Neu neu: Frische Musik von Salomo, Schmeichel und WaqWaq Kingdom

Vary, Defrostatica und Jahtari begrüßen mit neuen 12″-Veröffentlichungen den Sommer.

Das haben wir im Januar total versäumt: „Reflecting Pools“ heißt das zweite Release, welches auf dem hauseigenen Label des Vary Recordstores erschienen ist. Diesmal handelt es sich aber nicht um eine Compilation verschiedener Artists. Stattdessen gibt es zwölf Tracks von Salomo zu hören.

Und die passen super zum schönen Sonnenschein. Denn Salomo präsentiert hier einen angenehmen, Jazz-beeinflussten Sound, der sich nicht aufdrängt, aber auch keine öde Fahrstuhluntermalung ist. Sehr organisch, wie man so schön sagt, ganz gleich, ob es sich um housige Stücke wie „Gradient“ und „Together“ handelt oder die Drums auf den meist kürzeren Stücken wie „Distant Love“ oder „Water Your Ferns“ keine Rolle spielen. Eigentlich der perfekte Soundtrack für einen Kaffee im Vary.

Bleiben wir beim Vary-Umfeld: Mit Schmeichel gibt es einen weiteren Producer, der mit dem Plattenladen verbunden ist. Fünf Tracks fasst er für die „Alteration EP“ zusammen, mit der Defrostatica dieses Wochenende den Sommer einläutet. Eine gute Adresse, denn das Label legt sich sehr ins Zeug, um auf seine Releases aufmerksam zu machen.

Der Rahmen ist klar: Musik um die 160 bzw. 80 bpm, also Drum & Bass, Footwork, Halfstep und so weiter. Ob durch die Sample-Auswahl oder die doch recht entspannte Grundstimmung begründet – irgendwie verweisen die Tracks von Schmeichel für mich sowohl auf Hip Hop wie auch auf House und umschiffen die doch manchmal anstrengenden Stakkato-Eskapaden, die für Juke typisch sind.

Überhaupt fällt zudem der lässige Umgang mit den Genre-Konventionen auf. Auf Stücken wie „IKillWantU“ rückt Schmeichel genau die Stellen der Vocal-Samples in den Mittelpunkt, die andere zugunsten erkennbarer Wörter eher wegschneiden würden. Schön auch der Effekt, wenn von der Bass-Drum in „Talkin“ und „Uhhhwheeee“ nur noch der Subbass übrig bleibt – als würde der Sound in der Luft schweben.

Ein Interview mit Schmeichel gibt es übrigens bei It’s Yours.

Zuguterletzt gibt es Neuigkeiten von Jahtari: Eine neue EP von WaqWaq Kingdom ist erhältlich. Wir erinnern uns – WaqWaq Kingdom ist ein Projekt von Kiki Hitomi und DJ Scotch Egg.

Auf fünf Tracks wird der Faden von „Shinsekai“ aufgegriffen und so fallen vor allem die Moondog-ähnlichen Percussions wieder auf. Vor allem die ersten drei Tracks wirken – trotz allerlei Synthesizer-Geplänkel und stellenweise fast schon Stammesgesangsähnlichen Vocals von Kiki Hitomi – leichtfüßiger als beim Vorgänger. Roger Robinson meldet sich bei „Ceremony of Vision“ auch kurz zu Wort und „Sugar Pills“ könnte auch fast als Pop-Song funktionieren.

Erst mit dem Ambient-Stück „Ozu“ wird die Energie zurückgenommen und mit „Ego Enzyme“ beendet ein psychedelisches Dubstep-Ungetüm die EP.

Band-Premiere – Fhlaipw

Arpen und Philipp Rumsch haben zusammengefunden – und das scheint ziemlich gut zu funktionieren. Zusammen mit Drummer Jörg Wähner und Visual-Artist Andi Rueckel haben sie eine audiovisuelle Band gegründet: Fhlaipw.

Wer es nicht ganz auf dem Schirm hat: Arpen war bisher bei Analogsoul aktiv, im Band-Kontext bei Mud Muhaka und A Forest, es gab ein extrem gutes Solo-Album, das bereits Arpens Faible für das Avantgarde anteaste. Über Philipp Rumsch haben wir erst letzte Woche berichtet, genauer über sein gleichnamiges Ensemble, das Elektronik-Dramaturgien mit Jazz-Instrumentarium kreiert.

Beide zusammen sind nun Fhlaipw. Aber sie sind nicht allein. An den Drums und der Elektronik steht auch Jörg Wähner, der einige Jahre bei Apparat mitspielte. Und Andi Rueckel hat eine Software programmiert, die sound-sensitive Visuals generiert. Davon ist auf dem nun ersten veröffentlichten Track noch nichts zu sehen. Dafür heute Abend im UT Connewitz. Dort spielen Fhlaipw im Vorprogramm der Band Ätna – es ist quasi die Bandpremiere.

Und der erste Track, ein 13-minütiges Monument, deutet auf ein sehr spannendes, ambitioniertes Projekt hin. Diffuse und abstrakte Drones- und Ambient-Soundscapes mischen sich bei „FFF8E7“ mit dem verzehrt-verrauschtem Gesang Arpens und kurzatmig-unberechenbaren Drums.

Über die gesamte Länge klingt es so, als ob die Kernthemen in unterschiedlichen Aggregatzuständen zu hören wären.

Wobei es in der zweiten Hälfte durchaus melodisch wird – natürlich auch durch die extra eingespielten Streicher. Doch: Es endet so neurotisch wie es begonnen hat.

Aktuell arbeiten Fhlaipw an weiteren Stücken, die bestenfalls im nächsten Jahr auf einem Album erscheinen werden, meint Arpen. Hoffentlich.

Neues aus der Wolke – LoFiTravellers

Verträumter Sound aus kleinen, bunten Kisten: Die LoFiTravellers zeigen, dass Gameboys nicht im Schrank verstauben müssen.

Zunächst ein Rückblick: Ein kleines, dezentes Highlight des Bassmaessage-Jubiläums im letzten Herbst war für mich ein kleiner Floor in der Nähe der Toiletten, der von mehreren Live-Acts bespielt wurde. Entspannt-experimentelle Untermalung also auf dem Weg zur Notdurftverrichtung. Auch die LoFiTravellers haben dort ein Set gespielt und das war nicht nur musikalisch interessant: Allerlei kleine miteinander verkabelte Synthesizer, Gameboys, Effektgeräte und Drum-Machines gab es zu sehen, dazu wurden 7″-Platten auf einem kleinen Plattenspieler gescratcht. Das Ergebnis war ein sehr viel verträumterer und spacigerer Sound, als die Beschreibung der Instrumente vielleicht vermuten lässt. Aber überzeugt euch selbst – es existiert glücklicherweise ein Mitschnitt:

Hinter den LoFiTravellers stecken Shortee aus Leipzig und TRIAC aus Dresden, die mit ihren Solo-Projekten schon seit einiger Zeit im 8-Bit-Bereich aktiv sind und damit auch live in diversen Clubs und Festivals anzutreffen sind. Während die Musik von Shortee vor allem auf Soundcloud zu finden ist, gibt es das fünfte Album von TRIAC bereits seit Dezember auf Bandcamp zu hören. Was hinter ihrer Zusammenarbeit steckt, erzählen sie im Interview.

