Talk Talk – Wie ist es vom DJ zum Papa zu werden? – Schlepp Geist und Chris Manura

Es gab auch richtig schöne Nachrichten vergangenes Jahr: Die zwei DJs und Produzenten Schlepp Geist und Chris Manura sind im Corona-Jahr 2020 Papas geworden. Statt vor dem DJ-Pult stehen sie nun vor der Wickelkommode und unterwegs sind sie vor allem im Wald zu Fuß mit angeschnalltem Baby vorm Bauch.

Trotzdem haben sie erst kürzlich einen gemeinsamen Track rausgebracht. Human Passion ist von Chris Manura und Schlepp Geist hat einen Remix dazu geliefert.

DJ-Daddys

In der neuen Folge Talk Talk reden sie mit Kathi über Vereinbarkeit von Kind und Karriere, wie es ist, zum allerersten Mal Papa zu werden und ob Selbstständige die entspannteren Eltern sind, weil sie sich ihre Zeit besser einteilen können. 

Wünschen sich Chris Manura und Schlepp Geist die Festival- und Clubsaison zurück, um nicht nur noch Papas zu sein? Schließlich sind beide auch vom Berufsverbot betroffen. Spoiler: Es kommt immer anders, als man sich es vorstellt.

Talk Talk


Wir wollen natürlich auch die weibliche Sicht hören! Seid ihr Musikerinnen, DJs und Akteurinnen in Leipzigs Nachtkultur und wollt die Thesen von Chris Manura und Schlepp Geist bestärken, widerlegen oder aus weiblicher Sicht erklären? Meldet euch, gerne nehmen wir einen zweiten Podcast zum Thema Vereinbarkeit von Kindern und Technoszene auf!

Danke – ein Jahr mit Steady, ein Jahr mit euch!

Ein Jahr Steady, ein Jahr mit eurer Unterstützung – Danke! Danke, danke, danke. Eure Spenden an uns haben uns in diesem Jahr weitergebracht, wenn nicht durchgebracht.

Wir haben nicht nur unsere Hosting- und SoundCloud-Kosten mit euch finanzieren können, sondern auch einen Workshop zu Antirassistischem Schreiben mit unserer Redaktion besuchen dürfen. Die Workshop-Kosten haben wir aus dem Steady-Topf bezahlen können, genauso wie das Mastering unserer ersten frohfroh-Platte.

Eure frohfroh-Redaktion

Im neuen Jahr haben wir etwas Großes vor, nämlich: Wir werden unser Blog-Design updaten und unser Instagram-Game stärken. Dazu kommen Illustrationen, die wir für mehrere Artikel ankaufen möchten.

Neues Jahr, neue Ziele

Wir haben unser Steady-Ziel deshalb für dieses Jahr höher gesteckt: Wir brauchen 200 Euro, glatt mal das Doppelte, pro Monat. Wir hoffen, dieses Ziel mit euch zu packen. Wer ein paar Euro übrig hat und uns unterstützen möchte, pls do it! Wer keine Euros übrig hat: Teilt unsere Artikel, unseren Aufruf, unsere Arbeit!

Liebe Grüße, auf noch viele Projekte und Blogseiten!

Nasti und Jens


Auf dem Foto fehlen noch ein paar unserer Autor*innen. Wir wachsen und wachsen. Das haben wir auch eurer Unterstützung zu verdanken. Danke!

IN2IT #1 – CLEFT LIP von MYEN

Soey und Max bringen den ersten Beitrag der IN2IT-Reihe heraus! Welchen Track sie ausgewählt haben und wer hinter dem Stück steckt, erfahrt ihr im Text.

Es ist Zeit für Neues auf die Ohren! Wir sind frohfrohs Aufruf vor einer Weile gefolgt. Auf der Suche nach neuen Formaten wurde unser Konzept mit offenen Armen empfangen. Nun ist sie da, die erste Ausgabe von IN2IT.

Unser Ziel ist es, Gehör für unbekanntere Produzent*innen in und um Leipzig zu schaffen. Dafür haben wir einen Open Call gestartet und waren komplett überwältigt von der Resonanz. Wirklich – es war toll zu sehen und zu hören, wie viele Einsendungen wir bekommen haben und auf wie viel Interesse dieses Projekt stößt.

An dieser Stelle wollen wir uns bei euch allen bedanken, die ihr nicht nur eure Tracks geschickt habt, sondern uns auch euer Vertrauen entgegengebracht habt. Unter den Einsendungen waren richtig viele interessante Projekte dabei, die verschiedener nicht hätten sein können. Die Wahl des ersten Titels fiel uns deswegen alles andere als leicht. Neben der immensen Bandbreite an Genres gab es natürlich auch Unterschiede in Hinblick darauf wie ausgearbeitet die Produktionen sind.

Deswegen hier vielleicht ein paar Worte zu unseren Entscheidungskriterien: Wir wollten unser Gehör nicht davon trüben lassen, ob ein Track unserem Lieblingsgenre nahekommt oder bereits klingt wie eine professionell gemixte und gemasterte Chartnummer. Gerade auch durch die stilistische Vielfalt lassen sich Tracks anhand genrespezifischer Kriterien schlichtweg nicht vergleichen. Vielmehr geht es uns deshalb um die affektive Ebene beim Hören, also um die Emotionen, Empfindungen und Irritationen, die ein Track in uns auslöst.

Dabei stach ein Titel in dieser Runde für uns besonders heraus. Nur schwerlich in bekannte Schemata und Genrebestimmungen einzuordnen, erzeugte dieser Track in uns etwas komplett Neues – ein Gefühl, das gleichwohl außergewöhnlich fremdartig und doch einnehmend intensiv war. Der Track, um den es geht, heißt CLEFT LIP und wurde von MYEN produziert.

CLEFT LIP nimmt sich den Raum, den er braucht, ohne dass man auch nur im Geringsten etwas dagegen tun kann.

Nicht, dass man das überhaupt tun wollen würde, denn der experimentelle Charakter mitsamt seiner Vielschichtigkeit regt die Fantasie auf eine ganz besondere Art und Weise an. Irgendwo zwischen geheimnisvoller Schwermut und angenehm vertrauter Aufruhr erzählt er eine wirkungsvolle Geschichte.

Myenteric plexus

MYEN leitet sich ab von myenteric plexus und bezeichnet einen Teil des enterischen Nervensystems, das in unserem Darm verortet.  Wie er es beschreibt, ist dieses mit unter für unser schlechtes Bauchgefühl in unsicheren Situationen verantwortlich. Alles, das uns unterbewusst besorgt, trauern lässt oder stresst, macht sich dort bemerkbar. Sein Projekt kreist dabei um seine Diagnose einer chronischen Darmerkrankung und unverarbeiteter Trauer, zwischen denen er eine Verlinkung wahrnimmt. Um sich mit dieser den Alltags beeinträchtigenden Problematik auseinanderzusetzen, entstand MYEN –  ein Projekt, welches Mitgefühl für sich selbst und Heilung durch Klang zu praktizieren versucht.

