Gegenkrach! – Lärmkunst und Clubkultur

Am kommenden Donnerstag findet der erste Teil der Gegenkrach!-Reihe im IfZ statt. Vorab gibt es einen Diskurs zum Krach mit Kurator Alexander Pehlemann.

In ingesamt drei Teilen schlägt die Gegenkrach!-Reihe zwischen Oktober und Dezember den Bogen von den historischen Anfängen und Entwicklungen der Lärmkunst zur heutigen Clubkultur. Denn die heutige Clubmusik ist durchaus „Resultat langer emanzipatorischer Kämpfe.“

Nicht nur inhaltlich ist diese Reihe definitiv eines der Herbsthighlights im IfZ-Programm. Sie wurde auch extrem schlüssig und hochkarätig von Alexander Pehlemann sowie dem Kulturraum e.V. kuratiert.

Pehlemann gibt seit 1993 das Magazin Zonic heraus, das sich tief in die Geschichten und Eigenheiten verschiedener, internationaler Subkulturen begibt. Er ist außerdem Autor beim Ventil Verlag, beim Kunstraum Kulturny Dom Lipsk / Salon Similde involviert, DJ beim Al-Haca Soundsystem und nebenbei ein wandelndes Lexikon für osteuropäische Subkulturen. In seiner Connewitzer Wohnung beantwortete er mir einige Fragen:Wie kam die Idee für die Reihe?

Ich habe mich mit dem IfZ getroffen und ein paar Ideen lanciert. Eine davon war, einmal daran anzusetzen, was sich für historische Fluchtlinien von elektronischer Clubkultur aufstellen lassen könnten. Jetzt ist dieser Dreischritt daraus geworden.

„Zusammen mit dem Kulturraum e.V. und dem IfZ haben wir vor einem Jahr eine Konzeption entwickelt und geschaut, wie es auch zum Ort passt.“

Das finde ich beim IfZ auch interessant, dass es diese Offenheit zur Bildenden Kunst gibt und dass man dies gern weitertreiben möchte.

Der Titel ruft zwar etwas plakativ eine Gegnerschaft aus. Aber beim Futurismus ging es auch noch um ein Entgegensetzen. Da wurde sich gegen die Übermacht der Vergangenheit in Italien aufgestellt. Aus Sicht der Futuristen war Italien ein riesiges Museum, das in seiner Vergangenheit feststeckt und dem man mit einer großen Ohrfeige die Moderne in die Ohren schlagen muss. Unsere Reihe setzt da auch an, mit dem Manifest „Die Kunst der Geräusche“ von Luigi Russolo aus dem Jahr 1913.

Der Futurismus war die Keimzelle des kunstvollen Lärms?

Ja, in gewisser Weise. Es war zumindest die Ausrufung. Es gab natürlich noch weitere Künstler. Aber es lag wohl in der Luft, andere Klanglandschaften einzuspeisen, die neue Geräusche der Umgebung widerspiegelten. Parallel verlief die Suche nach der Atonalität bei Schönberg und danach mischt Dada die Avantgarde auf – auch ein Aufruf zum totalen Umbruch und offensiven Nonsens.

In die Zeit fällt auch Jazz, der für den klassisch europäisch geschulten Kulturmenschen auch erstmal eine Lärmattacke war. Nach dem ersten Weltkrieg vollzog dann unter anderem in der Sowjetunion die Entwicklung der elektronischen Musik mit ersten handlichen elektronischen Instrumenten entscheidende Fortschritte. In den frühen 1920ern wurde dort auch in sehr radikaler Form der Lärmkunstgedanke aufgegriffen. Da gab es Konzertaufführungen für Fabriksirenen.

Krach in dem Sinne hat schon etwas mit Innovation, Befreien und Aufbrechen von Strukturen zu tun?

Ja, durchaus. Im Bewusstsein der möglichen Ambivalenzen muss aber hinzugefügt werden, dass es auch den regressiven Krach gibt. Krach, der affirmativ an Gewalt appelliert und eine Verkörperung eines Klangsozialdarwinismus ist. Das ist ja eine Diskussion, die man auch anhand von schnöder Rockmusik führen kann. Natürlich ist auch nicht zu vernachlässigen, wie die Dinge manipulativ eingesetzt werden können, im Sinne von Propaganda. Es sind ja Wirkungsmechanismen, die erstmal funktionieren. Gebündelter Krach, zum Ornament geformt ist dann ganz schnell Pathos. Und Pathos ist schnell auch Kitsch, aber auch ein funktionierender Aufwühlmoment.

