„Humor in Musik geht in Nordeuropa nicht klar“ – Praezisa Rapid 3000

Praezisa Rapid 3000 haben ein neues Album – mit einem ganz woanders hingewehten Sound. Simon12345 erklärt, wie es dazu kam.

Zwischen Amsterdam und Leipzig gibt es mittlerweile eine gute Direktverbindung mit dem Flugzeug. Meinte Steffen Bennemann neulich. Theoretisch könnte die auch Präzisa Rapid 3000 zugute kommen. Über beide Städte verteilt leben die drei Köpfe hinter der Band, die sich musikalisch so schwer greifen lässt, indem sie herrlich eigenwillig die Unberechenbarkeit kultiviert.

„Miami/Mumbai“ heißt das zweite Album. Wieder erscheint es in zwei Varianten – die CD-Version beim japanischen Label Noble, die Vinyl-Version beim bandeigenen Doumen Label. In Amsterdam antwortete Simon12345 auf einige frohfroh-Fragen. Das Interview ist eröffnet.

Was war denn bei euch los – große Reisen, eine neu entdeckte Liebe für Folklore?

Ehrlich gesagt hat Devaaya ja jahrzehntelang in Goa gelebt, das heißt für ihn ist ein indisches Ragga ja auch bloss Volksmusik. So große Reisen waren für diese Einflüsse also gar nicht nötig. Der Stilwechsel hat damit zu tun, dass wir irgendwie ausgebrannt waren nach dem letzten Album. Wir hatten auch das Gefühl, dass wir zwar weitermachen können, aber auch gar nichts zu sagen haben, wenn wir einfach nur genauso weitermachen.

Das gilt eigentlich auf ganzer Linie. Und dann haben wir Devaaya das erste mal richtig zugehört, es war aber auch das erste mal, dass er wirklich mit im Studio war und Ideen beigesteuert hat. Sonst hat er immer nur seinen Roadie David geschickt. Naja und dann kam diese Weisheit und diese Offenheit von ganz alleine. In Devaayas Worten: „The sculpture has been standing there forever, all we had to do was to uncover it!“

Da schwingt doch aber auch eine Persiflage an World Music-Romantiken mit, oder?

Das stimmt. Wer mal reisen war und dieses sich täglich wiederholende Mantra von Gesprächen wie A: „Ey man … Laos is awesome, and Bolivia, I love La Paz … But my best time I had in Indonesia, Indonesians are so sweet.“; B: „Come on, that’s all far too touristic, the only real thing is northern India, it’s so beautiful.“ ertragen muss, der wird dann irgendwann nicht umherkommen, sich auch damit auseinanderzusetzen, was es eigentlich bedeutet, dass man da selbstsicher mit oberflächlich rosaroter Brille durch ferne Kulturen stapft.

Und dann nimmt man sich mit was einem gut passt und prahlt damit den Rest seines Lebens rum. Oft ist da ja nicht mal ein wirkliches Interesse, es geht dann meist nur um die nächste Mail an die Leute zu Hause und das nächste total transzendierende Erlebnis von dem man anderen erzählen kann – in der Hoffnung, dass man dadurch mehr wird als vorher. In Indien rumzulaufen und zu erzählen wie romantisch alles ist und dass alle Leute dort immer lächeln, finde ich extrem merkwürdig.

Dinge sind ja nicht weniger interessant nur weil sie nicht immer positiv sind. Wenn immer alles „awesome“ ist, dann stimmt irgendwas nicht. Bzw. sollte man sich nochmal die Augen reiben und vielleicht genauer hinschauen. Aber man ist ja selbst auch immer Teil des Problems, deswegen habe ich mich beim Reisen teils auch sehr merkwürdig gefühlt. Naja und solche Sachen haben wir auch auf eine etwas zynisch humoristische Art in unsere Musik einfliessen lassen.

Woher stammen die Samples – Field Recordings?