Er produziert nun seit gut fünf Jahren und kann im kommenden Jahr sein erstes offizielles Release verzeichnen. Daneben kommen auch bald einige Edits und Remixes raus. Zum Beispiel für Kavari, eine schottische Produzentin, die vor kurzem ihren Release ‘/ˈpasɪv/ /ˈmɛm(ə)ri/ /rɪˈdʒɛkʃ(ə)n/’ veröffentlicht hat, also stay tuned!

Sein musikalischer Hintergrund ist breit gefächert: Klassische Musik, Film-Soundtracks, Hardcore, Metal sowie Cross-Breed und Reggaeton gehören zu seinen Einflüssen. Besonders geprägt haben ihn niederländischer Gabber und französischer Hardcore. Generell schlägt sein Herz aber seit Jahren für experimentellere Club-Formate. Neben Arca, Aisha Devi, Kablam, Mica Levi sowie Ashida Park, Club Late Music, SVBKVLT oder TRRUENO als Labels, zieht MYEN die größte Inspiration und bedeutenste Prägung von Yannick Pozo Vento aka Réelle, eine der für ihn jeher wichtigsten Stimmen innerhalb zeitgenössischer elektronischer Musikproduktion, sowie gute*r Freund*in.

MYEN will an dieser Stelle auch an Réelle’s Arbeit und Leben erinnern. Die genannten Einflüsse scheinen sich auch in seinen Sets widerzuspiegeln, in denen er klassische Streicher-Kompositionen mit Gabber und Latin-Sounds, sowie einer Bandbreite anderer Genres verschmelzen lässt. Er beschreibt seine Herangehensweise dabei halbironisch als

„Genrefucking“

Hört dafür am besten mal bei SoundCloud in seine Mixfiles: soundcloud.com/myentericplexus

How to produce like MYEN: 

Beim Produzieren bedient sich MYEN vorrangig der Granularsynthese. So entstehen beispielsweise künstliche, von ihm als „neodorsal“ bezeichnete Stimmen, wie auch die in CLEFT LIP. An diesen orientieren sich dann die anderen Elemente des Tracks. Kurz gesagt: Granularsynthese zerstückelt Samples in kleine Grains, die anschließend resynthetisiert werden. Melodien entstehen bei ihm weniger durch Noten oder Midi, sondern vorrangig durch Postprocessing wie Autotune oder mit Hilfe von grafischer Synthese, die in Softwares wie “HighC„ sprichwörtlich gezeichnet werden. Diese Art des Komponierens wurde ihm damals von Réelle näher gebracht und von ihm weiterentwickelt.

In seinen Produktionen versucht er, Trakte des menschlichen Körpers und dessen mögliche Anomalien in Klang auszudrücken:

Beispielsweise Irregularitäten in phonetischen Vorgängen durch eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (Englisch: Cleft Lip). Auch beim Hören von Musik gibt es für MYEN eine starke Korrelation von Klang und Körper. Hörer*innen sollten seine Musik zuweilen als Anlass sehen, die Auswirkung von Frequenzen auf ihren Körper wahrzunehmen.

Verhältnis zur Clubkultur 

Wir haben MYEN außerdem noch gefragt, wie er zu der Leipziger Clubszene steht. Dabei wurde deutlich, dass es für ihn noch zu wenig Platz für Queerness gibt. Auch wenn in den letzten Monaten mehr Awareness zu diesem Thema geschaffen wurde, fehlt ihm in Leipzig noch Diversität und ein Aufbrechen des „white-male-technos“ als Norm für viele Clubabende. Es gibt für ihn auch noch lange nicht genug Veranstaltungen die dezidiert BiPOCs im Fokus haben. Feat Fem., CryBaby und Series:Be sind aber Veranstaltungen und Kollektive, zu denen er aufsieht. Wünschenswert wäre es für ihn, wenn die verschiedenen Szenen Leipzigs dahingehend verschmelzen würden und nicht lediglich nebeneinander existieren oder gar miteinander konkurrieren.

Die Auswirkungen der Pandemie auf das künstlerische Schaffen sind wohl nicht abzustreiten, wenn auch von Person zu Person verschieden. Für MYEN bot der erste Lockdown die Möglichkeit, mehr Zeit aktiv und bewusst mit sich selbst zu verbringen und sich so noch mehr im Sound-Design zu verlieren. Auch hatte die zunehmende Isolation eine heilende Wirkung auf ihn, was er klar als Privileg versteht. Die Kehrseite des Ganzen liegt jedoch auf der Hand: Er, wie wahrscheinlich die meisten von uns, vermisst das Vibrieren des Basses im Bauch genauso sehr wie das Schwitzen in einer Menschenmenge. Er beschreibt die Clubkultur als ein Relikt unseres menschlichen Ritualverhaltens, welches uns zur Zeit verwehrt bleibt und somit ein Loch in der kollektiven Musik-Kultur hinterlässt. Als Medium dieser kann Musik heute nicht nur emotional, sondern auch physisch auf viele verschiedene Parameter in unseren Körpern wirken und diese sogar verändern. Wir meinen, dass CLEFT LIP genau das schafft.

An dieser Stelle also nochmal ein riesiges Dankeschön an dich! Danke, dass du deine Musik zu uns gebracht hast und danke für die wundervolle Einleitung in das Projekt.

Wir wünschen euch viel Freude beim Hören und hoffen sehr, dass euch dieser Track genauso einnimmt wie er es immer wieder mit uns tut. Bitte sendet uns weiterhin eure Tracks! Wir freuen uns riesig auf eure Einsendungen für die nächsten Ausgaben von IN2IT.


Sophia Krasomil begleitet die Reihe grafisch: das Titelbild und das Beitragsbild bei SoundCloud sind durch sie entstanden. Danke!

Talk Talk – Wie funktioniert Booking in Zeiten von Corona? – ANTR & Anna Malysz

In unserem neuen Talk Talk-Podcast reden wir mit ANTR und Anna Malysz – beide arbeiten als Bookerinnen im Conne Island. Und sie zeigen uns, dass es in diesem Job gerade mehr zu tun gibt als viele vielleicht denken.

