Zwei Grüße aus Olganitz

Ein Monat liegt das Nachtdigital zurück. In der sommerlichen Doomness ist da auch die diesjährige Platte untergegangen.

Das soll sie aber nicht. Denn die mittlerweile vierte Ausgabe der „Nachti“-Reihe ist überaus hörenswert. Perm kommt hier nämlich zu seinem Vinyl-Debüt. Endlich, längst überfällig.

Und sein unbetitelter Track bohrt sich in roher und zugleich schillernder Weise ins Gedächtnis. Ein leichter Acid-Einschlag vor einer hellen, später episch aufbrausenden Synth-Wand und einer etwas blechern-schleppenden Bassdrum. All das war schon bei ersten Perms Soundcloud-Lebenszeichen zu hören. Nun kommt es aber auf dieser Festival-Compilation zu entsprechender Würde und Aufmerksamkeit. Und wer macht jetzt die Debüt-EP, bitte?

Auf der gleichen Vinyl-Seite sind auch Praezisa Rapid 3000 zu hören. In einem harten Kontrast zu Perm natürlich. In all dem stolpernd-feinsinnigem Charme – „This One Goes Out To Our Grandmothers & Großmuddis“, logisch. Der Soundtrack zum großen Doumen-Einfluss auf das diesjährige Nachtdigital. Und eine schöne Erinnerung an das wunderbare Album.

Außerhalb des lokalen Kontexts bespielen Legowelt und Randweg die andere Seite mit eigenwilligen Ansätzen. Irgendwo zwischen Analog-Disco und Kraut-House. Es sind bisher immer besondere Platten gewesen, die aus Olganitz kamen. Das bleibt auch in diesem Jahr so. Restexemplare sind im Festival-Shop zu bekommen.

Und noch ein Andenken gibt es: ein Zeitraffer-Video hat einige Eindrücke eingefangen. Wieder von Martin Lovekosi zusammengebastelt, der auch schon den vergangenen Winter im Conne Island mit mehr als 4.000 Fotos eingefangen hatte. Beim Nachtdigital waren es 10.000, um einen rund dreiminütigen Clip von Ankunft, Aufbau und Rave zu erstellen.

Earnest And Without You „s/t“ (Analogsoul)

Mit A Forest waren sie in diesem Jahr auf Tour. Nun veröffentlicht das Berliner Duo Earnest And Without You sein Debüt-Album bei Analogsoul.

Ein beeindruckendes, um es gleich vorweg zu nehmen. Dabei bürgt das Setting ein gewisses Potential zum Überambitionierten: Geige, Gesang, Elektronik. Daniella Grimm und Antonio Passacantilli reduzieren jedoch an den richtigen Stellen. Durchweg. So zerfasert der Pop ins Avantgarde und die Electronica erhebt sich ins dezent Eingängige.Auch theoretisch ist das verankert. Um „Voids, versteckte oder offen markierte Abwesenheiten, in denen Erwartungen musikalisch und auch textlich explizit nicht erfüllt werden“, geht es Earnest And Without You. Und dieses Weglassen erzeugt über acht Songs hinweg eine ebenso angenehm gedimmte wie spannungsgeladene Atmosphäre.

Mit warmen Folk-Pop-Momenten, experimentellen Abzweigen, feingliedrigem Sounddesign und einer gleichermaßen ausgeprägten Aufrichtigkeit für Pop und Avantgarde. Dabei aber so unaufgeregt, dass nirgendwo ein Gefühl des Überambitionierten aufkommt.

Mir kommt beim Hören des Albums auch gleich „Suavium“, das Solo-Debüt von Delhia de France in Erinnerung, das vor wenigen Monaten auf ähnliche Weise überzeugen konnte. Allerdings ist bei Earnest And Without You mehr Understatement herauszuhören, was ihrem Album extrem gut tut. Eine große Entdeckung.

Earnest And Without You Website
Analgsoul Website
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Acht aus einem Sommer

Dieser Sommer war irgendwie anders für frohfroh. Eine große Offline-Sehnsucht machte sich breit. Dadurch ist einiges an neuer Musik aus Leipzig vorbei gerauscht. Hier ein Rückblick.

Juli und August sind die Festival- und Chillmonate, die Clubs machen dicht und auch die Labels fahren ihr Pensum ein wenig herunter. Ganz herunter aber nicht. Einige EPs kamen in den vergangenen Wochen heraus, die hier nicht untergehen sollen.

