Sommer Reviews

Eine Sommerpause gab es dieses Jahr ja nicht wirklich was das Veröffentlichen neuer Musik angeht – hier kommen gleich mehrere Sommer-EPs.

Steppin‘ Wolf „Swipe Till You Find Me, Hermine“ (Mana-All-Nite)

Wir starten sommerlich lässig und vielschichtig mit Mana-All-Nite, dem noch jungen Sub-Label von Kann Records. Dort erschien im Juli „Swipe Till You Find Me, Hermine“ von Steppin‘ Wolf. Und der Frankfurter Newcomer eröffnet auf gerade einmal fünf Tracks eine stilistische Breite, wie man sie von einem guten Album erwarten würde.

Da gibt es subtil-eigenwilligen Pop-Appeal in „This Is A Lovesong“ und „Heart Shakra“, Oldschool-House-Rauheit in „Untitled IV“, runtergestrippte UK-Rave-Zitate in „Try It (Drei)“ sowie ein cineastisches Kammerspiel mit „Noise“. Überall sticht eine hohe Musikalität hervor und ein genau richtig dosierter Grad an Verschrobenheit. Super EP.

Enduro „Cleynen Line“ (XANN)

Auf XANN, einem weiteren Kann-Ableger für einzelne, spontan entstandene Tracks gab es im Sommer ebenfalls einen Neuzugang. „Cleynen Line“ von Enduro entfaltet auf einem reduzierten House-Fundament einen verspielten Orgel-Funk, der sich irgendwann in einen Machine Funk verwandelt. Nach dem opulenten XANN-Debüt ist das hier eher trippig, mit sanften Verschiebungen.

Various Artists „Leipzig Only“ (A Friend In Need)

Dass bei A Friend In Need nichts mit Sommerloch war, hatten wir ja schon. Vor kurzem wurde dann auch die Label-Heimat besonders gewürdigt – mit der „Leipzig Only“-EP, die vier Tracks lokaler Acts featured. Neben Blinds, Iami und Label-Head Lootbeg ist mit Erik Ellmann auch ein für mich neuer Name dabei. Wirklich neu ist er aber nicht: Im letzten Jahr veröffentlichte Ellmann drei Digital-EPs, darunter bei Large Records aus Chicago. Sein „Noe Turn“ auf A Friend In Need vermittelt auch einen überaus versierten Classic Disco House-Sound, der perfekt zu Rose Records passen würde. Patina-überzogene Soul-Vocals und schwelgerische Chords in langsamer Deepness.

Überhaupt verströmt die „Leipzig Only“-Compilation einen großen Hang zum Classic-Sound – wie sonst auch bei A Friend In Need ist das sehr geschichtsbeflissen und perfekt, nur fehlt mir da manchmal der Ansporn für eine Suche nach Neuem. Iami, läuft mal wieder etwas neben der typischen House-Spur. In etwas düsterer, minimalistischerer und aufgeladenerer Weise als sonst setzt er der Sonntagsreihe im Conne Island ein kleines Sound-Denkmal.

Markus Masuhr „The Silent Trepidation“ (Circular Limited)

Iamis dunkler Tracks ist zugleich eine gute Überleitung zu Markus Masuhrs neuester EP – die zweite beim spanischen Label Circular Limited. Bei Markus Masuhr offenbaren sich mittlerweile mehrere Sound-Stränge – harscher Keller-Techno, düster-unterkühlter Drone-Ambient und eben jener fein geschichteter, hypnotischer Session-Techno.

„The Silent Trepidation“ verknüpft die letzten beiden Stränge zu einer sehr schlüssigen EP mit ebenso bedrückend-dunklen wie sanft gleitenden Phasen. Meist angetrieben von verschachtelten Bassdrums. Wirklich neue Impulse gehen von dieser EP zwar auch nicht aus. Aber den stetigen Einladungen zum Versinken im Masuhr-Sound kann ich mich kaum entziehen.

Georg Bigalke & Pranava „Indiscriminate“ (Raven Sigh Records)

Es bleibt hypnotisch und düster, denn auch Georg Bigalke veröffentlichte im Sommer neue Musik. Zusammen mit dem Schweizer Pranava hat er die Idee einer Split-EP auf die Spitze getrieben. Die beiden teilen sich die EP nicht nur mit je einem eigenen Track, sie haben zusätzlich den jeweils anderen Beitrag geremixt. Bigalke verfolgt ja eine eher breakige, extem reduzierte und stoische Art von Techno. Das ergibt neben einer großen Ruppigkeit immer wieder auch gute Leerräume, die es selbst zu füllen gilt.