Wie ihr wisst, befinden wir uns seit November nicht nur im Lockdown Light, sondern die Clubs und Musikspielstätten wurden zum zweiten Mal ins künstliche Koma versetzt. Aber trotzdem die Mitarbeitenden in Kurzarbeit stecken, ruht nicht automatisch ihre Arbeit. Im Gegenteil: Teilweise war der Workload durch die Organisation von Live-Streams, der Entwicklung neuer Konzepte für Outdoor-Veranstaltungen und natürlich auch die vielen Veranstaltungsabsagen sogar höher als vorher.

Für die Mitarbeitenden der Kulturbetriebe bedeutet Corona also kein Bananenbrotbacken am heimischen Herd, sondern verlangt sehr viel Kreativität, Flexibilität und Umdenken von ihnen ab. Jetzt sind die Clubs erneut zu und kämpfen ohne Einnahmen ums Überleben. Aber aufgegeben wird nicht. Noch nicht!

ANTR und Anna Malysz arbeiten als Bookerinnen im Leipziger Kulturzentrum Conne Island. Und erzählen in der neuen Folge Talk Talk dem Podcast von frohfroh, was sie die letzten Monate gemacht haben, wie das Booking in Zeiten von Corona funktioniert und was im nächsten Jahr im Conne Island ansteht!

Krake Festival vom 11. bis 13. Dezember 2020

Seit zehn Jahren veranstaltet Killekill das Krake Festival, das sich unter anderem auch den experimentellen Tönen der elektronischen Musik verschrieben hat. Den zehnten Geburtstag (happy birthday, Krake!) hätten sie eigentlich mit einer Tour, darunter auch mit einem Stop im Leipziger Institut fuer Zukunft, gefeiert. Jetzt holen sie ihren runden Geburtstag digital nach.

Performances, Sets, Online-Dancefloor

Angekündigt sind eine Fantasy-Live Performance mit VR-Elementen und eine Kochshow mit gleichzeitigem b2b2b DJ Set. Am Samstag öffnen dann gleich zehn parallele Online-Dancefloors. Das Line-Up spricht für sich: es sind Helena Hauff, DJ Stingray und Shed angekündigt.

Und dann gibt es auch noch das Krake TV, ein TV-Format, das unter anderem Musikvideos zeigen wird. War das “schon” alles? No way, kein Geburtstag ohne Release: Es gibt von den Krake-Macher*innen auch gleich noch eine Compilation mit 82 Tracks. Wir sind gespannt!

Timetable

Eintritt

1 Euro für den Tagespass für Unentschiedene; 5 Euro für den Tagespass für alle, die gerade keine Kohle haben; 10 Euro für den Tagespass; 20 Euro als Unterstützer*innen (tagesweise) und 50 Euro für das access-all-areas-Paket (inklusive Compilation)

Tickets & Infos

Alle Infos und das gesamte Line-Up findet ihr hier >> Krake Festival << und in der Facebook-Veranstaltung.

“It’s A Business Doing Pleasure With You (Remixes)” von Panthera Krause – Fotoporträt & Review

Kurz vor Lockdown 2.0 light hat Autorin und Fotografin Paula den Leipziger Künstler Panthera Krause in seinem Studio besucht.

Remix, Review, Porträt

Zuvor hatte ich mir das 2019 erschienene “It‘s a Business Doing Pleasure with You” angehört – zu Hause, vor meinem Laptop, extra die teuren, guten Kopfhörer rausgekramt – fürs Feeling – und mich wild mit dem Fuß wippend ertappt, wie ich sagte “Ich vermisse Clubbing!”

Anmerkung: Wer meinen Autorinnentext im frohfroh-Magazin gelesen hat, weiß “heute plane ich mein Wochenende nicht mehr nach dem Timetable des Institut fuer Zukunft.” 

Panthera Krauses neueste LP mit dancy Neo Disco vibes ist das, was ich an einem Samstagmorgen irgendwann in der Phase, in der der goldene Frühherbst in das Matschgrau wechselt, brauchte. Einen ausführlichen Review gibt’s übrigens bei unseren friends von DJ LAB.

Hier also meine wärmste Quarantäne-Disko-Empfehlung für euch, und es gibt noch eine Kirsche auf dem energetisierenden housey Sahnehäubchen: am 27.11.2020 ist die Remix-EP zur LP erschienen. Und zwar mit Mixen von Rebolledo, Theo Kottis, Shubostar, Fango und – of course – Peter Invasion wird’s technoider, treibender und ein bisschen spacig.

It’s A Pleasure…

Beides, sowohl LP als auch EP, funktioniert fantastisch für sich alleine, in Kombination bietet uns Riotvan ein stimmiges Gesamtpaket, was für mich persönlich gut funktioniert und mehr als bloßes Fußwippen verspricht. 

Panthera Krause

Neu, Neu: Der Plattenladen Sleeve ++

Seit Mai gibt es einen neuen Platten- und Secondhand Laden in der Mariannenstraße  – das Sleeve++. Unsere Autorin Marie hat den Laden und zwei der Betreiber*innen besucht.

Auf der Eisenbahnstraße herrscht wie immer reges Treiben und auch in der Hermann-Liebmann ist gut was los. Hier im Laden merkt man davon nicht so viel, höchstens mal ein Hupen. Es ist ruhig in der Mariannenstraße 74. Schön hier, Wohnviertelflair. Vor dem Haus steht noch ein großer Baucontainer, dahinter ist das Schaufenster des Ladens versteckt. Drinnen, wo es gemütlich warm ist, treffe ich zwei der Betreiber*innen: Lale und Robert.

Neuer Laden im Osten

Denn seit Ende Mai gibt es hier im Osten einen neuen Laden: Sleeve++. Dort kann man ausgewählte Secondhand Kleidung kaufen und nach neuen oder gebrauchten Platten stöbern. Die goldene Ladentür führt direkt in einen großen hellen Raum. Darin stehen vier schlichte Plattenregale, in denen man perfekt von oben diggen kann, eine gemütliche Couch und ein großer Tresen. Außerdem noch drei Plattenspieler zum Vorhören und wenn nötig noch einen hinter der Theke. Im Nebenraum gibt es drei große Kleiderstangen voll farblich sortierter Kleidung sowie Accessoires und Schmuck (von Leipziger Designer*innen). An den Wänden hängen momentan Holzschnitte von Charlotte Wagner, die sich sich mit queeren Themen auseinandersetzen.

Im Laden wirkt es angenehm aufgeräumt und trotzdem gemütlich, vielleicht wegen der Couch und der vielen Pflanzen. Man kann hier gut ungestört und unbeobachtet ein paar Stunden verbringen: Platten hören, auf der Couch rumsitzen, Klamotten anprobieren, quatschen oder etwas trinken. Alles mit Wohnzimmerflair. Außerdem gibt es einen Walkman, mit dem man sich Kassetten anhören und währenddessen im Laden umherlaufen kann. Dabei landet man vielleicht in der zur Umkleide umgebauten Dusche. 