Daniel Stefanik „Signs“ (Cocoon Recordings)

Allen voran Daniel Stefanik, der nach seinem letztem Album „Confidence“ erstmals wieder auf Cocoon Recordings zu hören ist. „Signs“ heißt die neue EP. Und die beiden Tracks schlagen eine eindeutige Richtung zum großen Main Floor ein.

Schwer schiebend und weit ausladend. Zwar in der Stefanik-eigenen Musikalität geerdet, aber doch hörbar auf Rave getrimmt. Besonders “Illuminations“ ist wirklich nah an einer verwirrenden Trance-Epik. Da gab es andere Höhepunkte in Daniel Stefaniks Diskografie.


Panthera Krause „Laika“ (Riotvan)

Anders bei Panthera Krause, dem Solo-Projekt des Marbert Rocel-Mitglieds. Er ist mit seiner zweiten EP – wieder auf Riotvan – noch am Ausloten des eigenen Sounds. Beim Debüt lagen die Referenzpunkte bei Disco und Deep House. Auf „Laika“ kommt erneut sein musikalisch organischer Background zum Vorschein, stilistisch erweitert sich Panthera Krause aber um einige Ecken.

„If“ beispielsweise sehr verspielt mit trockenem und stolperndem Beat, „Isla“ dagegen super stromlinienförmig und konzentrierter. Auch hier ein epischer Einschlag, aber weniger offensiv als bei Daniel Stefaniks „Illuminations“. Die Dub Version raut alles noch etwas mehr an.

Und noch etwas ist neu mit „Laika“: „Through My Mind“ liiert sich schon fast unverschämt deutlich mit der poppigen Deepness von John Talabot. Es soll bald die nächste Panthera Krause-EP folgen. Dieses Mal nicht auf Riotvan.


Sven Tasnadi „Apollo 13 EP“ (Moon Harbour Recordings)

Neues während des Sommers auch von Sven Tasnadi. Eine neue Moon Harbour-EP. Und sie beginnt mit einem großen Gähnen. „On Your Mind“ ist solch ein Tech-House-Tool, das in seiner legeren Freiluft-Leichtigkeit eine Menge Langeweile mitschwingen lässt.

Erstaunlicherweise holt Marco Faraone mit seiner Dub Version einen komplett anderen Vibe aus dem Stück. Mit unglaublich drückender Bassdrum und einer verhuschten Düsternis. Und einer permanent lodernden Spannung. Der Hit dieser EP.

Obwohl Sven Tasnadi mit „Feed Good“ und „Miss Understood“ selbst noch weitaus einnehmender Tracks nachlegt. Wohl, weil sich die Sounds hier direkter und mit mehr klassischem House-Charakter entfalten können.


Sené Ceanes „Unchained Interviews“ (Esoulate Music)

Esoulate Music ist ja bekanntlich vom Net- zum Digital-Label geswitcht. Bisher gab es jedoch nur Re-Releases. Sené Ceanes läutet die neue Ära mit bislang unveröffentlichten Tracks ein.

Seine „Unchained Interviews“-EP widmet sich ganz der europäischen Deep House-Ästhetik der späten Neunziger. Mit einem cleanen, rhodes-betonten und fülligem Sound und einer gewissen Soul-Pop-Nähe. Irgendwo zwischen Realness-Ernsthaftigkeit und einer humorvollen Verspieltheit mit eingebauten Interview-Samples.

Bei Sené Ceanes ist die Erfahrung und Versiertheit immer unmissverständlich herauszuhören. Nur fehlen mir bei seinen Stücken meist die charakteristischen Elemente.

„Just Dance“ und „Crush An Airplane“ bilden mit dem Detroit-Sidekick und der fanfarenhaften Klarheit eine Ausnahme. Simon Sunset holt den Deepness-Ansatz mit seinem „My Journey“-Remix mehr in die Gegenwart.


Various Artists „All Directions Of Love“ (A Friend In Need)

Digital veröffentlicht aktuell auch noch A Friend In Need, das vor wenigen Monaten von Lootbeg gegründete Label. Nach der Compilation zum Start folgt eine weitere Werkschau, die zeigt, wie gut vernetzt Lootbeg international zu sein scheint.