Die Samples stammen aus verschiedensten Quellen. Größtenteils selbst recorded. Sie Flöte in „Ukrainian Dirtmob“ ist zum Beispiel Devaaya an der Klarinette in der Ukraine und das ganze dann ordentlich hochgepitcht. Ansonsten sind auch einige Field Recordings aus Indien und Nepal drin, speziell recht viel aus Kathmandu. Und dann noch einige Samples von so richtig alten und Einzelstück-7“es und so Zeugs aus verschiedensten Ecken der Welt. Da haben wir so einige Perlen entdeckt, von Thamil-Acapellas bis hin zu Luk Thung-Instrumentals, super Zeug. Deva kennt sich da auch echt hervorragend aus.

Wie war die Reaktion der Remixer auf das Ausgangsmaterial?

Nunja, also die beiden japanischen Remixer kennen wir nicht persönlich, nur ihre Musik. Das hat alles unser Labelchef dort arrangiert. Man geht ja auch immer davon aus, dass Leute Englisch können, aber die beiden zum Beispiel gar nicht. Somit wäre Kommunikation auch fast unmöglich gewesen. Und Serph zum Beispiel lebt auch in einem Keller bei seiner Mutter ohne viel Kontakt zur Außenwelt, heißt es.

Bei Ras G war es anders, der war total locker und hat das alles „dope“ gefunden. Jo und dann ging es los bei Ihm, drei Remixe kamen und wir konnten aussuchen. Heatsick war auch interessant: Der meinte er hatte es erstmal paar Wochen auf dem Desktop liegen und dann hat er mal reingeskippt und meinte „cool, that’s cool … cool“. Das hat allerdings trotzdem noch ein Gespräch auf dem Nachtdigital gebraucht bis er wirklich losgelegt hat. Wurde dann aber auch super, finden wir.

Es gab aber ansonsten keine expliziten Kommentare zu dem Material. Insgesamt, denke ich, ist es sehr dankbar. Wir haben ja den Remixern alle Einzelspuren aller Lieder gegeben, zum damit machen was sie wollen, keine Einschränkungen oder Vorgaben. Da kann man sich wirklich austoben. Und solche Angebote gibt es nicht oft.Du lebst jetzt in Amsterdam, wie könnt ihr euch über die Entfernung für das gemeinsame Musikmachen motivieren?

Wir hatten unsere produktivsten Zeiten als wir nicht wirklich in einer Stadt gelebt haben. Denn dann trifft man sich für mehrere Tage und nimmt sich nur Musik machen vor und hat einen Haufen Themen und Sachen mit in seinem Rucksack, die man dann auch loswerden will. Und dann wird viel geredet, viel diskutiert und viel analysiert. Auch wirklich über unser aller Leben und warum wir tun was wir tun. Und erst nach und nach legt man dann los.

Das gibt dem ganzen – auch der Musik – so eine Tiefe und es ist für uns viel mehr als nur ein Produkt zu produzieren. Es ist wirklich ein Moment der Ruhe und Distanz vom Rest der Welt. Und inzwischen die einzige Zeit, in der wir wirklich zu dritt noch Zeit verbringen können, ohne dass das Telefon klingelt, Mails kommen und was weiß ich nicht alles drängt.

Ist natürlich für Vollzeitbeschäftigte mit Beziehung und Spaß an vielem ein planungstechnisches Debakel die ganze Geschichte, aber bisher machen wir es eben einfach, egal ob Armageddon oder nicht. Live spielen wir aber seltener ab jetzt. Lieber selten richtig und gern, anstatt immer mal wieder aber mit Stress.

In Japan wird eure Musik überaus wohlwollend aufgenommen – hast du eine Ahnung, warum?

Darüber haben wir eigentlich noch nicht viel nachgedacht, immer nur in Interviews. Die ganze Japan-Sache ist manchmal etwas schade, weil es soweit weg ist und man dadurch kaum Leute mal treffen kann, die einen da supporten. Gut, aber ich mutmaße mal zu den Gründen: Wenn man sich Serphs Musik anhört, der recht erfolgreich dort ist er verkauft bis zu 20.000 CDs pro Album – und hier fast komplett unbekannt, dann ist das sehr nervöse Musik mit vielen Wechseln und Kitsch.