Gibt es so etwas wie eine Evolution des Krachs?

Es gibt vielleicht eine Ausdifferenzierung. Es gibt heute die extremen Möglichkeiten der digitalen Produktion, die sämtliche sonischen Ausdrucksmittel abrufbar gemacht haben. Russolo hat noch mühselig riesige Apparaturen gebaut, um verschiedene Formen von Krach erzeugen zu können. Er hat sogar Krachfamilien entworfen, Schnarren, Pfeifen, Quietschen, etc. Dann gibt es natürlich den real existierenden Umgebungskrach, der eingespeist wird. Das hat der Futurismus vorher schon eingefordert, beispielsweise mit der Lautpoesie. Da gab es im Futurismus teilweise eine Nachbildung des realen, modernen Krachs der Maschinen, die einen damals plötzlich im Alltag umgeben haben.

Neu war, das überhaupt ästhetisch wahrzunehmen. Nicht als Störelement und als reinen Krach, sondern als etwas, das man ästhetisch vielleicht erstmal nur wahrnehmen, später aber auch goutieren und als Material benutzen kann. Später konnte man die Dinge auch speichern, wodurch sich das gespeicherte Material auch wieder eingespeist werden konnte – das entwickelt sich immer weiter. Es gab ja eine lange Phase, in der mit Manipulationen von Magnetbändern gearbeitet wurde, Loops zerschneiden, Dinge zerlegen und neu zusammenzusetzen. Da ist mit der Digitalisierung nun alles möglich. Alles ist zudem seither auch schon da und permanent abrufbar.

Kann es auch eine Neubewertung von Krach geben? Etwas was ursprünglich als Krach empfunden wurde, wird irgendwann als ästhetisch wahrgenommen? Beim Techno kann das ja so gesehen werden, aber gibt noch andere Beispiele?

In der neuen E-Musik gibt es das, die Gewöhnung an Atonalität und Dissonanz, egal ob mit klassischem Instrumentarium oder mit Zuspielband erzeugt. Das ist generell aber etwas, über das man dann sicher mit Dimitri Hegemann gut sprechen kann. Zumindest kann man sagen: Gut, die Dinge haben ihre Schockwirkung, aber diese Wirkung schlägt auch bald um in eine Art Gewöhnungsrezeptionshaltung und dann muss es irgendwie noch weiter gehen. Zum Beispiel in der Bemühung, die Dinge immer weiter aufzulösen.

Das lässt sich auch in anderen Bereichen wie Black Metal hören. Am Ende geht es da auch fast bis zu einer monochromatischen Auflösung in der Soundwolke und dann ist der Bogen schnell zu einer Band wie Sunn O))) geschlagen, die auch auf Minimal Music und moderne ernste Musik zurückgreift. Da kommen die Dinge plötzlich zusammen und dann spielt so eine Band eben auch im Berghain.

20.10.2016 / Der Kampf um den Lärm – zur Ästhetik der Geräuschmusik

Am ersten Abend wird Dr. Johannes Ullmaier, Mitbegründer und Mitherausgeber der testcard-Reihe einen einleitenden Vortrag halten, der exemplarisch einige Stationen zwischen Luigi Russolos Manifest „L’Arte dei Rumori“ – „Die Kunst der Geräusche“ –, Musique Concrete bis hin zu Industrial als wichtigem Impulsgeber für Techno anreißen wird.

Im Anschluss wird der Dokumentarfilm „Industrial Soundtrack For The Urban Decay“ gezeigt, der in mehreren Artist-Interviews die Entstehung von Industrial nachzeichnet.

25.11.2016 / Kassettentäter Ost/West

Östlich und westlich der innerdeutschen Grenze existierten eigene Szenen, die sich von Punk und Post inspiriert selbst verwirklichten und in Eigenvertrieb Kassetten herausbrachten. Mit Felix Kubin aus Hamburg und Jan Kummer vom weirden Avantgarde-Kollektiv AG Geige aus Chemnitz erzählen zwei Szene-Protagonisten aus ihrer Zeit in den 1980er Jahren.