78 Edits aus Edinburgh und Buzz Compass aus Russland steuern je einen Track bei, La Tuerie und Lootbeg selbst sind erneut zu hören und auch der Leipziger iami, der bislang öfter im Tetmusik-Umfeld auftauchte.

Er durchbricht die eingeschlagene Deep House- und Disco-Range dieser zweiten Compilation mit einer introvertierten, bassschnarrenden House-Miniatur. Ein Edit offensichtlich.

Auf jeden Fall einer schöner Nebenschauplatz neben sich den versiert in der House- und Disco-Klassik austobenden vier anderen Stücken. Künftig sollen sich die Release-Intervalle auf A Friend In Need verkürzen.


Various Artists „Bandwith Spektrum Work EP (Pragmat)

Einen Ausflug ist die Techno-Dunkelheit gibt es mit Pragmat. Die mittlerweile siebte Veröffentlichung erschien Mitte Juli auf Vinyl. Label-Betreiber Markus Masuhr teilt sich die beiden Seiten mit Georg Bigalke. Einzeln und gemeinsam. Bigalke bringt eine spürbar rauere Note auf diese Pragmat-EP. Breakiger in den Beats, darker und offener in den Arrangements.

Das gemeinsame Stück „Minsk“ geht denn auch schon mehr in Richtung Electronica als Techno. Kantig und neurotisch und eindringlich. Auch Georg Bigalkes Solo-Stück „Whispering Slaves“ verbietet sich die klar berechenbare Abfahrts-Eingängigkeit.

Wobei: auch Markus Masuhr bietet da einen gelungenen Gegenpol mit seinem “Questionable One Another Implemantation“. Ebenso düster, aber weitaus straighter und geradliniger. Eine der bislang besten Pragmat-Veröffentlichtungen. Wieder streng limitiert und Sticker und Poster zu einem Gesamtkunstwerk aufgewertet.


Free Download und Jubiläum

Ansonsten noch zwei einzelne Stücke. Pwndtiac haute, ergänzend zu seiner aktuellen EP, kürzlich noch „Nightvision“ als Free Download heraus. Ein schwelgerisch und schwerelos schwebendes Disco-House-Stück, das mit dem Franzosen Douze zusammen entstand.

Außerdem ist Juno6 auf der Compilation zum 16. Jubiläum der Jenaer Label-Institution Freude am Tanzen zu hören. „Seq2“ überrascht mit ebenso runtergedimmten wie direkt schiebendem Soul-House, wie er bei Sonar Kollektiv zu deren besten Zeiten zu hören war. Sonnenuntergang, Sonnenaufgang und all das klingt hier mit durch. Was für ein Song, oder Track.

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Neuer Plattenladen – Possblthings

Lange hat es ja nicht gedauert bis die Alternative zum gerade geschlossenen Kann Records-Laden folgte. Anja war schon bei Possblthings.

Mix Mup hatte es in einem Facebook-Post bereits angedeutet: der Macher des neuen Plattenladens Possblthings in Connewitz ist ein in Leipzig nicht unbekannter Connaisseur elektronischer Musik: Demian von Spunkey Monkey Records.

Seit gefühlten zehn Jahren schon bewegt er sich als Labelbetreiber und mit eigenen Produktionen im Umfeld von Giroton und Homoelektrik. Der Wunsch, einen eigenen Plattenladen zu eröffnen, trieb ihn seit über einem Jahr um: „Alle reden vom Sterben der Plattenläden, aber es gibt doch immer mehr Platten. Und dafür in einen Laden zu gehen, ist doch immer noch etwas besonderes.“

Eigentlich hätte er gern im Westen von Leipzig einen Raum eröffnet, doch dort sind die Mieten eben inzwischen wohl doch zu teuer. Ein Glücksfall also, dass ein befreundeter Hausbesitzer ihm nun diesen kleinen Ladenraum in der Bornaischen Str. 95 anbot, den er mit wenigen Mitteln hergerichtet hat.Noch etwas leer wirkt er. Je eine aktuelle Kiste House, Techno, Elektro und Synthwave, dazu ausgesuchte Afrobeat- und Basic-Channel-Scheiben sowie etliche ältere Schätze zwischen Acid-Klassikern und Force Inc. Das Angebot soll aber weiter wachsen und dafür braucht es natürlich Käufer.

