On Tape #2 – Blaq Numbers

Wir gehen in die zweite Runde mit „On Tape“. Wie der Titel bereits andeutet, dreht sich diese Serie an Artikeln um das Medium Kassette. Genauer gesagt um die Menschen in Leipzig, in deren Arbeit die Kassette eine wichtige Rolle spielt. Sei es als Label, in der Herstellung oder in irgendeiner anderen Art und Weise – Blaq Numbers ist als Label dabei.

Nachdem wir in unserem ersten Teil Shell Tapes vorgestellt haben, möchten wir dieses Mal den Spot auf das Label Blaq Numbers richten. Blaq Numbers veröffentlicht regelmäßig „funky music“ in der Schnittmenge House, Neo-Soul und Downbeat. Und auch wenn stilistisch ziemlich viel drin ist bei den Numbers, so lässt ich doch eine klare musikalische Handschrift erkennen.

Ich für meinen Teil habe das Label der „schwarzen Zahlen“ immer als Leipziger Label wahrgenommen, was tatsächlich nur so halb stimmt. Der Labelbetreiber Matthias Fiedler ist derzeit noch in der thüringischen Provinz ansässig, sein Label allerdings bei einem Leipziger Vertrieb (Inch By Inch), viele Artists auf Blaq Numbers kommen aus Leipzig, er lässt seine Tapes in Leipzig produzieren (T.A.P.E. Muzik) und auch die Erlöse seiner jährlichen Soli-Compilation gehen alle zwei Jahre nach Leipzig (Bärenherz Kinderhospiz). Bei soviel Commitment zu dieser Stadt, kann es schon mal passieren, dass man als lokales Label wahrgenommen wird.

Wir haben uns mit Matthias unterhalten und ihn über sein Label ausgehorcht. Und selbst wenn man sich nicht persönlich gegenüber sitzt, fliegen viele Sympathie-Punkte nach Thüringen. Und vielleicht sieht man Matthias bald öfters in dieser Stadt? Lest selbst.

Kannst du dich und dein Label kurz vorstellen?

Mein Name ist Matthias Fiedler und ich betreibe mein kleines Label seit 2015. Außerdem lege ich gelegentlich auf, habe eine monatliche Sendung namens „Misumi Beach Selections“ auf dem britischen „Noods Radio“ und würde gern auch gern wieder selbst mit dem „Produzieren“ anfangen.

Zurzeit wohne ich noch in der thüringischen Provinz, in der es leider nicht allzu viele Berührungspunkte gibt zu dem was ich mache – weshalb ich mich im Frühjahr nach vielen, vielen Jahren Liebe für diese Stadt endlich aufmache, um nicht nur Gast in Leipzig, sondern hoffentlich ein kleiner Teil der lokalen „Szene“ zu sein. Mein Vertrieb ist hier (Inch By Inch – Anm. der Redaktion), R.A.N.D. ist hier und inzwischen auch wirklich viele tolle Menschen, die ich über die Musik kennengelernt habe.

Mir fällt auf, dass die Musik auf Blaq Numbers unterschiedliche Genres bedient, aber ganz klar eine Handschrift trägt. Zufall?

Naja, ich versuche in einem gewissen Rahmen schon ein bisschen „unberechenbar“ zu bleiben, was die Releases angeht. Das fing damals mit der Namensgebung an. Denn ich wollte von Anfang an vermeiden, mich zu sehr auf ein Genre oder einen Vibe festzulegen – wie man auf der BLAQNUMBERS001 vielleicht gehört hat – und es möglichst unspezifisch halten. Klar, irgendwie House als Basis, aber über die Jahre hat es sich dann doch ziemlich verzweigt. Halt so wie „House Music“ in seiner Entstehungszeit ja auch als Sammelbegriff für alles funktioniert hat, was im Warehouse lief.

Außerdem ist der Name auch ein kleines Augenzwinkern in Richtung der schwarzen Zahlen, die wohl die wenigsten Betreiber:innen von kleinen Labels wie meinem schreiben. Dass das Wortspiel im Englischen nicht funktioniert, hat mir damals aber leider niemand gesagt 🙂

Zur Musikauswahl kann ich es vielleicht herunterbrechen auf: ich mag Funk, also „den“ Funk, das Gefühl. Den alten und den neuen, den analogen und den digitalen. Und den fühle ich eben in ganz vielen Arten von Musik. Leider ist es trotzdem auch von sehr vielen Faktoren, vorrangig Geld, abhängig, ob, wann und auf welchem Medium ich etwas rausbringen kann. Beispielsweise sollte die 2024 erscheinende WHYTENUMBERS008 (Sublabel von Blaq Numbers – Anm. der Redaktion) ursprünglich auf Vinyl, zwischenzeitlich als Tape und dann letztendlich doch als Platte kommen. Und mit all den Detailfragen im Hintergrund können da schnell mal ein bis zwei Jahre Wartezeit entstehen. Das hat zur Folge, dass es oft eben nicht das Zeug ist, was grad en vogue ist, aber irgendwie ist das ja auch das, was ich wollte. Solange ich diese „gewisse Wärme“ bzw. den Soul in den Tracks und Songs spüre, möchte ich sie einfach rausbringen.

Deshalb freue ich mich umso mehr, wenn du von einer Handschrift sprichst. Denn die Gefahr in Beliebigkeit zu rutschen bzw. so wahrgenommen zu werden ist ja schon da. Außerdem ist es meiner Meinung nach nicht so leicht von den „wichtigen“, auf einen Sound spezialisierten DJs richtig wahrgenommen zu werden, wenn die erst eine EP mit jazzy Kram und Lofi-Rap im digitalen Briefkasten haben, dann aber als nächstes vielleicht eine Italonummer, gefolgt von Electro und Breaks. Aber ich hoffe einfach, dass es im Laufe der Zeit für einige Sinn ergibt.

Große Vorbilder sind da beispielsweise Labels wie Apron, Public Possession, Dj Filburt´s Label O*RS und natürlich irgendwie auch Stones Throw, wobei das natürlich eine ganz andere Kragenweite ist. Aber das sind Labels, die sich über Jahre hinweg den Ruf und die Freiheit erarbeitet haben, einfach das zu releasen, worauf sie Lust haben, statt eine Erwartungshaltung zu bedienen. Das möchte ich im kleinen Maßstab auch machen.

Wie findest du deine Künstler:innen oder finden die dich? Sind die Artists alles Freund:innen oder Leute aus deinem Umfeld?

Das ist ganz unterschiedlich – es gibt einige, die von Anfang an dabei waren und es bis heute sind, wie beispielsweise Ranko, Duktus und Lootbeg. Wenn auch teilweise nur sporadisch. Genauso wie Artists die plötzlich „auftauchen“ oder die ich direkt auf Instagram anschreibe, einfach aus einer Laune heraus. Daraus entsteht nur in wenigen Fällen etwas, aber auf jeden Fall würde ich sagen, dass sich alles relativ organisch ergibt. Ich halte zwar immer meine Ohren offen, aber bin jetzt auch nicht mit einer Agenda auf Künstler:inner-Suche.

Vielleicht ein paar Beispiele:

Shuray & Walle habe ich kennengelernt, weil Walle irgendwann mal eine Platte via Discogs bei mir bestellt hat und wir uns dann connected haben und uns kurze Zeit später auf dem TH!NK getroffen haben, wo dann auch Shuray dabei war – genauso wie Filburt natürlich, der mir im Vorlauf zur Labelgründung übrigens auch viele Fragen beantwortet hat.

Albert Vogt / Albyrd habe ich damals in dem legendären Boiler-Room zusammen mit Cinthie gesehen und dachte noch so, wie cool es wäre, ihn irgendwie mal zu featuren. Das war genau der Vibe, den ich damals so vermisst habe und seine Stimme sorgt bei mir bis heute für wohltemperierte Gänsehaut. Und durch einen dummen Zufall ist genau das dann auf der dritten Platte passiert, wenn auch indirekt. Irgendwann habe ich ihn dann selbst gefragt, ob er nicht Lust hätte, einen Song für eine Compilation beizusteuern und es stellte sich heraus, dass er einfach nur super entspannt ist. Nach ein paar einzelnen Songs erschien dann Mitte dieses Jahres seine grandiose „Weimar EP“ mit einem Feature von Miles Bonny als Sahnehäubchen bei mir, was für mich etwas ganz Besonderes war. Leider hat sie nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie meiner Meinung nach verdient hätte. Es ist eben keine Clubmusik, sondern einfach nur unfassbar gute und ehrliche Songs.