Durch „Frattarzk“ zieht sich eine bedrohlich schlingernde Soundschleife, entlang des schmalen Grates zwischen spannendem Experiment und überzeichneter Dissonanz. Aber genau den scheint Georg Bigalke generell gern auszuloten. Pranava ist mit seinem Track und dem Remix einerseits noch dissonanter, lässt aber auch mehr Licht in dieses düstere Gefüge. Keine EP für nebenher.

Corecass „Quasar Remix Edition“

Im Frühjahr brachte Corecass ja in Eigenregie eine neue EP mit zwei Tracks heraus und rief zugleich einen Remixe-Contest aus. Das neunminütige, ätherisch gedehnte, teils dramatische Original von „Quasar“ wurde fünfmal neu interpretiert und interessant ist, dass niemand einfach nur einen Dance-Track daraus gemacht hat – nur bei Lose Lose und Sinse schleichen sich manchmal gerade Bassdrums heran.

Ansonsten bleibt der experimentelle Charakter überall erhalten, Patrick Franke geht sogar noch weiter, indem er minutenlang in eine komplette Stille verfällt, um später mit einer Soundwand zurückzukehren. Dyze von Resistant Mindz bringt die zugänglichste Version hervor. Mit schleppenden Rock-Drums und sich langsam aufbäumender Epik. Mein Favorit neben der minimalistischen Drone-Version von Joscha Bauer.

Various Artists „Orbiter II“ (Moon Harbour Recordings)

Ganz frisch ist eine neue Mini-Compilation von Moon Harbour draußen. Bei der „Orbiter“-Reihe werden ja Newcomer und bereits bekanntere Acts zusammengebracht. Die größte Überraschung ist das Moon Harbour-Debüt von Super Flu. Das Hallenser Duo scheint sich etwas von seinem schunkelnden, immer ironisierten Sound zu verabschieden – zumindest deutet ein Skippen durch die letzten Sets das an. Und auch ihr Beitrag „Do Ex“ ist mehr auf das Wesentliche beschränkt, als auf offensichtliche Festival-Effekte. Na gut, das Break ist schon sehr auf Effizienz getrimmt. Aber irgendwie mag ich die scheinbare Wandlung hin zur trippigen Reduktion.

Newcomer Nico Cabeza aus Italien spielt auf entschlackte Weise mit einer klassischen House-Deepness, die leider von dem cleanen Beat aufgesogen wird. Der Beat ist dann aber genau das, was „That’s Fresh“ von Chris Wood & Meat wiederum durchaus interessant macht. Auf leichte Art holprig und perkussiv. Schade, dass die Scratch- und Vocal-Samples den Track dann ins Lächerliche ziehen. Richtig kalkulierte Abfahrt mit aufgeblasener Bassline dann bei „Work My Body“ von Anek.

Feines aus der Laube – Laubenpiepers Finest

House-Deepness auf schwerem Vinyl, mit Siebdruck-Cover und persönlich vorbei gebrachten Promos – das Label Laubenpiepers Finest ist neu in der Stadt.

Leipzig ist ja die Stadt der Schrebergärten, die Kleingartenkultur entstand hier vor rund 200 Jahren – ein eigenes Museum dokumentiert die Geschichte – und noch heute hat die Stadt eine der höchsten Kleingartendichten Deutschlands. Nun ist mein Verhältnis dazu nicht ungetrübt: Auch ich verbrachte meine Kindheit viel in einem Schrebergarten, irgendwann wurde es aber schrecklich langweilig und piefig. Mir ist kein grüner Daumen gewachsen, dafür ein gewaltiges Vorurteil gegenüber Kleingartensiedlungen als Hort von hässlichen Zwergen und konservativen, sonnengegerbten Gärtnern.