Fünf Köpfe, eine Idee

Hinter Sleeve++ stehen viele Menschen: Lale, Tami, Maik, Laurin und Robert. Einige dürfte man vielleicht besser unter ihren DJ-Namen kennen: T-Data von L1CK, Mjut-Resident DJ Maik, der als Teil von vokode und als Maik Grötzschel produziert, dessen Label Solid Rotation sowie Ease und Robyrt Hecht von Clear Memory, der unter diesem Namen ebenfalls produziert und mit YUYAY RECORDS ein eigenes Label betreibt.

Angefangen hat alles 2017 als der Plattenladen Possblthings in der Bornaischen Straße in Connewitz schließen musste. Robert hat dort viel und gern abgehangen und wollte nicht, dass es mit dem Laden zu Ende geht. Also kam ihm die Idee, ihn irgendwo anders wieder zu eröffnen. Auch Tami und Laurin waren oft dort und teilten Roberts Interesse, den Laden aufrechtzuerhalten.

“Ich habe mich dem Laden sehr verbunden gefühlt und wollte nicht, dass das aufhört.” – Robert

Die Platten sollten bei der Neueröffnung des Ladens aber nicht allein stehen, fand Robert. Er wollte ein neues Konzept. Und so kamen Lale und Maik dazu, die Bock hatten, Secondhand Kleidung zu verkaufen. Das hat gut gepasst: alle waren schnell bereit das Ladenkonzept auszubauen.

So richtig begonnen hat es dann mit zwei PopUp Stores, der erste 2017 und noch einer 2018, einer im Westen, einer im Osten Leipzigs. Dort konnten die fünf ihr Konzept in einer Off-Location schonmal eine Woche lang ausprobieren: es gab Klamotten und Platten und jeden zweiten Tag eine Veranstaltung. Weil das so gut ankam, haben sie danach intensiv Locations gescoutet.

Und so landeten sie schließlich über einen Freund in der Mariannenstraße 74. Das Haus stand seit 30 Jahren leer, war unrenoviert und dort war ein großer Laden frei.

“Es sah echt krass aus, kompletter Rohbau. Aber alle hatten Bock auf die Challenge, den Laden komplett kernzusanieren.” – Lale

Und das ist das besondere an diesem Ort: hier drin ist alles selbstgemacht und dadurch steckt viel Liebe im Detail. Fast zwei Jahre hat es gedauert, bis der Laden 2020 endlich aufmachen konnte.: “Niemand hatte Ahnung, alle haben sich selbst angelernt”, sagt Lale und lacht. Dafür hat sich das Warten gelohnt: Die fünf konnten alles nach ihren individuellen Vorstellungen gestalten. Dieser DIY-Input und die Liebe zu guter Qualität ziehen sich durch den gesamten Laden.

Qualität statt Quantität

Das Sortiment ist klein aber fein. Es gibt Secondhand Platten und Neuware, von 2,50 bis 40 Euro. Die meisten Platten liegen zwischen zehn und 20 Euro aber auch unter zehn lässt sich hier was gutes finden. Robert will die Platten fair verkaufen, nicht auf den Discogs Hype einsteigen: “Wenn da eine Platte super rar ist, weil sie seit fünf Jahren nicht gepresst wurde oder so dann verkaufen wir die trotzdem so, dass man sie als Normalsterbliche*r noch bezahlen kann.”

“Wir wollen, dass man die Platte kauft, weil man sie gern hat, nicht weil sie teuer oder gesucht ist.” – Robert

Auch die günstigen Platten sind qualitativ hochwertig und präzise ausgewählt. Das ist Robert wichtig, dass es die auch gibt. Ähnlich ist es bei der Kleidung, hier gibt es keine markenorientierten Preise. Das ist ein Ansatz aus der Szene für die Szene, in der sich alle bewegen. Kein Wunder, dass Robert sagt: “Es ist ein Herzblut-Ding was wir da machen, aus einem inneren Antrieb, nicht um uns eine goldene Nase zu verdienen.”

Ort, Label, SecondHand oder Neuware: hier steht alles nebeneinander, das Genre gibt den Ton an. Auch die Kleidung ist nur nach Farben sortiert, nicht nach Preis, Größe oder Gender: “Wir machen hier ein inklusives Projekt” sagt Lale.

Elektronisches Angebot

Musikalisch ist das Angebot (im weitesten Sinne) auf elektronische Tanzmusik fokussiert. Die Genres (und so heißen auch die Fächer in den Regalen) sind Electro, Techno, House, Bass, Breaks, Synthpop, Wave, Disco und Funk. Dabei versuchen die fünf, den verschiedenen Fächern mit ihrem Know-How einen Tiefgang zu geben. Zu entdecken gibt es für die meisten Geschmäcker etwas. Kleidung und Platten – alles ist hier handpicked. Deshalb ist das Sortiment auch so persönlich. Momentan suchen die fünf speziell nach vergangener Musik, weniger aktualitätsbezogen, sagt Robert, “weil man das ja auch easy im Internet kaufen kann.”

“Wir suchen lieber nach Diamanten, die sich irgendwie in der Vergangenheit verstecken und übersehen wurden, das macht am meisten Spaß.” – Robert

Mein persönliches Highlight beim Plattenkauf sind aber definitiv die liebevollen und lustigen Texte auf den Sleeves. Robert und Maik hören sich jeden Track von vorn bis hinten an und schreiben dann eine ganz persönlichen Bewertung oder einen guten Tipp auf die Platte. Dass die beiden daran Spaß haben merkt man, wenn man einfach mal ein Regalfach durchliest. Da steckt viel Liebe drin.

Ort für kulturellen Austausch

Es gibt also einen Shop aber auch Ausstellungen, Veranstaltungen und Workshops. Sobald es wieder möglich ist, wollen die fünf  verstärkt Kulturveranstaltungen umsetzen. Mit Fokus auf elektronischer Musik, Platten und Kleidung natürlich. Man darf gespannt sein auf Instore-Sessions, Flohmarkt, DJ-Workshops, Release Veranstaltungen und vieles mehr. “Unser Konzept soll Konsum, Kultur und Freizeit verbinden”, sagt Lale. Sleeve++ ist nicht nur ein kleiner alternativer Konsumtempel, sondern auch ein Ort für kulturellen und gemeinsamen Austausch.

“Wir wollten einen diskriminierungsfreien Raum schaffen, in dem Menschen sich gerne aufhalten, zusammenkommen und sich wohlfühlen.” – Lale

Sowohl ruhig und zurückgezogen nach Platten diggen als auch aktiv das Gespräch über Szene, Musik oder Kleidung suchen — beides ist hier möglich. In der luftig eingerichteten Ladenfläche kann man seinen Platz finden und einfach ungestört sein Ding machen, so wie man gerade Lust hat.

