich auch. Wenn man aus der Kleinstadt kommt und geht zum Penny, dann sieht man auf der Straße gleich zehn Leute, die man kennt. Und manchmal hat man auch keinen Bock, irgendjemanden zu sehen.

Über die Moritzbastei kamen dann auch die Kontakte in die Stadt?

Nein, gar nicht. Dort arbeiten vielleicht 100 Studenten und vielleicht 30 Festangestellte. Von denen wissen die wenigsten, was ich mache. Ich glaube, da hat mich noch niemand spielen sehen.

Dennoch bist du in Leipzig angekommen?

Ja, aber nicht, weil Leipzig so hammergeil ist, sondern weil sich Rostock immer mehr entfernt. Die WG, in der ich immer geschlafen hab, hat sich aufgelöst und dadurch bin ich jetzt mehr ein Gast, weil ich nach einer Penne suchen muss. Und immer wenn ich dann dort aufgelegt habe, habe ich gemerkt, dass ich kein Local mehr bin.

Es kommen ja auch jedes Jahr neue Studenten und ich bin mittlerweile auch etwas älter. In meinem Alter gehen dort eben nicht mehr so viele Leute feiern. Ich glaube ja, dass je größer eine Stadt, desto mehr ältere Leute trauen sich auch noch, nachts wegzugehen.

Wer waren die ersten Anknüpfpunkte hier?

Durch meine Drum’n’Bass-Connection bin ich mit Jan „Audite“ Stern in Kontakt gekommen, er hat mich ein paar Mal eingeladen. Micronaut war zu dem Zeitpunkt auf Eis gelegt. 2004 hatte ich das angefangen, das ging etwa zwei Jahre und dann hatte ich eine Band. Ich war auch immer eher so bandmäßig orientiert.

Microstern hieß sie und war in Mecklenburg ziemlich erfolgreich. Es sollte eigentlich auch losgehen mit einer Tour. Dann bin ich aber nach Leipzig gezogen und die Proben fielen immer länger aus. In Leipzig habe ich nach einer neuen Band gesucht. Lake People habe ich schnell kennengelernt, als er noch Trickform hieß.

Vier Monate haben wir uns auch einmal in der Woche getroffen – er Gitarre, ich Schlagzeug und Friedericke am Klavier. Aber da ist nichts weiter daraus geworden. Ich hatte dann noch einige Aushänge am Schwarzen Brett und im Bandhaus. Aber es hat sich niemand gemeldet.

Die Bandszene ist also hermetisch hier?

Ich glaube, ich bin es falsch angegangen. Ich habe immer geschrieben, dass ich jemanden für eine Band suche. Es hätte wohl besser heißen sollen: sucht noch jemand einen Gitarristen. Dadurch habe ich mit Micronaut wieder angefangen – aus Verzweifelung.

Und wie ist Micronaut 2004 entstanden?

Vorher habe ich ja in Knüppelbands gespielt. Als es damit vorbei war, hatte ich mir Sampler und andere Geräte gekauft und etwas herumgeklimpert, Ein Kumpel von mir hat seine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker in Berlin auf der Insel der Jugend gemacht. Für die Prüfung muss man eine Abschlussveranstaltung planen und durchführen. Da hat er einen Kumpel und mich mit Soundcollagen eingeladen.

Das gefiel mir so gut, dass ich dann über einen anderen Kontakt ein paar Mal im Rahmen von Kunstausstellungen in Rostock gespielt habe. Darüber ergaben sich dann über vier Jahre noch weitere Ausstellungen. Das war nur Improvisieren, einstöpseln und schauen, was rauskommt, nur mit Gitarre und Effekten.

Der Kumpel von der Insel der Jugend ist dann wieder nach Rostock gezogen und meinte, dass er eine Party-Reihe namens „Silent Sounds“ starten möchte, wäre cool, wenn du da mitspielst. Fünf Wochen vor der Party kam der Flyer heraus und da standen Marcel Dettmann, André Galuzzi, ein paar Rostock-Heroes und ich drauf.