Tja und in welcher Situation hört man sowas? Also ich vermute, dass es teils etwas damit zu tun hat wie Musik konsumiert wird. Wenn man ruhig sitzt und mit guten Kopfhörern unsere Musik laut hört, dann wird man sie am besten verstehen, genau wie die von Serph. In einem Club allerdings, oder auf Laptop-Boxen und wenn Freunde nebenbei da sind, funktioniert unsere Musik nicht so gut, genau wie die von Serph.

Naja und dann haben wir ja auch Humor in unserer Musik, das geht ja in Nordeuropa eh gar nicht klar. Witzige Musik, die sich auch noch Ernst nimmt ohlala – wer will denn sowas? Allerdings hatte die Noise- und Postrock- Schiene in Japan schon immer eine große Portion zynischen Humor in ihrer Musik, wenn ich so an Violent Onsen Geisha, Zazen Boys oder andere denke.

Aber wer kann sowas schon wirklich wissen, das muss in 40 Jahren mal ein Soziologe nachträglich erforschen. Ich denke in Tokyo in der U-Bahn eingequetscht würde ich gern mal selbst ausprobieren wie es wirkt, schön laut auf den Ohren unsere neue Scheibe zu hören. Wir haben ja vielleicht auch die Chance dazu im nächsten Frühling, denn wir planen eine kleine Japantour – ist aber noch nicht ganz raus wie und wann genau.

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Praezisa Rapid 3000 „Miami/Mumbai“ (Noble/Doumen)

Neulich erst kam mir das erste Album von Praezisa Rapid 3000 ins Gedächtnis zurück. Eine telepathische Hellseherei: Denn es gibt ein neues Album.

Auf der letzten Nachtdigital-Compilation gab es ein kurzes Wiederhören mit dem Trio. Und damit ein schöne Erinnerung an „314159265“, das Debüt-Album von Praezisa Rapid 3000, das im Herbst 2012 herauskam. Im Nachhinein betrachtet, ist der Nachtdigital-Beitrag „This One Goes Out To Our Grandmothers & Großmuddis“ noch ein Gruß aus der alten Praezisa-Zeit.

Die neue klingt komplett anders. In weiten Teilen zumindest. Natürlich hat sich an dem wilden, dauergrinsenden Ansatz des Trios wenig geändert – die permanenten Wendungen, Sample-Überdosen, rhythmischen Achterbahnfahrten, sie sind weiter zu hören. Nur die thematische Auseinandersetzung ist 2014 eine andere. „Miami/Mumbai“ setzt sich mit dem blutleeren Abhaken von Backpacker-Stationen und dem wahllosen Aneignen fremder Kulturen auseinander, wie Simon12345 im frohfroh-Interview erklärt. Mit einem Schwall an folkloristischen Eindrücken.

Eine Weltreise im Zeitraffer. Musikalisch wie inhaltlich. Und wäre das alles nicht durch den Praezisa Rapid 3000-Filter gejagt worden, wäre es nicht halb so spannend. Erstaunlich besänftigend dann „+997 Landlin“ mit der japanischen Sängerin Cuushe. Ein Electronica-Pop-Song, der nach hinten raus kurz den House-Floor in den Augenschein nimmt. Großartig. Aber auch „Ukrainian Dirtmob“ mit der wahnwitzig gepitchten Klarinette und dem plötzlichen Switch zum mächtigen Bass.

Während Doumen die Vinyl-Version mit den sechs neuen Originalen herausbringt, kümmert sich das japanische Label Noble um die CD und packt dort noch vier sehr eigenständige Reworks drauf. Dass hier neben einem japanischen Act und dem Berliner Heatsick auch Serph und Ras G & The Afrikan Space Programm zeigt, welchen Stellenwert Praezisa Rapid 3000 in Japan mittlerweile haben müssen.

Letzterer überträgt „+997 Landline“ in ein berauscht deepes und sich doom-anfühlendes „+997 Silence Of Lullaby“. Serph kommt genau mit dem Gegenteil: Eine breitwandig-launige Techno-Hymne. War er nicht eher ernste Electronica?