Plattenläden in Zeiten von Corona

Corona-bedingt haben die fünf bisher kaum Werbung machen können. Trotzdem ist das Konzept gut angekommen – und in Zeiten von Corona sind Plattenläden tatsächlich eine der wenigen Kulturstätten, die betrieben werden dürfen. Da ist ein Ort für kreativen Input und Austausch sehr relevant. “Das ist wichtig für die Szene”, sagt Robert, “hier kann man sich begegnen und mit Fremden ins Gespräch kommen. Und deswegen kann es davon nicht genug geben!” Trotzdem freuen sich alle darauf, wenn sie endlich normal eröffnen können.

Das Sleeve++ sollte definitiv auf keinem Platten-Digger-Spaziergang durch Leipzig fehlen. Vor allem zum Schlendern in kalten Monaten ist es mein Lieblingsspot um ein paar warme Stunden bei guter Musik zu verbringen. Was cool ist: der Laden ist immer bis 20 Uhr geöffnet, also kann man sich auch nach der Arbeit nochmal zwei Stunden Zeit nehmen um in Ruhe zu stöbern. Ich habe diesen Ort noch nie mit leeren Händen verlassen und freu mich schon im Sommer dort abzuhängen! 

Foto von Gregor Barth

Sleeve++
Mariannenstraße 74, 04315 Leipzig, geöffnet von Mittwoch bis Samstag von 13 bis 20 Uhr.

Natürlich gilt im Laden: 1,5 Meter Abstand halten und nur mit Maske rein.
Mehr Infos gibt’s via Facebook & Instagram.


Header-Foto von Gregor Barth. Vielen Dank!

„Trotzdem Yeah!“ – Streams aus dem Barcelona

Das Barcelona war lange Zeit ein wichtiger Ort für die Leipziger Clubszene. Bis 2015 legten dort sonntags lokale DJs Platten in der „Barcelounge“ auf, die sie sonst nicht im Club spielen konnten. Seit dieser Woche ist die Tapas-Bar wieder dabei – als neuer Streaming-Host-Spot.

Ok, Konzert- und DJ-Streamings gibt es mittlerweile viele – aber „Trotzdem Yeah!“ verpricht noch einmal neue Impulse. Denn es soll drei feste Reihen geben – und die DJs, Musiker*innen und Künstler*innen erhalten Honorare. Wie „früher“ also. So schön es ist, durch Streamings trotz geschlossener Clubs überhaupt öffentlich auflegen und live spielen zu können. Solange die meisten davon kostenlos sind, lässt sich von den Gigs keine Miete und kein Brot bezahlen.

Wer also die „Trotzdem Yeah!“-Sessions miterleben möchte, kann sich ein Ticket kaufen und hat dann nur 48 Stunden die Möglichkeit, das Event mitzuerleben. Ähnlich vergänglich und wertschätzend den Acts gegenüber wie bei einem echten Live-Event. Unterstützung gibt es dafür vom Leipziger Ticket-Shop TixForGigs. Er stellt seine Streaming- und Ticket-Plattform bereit. Und natürlich von Bea Wolf und Jan Berger vom Barcelona. Sie stellen den Hof und Gastro-Raum ihrer Bar lokalen Künstler*innen als Bühne zur Verfügung.

Die Preise sind mehr als fair: 3 € für das normale Ticket, 6 € für das Support-Ticket.

Drei Viertel der Einnahmen gehen dann an die jeweiligen Künstler*innen, der Rest ist für die Betriebs- und Aufwandskosten von der Barcelona und von TixForGigs.

Doch was genau erwartet euch? CFM kuratiert drei Veranstaltungen pro Woche – mit festen Tagen:

Mittwochs – 20:30 – 22:30 UhrOpen Talk, Open Mic & Live-Musik
Hier gibt es ebenso DJ-Sets und kleine Konzerte mit klassischen Instrumentalist*innen wie auch Lesungen, Talks und Diskurse. Am 25.11.2020 ist beispielsweise DJ PMN vom Design-Mag-Store mzin zu Gast.

Samstags – 21:00 – 24:00 Uhr – Clubnacht
Hier legen Party-Crews aus verschiedenen Genres ihre Club-Tracks auf. Am 21.11. steht The Peergroup (Rillendisco, IfZ) auf dem Plan. Später werden auch Clubnächte vom Polyester Club und Lumiere Bleue veranstaltet

Sonntags – 19:00 – 21:00 Uhr – Der Elektronische Sonntag
OMG, ein kleines Revival. Zwischen 2000 und 2015 präsentierten CFM und Francis im Ilses Erika regelmäßig am Sonntagabend lokale Elektronik-Newcomer*innen. Sevensol & Bender, Kassem Mosse und Mix Mup hatten hier damals ihre Leipzig-Debüt-Gigs. Und durch verschiedene Talk-Formate war die Reihe ein wichtiger Netzwerkort. Nun veranstaltet CFM den E-Sonntag in neuer Form – mit Producer*innen und Live-Acts sowie persönlichen Interaktionen mit den Zuschauer*innen. Und so wird es Abende mit Mrs. Pepstein, Onkit, supaKC, Kassem Mosse, Rentek, One Take u.a. geben.

Hier gibt es ein paar Eindrücke von den ersten beiden „Trotzdem Yeah!“-Abenden:

Hier finden alle kommenden Events statt.

Alle Bilder von CFM.

FF001 – Release im Dezember

Die erste eigene Platte also, wie soll man die als Blog vorstellen, der sonst andere Musik einschätzt und empfiehlt? Es ist auf jeden Fall ein spannender Perspektivenwechsel. Die kritische Einordnung der vier bzw. fünf Tracks von “FF001” müssen wir aber dieses Mal anderen überlassen.
Aber ganz ohne Worte raushauen? Das geht auch nicht.

Hier also kurz und knapp unsere Gedanken, Ideen und Empfindungen dazu. Dieser Compilation ging ja ein Open Call Anfang des Jahres voraus. Das Feedback war darauf war immens. Über 30 Tracks wurden uns anvertraut – ja, auch das ist eine neue Erfahrung. Da sind Musiker*innen draußen, die viel Zeit in ihre Musik stecken und dann sagen: Dieses Stück würde ich gern bei diesem “Label” veröffentlichen. Für uns ist das auch ein schöner Vertrauensvorschuss gewesen.