Danach gibt es ein Live-Set von Karl Marx Stadt, der tatsächlich dort geboren wurde und zufällig ein Schaufensterkonzert von AG Geige erlebte. Am 25.11. wird er alte Original-Aufnahmen mit seinen analogen Synthesizern remixen – teilweise wird sogar Jan Kummer daneben stehen und alte AG Geige-Texte vortragen. Etwas, das so schnell wahrscheinlich nicht wieder passieren wird. Logisch, dass es an dem Abend auch die limitierte AG Geige-Box geben wird. Anschließend mixen Pehlemann und Kubin gemeinsam den Ost-West-Underground zusammen.

gegenkrach_0316.12.2016 / Atonal | Funktional

Im letzten Teil der Reihe wird Dimitri Hegemann aus seinem Leben auf der Tangente (West-)Berlin und Detroit erzählen. Der Begründer des Tresor-Clubs und Atonal-Festivals hat wie kaum ein anderer Akteur den Übergang zwischen Industrial, Post Punk und Wave hin zu Techno mitgeprägt. Heute versucht er in Detroit und in der Provinz des Berliner Umlands neue Strukturen aufzubauen.

Passenderweise spielt an diesem Abend auch Basic Channel-Hero Moritz von Oswald ein DJ-Set. Eine osteuropäische Konzept-Kunst-Legende sind Autopsia, die sich im serbischen Novi Sad 1980 gründeten und heute in Prag leben. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit dem Tod, musikalisch bewegen sie sich zwischen „Industrial, Neoclassical-Ambient und dystopischen Dub“.

Darüber hinaus wird es an diesem letzten Abend mit „Full Zero“ eine audiovisuelle Live-Performance des Dresdner Künstlers Ulf Langheinrich geben. Minimal Sound und hypnotische Bassstrukturen in 4.1-Surround werden mit extrem nahen Kamera der chinesischen Performerin Luo Yuebing verknüpft.

Matthias Tanzmann „Momentum“ (Moon Harbour Recordings)

Acht Jahre hat es gedauert – doch nun ist Matthias Tanzmanns zweites Album herausgekommen.

Vor einem Monat ging recht überraschend die erste Ankündigung raus, das der „Restless“-Nachfolger ansteht. Und es machte sich bei mir eine gewisse Vorfreude breit. Denn einerseits bringen die Artist-Alben auf Moon Harbour meist ein paar gute Verschnaufpausen von der EP-Funktionalität, andererseits ist es natürlich spannend zu hören, was Matthias Tanzmann nach so langer Zeit im Langformat zu sagen hat.

Konzeptionell nicht viel neues: Auch „Restless“ brachte einen Mix aus straighteren, deepen und dubbig-ruhigen Stücken mit sich. Ein Album für verschiedene DJ-Stimmungen, so beschrieb Matthias Tanzmann den Albumansatz 2008 und so tut er es auch 2016. Ästhetisch sind die zehn Tracks auf „Momentum“ aber durchaus auf einem weiteren Level. Da ist einerseits die Reduktion noch mehr verfeinert und abgerundet worden. Da sind aber auch ein paar mehr Tech House-Längen und ab und zu ein cleaner, plastischer Funk mit drin.

Aber die Hälfte des Albums gibt sich eine ordentliche Spur runtergefahrener, entspannter und weniger auf den Dancefloor fokussiert. „Tamarin“ und „Sfumato“ beispielsweise. Beide sind angenehm understatement und subtil minimalistisch. „Rybu“ gefällt durch seine süß melancholische, poetische Grundstimmung. Und mit „Fireworks On The Roof“ sowie „Uptown Vitamins“ besinnt sich Tanzmann auf den Deep House um 2000, super entschlackt, aber mit großer warmer Deepness versehen. Auch „Laika“ geht zu den Wurzeln, hier aber mehr zu den dubbigen House-Ausläufern.

Auch wenn meine Freude an „Momentum“ eher aus einer Nostalgie als einem innovativen Ansatz resultiert: Es bringt mir Matthias Tanzmann und Moon Harbour für einen Moment näher – und bestenfalls dauert es nicht wieder acht Jahre bis zum nächsten Album.

Arpen „s/t“ (Analogsoul)

Es ist soweit: Arpens selbstbetiteltes Debüt-Album ist endlich draußen. Und es ist sehr sehr groß.

Obwohl es so kurz ist. Nach acht Songs und 25 Minuten ist es schon wieder vorbei und hinterlässt eine enorme Sehnsucht nach mehr von diesen entrückten Pop-Elektronik-Hybriden, die Arpen hier erschaffen hat. Bisher war er meist in anderen Konstellationen zu erleben, bei Mud Muhaka und A Forest zum Beispiel. Oder mit einer erdigen Folk-EP.