Laubenpiepers Finest triggert dies auf ironische Weise an, pflegt mit einer strikten Vinyl Only-Policy auf seine Art auch einen gewissen Konservatismus. Ende 2014 gründete Oliver Bernstein das Label in Dessau. Dort ist er aufgewachsen, seit Mitte der 2000er legt auf und organisierte in der Bauhaus-Stadt kleinere und größere Partys in einer Eckkneipe und am Elbstrand. Mit einigen Partys in der Blauen Perle tauchte der Name Laubenpiepers Finest in den vergangenen Monaten auch in Leipzig immer öfter auf. Ende 2015 zog Oliver hier her und fing an, bei R.A.N.D. Muzik als Schallplattenpresser zu arbeiten.Musikalisch hat er dann aber einen eher unkonventionellen House-Begriff: „House, HipHop, Funk, Downbeat, Genres sind mir egal, irgendwie ist für mich alles House“, meint Oliver.

Und ebenso wie er sich als DJ nicht auf ein Genre beschränken möchte, klingen auch die fünf bisher veröffentlichten Platten von Berliner, Hannoveraner und Dessauer Acts wie Siggatunez, Arsy oder Baumfreund: Da gibt es ruhige Downbeat-Stücke neben klassischem House, Dub-Techno neben HipHop-Skits und – wie im Fall der Arsy-EP auch mal experimentellere und vertracktere Tracks. Eine poetische Deepness und eine omnipräsente Unaufgeregtheit halten alles zusammen, egal wie weit es voneinander entfernt ist.Die Liebhaberei wird auch bei der Cover-Gestaltung deutlich. Von Beatmaker-Held Duktus stammen die Illustrationen, auch er ist ein Ex-Dessauer, den es nach Leipzig verschlagen hat. Und so schließt sich nicht nur lokal der Kreis, auch bei Duktus & Co sind die Genre-Grenzen weniger eng gesetzt. Auf jeden Fall ein guter Neuzugang für die Leipziger Elektronik-Szene, dieser Laubenpieper. Einer, der sogar selbst vorbeikommt und die Platte mit einem Lächeln vorbeibringt.

Mix Mup x Resident Advisor Podcast

Mix Mup beschert uns einen tollen Wochenstart – mit einem Mix auf Resident Advisor.

Der Resident Advisor-Podcast begleitet mich schon seit vielen Jahren, einige Mixe davon sind fest mit bestimmten Lebensphasen verknüpft. Und er war immer auch Inspiration, um neue Musiker zu entdecken.

Umso größer ist die Freude, nun auch Mix Mup dort zu sehen und zu hören – einem „Under-the-radar favourite“. Für Resident Advisor hat er einen entspannt-triftenden Mix eingespielt, mit verschlungenem Funk und analog angerauter Deepness aus eher eigenwilligen House- und Techno-Gefilden.

In einem kurzen Interview erklärt Mix Mup, wie der gut einstündige Mix entstand. Nämlich aus alten und neuen Tracks, mit denen er zeigen wollte, was ihn an Clubmusik interessiert – funky, mit Jack-Momenten und doch auch minimalistisch.

Auch seine Sendung für das Berliner Online-Radio Berlin Community Radio kommt zu Wort. Ein Archiv der Sendungen gibt es hier.

Alfred Quest „Midlife Wellness“ (Analogsoul)

Entspannung und Entschleunigung – das Erfurter Quartett Alfred Quest nimmt sich aus der urbanen und digitalen Hektik heraus und schafft ein Kleinod der Ruhe.

Es ist nicht so, dass es nicht schon genug musikalische Rückzugspunkte gäbe, aber bei Alfred Quest ist irgendwas anders. Die konsequente Langsamkeit, die Wärme des Basses, die subtil eingeflochtene Elektronik, das Knistern, die elegischen Streicher und Gitarren – alles klingt so natürlich und unmittelbar. Als würden sich hier auf selbstverständlichste Weise Dinge zum Guten fügen.

„Midlife Wellness“ heißt das erste Album von Alfred Quest, einer Band, die eigentlich mit einem Rapper zusammenarbeiten wollte, dann aber instrumental der Midlife Crisis entging und in einer wahrscheinlich besseren Welt wieder auftauchte. Patrick Föllmer von Lilabungalow spielt den Bass, Tilmann Jarmer kümmert sich um die Beats und Samples, Sascha Friedrich übernimmt Keyboard und Sorin Paul Stanciu die Gitarre. Heraus kommt eine Zwischenwelt, die nach Slow-Post-Rock oder live gespielter Electronica klingt.