Aber wenn ich dann höre, dass mein lieber Duktus und er gerade zusammen an Musik schrauben, dann fühlt sich das schon wieder ziemlich gut an – komplett unabhängig davon, auf welchem Label das später mal landet. Ich mag es, Leute zu connecten, von denen ich denke: das passt einfach. Deshalb schreibe ich zum Beispiel manchmal verschiedene Sänger:innen an und frage, ob sie sich vorstellen könnten mit jemanden aus meinem Umfeld zusammen zu arbeiten. Was mir an Geschäftssinn fehlt, das habe ich vielleicht manchmal an Bauchgefühl.

Warum hast du dich entschieden auf Kassette zu veröffentlichen? Was verbindet dich mit dem Medium Tape?

Angefangen hat das Ganze als „kleine Spielerei“ neben Vinyl. Und zwar mit einem Beat-Tape von Ranko. Als Kind der Neunziger kann ich da natürlich eine gewisse nostalgische Verklärung nicht ganz abstreiten. Aber abgesehen davon hat das Medium Kassette enorme Vorteile für mich. Angefangen bei der bis zu 90-minütigen Laufzeit und dem gewissen „Zwang“ zum Durchhören, an den man sich heute vielleicht erstmal wieder gewöhnen muss. Manche Alben und EPs brauchen ja auch Zeit, um zu „wachsen“. Ich höre immer wieder von Artists, wie frustrierend ein Release heutzutage sein kann, denn der „Hype“ ist nach ein paar Tagen vorbei. Was leider nicht besonders überraschend ist, angesichts der absoluten Übersättigung und Schnelllebigkeit der aktuellen Zeit. In meinem letzten Jahr als Thirtysomething bin ich wohl auch nicht ganz verschont geblieben von einem gewissen Kulturpessimismus.

Auch beim Klang kommt da wieder diese „gewisse Wärme“ und eine angenehme Grobkörnigkeit ins Spiel. Außerdem bricht einem Vinyl schnell mal das finanzielle Genick, wenn es schlecht läuft und man es allein stemmen muss. Dazu kommen noch die nicht zu vermeidenden, teilweise sehr langen Wartezeiten. Wobei ich das Gefühl habe, das bessert sich gerade überall.

Hergestellt werden die Tapes übrigens bei T.A.P.E. Muzik, der kleinen Schwester vom Presswerk R.A.N.D., die inzwischen sogar die Möglichkeit anbieten, die Tapes mittels UV vollflächig zu bedrucken. Liebe Grüße an dieser Stelle!

Fast schon eine Tradition sind eure Soli-Compilations. Was hat dich auf diese Idee gebracht?

Die sozialen Medien sind ja leider oft ein ziemlich düsterer Ort, aber manchmal spült einem der Algorithmus auch unfassbar tolle Leute und Einrichtungen in den Feed. Angefangen mit dem Kinderhospiz Bärenherz in Markkleeberg, an das die Spende in jedem zweiten Jahr geht. Ich finde es wirklich bewundernswert wie diese Menschen mit den Kids umgehen und was sie ihnen für Möglichkeiten bieten – viel zu viel, um es hier als Randnotiz zu erwähnen. Aber ein aktuelles Beispiel ist Tim, der mit deren Hilfe schon zwei Rapsongs aufgenommen hat. Aktuell sucht er nach jemandem, der/die ihm die Möglichkeit geben kann, trotz seiner Behinderung eine Ausbildung zu machen. Also falls da eine/r von euch eine Idee hat – hier entlang. Wichtig finde ich auch zu erwähnen, dass sie keinerlei staatliche Zuschüsse bekommen, weshalb sie auf Spenden angewiesen sind.

Ehrlichweise muss ich aber sagen, dass sich die 500 bis 1000 Euro, die so zusammenkommen in Anbetracht der tatsächlich dort benötigten Beträge manchmal ein bisschen unzureichend anfühlen. Aber selbst die kommen nicht nur durch den reinen Erlös der Compilations zusammen, allein Herstellung, Mastering, Artwork etc. übersteigen gern mal diese Summe. Vielmehr gibt es auf Bandcamp immer auch die Möglichkeit, mehr als den angegebenen Preis zu zahlen – was viele dann auch nutzen, wenn es für einen guten Zweck ist. Sogar Freunde und Familie geben gern mal etwas dazu und auch ein Teil der Merch-Einnahmen fließt da mit rein.

Zwischenzeitlich ging es an „Takis Shelter“ in Griechenland, betrieben von einen ehemaligen Nachtclubbesitzer und DJ mit einem Herz aus Gold, der sein gesamtes Hab und Gut verkauft hat, um mit seinen über 400 Streunern zusammenzuleben und einigen von ihnen auch ein neues Zuhause vermitteln kann. Außerdem das „Center For Human Rights In Iran“ und an „United Help Ukraine„, die der Zivilbevölkerung direkt nach Kriegsausbruch geholfen hat.

Musikalisch versuche ich Leute aus Leipzig und Artists, die schon bei mir veröffentlicht haben zusammenzubringen. Natürlich frage ich auch gern etwas „größere“ Namen an, mit denen ich bisher releasetechnisch keine Berührungspunkte hatte. Abgesehen davon ist es einfach immer eine schöne Möglichkeit, die Bandbreite des Label zu zeigen. Wie oben bereits erwähnt, möchte ich einfach etwas haben, auf dem Lo-fi-Rap und House neben Broken Beat, Jungle und Neo-Soul stehen kann, OHNE dass es sich zusammengewürfelt anfühlt.

Das Artwork ist bei euch immer sehr stilsicher, mit wem arbeitest du zusammen? Kannst du uns kurz sagen, wer da so mitwirkt?

Danke für das Kompliment! Auch hier muss ich sagen, dass sich alle Zusammenarbeit irgendwie organisch ergeben hat und auch immer mal wechselt. Denn ich mag es, der Sache ab und zu einen frischen Anstrich zu verpassen. Marketing-technisch ist das natürlich nicht allzu clever, aber ich freue mich trotzdem jedes Mal wie ein kleines Kind über neue Artworks und Logos.

Was den kreativen Prozess angeht, da setze ich mich mit den Artists und Illustrator:innen digital zusammen und vermittle eigentlich größtenteils nur, denn wer sonst sollte über den Look der Musik entscheiden, als die Person, die sie erschaffen hat. Ich bin nur der, der am Ende ein kleines Vetorecht hat – von dem ich zum Glück bisher so gut wie keinen Gebrauch machen musste.

Worüber ich mir natürlich gerade viele Gedanken mache, sind die teilweise erschreckend guten Ergebnisse, die KI inzwischen mit den richtigen Prompts erzeugen kann. Ich kann das niemandem vorwerfen, denn Artworks kosten nun mal Geld. Angst macht mir auch die Tatsache, dass man mit all den Tools inzwischen schon eine komplette Fake-Künstler:innen-Identität aufbauen kann – Texte, Stimme, Instrumente, Videos und so weiter. Selbst die Königsdiszlipin, den menschlichen Touch mit all seinen kleinen Fehlern und Ungereimtheiten kann eine KI ja inzwischen ziemlich realistisch simulieren.
Bei der Entwertung von Kunst, die da stattfindet, hinterfragt man an verregneten Tagen wie heute vielleicht schon mal, warum man all seine Zeit, Leidenschaft und Geld investiert. Aber um auf einer positiven Note zu enden: Ich denke, dass sich wie bei allen technischen Revolutionen in der Musik Menschen finden werden, die das ganze so zweckentfremden, dass es dann doch wieder eine Kunst ist. Und genau so wird es auch immer Leute geben, denen ein „echtes“ Artwork wichtig ist.

Shoutouts an dieser Stelle an Näänie Pää, Sam Tomson, Rosie Rackham, Hallie’s Gallery, den Leipziger Cheslo und auch Super Freak, der ja inzwischen riesengroß geworden ist und unter anderem für Vans, Burger King, NY Times etc. gearbeitet hat. Ich war glücklicherweise vor seinem Durchbruch mit ihm in Kontakt – aus seiner Hand stammen die drei freundlichen Zigaretten, die mich bis heute zum Lächeln bringen. Außerdem möchte ich auch mit einigen Tattoo-Artists zusammenarbeiten, aber das ist noch nicht spruchreif.

