Two Play To Play #1 – Uraufführung

Anfang Juni war es soweit – im Mendelssohnsaal des Gewandhauses fand die Uraufführung der neuen Cross-Over-Reihe Two Play To Play statt. Martin Kohlstedt traf auf den GewandhausChor – und wir waren dabei.

Es ist super heiß an diesem Freitag, den 8. Juni. 30 Grad auch noch am frühen Abend. Der Mendelssohnsaal im Gewandhaus wirkt beim ersten Betreten einen Tick zu kühl klimatisiert. Leichter Nebel liegt im Raum – und eine gewisse Gespanntheit. Was wird an diesem Abend wirklich passieren? Wer bei einer der öffentlichen Proben dabei war, bekam bereits einen vagen Eindruck. Doch auch dort blieb es bei Fragmenten, bei vielen offenen Fragen. Rückblickend war es ein Luxus, so nah am Entstehungsprozess dieses experimentellen Projekts dabei gewesen sein zu dürfen.

Als sich die Saaltüren gegen 20 Uhr schließen, ist es der rund 70-köpfige GewandhausChor, der zuerst die Bühne betritt. Komplett in Schwarz gekleidet. Ihm folgt Gewandhausdirektor Prof. Andreas Schulz mit einem einleitenden Grußwort. Er wisse nicht, was heute passieren wird. Bewusst habe er die Proben nicht besucht – er wollte sich überraschen lassen. Eine Überraschung dürfte es wahrscheinlich auch für viele andere Besucher dieser ausverkauften Uraufführung sein. Er kündigt Martin Kohlstedt und Chorleiter Gregor Meyer auf die Bühne.Gedimmtes, blaues Licht fällt auf die Bühne. Martin Kohlstedt beginnt mit einem seiner Piano-Module, der Chor stimmt nach wenigen Augenblicken ein. Leise und subtil – aber seine Kraft wird unmittelbar spürbar im Saal. Viele der folgenden Stücke kenne ich aus den Proben, jedoch nur als lose Parts. An diesem Abend fügen sie sich endlich zu einem durchgehenden Fluss. Von Gregor Meyer, der in die Proben als sehr unterhaltsamer, super fokussierter und aufmerksamer Bändiger der verschiedenen Stimmen und Stimmungen auffiel, ist zur Uraufführung kein Wort zu hören. Er steht vor seinem Chor und lenkt die Dynamiken mit den Händen – und sicher mit seiner Mimik.

Etwas mehr als eine Stunde dauert das finale Programm nun und es macht deutlich, wie divers, experimentieroffen und anpassungsfähig der GewandhausChor ist. Er agiert kaum text-, dafür sehr soundbasiert. Mal wird er zum Synthesizer und erzeugt langsam modulierende Klänge, die sich nahtlos mit Martin Kohlstedts Klavierspiel verbinden. In einer anderen Phase überrascht er mit einer Art Choreografie. Das besondere bei der Uraufführung: Anfangs wird der fest getaktete Ablauf von Zischen, auf Bein und Brust klatschen sowie einem abschließenden Stampfen von Mikrofonen verstärkt – und dies macht die Choreografie noch schärfer, messerscharf. Zusammen mit dem roten Licht sowie der schwarzen Kleidung des Chors entwickelt dieser Moment eine bedrohliche, irgendwie politische Dimension. Wie der einstudierte Appell einer drohenden dunklen Macht.Es ist nicht der einzige dystopische Part dieser Aufführung. Generell fällt das Programm in seinem Gesamtdurchlauf überraschend düster aus. Mit jedem Stück wechseln zwar die Farbstimmungen, doch die Scheinwerfer fallen immer seitlich und eher von unten auf die Szenerie. Farbe und Schatten, Unschärfe und Präsenz. Dies gilt auch für die musikalische Verschmelzung der Welten. Immer wieder verzahnen sich die melancholischen Piano- und Elektronik-Sounds von Kohlstedt mit den Stimmen des Chors.

Doch es gibt auch Situationen, in denen deutlich wird, dass jede Seite die andere locker an die Wand spielen könnte – Kohlstedt mit seiner Elektronik, der Chor mit seiner Stimmkraft.

Besonders im letzten Drittel, als die Synthesizer mehr Raum bekommen, der Chor geloopt wird und es auch rhythmisch druckvoller wird.Einer der stärksten Momente das ganzen Abends findet in der Mitte statt: Der Chor löst sich plötzlich auf, die einzelnen Sänger*innen verteilen sich im Saal, jeder singt im Gehen weiter. Es bildet sich eine Mischung aus Chaos und spannender Polyphonie, schließlich kommt der Chor hinter dem Publikum zum Stehen. Nur Gregor Meyer bleibt die ganze Zeit auf der Bühne stehen, dreht sich nicht um – eine extrem starke Geste. Er ist der Fels, er bringt die Sicherheit. Nach einer kurzen Pause reicht eine kleine Fingergeste und der Chor positioniert sich wieder vorn auf der Bühne.

Zum Schluss werden die 70 Chorsänger*innen zu einem einzigen Körper. Sanfte, gleichmäßige Atemgeräusche erfüllen den Saal, werden immer langsamer, parallel dimmt das Licht wieder herunter. Danach: Drei Sekunden totale Dunkelheit und Stille. Als die Kronleuchter angehen, folgt tosender Applaus und Standing Ovations. Zurecht. Dieses Debüt von Two Play To Play ist voll aufgegangen, hat Gräben überwunden und ein Werk direkt aus der Gegenwart erschaffen. In der nächsten Saison wird diese Aufgabe übrigens Micronaut übernehmen. Ich bin gespannt, was kommt. Martin Kohlstedt und der GewandhausChor haben den Maßstab sehr hoch gesetzt.

Eine gute Nachricht noch: Wie im Blog von Two Play To Play zu lesen ist, wurde der Samstag und Sonntag nach der Uraufführung für Aufnahmen genutzt. Und es sind weitere Aufführungen abseits des Gewandhauses geplant.

Fotos von Markus Postrach und Christian Rothe

Festivals in und um Leipzig – der Sommer 2018

Der Sommer scheint in diesem Jahr ein richtiger Sommer werden zu wollen. Gut, dass demnächst in und um Leipzig herum mehrere tolle Festivals und Open Airs stattfinden werden. Hier unser Überblick.

Natürlich gibt es in Leipzig und der näheren Umgebung permanent die Möglichkeit, einfach so im Freien tanzen zu gehen. Doch genauso entwickeln sich gefühlt immer mehr offizielle Spots – mittlerweile so viele, dass wir sie mal zusammenfassen wollten.

Diese Übersicht ist chronologisch und sicherlich nicht vollständig. Wer also noch was ergänzen mag, nörgelt nicht rum, sondern schreibt es einfach in die Kommentare. Wenn es die Zeit hergibt, ergänzen wir es dann hier in der Auflistung. Wir wünschen einen schönen Sommer.

Westhafen
→ ab 16. Juni 2018

Warum gab es bisher eigentlich keinen durchgängig geöffneten Sommer-Open Air-Club in Leipzig? Too much Behördenaufwand vielleicht, oder zu unsicher, ob es funktioniert? In diesem Jahr scheint sich das ändern. Der Westhafen öffnet Mitte Juni zwischen den zwei alten Speichern des Lindenauer Hafens. Noch stehen erst zwei größere Termine mit den Berliner Labels Sisyphon und Stil vor Talent. Doch da soll bis in den Spätsommer noch mehr und spannenderes gehen – und vor allem hauptsächlich gemeinsam mit lokalen Crews und Clubs.

16. Juni, 13 Uhr, Sisyphon Open Air w/ Atlantik, Yetti Meißner, Empro, Leon Licht, Foolik, Sid, Kleinschmager Audio, Lars Goldammer b2b Nienein, Maximilian Stolze, Markus Knauth — Tickets hier

22. Juli, 12 Uhr, Stil vor Talent Festival w/ Oliver Koletzki, Einmusik, KlangKuenstler, Moon Walk, Prismode & Solvane — Tickets hier

+++ Update: Die Stadt hat das erste Open Air untersagt. Es findet aber statt, in einer Location in der Ernst-Keil-Straße 17 / Ecke Pansastraße. Also um die Ecke, aber leider nicht am Wasser. Das offizielle Statement gibt hier. +++

Li3bknecht 2018
→ 22.-24. Juni 2018

Im Steinbruch Möseln, rund 45 Kilometer südöstlich von Leipzig, fand bis 2014 das Gratwanderung Festival statt. Seit dem letzten Jahr wird die Location von Leipziger Li3bknecht-Crew bespielt – mit einem gleichnamigen Festival und einem Haufen Newcomern der Stadt.

Line-up: Chris Z, Aldebaran, Max Weiss, W4nja, Werner Krauss, Matthias Verberg, Marcé, Mr. Mojo, Core D-lane, Lupino

Facts: Steinbruch Möseln — nur Abendkasse als Spende

Aware Open Air
→ 21. Juli 2018

Wie bereits im letzten Jahr wird auch 2018 der Gasometer neben dem Panometer wieder einen Tag lang zum großen Open Air-Dancefloor. Mit kleinem, aber sehr groß besetztem Line-up findet das Aware Open Air in diesem Jahr statt. Kristian Beyer von Âme ist zu einem fünfstündigen DJ-Set eingeladen. Bereits im Juni gibt es im IfZ ein Warm-up mit dem Berliner Lossless-Label.

Line-up: Âme, Innellea, Underspreche

Facts: ab 14 Uhr, Richard-Lehmann-Straße 114 Leipzig— Tickets hier

Th1nk? Open Air 2018
→ 29. Juli 2018

Nachdem die Line-ups der Vorjahre immer etwas müde wirkten, fährt das Th1nk? Open Air in diesem Jahr eines der besten Programme ever auf. Endlich endlich kommt Maya Jane Coles nach Leipzig. Dazu gibt es eine der seltenen Gelegenheiten, Seth Troxler hier zu erleben. Und mit Charlotte de Witte und Tijana T kommen endlich auch zwei super spannende aufstrebende Techno-DJs an den Nordstrand des Cospudener Sees. Ab 23 Uhr ist dann Afterhour in der Distillery.