Ihr zwei seid mit euren eigenen Projekten schon seit geraumer Zeit im 8-Bit-Sound unterwegs. Wie kam es dazu, dass ihr vor allem mit dem Gameboy Musik produziert habt?

Shortee: Ich finde die Restriktion faszinierend. Man hat nur 4 Spuren mit jeweils sogar weiteren eingeschränkten Möglichkeiten. Da wird man kreativ und reduziert einen Track auf das Wesentliche. Außerdem kann man den Gameboy einfach überall hin mitnehmen und loslegen.

TRIAC: Nicht zuletzt ist für mich auch der nostalgische Sound ausschlaggebend. Ich saß schon als Kind zum Teil nächtelang im Bett und habe Gameboy gespielt. Und auch da schon hat mich der Sound und auch die Musik der Spiele fasziniert. Und als ich dann das erste Mal auf elektronische Tanzmusik aus dem Gameboy gestoßen bin, war ich hin und weg.

Wie kam es zur Zusammenarbeit als LoFiTravellers und was ist der wesentliche Unterschied zu den Solo-Projekten für euch?

Shortee: Wir haben letztes Jahr zusammen bzw. nacheinander auf einem Festival gespielt. Den Abend vorher haben wir uns einfach mit einer Box irgendwo aufs Gelände gesetzt, zusammen gejamt und ziemlich schnell gemerkt, dass wir das ausbauen sollten. Dann kam bald die Gelegenheit für den ersten Gig und die haben wir genutzt.

TRIAC: Für mich ist der große Unterschied zum einen, dass ich anders als beim TRIAC-Projekt sehr viel live mache, viel Improvisation und spontane Eingebungen. Zum anderen auch, dass ich nicht nur das mache, worauf ich gerade Bock hab, sondern eben auch den Input von Shortee mit aufnehmen kann.

Beim Nachhören eurer Live-Sets habe ich mich gefragt, ob ihr einzelne Songs als Grundlage verwendet oder die Musik komplett live improvisiert. Wie funktionieren eure Sets und wie bereitet ihr euch darauf vor?

Shortee: Es ist eine Mischung. Wir haben viele Patterns fertig und die Kombination ist größtenteils improvisiert. Dazu kommen dann Elemente, die wir live spielen.

TRIAC: Es gibt dabei so eine gewisse Aufgabenteilung – Shortee macht die Beats, Percussion und FX-Spielereien. Ich streue die Melodien, Basslines und ein paar Synthie-Sachen ein. Das ergänzt sich irgendwie ganz gut.

Gameboys, Mini-Plattenspieler, Mini-Effektgeräte – macht kleinformatige Technik beim Musikmachen mehr Spaß?

TRIAC: Naja, es macht vieles einfacher, z.B. den Transport. Ist schon lustig, mit dem Fahrrad und Rucksack sein komplettes Equipment transportieren zu können. Dazu kann quasi unser gesamtes Setup über Batterien laufen, was für Open-Airs eine feine Sache ist. Der Kostenfaktor spielt natürlich auch eine Rolle.

Shortee: Ich find es außerdem viel spannender als einen Laptop aufzuklappen, ’nen Midi-Controller anzuschließen und Play zu drücken. Es ist live ziemlich spaßig wenn man so viele kleine Elemente hat die man anfassen, timen und ändern muss. Am Ende hat alles zusammen dann auch einen sehr eigenen Sound.

Shortee, neben der Musik programmierst du Games und bist im Bereich Illustration aktiv. Gibt es dabei Überschneidungen für dich?

Shortee: Wo mich die Kreativität in meiner Freizeit eben so hintreibt. Seit fast 10 Jahren illustriere ich für unser Label Superfreunde, jedes Jahr allerdings ein bisschen weniger und die letzten 2-3 Jahre ist es nach langer Pause wieder mehr die Musik gewesen. Gamedesign ist spannend, aber da experimentiere ich nur ab und an herum. Das interessante dabei ist, dass man alle Disziplinen zusammenbringen kann.

TRIAC: Ich habe kürzlich auch an einem Game Jam teilgenommen, wo ich mit Freunden ein kleines Spiel entwickelt habe. Hier habe ich neben dem Sound auch ein paar Illustrationen gemacht. Ich bin eigentlich nicht so der Grafiker, war aber eine coole Erfahrung.

Was sind eure Pläne mit den LoFiTravellers ? Wird es Releases geben? Wo tretet ihr als nächstes auf?

Shortee: Wie der Name schon sagt glaube ich dass man uns demnächst öfter mal hier und da auf Reisen sehen wird.

TRIAC: Ein Release wäre auf jeden Fall auch eine Überlegung wert. Da müssen wir allerdings noch ein geeignetes Format finden, da wir ja bisher keine Tracks im klassischen Sinne anzubieten haben.

Shortee: Das einzige was wir im Moment mit Datum versehen können, ist ein Auftritt bei der langen Nacht der Computerspiele am 21. April, alles andere ist noch zu vage. Dort kann man uns allerdings direkt auf die Finger schauen, weil wir nicht in einem dunklen Club, sondern auf einem Flur in der HTWK stehen werden, das ist doch auch mal was.

Album-Backstock x Q1

Die letzten drei Monate waren gute Album-Monate – acht Elektronik-Alben aus Leipzig können wir vorstellen.

Das Album bleibt ein wichtiges Format, trotz unzähliger Spotify-Playlisten und DJ-Podcasts. Und das ist auch gut so, denn hier können auf andere Weise Geschichten erzählt werden – und mehr Bandbreiten aufgezeigt werden, als es im DJ- und Live-Act-Alltag möglich ist.

Kassem Mosse „Chilazon Gaiden“ (Ominira)

Ich fange chronologisch an. Schon Mitte Dezember veröffentlichte Kassem Mosse ziemlich unerwartet sein drittes Album. Und dass nur knapp ein Jahr nach dem experimentellen „Disclosure“ auf Honest Jon’s. Mit „Chilazon Gaiden“ bewegt sich Kassem Mosse wieder mehr in Richtung Dancefloor. Ein Großteil der Tracks wird von geraden Bassdrums und reduziert aufflackernden Synths angetrieben – allerdings mit sympathischen Verschiebungen und nostalgischem Maschinenfunk. Kassem Mosse konzentriert sich auf wenige Loops, die er scheinbar sich selbst überlässt. In dieser unberechenbaren Eigendynamik liegt die große Anziehungskraft.