Dass nun ein derart schlüssiges Verweben von Singer/Songwriter-Pop und den offenen Strukturen von elektronischer Musik herauskommt, war so nicht direkt zu erwarten. Auch wenn Arpen immer schon offen für die verschiedensten Genres war, wie er im Interview erzählt, das nächste Woche bei uns erscheint. Zusammen mit dem Berliner Studio-Duo Zodiaque und Niklas Kraft (Talski) hat Arpen auf diesem Album alles entzerrt und weitgehend von klassischen Pop-Schemen losgelöst.

Besonders ragen hier „For How Long, How Long“, „tmttb“ (mit Friederike Bernhardt) und „Fake“ heraus. Sie stehen prototypisch für das, was uns hoffentlich künftig noch konsequenter von Arpen aufgeführt wird. Nämlich ein faszinierender Spagat zwischen Eingängigkeit und Experimentierfreude, zwischen Emotionalität und Dissonanz, Repetivität und kompositorischer Dichte.

Mit „For All“ und „The Well“ gibt es aber auch noch die Übergangsformen, bei denen der Pop durchaus dominiert. Oder gar ganz klar in Richtung Hit schielt, wie „All The Things“. Sie fügen sie hier sehr gut ein, genauso wie zwei instrumentale Passagen. Jedem Song ist übrigens im Booklet eine Fotografie gewidmet. Sortieren muss sie jeder für sich. Auch hier: Offenheit, die Raum für eigene Interpretationen lässt. Was will man von einem Album mehr?

Randy Barracuda & Stiletti-Ana presents „Mlipuke“ (Rat Life Records)

Rat Life Records bleibt weiterhin unberechenbar. Mit der „Mlipuke“-EP sind nach Monojunk abermals finnische Künstler zu Gast. Skweee- und Electro-Funk-Großmeister Randy Barracuda hat zusammen mit dem nicht minder von Synthesizern begeisterten Stiletti-Ana drei nervös bleepende, roughe Jam-Sessions aufgenommen.

Gerade bei „Mlipuke II“ mäandern allerlei blinkende Synths nahezu krautig am Rande eines kollektiven Schaltkreis-Zusammenbruchs auf einem Afrobeat-beeinflussten Drum-Pattern. Eine Bombe, die so manche Kinnlade nach unten klappen lässt. „Mlipuke I“ greift dieselben Sounds auf, aber augenzwinkert einige Rave-Anleihe-Parodien dazu. Bei „Mlipuke III“ sind dagegen die Retro-Computerspiel-Tendenzen am stärksten ausgeprägt. Clatterbox räumt „Mlipuke III“ dann ein wenig auf und schiebt es lässig ohne Bassdrum in den Weltraum.

Schon seltsam, dass in Zeiten der digitalen Sound-Perfektion ausgerechnet munter herumfiepsende Geräte den verrücktesten rohen Funk hervorbringen. Diese EP zeigt das sehr eindrucksvoll.

Refugees – Support und Diskurs

In der letzten Woche kam das Thema Flüchtlinge aus zwei verschiedenen Perspektiven in den Themenfokus für frohfroh. Als Support- und Diskurs-Aufruf.

Zuerst der Support: Georg Bigalke hat nämlich einen Track zur aktuellen „Loose Lips“-Compilation beigetragen, deren Erlöse zu 100 Prozent an Refugee Community Kitchen gehen. Die Initiative kocht jeden Tag mehrere Tausend warme Mahlzeiten für die festsitzenden Flüchtlinge an der französischen Küste bei Calais und Dunkerque.

Das Londoner Label Loose Lips wiederum widmet sich mit Compilations, Partys in Großbritannien und einem Blog der musikalischen Offenheit. Ohne Genre-Scheuklappen. Nachdem die Einnahmen einer Party bereits gespendet wurden, wollten die Betreiber dies mit einer Compilation wiederholen. Mit dem karg-ruppigen Techno-Track „Pinnt“ ist auch Georg Bigalke dabei. Zeitgleich ruft Refugee Communtiy Kitchen zur Winterkampagne auf, um sein Angebot auch im Winter anbieten zu können. Mit der „Loose Lips“-Compilation lässt sich der Support musikalisch verbinden.

Nun der Diskurs: Das Conne Island-Plenum hat am gestrigen Freitag ein sehr offenes, ebenso selbstkritisches wie mutiges Statement veröffentlicht, das den gesellschaftlich und moralisch heiklen Umgang mit übergriffigen Flüchtlingen im Party-Kontext thematisiert.