Auch der Berliner Heatsick bringt „Miami/Mumbai“ mehr auf den Dancefloor mit spleenig-schallendem 8Bit-House, der am stärksten die immer mitschwingende Praezisa Rapid 3000-Ironie in seinen Entwurf einbaut. Ein mehr als würdiger Nachfolger zum Debüt-Album.

Doumen Website
Noble Website
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Housenation – Eine musikalische Reise durch Deutschland

Gerade drehen zwei Stuttgarter Filmstudenten einen Dokumentarfilm über lokalspezifische soziokulturelle Codes in den Szenen der elektronischen Musik. Auch Leipzig ist eine Station.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich jemand auf eine längere Reise durch das Land begibt und lokale Akteure der Elektronik-Szene interviewt. Vor einigen Monaten war es Alex Ketzer mit seinem Beyond Plastic-Buch, der in Leipzig bei Kann Records, Ortloff und R.A.N.D. Muzik vorbeischaute. Nun also Christian Gebert und Patrick Gängler aus Stuttgart, die gerade beide in ihrem Praxissemester sind.

In den nächsten Wochen und Monaten gehen die beiden mit kompletter Filmausstattung und einigen Ideen im Kopf auf Tour zu DJs, Label-Betreibern und Bookern nach Stuttgart, München, Frankfurt, Köln, Berlin und Hamburg.

In Leipzig waren sie bereits vor zwei Wochen und haben Filburt von O*RS interviewt und bei seiner Label-Nacht in der Distillery begleitet. Einen ersten Teaser daraus gibt es mittlerweile zu sehen.

 

Nicht uninteressant: „Housenation“ soll scheinbar keine dieser Szene-Romanzen werden, sondern möchte „musiksoziologische Codes“ und das Besonderheiten des Publikums ins Visier nehmen.

In der Stuttgarter Zeitung heißt es etwas konkreter: „Einerseits möchten wir herausfinden, ob die Szenen der verschiedenen Städte sich in Bezug auf Ausgeh- und Hörgewohnheiten sowie Mode ähneln oder unterscheiden. Andererseits möchten wir die Basis der jeweiligen Szenen erforschen. Hierbei achten wir besonders auf soziologische Kriterien wie Geschlecht, Alter und soziale Schicht.“

Gänzlich identisch werden die lokalen Codes sicherlich nicht sein. Ob sie aber so merklich voneinander abweichen? Irgendwann im Frühjahr oder Sommer werden wir es erfahren. Dann soll „Housenation“ fertig sein – sicher gibt es den Film dann auch in Leipzig zu sehen.

Housenation Film Facebook

Things From The Basement „Vol. 1“ (Kann Records)

Nach dem 5-Jährigen Jubiläum begeht Kann Records gerade das nächste – die 20. Veröffentlichung. Auf sehr entspannte Weise.

Kein großes Tam-Tam um die runde Katalognummer. Zumindest aus musikalischer Sicht. Vielmehr zeigt Kann Records den Willen, weiter auch neue Gesichter zu featuren. Für Ergin Erteber alias Things From The Basement ist es die erste EP.

Aus der Ecke rund von Darmstadt und Frankfurt kommt er, scheinbar neben der Musik auch in einem künstlerischen Bereich aktiv – unbedingt den Video-Mix „You Look Different“ anschauen. Mit seinem Debüt legt er eine super entspannte und entschleunigte EP vor.

„Floral Ground“ und „Liquid Horizon“ halten die House-Referenz in Slow-Motion und warmer Deepness. Alles klingt gedimmt, heimelig, fern jeder Hast. Adult-House im besten Sinne, mit feinen Schwingungen und melancholischer Grundstimmung.

Noch stärker kommt dieses Gefühl mit den beiden Interlude-haften Stücken „But The More We Talk, The Less Words Mean“ und „Hope For Tomorrow“ hervor. Auf dieser EP erhalten sie aber einen völlig gleichberechtigten Stellenwert. Als Momente des Innehaltens und Versinkens.