Line-up: Ben Klock, Seth Troxler, Maya Jane Coles, Rødhåd, Charlotte de Witte, Wighnomy Brothers, Robag Wruhme, Radio Slave, Mathias Kaden, Daniel Stefanik, Marcus Meinhardt, DeWalta, Gunjah, Hans Nieswandt, Tijana T, Filburt, Vincent Neumann, Lydia Eisenblätter, Peter Invasion, Ranko, Jana Falcon, Pandaro, Esette, Lars Christian Müller, Thomas Stieler, Chris Manura, Mike van Goetze, Stephan von Wolffersdorff, Dilivius Lenni, Daniel Sailer aka Upsyler, Andreas Eckhardt

Facts: ab 10 Uhr, Nordstrand Cospudener See — Tickets hier

Nachtdigital Flex
→ 3.-5. August 2018

Nach dem großen Jubiläum im letzten Jahr geht das Nachtdigital 2018 in die 21. Ausgabe. Und die setzt vom Line-up her den ambitioniert kuratierten Weg fort. Mit Burnt Friedman,  Demdike Stare und einem eigenen Ambient-Floor bietet die ND-Crew wieder ein sehr gutes Programm abseits der Rave-Classics. Zum 10. Label-Geburtstag darf Kann eine ganze Nacht kuratieren – Highlight hier: Mary Yalex. Und ja: Es gibt tatsächlich noch Karten.

Ach noch was: Die Nachtdigital-Doku „Escape to Olganitz“ von 2014 gibt es jetzt auch online in voller Länge.

Line-up: Beatrice Dillon, Bjarki, Blawan, Burnt Friedman, Courtesy, Cubic Space Collective, Demdike Stare, DJ Dustin, Don’t DJ, Evigt Mörker, Holz, Izabel, Jan Schulte, Kinzo Chrome, Maayan Nidam, Make Me, Manuel Stallbaumer & Stefan Schmidt-Dichte, Mozhgan, Objekt, Optimo, Paquita Gordon, Portable, rRoxymore, Sofay, Steffen Bennemann, Violet, VTSS, Wolf Müller & Niklas Wandt, XDB, Bender, cmd q, Map.ache, Mary Yalex, Polo, Sevensol, Underspreche, Adel Akram, Ana Bogner, Ben UFO, Chilling The Do, DJ Carpet Crawler 3000, Et Kin, Feuerbach, Good News, Huerco S, Johanna Knutsson, Michelsøn, Nina, OneTake, Trester, Vai, Weber, Wolf Müller & Cass

Facts: Bungalowdorf Olganitz — Tickets hier

ZilpZalp Festival
→ 3.-5. August 2018

Am selben Wochenende wie das Nachtdigital verlegt das Elipamanoke seine Base nach Groitzsch – in die idyllische Neuseenmühle. Open Air darf dann im Mühlenhof oder auf dem Wildwuchs Floor getanzt werden. Tagsüber gibt es Tischtennis oder Kicker oder Seen um die Ecke. Musikalisch arbeitet die Eli-Crew in diesem Jahr mit den Crews exLEpäng!, Nebula und Zwischenwelten zusammen. Es dürfte also sehr divers werden.

Line-up: tba

Facts: Neuseenmühle Groitzsch — Tickets hier

Kong Festival
→ 24.-26. August 2018

Ganz neu startet 2018 das Kong Festival – mit einem sehr interessanten Konzept: Es wird nämlich ganz Kursdorf bespielt. Wer es nicht kennt. Das Dorf liegt genau zwischen dem Flughafen Leipzig/Halle und der Autobahn. Kein schöner Ort also zum Wohnen, deshalb ist aus Kursdorf mittlerweile ein Geisterdorf geworden. Ende August wird es wieder belebt – mit einem großen Musik- und Kino-Programm. Außerdem dabei: Pangaea Urwaldzirkus, Healing Space, Yoga, Massagen – und „Palmen, überall Palmen“.

Line-up: Andreas Henneberg, Dapayk, Yeah But No (Douglas Greed & Fabian Kuss), The Micronaut, Norman Weber, Once Upon A Time, Beth Lydi, Thomas Stieler, Die Ruhe, Dynamite Kadinski, Max Nippert, Hartbrand, Jimmi Hendrik, Fritz Dittmann, Arpen & Kosmosklang, Franz!, Jamy Wing, Mauro Caracho, Shuray & Walle, Sierra, Ken Tamburi, Carina Posse, Andreas Eckhardt, Bonbons

Facts: Kursdorf bei Leipzig — Tickets hier

++++ Update: Wir verlosen 8 Tickets für das Kong Festival. Wer mitmachen mag, schickt bis 10. August eine E-Mail an dance@frohfroh.de, mit dem Betreff King Kong. Wir losen dann aus und schreiben die Gewinner*innen an. ++++

Ist Clubkultur gleichzeitig auch Politik?

Inwieweit ist Clubkultur heute noch politisch? Inwieweit sollte sie es sein – oder nicht? Mit dieser Frage soll sich eine neue Reihe bei frohfroh beschäftigen. Hier kommt das Intro in das Thema – mit Stimmen von verschiedenen Akteuren/innen und Besuchern/innen der Leipziger Clubszene.

Als elektronische Tanzmusik entstand, mischte sie die Popkultur und Welt ordentlich auf: Neue Diskurse entstanden, neue Räume, eine neue Kunstform. Der politische Charakter der elektronischen Musik in ihrer Anfangszeit ist am besten im Vergleich zur Popmusik zu verstehen. Der Popmusik mit ihren eindeutigen und oft eben auch massentauglichen Aussagen stand nun eine Musikrichtung gegenüber, die mehrdeutig war, die viel Raum für Interpretation bot.

Dieser neue, große Raum war es auch, was die Clubbesuche so revolutionierte: Da war Platz für alle. Die queere Szene war von Beginn an vertreten in der Techno-Szene der 1990er. Nachtschwärmer und ehemals Punker (Hi, Westbam), alte und junge Menschen kamen nachts auf den Dancefloors zusammen. Nicht zuletzt war die Szene so inklusiv, weil Disco und House in afroamerikanischen und homosexuellen Szenen entstanden sind – auch als politischer Schutz- und Entfaltungsraum.

Damit war sie politisch. Inzwischen ist sie ein etabliertes Genre und nicht mehr das Andersartige und Neue. Damit ist ihr subversiver Charakter in den Hintergrund, der Aspekt des Entertainments in den Vordergrund getreten. Clubbesucher/innen fühlen sich nicht mehr als Teil einer großen Revolution. Trotzdem ist die Rolle des Kontexts der elektronischen Tanzmusik nicht verloren gegangen – denn oft gehört für Fans von Beats, Synthies und Bass der Gang in den Club dazu. Der politische Charakter dieser Musikform entsteht dadurch immer noch nicht unbedingt durch die Form selbst, sondern vielmehr durch den Raum, in dem sie erlebt wird – dem Club eben. Ohne oder mit nur wenig Text transportiert sie nach wie vor Mehrdeutigkeit, Inklusion, Facettenreichtum. Die große Diskussion, die um diese Musikform besteht, bezieht sich vielmehr auf den Rahmen:

Inwieweit ist Clubkultur heute noch politisch, sollte sie es sein – oder nicht?

Mit dieser Frage soll sich diese Reihe beschäftigen. Dabei werden die unterschiedlichen Aspekte von Politik in der Clublandschaft betrachtet und den Akteuren/innen eine Stimme gegeben. Denn viele ihnen verfolgen vielleicht oft kein eindeutig politisches Anliegen, sie haben aber einen breiten Wirkraum, indem sie für die Clubbesucher/innen und andere Akteure/innen eine Normalität mitgestalten.

Inwiefern das realisiert wird, ist individuell natürlich verschieden. Prominente Beispiele für klar politisches Engagement in Verbindung mit elektronischer Musik sind z. B. Borrowed Identity, der sich gegen den „Party-Spam“ auf Social Media ausspricht. Oder The Black Madonna, die sich in Gender-Diskussionen äußert und sich für die LGBTQ-Community stark macht. Andere Künstler/innen gehen das Ganze subtiler an und legen vor allem Wert auf ein sensibles Miteinander ohne „krampfige“ Politisierung.

Prinzipiell gilt es zu unterscheiden zwischen der Musik selbst als Politikum und dem bzw. der Künstler/in als politischem Menschen. Ob und wie man sich selbst oder seine Musik als politisches Medium versteht, bleibt natürlich jedem selbst überlassen – oder ob man dem politischen Rahmen im Club mehr Bedeutung zuschreibt als sich selbst als politischem/er Akteur/in.

Also haben uns unterschiedliche Künstler/innen der Leipziger Szene die Frage beantwortet. Und sie zeichnen damit – zumindest in den Kreisen um die Szene-Clubs der Stadt außerhalb der Innenstadt – ein relativ homogenes Meinungsbild. Für I$A von der Channel-Reihe und G-Edit-Crew zählt vor allem, sich bewusst zu machen, dass es nicht darum geht, der Sache einen künstlichen, politischen Anstrich zu geben, sondern den Raum, in dem alle einen guten Abend haben wollen, zu einem Schutzraum zu machen. „Zuerst einmal sollte man sich bei der Frage darüber Gedanken machen, was der Begriff ‚politisch‘ im Kontext der Clubkultur bedeutet. Ich denke ‚politisch‘ bedeutet hierbei, sich damit auseinander zu setzen jeder Person ein Zusammenleben zu ermöglichen, in dem alle gleich behandelt werden und niemand diskriminiert wird.“Für DJ Booga vom Breaks-Label Defrostatica ist diese Frage, ob Clubkultur auch heute noch politisch sei, eigentlich kaum diskussionswürdig: „Es gibt gewisse Standards, über die würden wir jetzt gar nicht mehr anfangen zu diskutieren – wenn es um Gleichberechtigung, Solidarität und ähnliche emanzipatorische Ansätze geht. Das setzen wir in dem Sinne voraus. Es geht über ‚Geht in den Club, habt ’ne fette Party, zieht euch zu, Tschüss‘ hinaus. Ich denke weil es so selbstverständlich ist, denkt man darüber gar nicht mehr nach.“