Das Island übernahm Ende letzten Jahres ebenfalls eine offene Willkommenskultur und bot Flüchtlingen neben integrativen Projekten gegen einen geringen Spendenbetrag Eintritt zu den Konzerten und Partys. Offenbar kam es in diesem Jahr dabei aber häufiger zu unangenehmen Situationen. „Sexistische Anmachen und körperliche Übergriffe sind in diesem Zusammenhang im Conne Island und in anderen Clubs vermehrt aufgetreten – auch mit der Konsequenz, dass weibliche Gäste auf Besuche verzichten, um Übergriffen und Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen“, heißt es in dem Statement.

Und weiter: „Entgegen unseres üblichen Vorgehens musste beispielsweise in mehr als einem Fall die Polizei eingeschaltet werden, da das Maß an körperlicher Gewalt gegenüber den Secu-Personen nicht mehr zu handhaben war. Aufgrund dieser Überforderung kam sogar die Überlegung auf, Parties vorübergehend auszusetzen.“

Das Conne Island spricht sehr treffend das Dilemma an, mit dem sich sicherlich alle Leipziger Clubs aktuell auseinanderzusetzen haben: Wie umgehen, wenn Sprachbarrieren die Kommunikation erschweren? Wie sich sexistischen Übergriffen, machohaftem Auftreten, antisemitischem, rassistischem und generell diskriminierendem Verhalten von Menschen mit Migrationshintergrund entgegensetzen, ohne in kulturalistische Muster zu verfallen oder dem Rechtspopulismus in die Karten zu spielen. „Die Situation ist jedoch derart angespannt und belastend für viele Betroffene und auch für die Betreiber_innen des Conne Islands, dass ein verbales Umschiffen des Sachverhalts nicht mehr zweckdienlich scheint. Wir halten eine Thematisierung der Problematik innerhalb der Linken für längst überfällig.“

Das ganze Statement gibt es hier zu lesen. Vielleicht läutet es tatsächlich eine weitere öffentliche, ebenso empathische wie kritische Debatte ein. Sie dürfte auch über Leipzig hinaus sehr hilfreich sein.

Bild-Credit: Conne Island-Facebook-Notiz

Neuer Poetry-Drive x Schmutzige Teenager

In der Eisenbahnstraße wildern die Schmutzigen Teenager ja in allen möglichen Genres – mit Ty Grrr, Chi Mofukka und Fritz Prostata haben sie nun auch richtige Stimmen bekommen.

Schmutzige, wer? Es ging bei uns los mit Thigh Gap Boi, den wir im letzten Jahr durch Zufall bei Soundcloud entdeckten und der uns mit seinem Mix aus Electronica, TripHop, Trap und noch vielem mehr sehr flashte. Später fragten wir nach einem Track für unsere Support-Compilation, der unsere Zusammenstellung im besten Sinne ordentlich durcheinander brachte. In den Mails, die damals hin und her gingen, wurde aber deutlich, dass es noch einen Haufen weiterer Leute gäbe, irgendwie vereint als Schmutzige Teenager. Mit eigenem Laden und eigenen Partys.

In den vergangenen Monaten ging deren Output bei Soundcloud mehr in Richtung HipHop, Trap und Cloud Rap. Jedoch auch hier sehr weit von den Classics und aktuellen Standards entfernt. Dafür in einem Wechselspiel aus politisiert aufgeladener Spannung und Dada. Ty Grrr, Chi Mofukka und Fritz Prostata haben mit ihren Rap-Parts entscheidenden Anteil an diesem neuen Drive der Schmutzigen Teenager. Mehr oder weniger diffuser Poetry Slam mit Punk-Attitüde und fetten Trap-8bit-Dubstep-Tracks kommt dabei heraus. Irgendwie erinnert mich das immer auch an die Hamburger Pop-Avantgarde. Ich bin addicted.

Und so klingt das:

Umkehrprozess mit dem Philipp Rumsch Ensemble

Elektronische Musik entsteht ja oftmals aus digitalen, abstrakten Klängen – Philipp Rumsch ist an einem Umkehrprozess interessiert.