Dies scheint eine meiner liebsten Kann-Platten zu werden.

UPDATE: Passend zur EP gibt es auch einen nicht weniger tollen Podcast-Beitrag von Things From The Basement.

Ergin Erteber Website
Kann Records Website
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Mix-Tipps im November

Okay, vielleicht wird es eine kleine Rubrik – ein paar Mixe aus dem jeweiligen Monat hervorheben. Im November sind schon zwei positiv aufgefallen.

Wer es noch nicht wusste: Micronaut hat über die vergangenen zwei Jahre eine Mix-Reihe etabliert, die sich jeweils einem Leipziger Stadtteil widmet. Nach Lindenau, Schleußig, Connewitz und Gohlis kam heute der letzte Teil heraus, der Liebertwolkwitz einen Soundtrack beschert. Richtig weit draußen also. Und die Uhren ticken dort scheinbar wesentlich langsamer. Ein Leben zwischen Vorstadt und Dorf.

Micronauts musikalischer Blick auf Liebertwolkwitz ist ein stiller, langsamer – ein Mixtape nahezu ohne Elektronik. Dafür Folk, Kammer-Pop, herzzerreißende Novembermusik.

Ein anderer Mix kam die Tage von Jennifer Touch. Eine Hommage an einige Synth-Wave-Pop-Helden. Alte und Neue. Große Elegien sind in dem 43-minütigen Mix zu hören, darunter auch zwei – scheinbar – noch unveröffentlichte Stücke von Jennifer Touch selbst. Noch in guter Erinnerung: Ihre erste EP von neulich auf Lunatic.

Nikolas Noam „Falling Remixes“ (Cimelde Records)

Im Frühjahr erschien die House-Ballade „Falling“ von Nikolas Noam. Nun gibt es drei Remixe dazu.

Das Original ist ja einer jener House-Tracks, die in ihrer poppigen und klanglichen Perfektion überaus einnehmend sein können. Obwohl ihr Pop-Appeal zugleich Skepsis hervorruft. Ein Widerspruch, der mich noch heute mit der Frage zurücklässt, was ich davon mag. Am Ende habe ich mich einfach mittragen lassen.

Nun also noch drei Remixe, einer davon von Nikolas Noam selbst. Er dubbt „Falling“ merklich ein und drosselt den cleanen, aufgepumpten Charakter. Damit kann er nur gewinnen. Jorge Takei behält die Dramaturgie bei, bringt aber mehr Funk ein. Ein insgesamt sehr behutsamer Eingriff.

Anders No Dial Tone: Das norwegische Duo strafft „Falling“ zu einem düster-schiebenden Tech-House-Stück, mit Rave-Warm-up-Signalen, die sich aber doch angenehm zurückhalten. Ein kleines Interview zur EP gibt es übrigens bei Trndmsk.

Nikolas Noam Facebook

Equal – Not Equal

Kassem Mosse und Mix Mup aka MM/KM hielten sich bislang weitgehend zurück mit öffentlichen szene-politischen Statements. Das Line-up der kommenden Audio Invasion hat jedoch einigen Unmut hochgekocht.

Am heutigen Montag posteten die beiden via Facebook eine deutlich verstimmte Bemerkung zum Line-up der kommenden Audio Invasion, bei der die beiden ebenfalls als Live-Act auftreten werden:

„Wir empfinden es als beschämend, dass bei der Audio Invasion weibliche Positionen in der elektronischen Musik weitgehend ausgeblendet werden. Eine derartige Bookingpolitik erscheint besonders in Hinblick auf den sich hochkulturell gebenden Rahmen der Veranstaltung, der Einbeziehung einer international angesehenen städtischen Institution als Veranstaltungsort und der Förderung durch einen namhaften deutschen Autohersteller mit klar männlich definierter Zielgruppe mehr als fragwürdig.