Die Selbstverständlichkeit, die Booga anspricht und selbst lebt, ist vor allem eine Errungenschaft der linken Clubkultur. Tina als Bookerin der Distillery und Defrostatica-Mitbetreibterin sieht das ähnlich: „Um nochmal zurück zu schwenken auf die Clubszene: Ich denke schon, dass es viele Läden in der Stadt gibt, die sehr wegweisend sind [was den politischen Charakter der Clubkultur angeht]. Ich finde eben gut, dass es nicht nur dieses ‚So kommt her, es gibt Musik, es gibt Alkohol, und das war’s‘ ist – sondern, dass eben in Frage gestellt wird, wer auflegt, ob es ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis der Leute gibt, die auf der Bühne stehen, warum das überhaupt wichtig ist. Mit solchen Fragen beschäftigen sich sehr viele Läden hier in der Stadt und dadurch ist das auch immer Thema. Dadurch fällt es dann eben auch auf, wenn das dann mal nicht praktiziert wird. Und das ist denke ich schon eine sehr gute Entwicklung, weil es eben gewisse Status quos in Frage stellt und überlegt wird, wie man es besser machen kann. Da sind gerade Läden wie das Conne Island oder das IfZ, die abgesehen von Partys auch Diskussionsveranstaltungen oder Vorträge anbieten, auf jeden Fall wichtige Locations. Ich glaube es ist wichtig, dass Leute, denen sowas am Herzen liegt, irgendwo an einem Hebel sitzen und das dann mit einbringen. Und das sehe ich hier in der Stadt eigentlich schon, dass das vielerorts der Fall ist.“

Okaxy vom Duo Ninze & Okaxy hat auf den vielen Touren in der ganzen Welt einen Blick, ein Gefühl dafür entwickelt, in welchen Clubs gewisse „Standards“ gefahren werden. Für ihn steht außer Frage, dass ein gewisser, politischer Rahmen dazugehört, um einen Schutzraum schaffen zu können, in dem entspanntes Feiern möglich ist. Türpolitik beispielsweise: Zum einen beschränken Clubs, manchmal beinahe elitär, den Zugang. Zum anderen machen sie erst so einen Freiraum möglich. Okaxy betont vor allem den Aspekt des Safer Clubbing: „Das äußert sich ja in vielen Sachen. Wie ein Club sich im Internet darstellt, wie man sich positioniert. Wie die Leute sich zeigen, das Design, ob man sich mit Sponsoren schmückt oder sich bedeckt hält und kaum Informationen herausgibt. Und es gibt viele Möglichkeiten, die Türpolitik, Safer Clubbing, ob man Refugees kostenlos reinlässt, ob man Demonstrationen gegen die Gentrifizierung in der Stadt unterstützt – sowas bekommt man einfach mit. Das merkt man an der Tür, das merkt man an der Bar, ob dort zum Beispiel nur Frauen arbeiten oder ob es gemischt ist.“

Seiner Meinung nach ist die Situation in Leipzig in den meisten Clubs sehr aufgeklärt, Bedarf bestehe aber noch – vor allem fernab der Subkultur: „In Leipzig gibt es viele Clubs, die politisch fitte Leute an der Tür stehen haben, die verstanden haben, ob sie da jetzt einen Macho reinlassen oder nicht, die auch Konfliktsituationen anders lösen. Ich weiß nicht, ob ich auf vielen anderen Partys, die nicht in Leipzig sind, einfach so zur Secu gehen könnte. Wenn ich in Leipzig bin, fühle ich mich definitiv sicherer, ob jemand eine Überdosis hat, es ein sexistischer, homophober Übergriff ist oder Beleidigung gegenüber jemandem, der irgendwie nicht ins Weltbild des Anderen passt – da gibt’s keine Diskussion. Sowas finde ich sehr prägnant und unterstützungswert.“

Panthera Krause, Marbert Rocel-Mitglied und Solo-Producer, sieht die Notwendigkeit eines Clubkontexts, der gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung sensibilisiert ist. Dazu gehört für ihn aber auch, dass nicht abgegrenzt wird, wo es eigentlich um Inklusion geht: „Ja, darüber gab es nicht nur neulich eine abendfüllende Diskussion mit Freunden, inwiefern man als Musiker oder als Teil der Clubkultur eine Verantwortung hat und auch verpflichtet ist, sich zu positionieren. Da nicht nur für mich ein Teil des gesellschaftlichen Lebens im Club stattfindet, ist dieser Ort per se auch politisch. Für mich besteht das Politische dabei vorrangig im Umgang miteinander. Damit ein guter Vibe entstehen kann muss es nun mal Rahmenbedingungen geben, die ausdiskutiert und im besten Falle vorgelebt werden – und das ist natürlich manchmal eine Gratwanderung. Ich mag es nicht, wenn Sachen zu extrem in eine Richtung ausschlagen oder gar dogmatisch werden. Zum Beispiel finde ich es gut, dass es gerade so viele Crews an weiblichen DJs gibt. Es ist wichtig zu thematisieren, dass der DJ-Bereich meist männlich dominiert ist. Aber durch explizit weibliche DJ-Crews entsteht ja auch wieder eine Abgrenzung. Da denke ich mir dann, warum nicht noch einen Schritt weiter und gleich alle was zusammen machen.“

Für Peter Invasion, Betreiber des Labels Riotvan, geht es im Clubkontext schon um das Gefühl, aus dem Alltag aussteigen zu können. Dass das aber Hand in Hand mit einer inklusiven, toleranten Haltung geht, steht für ihn außer Frage. „Clubkultur ist und bleibt politisch. Das beste Beispiel ist ja Georgien gerade. Die Szene, in der wir uns bewegen, war noch nicht immer so befreit und offen, deshalb sollte man nie vergessen, wo das ganze mal angefangen hat und wo es noch hingehen kann. Uns in Deutschland geht es da schon wirklich sehr gut. Dementsprechend ist eine Message und vor allem eine Haltung wichtig. Nichtsdestotrotz ist natürlich eine Party bzw. Musik auch dafür da, um sich dem Ganzen mal zu entziehen. Darum geht es ja schlussendlich auch. Sich im Hier und Jetzt zu verlieren. Sich aber auch aktiv zu beteiligen einen Raum zu schaffen, in dem man sich frei fühlen kann – losgelöst vom Alltagsgeschehen, jeglichen Vorurteilen und Klischees, in dem alle gleich sind. Es geht darum, Schnittpunkte zwischen den unterschiedlichsten Menschen anzuregen und sich gegenseitig zu inspirieren. Und letztlich geht es natürlich auch um die Musik als universelle Sprache. Und diese Haltung bzw. Message ist in sich schon sehr politisch. Ich denke, man kann also beides sehr gut miteinander vereinen.“

Dass der politische Kontext, der über eine tolerante Haltung hinausgeht, manchmal den „Spaß beim Feiern“ überschattet, spricht Christal (Kazimir, *Stry) an: „Es ist auch die Frage, ob Kunst immer politisch sein muss. Ich gehe nicht davon aus, dass Musik immer politisch sein muss. Das ist eine individuelle Entscheidung. Für manche muss auch Spaß politisch sein, auf mich trifft das nicht zu. Es ist wichtig, dass es hinterfragt wird. Das sehe ich aber nicht als politische, sondern als zwischenmenschliche Verantwortung. Für mich sind gemeinsamer Spaß, Freude, Liebe an und mit Musik, etwas das verbindet. Gäste und Personal sind in der gegenseitigen Verantwortung, dass es ein guter Abend wird, der friedlich verläuft. Da trägt jeder die Verantwortung, nicht nur der Club. Das politisch Auferlegte macht es immer irgendwie so schwerwiegend. Daher vielleicht auch dieses Gefühl des ‚Abarbeitens‘.“

Der Grat ist manchmal schmal, den Clubs, Szeneakteuren/innen und Clubbesuchern/innen zu gehen haben, wenn Diskriminierung, Rassismus, Übergriffigkeiten und Sexismus, Kapitalismus, Old-Boys-Networks und Neoliberalismus ausgeschlossen werden, gleichzeitig aber die Politik nicht immer im Vordergrund stehen soll. Es wird stetig hinterfragt, transzendiert.

Letztendlich ist der Club als Raum, in dem viele verschiedene Menschen zusammentreffen, ein Ort, an dem man die Chance hat, sich zu begegnen: Die Musik bringt Menschen zusammen; die Regeln bieten Schutz. Insofern ist elektronische Musik selbst ein Politikum, indem sie Menschen unterschiedlichster Herkunft und manchmal auch unterschiedlicher Gesinnung auf engen Raum zusammenbringt. Das ist erst einmal nichts Besonderes, denn das passiert auch in Zügen, in Büros. Delikater wird dieser Kontext durch die Herangehensweise der Akteure/innen und der Clubgänger/innen: Es geht um Spaß, ums Loslassen können. Was für den/die Eine/n Ekstase bedeutet, kann in die Intimsphäre Anderer eindringen, kann sogar zum Übergriff werden. Ein friedliches Miteinander und gegenseitigen Respekt zu ermöglichen ist leider oft noch etwas Besonderes. Es sollte aber ein Standard sein – nicht nur in der Leipziger alternativen Clubszene.

Techno, generell elektronische Tanzmusik, ist heute mehr denn je Teil der Gesellschaft. Damit herrschen auch hier die Probleme der Gesellschaft vor. Partys und Clubevents sind damit nur so politisch und tolerant, wie die Menschen, die teilhaben. Wir haben einige von ihnen gefragt:

Auch interessant, was Menschen aus London und Australien zu diesem Thema zu sagen haben:

Die Gespräche mit Akteuren/innen und Besuchern/innen der Clubszene zeichnen ein eindeutiges Bild: Viele setzen sich vor allem mit den Aspekten Diskriminierung, Sexismus und Inklusion auseinander. Allerdings ist das Thema damit lange nicht erledigt. Was man sich außerdem fragen kann: Wenn Toleranz in der Clubkultur so oft gepredigt, so groß geschrieben wird, kann man dann vielleicht sogar heute noch diesen Antrieb für gesellschaftliche Veränderungen nutzen? Auch abseits der links-alternativen Szene? Können Menschen durch Clubkultur politisiert werden, kann dieser Schutzraum sensibilisieren?Weitere Denkanstöße
Es gibt noch weitere Ebenen des Politischen, als die bisher angesprochen. Einige Denkanstöße: Clubkultur ist mittlerweile auch ein großer Wirtschaftsfaktor. Es kann viel Geld gemacht werden – und das wird es oft eben auch. Illegale Partys und versteckte Open Airs möchten sich davon lösen, alternative Möglichkeiten zu teuren Clubabenden schaffen.