Über den bisherigen Zuspruch seit der Eröffnung am 20. Juni freut sich Demian jedenfalls: „Es stolpern jeden offenen Tag neue Leute rein, und es ist schön, ins Gespräch zu kommen.“

Eine Kaffeemaschine gibt es inzwischen auch. Und die Verkehrsanbindung ist, direkt an der Connewitzer S-Bahn-Station gelegen, auch super. Also keine Ausrede mehr, Euch auch auf den Weg in diesen äußerst sympathischen Laden zu machen. Geöffnet hat er übrigens Donnerstags bis Samstags von 12 bis 19 Uhr.

Mac-Kee „Gomorra EP“ (Zwischenwelten)

Mitte Juli schon kam die zweite Zwischenwelten-EP heraus. Wieder ausschließlich auf Vinyl mit Siebdruck-Cover.

Hinter den Kulissen hat es aber eine kleine Verschiebung gegegeben: ab sofort agiert Zwischenwelten als Sub-Label von Mac-Kees Dirtydrivesounds. Chris Manura veröffentlichte dort 2012 seine „Cube EP“.

Nun teilen sich die beiden die neue Zwischenwelten-Platte. Deren Label-Debüt überraschte ja Ende des letzten Jahren mit einem ungewohnt breakigen Manura-Stück. Dieses Mal ist er als Remixer von Mac-Kees sphärisch-schiebenden „Gomorra“ zu hören, einem eingedunkelten Tech-House-Stück mit Dudelsack-Break. Gewagt, aber doch beiläufig genug, um dem Folklore-Overkill ausweichen zu können.

Chris Manura hat da weniger Scheu. Er gibt den Harmonien und dem Sound an sich wesentlich mehr Raum. Wieder mit breakigem Beat zwar, aber insgesamt doch pathetischer und mit groß vibribrierender Bassline. Irgendwie wird mir da zuviel aufgefahren. Sicherhlich auch, weil bei „Aleph“ in der Überraschung soviel stimmte.


Zwischenwelten Website
Mac-Kee Facebook
Chris Manura Facebook
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Thomas Scholz „Asle EP“ (O*RS)

Filburts Label O*RS verhilft in diesem Jahr nach Ranko einem weiteren Musiker zur Solo-Debüt-EP: und auch Thomas Scholz überzeugt von Anfang an.

Dabei beginnt die EP höchst verwirrend mit einem Metal-/Hardcore-Vocal. Vor einer entfernt drückenden Bassdrum und einem Regenguss ist es plötzlich bei „I Break Free“ da und schreit sich frei, bis es von Klavier und Streichern überlagert wird. Ein skurriles Zusammenspiel mit Pathos und versunkener Schüchternheit.

Auch „Mimesis“ ist kein Stück, dass einfach vorrüber rauscht, obwohl die Bassdrums deutlich tighter ausfallen. Thomas Scholz scheint viel Wert auf dichte Melodiebögen mit sehr eigenwilligen Arrangements zu legen, gleichermaßen mit Electronica- und Dancefloor-Spannungen spielend. Was für eine Entdeckung.

Mit Rampue und Powel hat Filburt zwei Remixer angefragt, die beide bereits oft ihren feinen Sinn für die spezielle Deepness bewiesen haben. Beide strecken „I Break Free“ und „Mimesis“ mit lässigem, entrückt-schillerndem Schub stärker für den Dancefloor. Powel etwas ausladender, Rampue mit mehr Pop-Appeal.

Da wirkt Filburts Remix fast wie ein Ausbruch aus der beseelten Dämmerung. Nach seinen zurletzt sehr zurückhaltenden Stücken eine überraschend offensive Wendung.O*RS wäre nicht O*RS, wenn es zur herkömmlichen EP nicht auch eine limitierte Version gäbe. Dieses Mal gibt es 25 USB-Sticks mit Label-Logo.

O*RS Bandcamp
Thomas Scholz Website
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Sommerloch in der Kochstraße

Zurück aus der Sommerpause – und gleich mit einem großen Sommerloch. Der Kann Records-Plattenladen ist zu.

Die überraschende und kurzfristige Schließung liegt schon über eine Woche zurück. Über die Beweggründe sprach Alex „Sevensol“ mit der Groove – sehr lesenswert. Zusammen mit der Schließung des Cotton Box-Ladens wird der Anfang der Kochstraße nun einiges an Charme verlieren.