Wir stehen mit unserer Musik und unserer Praxis solch konservativen Kulturvorstellungen kritisch gegenüber und erwarten von den VeranstalterInnen eine Bookingpolitik, die die Repräsentation von Musikerinnen und Künstlerinnen fördert und reflektiert.“

Es bleibt nach wie vor ein Thema für große Kontroversen – im letzten Jahr wieder größer in die Diskussionen zurückgebracht durch De:Bug, Groove und das Netzwerk Female:Pressure. Die Audio Invasion nimmt hier natürlich eine Stellvertreterrolle ein, die ebenso auf viele Clubs und Festivals herunter gebrochen werden kann.

Es wird dann besonders ärgerlich, wenn nicht ausschließlich Kumpelbeziehungen sondern professionelle, international ausgerichtete Booking-Ansprüche ein Programm bestimmen. Hier kann kaum das oft strapazierte Argument vorgehalten werden, es gäbe schlichtweg zu wenige aktive Frauen in der elektronischen Musik.

Keine Ahnung, ob es einen Zusammenhang zu dem heutigen Statement von MM/KM gibt: Aber am Mittwoch findet eine weitere Diskussionsveranstaltung des KREV im Conne Island statt – genau zu diesem Thema. „Equal / Not Equal“. Und es soll der Beginn einer Reihe zu Frauen in der elektronischen Musik sein. Insofern ein durchaus passender Zeitpunkt für solch deutliche Worte.

Deko Deko im Licht

Da kommt etwas Großes demnächst. Das dunkel-wavige Duo Deko Deko arbeitet an einem Album. Zwei Schatten wirft es bereits voraus.

Zur Erinnerung: Deko Deko tauchten vor über zwei Jahren mit Ihrer Debüt-EP auf Ortloff auf. Es folgten Konzerte im Wald und anderswo. Neben dem eingedunkelt-poppigen Sound nimmt das Visuelle einen weiten gleichberechtigten Teil des Deko Deko-Ausdrucksraums ein.

Doch dann war es plötzlich wieder still. Zur kommenden Audio Invasion wird es aber ein Konzert des Duos geben, in zweierlei Hinsicht ein besonderes: Einmal weil Sängerin Lena an dem Abend leider nicht dabei sein kann, dafür wird sie aber von Good Guy Mikesh vertreten. Zum anderen dürften eine Menge neuer Stücke zu hören sein, die demnächst auf einem Album namens „Neustadt“ veröffentlicht werden. Die Freude ist nicht gerade klein hier.

Vorab haben Deko Deko ein Video zu „The Light“ gedreht. Zum Abkürzen des Wartens.

Deko Deko Website
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Neues Label – Honeymoon Tapes

Neues Label, neue Tapes – Tomika startet mit Honeymoon Tapes ein eigenes Tape-Label.

Für Musik, die er gern hört und die ein wenig mehr Aufmerksamkeit bekommen sollten. Mit den Tapes allein wird das jedoch kaum gelingen, denn die sind erstmal auf 50 Exemplare limitiert – und no repress. Und dann noch die Sache mit den Tape-Decks. Aber es gibt auch die Bandcamp-Streams.

Musikalisch dürfte es eine weitläufige Liebhaberei für den jungen Indietronic-Musiker sein, der in diesem Mai sein erstes Vinyl-Album veröffentlichen konnte.Tommy Tricker startet das ganze mit seiner „Lonesome Rider“-EP. Sonst auch mit House und Techno vertraut, haut er hier vier lockere Boom Bab-Instrumentals heraus. Mit guter Sample-Patina überzogen und auf ein rotes Tape überspielt.

Bin gespannt, wie breit die musikalische Bandbreite da noch ausgelotet wird bei Honeymoon Tapes. Zwei Videos gibt es zur EP.

Honeymoon Tapes Facebook
Tommy Tricker Facebook

Clara Park „Tilia Place“ (Resistant Mindz)

Ranko und Duktus sind Clara Park – und sie haben mit „Tilia Place“ einen Soundtrack für ebenjenen Ort produziert.

Super unaufgeregt. Denn natürlich könnte unter solch plakativen Namen auch eine Menge Park-Sommer-BBQ-Kitsch entstehen. Die Lässigkeit bildet aber das Grundrauschen dieser EP.