Konkret heißt das: Er greift die ästhetischen Prinzipien von elektronischer Musik, wie repetitive, reduzierte und mäandernde Arrangements, auf, erzeugt die Sounds aber mit einem Ensemble aus elf Musikern der Leipziger und Berliner Jazzszene. Klanglich beeinflusst sei das ganze von „Perotin über Erik Satie und Steve Reich bis hin zu Brian Eno, Aphex Twin sowie Ben Frost.“ Wobei aber neben der grundlegenden Ambient- und Electronica-Erdung auch eine gewisse Offenheit für Pop und Klassische Musik vorhanden ist, wie das erste Soundcloud-Set verrät.

Philipp Rumsch selbst studiert gerade an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig Jazzklavier. Im vergangenen Jahr gründete er das Ensemble mit Trompete, Posaune, Saxofon, Klarinette, Vibraphon, Gitarre, Kontrabass, Schlagzeug und Klavier. Dabei ist übrigens auch Joshua Lutz alias The Road Up North – im Frühjahr hatten wir ihn vorgestellt. Und als ob dies nicht alles schon höchst ambitioniert ist, lässt er in diesem Zusammenspiel auch die Improvisation zu.

Das klingt alles nach großer Materialschlacht und Großspurigkeit. Aber hört man die Tracks der „Reflections“-EP auf Soundcloud, dann sind die Arrangements des Philipp Rumsch Ensembles angenehm zurückgenommen und melancholisch eingefärbt. Derzeit ist das Ensemble auf Tour durch Jazzclubs, Galerien und Clubs. In Leipzig treten sie beispielsweise morgen im Elipamanoke auf. Anschließend ist eine Aufnahmesession für das erste Album statt. Es dürfte also demnächst lauter um das Philipp Rumsch Ensemble werden.

Kurt Y. Gödel „Chord Rememory“ (Yuyay Records)

Ein neues Lebenszeichen von Yuyay Records: Nach der „Endomorphism“-EP scheint Label-Chef Robyrt Hecht auf den Geschmack gekommen zu sein und somit ist auch die neunte Veröffentlichung im 12″-Format erschienen. „Chord Rememory“ schaut auf den mittlerweile recht üppigen Katalog des Labels zurück und sammelt vier Remixe des Stücks „Chord Memory“, das auf der sechsten EP „Axiomatic System“ 2015 erschien. Daneben gibt es außerdem zwei neue Tracks von Kurt Y. Gödel alias Nachtzug.

Gleich zu Beginn wird mit Hyboid’s „Galactic Memory“-Mix die große Dancefloor-Bombe ausgepackt. Hyboid packt das aufgeräumte Orginal in ein galaktisches Space Disco Setting und ist damit der Platzhirsch der EP. Hit-Garantie! Robyrt Hecht beleuchtet mit seinem „Pivot Memory“-Mix eher dem verspielt-funkige Seite, die das Stück annehmen kann, und setzt einen entspannnten Kontrast zum dringlichen Remix von Hyboid. Mit „Execute“ von Nachtzug klingt die A-Seite ruhig aus.

Auf der B-Seite zielt der knarzige „Mutiny Memory“-Mix von Milium straight auf dunkle Keller-Partys und erweitert damit auch den Yuyay-Sound um eine düstere Electro-Note. CCO fährt die Geschwindigkeit herunter und kleidet das Stück mit dem „Echoic Memory“-Mix in ein Dub-Techno-Gewand der ebenfalls dunkleren Sorte. Zum Abschluss zieht uns Nachtzug mit sphärischen Ambient-Stück „Memory Loss“ in die Weiten des Alls.

Erstaunlich, wie auf dieser EP die verschiedenen Färbungen zwischen funky und düster zusammenkommen und doch eine einheitliche Erzählung formulieren. Dass „Chord Rememory“ nicht nur in verschiedenen Kontexten zum DJ-Einsatz kommen kann, sondern auch am Stück als Hörerlebnis funktioniert, ist selten für Remix-EPs. Yuyay Records bleibt seinem erzählerischen Ansatz zum Glück weiterhin treu.

Five Favs September 2016

Welche fünf Tracks haben uns im September besonders gefallen? Wir haben noch einmal nachgehört.

Abe „Sealand“ (Doumen)

Der September war ein guter Monat für Alben. Drei haben wir vorgestellt und „Paddy Roy Bates“ vom Amsterdamer Newcomer Abe mögen wir besonders – einfach weil es „ein super einnehmendes Listening-Album [ist], wie der Score eines zerkratzten, teilweise unscharfen Dokumentarfilmes. Mit bedrohlichen, spielerischen und poetischen Phasen.“ Wir einigen uns hier auf „Sealand“, obwohl es durchweg gute Stücke auf dem Album gibt.