Was steht in nächster Zeit so an bei Blaq Numbers?

Ich hoffe, dass ich bald die nächste Compilation ankündigen kann. Aber vorher liegt der Fokus erstmal auf der oben erwähnten Whitelabel (Whytenumbers008 – Anm. der Redaktion) von Real Velour aus Birmingham mit verdammt guten Remixen von Donald Dust und Panthera Krause, die momentan einen Großteil meiner Wohnung in Beschlag nimmt. Denn 300 Stempel wollen erstmal trocknen 🙂 (Die Platte erscheint am 19.01.2024 – Anm. der Redaktion)

Außerdem ist gerade ein Tape von High Park Funk aus Glasgow mit Remixen und Features von u.a. Duktus, Nico Fasho, Brett Eclectic in Produktion – und ich hoffe sehr bald den Vorverkauf in die Wege leiten zu können.

Und obwohl ich nach wie vor absoluter Fan der Sampling-Kultur bin, möchte ich generell ein bisschen mehr „echte“ Stimmen und Instrumente auf dem Label.

Ansonsten bin ich sehr gespannt, wohin sich das alles entwickelt. Ich brauchte erstmal eine Weile, um zu realisieren, dass die Zeiten, in denen man einfach eine gute Platte rausgebracht hat und die dann schon irgendwie den Weg in die Plattentaschen gefunden hat, wohl vorbei sind. Trotzdem widerstrebt es mir ein bisschen, sich den Regeln des Algorithmus komplett zu unterwerfen – gleichzeitig möchte man ja aber für seine Künstler:innen und natürlich das Label selbst schon eine gewisse Reichweite bekommen. Ein Spagat, von dem ich noch nicht genau weiß, wie man ihn bewältigt. Ich hatte die letzten Jahre eine gewisse „Sinnkrise“ – um es mal freundlich auszudrücken – was letztendlich auch dazu geführt hat, dass mir die notwendige Kommunikation als Bindeglied zwischen den Artists, Grafiker:innen, Music-Blogs etc. an manchen Tagen ziemlich schwer fiel und oft genug dafür gesorgt hat, dass es Probleme und Verzögerungen gab. Umso dankbarer bin ich dafür, dass wirklich die allermeisten dafür Verständnis hatten und man immer einen Kompromiss gefunden hat. Trotzdem schmerzt es sehr, wenn wieder mal ein Release unter dem Radar bleibt, das muss ich ganz ehrlich sagen.

Außerdem stellt sich mir die Frage, wie es mit Bandcamp weitergeht. Noch ist ja alles beim Alten und die Plattform ist mit weitem Abstand die fairste. Das und die Möglichkeit, mit Käufer:innen in Kontakt zu kommen, ist unbezahlbar und hat in den letzten Jahren schon einige private Kontakte ergeben. Trotzdem macht es mir ein bisschen Bauchschmerzen, dass Bandcamp in sehr kurzer Zeit schon zweimal „herumgereicht“ wurde. Wie bei den meisten macht die Plattform den Großteil meiner Einnahmen aus. Sollte sie wegfallen, wird es mir wahrscheinlich nicht möglich sein weiterzumachen.

Ansonsten würde ich mich, wie gesagt, sehr gern selbst mal wieder ans Produzieren trauen. Aber wenn man die ganze Zeit nur von guter Musik umgeben ist, mit der man sich ja irgendwie „messen“ muss, ist das nicht ganz so leicht – gerade für mich als Amateur. Aber vielleicht kann ich da ein bisschen lockerlassen und mache eine Kleinigkeit für die nächste Compilation anstatt nur sinn- und ziellos am heimischen Synthie vor mich zu gniedeln.

Und wenn ich schonmal die Gelegenheit dazu habe, möchte ich mich hier bei allen bedanken, die mich und mein kleines Bedroom-Label die letzten Jahre so unterstützt haben. Und dazu zähle ich natürlich auch frohfroh!


__Verlosung

Auch wir sagen Danke für die ausführlichen Einblicke hinter die Kulissen von Blaq Numbers. Und wir freuen uns sehr, jeweils ein Exemplar der eben frisch erschienenen Label-Releases von Real Velour und High Park Funk verlosen zu dürfen. Bock darauf? Dann schreibt uns bis 26. Januar 2024 eine Mail an dance @ frohfroh.de mit dem Betreff „Blaq Numbers“ und gebt an, welche EP ihr gern zuhause haben wollt.

Vorhören geht hier:

__Fotos

Und hier noch ein herzliches Danke an Nikolas Fabian Kammerer. Von ihm kommen wieder einmal die wunderbaren Bilder dieser On-Tape-Ausgabe.

Behind the nights – Matriarchy

Pünktlich zum Jahresanfang startet in der Neuen Welle eine frische Veranstaltungsreihe. Mit „Matriarchy“ verwirklicht die DJ und Producerin Alba Acab ein Konzept, das auf matriarchalen Werten beruht. Im Interview erzählt sie mehr dazu.

Alba Acabs breakig-deeper Sound ist eine echte Bereicherung für die Leipziger Szene. Die Offenbach-raised und nun Leipzig-based DJ und Producerin hat in ihrer neuen Wahlheimat schon einige musikalische Spuren hinterlassen. Nun startet sie am 12. Januar ihre eigene Reihe in der Neuen Welle – Matriarchy. Mit NVST als Headlinerin, die hauptsächlich in der Schweiz aktiv ist und dem Support von Alba Acab und Sachsenperle verspricht diese erste Nacht kompromisslose Sounds und kreative Stile abseits konventioneller Techno-Veranstaltungen. Wir haben uns mit der Kuratorin der Veranstaltung hingesetzt, um herauszufinden, was es mit ihrem Konzept auf sich hat und was in der nächsten Zeit von Matriarchy zu erwarten ist.

Was bedeutet der Name „Matriarchy“ allgemein – und was bedeutet er für dich?

In matriarchalen Gesellschaften führen die Frauen mit Liebe, die für alle da ist. Der Machtkampf, wie er in patriarchalen Gesellschaften – und eben auch in der Clubszene vorherrscht – soll dadurch abgelöst werden. „Matriarchy“ bedeutet für mich zudem, insbesondere marginalisierte und talentierte Personen mit den Veranstaltungen zu pushen, bei denen das Miteinander im Vordergrund steht – ohne Macker.

Wie hast du Matriarchy begründet?

Also erstmal würde ich gern die Artists nach Leipzig holen, die mir persönlich gefallen. Deswegen habe ich angefangen, Veranstaltungen zu kuratieren. Auch geht es mir besonders als weibliche Veranstalterin darum, nochmal eine andere Perspektive auf das Veranstalten zu geben. Die Idee ist letztes Jahr entstanden: Da hatte ich eine Veranstaltung im T//F und später habe ich in der Neuen Welle aufgelegt. Dort bin ich dann auf die BetreiberInnen zugegangen und wir haben uns darauf geeinigt, „Matriarchy“ in Kooperation zu veranstalten und das gemeinsam aufzuziehen.

Was ist das Konzept der Veranstaltungsreihe?

Ich mache das alles eigentlich alleine, da steht jetzt kein Kollektiv dahinter. Ich habe natürlich viel Support von Freunden, aber Artwork, Booking und so kommen aus einer Hand. In Gruppen kommen da viele Meinungen zusammen. Das bringt auch die Gefahr mit sich, dass dort der rote Faden verloren geht. Allein kann ich meinen Stil und meine Linie fahren, was mir bei dieser Veranstaltung auch wichtig ist. Es ist so auch einfacher, Flinta-Artists zu fördern und zu supporten. Ich komme ja aus Offenbach, was von der Szene sehr männlich dominiert war. Veranstaltungen als Flinta-Person aufzubauen ist auch immer mit Hürden versehen – das will ich mit Matriarchy aufbrechen. Die entscheidenden Positionen sollen von weiblichen Personen besetzt sein.

Lässt sich „Matriarchy“ einem Genre zuordnen oder möchtest du einzelne Genres besonders hervorheben?