An ein paar wenigen Stellen mag das etwas kitschig werden, doch bei Stücken wie „Neun Über Vier“, „Langsame Liebe“, „Villenviertel“, „Tatra T.“ oder „Praliné“ passt einfach alles perfekt zusammen: die Reduktion, das Wechselspiel aus Harmonie und Vertracktheit und eine herrliche Beseeltheit, wie sie eben nicht aus Maschinen kommen kann. Alles verschwimmt und doch bekommt jedes Element durch die Langsamkeit viel Raum zum Wirken. „Midlife Wellness“ lief daher ziemlich oft bei mir in letzter Zeit. Ein unglaublich gutes Abtauch-Album.

Parallel dazu haben Alfred Quest auch ein Beat Tape mit Skizzen und weiteren kurzen Songs veröffentlicht. Da erweitert sich der stilistische Rahmen noch einmal immens, bis hin zu House, HipHop und schnelleren Stücken.

Lesetipp: Groove 162

Ab heute liegt die neue Groove im Kiosk. Mit dabei ein spannendes Club-Special, das vier Jobs hinter den Kulissen beleuchtet.

„Work it – Arbeiten, wo andere feiern“ heißt das neunseitige Special und porträtiert Booker, Nightmanager, Türsteher und Geschäftsführer verschiedener Clubs. Den Geschäftsführertext durfte ich mit dem Institut fuer Zukunft übernehmen.

Xavi und Alex gaben mir dafür fast zwei Stunden Input in ihre fast durchweg administrative Arbeit. Wer also gern mehr erfahren möchte, was die Leute hinter den Clubkulissen antreibt und bewegt, sollte diese Ausgabe nicht verpassen.

Hier ist sie direkt zu bestellen. 

Ranko „Hypersensitivity“ (O*RS)

Oh, schon zwei Jahre ist es her, dass Rankos Debüt-EP herauskam. Zeit für die Nummer 2.

Und die ist letzte Woche bei O*RS digital herausgekommen. Den Sommer 2016 soll die EP vertonen bzw. musikalisch begleiten, schrieb Ranko neulich selbst über den Ansatz von „Hypersensitivity“. Nun klangen Rankos Stücke immer schon nach sommerlicher Leichtigkeit, doch scheinbar ließ sich da noch mehr Smoothness herausholen.

Die fünf neuen Stücke zelebrieren im gedrosseltem und nickenden, sehr musikalischen Beatmaker-Sound ein großes Abhängen – in der Hängematte, am Strand, im Garten. Dazu umarmende, lang schwingende Synth-Chords und ein dezenter Pop-Appeal. „Hypersensitivity“ ist mehr in den HipHop-Roots Rankos geerdet, die für „Unchained“ ebenso prägenden wie erfrischenden Switches zu House lässt er dieses Mal – abgesehen von „Glittering Beach“ aus. Was nicht unbedingt stört, der EP aber insgesamt ein wenig die Spannung nimmt. Aber 14 Minuten Entspannung sind hier sicher.

The Moon With Teeth „Rhoda Tapes“ (VE-302)

Wie eine Dampfwalze macht mich die EP von Niklas Kraft alias Talski platt, welche unter seinem Alias The Moon With Teeth auf dem Berliner Net-Label VE-302 bereits im Juni herauskam. Was war denn das?

Irgendwo in den Mühlen der frohfroh-Redaktion wurde „Rhoda Tapes“ als Ambient-EP von Niklas Kraft bezeichnet. Nun ja, das trifft die Sache nicht ganz. Um es genauer zu nehmen: Ambient ist hier eher ein Köder für hypnotische, verstörende Sound-Forschung auf acht Tracks. Und wer unter Ambient beschauliches Lounge-Geplucker versteht, ist gleich verkehrt.

Zunächst bewegt sich die EP mit „Requiem X“ in ähnlichen Gefilden. Der Track könnte ein perfekt passender Opener für einen alten Gruselfilm sein, leicht mysteriös, aber nur subtil Unheil verkündend. „Yours Anyhow“ kommt mit spukig verfremdeten Stimmen und Glocken-ähnlichen Klängen direkt zur Sache und leitet mit seiner hypernervösen Geschwindigkeit zu den trockenen Drums von „Feinstoff of Life“ über. Dann: Abgrundtief düsterer, repititiver Sprechgesang mit „Whatever is, is right“ und „Killing Constriction“, verstörend übereinandergeschichtetes Insekten-Geschnattere auf „Lebensrinde“ und Voodoo-Atmosphäre mit „Bronx“. Zum Ende schließt sich der Kreis mit „Illusive“, das den Ambient-Sound des ersten Tracks aufgreift und mit Vocals verschmilzt.