Kiki Hitomi „Yume No Hana“ (Jahtari)

Irgendwie scheint es um Jahtari ruhiger geworden zu sein. Doch der Schein trügt: Das Label-Netzwerk ist nach wie vor aktiv und offen für große Würfe. Das letzte Album hat dies wieder deutlich gemacht. Kiki Hitomi aus dem King Midas Sound-Umfeld lebt mittlerweile in Leipzig und hat mit „Karma No Kusari“ ein unglaublich gutes Japan-8bit-Dub-Pop-Album herausgebracht. Fact und Resident Advisor lieben es ebenfalls, vielleicht, weil „immer … dieser faszinierende, melancholische wie auch spirituelle Grundton mit[schwingt], wie man ihn auch aus Animes wie „Ghost in the Shell“ kennt.

Deko Deko „Don’t Get Me Wrong“ (O*RS)

Und noch ein Album stand im September an, ein bereits lang erwartetes: Deko Deko brachten ihr „Neustadt“ heraus und erzählten uns im Interview, warum es alles länger dauerte. Am Ende klingt es „super fokussiert und kompakt. Das lässt die Songs noch erhabener wirken, frei von Längen und Ballast. Wie eine Verdichtung der ursprünglichen Idee.“ Das reduzierte „Don’t Get Me Wrong“ gefiel uns besonders.

Kiat „Procession“ (Defrostatica)

Ein Jahr nach dem Doppel-Debüt ging es bei Defrostatica weiter – und das gab nicht nur neuen Input abseits der geraden Beats, sondern auch eine sehr persönliche EP des in Singapur lebenden Producers Kiat. Mit Leipzig und speziell Label-Head Booga verbindet ihn eine langjährige Freundschaft. Sie brachte nun eine eigene EP hervor, die subtil geschichteten Drum & Bass featured. Unser Hit: „Procession“, ein Track, der „in seiner nie zu vertrackten Rhythmik und den Drum-Samples nach einer Verbeugung vor den regelrecht legendären frühen Tracks von Photek [klingt].

Fr Fels „On The Run“ (Ortloff)

Ein freudiges Wiederhören gab es im September auch mit Ortloff. Dieses Mal nahm sich mit Fr Fels einer der beiden Label-Betreiber die beiden Vinyl-Seiten, um eigene Tracks zu veröffentlichen. Und die klangen erstaunlich analoger, rauer und straight im Oldschool-Electro geerdet, als man es von seinem vorherigen Projekt kannte.  „’On The Run‘ ist mein Favorit, weil er so fokussiert, leicht hektisch und rastlos davon läuft. Etwas stolpernd in den Beats, in den Sounds und der Bassline aber ganz dicht beisammen gehalten. Mit einer geraden Bassdrum wäre daraus wahrscheinlich ein super mitzerrender Techno-Track geworden. So behält er fast schon was kindliches.“

Neu entdeckt – Liah

Neulich lag ein Brief von Liah im frohfroh-Briefkasten. Darin die erste EP voll mit minimalistischem Dream Pop.

Und „minimalistisch“ müsste eigentlich groß geschrieben werden. Denn Liah widmen sich in sehr konsequenter Weise der musikalischen Reduktion. Wenige Elemente werden eingesetzt, sehr sanft und subtil verwoben.

Dass dies nicht zu karg wirkt, ist in erster Linie den hellen, langsam schwebenden Synth-Sounds und dem dunkleren, verhallten Gesang zu verdanken. Besonders die Reduziertheit sowie die innere Ruhe, die die fünf Songs ausstrahlen, haben mich gepackt. Alles ist sehr offen und entzerrt, fern der klassischen Pop-Strukturen.

„Wir suchen Schönheit in Strukturen, Loops und Überlagerungen.“

So schreibt es mir Drummer Philipp auf meine Mail. Vier Freunde stecken hinter Liah, alle Mitte 20. Vor drei Jahren gründeten sie in Leipzig die Band – stark inspiriert von Shoegaze, Dream Pop und Electronica der späten 1980er. Mit ihrer ersten, selbst veröffentlichten EP wagen sie sich nun erstmals heraus aus ihrem Leutzscher Proberaum.

Zusammen mit dem Filmemacher Paul Schlesier entsteht aktuell für jeden Song ein Video, das die ebenfalls mit elegischen Bildern und Überlagerungen arbeitet. Die ersten sind bereits entstanden. Die EP ist digital oder als CD via Bandcamp erhältlich.