Für mich gibts eigentlich in jedem Genre gute Musik und ich habe da auch in den zehn Jahren, in denen ich mich intensiv mit Musik beschäftige, in jeder Richtung was für mich gefunden. Ich finde es cool, wenn sich der Sound abwechselt und fluid ist. Wenn auf Partys aber nur Techno läuft, finde ich das für mich persönlich zu langweilig. Mir ist es wichtig, dass jeder vom Musikgeschmack ein wenig auf die Kosten kommen kann. Genau dafür mache ich das Booking auch. Dazu kommt: Warm-up und Closing fehlen mir momentan sehr in Leipzig – dass kenne ich aus Frankfurt (Main) anders. Ich fände es auch cool, wenn der Abend mit entspanntem Electro beginnen kann und auch mal mit deepem Sound endet und die Gäst:innen einfach viel Spaß beim Tanzen haben.

Wer ist bei der ersten Veranstaltung mit dabei und wieso hast du diese Personen ausgewählt?

Ich war letztes Jahr auf einem Festival in Litauen und bin da sogar für die Artist hingefahren, die ich jetzt gebucht habe: NVST. Durch ihre Produktionen habe ich sie auch schon länger auf dem Schirm und bin großer Fan geworden. Ansonsten habe ich eine Freundin, Sachsenperle, gefragt. Sie spielt Vinyl only und überrascht in ihren Sets immer wieder mit diverser Selection. Ich spiele an dem Abend auch und werde das Closing-Set machen.

Wie sieht es mit der Zukunft von „Matriarchy“ aus?

Momentan mache ich einmal monatlich einen Podcast bei Sphere Radio. Nächsten Monat gehts damit auch weiter, mit diversen Artists, die die Genre-Grenzen aufbrechen. Nach der Party-Premiere am 12. Januar wird es hoffentlich weitere Veranstaltungen in der neuen Welle geben. Die Headlinerin für die nächste Veranstaltung steht theoretisch auch schon fest, aber bleibt erstmal noch geheim.


Matriarchy #1
12. Januar 2024, 23 Uhr
Neue Welle
w/ NVST, Alba Acab, Sachsenperle

New In – The Mix – 2023

Nach einer kleinen Weihnachtspause sind wir zurück. Und wir blicken nochmals zurück auf einige unserer Lieblingstracks aus unserer New In-Serie. Mit einem exklusiven Mix.

Mit New In stellen wir mehr oder weniger regelmäßig einige der wichtigsten Electronic-Releases aus Leipzig des Vormonats vor. Zuletzt haben wir – Nils und Jens – uns immer wieder zu kleinen Listening-Sessions getroffen und uns durch Promo-Files und Bandcamp gewühlt.

Da sind einige Reviews zusammengekommen, aus denen wir am Ende des letzten Jahres sehr subjektiv unsere persönlichen Lieblingstracks herausgefiltert haben. Nils – als Nils Panda auch tatsächlich als DJ aktiv – hat daraus einen rund 45-minütigen Mix gemacht. Voilá:

1. Lekande – It Happens (Row Records)
2. DJ Balduin – Da Float (Kann)
3. Mbius – Mittelsachsen Sundowner (Breakfree Records)
4. Ewan Jansen – Wild Shore (R.A.N.D. Muzik)
5. Kassem Mosse – C2 (Workshop)
6. DJ Balduin – Daphnes Bell (Inch By Inch)
7. Eoism – Relapsing Cycles (Inch By Inch)
8. Credit 00 & Wolf Müller – Urban Utan (Rat Life)
9. Tinkah – Phoenix (Local Knowledge) 
10. Ginko & BSN Posse – Rainforest (Defrostica)
11. Subkutan – Neu Enden (Hypress)

Ein Blick auf die Tracklist beweist: Ja, wir sind DJ Balduin-Fanboys. Aber unabhängig davon war 2023 auch ein starkes Jahr für ihn. Und weil uns das so viel Spaß gemacht hat, haben wir direkt beschlossen, dieses Format am Ende jedes Quartals wiederzubringen.

sens – Sound und Duft

Das ZiMMT hostet mal wieder ein spannendes Festival in den eigenen Hallen – das sens. Es stellt die Connection zwischen Sound und Gerüchen her.

Sound, Duft und Club? Das ist nicht immer die angenehmste Kombination. Da kommen eher Rauch, verschüttete Getränke und Schweiß an die Geruchszellen. Dabei ist die Verbindung zwischen Sound, Bildern und Duft eine überaus spannende Kombination.

Mit sens widmet das Zentrum für immersive Medienkunst, Musik und Technologie vom 11. bis 20. Dezember 2023 diesem multisensorischen Erlebnis ein eigenes Festival. Mit verschiedenen 3D-Audio-Konzerten, einer duftenden Ausstellung und Performances von international renommierten Artists. Mit dabei sind:

Klara Ravat • Antoine Bertin • Wolfgang Georgsdorf • Grace Boyle • Juliane Kowalke • Thomas Hummel • Cleo Dölling • Giulia Francavilla • Hanno Leichtmann & Valerio Tricoli • Louise Rossiter • Michael Akstaller • Moritz Simon Geist • Marie L. Möller • Wiete Sommer mit Cryptoheroes • Victor Mazón Gardoqui

Darüber hinaus bietet sens mit Workshops, Talks und Vorträgen einige Deep Dives in das Thema und schafft einen Raum zum Austausch über medienübergreifende Ansätze, die mit Sound und Gerüchen arbeiten. Warum das so spannend ist? Das ZiMMT erklärt es so:

„Der Geruchssinn ist besonders eng mit unseren Gefühlen und Erinnerungen verbunden. Denn anders als beim Sehen und Hören gelangen die olfaktorischen Reize ungefiltert in die Großhirnrinde, wo die bewusste Wahrnehmung entsteht und Emotionen oder Gedächtnis angesteuert werden.“

Das gesamte Programm findet ihr auf der ZiMMT-Website – Tickets in Form von Tagesmitgliedsausweisen für den ZiMMT-Verein gibt es direkt am jeweiligen Abend.

Verlosung Verlosung

Für das Konzert von Moritz Simon Geist am Samstag (16.12., 20 Uhr) verlosen wir 2 x 2 Tickets. Schick einfach bis 15.12., 15 Uhr eine Mail an dance @ frohfroh.de mit dem Betreff „sens“. Moritz Simon Geist hat die „Präsentation einer Arbeit mit Spatialität, 3D Sound, robotischen Aktoren und Bass“ angekündigt.

Kulturlounge – ein Projektraum seit über 18 Jahren

Die Kulturlounge hat sich als kleine Club-Institution ihren ganz eigenen Platz in der Leipziger Elektronik-Szene aufgebaut. Wer dahinter steckt und warum sich die Kulturlounge nicht als Club im klassischen Sinn sieht, lest ihr in unserem Club-Porträt.

So zentral und doch so versteckt liegt das Gelände der Kulturlounge an der Ecke Gerichtsweg und Dresdner Straße. Seit 2011 ist sie dort zu Hause. Über einen Parkplatz gelangt man zu einem Innenhof, der mir Biergarten- und gleichzeitig Clubaußenbereichsgefühle gibt. Ich erinnere mich zurück an den einen oder anderen Abend, an dem ich diesen Außenbereich schon trubelig gefüllt gesehen habe.

Von Steffi, Pierre, Basti und Christian werde ich herzlich in Empfang genommen. Es ist warm genug, sodass wir für das Gespräch draußen sitzen bleiben können. Die vier stellen sich mir vor und schnell wird klar, dass ihnen die Kulturlounge eine richtige Herzensangelegenheit ist. Das Ganze stemmen sie nicht allein zu viert, sondern es hängt noch ein ganzer Freund:innenkreis dran.

Seit Beginn an dabei ist der Kulturlounge-Papa Pierre, der auch Vorstandsvorsitzender ist und sich scherzhaft als „Hausmeister“ bezeichnet. Mit ihm ging die Idee einen Projektraum zu schaffen aus, welcher seit 2005 unter dem Namen der Kulturlounge als Verein agiert. Die Kulturlounge, so beschreibt Pierre, versteht sich als Projektraum für Kulturschaffende und nicht als Club. Hier finden nicht nur Partys oder Konzerte statt, sondern auch andere Projekte wie z. B. die Kooperation mit den Leipziger Art Days.

Veranstaltungskonzepte und die Unzertrennlichkeit zu „INAR“

Der Fokus der Kulturlounge liegt trotz dessen, dass sie kein Club ist, auf elektronischen Musikveranstaltungen – sonst hätte es frohfroh auch nicht in den Fingern gejuckt, uns den Laden nach all den Jahren mal genauer anzuschauen. Dabei verteilen sich die Veranstaltungen auf 70 Prozent elektronische Musik, ca. 20 Prozent Konzerte und ca. 10 Prozent andere Veranstaltungsformate.