Eigentlich cool, nur stand mein Name ganz oben und in doppelt so großen Buchstaben. Ich kannte die anderen Namen damals noch nicht, weil ich abgesehen von Drum’n’Bass mit elektronischer Musik gar nichts am Hut hatte. Der Kumpel meinte nur, es sei doch alles easy, du machst ein paar Beats. Ich wollte trotzdem am liebsten absagen.

Dann war ich aber auf einem T.Raumschmiere-Konzert und war so hammergeflasht. Ich konnte vorher mit Techno nichts anfangen, aber als ich den Typen gesehen habe, war das wie Grindcore auf elektronisch. Ich glaube, dass ich dann erstmal versucht habe, solch einen Sound zu machen. Auf der Party war das noch Kraut und Rüben. Aber es hat so einen Spaß gemacht und es gab auch ein gutes Feedback, so dass ich das verbessern wollte.Micronaut ist also aus einem Live-Projekt entstanden.

Genau, es gab einige Auftritte in Mecklenburg.

Und das „Friedfisch“-Album war eine Art Best-of der Live-Sets?

Nein, das war viel später. Von 2004 bis 2006 habe ich elektronische Musik gemacht. Aber da ich keinen Bezug zu der Musik und Szene hatte, konnte ich mich nicht so richtig da rein versetzen. Ich kann auch jetzt noch kein Techno-Stück machen.

Mir fehlt die Geduld, um einen oder wenige Sounds so auszuarbeiten, das ein ganzer Track daraus produziert werden kann. Ich muss immer hier und da noch was reinknallen. Das kommt wohl von dem Bandding. Durch Microstern lag Micronaut wieder auf Eis und weil es in Leipzig mit einer neuen Band nicht klappte, habe ich für mich angefangen, elektronische Musik zu machen.

Mit Andreas und Fabian von Analogsoul saß ich dann öfter am Karl-Heine-Kanal und wir haben Brot reingeschmissen. Als Kind war ich viel angeln und kannte die ganzen Fische da. Andreas meinte dann, da kommt bestimmt gleich der Hecht. Da käme bestimmt keiner, wenn wir Brot reinwerfen, meinte ich. Und da habe ich ein wenig dazu erklärt und all die Fischnamen fielen.

Andreas fand die Namen so toll, dass er meinte, man müsste doch damit was machen. Und ich hatte anfangs fünf Stücke, die mir für eine EP in den Sinn kamen. Eigentlich sollte das bei Analogsoul herauskommen und es sollte auch ein paar Remixe geben, die dann Raubfisch heißen.

Parallel hatte ich die Stücke aber auch Mollono von Acker Records geschickt. Und er fand das super, auch von den Namen her. Er angelt auch hammergern.

Es gab zuvor aber noch die „Gewürz EP“.

Ja, das waren eher Lieder, die ich damals live gespielt habe. Für „Friedfisch“ entstanden in Leipzig nur neue Stücke. Das war krass für mich, nach jahrelangen Versuchen ein eigenes Album. Acker Records und 3000° haben mich da auch sehr gepusht.

Vorher gab es den Bezug zu den Labels gar nicht?

Wir kannten uns lange vorher, klar. Auf der Fusion gibt es donnerstags immer einen Grindcore-Abend und da haben wir gespielt und Kombinat 100, Molle usw. kennengelernt. Mit deren elektronischer Musik konnte ich nicht viel anfangen, aber sie waren mir von Anfang an sympathisch.

Rostock scheint ja für eine mittelgroße Stadt eine sehr vitale Szene zu haben, gibt es da noch einen anderen Zusammenhalt?

Diesen Zusammenhalt gibt es in Leipzig auch. Aber durch die Größe von Rostock ist es dort viel konzentrierter. Wenn man die größer dieser kleinen Stadt prozentual hochrechnet, dürfte in Rostock mindestens genauso viel gehen, wie in Berlin.

Es sind wenige Leute, die was machen, aber die machen richtig viel. Es ist immer ein großes Miteinander und besonders das Publikum feiert sehr zusammen.Suchst du jetzt noch nach Leuten für eine Band?