Besonders mag ich die Tracks, die dramaturgisch den Club anteasen, ihn aber nicht bedienen. „Terminal Bar“ etwa klingt wie ein überlanger Break, der aber plötzlich erlischt. Und auch „Nobody Has To Know“ hält mit den vergrabenen, aber gerade so noch wahrnehmbaren Basssdrums und rasenden HiHats, eine Spannung, die ebenfalls im Nichts endet.

Dafür mischen sich mit „Paradizer“ und „Holding Firm“ zwei überraschend klassische, klar geschnittene House-Tracks in den Kassem Mosse-Stream. Ohne große Kanten und Verwerfungen. Dafür wunderbar in sich ruhend. Die Klammer zwischen all dem liefert ein Synth-Plätschern, das den ersten und letzten Track maßgeblich prägt. Ein tolles Album, wieder einmal.

Hobor „Constellations“ (PH17)

Ein weiteres Album für Special-Dancefloors lieferte PH17 – das noch junge Label von Solaris und Stanley Schmidt. Nach der breitgefächerten Compilation zum Start, geht es mit dem ersten Artist-Album weiter – vom Leipziger Hobor, der auch bei der Experimental-Ambient-Band Songs For Pneumonia mitmischt. Seine Solo-Tracks greifen ebenfalls die Dynamik des Clubs auf, aber deutlich abstrakter als bei Kassem Mosse.

Hier vermischen sich verschiedene Sound-Schichten zu einem Kaleidoskop verschrobener Dancefloor-Assoziationen. In einen anderen Kontext gesetzt, wären wahrscheinlich sehr treibende Club-Tracks entstanden. Hobor seziert jedoch mikroskopisch und bringt die Einzelteile neu zusammen. Das geht teilweise schon ins Avantgarde, doch die Sounds für sich bleiben lose miteinander vernetzt, sodass sich eine trippige Atmosphäre ergibt.

Nur bei „In A Sentimental Bus“ bleibt der House-Bezug noch erhalten, wenn auch mit einem schleppenden Nachhall. Mein Hit aber ist „Parallel Limes“ – flirrende Synth-Schnipsel und ein mächtiger Subbass, addicted.

Das Album ist als limitiertes Tape und digital erhältlich.

Lootbeg „Stargazing“ (O*RS)

Ende Januar brachte Filburts Label O*RS das Debüt-Album von Lootbeg heraus. Der A Friend In Need-Label-Betreiber hatte selbst in den letzten Jahren einen enorm diversen Output. „Stargazing“ fokussiert sich auf Lootbegs House-Seite und erweitert den musikalischen Rahmen erfreulicherweise um Ambient, Electro und Electronica. Und das nicht nur als kurze Interludes: „Landed“, „The Truth Is Out There“ und „I’m Able To Choose“ erhalten mehr als 90 Sekunden zum Entfalten.

Dazwischen gibt es soliden Deep House mit gutem Oldschool-Einschlag und ausladenden Synth-Harmonien. Nicht zu glatt, aber auch überhaupt nicht kantig. Was ich an „Stargazing“ extrem mag, ist die in sich geschlossene Stimmung. Der Anfang ist von einer nächtlich gedimmten Ruhe und Schwerelosigkeit geprägt. Zum Ende hin dämmert bei „They Caught Me In Chicago“ die Sonne und „You Could Not Hear“ teast mit Acid-Knarzen die Tageshektik an. Doch bevor die wirklich beginnt, legt sich Lootbeg mit „I’m Able To Choose“ noch einmal hin.

Laut der Album-Info widmet er sich auf dem Album aber den größten Mysterien der Geschichte, UFO-Landungen etc. Im demnächst bei uns erscheinenden Interview erfahrt ihr mehr dazu. Ach: Das Album erscheint digital oder als Fanzine mit mystischen Grafiken und Fotografien verschiedener Künstler/innen.

5HTTP „Since Then“ (A Friend In Need)

Und wo ich gerade bei Lootbeg bin: Sein eigenes Label feiert in diesem Jahr den fünften Geburtstag. Aus diesem Anlass gibt es zugleich das erste Album und das erste physische Release – ein Tape. 5HTTP aus Washington erhält hier also viel Platz. Und er versteht ihn gut zu füllen. Schon auf seiner ersten EP auf A Friend In Need ließ sein ebenso musikalischer wie druckvoller House-Sound aufhorchen.

Auf „Since Then“ führt er diese Mischung fort, mit stoischer Ruhe und ohne große Höhepunkte. Vielmehr gleiten die zwölf Stücke durch verschiedene House-Sphären. Überall schwingt eine nostalgische Melancholie mit, manchmal auch etwas Kitsch. Am besten finde ich die Tracks, bei denen die Bassdrums dreckig und angezerrt scheppern – konkret: „Den“ und „No“. Mit dem Titeltrack geht es schließlich noch kurz ins Poppige über. Doch auch hier: Leichte Übersteuerung und alles wird gut.

Severnaya „Polar Skies“ (Fauxpas Musik)

Mit gleich zwei neuen Alben ist Fauxpas Musik ins neue Jahr gestartet. Und dieses hier ist ein echtes Highlight: Denn Severnaya ist das Ambient-Projekt von Boris Bunnik. Einige dürften ihn als Conforce kennen und seine Delsin-Alben schätzen. Dort forscht er an den experimentellen Rändern von Techno. Zuletzt ging er also auf Ambient-Reise – mit den russischen Severnaya-Inseln als Assoziationsrahmen.

Einsame Eislandschaften und arktische Wildnis, Schönheit und Rauheit, all das vertont Bunnik sehr treffend und schlüssig in sieben Tracks. Heraus kommen einerseits super grazile, kristalline und meditative Soundskulpturen, andererseits auch dunklere und bedrohlich klingende Momente.

Mit „Terramodis“ dringt dann doch ein Stück Conforce hervor – und es erinnert daran, dass in vielen Conforce-Tracks der Ambient-Einfluss eine große Rolle spielt.

Irrelevant „Vague Memories II“ (Fauxpas Musik)

Anfang März folgte dann auf Fauxpas Musik ein Mini-Album des Briten Irrelevant – in Kooperation mit dem Label Absolute Loss. Nur zwei Tracks sind darauf, beide aber jeweils 17 Minuten lang. Und die haben es in sich.

In einem Fluss wechselt Irrelevant zwischen Ambient- und sphärischen, melancholisch eingefärbten Breakbeat-Parts. Gerade bei letzteren ist der Einfluss von Burial sehr deutlich herauszuhören – das Düstere und Mystische, die Art der Samples und Beats.