Über die mehr als 18 Jahre hat es schon unterschiedlich ste Veranstaltungsreihen gegeben. So schwelgen alle vier in guter Erinnerung an eine Donnerstagspartyreihe, die bis vor Corona regelmäßig stattgefunden hat. Sie stellen aber auch fest, dass es schön ist, dass Sie den Donnerstag als Crewabend zurückgewonnen haben und so Zeit finden Wochenendveranstaltungen zu planen.

Die Zeiten haben sich eben ein bisschen verändert: „Am Anfang waren wir eher so 25 und jetzt altert auch das Publikum bisschen mit“, beschreibt Basti. Pierre hakt ein, dass dies auch impliziert, dass sie nicht jedem Trend mitmachen müssen und sie sich als Kulturlounge nicht jedes Jahr neu erfinden. Sie haben sich hier ihr „Probierfeld“ in einem kleinen familiären Rahmen bewahrt.

Pierre beschreibt, dass die Location aber eben kein Probierfeld für Partyanfänger:innen sei. Die Veranstaltungen richten sich eher an die 25- bis 45-jährigen unter uns „Die Altersspanne nehmen wir ernst. Wir nehmen zwar auch junge Projekte im Booking auf, sagen aber schon dazu, dass es uns ist lieb, wenn wir hier Ü25-Publikum haben.“

Wer vielleicht das Programm der Kulturlounge verfolgt hat, dem ist bei dem einen oder anderen Flyer oder Veranstaltungstext der Name „INAR“ aufgefallen. Das INAR-Kollektiv pflegt eine seit fast 10 Jahren bestehende Freundschaft und daraus entstandene Zusammenarbeit mit der Kulturlounge. INAR kuratiert regelmäßig elektronische Veranstaltungen und ist sozusagen Kulturlounge-Inventar. Diese Veranstaltungen sind musikalisch zumeist House , Techno oder Minimal – aber auch andere Genres werden vertreten. So kuratiert Steffi zum Beispiel eine Elektro- und Breakbeat-Veranstaltungsreihe namens „H25D“.

„Ich habe da mal reingehört. Da habe ich richtig Bock heute zu arbeiten.“ – Warum Ehrenamt Bock macht

Warum der Laden schon so viele Jahre funktioniert? Die Crew der Kulturlounge bleibt sich treu und legt viel Wert auf freundschaftliches Miteinander. Und sie bringt eine große Vorliebe für elektronische Musik inklusive einer gewissen Gelassenheit mit. Nicht jedem Trend muss dabei nachgerannt werden. Es gehe vielmehr um eine gemeinsame gute Zeit und eine gesunde Neugierde für neue Projekte und musikalischen Wandel. Dabei möchte sich die Kulturlounge insgesamt bedeckt halten und ist glücklich über ihre Position als ehrenamtlicher Veranstaltungsort.

Pierre erklärt, dass dies auch Druck nehme: Man müsse keine festen Gehälter zahlen und wenn die Kapazitäten gerade nicht ausreichen, muss auch keine Veranstaltung stattfinden. Er ergänzt eine Annekdote von Anniko, die letztens gemeint hat: „Ah ja, ich habe da mal reingehört. Da habe ich richtig Bock zu arbeiten.“

Die Leute kommen also dann am Wochenende eher vorbei, weil sie Lust auf die Musik und das Miteinander haben. Ich frage in die Runde, warum sie das denn noch ehrenamtlich machen, das Ganze ist schließlich sehr viel Arbeit. „Ich finde es schön, Leuten so einen Raum zu schaffen. Klar denkt man sich in der Woche davor manchmal: Wow, es ist wirklich viel Arbeit, aber dann, wenn die Veranstaltung ist und die Leute Spaß haben … das gibt mir unglaublich viel.“ Eine schöne Antwort von Steffi, wie ich finde, vor allem, weil man spürt, dass nach so vielen Jahren immer noch die Lust da ist, weiterzumachen.

Christian geht bei diesen Gründen auch mit, ergänzt aber auch „Ich komme aus dem Modellbauchbereich, da sitzt man des Öfteren in seinem stillen Kämmerchen und bastelt Sachen – die Kulturlounge gibt mir einen Raum, dass auch teilen zu können und gleichzeitig Teil von etwas Größerem zu sein.“

Wunschkiste

Zum Abschluss frage ich die vier, was sie sich für die Kulturlounge wünschen. Ein sehr naheliegender Wunsch schießt den vieren sofort in den Kopf: „Noch ein langes Bestehen“. Das wünsche ich der Kulturlounge auch.

Ich bin beeindruckt von der Bestehensdauer des Vereins und auch des Raumes, was keine Selbstverständlichkeit ist, sich so lange an einem Standort halten zu können. Es ist also möglich. Das gibt mir Hoffnung für den Leipziger Osten und seine Kulturlandschaft. Was mir auch Hoffnung gibt, ist das Engagement von den vieren zu sehen und zu hören, wie gerne sie hier sind und wie sie seit so vielen Jahren ehrenamtlich dabei sind, um diesen Raum zu pflegen und zu erhalten.

Website Kulturlounge // Instagram Kulturlounge

Fotos: Hannes Wittmann (Gruppenbild), Kulturlounge (Außen- und Innenansicht)

TransCentury Update 2023 – Recap

Das diesjährige TransCentury Update-Festival ist vorbei – mit unserem Recap könnt ihr nochmals ins Schwelgen, Erinnern oder Vorfreuen auf 2024 kommen.

Es war eine etwas holprige TransCentury-Ausgabe: Das Institut fuer Zukunft fiel als Freitag-Location kurzfristig aus. Wichtige Acts wie Fuffifuffzig und Beak> mussten absagen und das Sonntagskonzert wurde ebenfalls kurzerhand wegen politischer Verstimmungen abgesagt.

Dieses Jahr war für uns auch der Fotograf Oliver Niemann mit seiner Kamera auf dem TransCentury Update unterwegs. „Feines, toll kuratiertes Festival“, meinte er. Doch statt vieler weiterer Worte lassen wir einfach seine Bilder sprechen – vielen Dank an dieser Stelle, Olli.

Donnerstag, 16. November 2023 – UT Connewitz

Hinako Omori
Bendik Giske

Freitag, 17. November 2023 – UT Connewitz

Bar Italia
Bar Italia
Bar Italia
Bar Italia
Decisive Pink
Decisive Pink
Decisive Pink
Decisive Pink
Kokoko!
Kokoko!
Kokoko!
Kokoko!
Mock Media
Mock Media

Samstag, 18. November 2023 – UT Connewitz / Conne Island

Mega Bog
Mega Bog
Mega Bog
Mitsune
Mitsune
Mitsune
Mitsune
Mitsune
Sorry
Sorry
Sorry
Chris Imler
Chris Imler
Fat Dog
Fat Dog
Fat Dog
Team Scheisse
Team Scheisse
Team Scheisse

Teichmann + Soehne „Flows“ (Altin Village & Mine)

Teichmann + Soehne – ein Projektname, der sehr nach Familienbetrieb klingt. Und tatsächlich
verbergen sich dahinter ein Vater und seine zwei Söhne – alle drei in ihren Bereichen geschätzte Musiker. Ihr gemeinsames Debüt-Album erschien nun beim Leipziger Label Altin Village & Mine.

Hinter Teichmann + Soehne steckt einerseits der Jazzmusiker Uli Teichmann. Er spielt seit mehreren Jahrzehnten Saxophon, Mandoline, Klarinette, Percussion, Flöte und Glockenspiel. Und seine beiden Söhne Hannes und Andi haben in der Vergangenheit als Gebrüder Teichmann einige verspielt-organische Minimal- und House-Platten auf Labels wie Disko B oder Kompakt veröffentlicht. Sie stecken zudem hinter dem Label Festplatten und waren immer offen für spannende Kollaborationen mit anderen Musiker:innen. Aus diesen beiden Welten kommend trifft man sich also in der Mitte?

Das Leipziger Label Altin Village & Mine hat zuletzt musikalisch ein wenig umgesattelt oder man könnte auch sagen, „das Repertoire beharrlich erweitert“. Ob lokal oder international, die Grenzen verwischen oder gab es jemals welche? Ob Krautrock, Avant Pop oder Neo-Klassik/Ambient, es wird veröffentlicht, was gefällt und Altin Village, die ich früher eher in die Postpunk/Indie Ecke geschoben habe, ist zu einem sehr modernen und fast schon avantgardistischen Label avanciert. Mit einer über 20-jährigen Label-Geschichte – im letzten Jahr hatten wir darüber ausführlich berichtet.