Bei der finalen Auswahl der Tracks war schnell klar, dass wir nicht einen bestimmten Sound abbilden wollen. Dafür ist die Berichterstattung auf frohfroh auch zu divers – und in gewisser Weise sollte das auch unsere erste Platte widerspiegeln. Insofern ist “FF001” ein Statement, das die Vielfalt des “Sounds of Leipzig” aufzeigt.

Was sie verbindet, sind zwei verschiedene Dynamiken, die den Sound der beiden Vinyl-Seiten prägt. 

A1 –  Tinkah

Tinkah läutet zusammen mit Amira Warning die EP ein. Ihr “Blindhearted” ist einerseits herrlich laidback, andererseits wirken die Sounds und Vocals immer einen Hauch verdreht. Raus aus dem streng linearen Flow. Besonders das Intro braucht seine Zeit, danach geht die Sonne auf.

A2 – Sithara

Auch Sithara bewegt sich atmosphärisch in einem eigentlich entspannten Rahmen, in dem aber nicht alles rund läuft. Im vollkommen positiven Sinne ist das gemeint. Der simple Beat suggeriert im ersten Moment zwar eine Downbeat-Melange. Aber die Sounds und Samples glitchen dann doch immer wieder weg – und genau das hat uns einfach sehr geflasht.

B1 –  Lea Matika

Umgehauen hat uns auch Lea Matika. Ihr “Freedom” ist ein düster-treibendes Wave-Manifest. Mal mit schreiendem, mal mit zuckrigem Gesang. Es bringt auch eine weirde Form von Pop mit auf die Platte, die in Leipzig übrigens gern öfter aus den Studios kommen könnte.

B2 –  ARVØ

Special ist auch ARVØ. Er verbindet Violine mit Techno. Sein “The Dance With The Fire” ist das einzige durchweg geradlinige Stück auf der Vinyl-Version. Aber selbst das bringt eine ungewohnte Nuance hervor. Auch wenn die Violine fragil und trocken wirkt, sie behauptet sich sehr selbstbewusst gegen die Bassdrums und teils mächtigen Basslines.

Bonustrack: fragmentiert

Digital gibt es noch einen sehr zeitgenössischen Bonus: fragmentiert haut einen seiner schnurgeraden Techno-Tracks heraus. Super dunkel, sich langsam entfaltend und öffnend und mit experimentellen Sidekicks. “Those Times” ist der direkte Link zu Leipzig in 2020. 


Ihr könnt unsere erste Vinyl ab jetzt bei Bandcamp vorbestellen. Voraussichtliches Release-Datum ist der 15. Dezember 2020.

Jetzt vorbestellen & frohfroh unterstützen

Vinyl + Digitalalbum + Bonustrack


Wir bedanken uns bei allen, die beim Open Call teilgenommen haben, bei unseren fünf Musiker*innen, bei Anna-Lena-Erb für das Artwork, LXC für das Mastering, Kim Camille für die Fotos der Musiker*innen und Randmuzik.

Talk Talk – Wie verändert Corona den Drogenkonsum? – Pia & Laura

Das eigene Leben beschränkt sich zur Zeit vor allem auf die eigenen vier Wände. Im Sommer 2020 gab es bekanntlich wenig zu Feiern. Der nächste Lockdown bis Ende November verbietet Partys komplett. Ob nun illegale Raves oder kleine Zusammenkünfte zuhause, wie ändert die Corona Krise eigentlich den Alkohol- und Drogenkonsum?

In einer kleinen, vermutlich nicht repräsentativen Umfrage auf unserem Instagramkanal wart ihr euch einig:

Corona hat das Drogen nehmen verändert!

Aber inwiefern und wo wird derzeit eigentlich konsumiert? Und welche Substanzen sind en vogue? In der neuen Folge TalkTalk – dem Podcast von frohfroh geht Kathi mit Laura und Pia von den Drug Scouts auf die wichtigsten Fragen dazu ein.

Übrigens: Menschen die Drogen nehmen sind durch das Coronavirus besonders gefährdet. Das liegt zum Beispiel daran, dass Utensilien wie Ziehröhrchen untereinander geteilt werden, aus derselben Flasche getrunken wird oder ein Joint die Runde macht. Die Drug Scouts stellen Safer Use Materialien zur Verfügung. Regelmäßiger Konsum kann außerdem euer Immunsystem schwächen.

Wenn ihr Befürchtungen und Ängste bezüglich eures Konsum habt, meldet euch bei den Drug Scouts. Das Drogentelefon steht euch Dienstag von 09:00 bis 13:00 Uhr und Donnerstag von 14:00 bis 18:00 Uhr zur Verfügung. Die Nummer ist: 0341 – 211 22 10. https://drugscouts.de/

Nachts im Museum – New Hook im MdbK

Künstler*innen, Kollektive und Clubs waren zu Peak-Coronazeiten damit beschäftigt, Livestreams auf die Beine zu stellen. Für New Hook aber war das eher keine Option: Sie organisierten eine virtuelle Finissage im Museum der bildenden Künste und erweiterten so das Format. 

Mitte Juli veröffentlichte New Hook, die dreiköpfige Band rund um Linda, Ilka und Juliane Maria, ein zwanzigminütiges, “audiovisuelles Abenteuer” namens LAYERHEAD. Unter wavigen Sounds und bunten Filtern vermischen sich die Werke der Band mit einem meterhohen Kopf von Klaus Kinski: Paule Hammers Installation Kaputtnik. Unsere Autorin Amy hat sich mit ihnen getroffen, um über das Projekt zu sprechen.

“Es war ein Abenteuer mit offenem Ausgang.”

Dass Corona die Kreativität aller gefordert hat, ist klar. Wie macht man sich bemerkbar zwischen etlichen Clubs die Crowdfunding-Aktionen am laufen haben, zwischen Kollektiven die mal mehr, mal weniger professionelle Livestreams am laufenden Band raus hauen und zwischen Künstler*innen, die ihr SoundCloud Pro-Abo bis zum Gehtnichtmehr ausreizen? New Hook war dem Ganzen ein paar Schritte voraus.

“Ich habe beim Aufbau der Paule Hammer Arbeit mitgeholfen und dachte ich nutze die Chance, ihm unsere Musik zu zeigen,” erzählt Juliane Maria. Die Installation wurde bereits Ende November 2019 eröffnet. “Ich dachte man könnte ja mal was zusammen machen, weil er auch schon während der Ausstellung verschiedene Veranstaltungen mit musikalischem Arrangement geplant hatte.” 

Anfang Juni bekamen die drei Bandmitglieder von Hammer letztendlich die Zusage für die Kaputtnik-Finissage Mitte Juli. “Voller Optimismus sind wir alle davon ausgegangen, dass es eventuell so etwas wie ein Live-Konzert vor Gästen geben könnte” lacht Juliane Maria.  