Gleichzeitig kann der Exzess ebenso ein Gegenpol zum neoliberalen Leistungsanspruch sein – Eskapismus, Ausbruch aus dem Alltag, in dem es sich oft darum dreht, für Geld zu arbeiten, um wiederum glücklich zu sein. Immer leistungsfähig sein, mit einer Karriere Statuspunkte zu sammeln.

Weitergedacht: Was bedeutet die Clubkultur als eskapistische Möglichkeit, um aus dem kapitalistischen Leistungsalltag auszusteigen und einfach loszulassen? Immerhin dürfte dies einer der Gründe sein, weshalb die linke Szene Techno vor Jahren für sich entdeckt hat. Der Eskapismus, in welcher Form auch immer betrieben, sagt aus: Der Alltag wird mir zu viel. Ich brauche einen Raum, eine Zeit, die losgelöst ist von dem, was ich leisten muss, was mich beschäftigt. In kaum einer Szene wird Rausch und Ausbruch so exzessiv betrieben, wie in der der elektronischen Tanzmusik.

Wie umgehen mit Barrieren in jedem Sinne? Wie kann man den angestrebten Schutzraum für all jene zugänglich machen, die ihn manchmal am nötigsten haben? Wie kann Inklusion stattfinden – beispielsweise kulturelle? Die damit einher gehenden Schwierigkeiten hat man erst letztes Jahr am Beispiel Conne Island in Leipzig erleben können: Sprachbarrieren, unterschiedliche Feierkulturen und soziale Codes können zu kritischen Situationen führen. Wie damit umgehen? Wie die Grenzziehung gestalten, die einerseits nicht diskriminieren, andererseits schützen soll?

Und dann kann Clubkultur auch politisch sein, weil sie sich illegale Räume sucht, um sich zu entfalten. Überall treffen Akteure/innen auf Vorgaben, Gesetze und Einschränkungen. Um dem zu entkommen, werden Schlupflöcher gesucht, wird sich beispielsweise mit Open Airs und Fabrik-Raves aktiv der Regelungswut gegengesetzt.

Auch Themen wie Gentrifizierung, Stadtpolitik und Sperrstunde sind als bedeutende Handlungsfelder für politisches Engagement im Clubkontext angekommen. Die Freiräume, die Clubs für viele ihrer Besucher/innen bedeuten, sind oft durch Immobilienspekulation bedroht (aktuelles Beispiel: Distillery in Leipzig). Auch Lärmbeschwerden durch „Nachbarn“ können diesen Verdrängungseffekt haben – siehe das IfZ. Da geht es dann schon mal um Kulturraumschutz: Parteien kommen ins Spiel. Stadtpolitik. Und natürlich lässt sich auch kritisch fragen, ob in der heutigen Clubkultur wirklich noch so viele unterschiedliche Milieus aufeinander treffen. Oder hat sich die Clubkultur nicht mittlerweile so ausdifferenziert, dass die Milieus tendenziell unter sich bleiben?

Viele Fragen, mit denen sich diese Reihe in den nächsten Monaten beschäftigen möchte.

Neues Festival für Leipzig: Balance – Club / Culture

Das Balance – Club / Culture-Festival setzt auf Kulturräume, Diversität und die Schnittmenge zwischen Clubkultur und Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht die Frage, was moderne Clubkultur zu gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart beiträgt und beitragen kann.

Kulturfestival
So ganz unbekannt und neu ist der Name Balance in Leipzig nicht. Als Veranstaltungsreihe im Institut fuer Zukunft, bei der in der Vergangenheit zum Beispiel die ukrainische Crew Cxema oder das tschechische Kollektiv Polygon eingeladen wurden, ist die Balance seit einiger Zeit bekannt. Diese Veranstaltungen sind als Prologe zu verstehen – jetzt kommt (nach zwei Jahren Planung) also das erste Kapitel, das erste Balance – Club / Culture-Festival.

An vier Tagen werden hier nicht nur nationale und internationale Künstler/innen in Leipzig, sondern auch verschiedene Kunstformen und Musikgenres zusammenkommen. DJ Stingray, Atom™, Aïsha Devi, Umfang, Ikonika, Coucou Chloe, Mor Elian, Shygirl, Rui Ho, Bonaventure und das Duo Schwefelgelb sind u.a. angekündigt. Natürlich sind auch Künstler*innen aus Leipzig vertreten: Neele, DJ Minusminus, Black Nakhur, Nadine Talakovics, Dorothy Parker und XVII sind zum ersten Balance-Festival ebenfalls mit dabei.

Wer nach dieser Liste „nur“ ein modernes Musikfestival erwartet, liegt allerdings ziemlich falsch. Konzerte, Installationen, Talks, Raum für Diskussion, eine Filmvorführung und ja, natürlich auch Clubnächte, werden zu einem Kulturfestival.Mikro – Meta – Makro
Das Balance-Projekt setzt sich mit der Definition und dem kritischen Hinterfragen von moderner Clubkultur als solche auseinander. Und macht sie gleichzeitig, auf progressive Art und Weise, erlebbar. Die Frage „Was trägt moderne Clubkultur zu politischen Prozessen bei?“ stellt sich somit direkt und indirekt, zwischen und mit dem Publikum, den Künstlern*innen, Akteuren*innen und Kuratoren*innen, inner- und womöglich außerhalb der Festivalevents.

Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Georgien, bei denen sich als Reaktion auf einen gewaltsamen Polizeieinsatz, u.a. im Club Bassiani, hunderte Menschen vor dem Regierungsgebäude in Tiflis zu einer Demonstration unter dem Motto „We dance together – we fight together“ zusammenfanden, ist das Festivalprogramm noch gegenwärtiger geworden. Auch die von 170 Berliner Clubs initiierte Anti-AfD-Demonstration, bei der 70.000 Menschen auf die Straße gingen, zeigt Clubkultur in der Rolle als soziale, politische Begegnungsstätte – mit Revolutionspotenzial.

Programm, Locations und Tickets
Wer alle Veranstaltungen des Balance-Festivals erleben möchte, wird von Donnerstag bis Sonntag (31. Mai – 3. Juni) das Institut fuer Zukunft, die naTo, das UT Connewitz und die Galerie KUB ansteuern. Den Anfang markiert die Vernissage zur Ausstellung des serbischen Künstlers Bogomir Doringer mit seiner Kunstinstallation „I Dance Alone“ in der Galerie KUB. Doringer zeigt Menschen beim Tanzen – aus der Vogelperspektive. Er beobachtet damit, ob und wie Menschen beim Tanzen interagieren, welche Formen dabei entstehen und zeigt die Tanzenden als sich bewegende, kollektive Körper.

Ab 22 Uhr heißt es dann Balance x Channel im IfZ mit DJ Stingray. Von Freitag bis Sonntag geht es genauso hochkarätig weiter. Das Samstags-Konzert im UT Connewitz mit Atom™, Aïsha Devi, Lyra Pramuk und Ana Bogner ist aber sicher noch ein besonderes Highlight. Das Festival endet mit einem BBQ in der Galerie KUB und zwei Talks. Mit Peter Kirn kann man sich beim „Tech Talk“ (ebenfalls Galerie KUB) austauschen, anschließend geht es zum wirklich letzten Event in die naTo, zu einem Gespräch mit den Künstlerinnen Umfang und stud1nt (Discwoman), moderiert von Sarah Ulrich und Charlotte Eifler von Feat. Fem*.

Einen Hintergrundartikel mit Stimmen von Kyle van Horn (Kurator), Xaver Thiem (Veranstalter), Bogomir Doringer (Künstler) und Anja Kaiser (Designerin) findet ihr bei Spex, online und for free.

Tickets (auch für einzelne Events) gibt es hier: balance.ifz.me
FB-Event.

Programm

Donnerstag, 31. Mai

19:00 / galerie KUB / (freier Eintritt)
Ausstellung / Vernissage ‘I Dance Alone’ von Bogomir Doringer + Präsens Editionen Showcase

22:00 / Institut fuer Zukunft / Balance x CHANNEL
mit DJ Stingray [USA], Mor Elian [Fever AM, USA], Neele [IfZ/G-Edit, DE], DJ minusminus [CHANNEL, DE]

Freitag, 1. Juni

18:00 / galerie KUB / Artist interview / (freier Eintritt)
Yuko Asanuma interviewt Ikonika

19:30 / galerie KUB / Artist interview / (freier Eintritt)
Lisa Blanning interviewt Bill Kouligas

22:00 / Institut fuer Zukunft
mit Ikonika [Hyperdub, UK], Schwefelgelb – live [aufnahme + wiedergabe, DE], Coucou Chloe – live [Nuxxe, UK], Shygirl – live [Nuxxe, UK], Bill Kouligas [PAN, DE], XVII [IfZ, DE]

Samstag, 2. Juni

17:00 / naTo / Film + Talk / (freier Eintritt)
Voguing as Empowerment for Queer Refugees
Film: ‘Berlin is Burning’
Gespräch mit Future V, moderiert von Sarah Ulrich

19:00 / UT Connewitz / Konzert
Atom™ – live [Raster Medien, CHL/DE]
Aïsha Devi – live [Houndstooth, CH]
Lyra Pramuk – live [Objects Limited, USA/DE]
Ana Bogner – live [oxxxi, DE]

23:59 / Institut fuer Zukunft / Club night – Discwoman Showcase
mit UMFANG [Discwoman, USA], stud1nt [Discwoman, USA], RUI HO – live premiere [Objects Limited, CHN/DE], Bonaventure [NON Worldwide, PRT], Black Nakhur [Pneuma-dor, DE], Dorothy Parker [Cry Baby, DE], Nadine Talakovics [No Show, Distillery, DE]

Sonntag, 3. Juni

14:00 / Galerie KUB / (freier Eintritt)
Closing Barbeque

16:00 / Galerie KUB / Tech Talk / (freier Eintritt)
Modular ideas and music – an introduction using free software (mit Peter Kirn)

18:00 / naTo / Artist Talk / (freier Eintritt)
‘Shake the patriarchy: Collective organization as a feminist strategy in the music industry’
mit: UMFANG und stud1nt (Discwoman)
In Kooperation und moderiert von Feat. Fem* mit Charlotte Eifler und Sarah Ulrich

5 Years x A Friend In Need – Interview mit Lootbeg

Von einer Podcast-Reihe zum eigenen Label – A Friend In Need kann in diesem Jahr sein fünftes Jubiläum feiern. Wir haben mit Label-Head Lootbeg über das Erreichte gesprochen und gefragt, warum sein Debüt-Album nicht auf dem eigenen Label herauskam.