Nein, jetzt gar nicht mehr. Ich habe auch erst einmal versucht mit jemanden elektronische Musik zu machen. Das war cool, aber ich habe gemerkt, dass eben nur einer am Rechner sitzen kann. Ich war auch noch nie ein Freund von Sessions. Ich bin auch in den Instrumenten nicht gut genug für Sessions. Es muss für mich immer eine Idee geben an der man herumfeilt. Wenn ich allein bin, geht das alles.

Mit Gastsängern hat es aber beim neuen Album geklappt.

Ja, die waren richtig da. Flipstar, eigentlich ein Drum’n’Bass- und Reggae-MC, der wohnt unter mir und ich habe ihn immer gehört, bis ich ihn einmal angesprochen habe. Fünf Minuten war er dann oben und schon war alles fertig. Arpens Stimme finde ich einfach hammerkrass.

Maria musste singen, weil ich es bei dem Lied nicht hinbekommen habe und mit Friedericke (Moritz Fassbender) hatte ich kurzzeitig diese Band und mochte Ihre Stimme von Anfang an, weil sie sehr roh und natürlich klingt. Sie versucht nicht, wie irgendwer anders zu singen, sondern sie singt einfach heraus. Aber das Wichtigste ist, das ich diese vier auch menschlich total mag.

Du singst auch selbst, oder?

Ja, aber nicht so gut. Ehrlich gesagt mache ich es aber total gern. Wenn man Stimmen hört – außer bei den Stücken mit den Gastsängern – bin ich das. Aus Sound-Sicht hat meine Stimme leider keinen guten Klang. Da sind echt räudige Frequenzen dabei.

In dem Dokumentarfilm hast du gesagt, dass du immer ein Bild beim Musikmachen im Kopf hast. Was denn konkret – selbst erlebtes oder imaginäres?

Es kommt schon vom Filmschauen. Ich versuche immer auf etwas Tragisches hinzuarbeiten. Es soll nicht plänkern. Ich möchte auch Musik machen, die man in bestimmten Momenten bewusst hören möchte. Nicht nur nebenbei beim Frühstück, Putzen oder Autofahren.

Also wie man einen Film anschaut.

Genau. Eigentlich wünscht sich das jeder Musiker. Aber ich mag auch Musik, die nebenher laufen kann.

Noch einmal zu den Bildern: sind das dann eigene Erinnerungen?

Ja. Wenn mich irgendetwas bewegt und man sich im Vorfeld ausmalt, wie eine Situation ablaufen könnte. Damit spinne ich dann herum und mache Musik danach. Für mich ist das Musikmachen auch ein Aussprechen.

Du kannst auch loslassen und hängst nicht ewig an einem Stück.

Ja, total. Soundlich gehe ich noch einmal ran. Aber musikalisch ist es dann abgeschlossen.„Panorama“ geht stilistisch noch weiter in Breite – gab es noch einmal mehr Inspirationen in den vergangenen zwei Jahren?

Ich höre einfach viel zu gern verschiedene Musik, da könnte ich mich nicht auf etwas festlegen. Ich habe auch den Vorteil – beispielsweise vielen bekannten Produzenten gegenüber, die fest in einer Schublade hängen und auch Erwartungen erfüllen müssen – dass ich die verschiedenen Sachen heraus bringen kann, weil ich mich nie auf ein Genre festgelegt habe. Es gibt nicht die strengen Erwartungen von den Hörern.

Du könntest vielleicht keinen reinen Techno-Track bringen.

Stimmt. Aber es ist eine richtige Last, wenn man Musik nach Erwartungen machen muss. Es ist bei mir auch alles auf einem easy Level, ich muss nicht zwingend abliefern. Wenn das Album jetzt in die Hose gehen sollte, würde mich das wahrscheinlich nicht krass runterziehen, weil ich weiß, dass es gut ist. Auch bei dem ersten Album von Microstern wusste ich, dass mir das niemand schlecht reden kann.

Es gibt ja zwei Pole in deiner Musik: das kleinteilige und abseitige und dann auch der totale Barock und Überschwang. Wie kommt das für dich zusammen?

Über so etwas denke ich gar nicht nach. Ich rücke aber meist Sachen mit Absicht ungerade, damit es für mich interessant wird. Zu gerade ist überhaupt nicht mein Ding.