“In dem Moment der Planung wollen wir nach den Sternen greifen, im Moment der Realisierung müssen wir erstmal schauen, wie wir dahin kommen.” – Linda

Dem eigenen Anspruch gerecht zu werden – ohne zu wissen, woraus das Endprodukt bestehen würde – war hier inmitten vieler unberechenbarer Faktoren klar eine Herausforderung. Nach einem Livestream ihres Labels Riotvan wurde der Kontakt zu einem Filmteam hergestellt, das sich auch zum Dreh für das LAYERHEAD-Projekt bereit erklärte und nach einem Treffen im Museum mit Paule Hammer musste innerhalb eines Wochenendes ein Konzept erarbeitet werden.

Alles kam Schlag auf Schlag. 

Hinzu gesellte sich die Tatsache, dass ein zweites Filmteam vor Ort anwesend war und sich dadurch die Dreharbeiten vom Mittag bis in die Nacht verschoben. Aber: Wenn die drei davon reden, ist in ihrem Stimmen kein Stress und keine Reue herauszuhören. “Wenn eine von uns einen Zweifelmoment hatte, ging es den anderen beiden gut. So konnte man sich die positive Energie weiterreichen und dann hat es echt viel Spaß gemacht.”

Dabei war nicht nur die Arbeit mit einer renommierten Institution wie dem Museum für bildende Künste neu, sondern auch die Möglichkeit, visuelle Elemente in einem solchen Maße mit einzubinden. “Wir mögen das total, mit Filmaufnahmen zu unserer Musik zu arbeiten. Es war für uns eine positive Herausforderung, das mal auf einer professionellen Ebene anzugehen,” freut sich Linda. Sie erzählt, dass Bühnenbilder bisher bei Liveshows zu kurz gekommen sind – die unübersehbare Skulptur war da eine perfekte Ergänzung.

“Uns ist dieser Kunst-Bezug schon immer wichtig gewesen”, führt Juliane Maria fort, die bildende Kunst studiert hat. Ilka ist wiederum in einer Grafikagentur beschäftigt. “Die Musik ist natürlich der Fokus, aber alles drum herum ist mindestens genauso wichtig. Dass man versucht einen künstlerischen Anspruch einzubringen, ist natürlich immer die Vorstellung.”

Zum Anfang der Installation war die Kaputtnik-Figur komplett weiß und unbeschrieben, zur Finissage dann von oben bis unten mit Wörtern zugemalt. Dieses Element sollte mit aufgegriffen werden, einerseits Paule Hammer als schreibender Künstler, andererseits das malen selbst, das beschrieben werden. Das gedankliche Verbindungsstück wurde realisiert durch die Papierkragen, die im Film von den drei Bandmitgliedern getragen und von Hammer bemalt werden: “Wir haben versucht, uns ein bisschen an der Skulptur entlang zu hangeln, aber es nicht allzu wörtlich zu interpretieren.”

Foto von Walther Le Kon

New Hook steht für

think outside of the box

– für einfach mal machen. Das wird nicht nur in unserem letzten und ersten Artikel zu den drei Frauen deutlich, sondern in allem, was sie tun. So auch bei diesem Projekt.

Auf die Frage, wie denn das innerhalb von einem Wochenende erarbeitete Konzept ausgesehen hatte, gibt es keine klare Antwort. Ilka versucht es trotzdem zu verwörtlichen: “Wir haben uns für die einzelnen Tracks überlegt, wie sich die Geschichte über 25 Minuten trägt. Nicht im Speziellen, sondern eher… geht es um eine dreamy Richtung, geht es um eine plakative?”

In gewisser Weise reihen sich die ausgewählten Tracks auch mit der Idee hinter der Skulptur oder dem Menschen, den Klaus Kinski repräsentiert, ein. Neben einer nachträglichen Promophase für ihr neu erschienenes Lied O T war das Projekt für New Hook außerdem eine Chance, alte Sachen rauszukramen.

“Es war uns wichtig, nicht nur vorproduzierte Sachen zu verwenden, sondern dass man die im Moment entstandenen Sachen auch mal verwertet.” So ist jeweils das Intro und Outro der Geschichte ein Acapella-Mitschnitt aus einer Probe, Pillow als erstes, richtiges Lied aus dem vorherigen Proberaum im IfZ hervorgegangen und Whiskey & Wine – im wahrsten Sinne – in “Weinlaune im jetzigen Studio entstanden”. Die meisten Tracks wurden nachträglich nochmal für das Projekt modifiziert.

Foto von Kim Camille

Nochmal zu O T: Der Track, dessen Name für Opfer und Täter steht, erschien Ende März auf der Familiar Faces Various Artists bei Riotvan. Das Video war zu dem Zeitpunkt die einzige richtige Möglichkeit, dafür Promo zu machen. Und “außerdem ist das ‘ne geile Aussage, die uns wichtig ist und die wir auch möglichst vielen Menschen zugänglich machen wollten.”

“Am Ende war man Regisseur, Schauspieler, Film- und Musikproduzent

– wir haben an diesem Tag übelst viele Rollen eingenommen und das war eine krasse Herausforderung.” – Linda

Wie viel Arbeit wirklich hinter der Realisierung dieses Videos steckt, ist mit ungeschultem Auge nicht zu erkennen. Die Mädels erzählen von den Hürden beim Dreh abgesehen von der zeitlichen Verschiebung – all das kommt trotzdem nicht an die Nachbereitung heran.

Für zwei Wochen nach dem Dreh war die Deadline für ein fertig geschnittenes Video gesetzt. Den Schnitt wollten die drei hinter New Hook selbst übernehmen.

Aus fünf Kameraperspektiven waren 170 GB Rohmaterial entstanden, alle drei hatten noch nie vorher ein Video in dem Maße geschnitten und noch nie mit diesem speziellen Schnittprogramm gearbeitet. Dazu kam allein die Sichtung des Materials. Linda bestätigt: “Wir sind teilweise hart an unsere Grenzen gekommen. Es gab Momente, da haben wir alle drei, vier Stunden alleine am Rechner gesessen und es hat niemand einen Fortschritt gemacht.”

“Wenn es keinen Abgabetermin gegeben hätte – das wäre unmöglich gewesen,” sagt Juliane Maria. 

Mit all dem im Hinterkopf wird das ganze Projekt noch beeindruckender. Man merkt, wieviel Herzblut in das Projekt gesteckt wurde, um es zu dem zu machen, was es geworden ist. Inmitten der Herausforderungen, ein Bühnenbild passend zur Show zu realisieren, eine verloren gegangene Promozeit nachzuholen und sich all den Problematiken von drei Künstler*innen während einer Krise zu stellen, zeigen New Hook was sie neben ihrer großartigen Musik in der Leipziger Szene einzigartig macht. 