Doch was soll das Copy Cat-Lamentieren: „Vague Memories II“ entfaltet eine große Anziehung, wenn es ruhiger und dunkler wird. Die Zutaten und deren Mischung stimmen einfach. Und so kann ich nicht anders, als das Album sehr zu mögen.

Philipp Rumsch Ensemble „Reflections“ (Denovali)

Damit zu einem Album, an dem zwölf Musiker/innen beteiligt waren – mit Philipp Rumsch an der Spitze. Wir hatten bereits von dem Projekt berichtet, das mit großem Instrumentarium die repetitive Ästhetik von elektronischer Musik aufgreift. Das renommierte Denovali-Label war davon offensichtlich so angetan, dass es die Aufnahmen aus dem Herbst 2016 nun veröffentlichte.

„Reflections“ bewegt sich strukturell tatsächlich in der Elektronik, klangästhetisch aber im Jazz – in erster Linie natürlich durch die echten Drums, Bassgitarren, das Vibrafon und verschiedene Bläser. Statt digitaler und analoger Synthese, entstehen die Töne hier in einer anderen Unmittelbarkeit. Zugleich bleiben viele Stücke in ihrer Ausbreitung abstrakt, ohne Pop- und Club-Dramaturgie. Nur beim Cover „At Your Enemies“ widmet sich das Ensemble offensiv dem Pop.

Was mir ein wenig fehlt, ist der Crisp, die Reibung. Es ist schon alles recht geschmeidig – mit Ausnahme von „Interlude“ und „Part II“.

Octave Diesis „Telluric“ (Kontrapunkt)

Geschmeidig ist auch die zweite Veröffentlichung von Kontrapunkt, einem Leipziger Label, das wir im letzten Herbst erstmals vorgestellt haben. Nun also das erste Artist-Album von Octave Diesis aus Frankreich – nach der sehr bemerkenswerten Compilation waren die Erwartungen durchaus groß.

Dadurch aber auch die Fallhöhe: Denn leider verfangen sich die Stücke mit Piano und Ambient-Elektronik in ätherisch-orchestralem Kitsch und einer Naivität, die sich nicht mehr mit Minimalismus-Assoziationen entschärfen lässt. Da klingt keine Ironie durch, nur ernstgemeinte Ernsthaftigkeit, die jedoch auf dünnen Beinen steht. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Schade.

Produce like a pro – Workshop mit Neonlight

Selbst Musik produzieren ist seit Ableton, Maschine etc. scheinbar so leicht wie nie. Nicht alles erschließt sich dabei beim ersten Ausprobieren. Neonlight starten deshalb eine eigene Workshop-Reihe und geben ihr Wissen weiter.

Neonlight hatten wir vor zwei Jahren im großen Interview. Damals erzählten sie uns von ihrem „dichten Bass-Arrangement“ und ihrer Art „Drums zu komprimieren“. Die hat das Leipziger Duo immerhin zu einem der weltweit bekanntesten Drum & Bass-Acts gemacht. Nun wollen sie regelmäßig in ihr Studio einladen und Grundlagen, Tipps und Hacks zu verschiedenen Themen der Musikproduktion vermitteln. Profi-Know-how aus der Quelle also. Die ersten beiden Termine stehen:

21. April 2018, 10:30 – 17:00 Uhr zum Thema „Mixing“
26. Mai 2018, 10:00 – 16:00 Uhr zum Thema „Sounds“

Bei jedem Workshop können maximal zehn Teilnehmer/innen dabei sein. Kosten: jeweils 75 €. Anmelden geht über Facebook, einfach die Links oben klicken.Jakob meint: „Es gibt unzählig viele Tutorials auf Youtube sowie Lehrvideo-Dienstleister, aber nirgendwo kann man direkt Fragen stellen, wenn man etwas nicht verstanden hat. In einem persönlichen Rahmen können auch konkrete ‚Probleme‘ individuell besprochen werden. That’s our aim.“

Wir meinen: Ok cool.

 

Behind the nights – Petrola, FCKW und Subtuesday

Bier trinken, quatschen und gut selektierte Musik dabei hören – eine super Kombination, für die es in Leipzig viele Orte gibt. Erfreulicherweise auch außerhalb des Club-Geschehens: In einigen Bars gestalten regelmäßig DJs und manchmal auch Live-Acts den Abend.

Es gibt sie ja, die faulen Menschen wie mich, mit ihren diversen Ausreden, nachts nicht in Clubs zu gehen: Man hat ja soviel vor am nächsten Tag, der Eintritt ist zu teuer und überhaupt fängt das alles viel zu spät an. Dennoch ist es schön, Freunde auf ein oder mehrere Biere (oder Limos) zu treffen, und – abseits von schnöden Spotify-Listen – dabei ausgewählte, spannende Musik zu hören. Gut, dass einige Bars sich meiner Sorgen wohlwollend annehmen und ihre Räumlichkeiten der stetig ansteigenden Masse an DJs zur Verfügung stellen. Auch für DJs eine super Gelegenheit, all die Platten spielen zu können, die sonst die Tanzflächen leeren. Denn das Schöne dabei ist ja, dass hier auch Musik abseits der Club-Funktionalität ihren Platz bekommt und es je nach Geduldsfaden des Bar-Personals auch sehr experimentell zugehen kann. Oder aber, je nach Situation, auch genau das Gegenteil eintritt – und dann doch am Ende alle wieder tanzen.

Ohne Anspruch auf irgendeine Art von Vollständigkeit möchte ich drei Reihen voratellen, die regelmäßig ihre Bar-Gemütlichkeit von ausgewählten DJs untermalen (und manchmal auch aufbrechen lassen): Petrola, FCKW und Subbotnik. Dazu haben wir den Veranstaltern drei Fragen gestellt.

Petrola @ Links neben der Tanke

In der Lützener Straße 7 liegt die Bar, deren Name jede Wegbeschreibung überflüssig macht, solange die Tanke nebenan existiert. Jeden zweiten Samstag im Monat findet Petrola statt. Ab etwa 22 Uhr wühlen sich die eingeladenen DJs für euch durch ihr Musik-Archiv. Die Veranstalter Franzi, Max und Finn haben uns ein paar Fragen beantwortet:

Welche Idee steckt hinter der Reihe Petrola und wie kam sie zustande?
Wir hatten große Lust auf abwechslungsreiche Musik bei gleichzeitig ungezwungener Baratmosphäre. Das heißt, dass DJs mal die Möglichkeit bekommen einen Allnighter zu realisieren und dazu eingeladen werden, mal Platten auszugraben, die vielleicht schon etwas länger und tiefer in der Plattenkiste liegen und uns ihre Lieblingsmusik präsentieren. Das darf tanzflächentauglich sein, muss es allerdings explizit nicht.