Das Album „Flows“ der Familie Teichmann hat eine durchaus interessante Entstehungsgeschichte.
Zunächst haben sich die Söhne noch stark abgrenzen wollen vom Jazz-Hintergrund des Vaters. Mit
der Gründung einer Punkband vor vielen Jahren und später mit der Produktion elektronischer
Tanzmusik setzten sie eher auf Einfachheit als auf verspielte Soli. Einen musikalischen Erstkontakt
gab es erst 2012, als die drei für ein gemeinsames Improvisations-Konzert gebucht wurden, weil der Veranstalter es unglaublich fand, dass die Musiker zu diesem Zeitpunkt noch nie gemeinsam auf einer Bühne gestanden hatten.

Aus einer spielerischen und eher lockeren Vorbereitung auf dieses Event wurde schnell Ernst. Dem ersten Konzert folgten viele weitere. Das Ausgangsmaterial für „Flows“ stammt aus unzähligen Probe-Sessions für ihre gemeinsamen Konzerte. Die Aufnahmen wurden selten durch Overdubs ergänzt, jedoch im Nachgang in gemeinsamer Arbeit weiter prozessiert.

Das Ergebnis kann durchaus als das beste aus beiden Welten verstanden werden. Ein Hybrid aus
Elektronica und Jazz. Eine Annäherung, ein Prozess oder um mal beim Titel des Albums zu bleiben
ein „Flow“. Mal steht ein organisches Element mehr im Vordergrund, mal dominiert ein Beat oder
eine rhythmische Struktur. Durch Techniken wie Live-Sampling entstehen neue Layers, die
Improvisation kann fließen.

Eoism – Infinite Balance (Inch By Inch Records)

Eine neue Platte auf Inch By Inch Records, dem Label zum Leipziger Schallplattenladen und zum gleichnamigen Vertrieb. Die sechs Tracks starke EP des Leipzig-/Jenaer Duos Eoism ist eine straighte Electro-Scheibe geworden, die das Genre in all seinen Facetten einmal durchspielt.

Eoism betreiben das Label Pulse Drift Recordings, welches, wie die Artists selbst, für einen astreinen Electro-Sound steht. Und damit sind sie bei Inch By Inch in guter Gesellschaft. Wir erinnern uns gerne zurück an die Electro-Banger-Releases von Vaust und Jotel California.

Den classy Electro-Sound der vorliegenden EP durchweht mitunter eine leichte Melancholie, was den Release spannend macht und ihm zudem einige Home-Listening-Aspekte beschert („Empty Bodies“; „Infinite Games“). Vor allem das Titelstück mit seinem Japan-Vibe und den Voice-Samples hat es mir dabei angetan.

Der Track „Direct Drive“ ist wohl der klassischste Electro-Track der Platte, bei dem ohne Weiteres jeden Moment Anthony Rother durchs Bild tanzen könnte. Beim Video hatte übrigens einmal mehr Gonzo Vocado die Finger mit im Spiel (checkt bitte unbedingt auch das Video zu Jotel Californias Track „Airwavez“!). Großes Video-Kunst-Kino, wenn ihr mich fragt!

Dem Anspruch ein Label für zeitlose Musik zu sein, wird auch die achte Katalog-Nummer auf Inch By Inch gerecht. Diese Musik hat in den 80s, den 90s funktioniert und tut es heute noch. Und wenn ihr die Scheibe in 20 Jahren auflegt, wird sie das immer noch tun. Ja, das Genre mag auserzählt sein, aber das hier ist High-Quality-Shit, der euch mit dem Fuss wippen lässt oder mehr. Oder um es gleich mit den Worten des Labelbetreibers Philipp zu sagen: „Let the robots get up and do the electro boogie!“

Die Platte erscheint diesen Freitag, den 24.11.2023 auf Inch By Inch Records. Der Track „Direct Drive“ feiert heute um 13 Uhr auf SoundCloud seine Premiere – und wir sind direkt mit dabei!

Second Drop of Bassmæssage

Geht es um Bassmusik und Soundsystem-Kultur in Leipzig, dann führt kein Weg an Bassmæssage vorbei. Nun bringt die dahinter stehende Crew ihre zweite Compilation raus – und feiert eine Party dazu.

Seit 2007 lässt die Bassmæssage-Crew an verschiedenen Orten und in unregelmäßigen Abständen selbst gebaute Soundsysteme aufstellen und schmettert darüber tiefe Dub- und Breaks-Bässe raus. Neben Jahtari, Rupture gab es auch schon eine Ausgabe mit Hardwax aus Berlin. Die dahinterstehende Kultur an Sound-Enthusiast:innen haben wir bereits ausführlich vorgestellt. 2015 wurde aus der Party-Reihe auch ein Label, mit einer ersten Compilation. Aber Bassmæssage lässt sich nicht auf klassische Erwartungshaltungen ein – und so hat es acht Jahre gedauert, bis die Katalognummer 002 erscheint.

„Second Drop“ featured erneut ebenso verschiedene Bass- und Drums-Facetten wie auch Acts aus der lokalen und internationalen Szene. Sechs Tracks, sechs unterschiedliche Vibes. Und doch passen sie alle in den Bassmæssage-Kosmos, der sich immer bewusst weitere Spielräume gelassen hat.

Die Compilation startet mit dem frisch-klingenden Halftime-Track „Drip“ des UK-Duos Nuphlo & Bukkha, inklusive sphärischer Weite und präzise dazwischen gesetzter Sounds. Leipzigs Dj Badshape schiebt ihre verspielt-freshen Melodien nach, unterlegt mit einem anfangs hintergründigen Beat, der später dann klassisch scheppernd breakt. Herrlich unbeschwert und funky. Der österreichische Producer Sun People bringt dann viel Wärme und Deepness auf die Compilation. Wie auch auf seinen Defrostatica-Releases lotet er sehr gekonnt die Grenzen zwischen Breakbeats, Techno und Footwork auf „Rise Up“ aus.

Die B-Seite ist die Laidback-Seite. Dub Across Borders vertont mit trocken-drückender Bassdrum, tiefen Dub-Bassline und verhallten Soundforschungen seinen „Bass Tree Dream“. Danach widmet sich der Este Paranoid One seinen smooth kickenden, perkussiven Arrangements, in deren Hintergrund ein bläserartiger Sound für weitere Hallräume sorgt. Zum Schluss taucht Bhed, auch bekannt von Releases auf Row Records, in dubbig-deepe Ambient-Welten. Ein sehr guter Abschluss einer sehr gelungenen Label-Compilation.

Am 18. November 2023 wird es „Second Drop“ bestenfalls schon exklusiv zu erhalten sein – und zwar auf der Release-Party im xxx (Connewitz). Wieder ein Bassmæssage-Highlight mit drei Floors und DIY-Soundsystemen aus Toulose sowie vom Leipziger Zoumo Soundsystem und Micro Messenger. Bespielt werden die Anlagen von mehreren Liveacts, u. a. aus Dresden, Berlin und mehr. Ask your local network for more.

Lssns – Transit (Sinnbus)

Die Verbindungslinie zwischen Helsinki uns Leipzig glüht wieder. Das erste Album „Transit“ der Band Lssns (ehemals Lessons) bläst ein wenig Licht in die Dunkelheit unserer Gegenwart, es blinkt und leuchtet in Neonfarben.

Die beiden finnischen Musiker Samu und Ville Kuuka sowie der Sänger Patrick Sudarski aus Leipzig machen schon ein gute Weile gemeinsam Musik, dennoch mussten ein paar Jahre ins Land ziehen seit der Veröffentlichung ihrer ersten EP „Tempest“ auf dem Berliner Indie- und Pop-Label Sinnbus. Diese vereinte 2016 schon alle musikalischen Elemente von Lssns, die so wunderbar zusammen funktionieren. Die Band hat einen Hang zur Wave Musik der 80er, zu leicht verstimmten Synths, metallischen Drums und drängenden Basslines. Aber auch eine gute Pop-Hook ist „ok“.