House, Techno, Electro, Ambient – Lootbeg ist stilistisch kaum festzuzurren. Immer, wenn man denkt ‚Ah, ein weiterer Classic-House-Typ‘, überrascht er mit einem anderen Sound. Das sorgt auch bei seinem Label A Friend In Need immer wieder für Überraschungen. Zwischen dem harschen Techno von Tsorn und dem süß-melancholischen House der ersten EPs liegen Welten. Zugleich gehört A Friend In Need zu den aktivsten Leipziger Elektronik-Labels der letzten Jahren. Zeit, sich etwas mehr mit Lootbeg zu beschäftigen.

Das Interview ist ein schöner Reminder an Lootbegs sehr nächtlich gestimmtes, interstellar gleitendes Debüt-Album „Stargazing“, das Anfang des Jahres auf O*RS herauskam.

A Friend In Need wird 2018 fünf Jahre – bist du happy mit dem, wie das Label gewachsen ist?

Auf jeden Fall. Es ist wirklich ein gutes Gefühl nach fünf Jahren mal in Ruhe auf das Erreichte zurück zu blicken. Nicht nur auf die Musik, auch auf das viele positive Feedback und den Support einzelner DJs. Vor allem in den letzten zwölf Monaten war aus der Richtung nochmal ein deutlicher Aufschwung bemerkbar, der viel dazu beigetragen hat, dass das Label und die Musik eine immer größer werdende Hörerschaft erreicht und anspricht.

Ich schätze, das liegt wohl auch daran, dass ich mit dem Label regelmäßig versuche auch musikalisch in andere Richtungen zu schauen. Auch das aktuelle Album von 5http, das als Tape das erste wirklich anfassbare Release auf A Friend In Need ist, stößt derzeit auf eine sehr positive Resonanz. Alles in allem bin ich sehr zufrieden, wie sich alles entwickelt hat. Und ich freue mich auf das, was sich daraus noch alles entwickeln wird.

Du hast ausschließlich digital veröffentlicht: Lässt sich so eine ähnliche Fanbase aufbauen oder haben es Vinyl-Labels einfacher?


Das kann ich nur teilweise beurteilen, da ich als Label keine Erfahrung mit Vinyl-Veröffentlichungen habe. Ich bin mir aber dennoch ziemlich sicher, dass es ein Vinyl-Label leichter hat, sich eine feste Fanbase aufzubauen als ein Digital-Only-Label. Vorausgesetzt der Output stimmt. In der unendlichen Masse der wöchentlichen Digital-Releases geht man einfach zu stark unter. Man muss schauen, dass man mit der Qualität punktet, um Leute darauf aufmerksam zu machen und entsprechend ans Label zu binden. Wenn man dann den langen Atem hat und dranbleibt, hat man, denke ich, schon gute Chancen, sich trotz der Digi-only-Mentalität einen Namen zu machen. Vergleichbar mit den Möglichkeiten und dem Aufwand eines Vinyl-Labels ist das dann aber natürlich trotzdem nicht.Wo ist A Friend In Need besonders beliebt, lässt sich das ausmachen?


Nur an den Sales der letzten zwölf Monate gemessen, sind das die Top 5: USA
, UK, Deutschland
, Italien
 und Russland. 
Frankreich, Südafrika und Australien gehören aber auch in den engeren Kreis der Fanbase.

Was war den Verkaufs- und/oder Streamingzahlen nach der größte Label-Hit bisher?

Das ist in beiden Punkten „Keep It Up“ von 78Edits aus Schottland. Der Track stammt vom fünften afin-Release „Various Varieties“ von 2015. Zu der Zeit lag der musikalische Fokus des Labels fast ausschließlich bei langsamen Sleazy-House und Edits.Dein erstes Album wolltest du aber nicht auf dem eigenen Label veröffentlichen?

Ehrlich gesagt habe ich nie direkt daran gedacht, überhaupt ein Album zu veröffentlichen. Der Anstoß dazu kam von Filburt, als ich ihm vor zwei, drei Jahren einen Ordner mit aktuellen Demos geschickt habe. Das waren um die zehn Tracks und er meinte, dass wohl alle recht stimmig seien und dass das ja eigentlich schon ein fertiges Album ist. Ich habe die Tracks damals nie als Ganzes gesehen. Sicher hätte man da ein oder zwei EPs aus je drei bis vier Titeln zusammenstellen können, aber als Steffen dann die Idee mit dem Album hatte und ich mir in diesem neuen Kontext alles nochmal zusammenhängend angehört habe, machte das durchaus Sinn. Also haben wir uns zusammengesetzt und alles für eine Veröffentlichung auf O*RS vorbereitet.

Du hast in den letzten Jahren sehr unterschiedlich klingende Tracks veröffentlicht, das Album wirkt dagegen sehr geschlossen. Ist es in einer zusammenhängenden und bestimmten Phase entstanden?


Ja ist es. Ich muss dazu sagen, dass ich die ursprünglich geplanten Tracks fürs Album aufgrund der langen Verzögerungen noch einmal komplett über den Haufen geworfen habe. Zwischen Steffens erster Idee, ein Album zu machen, und dem finalen Release im Januar 2018 waren über zwei Jahre vergangen – und ich habe mich musikalisch und technisch in der Zeit natürlich weiterentwickelt. Somit habe ich das Konzept dazu überarbeitet und Steffen hat mir glücklicherweise viel Freiraum dazu gelassen. Ein Großteil der finalen Stücke ist in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum entstanden, in dem ich krankheitsbedingt viel Zeit fürs Produzieren hatte. Da ich dem Album bewusst einen geschlossenen und zusammenhängenden Charakter geben wollte um, war dies natürlich ein großer Vorteil.

Was genau wolltest du bei deinem Album nochmals überarbeiten?

Bei mir ist es so, dass ich für mich mit der Zeit neue Herangehensweisen in Sachen Produktion entwickle und auch musikalisch gesehen bestimmte Phasen habe, in denen sich einfach die Interessen ändern bzw. weiterentwickeln. In den letzten drei Jahren hat sich da bei mir also einiges bewegt und ich war vom damaligen Konzept und den Tracks des Albums nicht mehr zu 100 Prozent überzeugt. Bis auf drei Titel habe ich also alle Tracks neu und direkt für das Album produziert, um ein wirklich in sich geschlossenes Werk zu schaffen. Thematisch betrachtet war es ähnlich. Ich wollte mit dem neuen Sound eine gewisse mysteriöse Stimmung erzeugen, die sich rund um das Thema Weltraum, fremde Zivilisationen und deren Interaktionen mit uns Menschen dreht. Das wäre mit den ursprünglich geplanten Tracks so einfach nicht umsetzbar gewesen.Was ist dir generell wichtig beim Produzieren – technisch und musikalisch?


Am wichtigsten ist es, dass ich Ideen schnell und unkompliziert umsetzen kann, ohne viel Zeit damit zu verbringen, Signalwege zu patchen, Presets und Samples zu durchsuchen, Geräte an und abzuschließen usw. Da ich einen normalen Job habe, bleibt leider nicht viel Zeit zum Produzieren und aus diesem Grund versuche ich immer einen gewissen stetigen Grundaufbau bei Hard- und Software zu haben, um mich bei jeder Gelegenheit dransetzen zu können ohne immer wieder bei Null anfangen zu müssen. Dieses grundlegende Set-up ändert sich in gewissen Details natürlich von Zeit zu Zeit bzw. ist es projektabhängig wie im Fall des Albums oder einzelner EPs. Aber gewisse Drum-Racks und Synth-Presets sind darin auch auf Dauer wiederzuerkennen. Somit ist auch der musikalische Aspekt damit verknüpft. Wenn es die Zeit dann hergibt, experimentiere ich mit anderen Genres, Geräten und Sounds, schaue was sich ergibt und speichere das entsprechend entstandene Set-up für spätere Sessions ab.

Du bist super aktiv, mit dem Label, aber auch als Producer – davon leben wolltest du aber nie?

Leider ist da ein großes Loch zwischen wollen und können. Sicher wäre es ein Traum, ausschließlich davon zu leben, aber um das wirklich in einem sicheren und zufriedenstellenden Rahmen tun zu können, fehlt mir da einfach die internationale Bekanntheit. Das Geld wird mit Bookings verdient und solange diese eher sporadisch und unregelmäßig kommen, wird es erstmal so bleiben wie es ist.

Ein Jahr Feat. Fem*

Vor ungefähr einem Jahr gab es die erste Feat. Fem*-Veranstaltung. Seitdem ist die Gruppe eine sichtbare Crew in Leipzigs Kollektivlandschaft geworden. Wir haben mit Anja Kaiser und Charlotte Eifler gesprochen, die gerade in der Hochphase zum zweiten großen Feat. Fem*-Event stecken.

Theorie und Statistik
Frauen* in der Clubkultur und im Kulturbetrieb ist seit gut einem Jahr das Hauptthema des Netzwerks. Über das „große Versprechen der Gleichberechtigung, das nicht eingelöst wird und über patriarchale Strukturen – darüber wollen wir weiterhin sprechen“, sagt Charlotte.

Mittlerweile organisieren sich bei Feat. Fem* Arbeitsgruppen mit Schwerpunktthemen wie Booking, Awareness, Security, (feministischer) Theorie oder Statistik. Die Gruppe trifft sich hierfür regelmäßig im Institut fuer Zukunft zum Austausch und ist mit DJ*s bei verschiedenen Partys in und außerhalb von Leipzig vertreten.

Manifest auf dem Weg
Wo die Reise mit Feat. Fem* hingehen soll, wird auch nach einem Jahr noch verhandelt. Sie verstehen sich bisher als Netzwerk bzw. Empowerment-Plattform für FLTIQ. Viele Fragen seien allerdings noch zu beantworten: „Wer sind wir, wer wollen wir sein, das müssen wir noch klären“, sagen sie. Das Formulieren des Selbstverständnisses ist einer der wichtigsten Punkte für die zukünftige Arbeit. Auch (die eigene, finanzielle) Ausbeutung im Club- und Kulturbetrieb klingt hier an.