Zugegeben: Die Verwendung von Trommeln und Voodoo-artigen Sprechgesang kann schnell in Gruselfilm-Klischees abgleiten, was man an meinen Beschreibungen ja auch merkt. Vielleicht tut das der Sache auch unrecht. Die Faszination der EP rührt zu großen Teilen auch vom spannend collagierten Sound-Kosmos von The Moon With Teeth her, der vermutlich aus rohen Field-Recordings besteht.

Stellt sich nur noch eine Frage: Wenn dies – wie auf Bandcamp beschrieben – das Resultat einer Auszeit in der ostdeutschen Pampa ist – was zur Hölle erlebt der Mann in seinem Urlaub?

Neues aus der Wolke – Drunkenstein

Drunkenstein fiel uns in letzter Zeit immer wieder durch seine Partys auf. Doch er produziert auch Tracks – er ist unser „Neuer aus der Wolke“.

Zwei selbst veröffentlichte EPs lassen sich aktuell auf Drunkensteins Soundcloud-Profil finden. Und beide sprühen über vor analog klingender House-Spielfreude, bei der Acid und Disco eine ähnlich große Rolle spielen. Das hat einerseits etwas offenherziges, unbeschwertes, leicht naives. Andererseits schwingt immer auch die Wehmut des klassischen Oldschool-Electro-Futurismus mit. Wir mögen die Stücke sehr und wollten wissen, wer hinter Drunkenstein steckt. Unser Interview klärt auf:

Woher kommst du – lokal und künstlerisch?

Ich wurde 1984 in Leipzig geboren. Mit 14 waren in meiner Parallelklasse Graffiti-Sprüher, die mir gezeigt haben, wie das geht. Von da an habe ich gesprüht, Hip Hop gehört und angefangen, Platten zu sammeln. Meine Vorliebe galt vor allem den Eastcoast-Rappern. Mich hat der Sound damals so geflasht und ich habe praktisch jeden Euro in Vinyl oder Sprühdosen investiert. Als ich 20 war habe ich angefangen auch die „Originale“, also die gesampleten Tracks zu hören – nachdem ich gemerkt habe, dass die manchmal noch viel cooler waren, als die HipHop-Tracks davon.

Seitdem wuchs die Bandbreite: Funk, Soul, Jazz, Disco. Da sich das HipHop-Publikum stark vom Electronic-Publikum unterscheidet und ich es liebe, wenn sich Menschen zu Musik bewegen – was bei HipHop leider oft nicht der Fall ist – habe ich angefangen, auch Disco Sets zu spielen. Der wirkliche Sprung zu House kam durch Baltimore Club Music. Das ist praktisch ein Mix aus HipHop, House und Electro und geht echt ziemlich nach vorne. Ich habe gemerkt, wie mich diese Art von Musik auf eine ganz andere Art und Weise verzaubert. Seitdem möchte ich mich musikalisch nicht mehr einschränken.

Was flasht dich musikalisch – von bestimmten Sounds oder Artists her?

Momentan arbeite ich die ganze US House-Geschichte auf. Die alten Acid-House Trax sind echt der Hammer. Leider sind die aber in unseren Breitengraden, abgesehen vom Internet, schwer zu bekommen. Mein Lieblingsartist im elektronischen Bereich ist Mr. Oizo. Viele wissen gar nicht, dass er nach „Flat Beat“ immer weiter Musik gemacht hat. Und dass, wie ich finde, so einzigartig wie ein Aphex Twin. Außerdem ist er Regisseur und seine Filme sind der totale Brainfuck. Im Rap-Bereich bin ich gerade auf Cult Mountain aus London hängen geblieben.

Prägen deine HipHop-Roots deine heutigen Tracks noch irgendwie?

Nach wie vor sample ich gerne in meinen Tracks. Ich glaube außerdem, dass die Drums oft eine hiphop-ähnliche Struktur besitzen. Aber ich versuche natürlich auch zum Teil so zu klingen, wie House-Musik klingen muss oder soll.

Wo willst du mit deiner Musik hin – Lieblingshobby oder Stadion?