Wer wird in den kommenden Wochen zu Gast sein?
14.04. Plastic House Crew, 28.04. hw rhapsody, 12.05. Petrola Crew

Was ist das beste Bier Links neben der Tanke?
Eindeutig das Zwickl.

Mehr Infos zu LNDT und Petrola findet ihr hier.

FCKW @ Sowiewir

FCKW ist wohl die dienstälteste Reihe, die wir heute vorstellen. Jeden Mittwoch schleppen DJs ihre Plattentaschen (manchmal auch Laptops) in die Feinkost, genauer: ins Sowiewir in der Karl-Liebknecht-Straße 34. Ab 20 Uhr rotieren dann die Turntables. Elias Zorn klärt uns über das Konzept auf:

Welche Idee steckt hinter der Reihe und wie kam sie zustande?
FCKW würde ursprünglich von Leuten des Fakecorekollektiv gegründet. Das war wohl um 2008/2009. Die Idee ist mir selbst nicht bekannt, aber es ging wohl darum, unterhalb der Woche einen Abend zu finden, an welchem sich Musikliebhaber der elektronischen Gangart zusammenfinden. Es gab zwei Anläufe im Staubsauger, die sich aber auf Dauer nicht aufrechterhalten ließen. Heute geht es auf jeden Fall um die vielen verschiedenen Facetten der elektronischen Musik, weit weg von schnöden Minimal Techno und Tech-House. FCKW findet von Anfang September bis Ende Mai jeden Mittwoch statt. Dann ist Sommerpause bis eben Anfang September.

Wer wird in den kommenden Wochen zu Gast sein?
11.04.2018 Bertolt Brechtakt, 18.04.2018 Peak Phine, 25.04.2018 Ron B, 02.05.2018 Kalaz, 09.05.2018 kjubi, 16.05.2018 Proceed, 23.05.2018 Corrado D

Was ist das beste Bier im Sowiewir?
Das Weltenburger Kloster ist ganz besonders empfehlenswert.

Weitere Infos über FCKW findet ihr hier.

Subtuesday @ Subbotnik

Das in der Könneritzstraße 32 gelegene Subbotnik ist einer der letzten verbliebenen Bars in Schleußig, die regelmäßig musikalische Veranstaltungen durchführen. Seit Herbst 2017 findet jeden Dienstag ab etwa 21 Uhr der Subtuesday statt, bei dem verschiedene DJs zusammen mit dem Gastgeber Wurzel auflegen. Der Macher der Sendung Gleichlaufschwankung über die dienstägliche Reihe:

Welche Idee steckt hinter der Reihe und wie kam sie zustande?
Die Idee zum Subtuesday entstand im Sommer 2017 am Tresen des Subbotnik. In Ergänzung zu den regelmäßigen Livekonzerten sollte ein Vinylbeschallter Musikabend für Klangfetischisten installiert werden. Mit Ausnahme von Clubmusic sollte alles erlaubt sein. Im Oktober startete dann die Veranstaltungsreihe und findet seitdem jeden Dienstag statt. Der Subbotnik-Resident Wurzel begrüßt so Woche für Woche Deejays und fordert zum Ping Pong DJ-Battle.

Wer wird in den kommenden Wochen zu Gast sein?
Die nächsten Termine: 10.4. Elias Zorn, 17.4. DJ Timm Völker, 24.4. DJ Jørg, 1.5. International Bauer, 8.5. Bertold Brechtakt, 15.5. Ulli Lask, 22.5. SBKTN, 29.5. Corky Sunshine.
Ab Juni wird es sommerbedingt nur einen Subtuesday im Monat geben, bevor ab September der alte Rhythmus wieder aufgenommen wird.

Was ist das beste Bier im Subbotnik?
Das günstige Hausbier und das Pilsener Urquell sind die Evergreens aus dem Hahn.

Weitere Infos zum Subtuesday findet ihr hier.

Neuer Club in Leipzig: mjut

Allzu viele Hard-Facts ließen sich über den neuen Club in Leipzig nicht sammeln, Stichwort Überraschung. Ein paar Dinge gibt es aber trotzdem zu sagen.

Baustellencharme
Der Name „mjut“ geistert seit ein paar Wochen durch etliche Gespräche. „Ah, dieser neue Club im Osten, ja, unbedingt, wann macht der endlich auf?“ – auf diese und eins-zwei weitere Fragen antworteten mir vier Mitwirkende des mjut-Clubs, die sich noch vor Eröffnung Zeit genommen haben, mit mir über ihr Projekt zu sprechen.

Wir sitzen vor dem Club, auf einer Couch in der Sonne; dort, wo in den kommenden Wochen ein Außenbereich entstehen soll. Um uns herum sieht es zwar noch unfertig aus, aber kalte Getränke gibt es schon. Gegenüber wird gerade die Anlage getestet. Eigentlich sollte ja schon viel früher eröffnet werden, allerdings gab es ein mittelschweres Problem: 50 qm Dachfläche wurden von einem Sturm („Friederike“) weggefegt und die Eröffnung musste verschoben werden. Na ja, das Dach ist mittlerweile wieder fit und es kann losgehen.

Kunst_Kultur_(elektronische) Musik
Die Halle, die eigentlich als reines Techniklager dienen sollte, wird seit Juli letzten Jahres zu einem Ort für Kunst, Kultur und Musik umgebaut. Dass solch ein Raum entsteht, sei die logische Konsequenz aus der Entwicklung im Leipziger Osten: viel junger Zuzug und Lust auf elektronische Musik. Aber um einen neuen Ort für eben solche Musik zu schaffen, braucht es einerseits Menschen und Ideen, andererseits Basics wie Boden, Decke, Putz, Brandschutz. Nach und nach bildete sich so ein Kern von ca. 20 Leuten, die Lust dazu hatten, und weiterhin haben, den Club aufzubauen – ob handwerklich oder mit Ideen und Input zu Musik, Grafik oder Awareness. Bei diesem Entstehungsprozess mit dabei zu sein, mache das Projekt auch für die Beteiligten selbst weiterhin so spannend.Spannend ist auch das musikalische Konzept. Neben Partys sollen auch Konzerte, (Sound)Installationen und Workshops Platz finden. „Eklektisch, divers, vielleicht auch etwas nerdig“ beschreiben meine Interviewpartner_innen was uns erwartet. Ein paar Namen der kommenden Bookings nennen sie auch schon: Berceuse Heroique, Acido, Sued, Burnt Friedman, Iron Curtis, Shlømo und (the one and only) Machine Woman.

Über eine Neuigkeit wird sich übrigens die Leipziger Drum & Bass-Szene besonders freuen: Eine dahingehend bekannte Veranstaltungsreihe aus dem Westwerk wird wiederbelebt und findet im mjut ein neues Zuhause.