Die Musik von Lssns ist eingängig, ohne zu dick aufzutragen. Sie kommt ganz natürlich und unprätentiös daher. Alle Mitglieder sind keine Neulinge im Business, aber in dieser Konstellation scheint irgendwas geklickt zu haben, was Lssns einzigartig macht. So beschreiben es die Mitglieder zumindest selbst. Die Referenzen sind unverkennbar, aber die Songs und Arrangements so gut und frisch, dass sich ein Song der Band (jeder!) perfekt zwischen ein New Order- und einen Depeche-Mode-Stück mogeln kann, ohne aufzufallen.

Nehme man zum Beispiel den Titel „Finish in Silence“: Ein Beat-Konstrukt à la „Running up that hill“ (Kate Bush), cheesy Synth Sounds, die irgendwie nach Drive-Soundtrack klingen. Und beim Refrain geht dann einfach mal die Sonne auf. „Radical Eye“ kannst du getrost auf der nächsten WGT-Party spielen. Ein astreiner Wave Hit. Und der Track „Glory“ hat keine Angst vor ein wenig Pathos inklusive Gänsehaut-Synth und „Emo“-Sprachsample – und das kommt schon ziemlich gut zwischen der sonst eher darken Stimmung auf „Transit“.

Die Bandmitglieder fielen nach den Aufnahmen ihrer ersten EP und ein paar Konzerten in ausgewählten Städten in ein Loch. Die Pandemie und harte Zeiten, die alle drei durchmachten hätten beinahe zum Aus des Projektes geführt. Man darf festhalten: Es ist gut, dass es nicht so gekommen ist! Dass Lssns sich nochmal aufgemacht haben neue Musik zu schreiben und ihre eigenen Schatten überwunden haben.

Für mich steht jetzt schon fest: „Transit“ ist eine meiner Lieblingsplatten des Jahres!

Das Artwork und die Musik-Videos zum Album greifen übrigens das auf, was einem beim Hören der Platte ohnehin schon in den Sinn kommt: Neo-futuristisch anmutende und unklare Bilder in Neonfarben und VHS-Optik. Super like!

Blau-violette Zeremonie – Bells Echo

Letzten Freitag fand die diesjährige Bells-Echo-Ausgabe statt. Wir waren dort – und durchaus begeistert.

Die Konzertreihe Bells Echo ist bekannt dafür, immer wieder neue, unkonventionelle Orte für ihre Ambient-, Drones- und Experimental-Konzerte zu bespielen. Etwas, das den Reiz dieser Reihe definitiv mit ausmacht. Und so war eine große Neugier und leichte Aufregung zu spüren, als wir in die Plagwitzer Heilandskirche eintraten. Vor Kurzem wurde hier mit dem Westkreuz ein neues Stadtteilzentrum eröffnet, in dem scheinbar auch Platz für spannende Konzerte ist. Am Abend vor Bells Echo spielte hier bereits die UK-Band Arab Strap.

Bells Echo empfängt uns in einem diffus, blau-violett beleuchteten Kirchenraum, der durch die Zwischenebene niedriger ist als in klassischen Kirchen. Die Orgel steht hier quasi ebenerdig. Was zuerst auffällt: Es gibt zwei Bühnen und eine dynamische Bestuhlung. Offensichtlich ist nicht klar, wie viele Leute tatsächlich kommen – am Ende so viele, dass jede Menge weitere Stühle aus dem Versteck geholt werden müssen.

Bevor Stefkovic van Interesse anfängt, gibt es einen Sound-Prolog des Publikums: Alle rutschen mit lautem Klirren ihre Stühle vor seine Bühne. Und dann legt Stefkovic los. Minimalistisch schieben sich schroffe und filigrane Patterns ineinander. Als er im zweiten Stück den Bass dazu nimmt, bebt plötzlich die ganze Kirche.

Er ist an diesem Abend der einzige mit eigenen Visuals – eine Hommage an einen kürzlich gesprengten Schornstein im Leipziger Süden. Mit rauschenden wiederkehrenden Bildsequenzen begleiten sie sein Set. Der eigentliche Wow-Moment sind die späteren präzisen Mappings der Kirchbögen. Zusammen mit seinem raumgreifenden Ambient-Sound sorgt Stefkovic hier zusammen mit VJ GenPi für den ersten Gänsehaut-Moment des Abends.

Die nächsten gibt es bei Yosuke Fujita alias FUJI|||||||||||TA – dieses Mal auf der gegenüberliegenden Bühne. Seine Show gleicht einer unberechenbaren, hochintensiven, spirituellen Zeremonie. Nach einem sanft-repetitiven Start mit seiner selbst gebauten Pfeifenorgel, peitscht er mit seiner Stimme kurze, archaische Laute in die Heilandskirche. Stakkato- und schamanenhaft ebenso wie bedrohlich verzerrt. Mal sitzend, mal stehend. Aber immer äußerst intim.

Sein Auftritt ist komplett anders als ich erwartet habe. Aber auch nur, weil ich vorab nur ein Album „iki“ von ihm in Dauerschleife gehört habe. Dass seine Stimme ein so wichtiges Element seiner Shows ist, war mir nicht klar – sie verstört und flasht zugleich. Am Ende ragt FUJI|||||||||||TA aus dem blau-violetten Nebellicht empor und lässt eine hell-tönende Flöte erklingen. Direkt vor ihm während des gesamten Konzerts: Ein Junge mit Down-Syndrom, fasziniert wippend, FUJI|||||||||||TAs Bewegungen an der Orgel nachahmend. Super eindrücklich auf vielen Ebenen.

Für das dritte und letzte Konzert heißt es wieder Stühle drehen. Maya Shenfield spielt auf der anderen Bühne – und auch wenn ich ihren Auftritt am schwächsten finde, schafft sie es, soundtechnisch die größte Präsenz in diesem Kirchenraum zu erzeugen. Voll und klar, die gesamte Höhe und Weite nutzend.

Ihr Set startet stark, laut und dissonant, mäandert später jedoch mit angeteasten Wave- und Rave-Elementen in eine gewisse Gefälligkeit, die den Kanten ihres Sounds leider etwas die Dringlichtkeit raub. Dazu am Schluss ein Chor, der in diesem Kirchenkontext zwar super passt, das Pathos-Level jedoch ordentlich nach oben schraubt. Doch es ist Jammern auf hohem Niveau. Diese Bells Echo-Ausgabe wird im Gedächtnis bleiben – auch wegen des ausgezeichneten Sounds. Ich bin gespannt, wo uns Bells Echo das nächste Mal empfängt.

Alle Fotos von Susann Bargas Gomez

New In – Oktober 2023

Die Club-Season ist eröffnet und mit ihr schwappten im Oktober ein Haufen guter Releases aus Leipzig rein. Eine kleine Rückschau.

Credit 00 & Wolf Müller – „Funk The System“ (Rat Life)

Eine super spannende EP kommt vom Uncanny Valley-Sublabel Rat Life! Eine Düsseldorf/Leipzig-Kollabo zwischen Wolf Müller (aka Bufiman, Jan Schulte etc.) und Credit 00. Die fünf Tracks, die unter dem Motto „Funk The System“ laufen, nahmen bereits 2018 in Düsseldorf ihren Anfang. Wilde Hardware-Jams auf allem, was gerade zur Hand war und Samples von alten DDR-Jazz-Platten lieferten die Grundlage. Die Stücke lagen dann eine ganze Pandemie lang auf der Festplatte, wurden nach Corona allerdings immer noch für würdig erachtet und schließlich finalisiert.

Es beginnt mutig mit einem Kraftwerk-Sample. „Yellow Fire“ klingt tatsächlich ein bisschen nach einer aufgehübschten Version des Klassikers „Boing Boom Tschak“ von eben erwähnter Band. Schon fett! „Never Mind The Gap!“ kommt als langsamer Electro-Breakbeat-Track daher, der mit dicker Bassline und Filter-Sounds auftrumpft. „Ursuppe“ ist ein esoterisch anmutender Downbeat- Stomper mit Jungle Bass und viel Getrommel. Das Titelstück „Funk the system“ ist es dann aber für mich, was die EP herausragend macht. Mit Rizmi am Mic wird hier eine eigene Interpretation eines alten DDR-Arbeiterliedes mit bizarren Vocals gebaut (sh. Intro des Tracks), die alles in allem super funky und poppig ist. Checkt mal den Synth/Gesangs-Einstieg bei Minute 4. Alles klar, oder? „Urban Utan“ könnte so auch auf irgendeiner alten Chemical Brothers Platte drauf sein. Big Beat Time! Die Synths haben ein bisschen Trance-Flair. Ist das ein „Tour de France“-Sample? Haha, ok. Stop!