Im Herbst wird Feat. Fem* eine Art Manifest publizieren – ob es eher ein Kritikbrief oder eine Club-Agenda sein wird, steht noch nicht ganz fest. Es soll und wird konkrete Probleme in der Leipziger Clublandschaft aufzeigen. Inhaltlich werden Räume und Situationen benannt, besprochen und Forderungen an eben diese gestellt.

Im Hier und Jetzt geht es aber erst einmal um den großen Tag im Conne Island, dessen Programm sich wie ein Tagesfestival liest: Von Workshop, Kuchenessen, Film-Screening, Talk bis Clubnacht ist alles dabei. Das Netzwerk hofft mit dieser großen Veranstaltung weitere Kreise anzusprechen:

„Wir wollen nicht nur im eigenen Teich fischen“.

Alle Interessierten sind also herzlichst willkommen, sich mit der Materie ‚Feminismus im Club‘ auseinanderzusetzen und einen Anfang zu wagen. Denn nur als Zusammenschluss bildet sich die nötige Reichweite, gebündelt zu empowern und auch weiterhin die Clublandschaft zu bereichern und damit (positiv) zu verändern.Final Fantasies
„Lasst uns die Klubkultur destabilisieren, das Netzwerk befeuern und uns verwöhnen!“ heißt es bei Feat. Fem*. Start ist am 18. Mai um 15:00 Uhr mit zwei parallel laufenden Workshops und ab 17:00 Uhr wird ausgelost, wer mit wem die nächste Stunde die Decks teilen darf. Ein Highlight ist das Speed-Dating, bei dem sich Künstlerinnen*, Frauen* aus den Bereichen Booking, Öffentlichkeitsarbeit und allgemein Kulturarbeit kennenlernen können.

Zur Primetime findet dann noch ein besonderes Film-Screening statt. Wer im letzten Jahr „RAW Chicks.Berlin“ gesehen hat, dem sei auch der Film „Born in Flames“ wärmstens ans Herz gelegt. Die Protagonist*innen in diesem Sci-Fi-Film gründen eine Untergrund-Armee, um sich gegen die täglich stattfindenden Belästigungen zur Wehr zu setzen und sich zu bewaffnen.

Den Film von 1983 holt Diana McCarty beim anschließenden Filmtalk in die Gegenwart. Diana McCarty ist Kommunistin, Feministin und Mitgründerin des Radiosenders reboot.fm und konnte dank finanzieller Unterstützung vom StuRa der Uni Leipzig, dem Referat für Kultur und dem FSR KuW noch kurzfristig eingeladen werden.

Lyzza, Swan Meat, Arletka, Charlotte und ANTR beschließen die Nacht als Female Force Line-Up des elektronischen Untergrunds. Die Künstlerin Lyzza aus Amsterdam sei an dieser Stelle besonders hervorgehoben – „Lyzza ist für uns als DJ*/Producerin eine starke Repräsentantin und ist gerade dabei ein Pop-Star zu werden“, sagt Anja. Solltet ihr also unter keinen Umständen verpassen.

Hier das Programm en détail:

15:00 Smarttechnologien als kreative Tools
// Anmeldung bis zum 17.5. an girlz-edit@conne-island.de
15:00 Mentoring Decks ANTR (G-Edit) & Febi (Vice versa)
17:00 B2B Decks by chance moderated by Buzy A (G-Edit)
// Anmeldung bis zum 17.5. an nado@conne-island.de
18:00 Treat yourself, Take the fem* cake, Smash the patriarchy
18:30 Feminist Network Speeddating
// Anmeldung bis zum 17.5. an feat.fem@gmail.com
20:00 Screening: Born in Flames directed by Lizzie Borden (Sci-Fi-Film, 1983 USA, 1h 30m) + Talk mit Diana McCarty
23:00 Klub w/ Lyzza, Swan Meat, Arletka, Charlotte, ANTR
Visuals by Saou TV

*FLTIQ

„Artists“ #2 – Rustre

Gregor Barth hat sich mal wieder mit seiner Kamera in das Studio eines Leipziger Musikers geschlichen – und er brachte uns damit Rustre näher, bzw. in den Fokus. Hier der zweite Teil seiner „Artists“-Foto-Serie.

Vor anderthalb Jahren war Gregor Barth bei Yuyay Records-Gründer Robyrt Hecht im Studio. Dort dokumentierte er mit seiner analogen Kamera, wie ein Track entsteht. Was Gregor mit der „Artists“-Reihe vor hat, erklärt er dort selbst. Sonst lässt er die Bilder sprechen – und deshalb halte ich hier meine Klappe und stelle das aktuelle Rustre-Album in einem eigenen Artikel vor.

Rustre „Still Afraid of Heights“ (ThinkLoud)

Ok, dieses Album ist ein klassischer Fall von: untergegangen. Der Fotograf Gregor Barth hat es durch seine Foto-Doku über Rustre aber nochmals hervorgeholt – hier also eine verspätete Vorstellung.

Zugegeben: Bis Gregor von seinem Projekt mit Rustre sprach, hatte ich noch nie von ihm gehört. Und ja, mit seinem Electronica-Lofi-Pop fällt er auch leicht aus dem frohfroh-Radar. Der Emotionalität von „Still Afraid of Heights“ kann man sich aber schwer entziehen. Zu der ebenso minimalistischen wie harmonisch aufgeladenen Elektronik kommt der melancholische Gesang von Rustre hinzu. Und der kann einen mit seiner Emo-Power durchaus erschlagen. Denn er klingt so intim, so nah. Als ob hier alles an Gefühlen frei liegt und man erstmal die Frage klären möchte: Darf ich da hinhören, oder ist das zu privat?

Dreieinhalb Jahre hat Rustre an „Still Afraid of Heights“ gearbeitet – und nach einem Schnellschuss klingt es tatsächlich nicht. Er schichtet Gitarren und Field Recordings übereinander, loopt und pitcht seine Stimme zu verschiedenen Layern. Brüche sind ihm sehr recht. Klaren, auf den klassischen Pop- oder Elektro-Klimax hinarbeitende Dramaturgien dagegen weniger. Teilweise stehen die Stücke am Ende komplett woanders als am Anfang. Rustre knüpft mit seinen Stücken an eine Lofi-Pop-Ästhetik an, die bei mir eine gewisse Nostalgie auslöst. Vielleicht, weil es schon etwas länger her ist, dass mich dieser Schlafzimmer-Frickler-Sound richtig gepackt hat.

Doch: Rustre sollte man im Blick behalten. Zum Beispiel auf diesen Bildern, die Gregor im Rahmen der „Artists“-Reihe von ihm gemacht hat.

Defrostatica und der Future Sound of Leipzig

Die CD ist wieder da – dank eines Samplers von Defrostatica. Und dieser ist eine Ansage. 17 Tracks, 17 Producer, 17x Future Sound of Leipzig.

Ist Defrostatica gerade das fleißigste Label in der Stadt? Oder vergeht nur die Zeit zu schnell? Jedenfalls habe ich gerade das Gefühl, dass jeder zweiter Beitrag von mir das Label featuret. Aber es ist ja auch verdient: Nach der „Rogue Style EP 2“ und der „Alteration EP“ holt Defrostatica nun zum großen Rundumschlag aus und präsentiert auf der Compilation „Future Sound of Leipzig“ siebzehn Tracks von Producern aus Leipzig. Und holt ein vergessen geglaubtes Format zurück: die CD.

Wie, was, Compact Disc? Nur auf den ersten Blick ist das eine seltsame Wahl. Denn seien wir ehrlich: Wieviele DJs legen – gerade im Drum & Bass und noch mehr im Footwork – mit Vinyl überhaupt auf? Ohne die alte Vinyl- vs. Digital-Leier ankurbeln zu wollen: Gerade bei einem hochenergetischen Sound und schnellen Übergängen sind Files fraglos im Vorteil. Und anstatt wieder die ganzen USB-Sticks umzuladen … he, da ist so ne CD doch viel schneller eingepackt und auch rausgeholt.

Und Platz hat so ein Ding: 69 Minuten Musik gibt es hier auf die Ohren. Obwohl der Fokus natürlich auf Drum & Bass und Footwork liegt, wirkt die Trackauswahl abwechslungsreich und stimmig zugleich. Das ist für Compilations in diesem Bereich durchaus ein Kunststück, zeigt aber auch, wie unterschiedlich hiesige Musiker den Sound für sich interpretieren.

Da gibt es gewohnt souveränen Halfstep von alten Hasen wie Kjubi, scheppernde Breakbeats von dem mir bisher unbekannten Maltin Worf, superquirligen Acid von DJ Yumyum oder auch Trap-ähnliche Slow-Mo-Beats von Alza54. The Boy and the Sine erinnern an klassische Dubstep-Qualitäten, LXC refixt „Connor“, indem er einmal quer durch seine Rave-Samples scrollt, und SicStyle lässt ein paar Jungle-Sounds vergnügt auf Footwork treffen. Überhaupt, Footwork scheint hier fast immer durch, manchmal in Form von Samples, manchmal auch in der Platzierung der Bass-Drum. Label-Chef Booga dreht das ganze in seinem Remix zu „Brooklyn“ dann, indem er die Bass-Drum gerade durchmarschieren lässt und damit mal zum Techno rüberwinkt, der neidisch am Gartenzaun steht und die ganze Chose beäugt.

Ja, und dann gibt es als Sahnehäubchen noch „Mahalo“ von KC. Ein kurzer, fast schon intimer Song, bei dem zurückhaltender Gesang auf eine verzerrte Bass-Drum treffen – und der die Compilation nochmal um eine ganz andere Dimension erweitert.

Natürlich gibt es noch viel mehr zu entdecken – einfach mal reinhören:

Wie es zu dem Projekt kam – das erzählen Tina und Booga von Defrostatica vielleicht im folgenden Interview. Außerdem: Am 11.05. findet die Release-Party zur Compilation statt. Dazu gibt es eine kleine Verlosung nach dem Interview:

Future Sound of London, Future Sound of Cambridge, jetzt Future Sound of Leipzig … Mit dem Namen stellt ihr die Compilation bewusst in eine Tradition, den Sound einer Stadt zu präsentieren, oder? Wie kam es zu der Idee?