Kurz geht es noch in den Club, Treppe rauf, Treppe runter, schwarze Wände. Draußen wird weitergebaut, einiges ist noch zu tun. Nach diesem ersten, wahrscheinlich nicht letzten Besuch im mjut notiere ich mir noch: „positiv-ungeduldig“ – was sicher nicht nur auf mich zutrifft.

PS: Die Eröffnung findet am 7. April statt. Mit: Please Talk Softly, Plastiq, DJ Marcelle, LNS, Hellie Berry, Mo Chan, Neele, Isa Wolff, SPFDJ, Universe of Tang, Lux und Johanna Knutsson. Ach und: Lagerhofstraße 2 ist der place to be.

Leipzig-Backstock von Uncanny Valley

Dresden und Leipzig kommen sich durch Uncanny Valley immer näher. In den vergangenen Wochen brachte das Label einige Platten von Leipziger Acts heraus – hier unser Überblick.

Amrint Keen „AK OK“

Da wäre beispielsweise Amrint Keen. Er kommt nicht aus dem Nichts. Als Lake People ist er wohl den meisten bekannt und veröffentliche als eben jener letztes Jahr zum ersten Mal auf Uncanny Valley.

Neu erfunden hat er sich mit seinem neu zugelegten Alias auch nicht, was mich persönlich freut, weil sein Sound top war und es auch jetzt wieder ist. Die drei Tracks auf „AK OK“ tendieren jeweils in die Richtungen House, Electro und Techno. Wobei es immer einen kleinen Twist gibt, damit es nicht langweilig wird. Mein Favorit ist „Dancing In The Parking Lot“. Auch wenn mich der Name stark an den Hit von Toploader erinnert, handelt es sich glücklicherweise um fetten Electro mit dreckigen Vocals, Synthy-Melodien, Acid-Lines und und und. Love it.

Btw. Lake People hat es mittlerweile nach Berlin verschlagen – denn Berlin ist jetzt das neue Leipzig.

Panthera Krause „All My Circuits Part I“

Auch für Panthera Krause ist es die zweite Scheibe, die bei UV erscheint. Vor zwei Jahren landete er mit seiner „Umami EP“ einen Hit. Mal gucken, was die neue kann.

Ich denke an die Siebziger und an Afrofrisuren in Diskotheken. Gäbe es den „Soultrain“ noch, Panthera Krause würde die Tänzer mit dieser Platte ganz wuschig machen. Gleichzeitig denke ich an die Achtziger, was an diesem und jenem Sample liegen kann, das er benutzt. Und noch gleichzeitiger sehe ich schon Bilder vor meinem geistigen Auge, auf denen Menschen auf Festivals tanzen. Housy, groovy, erhellend, verspielt und einfach gut – mit kleinem Umweg ins Dunkle bei „Unraveled Dreaming“. Das ist die neue Platte von Panthera Krause, die kann was!

Serial Error „Drum Abuse“

Zum Schluss noch ein Vinyl von Credit 00s UV-Sublabel Rat Life Records. Bereits 2013 wurde der Track „Drum Abuse“ beim belgischen Label We Play House Recordings veröffentlicht. Betreiber Red D brachte damals eine vierteilige New Beat-Reihe raus und klopfte auch bei Rat Life an die Tür.

Dafür formierten sich Credit 00, Jakob Korn und Sneaker zur Supergroup und nahmen den Track in Korns Studio auf. Sneakers Stimme verlieh dem Ganzen den letzten Schliff. Um dem Track neuen Aufschwung zu verleihen, ist er nun inklusive Instrumental- und Acapella-Spuren als Super Sound-Maxi-Single erhältlich.

Two Play To Play – 2. Probe – März 2018

Am vergangenen Mittwoch traf der GewandhausChor mit seinem Leiter Gregor Meyer zum zweiten Mal auf Martin Kohlstedt. Dieses Mal vermischten sich erstmals die Chorstimmen mit der Elektronik. Hier unser Nachbericht.

Sieben Wochen liegt sie zurück, die erste öffentliche Probe des „Two Play To Play“-Debüts mit Martin Kohlstedt und dem GewandhausChor. Und zwischendurch gab es auch kein weiteres, nicht-öffentliches Treffen, wie Chorleiter Gregor Meyer zu Beginn der zweiten Probe betont.

Wieder drängen sich drei Dutzend Besucher mit etwa ähnlich vielen Chorsängern/innen in den Chorprobensaal des Gewandhauses. Hier ist nichts von der feierlichen Staffage der Buchmesseneröffnung zu sehen, die am selben Abend im Gewandhaus stattfindet.

Dafür: noch weniger Platz als bei der ersten „Two Play To Play“-Probe. Martin Kohlstedt hat neben seinem Klavier eine Reihe an Synthesizern um sich herum aufgebaut – welche genau, erfahrt ihr hier. Nachdem er in der ersten Probe von der ebenso entertainenden wie fordernden und dominanten Wucht von Gregor Meyer etwas verschüchtert in den Hinterhalt geriet, könnte man meinen, Kohlstedt möchte den Schutzwall erhöhen, seinen musikalischen Rückhalt stärken.

Allein die offensive Präsenz der Geräte in dem kleinen Saal und der raumgreifende Klang, den bereits wenige Tastenschläge erzeugen, legt die Vermutung nahe. Doch es ist der logische nächste Schritt, seitdem er bei seinem dritten Album „Strom“ das Klavier um Elektronik ergänzt.Bei „Two Play To Play“ wird sie offensichtlich auch ihren Raum bekommen: Erste Ambient-Phasen klingen im Laufe der zweiten Probe an, kurz setzt auch ein hektischer Beat ein, HiHats zischen. Dazu loopt Kohlstedt den Chor, der daraufhin selbst wieder einsetzt. „Es muss nicht genau auf den Loop passen. Hauptsache die Energie stimmt“, vermittelt Gregor Meyer.

Für den Chor ist dieses Projekt sichtlich fordernd. Aber offensichtlich nicht überfordernd. Wenn eine Passage Meyers Empfinden nach noch „zu sehr nach Kopf“ klingt, treffen die Sängerinnen und Sänger im nächsten, spätestens übernächsten Versuch den Nerv des Chorleiters.

Was er verlangt? „Namenslaub“ etwa, ein flackerndes Flüstern der eigenen Namen und der benachbarten Chormitglieder. Oder super schnelle Tonwechsel und Stufengesänge. Zwischendurch ein Beatboxing-Part. Dann wieder leise Verwebungen der verschiedenen Stimmen aus denen sich später Windpfeifen herausschält. Die stillen, sich überlagernden Stimmenflächen – oft nur wenige Buchstaben intonierend – sind besonders einnehmend und vermengen sich bislang am nahtlosesten mit den Klängen von Martin Kohlstedt.