Überhaupt, was für ein Duo: Ranko gehört zu den großen Leipziger Entdeckungen der letzten zwölf Monate, Duktus hat sein Feingefühl für warmen und subtilen Instrumental-HipHop bereits auf mehreren EPs bewiesen.

Zusammen kommt mehr Soul und Pop rein. Beiläufig eingestreut in HipHop-, Trap- und Downbeat-Arrangements. Viel Wärme, viel angenehme Leichtigkeit. Mit kleinen Wendungen und gut dosierten Längen innerhalb der Tracks, die der durchaus drohenden Gefälligkeit entgegenwirken.

Zwei musikalische Handschriften verschmelzen hier. „Better Believe“ und „Flooded Boots“ sind meine Hits. Auf Bandcamp gibt es die EP for free oder zu einem selbst bestimmbaren Wert. Und ein Video zu „Better Believe“ obendrein.

Nachtrag: Die tolle erste EP war mir ganz entfallen. Clara Park haben sie noch einmal bei Soundcloud hochgeladen.

Resistanz Mindz Website
Clara Park Soundcloud
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Fördern und netzwerken

Musiker sein ist ja manchmal mehr als Spaß. Um sich bewusster im Musikbusiness bewegen zu können, gibt es die Wanderlust Akademie.

Hervorgegangen ist sie aus einer Kooperation des Wanderlust Booking-Agentur und der Moritzbastei. Ziel ist es, in mehreren Workshops einzelne Themen von Profis vorstellen zu lassen.

Andreas Bischof von Analogsoul dozierte beispielsweise im Oktober zu Social Media-Strategien für Musiker. Zur GEMA und Selbstorganisation folgen in den kommenden Monaten weitere Workshops.

Außerdem gibt es regelmäßig Netzwerkabende, in denen relevante Akteure der Musikbranche mit lokalen Bands, Bookern und Label-Betreibern zusammenkommen können. Solch ein Netzwerkabend findet am heutigen Montag (3.11.) statt.

Eingeladen ist Robert Schulz von der Initiative Musik, die mit Staatsgeldern Pop fördern. Einige Leipziger Musiker konnten davon bereits profitieren.

Los geht es um 19 Uhr in der Ratstonne, Eintritt ist frei, es steht aber eine Spendenbox an der Tür.

Wanderlust Akademie Website

Maximiljan „No Space“ (Moon Harbour Recordings)

Äh, habe ich die richtigen Tracks heruntergeladen? Diese EP kann doch nicht bei Moon Harbour herausgekommen sein.

Doch, sehr wohl. Und sehr überraschend. Von Maximiljan kommen die drei Stücke. Bei Discogs musste ich kurz lugen, um mehr zu erfahren. Aus Neuss kommt er, mittlerweile lebt er in Amsterdam und hat in den vergangenen drei Jahren eine kleine, gut sortierte Diskografie bei Liebe*Detail, Witty Tunes und anderen Labels aufbauen können.

Die „No Space“-EP ist erster Linie im Moon Harbour-Kontext bemerkenswert. So klassisch und druckvoll, zugleich so angeraut klang schon lang keine EP auf Matthias Tanzmanns Label mehr.

Großer Hit ist „All The Way“ mit seinem schwerelos-deepen Drive und den trockenen, hingerotzten Bassdrums – plus einem raumfüllenden Synth-Bass und wehmütigen Vocal-Samples. Hier stimmt einfach sehr sehr viel. Viel Classic, viel Schub und ein Tick Acid zwischendrin.

„No Space“ ist reduzierter, die Deepness angeteast, die Claps irgendwann herrlich angezerrt. Der derzeit oft zu hörende Dreck im Techno und House ist mit dieser EP auch auf Moon Harbour angekommen. Selbst bei „Trust Me“, einem Stück, das das Rave-Level deutlich anzieht. Wahnsinn.

Auch gleich mit anhören die Moon Harbour Radio-Ausgabe mit Maxmiljan.

Maximiljan Facebook
Moon Harbour Website
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