Wenn wir dir das sagen, müssen wir dich leider umlegen. Hashtag Zwinker. Also wir verstehen das eher als Mission denn als Status. Und ja, wir fänden das schon gut, wenn wir in ein paar Jahren tatsächlich Teil so einer Tradition sein können. Bis dahin gibt es für uns und die Künstlerinnen noch viel zu tun. Darauf haben wir eben auch großen Bock.

Ihr verweist im Promo-Text auf den Leftfield-Bezug, der in Leipzigs Drum & Bass-Szene vorhanden ist. Wie repräsentativ ist dieser und wie prägt er die Compilation?

Zu 100% ist die Compilation von den Vibes der Künstlerinnen geprägt, die schon eine Weile offene Augen & Ohren haben für Spielarten, die zwischen 160-170 BPM und dem jeweilgen Halbtempo liegen. Wir alle haben in den letzten Jahren den Autonomic Sound von dBridge & Co. verinnerlicht, haben die Einflüsse von Chicago Juke und Footwork wahrgenommen und ihre britische Interpretation als musikalischen Schulterschluss von Künstlern wie Om Unit, Fracture und Sam Binga gefeiert.

Es passiert halt sehr viel zwischen 4 on the floor und klassischem Drum & Bass – und wir und die Künstlerinnen mögen die hybriden Stile sehr. Mutantenmusik.

Ich stelle mir vor, dass so ein Projekt durchaus seine Zeit benötigt. Könnt ihr etwas zu dem Entstehungsprozess sagen?

Das war die größte und geilste Schatzsuche, die wir bislang zusammen gemacht haben. Während wir einige Künstlerinnen ja schon eine Weile genervt haben, sind wir dadurch auch noch auf andere gestoßen, die vorher nicht auf unserem Radar waren. Da sind sehr schöne zufällige Domino-Momente entstanden und wir sind sehr glücklich darüber, neue Leute kennengelernt zu haben. Diese neuen Beziehungen wollen wir natürlich ausbauen und werden damit auch gut beschäftigt sein.

Die Idee zur Compilation gab es schon zu Beginn des Labels 2015, aber die Zeit war einfach noch nicht reif. Im Februar diesen Jahres haben wir sie wieder aufgenommen. Jetzt hat es so schnell geklappt, weil wir zum einen LXC vom Leipziger Label Alphacut als Mastering Engineer gewinnen konnten, der ja auch schon einige Künstlerinnen persönlich kennt. Zum Anderen haben wir uns angesichts der Anzahl der Tracks aus Kostengründen gegen Vinyl entschieden. Deshalb ist es dann eine CD geworden.

Gutes Stichwort: Warum eigentlich CD?

Wir finden es wichtig, dass unsere Veröffentlichungen da bleiben, wenn das Internet mal abgeschaltet wird – was wir aber natürlich nicht hoffen. Also wenn es passiert, waren wir’s nicht! Was noch hinzukommt: CD pressen geht viel schneller und eine/r von uns beiden ist der Meinung, dass die CD ein Comeback vor sich hat.

Am 11.05. wird das groß gefeiert: Was erwartet die Besucher?

Ein beseeltes Team Defrostatica aus DJs, Live-Künstlern und seinen Freunden. Hier einmal euphorie.jpg und airhorn.mp3 einfügen.Win win: Defrostatica feiert die Compilation natürlich mit fast allen beteiligten Künstlern groß in der Distillery. Wir verlosen 2 Gästelistenplätze mitsamt einer CD – schreibt einfach in die Kommentare, wieviel bpm ihr am liebsten habt und gebt eure Mail-Adresse an (diese wird nicht öffentlich angezeigt).

Platten aus dem Club – Distillery Records

Das Berghain hat es, das Katerblau auch, genauso das Robert Johnson – und ab sofort die Distillery. Die Rede ist von einem eigenen Club-Label. Die Zeit dafür war überreif, es brauchte jedoch etwas, bis es jemand wirklich in die Hand nahm. Wir haben die beiden getroffen.

„Gibt es etwas, das du gern umgesetzt hättest“, lautete eine Frage an Distillery-Chef Steffen Kache im frohfroh-Interview zum 25. Club-Geburtstag. „Das Thema Label und Booking-Agentur ist über die Jahre leider nicht entstanden. […] Aber das wollen wir jetzt endlich angehen,“ antwortete er darauf. Ein halbes Jahr später ist es nun soweit: Die Distillery startet ihr eigenes Label.

Ein Blick zurück – und auf Discogs – verrät, dass dies nicht der erste Versuch war. Schon einmal erschien eine Compilation im Namen der Distillery. 2001 zum neunten Geburtstag war das, damals noch mit Tracks von Marlow, Frankman, Da Halz und Studio H, einem frühen Projekt von Filburt. Danach folgte sogar eine weitere EP von einem Artist namens Medicine Eardrum. Danach wiederum nichts mehr. Oder doch? Zum 20. Geburtstag gab es doch ein Vinyl. Das war aber ein Geschenk von R.A.N.D. Muzik.

Die Geschichte verbindet
Dass nun nach 25 Jahren endlich der Schritt zu einem Club-Label klappt, ist vor allem zwei Menschen zu verdanken: Gamal (aka Mauro Caracho) und Markus (aka Peter Invasion). Anfang 2017 merkten die beiden bei einem gemeinsamen Essen, dass sie die Idee eines Distillery-Labels reizt. Markus hat mit Riotvan bereits erfolgreiche Label-Erfahrungen gesammelt, Gamal ist seit dem letzten Jahr Distillery-Resident und hatte „Bock, sich dort noch mehr einzubringen“, meint er. Und weiter: „Wir haben uns dann mehrmals getroffen und ein richtiges Konzept geschrieben, eine Art Businessplan. Von Anfang wollten wir auch Steffen mit ins Boot genommen, damit es nicht wieder im Sande verläuft. Am Ende meinte er nur: ‚Finde ich gut, macht mal.’“Gamal und Markus sind seitdem als Label-Manager für Distillery Records zuständig – „relativ autark. Wir versuchen natürlich, Steffen und Marc vom Booking mit einzubinden. Aber sie vertrauen uns“, so Markus. Vertrauen schenkte ohne mit der Wimper zu zucken auch Kompakt. Ein Traditionsvertrieb aus Köln, der für Distillery Records eine Ausnahme vom Aufnahmestopp neuer Labels machte. Die Geschichte verbindet. Und die gemeinsamen Partys. Denis Stockhausen vom Kompakt-Vertrieb kam extra rüber in den Osten, als im letzten Herbst die Wighnomy Brothers in der Distillery ihr Comeback feierten. „Denis meinte, dass dies die beste Party war, die er seit Jahren erlebt hätte,“ so Markus. Da wurde nicht lange gezögert und der Vertriebsvertrag war unterschriftsreif.

Featuring the saturday rave
Die Nummer 1 des Distillery Records-Neustarts kommt eigentlich ein halbes Jahr zu spät. Denn die Debüt-Compilation auf Doppel-Vinyl hat den 25. Club-Geburtstag als Aufhänger. „Doch es ist einiges an Papierkram zu erledigen, wenn man ein Label gründet – wir wollten uns aber keinen Stress machen“, meint Gamal.

Letzte Woche erschien „25 Yrs Distillery“ schließlich, auf Doppel-Vinyl und mit einigen Digital-Bonus-Tracks. Wie so oft bei einem Labelstart wird anfangs erstmal der musikalische Rahmen abgesteckt. Bei der Distillery kommen noch eine Menge historische Verweise dazu. Und so sind neben Tracks von Residents wie Daniel Stefanik, Georg Bigalke, Chris Manura, Lars Christian Müller und Filburt auch Stücke von langjährigen Freunden des Hauses dabei: Joel Mull, Monkey Maffia, Hector Oaks. „Das sind alles Leute, die seit langer Zeit mit dem Club verbunden sind und regelmäßig hier spielen“, sagt Markus.

Gemeint sind jedoch nur die DJs und Producer, die samstags in der Distillery auflegen. Der Freitag mit seinem diversen Breaks-, HipHop- und Dub-Programm bleibt bei Distillery Records außen vor. Vielleicht entsteht für den Freitag irgendwann mal ein eigenes Sub-Label – doch das ist Zukunftsmusik, meint Markus.

Dabei ist auch der Samstag aus Label-Sicht durchaus herausfordernd: „Normalerweise filtert ein Label Musik aus einer bestimmten Musikrichtung heraus. Distillery Records soll aber schon den Sound des Ladens widerspiegeln – und der besteht mit Techno und House aus zwei sehr verschiedenen Stilen“, so Gamal.Demo-Stopp vorm ersten Release
Geplant sind künftig drei bis vier physische Releases plus ein paar Digital Only-EPs pro Jahr. Natürlich geht es dabei um den Aufbau einer Plattform für die distillery-nahen Producer, aber nicht nur. Gleich die nächste Platte bricht mit den Erwartungen. Statt eines Residents legt Joel Mull eine Artist-EP nach, und die wird zudem eher Techno als Tech House oder House sein.

Was der gute Ruf der Distillery nebenbei auch mit sich bringt: Demos einschicken ist sinnlos. Noch vor der ersten Platte waren die Postfächer bei Gamal und Markus voll mit Demos – „auch von großen Namen“. Die ersten zwei Jahre sind allerdings geplant mit Veröffentlichungen. Nicht im Detail, aber von den Künstlern her.

Nach der Release-Party im Kompakt-Store letzte Woche, folgt am kommenden Wochenende zu Hause die große Feier. Dabei ist ein Großteil der Acts, die auch auf der Compilation einen Track beigesteuert haben. Mit dem Label machen künftig auch die Distillery-Showcases über die Heimat hinaus regelmäßiger Sinn. Bisher liefen die nur im Rahmen der großen Geburtstage.

Die Hits
Und wie ist sie nun, die erste Distillery-Platte? Sehr durchmischt mit klassischem House, langatmigen Tech House, straightem Techno, einem Hauch Disco und Breaks. Meine Hits: „Driven“ von Joel Mull, „Monkey Breaks“ von Monkey Maffia, „Thursday Noon“ von Napoleon Dynamite und „Repeating Their Past, Seeding Out Future“ von Hector Oaks.

Behind the nights – Fat Bemme

Was Schmalzbrote mit Drum & Bass zu tun haben, warum das Opening eigentlich die größte Kunst am Abend ist und was es sonst noch über die Veranstaltungsreihe namens Fat Bemme zu sagen gibt, lest ihr hier.