Dann unterbricht Meyer und meint zu Kohlstedt:

„Hier spielst du etwas anders, als ich mir das notiert habe.“

Für den Chor bedeutet dies: „Ihr müsst spontan sein und reagieren, wenn Martin an einer Stelle abkürzt.“ Es ginge hier ständig um die Verhandlung von Fixierung und Freiheit, schiebt Meyer einen Subtext in Richtung des Publikums ein.Und genau diese Verhandlung ist in der zweiten Probe deutlicher mitzuerleben. Immer wieder haken Chormitglieder ein, haben Anmerkungen. Zwischendurch gibt es Absprachen zwischen Meyer und Kohlstedt bzw. dessen Tontechniker – the one and only Mario Weise aka DJ Marlow btw. Die zweite Probe ist weniger Entertainment, Gregor Meyer führt nach wie vor, wirkt aber dieses Mal weniger zentral. Das tut der Probe gut.

Nach anderthalb Stunden fällt es noch immer schwer, sich aus den vielen, lose wirkenden Versatzstücken der Probe ein stimmiges Werk vorzustellen. Zu sehr rast Meyer durch die Stationen, wie die einzelnen Stücke des finalen Werks genannt werden. Ein zwei Versuche lässt er zu. Sobald es sitzt, geht es weiter.

Nur in Andeutungen ist zu erahnen, welche Power von Martin Kohlstedt zu erwarten ist. Etwa, wenn Meyer eine geprobte Sequenz mit „Da tobst du dich dann aus und vernichtest uns“ beendet oder wenn sich aus Chor und Elektronik erste trippige Soundwellen formen.

Noch knapp drei Monate sind Zeit bis zur Uraufführung – und es bleibt spannend. Am 11. April geht es weiter mit der dritten öffentlichen Probe von „Two Play To Play“.

Fotos von Markus Postrach und Christian Rothe

Various Artists „Rogue Style 2 EP“ (Defrostatica)

Defrostatica meldet sich im Frühjahr 2018 mit einer neuen EP zurück. Und die besitzt Durchschlagskraft.

Kurz ein Rewind: Letztes Jahr überraschte Defrostatica mit der „Rogue Style 1 EP“, auf der vier Producer ihre Hip-Hop- bzw. B-Boy-Einflüsse in spannenden Drum & Bass-Footwork-Hybriden verarbeiteten. Eigentlich vollkommen logisch, dürfte der Hip Hop-Einfluss – neben dem gemeinsamen Tempo – einer der gemeinsamen Nenner zwischen Drum & Bass aus UK und Juke/Footwork aus Chicago sein.

Somit ist folgerichtig, dass Defrostatica die Serie mit der „Rogue Style 2 EP“ fortsetzt und dafür eine Reihe hochkarätiger Acts zusammenbringt. Spoiler: Die Durchschlagskraft ist im Vergleich zum ersten Teil um einiges höher.

Drum & Bass-Urgestein Digital eröffnet die EP mit „Uprock“, in dem er seine typischen Bassläufe mit Handclaps und Cymbals kombiniert und daraus einen trockenen Funk entwickelt. Obwohl er damit auf einer gescheiten Anlage definitiv die Crowd bis in die Haarspitzen massieren wird, wirkt der Track im Vergleich zum energiegeladenen „Call Out“ von 6blocc, Calculon und Shamanga nahezu gemäßigt. Ganz klar: Die Breakbeat-Samples und gechoppten Vocals rocken einfach ohne Ende – auf rohe, fast aggressive Weise. „Tessellation“ von Agzilla ist ein ebenfalls recht düsterer Track, der mit klassischen Amen-Breaks aufwartet und auch keine Gefangenen nimmt. Einmal den Dancefloor auseinandernehmen, bitte!

Doch mein Highlight ist Stück Nummer drei, nämlich das klaustrophobische „Machinedrummachine“ von Finnlands Breakbeat-Altmeister Fanu. In dessen Zentrum verweisen Samples aus MC Shans „The Bridge“ direkt auf die Hip Hop-Wurzeln: Der Track ist Teil des legendären Battles zwischen der Juice Crew aus Queensbridge und Boogie Down Productions aus der South Bronx, bei dem die Frage um den Ursprung von Hip Hop in Form mehrerer Tracks verhandelt wurde. Fanus Sample-Wahl beschert mir einen Gänsehaut-Moment und ist nicht nur wegen der Hip Hop-geschichtlichen Bedeutung so spannend: Weil hier Teile aus MC Shans Rap mit leichter Verzerrung bearbeitet sind, hat man das Gefühl, eine verrauschte Kassette im Walkman zu hören, während man nachts als Teenager mit der Sprühdose weit entfernt vom Big Apple eigene Abenteuer erlebt. Damit beschreibt Fanu auch ästhetisch die Faszination, die der Mythos Hip Hop auf die Kids der 80er und 90er (und auch später) in aller Welt ausübte.

Bonus: Die beteiligten Artists haben eine Playlist erstellt, die der Verbindung von B-Boy-Kultur und Breakbeat-Sounds weiter unter die Lupe nimmt. Ein 25 Tracks langer Geschichtsunterricht quasi.

Und wir legen euch auch wärmstens den Beitrag zur „Rogue Style“-Reihe bei Bandcamp Daily ans Herz.

Video-Premiere – Von Spar x Omónia

Irgendwie ist sie bei uns untergegangen im letzten Sommer: die neue EP der großartigen Kölner Band Von Spar. Die wurde nämlich vom Leipziger Label Altin Village & Mine veröffentlicht. Doch wir holen es nach – inklusive der Premiere des zweiten EP-Videos.

Von Spar kenne ich noch aus L’Age D’Or-Zeiten. Damals klangen sie super rebellisch und ungestüm und schreiend. Unangepasst sind sie geblieben, aber ihr Sound hat sich deutlich verschoben, hin zu synth-getragenem Pop mit verschiedenen Gastsängern/innen einerseits und zu strukturell befreiten, durchaus clubtauglichen Instrumental-Tracks andererseits.

„Garzweiler“ heißt die aktuelle EP. Und Garzweiler heißt auch ein großer Tagebau ganz im Westen Deutschlands, der einige Orte der Umgebung zu Geisterorten verwandelt oder sie ganz verschluckt hat. Ein landschaftliches Monster, wie es auch das südliche Umland von Leipzig mitgeprägt hat. Insofern gibt es durchaus eine inhaltliche Verbindung zwischen der Thematik von Von Spar und dem Ort, an dem Platte erschienen ist.

Für die vier Stücke auf „Garzweiler“ haben Von Spar den Pop-Appeal, den sie immer in einer bestimmten Form einbinden, teilweise heruntergefahren. Gerade „Garzweiler III“ und „Garzweiler IV“ verlieren sich in einem abstrakten Mäandern, legen immer neue Schichten frei, die aber nicht direkt miteinander zu tun haben. Doch wo andere Bands und Musiker die Tagebauklammer wahrscheinlich sehr dystopisch darstellen würden, nehmen Von Spar eine Menge organischen und elektrifizierten Funk mit auf.