Aber musst du dich manchmal selbst bremsen?

Ja, jedes Mal. Wenn ich mit zeitlichem Abstand noch einmal drüber höre, rücke ich hier und da wieder etwas mehr gerade oder nehme etwas raus. Erst baue ich in einem Loop alles zu und später verteilt es sich dann, damit es ein richtiges Lied wird.

Gibt es noch jemanden anderes als Input?

Gar nicht. Ich zeig niemanden vorher etwas.

Und der musikalische Einfluss?

Ganz klar Stereolab. Das ist die Band, die mich am längsten begleitet. Sie machen einfach großartige Musik und haben einen ganz eigenen Sound. Von den neuen Sachen gefallen mir Mount Kimbie, Monokle, Praezisa Rapid 3000 oder Prefuse 73.Du bist immer mit dem Auto zu den Auftritten unterwegs – ein wenig Tourbusfeeling also?

Ja, da ich auch die Lichtshow immer mitbringe, kann ich leider keinen mehr mitnehmen. Manchmal kam noch ein Kumpel oder meine Freundin mit, aber das geht nicht mehr. Ich gestalte mir die Autofahrten auch immer hammergemütlich. Bereite mir Hörspiele vor, mache tolles Essen und baue das alles neben mir auf und denke jedes Mal, wie cool es ist, was ich machen kann.

Das schränkt die Bookings auch ein, einfach nach London ginge nicht.

Naja, ich habe mich auf sowas vorbereitet. Bei zwei Gigs musste ich fliegen und habe nur das Nötigste mitgenommen. Das geht schon. Schwieriger war, dass ich zwischen den DJs anfangs zu leise war. Mein Equipment war nicht laut genug. Deshalb lasse ich jetzt immer alles noch durch den Kompressor im Rechner laufen.

Mit deinem Sound durchbrichst du die Geradlinigkeit einer Clubnacht – hast du dich da auch schon fehl am Platz gefühlt?

Ja, kam schon vor. Das ist von der Uhrzeit abhängig. Wenn ich nach vier Uhr spiele, haben die Leute keine Lust darauf. Im Rahmen von Konzerten funktioniert es perfekt. Die 3000°-Booking-Leute sagen den Promotern aber auch, welche Zeit gut passt.

Eine klassische Tour kannst du dir nicht vorstellen?

Auf meinem Level ist es gerade schwer unter der Woche Auftritte zu bekommen. Am Wochenende klappt das alles. Mit Supershirt war ich letztes Jahr auf Tour, aber ich alleine, wer soll da kommen? Wenn der Rahmen cool ist, fühle ich mich aber im Clubkontext sehr wohl.

Gibt es noch einen Traum, einen Ansporn?

Musikalisch kann es gerne so bleiben wie es ist. Ich schraube jeden Tag an meiner Musik. Das habe ich auch gemacht, als ich noch keine Bookings hatte oder wusste, dass ein Album kommt. Nachdem Acker Records das „Friedfisch“-Album herausbrachte, war das für mich das größte. In demselben Jahr hatte ich 50 Auftritte, was für mich schon viel ist.

Ich bin noch auf einem Level, wo es mir jedes Mal Spaß macht. Gerade die Fahrten haben auch immer was von Urlaub. Mehr darf es also vielleicht auch gar nicht werden, weil es sonst zum Jobabliefern wird. Und das mag ich überhaupt nicht. Ich hätte schon Lust, wieder etwas mit anderen zu machen.

Mit Micronaut würde ich gerne neue Sachen ausprobieren, auch damit es für mich interessant bleibt. Wie sollte ich das jetzt steigern ohne mich zu wiederholen? Das kann ich nicht weiter ausreizen, lieber den Spielplatz erweitern. Wenn es persönlich und musikalisch passt, würde ich auch gern in einer Band spielen.

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The Midnight Episode (Ominira)

Ominira hat sein erstes Vinyl-Album. Und einen Vertrieb für seine Seltsamkeit.