Schon zur Eröffnung des mjut wurde spekuliert, nun ist es offiziell: Fat is back. Nach der Schließung des Westwerks war es nämlich auch mit der Fat Bemme vorbei – bis jetzt. Im mjut findet dieser Tage die Relaunch-Party statt. Ein guter Anlass sich die Veranstaltung, die sich Drum & Bass, genauer dem Neurofunk und weiteren düsteren Stilen, verschrieben hat, genauer anzuschauen. Wir haben Micha aka Aloo und Jan aka Audite von Fat Bemme zum Interview getroffen.  Relaunch #20
Wintermute, Neonlight, Cues, Audite und Aloo sind die sechs Köpfe hinter der Fat Bemme. Neonlight besteht aus zwei Menschen, gesamtzahltechnisch passt es also. Um den Kern schwirren noch Helfer/innen und externer Support herum. So eine Party lässt sich natürlich nicht zu sechst schmeißen. Angefangen hat die Fat Bemme, als sie noch gar nicht Fat Bemme hieß, sondern „Rodeo“.

Nach der Umbenennung folgten vier Jahre im Westwerk mit regelmäßigen Partys und internationalen Gästen. Das größte Highlight in dieser Zeit war in jedem Falle die Veranstaltung mit Ivy Lab, da sind sich beide einig (und schwärmen). Traurig um den Cut nach der Schließung des Westwerks sind sie allerdings nicht. Im Gegenteil, die Pause empfanden sie als gut, denn das Partymodel war irgendwie festgefahren.

„Drum & Bass ist oft zwischen 18 und 25 ein Thema. Dann wandern die Leute zum Techno ab. Na ja, außer uns“, lachen die beiden.

Fast ein Jahr nach der Abschiedsparty ist die Motivation aber wieder da und mit dem mjut haben sie endlich ein neues Zuhause gefunden. „Wir wollten nicht irgendwo wieder anfangen – die Location muss zu uns passen. Schon im Westwerk war die Fat Bemme immer eine Co-Produktion zwischen uns und dem Club, so sollte es auch wieder sein“, erzählt Jan.Um den Fat Bemme-Fans (und denen, die es werden wollen) eine Party auf zwei Floors mit gewohnt düsterem Neurofunk und harter Bass Music zu bieten, wird seit einem halben Jahr gearbeitet. Neues Logo, neuer Club, dieselbe Crew: „Wir sind gespannt wie Publikum, Raum und unsere Musik zusammenspielen. Wir fangen quasi wieder von vorne an und das ist cool.“

Kopf oder Zahl
Nur ums Feiern geht es bei der Fat Bemme btw nicht. Künstler/innennachwuchs fördern und das dazugehörige Empowerment junger DJs stehen ebenfalls auf der Agenda. „Wir sind alle nicht mehr so die Jüngsten“, sagt Jan, „und wir wollten und wollen genau deswegen auch jungen Künstler/innen einen Platz und somit Gigs bieten.“

Zum Schluss werfen die zwei noch fix eine Münze, die entscheiden soll, mit wem der Relaunch starten wird. Ein wichtiger Slot, denn hiermit wird der Grundstein für die restliche Nacht gelegt. Wer von beiden das Opening spielen wird, das könnt ihr dann selbst herausfinden.PS: Die Schmalzbrote (auch in vegetarischer Form) gibt es übrigens echt, kein Witz. Was als kleiner Scherz begann, ist mittlerweile feste Tradition bei Fat Bemme-Partys: Es werden geschmierte Brote verteilt. „Drum & Bass ist eine Musik zu der exzessiv getanzt wird. Ein kleiner Energieschub zwischendurch ist da sicher nicht schlecht“, lacht Micha. Übrigens schmieren Neonlight meistens selbst die Stullen. Eine vom Headliner geschmierte Fett-Bemme bei der Fat Bemme essen – noch ein Grund mehr, am 9. Mai (pünktlich zum Opening) ins mjut zu gehen.

Bilder (farbig): Adrian Bauer

Slave to the Rhythm in der Residenz

Die Performance „Slave to the Rhythm“ vom Choreograf Hermann Heisig setzt sich derzeit in der Residenz vom Schauspiel Leipzig mit der Verbindung von Musik und Bewegung auseinander. Als akustische Quelle holte er sich die Arbeit von Kassem Mosse dazu. In dieser Woche gibt es die Aufführung nochmals in der zweiten Welle zu sehen.

Der 1981 in Leipzig geborene und in Berlin lebende Choreograph, Tänzer und Performer Hermann Heisig setzt sich in seinen Arbeiten vornehmlich mit Reibungseffekten von Körpern in sich, miteinander und mit ihrer Umwelt auseinander. Ihn interessiert das Umständliche und so folgt er der paradoxen Logik, sich in einer Zeit der Entkörperlichung mit Tanz zu beschäftigen. Er blickt auf zahlreiche Kollaborationen zurück, darunter mit der Band Brockdorff Klanglabor. In „Slave to the Rhythm“ produzierte Kassem Mosse den Sound zur Performance, der innerhalb dieser abgespielt und vielmehr als Quelle der Bewegung genutzt wird. Bei der Uraufführung im April war der Sound-Virtuose mit einem DJ-Set nach der Vorstellung dabei.

Im Bühnenraum verteilen sich in den Ecken der Tanzfläche fünf weiß-lackierte Holzkisten, davon zwei in Quaderform, zwei stufenförmig und ein Prisma. Im linken vorderen Teil spielt sich eine Darstellerin auf dem Synthesizer eintönig, auf nur wenigen Tasten entlang. Ein Anspruch auf Vielfältigkeit oder Variation existiert nicht. Nur streng blickt sie über ihre Brille. Kein Lächeln gefährdet die roten Lippen.

Zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer schreiten auf die Bühne. Glitzerjacken, Leggings, Plissee-Rock und Sneaker kleiden sie in schwarz, weiß und grauer Farbauswahl. Die Anweisungen beginnen. Die Bewegungen erfolgen im Rhythmus des Klatschens, der Tanz zur Monotonie des Sounds. „Breath in, Breath out“ und nicht zu vergessen beim synchronen Auf- und Abschreiten: „Enjoy“. Töne dringen ins Nervensystem der Tanzenden ein, um unmittelbar Befehle auszuführen. Die Körper bewegen sich im Takt, wie sich Soldaten zur Marschmusik bewegen. Durch die drei Elemente Zeit, Raum und Körperkraft wird die bloße Bewegung zur künstlerischen, musikalischen Leistung – so der Ansatz von Emilé Jaques-Dalcroze. Dabei werden in Dalcrozes rhythmischer Gymnastik durch die Ausbildung des Nerven- und Muskelsystems sowie des Hörens die Elemente so eingesetzt, dass Musik plastisch realisiert wird.

Der Schweizer Musikpädagoge erhob diesen Ansatz zur Erziehungskunst im Kontext der Lebensreformbewegung des 20. Jahrhunderts. So bedinge Musik und Rhythmus nicht nur körperliche Bewegung, sondern ebenso seelische. Die Bewegung gelte als Ausdruck eines freieren Lebensgefühls, ebenso als Ursprung der geistigen Freiheit. Damit einher ging die Suche nach dem „neuen Menschen“ in der Gegenbewegung zur modernen Welt und war Antwort auf die Sinn- und Identitätskrise als Folge des technischen Fortschritts und der Beschleunigung des Lebens.

Jeder einzelne Schritt wird von der lehrerhaften Akteurin angewiesen, jeder Schritt ist synchron – Abweichungen existieren nicht – Freude auf Zuruf. Auch wenn die Performenden mit letzter Kraft ein Lächeln erzwingen, als sie bereits zum zwanzigsten Mal händehaltend vor- und zurück schreiten und die Zuschauenden in erschöpfte Gesichter blicken. Die Tänzer verschwinden nach und nach von der Bühne bis nur noch einer übrig bleibt. Musik aus. Der Gebliebene tanzt und tanzt und tanzt.

Rhythmus als Quelle von Freude und Kraft – so die Dalcroze-Methode.

Mit weißen Gymnastikbällen in den Händen schreiten die PerformerInnen wieder auf die Bühne, rhythmisch werfen sie die Bälle hoch und runter. Eine Darstellerin tanzt mit der Holzkiste im Off. Die Homogenität bröckelt. Die Gruppe baut aus den weißen Hindernissen eine Rutsche – „The Risk“. Jeder gleitet im eigenen Ausdruck herunter, bis sie „The Risk“ gemeinsam nehmen. Dicht verschlungen ineinander schlafen sie ein. Das Licht wird heller, der Sound erinnert an Vogelgezwitscher.
Die Gruppe spaltet sich. Mitten dominieren im vormaligen monotonen, singulären Sound. Das einst klar Rhythmische wird flächig, das Klangspektrum breiter. Während die einstige Anweisende mit einer Tänzerin in einer Ecke sich zueinander spiegelnd bewegt, tanzen die anderen ekstatisch, unrhythmisch, schlagen sich, bekriegen sich, entkleiden sich teilweise. Das ganzheitliche System der Elemente gerät außer Kontrolle. Die vier Tanzenden positionieren sich in einer Reihe vor dem Publikum. Durch langsame, rhythmische und homogene Bewegungen fungieren die Körper als Betrachtungsfläche. Die Vorstellung endet.

Das System aus Sound und Bewegung erzeugt innerhalb seiner Wirkung eine Ganzheitlichkeit, die es dem Zuschauenden erschwert, beides zu trennen, sich zu fokussieren oder gar zu unterscheiden, ob die Töne aus dem Off kommen. Zufällig oder auch bewusst wird bei der Produktion die Wirkung monotonen Sounds und die damit einhergehende monotone Bewegung, die auch vom Clubs-Dancefloor bekannt ist, aufgegriffen. Gerade bei Techno können Tanzende hierbei einen Trance-Zustand erreichen und eine gefühlte geistige Freiheit erfahren. Doch sind gerade Kassem Mosses Sounds sonst eher untypisch für Stetigkeit und wiederkehrende Elemente. Er nutzt hier also vielmehr die Bandbreite seiner Sound-Variationen. Das Spektrum wird auch in der zweiten Hälfte der Produktion angewendet, als die Homogenität bricht, die Rhythmik außer Kontrolle gerät und das ganzheitliche System zerfällt. Sehenswert und hörenswert – finden wir.

Fotos: Rolf Arnold