Ich mache in erster Linie Musik für mich selbst und Freunde, die auch Musik machen und lieben. Wenn ich damit Erfolg haben sollte, wäre das super. Aber da ich das jetzt seit 17 Jahren mache, weiß ich, dass Geldverdienen mit auflegen und produzieren nicht gerade der einfache Weg ist.

Dein größter Soundcloud/Youtube-Hit?

Ich hab mich lange Target genannt. Auf Soundcloud habe ich einen Erick Sermon-Remix, der knappe 3500mal gespielt wurde. Der Track ist okay. Aber wie das so mit alten Produktionen ist – einem selber gefallen im Grunde nur die letzten zehn produzierten Lieder.

Dein persönlich größter Hit – und warum?

Einen einzelnen Track kann ich leider nicht nennen. Allerdings zählt das Album „Back On Plastic“, welches ich mit meinem jetzt in der USA lebenden Kollegen Roksn aufgenommen habe, zu den besten Produktionen meiner HipHop-Zeit. Von meiner EP ist „Path To Phusion“ mein Lieblings-Track. Er hat, wie ich finde, diese perfekte Symbiose aus analogem und digitalem Sound. Vielleicht erkennt man an diesem Track auch am meisten meine HipHop-Roots.

Du bist auch als Party-Veranstalter sehr aktiv gerade – ein Spaß nebenbei oder ist da mehr geplant?

Nächstes Jahr möchte ich unbedingt eine neue Art von Outdoor-Partys veranstalten. Dazu brauche ich allerdings noch etwas Zeit für eine gute Planung und ein festes Team von Leuten, die mit mir an einem Strang ziehen wollen. Die „Discolution“-Party im Schnellbuffet Süd war echt der Hammer und wird im Winter wiederholt.
Trotzdem werde ich mehr Zeit ins Auflegen, Produzieren und in meinen Job als Grafiker investieren, da dies meine Standbeine sind.

Du hast mit 6Step auch ein eigenes Mode-Label – was hat es damit auf sich?

Ende 2010 hatte ich Lust, einer Handvoll Kumpels ein schönes Siebdruck-Shirt zu Weihnachten zu schenken. Mein Kollege Tonie107 und ich haben uns damals gedacht, dass das auch professioneller geht. 2011 wurde dann 6Step geboren. Unter diesem Namen habe ich außer Kleidung aber auch Plattencover designt und Grafiken für Plakate und Flyer gestaltet. Vor zwei Wochen habe ich seit längerer Zeit wieder eine Mini-Kollektion mit neuen T-Shirts veröffentlicht.

Leider hat mir im letzten Jahr etwas die Zeit gefehlt. Momentan habe ich aber wieder Lust, etwas mehr ins „Klamottengeschäft“ einzusteigen. Hoffentlich bekomme ich das mit den vielen anderen Sachen an denen ich arbeite unter einen Hut.

Lupo „Farbenfroh und Hell“ (Lebensfreude Records)

Zugegeben: Wir sind etwas ratlos, was Chris Manura da geritten hat. Als Lupo verirrt er sich in den House-Pop.

Es kommt nicht oft vor, dass wir innerhalb der frohfroh-Redaktion so lange darüber nachdenken, ob wir eine EP besprechen sollten oder nicht. Meist ist es klar, wenn es nicht passt, weil es musikalisch zu weit entfernt ist von dem, was uns hier bewegt. Über die „Farbenfroh & Hell“-EP von Lupo reden wir jedoch seit Wochen. Immer mal wieder, dann aber durchweg mit großer Verwunderung und einer gewissen Fremdscham.

Was ist passiert: Zusammen mit dem Sänger Alexander Boedewig von den Bands Boe Van Berg und Westbalkonia hat Chris Manura scheinbar ein Pop-House-Projekt namens Lupo gestartet. Mit deutschen Texten und eindeutiger Hit-Eingängigkeit. Nun ist die Mischung von deutschen Texten mit House und Techno eh schon ein Wagnis mit immens großer Fallhöhe – ganz unten lauern entweder Schlager- oder Befindlichkeits-House.