Nils‘ Hit: „Funk The System“. Why: Der überraschende Vocal-Einsatz in Kombi mit den Synths ist einfach wahnsinnig schön.


Grush – „INTO001“ (Into Records)

Into, what? Ja, R.A.N.D. Muzik denkt gar nicht daran, das Tempo zu drosseln. Stattdessen startet das an das gleichnamige Leipziger Plattenpresswerk angegliederte Label noch ein weiteres Sub-Label. Into soll sich mehr Minimal und Tech House widmen. Also etwas weniger proggy Sounds?

Klingt nicht schlecht. Auf der 001 ist mit Grush ein griechischer Newcomer am Start, der hier offensichtlich gut hinpasst. Seine drei Tracks kommen mit wenigen, präzis gesetzten Elementen aus. Das Gute bei ihm: Er lässt Crisp in den Sounds, es knistert und rauscht, so dass sich die Tracks gut von dem aalglatten Ibiza-Tech-House abgrenzen können. Ein guter Start also.

Jens Hit: „Nightwalk“. Why: Weil die groovy Bassline dem Minimal-Vibe einen sehr frischen Schub gibt.


Lekande – „It Happens“ (Row Records)

Die neue EP auf Row überrascht ein wenig mit ihrer Eingängigkeit. Der Leipziger Produzent Lekande baut in dem Titelstück auf einen flächigen, loop-basierten und soften Breakbeat-Sound, der ein bisschen melancholisch und dreamy daher kommt. „Stella Maris“ ist dann eine cineastische Ambient-Nummer, die nicht weniger untypisch ist für ein Label, was eigentlich einen ganz anderen Sound fährt. Aber sei es drum, die Qualität stimmt!


Der Lowtec-Remix auf der B-Seite macht dann nochmal ein paar Dub-Räume auf. Den Abschluss machen Kaep und Bhed mit einem Remix, der den „Row-Sound“ am ehesten repräsentiert. Eine abwechslungsreiche und erfrischende Mischung aus Ambient-Flächen, Dub-Elementen und Breaks. Pretty cool!

Übrigens möchte ich darauf hinweisen, dass das kollagenartige Artwork bei Row ziemlich ansprechend ist. Allein deswegen lohnt es sich die Platten mal in die Hand zu nehmen.

Nils‘ Hit: „It happens“. Why: Sphärisch, atmosphärisch, schön.


Bauarbeiter der Liebe – „Auf Monte in L.E. #1“ (Oldnew Records)

Anfang Oktober erschien auch mal wieder eine neue EP des Trios Bauarbeiter der Liebe. Eine EP, die wohl in nur 24 Stunden aufgenommen wurde. Und diese Session-Leichtigkeit ist den vier Tracks durchaus anzuhören.

Groovy, funky und organic Deep House, dazu ein paar Preacher-Vocals, Bläser und dreamy Gitarren, dazu viel Laidback-Atmosphäre. „Auf Monte in L.E.“ bringt einen starken Band-Vibe mit, der in seiner Reduziertheit auch echt gut funktioniert. Die perfekte EP, um den Herbst-Blues abzumildern.

Jens Hit: „Love Is A Baustelle“. Why: Weil geiler Titel und geile Breakigkeit.


The Other Others – „The Other Others“ (Jahtari Music)

Und auch das Label Jahtari Music liefert neue, heiße Ware. Ein Album der Produzenten Disrupt, Rootah und der Sängerin/Vokalistin Jasmine Tutum. Gemeinsam nennen sie sich The Other Others und machen mit ihrer Musik mal eben eine neue Schublade auf: „Experimental Deephouse Afro-futurism“, nennen es die Drei selbst.

Tracks in Deep House-Geschwindigkeit mit einem gewissen Reggae-Vibe, darüber die beschwörenden Vocals der in Tokio geborenen und in Jamaika aufgewachsenen Vokalistin Jasmin. Die Kombi aus Basslines, Jungle Sounds, sphärischen Synthies über 4/4-Bett und der energisch vorgetragenen Dub-Poesie der Sängerin kommt schon ziemlich gut. Eine atmosphärische und vielseitige Scheibe, die ihre Fühler in alle möglichen Richtungen ausstreckt (Chicago, Jamaica, Detroit) und ihre Inspiration aus allem möglichen zieht. Eine spannende Fusion der Stile.

Nils`Hit: Daze Days. Why: Das Stück hat so einen schönen Massive Attack 90s-Vibe, den ich mag.


Ginkø x BSN Posse – „Nobody EP“ (Defrostatica)

Nach dem extrem aktiven letzten Jahr, hat Defrostatica 2023 den Gang etwas zurückgedreht und im Oktober die erste Platte des Jahres veröffentlicht. Es ist ein Wiederhören mit den spanischen Juke-Helden BSN Posse.

Sie haben sich mit Ginkø vom Madrider Humanoid Audio-Kollektiv zusammengetan und eine äußerst einnehmende EP produziert, die super gut zwischen Dramatik und Deepness sowie Juke und modernem Drum & Bass ausbalanciert ist. Tracks mit großer Präsenz und weiten Räumen, emotional hochgepitchten Vocal-Samples und einer hohen Musikalität. Eine EP, die einmal deutlich macht, wie qualitätssicher und wichtig Defrostatica mittlerweile geworden ist.

Jens‘ Hit: „Rainforest“. Why: Weil die Juke-Hektik die Dynamik eines Regenwaldes perfekt auf den Clubfloor bringt.


David Wunderlich – „First They’ve Built Their Walls“ (Unterschall Records)

Neues auch Unterschall Records – in unserem Sommer-Rückblick hatten wir das Leipziger Dark-Synth-Post-Punk-Label erstmals im Blick. Im Oktober folgte nun die Debüt-EP von David Wunderlich, eine Coming-Of-Age-Abrechnung mit der eigenen Jugend in einer konservativen Kleinstadt. Perfekter Stoff für dunkle, melancholische Synth- und Post-Punk-Songs also.

Wunderlichs tiefe Stimme und sein deutscher Akzent geben den klassisch 80s-gefilterten Pop-Songs die passende German-Tristesse-Dramatik. irgendwie wirken die Vocals in den durchaus guten Sounds dennoch etwas entrückt und nehmen mich meist nicht so recht mit. Seine Stories hingegen schon.

Jens‘ Hit: „Old Sounds“. Why: Weil es als wunderbar langsam gleitende Ballade ein super Outro aus dieser EP ist.


Yseto – „Vestiges Of Stellar Coasts“ (Patching Flowers)

Mitte Oktober haben wir auch ein neues Electronic-Label aus Leipzig entdeckt: Patching Flowers. Seit Anfang 2021 ist es aktiv und seitdem einen überraschend hohen Output gehabt – digital und teilweise auch auf Tape.

Zuletzt gab es eine EP von Yseto, die sich Ambient in verschiedenen Facetten widmet. Mit viel Delay durchschreiten die Tracks dissonante und harmonische Soundssphären, kitzeln ASMR-like die Synapsen und lassen sich einfach sehr viel Zeit zum Entfalten. „Zeda“ mäandert über 50 Minuten hinweg und erzeugt einen sehr kontemplativen, komplett umringenden Schwebezustand. Sollten wir unbedingt im Blick behalten.

Jens‘ Hit: „Flunx“. Why: Weil hier Schweben und Crisp gut verbunden werden, mit Anleihen an Alva Noto.


DJ Chrysalis – „Gather Thistles, Expect Prickles“ (Kann Records)

Auch Kann Records meldete im Oktober ein New In – mit einer EP des australischen Producers DJ Chrysalis. Er startet mit einem verspielt-breaky und hell-schimmernden Track, um später in proggy-kosmische Tech-House-Gefilde abzugleiten.

Auch Kann scheint sich dem offensichtlich sehr gut funktionierenden R.A.N.D.-Sound nicht verwehren zu können. Die drei anderen Tracks hätten nämlich auch gut dorthin gepasst. Vielleicht ist es der Versuch, den Label-Sound etwas in den Zeitgeist zu verschieben. Why not.

Jens‘ Hit: „Gather Thistles, Expect Prickles“. Why: Die verspielte Leichtigkeit holt mich einfach ab im November.