Dass mit dem Kann-Laden der letzte Plattenladen für Clubmusik in Leipzig wegfällt, ist eine jener Tragiken, die seit der durchgreifenden Digitalisierung der Musikbranche immer wieder zu erleben war in den vergangenen zehn Jahren. Da konnte auch der Vinyl-Boom nichts mehr retten.

Es gibt neue Hör- und DJ-Gewohnheiten, große Online-Shops für Vinyl – der Plattenladen als sozialer Ort ist abseits der wirklich großen Städte zu einer großen, von ausdauerndem Idealismus getragenen Ausnahme geworden. Schade, dass Leipzig in seiner Label- und Artist-Renaissance künftig darauf verzichten muss. Vorerst vielleicht – denn wer weiß, ob sich nicht doch noch jemand für einen kleinen neuen Laden begeistern kann. Wer mag?

NACHTRAG:

Possble Things wurde als neue Alternative genannt. In der Bornaischen Str. 95.

Neues Label – Defrostatica

Der Rückzug von Booga bei It’s Yours scheint mehr Elan als gedacht freigesetzt zu haben: nun startet er ein Label.

Vor wenigen Tagen platzte Booga via Facebook mit der Nachricht heraus, dass er ein Label namens Defrostatica gründen wird. Starten soll das „drum and bass breakbeat jungle footwork electronica thing“ im Herbst.

Auch wenn noch nichts einleitendes zu hören ist, klingt die Ankündigung super spannend, gerade als Impuls für mehr Öffentlichkeit für all die hiesige elektronische Musik abseits der geraden Bassdrums. Verfolgen lassen sich die ersten Gedanken und Schritte und Fehltritte auf dem eigens für das Label aufgesetzten Tumblr-Blog.

Defrostatica Tumblr

Sommer Sommer

Überall Sommer Leisure, Sommerpause, Sommerhose – bei frohfroh in diesem Jahr auch. Zwei Wochen sind wir offline. Ein paar Lektüretipps zum Überbrücken.

Der Computer bleibt zu Hause. Deshalb gibt es hier die nächsten zwei Wochen nichts Neues zu lesen. Außer die Tipps für das kommende Wochenende. Das frohfroh-Archiv ist aber mittlerweile groß genug, um sich in der Zwischenzeit nicht zu langweilen. Zur Sommerlektüre empfehlen wir:

Steffen Bennemann interviewt Johannes Beck zu seinem Kann Records-Album „Beyond Pleasure And Pain“.

LXC interviewt Skweee- und Analogfan und Neu-Leipziger Karl Marx Stadt.

Weitere Interviews der letzten Monate: Friederike Bernhardt über Theatermusik und die Elektronik, Delhia de France über ihr überraschendes Solo-Debüt, Philipp Weber zu seiner herausragenden Solo-EP auf Holger Records und Micronaut zu Leipzig und seinem neuen Album „Panorama“.

Zwischendurch lohnen auch ein paar Musikvideos: von Here Is Why etwa, oder Johannes Beck oder Aaaron.

Oder mitdiskutieren über den Techno-Kapitalitmus und den Boiler Room. Oder Geschichten zur Vinyl-Kultur in Leipzig beisteuern.

Oder einfach unsere Sommer-Playlist anhören. Eine gute Zeit und bis denn.

Micronaut „Polka Dot EP“ (Voltage Musique)

Micronaut legt gar nicht lange nach seinem „Panorama“-Album eine nächste EP nach. Bei alten Bekannten.

Diese EP ist mit einer Zeitreise verbunden. Ins Jahr 2004, als Micronaut seine Mecklenburger Heimat als Live-Act eroberte. Damals erschien auf dem geraden gestarteten Label Voltage Musique eine Compilation mit „Lampen“ darauf. Ein frühes Micronaut-Stück, das aus heutiger Sicht fast schon antik wirkt.

Nicht, weil es solch einen Rumpel-Elektro-Rock heute nicht mehr gäbe. Viel mehr, weil es den großen musikalischen Sprung Micronauts hin zum uniquen überquellenden Electronica-Indie-Hybriden deutlich macht. Zehn Jahre später ist auf Voltage Musique ein anderer Micronaut zu hören.

„Driving Home“ und „Maintain“ fügen sich nahtlos in den aktuellen „Panorama“-Sound ein, sowohl langsam und harmonisch schwingend als auch mit raumgreifender Euphorie. Ein stilistisches Dazwischen, immer wieder.