Kontraste mit M.ono & Luvless x Rivulet Records

House ist ja nicht gleich House. Zwei Platten machen das in diesen Tagen wunderbar deutlich.

Dass House – wie fast jedes Genre – sehr unterschiedlich temperiert ausfallen kann, ist nun wirklich keine Neuigkeit. Aber die neuen EPs von M.ono & Luvless und Rivulet Records zeigen die Weite des Spektrums gerade sehr schön auf. Hier der ultra positive High-Energy-Deep House mit Pop-Qualitäten, dort die melancholische, dubbig-eingedunkelte und still schwebende Deepness. Peaktime versus Warm-up/Afterhour.

M.ono & Luvless und Rivulet Records knüpfen jeweils exakt da an, wo sie zuletzt aufgehört haben, wobei erstere mir mit ihrer zweiten EP für das US-Label Kolor LTD noch einmal selbstbewusster erscheinen. Besonders „Losing Memory“ tritt als offensichtlicher Hit auf. „Never Gonna Leave You“ ist dagegen ein Re-Issue – auf O*RS kam das Stück 2012 zuerst heraus. Großes Hit-Potential hat übrigens auch der Beitrag zur „Deep Love“-Compilation von Dirt Crew Recordings.

Die neue Rivulet-Compilation liegt mir musikalisch aber doch mehr. Peonies aus Russland hangelt sich hier mit zwei Tracks entlang der Techno-House-Grenze. Mit durchaus erhöhtem Tempo, aber viel vernebelter, rauschender Deepness. Der New Yorker Ital bringt das mit seinem Remix von „Soft Light“ sogar noch einen Tick besser auf den Punkt. Der perfekte Abtauch-Track.

Außerdem gibt es eine Kollaboration von Berni und Jonas Palzer, die mit schärferen Kanten und raueren Bassdrums in die Kann Records-Sphären vordringen. Rivulet macht mein Herz nach wie vor sehr warm.

Abe „Paddy Roy Bates“ (Doumen)

Abe kommt aus Amsterdam und hat ein extrem feines Gespür für Electronica-Ambient-Schönheit und Avantgarde. Doumen ist begeistert.

Ich bin es auch, soviel gleich vorweg. „Paddy Roy Bates“ ist das Debüt-Album von Abe und es steckt voller Subtexte, die sich mehr oder weniger direkt heraushören lassen. Allein der Titel: Paddy Roy Bates war ursprünglich Major bei der britischen Armee, rief aber Ende der 1960er Jahre eine zurückgelassene Abwehrplattform zu einem eigenen Staat aus – Sealand. Er wollte von dort aus eigentlich einen Piratensender betreiben, um den britischen Rundfunkgesetzen zu entgehen. Stattdessen gab es einigen Trouble mit britischen Behörden und einem deutschen „Einwanderer“, der die Macht auf Sealand übernehmen wollte. Paddy Roy Bates ist mittlerweile gestorben, Sealand gibt es aber weiterhin – auch wenn es nicht als souveräner Staat anerkannt ist.

Tatsächlich tauchen in den Stücken von Abe immer wieder klangliche Hochsee-Assoziationen auf. Möwengeschrei, ein Tankerhorn und metallisches Rasseln beispielsweise. Und auch sonst schimmert permanent eine maritim-spröde Ästhetik durch – sowohl in den rauen Avantgarde- als auch den melodischen Momenten, die den Kontrast zwischen dem unberechenbaren Meer und einer massiven, trotz des Rostes standhaften Stahlfestung sehr gut vertont. Dazu entrückte Synths und unmittelbar wirkende Field Recordings, scharf geschnittene Samples und hintergründige Free Jazz-Ausfahrten.

„Paddy Roy Bates“ ist ein super einnehmendes Listening-Album, wie der Score eines zerkratzten, teilweise unscharfen Dokumentarfilmes.

Mit bedrohlichen, spielerischen und poetischen Phasen. Ein Album, dass sich mehrmals neu entfaltet und doch sehr kongruent als Gesamtwerk auftritt. Eric Dolphy, John Coltrane, Indian Raga sowie afrikanische, polyrhythmische Strukturen sollen Abe dabei musikalisch inspiriert haben. Kein Wunder, dass Doumen sich so freut, „denn für solche Alben haben sie das Label gemacht“, lässt der Info-Text durchblicken. Ein beseeltes Danke dafür.