Dies verleiht den Stücken eine erfreuliche Leichtigkeit, die besonders bei „Metaxourgío“ und „Omónia“ ins Hymnische übergeht. Überhaupt „Omónia“: Es startet schleppend und verschlungen, schiebt sich kurz ins Dissonante und und erblüht später zu einem leicht verschrobenen Slow-House-Hit – ich bin addicted!

Das Video dazu dürfen wir heute erstmals vorstellen. Es bebildert den Clash zwischen menschlichem Zusammenhalt und entmenschlichten Formen – die aber auch vom Menschen gemacht wurden. Trash-Grafik plus intensive Innigkeit, alles vor einem diffus wabernden Screen. Nicht verpassen.

Btw: Wir haben bisher viel zu selten von Altin Village & Mine geschrieben. Das Label hat in den letzten Jahren einige international bekannte Acts für sich gewinnen können, darunter Xiu Xiu und Deerhoof. Und auch das letzte Die Goldene Zitronen-Album erschien dort. Wir haben bisher die extrem gute Remix-EP von Map.ache vorgestellt.

Mit luziden Träumen spielen – DŌMU im Interview

Diffus-schimmernde Ambient-Sounds, infernalisch-trippiges Drumming, dazu Live-Visuals – DŌMU haben in den letzten Monaten mit ihrer einnehmenden Performance für offene Münder gesorgt. Heute erscheint ihr Debütalbum – wir haben sie im Interview.

DŌMU, das sind Stefkovic van Interesse, Zar Monta Cola – der Drummer von Warm Graves – und der Visual-Künstler GenPi. Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass die drei sich zu einer eigenständigen Band formierten. Mit „Lucid Themes“ erscheint heute das erste Album, das wir hier vorstellen.

Hier erzählt uns Stefkovic van Interesse mehr zur Entstehung und dem Wirken der Band, die ihre Musik „Black World Music“ nennt.

Du hast bisher solo Musik gemacht, Zar bei Warm Graves – wie ist DŌMU entstanden?

Ich war vor ca. zwei Jahren als Support mit Warm Graves auf Tour. In Hamburg hat Zar von den Warm Graves dann bei meinem finalen Lied einfach mal dazu getrommelt. Aus der Idee, ein paar perkussive Elemente in mein Set einzubauen, sind dann neue Tracks entstanden. Oder wir haben alte umgeschrieben. GenPi hat uns später das erste mal bei der Veranstaltung Bells Echo I visuell unterstützt. Das ist alles immer mehr zusammengewachsen und hat auch eine andere Klangfarbe und Dynamik erhalten – deshalb war es mir wichtig, das ganze Projekt von meinen Soloprojekt abzunabeln. Den Urknall haben wir dann bei Bells Echo II gefeiert.

Wie entstehen die Tracks – aus der Improvisation heraus?

An sich ja. Wie gesagt erst war das Schlagzeug mehr eine Unterstützung. Mittlerweile habe ich spontane Ideen mit ein paar Samples und Zar noch ein großes Repertoire an verschiedenen indischen und afrikanischen Rhythmen. Die probiert er gern dazu aus. Meist greift dies sehr schnell ineinander, da wir eine ähnliche Art von Energie haben. Was meist verkopft klingt, ist oft spontan entstanden. Gern werkeln wir dann live an Nuancen oder merken, woran wir noch arbeiten müssen.

Gibt es ein inhaltliches bzw. ästhetisches Konzept, das ihr mit DŌMU verfolgt oder das latent für euch mitschwingt?

Oft werden Visuals gern als „Versteck“ für die Musiker genutzt, um nicht direkt im Rampenlicht zu stehen. Für uns dienen die Bilder mehr als Schlüssel zur Wahrnehmung der Klänge. Es ist eher ein Film, der da abläuft. Bewusst haben wir als Thema der ersten Platte das luzide Träumen gewählt, da dies eben genau mitschwingt. Träumen macht es uns einfacher, abstrakte Wege zu gehen bzw. auszuprobieren. Nach Konzerten werden uns oft Interpretationen geschildert wie „Das war wie als würde man …“.

Was sind die Quellen für die Visuals – Samples oder eigene Aufnahmen?

GenPi generiert seine Visuals teilweise digital. Er nutzt aber auch organisches Material und Schablonen, die er auf eine Lichtquelle oder auf eine Drehplatte legt und abfilmt und dieses dann digital verfremdet. Dadurch kommt es live an jedem Abend zu anderen Bildern, die sich oft abhängig von der Raumstimmung verändern. Dafür braucht er natürlich ein großes Set, was oft der „Hingucker“ vor und nach unseren Auftritten ist.„Lucid Themes“ klingt stellenweise sehr trippy und wäre auch in einem experimentellen Techno-Kontext denkbar – welche Rolle spielt für euch Clubmusik?

Ich sehe in Techno-Clubs immer eine Art Parallelwelt. Oft lassen sich Besucher dort mehr fallen, als bei einem normalen Konzertszenario das nach drei Stunden wieder vorbei ist. Wir haben schon ein paar Performance-Erfahrungen in Clubs gesammelt wie dem IfZ oder dem objekt klein a in Dresden. Aber an sich berufen wir uns nicht auf einen direkten Einfluss in unsere Musik.

E.M.S. zieht sich in mehreren kurzen Teilen durch das Album – es ist also mehr als eine Reihe an Interludes?

E.M.S. steht im Zusammenhang mit luziden Träumen und ist die Abkürzung für Eye Movement Signals – also Werte, die man aus den Augenbewegungen im Schlaf messen kann. Auf dem Album sind es tatsächlich die Interludes zwischen den Songs.

Greifst du für DŌMU noch einmal auf andere Sounds und Field Recordings als bei deinen Solo-Tracks?

Also an sich ist es die gleiche Datenbank, aber mittlerweile suche ich auch nach anderen Geräuschen extra für DŌMU und setze diese auch anders ein als solo. Oft klingen sie beinahe schon nach synthetischen Sounds, obwohl es Field Recordings sind. Aber das macht für mich auch den Reiz aus, da es trotzdem das gewisse Etwas hat.

Was ist live geplant?

Wir arbeiten neuerdings mit Räucherwerk, um den Raum noch mehr einzunehmen. Das spannende für uns sind alternative und sporadische Locations wie eben Kirchen oder jetzt auf unserer Tour eine alte Wartehalle der Bahn in der Nähe von Bremen. DŌMU findet nicht nur im Konzertsaal statt – das wollen wir ausweiten.

Foto-Credits: Möwentaucher, Pulpolux