Und mit Honest Jon’s einen höchst renommierten Vertrieb aus London. Einen, der auch die obskuren Themen leidenschaftlich mit rein nimmt. Ominira bleibt derweil ein unberechenbares Label. Nach dem sehr schroffen The Siege Of Troy-Tape von Kassem Mosse und der wunderbar verwunschenen Throwing Shade-EP dringt The Midnight Episode-Platte tief ins Cineastische ein und gibt sich ganz der theatralischen Tragik britischer Horrorfilme hin.

Filmen mit Patina, dementsprechend klingen auch die Stücke auf dem Album. Ab und an flackern Stimmen auf, doch in erster Linie greift The Midnight Episode instrumental die schillernd-bedrückenden Bilder und Spannungen alter Horrorfilme auf. Langsam und elegisch, immer wieder behutsam um Synthesizer und lose HiHats oder Bassdrums ergänzt.

Dunkel und durchaus beklemmend klingt das, die großen Ausbrüche und dramatischen Zuspitzungen bleiben erfreulicherweise aus, so dass sich das Album auch losgelöst von der cineastischen Ebene entfalten kann. Es geht hier nicht einfach um das Abgreifen von bewährten Effekten, sondern um eine vertraute und zugleich seltsam unwirkliche Atmosphäre.

Nicola Cunningham und Karl Skagius aus Manchester und Göteborg haben die Stücke produziert. Auf anderen Labels soll von beiden schon etwas herausgekommen sein, The Midnight Episode ist aber das erste große Lebenszeichen des gemeinsamen Projekts. Eins für Mitternacht. Vorhören geht über den Kann Records-Store. Außerdem gibt es einen passenden Mix der beiden. Und einen kurzen Trailer.

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Mix-Tipp: OneTake

DJ-Mixe werden einem im Internet geradezu hinterher geschmissen. Podcast hier, Podcast da. Ein Mix-Doppel ist in der Flut aber aufgefallen.

OneTake, Booker im Conne Island ist ja kein Unbekannter in der Stadt, wenn es um das Ausloten spezieller musikalischer Pfade geht. Bei seinen zwei neuen Mixen hat er sich besonders viel Zeit gelassen, um zwei komplett gegensätzliche Soundwelten in je gut einer Stunde aufleben zu lassen.

Beim 13. Kannpod geht es nach Afrika, ein rhythmisch kleinteiliger und hypnotischer Mix, fern der weltmusikalischen Feel Good-Folklore, aber eben die reduzierte Faszination der elektronischen Musik im Blick. Die Tracklist verrät, dass OneTake hier eine vorwiegend europäische und nordamerikanische Auseinandersetzung mit afrikanischen Einflüssen aufzeigt.

Zwei Jahre hat es gedauert, bis OneTake den Mix angehen konnte. Weil die Sammlung an geeigneter Musik mit afrikanischem Bezug nur langsam wuchs. Um eine „kleine Rhythmus-Exkursion“ ging es letztendlich, weg von der gewohnten Geradlinigkeit.

Für Modern Trips das genaue Gegenteil. Nach dem Tape-Mix von neulich, nun ein Podcast. Düster, sperrig, im Kontrast zu ebenso gleißend lichtvollen Phasen. Es ist die spannende Auflösung und spätere Wiederaufnahme von Strukturen, die hier nachhallt. Trotz der vielen Sonne da draußen. Beide Mixe gibt es auch als Download – nicht verpassen.

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Sven Tasnadi „The Small Things“ (Kann Records)

Erstmals ist Sven Tasnadi auf Kann Records zu hören. Mit flirrender House-Deepness.

Na, da verweist der EP-Name wohl indirekt auf eine Form der House-Deepness, wie sie neben Kann Records auch vom Hamburger Label Smallville gelebt wird. Vor einigen Jahren bewies Sven Tasnadi, dass er auch dorthin passt. Heute ist seine Vielseitigkeit längst bekannt. Oder ist es eher eine Anpassungsfähigkeit?

„Ich mag einfach zu viele verschiedene Arten von Musik zu sehr“, erklärte Sven Tasnadi seinen variablen Output im großen frohfroh-Interview. Abgesehen von seinem Album im letzten Jahr war der zuletzt jedoch sehr slick und funktional. Bei der „The Small Things“-EP flirren die Sounds dagegen federleicht umher.