Wie banal dagegen die beiden Remixe von Andreas Henneberg und Faray wirken. Schön die Rave-Koketterie von Micronaut adaptieren – allerdings ohne die Koketterie. Es soll übrigens noch eine weitere „Polka Dot“-EP geben. Parallel zum ersten Teil erschien auch einen VMR-Podcast von Micronaut.

Micronaut Website
Voltage Musique Website
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Talski „Floating Woven“ (Paradise Now)

Talskis Sound verändert sich, oder erweitert sich. Seine neue EP schlägt eine dunkel-hypnotische Richtung ein.

Wobei: etwas Hypnotisches hatten auch schon die Stücke seines Debüts auf Rivulet Records. Allerdings weitaus mehr im feingliedrig mäandernden House. Diese EP hier – veröffentlicht nur als Vinyl beim Münchner Label Paradise Now – lässt sich von der loopigen Techno-Hypnose mitreißen.

Ein spärliches Set-up an Sounds, das im richtigen Arrangement aber einfach elf Minuten durchlaufen kann, ohne an Spannung zu verlieren. „Gerold Dub“ bohrt sich an der Peaktime vorbei, direkt hinein in einen alles bündelnden Kern, in dem es keine großen Break-Effekte braucht.

Auch „Meridia“ ist gefühlt ein einziger Loop. Weicher gezeichnet, einen Tick heller betont. Mit „Floating Woven“ kommt auch noch ein kontemplatives Stück Ambient auf die Platte. Ähnlich reduziert, nur mit anderem Ziel.

Eine noch weitergehende Reduktion ist der große Aufhänger dieser EP. Und Talski bleibt auch darin höchst versiert. Ist das vom Sound her ein weiterer Vorgeschmack auf Dur, jenes Label, das Talksi noch in diesem Jahr starten möchte?

Ein Stich aber: die Platte soll über Intergroove vertrieben werden. Die haben jedoch diese Woche Insolvenz angemeldet.

Talski Website

„2019 kommt das Album“ – Bernhardt.

Rauschen mit Klavier und vielem Dazwischen – Friederike Bernhardts Musik lebt maßgeblich auf der Theaterbühne. Und darüber hinaus? Ein Interview.

Es war ein Zufall, wie so oft. Bei Soundcloud, Bernhardt. heißt das Profil, darauf gleich zu Beginn eine dramatisch und eingedunkelt schwingende Ballade und fast zwei Dutzend weitere Tracks, Fragmente, Theatermitschnitte. Ein Fall für „Neues aus der Wolke“? Schnell wird klar, dass das Format nicht passt. Und dass es doch irgendwie hier an sich schon rein passt.

Mir war immer unklar, warum der ICE auf der Fahrt nach Berlin in Lutherstadt Wittenberg halten muss. Für Friederike Bernhardt, logisch. Dort kommt sie her, studierte Klavier am Conservatoire Nationale Toulouse, später Dramaturgie und Elektroakustische Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig.

Eine andere Welt. Bühnenmusik. Viel in der Hartmann-Intendanz hat sie komponiert, aber auch in Düsseldorf, Frankfurt, Berlin und aktuell in Stuttgart. Spätestens seit Niklas Kraft als Talski und mit Pandt hat sich mein staubiger Blick auf den Hochschul-Output verändert. Friederike Bernhardt trägt auch dazu bei. Daher ein ausführlicheres Einführungsinterview.

Erst Klavier, später Dramaturgie und Elektroakustische Komposition – hast du ein Ziel vor Augen, wo du künstlerisch hinmöchtest oder haben sich die verschiedenen Felder nach und nach ergeben?

Das sind eher Handwerke als Felder die ich in dieser Reihenfolge lernen durfte und mit denen ich weniger künstlerische Ziele verfolge als vielmehr Zustände, Nächte, Sehnsüchte oder Tiere abstrahiere. Das Klavier war schon immer da, das mit dem Theater kam eher aus Versehen, die Elektroakustik ist genau genommen irgendwo dazwischen. Ein sehr freundlicher Vermittler sozusagen.

Inwiefern Vermittler? Kann die Elektroakustik besser auf Theatralik eingehen?