Doch warum es neben Westbalkonia ein nahezu identisch klingendes Projekt gibt, das sehr offensichtlich mit dem betont lasziv-schluffigen Durchi-Appeal von Boedewigs Gesang so etwas wie „Seele“ und „Emotion“ auf den Dancefloor bringen will, ist für uns wenig nachvollziehbar. Alexander Boedewigs Stimme hält nicht allzu viele Nuancen bereit, um Lupo eindeutig von Westbalkonia abzugrenzen. Und auch Chris Manuras Feel Good-House nicht, obwohl er im Vergleich zum von Marc DePulse effizient konstruierten Westbalkonia-Tech House das geringere Übel ist.

Warum wir noch heiß über Lupo diskutieren? Weil der Track nach großem Kalkül klingt. „Farbenfroh & Hell“ schlägt musikalisch in eine Kerbe, die ziemlich unangenehm nach größtmöglichem Konsens riecht. Einmal die Pop- und Open Air-House-Baukästen aufgemacht, verschiedene Elemente rausgeholt, alles für das unkomplizierte Hören zusammengefügt und fertig ist der Dancefloor-Filler – eben wie bei Westbalkonia, Alle Farben, Klangkarussell etc.. Deren Tracks sind ähnlich glattgebügelt, erzwungen tanzbar und schön zum Mitsingen einladend. Lupo klingen, als möchten sie mit der ersten EP diesen einen Hit landen, der im Radio läuft. Oder wenigstens auf Open Airs als leichtgängiger Floorfiller laufen. Doch: „Farbenfroh & Hell“ fehlt der Tiefgang.

Zensor Tot. Leben Geht Weiter. „Selbstgefährdung“

Kilian Krings bringt gerade mit seinen Partys und dem Label Sign Bit Zero viel Post Punk- und Wave-Appeal in die Stadt. Sein neues Solo-Projekt treibt es auf die Spitze.

Zensor Tot. Leben Geht Weiter. heißt es und referiert auf die Freudsche Theorie des Selbstregulierungs-Automatismus zwischen Unterbewusstem und Bewusstem. In diesem Spannungsfeld zwischen ungezügeltem Aktionismus und streng-minimalistischen Arrangements bewegen sich die Stücke seines ersten Albums „Selbstgefährdung“ auch. Und sie passen genau in die Entwicklung, die Kilian Krings kürzlich in unserem Interview beschrieb: „Über die elektronische Musik [kam ich] wieder zu dem Sound, der mich in meiner Jugend geprägt hatte, zurückgefunden – dem Punkrock und Postpunk.“

In fünf eigenen Stücken und drei Edits alter Post Punk-Songs erzeugt er eine atmosphärische Kühle und Kargheit, die sich jeder Eingängigkeit entzieht. Super lo-fi produziert, mit viel Rauschen, Pathos und Dissonanz sowie dark zerfilterten, dreckig verhallten Gesängen und neurotischen Texten. Meist zieht sich dabei ein scheppernder gerader Beat durch, der trotz der harschen Sounds eine gewisse Dancefloor-Anziehung mit sich bringt.

Kein leichter Stuff, aber die Konsequenz und die unmittelbar einwirkende Punk-Attitüde grätschen dem aktuellen House-Historizismus sehr schroff in die Beine. Und selbst die derzeit gern betonte analoge Rauheit wirkt gegen diese Stücke wie ein warmer Windstoß. Sehr sehr eigenwillig gut.

25 Tapes  gibt es von „Selbstgefährdung“ – auch eine Hommage an die frühe Post-Punk-Zeit, als eine rege Underground-Tape-Szene existierte, auf der sich lauter obskure Musik finden ließ.

Apollo Static x Flowers Of Despair x Video

Im nächsten Januar kommt mit „Flowers Of Despair“ das erste Apollo Static-Album heraus. Für das Vorab-Video ging es ins Seniorenheim.

Aber vorher geht’s ins Tapetenwerk. Dort sitzt mir Julian nämlich ab und zu gegenüber. Julian ist Apollo Static und zugleich maßgebender Kopf des Ketzerpop Kollektivs. Er sprach schon länger von einem Video, das mit Benjamin vom Relativ Kollektiv in einem Connewitzer Seniorenheim gedreht werden sollte. In der Hauptrolle: der ehemalige Theater- und Tatort-Schauspieler Dieter Jaßlauk.

Nun ist es fertig und eine überaus gelungene Visualisierung von Apollo Statics wehmütig-augenzwinkerndem Wave-Elektronik-Funk. Denn sowohl die Texte als auch die Musik, seien immer gleichermaßen von einer Dualität geprägt, meint Julian.