Alles ist eine Spur gedimmter, weniger druckvoll. Wobei die Basslines durchaus tief bohren. Allerdings in einer schnarrenden Weise. Der Titeltrack ist zugleich der stärkste Track der EP. Vom Drive her, von der Verspieltheit-Deepness-Balance her. Besonders mag ich den kleinen Break, bei dem alles ausfadet und sich wieder aufbäumt. Also ohne den vorherigen aufpeitschen Jaul-Alarm.

Ansonsten Strings, Piano, warme Chords – Sven Tasnadi fährt eine Menge auf in den drei Stücken, was nahtlos in die Kann-Deepness passt. Und es wird dadurch eine seiner besten EPs überhaupt. Map.ache remixt „Sweet Childhood“ zudem. Mit einem leicht eingenebelten Schub und schärferen Soundkonturen – ins Hymnische steigert er sich zum Schluss hin sogar. Ein Doppelgewinn.

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Blac Kolor „Wide Noise“ (Basic Unit Productions)

Da hat Blac Kolor uns aber einiges vorenthalten mit seinen bisher veröffentlichten Tracks. Denn sein Debüt-Album ist ein verstörend gutes Bollwerk.

Ein klammer vernebelter Wald ist auf dem Cover und den Innenseiten des Digipaks von „Wide Noise“ zu sehen. Nichts exotisches, ein scheinbar mitteleuropäischer Wald. Doch zwischen den Bäumen laufen Pandabär, Elefant, Nashorn, Tiger und Giraffe umher, eine Löwin schläft. Optisch ist das so selbstverständlich arrangiert, dass die Utopie – oder Dystopie – erst auf dem zweiten Blick wirklich greift.

Da war ich schon mittendrin in dem ersten Album von Blac Kolor. Bei frohfroh war der Designer, DJ und Producer bislang ein musikalischer Außenseiter. Mächtig düster, mächtig aufgeladen blieb sein von Industrial beeinflusster Techno in Erinnerung.

Im Nachhinein deutete aber schon die letzte EP „Kold“ eine gewichtige Kehrtwende in dem Sound von Blac Kolor an. Weg vom über-maskulinen, pathetisch-zerstörerischen Techno, hin zu einem breakigen Hybriden. „Kold“ ist auch auf dem Album und wirkt in dem neuen Kontext geradezu eingängig.

Der neue Rest von „Wide Noise“ formuliert dagegen verstörend und vielschichtig die verschiedenen Facetten der bedrückend vertonten Dunkelheit. Scharfschneidig und ungerade, unmittelbar und vage, aufgeladen und kompromisslos – alles gleichermaßen.Rhythmisch gewinnt Blac Kolor einfach alle Punkte, indem er sich vom harten Techno löst und auf „Wide Noise“ mehr auf breakige Arrangements setzt. Das nimmt den Rave-Appeal heraus und verleiht der Düsterheit einen weitaus stärkeren Nachdruck.

Und da ist eine neue Langsamkeit mit denen sich Stücke wie „Blac Over Your Head“, „Breeding“, „Easy Viktory“, „Wide Element“ oder „Evil Freak“ tiefer entfalten.

Die Techno-Zerstörung ist übrigens nicht gänzlich verschwunden. In einigen Tracks tobt sie sich aus. Besonders eindrücklich bei „Hexen“ und „Krook“. Heimlicher Hit aber ist „Banging“, der in all seiner weirden, epileptischen Energie eine unglaubliche Leichtigkeit entwickelt. Ist das dann Industrial-Trap?

Etwas ist aber: an viele Vocals komme ich nach wie vor schwer heran. Aber hey, mit „Wide Noise“ komme ich erstmals überhaupt wirklich an Blac Kolor heran. Meine erste 2014-Überraschung.

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Kassem Mosse „Workshop 19“ (Workshop)

Nur rund ein Monat liegt zwischen den ersten Ankündigungen und der tatsächlichen Veröffentlichung – für sein erstes Album hält Kassem Mosse den Ball flach.