Vielleicht, vor allem aber auf mich. Ich habe mit ihr mehr Möglichkeiten, den Raum zu übernehmen oder zu untergraben als mit einem Klavier – von dem ich noch immer ausgehe. Das kann freilich jeder Musiker, dem man eine Steckdose und ein paar Kabel auf die Bühne legt. Das Wort Vermittler meint mir nur einen kleinen privaten Dolmetscher zwischen beidem. Ich habe vom Klavier sehr viel, vom Theater überhaupt keine Ahnung. Die Elektronik übersetzt mir mal meine Gewohnheit, mal einen unaussprechlichen (deswegen Aufführungsverbot einführen, bitte) Kleist, mal lediglich das kollektive Bedürfnis nach einer gewissen Lautstärke.

Deine Arbeiten sind demnach eng verzahnt mit dem Theater. Aber nicht nur, oder?

Doch, eigentlich schon. Zum Erfinden von zusammenhängenden und sinnvollen Tönen ist dieser Raum für mich der luxuriöseste, den es gibt. Daher ist eigentlich in den letzten Jahren jede Musik irgendwo zwischen Bühnenbildern, schreienden Schauspielern, Nebelmaschinen oder unprofessionell belegten Kantinenbrötchen entstanden.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit Regisseuren, Schauspielern, Bühnenbildner etc. vorstellen: Bist du von Anfang an mit eigenen Ideen involviert oder übersetzt du die Vorstellungen der Bühnenleute?

Früher als ich noch jung war, habe ich weit vor Probebeginn komponiert oder skizziert, mir Themen und Songs überlegt. Mittlerweile komme ich lieber nackig, frei, unbefleckt, unbedarft, rein, tolerant und weltoffen in die Proben, ich bin dann leichter zu beeindrucken.

Soll heißen, ich beobachte gern so lang ich kann und fange verhältnismäßig spät an, mir Musik auszudenken – bzw. hat es dann nicht mehr viel mit Denken zu tun, was das Schöne daran ist. Und klar sind es, musikalisch gesehen, eigene Ideen, aber so empfinde ich nicht. Hin und wieder übersetzt jeder jeden.

Wer wann wen wozu inspiriert, erlebe ich als sehr fluktuierend, deswegen hat der Raum im sich-gegenseitig-Bedingen etwas Beflügelndes, in seinen dadurch entstehenden Abhängigkeiten auch etwas Toxisches. Der Rest is in between und in the middle of wasweißich, ich möchte das gar nicht rausfinden.Auf deinem Soundcloud-Profil befindet sich neben den Theaterstücken auch eine Playlist namens „pre//juice//dis“ mit sehr song- und track-ausformulierten Stücken. Stammen die auch aus einem Theaterstück oder entstehen auch unabhängig davon Stücke? Für eine Platte als Album oder EP?

„Happy Battle“ habe ich ursprünglich für Hebbels Nibelungen-Brunhild (Zonen-Moni) geschrieben, der Songtext ist original 1861, übersetzt. Leider kam es nicht zur Premiere dieses Stücks. Die Fehlgeburt wollt ich dennoch gern überwinden, daraus entstand der Hit.

Der zweite Track entstand unlängst auf einer bayrischen Probebühne. Der Souffleur sperrte mich (eventuell) aus Versehen ein und ich verbrachte die Nacht inmitten der Schaumstoffleichen eines argentinischen Puppenspielers. Ich war sehr beleidigt. Und ja, ich bastele auch unabhängig vom Theater an verschiedenen Sachen, ich bin nur so fürchterlich langsam. Man kann aber bereits jetzt gespannt auf ein Album warten, das 2019 erscheinen wird.

Das Tolle am Theater ist ja die Direktheit und dass die Aufführungen nicht konserviert werden können – dein Werk hat also immer etwas Flüchtiges, Unmittelbares und zugleich temporär Begrenztes. Bei Soundcloud werden deine Stücke aus dem Kontext gerissen und zu Fragmenten. Verlieren sie da an Spannung oder meinst du, sie können durchaus für sich stehen?

Ich glaube nicht. Hochladen wollt ich sie trotzdem, ich will ja auch nicht sterben. Zudem ist die Musik zu selten durchkomponiert – bei Apparats „Krieg & Frieden“-Album funktioniert das zum Beispiel toll – daher passt Fragment tatsächlich sehr gut.