“Das [Projekt] hat mir gezeigt, dass es genau das ist, was mir unheimlich Spaß macht, und dass unsere Zukunft dort liegt.” Dort heißt unter anderem, auf Hybrid-Sets umzusteigen, um gemäß des eigenen Anspruchs alles bewältigen zu können: Auftreten und performen ja, aber statt live auf Instrumente einzugehen, auch live auf visuelle Elemente (wie einem Bühnenbild) eingehen zu können – und neue Kompositionen mit einzuarbeiten. 

So soll live die für die Band optimale Kombination von digitalem Produzieren und analogen Musizieren entstehen, aber auch komplett analoge Auftritte sind geplant: “Wir möchten uns nichts verwehren und versuchen so offen und flexibel wie möglich unsere Arbeitsweise unseren Bedürfnissen und den jeweils aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Alles ist möglich!”

Corona wurde von New Hook abgesehen vom LAYERHEAD-Projekt hauptsächlich dazu genutzt, um ihren Proberaum im Leipziger Westen auf Vordermann zu bringen und natürlich an Musik zu arbeiten. Bald gibt es Releases auf den Labels Ombra International, gegründet vom Künstler Curses aus New York, sowie Underground Pacific aus Kalifornien. Wir freuen uns darauf zu sehen und zu hören, welche Grenzen noch von Ilka, Juliane Maria und Linda überquert werden. 

Der Track SEXERGY erscheint am 13. November auf Ombra International!


Filmteam (Kamera/Licht/Drohne): Florian Manhardt, Mark Burnett, Martin Pelzl, Dean Benzin, Martin Beyer, Jonathan Lang

Digitalausgabe – Vektor – 07.11.2020

Sets von Lena Seefried und Milos Stolic, Tinkah, fragmentiert und hundertsaiten, Carlotta Jacobi und Marlene Lys hört ihr hier bei uns.

Vektor als Veranstaltung

Vektor ist die neue Veranstaltungsreihe von frohfroh, der Ableton User Group und der FLINT*AUG Leipzig, die Live-Künstler*innen in den Fokus stellt und experimentelle, elektronische Musik mit Workshops zusammenbringt.

Vor mehr als einem Jahr kam uns, den vier Organisator*innen hinter Vektor, die Idee zur Veranstaltungreihe. Erst wollten wir sie im Tapetenwerk stattfinden lassen, genauer in der C1-Halle, dort uferten aber nicht nur Kosten, sondern auch die dort mindestens unterzubringende Lautstärke aus, der natürliche Hall war kaum zu bändigen – und wir entschlossen uns, das Institut fuer Zukunft für unser Projekt anzufragen. Schon damals hatten wir einen Förderantrag beim Musikfonds e.V. gestellt, einem Fonds, der speziell experimentelle Musikveranstaltungen fördert.

Unsere Kombination der Live-Künstler*innen wurde im Februar zur Förderung ausgewählt und mit ihnen unsere Veranstaltung Vektor. Eigentlich hätte es am 04.04.2020 so weit sein sollen – doch kurz vorher wurde der erste Lockdown ausgerufen. Das gleiche passierte uns kurz vor unserem Nachholtermin am 07.11., mehr als ein halbes Jahr später.

In dieser Zeit arbeiteten Tinkah, Carlotta Jacobi, Marlene Lys, fragmentiert, hundertsaiten, Lena Seefried und Milos Stolic weiterhin an ihren Live-Sets, die wir heute endlich allen zugänglich machen können.

Vielen Dank an alle Beteiligten, an unsere Unterstützer*innen und alle, die beim dritten Anlauf (hoffentlich) live bei Vektor dabei sind.


Lena Seefried und Milos Stolic

Lena Seefried und Milos Stolic erforschen die Wechselwirkungen von Elektronischer Musik und “Queer Spoken Words”. Mit ihrer queer-feministischen Perspektive thematisieren sie den “Safe-Space” im Klubkontext. Dabei offenbaren sie persönliche Einblicke in hedonistische Gefilde und emanzipatorische Gedanken der Protgaonist*in. Ihre Soundperformance “Morgengrauen” nimmt direkten Bezug auf die Unzugänglichkeit von Kulturräumen in Zeiten des “Lockdowns”.


Tinkah

Tinkahs Album „Thoughts You Are Not Supposed To Speak Out Loud In Public“ und die anschließenden Rezensionen und Video-Produktionen sowie seine Zusammenarbeit mit dem Label ph17, haben ihn und seine Musik in den Vektor-Radar gebracht. Sein Power-Ambient ist genau das: powerful und trotzdem Ambient.

Der Leipziger Liveact, der auch das Label HUMAN betreibt, hat für Vektor ein Video produziert, das ihr ab heute streamen könnt.


hundertsaiten + fragmentiert

Die Harfenistin und Ärztin, die als Nebenfach Musik und Musiktherapie studiert hat, Dr. med. Gabriele von der Weiden (hundertsaiten) hat sich mit dem Live-Künstler fragmentiert für Vektor zusammengetan. Die Fusion von klassischen, konzertanten Elementen mit elektronischen, dronigen Soundteppichen und Fieldrcordings, hat die letzten Monate die gemeinsamen Proben in Mainz und Leipzig geprägt.


Carlotta Jacobi + Marlene Lys

Carlotta Jacobi und Marlene Lys engagieren sich beide als Organisatorinnen der FLINT*-Ableton User Group im Institut fuer Zukunft in Leipzig. Carlotta Jacobi, bekannt als DJ, Producerin und Mitglied des Labels Connwax, war schon öfter auf verschiedenen Clubbühnen zu sehen. Bei Vektor spielt sie nun das erste Mal mit Marlene Lys. Beide haben kürzlich ihren ersten gemeinsamen Track via VAK releast.


Wenn ihr die Arbeit der Künstler*innen supporten möchtet, liket und teilt die Sets, damit ihre Musik mehr Menschen hören. Kurz: Spread the word. Wenn ihr frohfroh unterstützen möchtet, klickt auf den Steady-Button.

Bedanken möchten wir uns beim Insitut fuer Zukunft und Ableton für die Unterstützung, dem Musikfonds e.V. und der Beauftragten für Kultur und Medien, Monika Grütters, für die Förderung, unseren Freund*innen von DJ LAB, Tine Pascoe für die künstlerische Ausarbeitung des Artworks und bei allen beteiligten Künstler*innen, die trotz aller Widrigkeiten immer mit uns verbunden geblieben sind und ihre musikalische, experimentelle, installative Arbeit digital für Vektor umgesetzt haben.