Überraschend kommt dies jedoch nicht. Es gibt nicht viele Musiker, die sich so unbeirrt den gängigen und oftmals ausgelutschten Vermarktungsstrategien entziehen wie Kassem Mosse. Das stetig gewachsene Interesse an ihm dürfte diesen Hang noch verstärkt haben. Eigentlich erstaunlich, dass er überhaupt Kanäle wie Facebook und Twitter nutzt. Warum nicht gleich das Darknet?

Doch es wird nicht um eine Null-Kommunikation gehen. Denn eigentlich hat Kassem Mosse schon einiges zu erzählen, eine Haltung zu vertreten. Beispielsweise, dass die „Workshop 19“ keine limitierte Veröffentlichung ist. Und dass eine ältere – bei Discogs hoch gehandelte – Workshop-Platte nachgepresst wird.

Mit dem glorifizierenden Überinteresse an seiner Musik und seiner Person kam auch die Vinyl-Spekulationspest. Obwohl Kassem Mosse dem immer wieder entgegenwirkt, ist das Album bereits nach wenigen Tagen im vertriebseigenen Hardwax-Online-Store ausverkauft. Ein Selbstläufer, eine Eigendynamik, ein Hype.

Aber letztendlich ein völlig berechtigter. Die Euphorie für seine Tracks blieb auch bei mir ungebrochen. Und sie ist bei frohfroh hinlänglich dokumentiert. Es ist seit jeher die scheinbare Beiläufigkeit und die analoge Entrücktheit der Sounds und immer wieder die tief mitschwingende Wehmut, die Kassem Mosse so hervorheben.

Was kann ein Album da noch grundlegend neues erzählen? Nichts. „Workshop 19“ ist eher ein Ort des Vereinens. Ein Verjüngen der verschiedenen Nuancen seines offenporigen und zuweilen sperrigen House- und Electronica-Sounds.

Obwohl selbst auf den bisherigen EPs die Bandbreite hörbar war und sich viele Tracks bereits abseits des Dancefloors bewegten, bekommt das Zusammenspiel hier eine andere Kohärenz, eine nachvollziehbarere Breite.

Einzig „Untitled A1“ und „Untitled D1“ fallen noch einmal besonders auf. Sie bilden mit ihrer ungewohnt besänftigten Lässigkeit, dem gedämpften Gesang und dem spielerischen Jazz-Einfluss den Rahmen am Anfang und Ende von „Workshop 19“.

Dazwischen: Kassem Mosse im besten Sinne. Mit scheppernden Bassdrums, Synthesizer-Fanfaren und eindringlichen Basslines. Zeitentbundene Musik mit ungebrochener Faszinationsdauer. Vorhören geht über den Kann Records-Store. Oder bei You Tube.

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Krink „The Wilderness“ (URSL)

Die Wildnis bei Krink klingt erstaunlich brav und unaufregend. Was ist los da?

Ohne zu sehr auf dem Titel herumreiten zu wollen. Aber mit Wildnis konnte der warm schiebende House-Sound des Stiff Little Spinners-Kopfes Krink bislang nicht wirklich in Verbindung gebracht werden. Dafür mit weich gezeichneter und ausgewogener Deepness.

Seine neue EP auf dem Label URSL schlägt dagegen mit vier Stücken einen hörbar eingedunkelten Pfad ein. Mit nächtlicher Spookiness, verhuschten Sounds und verhallten Samples.

Kein unspannender Ansatz. Nur bleiben die Sounds irgendwie zu sauber und die Arrangements zu unentschlossen. Keine schlammigen Überbleibsel der Wildnis, keine wirkliche Furcht und Rauheit. Vielleicht war es ein Nacht-Jam, denn erstaunlicherweise liegen alle vier Stücke atmosphärisch nahe beieinander.

„The Wilderness“ sticht auf jeden Fall heraus aus dem bisherigen Katalog von Krink. Eben weil die sonst präsente süße Melancholie einer nicht recht überzeugenden Tragik gewichen ist. David Dorad holt den Titel-Track in zwei Versionen raus aus dem mäandernden Modus. Aber nur etwas.

URSL hatte übrigens schon einmal eine Leipzig-Platte veröffentlicht. 2012, damals war es Lake People.

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