Die großen Ambivalenzen des Lebens scheinen ihn immer wieder besonders anzuziehen.

Bei „Flowers Of Despair“ – übrigens auch der Titel des Albums – sucht er nach den hellen Momenten, die ebenso in Gefühlen wie Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit oder totaler Angst innewohnen können. Denn: „Der point of no return, der dunkelste Punkt, ermöglicht einen neuen Aufbruch. Hier ist das Leben auf das Absolute reduziert, die Hoffnung – dieses völlig sinnlose, irrationale Produkt des tierischen Überlebensinstinkts – entfaltet seine ganze Kraft, weil es sich als das vollständig Gleiche wie die Hoffnungslosigkeit herausstellt. Es ist die Dialektik der Verzweiflung, oder viel platter: jedem Ende wohnt ein Anfang inne.“

Und so entschied sich Julian für ein Seniorenheim als Ort für das „Flowers Of Despair“-Video-Setting. Ziemlich passend, sind das Altern an sich und Seniorenheime im Speziellen oft mit Tristesse, Vereinsamung und Resignation konnotiert. Die ersten Sequenzen des Videos greifen genau jene Klischees in überzeichneter Weise auf: Nach dem Zähneputzen und Anziehen läuft Dieter Jaßlauk allein durch einen tristen Gang zum Speisesaal mit mehreren Einzeltischen. Niemand sitzt hier zusammen beim Essen des wenig ansprechenden Heimfrühstücks. Später spaziert er allein durch den Park und muss beim Friseur  resigniert feststellen, dass das eigene Haarvolumen keine vermeintlichen Haartrends mehr mitmacht. Dass Dieter Jaßlauk zum Schluss im Bewegungsraum mit einer analogen Orgel den „Flowers Of Despair“-Refrain übernimmt und damit eine Seniorentanzrunde animiert, dreht die Tristesse-Medaille dann mit einem simplen Move.

Trostlose Umgebung lebt plötzlich und weird auf – neu ist das nicht, aber in diesem Fall passen Song- und Video-Atmosphäre einfach sehr treffend zusammen. Im Herbst soll es ein weiteres Video geben, Ende Januar 2017 dann das Album.

Annuluk „B*A*M Beautiful & Massive“ (Kick the Flame)

Ein neues Album von Annuluk ist erschienen. Wer bitte? Natürlich, auf frohfroh wurde die vierköpfige Band um Sängerin Miša nur im Rahmen der Remix-EP „Metamorphosis“ vorgestellt. Im Juni ist nun das dritte Studio-Album erschienen und auch hier trifft der abstrakte Gesang auf eine Mischung von World-Music beeinflusster Instrumentierung und elektronischer Musik.

Ich gebe es offen zu: Gemeinhein stellen sich mir bei World-Beat und verwandten Genre-Beschreibungen schnell die Nackenhaare auf. Nicht, dass es in dem Bereich keine interessante Musik gäbe, aber zu häufig driftet es schlichtweg in gruselige Ethno-Folklore-Kitsch-Sphären ab. Das machen dann auch mehrere Kannen indischer Gewürz-Tee nicht erträglicher.

Keine gute Voraussetzung, um das neue Album von Annuluk zu besprechen. Es bedarf dann auch mehrmaliges Hören, um sich auf die Qualität des Albums fernab aller Vorurteile einzulassen. Annuluk verweben durchaus exotische Instrumente mit sphärischen Beats irgendwo zwischen Dubstep und Trip Hop und setzen sie gekonnt ein. Damit umschiffen sie arge Klischees. Gleichzeitig sind Tracks wie „Persephone“ so hochdramatisch und basslastig inszeniert, dass sie den Pendants der britischen Bass-Musik in nichts nachstehen.

Im Zentrum steht dabei immer der Gesang von Miša, die sich einer Art Fantasie-Sprache bedient. Zunächst wirkt das sehr befremdlich, zeigt aber auch schnell, wie unwichtig Sprache in der Musik sein kann. Leider ist der Gesang der Hauptgrund, warum ich an das Album schwer herankomme. Zwar wird er auf Tracks wie „Des – Tracktion“ durchaus interessant eingesetzt, aber die meisten Stücke würde ich mir dann doch ganz gern in einer Dub-Version anhören. Eine entschlacktere, auf das Wesentliche reduzierte Form könnte dem Album sehr gut stehen.