Es ärgert mich ab und zu, dass meine Musik zu jeder Derniere verschwindet und ich es grundsätzlich versäume, sie mitschneiden zu lassen. Es ist aber auch gut so. Die Musik hat ihren Sinn nur in dem Raum, für den sie gemacht ist.

„Endspiel“ ist eine Ausnahme. Ich verbinde damit sehr viel, eine MP3-Datei ist in Anbetracht dessen ein sehr rumpeliger Platzhalter. Würde ich das losgelöst von der Arbeit hören und natürlich sofort beurteilen, würde ich mich fragen, ob ich da ernsthaft nur vier  Akkorde aneinandergereiht habe (es sind sieben). Zum Glück höre ich das aber nicht losgelöst und mag also auch den Platzhalter.

Gibt es einen bestimmten Stil oder bestimmte Elemente, die für dich immer wieder wichtig sind – egal in welchem musikalischen Kontext?

Über Stil kann man nur bei anderen reden, Elemente ja, im Sinne von Techniken. Ich kenne mich musikalisch mittlerweile zu gut – sowas ändert sich ja zum Glück hin und wieder – und bin gern schon mal im Voraus von einer Idee gelangweilt. Ich weiß, wie meine Finger auf Tasten klingen, was und wie wer wann aus welchem Effektgerät kommt oder wann mir wohl der Bläsereinsatz einfallen wird.

Aber ich habe mich in ein zwei Geräte und zwei drei Plugins verliebt, die mich darin ganz gut aushebeln bzw. die mir dabei helfen, mich selbst zu veralbern oder wenigstens von mir zu distanzieren. Über nicht-vorhersehbare-und-schwer-beeinflussbare Parameter, wie Gott das eben so macht.

Ich würde natürlich nie verraten um welche Geräte es sich handelt, denn wenn ich noch einmal öffentlich zugebe, dass ich meinen Korg Trinity sehr lieb habe, werde ich gemeuchelt. Und im Theater: Terzen. Ich mag es sehr, wenn Schauspieler singen. Das können sie am besten in Terzen.

Bist du ein gläubiger Mensch und spielst du mit einer spirituellen Ebene des Loslassens?

Oder müsste es heißen, nicht und, dann würde ich mich ertappt fühlen. So hingegen bin ich ein gläubiger Mensch.

Wo siehst du deine konkreten Berührungspunkte zur elektronischen Musik – hauptsächlich in der Avantgarde?

Ich weiß gar nicht, was momentan zur Avantgarde zählt. Beim Festival für Elektroakustische Musik am ZKM in Karlsruhe vor drei Jahren hatte ich den Eindruck, die Raffinesse der für die Kompositionen angewandten Technik bestimmt das Ausmaß an Avantgarde, um nicht zu sagen das vermeintlich künstlerische Niveau. Vor allem unabhängig von Sinnlichkeit.

Vielleicht gehört eine gewisse Verschnurpseltheit derzeit noch zu einem guten Ton oder einem allgemein gängigen Verständnis von Avantgarde, da spiele ich ja auch sehr gern mit. Vielleicht stimmt das aber auch gar nicht.

Und abseits der Avantgarde – verfolgst du, was an elektronischer Musik entsteht? Experimentelle oder cluborientierte Sachen?

Mit cluborientierten Sachen kenne ich mich nicht aus, stelle dahingehend zwar erstaunlich regelmäßig einen ausgeprägten Hang zum Obszönen fest, habe das aber auch fünf Minuten später wieder vergessen. Mittlerweile stehe ich jedoch dazu – hört man öfter von Frauen die auf die 30 zugehen.

Und die ordentliche Seite ist vielmehr ein Nacharbeiten als Verfolgen. Lachenmann doch noch einmal genauer hören, sich heimlich dafür interessieren wie Ferneyhough für Streicher schreibt oder googlen was an Ikeda experimentell sein soll. Eher aber mit einer gewissen Sensationsgeilheit als einem ernsthaft musikalischen Interesse. Letzteres habe ich zum Beispiel für Schostakowitsch. (s Streichquartette!).

Derzeit arbeitest du viel am Schauspiel Stuttgart – zu welchem Stück sollten wir runterfahren?

Zu „Onkel Wanja“ oder „Die Reise“. Näher und bald: zur Premiere von „Der Geizige“ am 25.9. am Deutschen Theater Berlin. Hin!

Bernhardt. Soundcloud
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