Track-Premiere – Maltin Worf „4AM (DJ Detox Remix)“

Defrostatica kontert die Krisenstimmung mit zwei EPs in kurzer Taktung. Einen Track daraus gibt es bereits vorab bei uns – und zwar einen Detroit-Hit.

„4AM“ heißt die kürzlich neu erschienene EP von Maltin Worf. Der Ur-Dresdner und nun Wahl-Berliner ist einer der beständigsten Acts bei Defrostatica. Vier Uhr früh, Peaktime in den Clubs – ja, diese EP ist nichts anderes als eine Hommage an die wilden, aufpeitschenden, befreienden und beglückenden Momente auf dem Dancefloor. Und die vier Tracks bringen diese Power voll auf den Punkt – mit unterschiedlich temperierten Breakbeats, wehmütigen Synths und mit einnehmenden Worten des Bristol-based MCs Rider Shafique.

Die A-Seite trägt auch einige darke Nuancen in sich, auf der B schimmert mit „Thirsty“ und „Cream“ dann mehr Licht durch die mit schwarzem Molton abgehängten Floor-Fenster. Besonders „Cream“ holt mich voll ab – klar, die Entschleunigung, der Mix aus Melancholie und Zuversicht, perfekt zum Fallenlassen und Entgleiten.

Nun aber zur Track-Premiere: Denn Mitte März folgen direkt die Remixe zum Titeltrack „4AM“. Mit dabei ist auch der Leipziger DJ Detox, der zuletzt mit extrem guten Rave-Hymnen auf R.A.N.D. Muzik aufhorchen ließ. Er überführt „4AM“ als einziger auf den Techno-Floor. Und das auf beste analoge Weise: Ich habe schon lange keinen so erfrischenden, positiv losziehenden Detroit-Vibe mehr gehört – noch dazu eingebettet in eine perkussive Lässigkeit. Umso mehr freut es mich, dass wir genau diesen Track hier präsentieren dürfen.

Checkt aber auch die anderen Remixe. Tinkah ist ebenfalls großartig dabei – herrlich slow und verspult, lost in time heißt sein Remix passenderweise denn auch. Und Yazzus’ „Midnight Rave Remix“ flasht durch seine Verwandlung: vom spooky, introvertierten hin zu einem hektisch rasenden Rave-Track. Insgesamt ein sehr gutes Package, die beiden EPs.

Pre-Order-Link für die Remixe: https://maltinworf.bandcamp.com/album/4am-remixes

Neu, neu: The Kiki Queen

Aktivist*in, Tänzer*in und Podcaster*in L Fierce ist eine der glamourösesten Erscheinungen Leipzigs. Wir haben uns den neuen Podcast der series be-Gründer*in angehört.

Wer sich noch an Leipziger Festivals erinnern kann, der kennt sicher auch noch das Balance Club / Culture Festival. Bei der ersten und dritten Edition war L als Perfomer*in dabei. Seitdem, seit der ersten Performance in der Galerie KUB, das muss 2017 gewesen sein, verfolge ich Ls Schaffen und bin, ja, sagen wir es ruhig so: Fan.

Ein ausführliches Interview mit Luke über Lukes Aktivismus und Zugang zur Leipziger Clubkultur lest ihr hier, denn jetzt soll es um Lukes Podcast gehen. Yes, another Podcast! Denn, wenn mir, ganz persönlich, Corona und die Maßnahmen eines gebracht haben, neben viel Schmerz, viel Alleinsein, intensivere Beziehungen zu den Menschen, mit denen ich mich eng verbunden fühle, viel Papiermüll vom Take-away-Essen und vom Online-Shopping, dann das: Zeit! Zeit, um Podcasts zu hören.

The Kiki Queen

Die Geräuschkulisse von Podcasts, ob nun Musik oder Sprache, ist willkommene Abhilfe zur Stille und füllt meinen Kopf mit Input. Künstler*innen bleiben hiermit sichtbar, ob als DJs oder Producer*innen, als Gäst*innen in Talk-Podcasts oder mit einem Set. Podcasts, so wichtig! Ernsthaft. Spazieren gehen und dabei Podcasts hören, macht vieles erträglicher, finde ich. Und ein Podcast der als Mini-Inside-Serie 30 Minuten mit Sluttalkz füllt, den höre ich mir ganz, ganz sicher an. Wenn eben jener Podcast namens The Kiki Queen (überall wo es Podcasts gibt, pls google it and you’ll find it) von L Fierce gestaltet und moderiert wird, dann erübrigt sich der Rest wohl…

In den ersten Folgen des Podcasts geht es um die persönlichen Icons von L, Rassismuserfahrungen, Cancel Culture und Sex. Wer L noch nicht kennt, bekommt eine Einführung who L is in den ersten Minuten von Folge eins. Der Podcast soll auch Themen rund um Clubkultur und der LGBTQIA*-Szene bearbeiten (so stay tuned!).

Bisher sind fünf Folgen online, jeden Freitag erscheint eine weitere Episode. Der Podcast ist auf Englisch, wir können also alle unsere Fremdsprachenskills etwas auffrischen.

Listen and enjoy!

PS: And here comes my personal note, for you, Miss Fierce aka The Kiki Queen: Thank you for being that badass boss bitch, getting us through that second lockdown with your glamour, sexyness, views and politics. Great voice, great topics and production.

Please, please keep going.


Fotos von Diana Sandu und Carl Van Godtsenhoven
Graphic Design von Anja Kaiser

KW 06 – Sonntag

My body is still not your porn! Am Sonntag findet ab 14 Uhr eine Demo (mit Maske und Abstand) im Lene-Voigt-Park in Leipzig statt. Unsere Autorin Lea Schröder wird dort über ihre Recherche zu sexualisierter Gewalt in der Clubkultur sprechen.

My body is still not your porn!

Das schreiben die Veranstalter*innen der Demo zur Aktion

Unter dem Motto “My Body is not your Porn!” haben wir vor einem Jahr auf Grund der Vorfälle sexualisierter Gewalt auf dem Festival Monis Rache eine Kundgebung mit Straßenfest und Demo veranstaltet. Bekanntlich wurden Sexismus, Gewalt und Patriarchat seither noch nicht über Bord geworfen, sodass wir erneut auf die Straße gehen werden!

Gemeinsam mit Euch wollen wir einen Blick darauf werfen, was in diesem Jahr alles passiert ist. Wie ein Brennglas haben die Taten auf Monis Rache den anhaltenden Sexismus und die Gewalt in der linken Szene schmerzhaft offenbart. Neben all der Scheiße, die das alles mit sich gebracht hat, wurden aber auch zahlreiche kritische Diskussionen und Auseinandersetzungen angestoßen, die (nicht nur) diese Szene dringend braucht.

Das (öffentliche und private) Sprechen über sexualisierte Gewalt hat mehr Raum bekommen, Betroffene haben sich vielseitig und selbstbestimmt organisiert, Fragen nach (kritischer) Männlichkeit oder zum richtigen Umgang mit Tätern wurden heiß diskutiert, und auch Überlegungen zur Gestaltung von sicher(rer)en Räumen beim Feiern und darüber hinaus haben neuen Aufwind bekommen. Gerade letztere wurden durch die Corona-Pandemie zwar zunächst ausgebremst, da Festivals und wildes Nachtleben erstmal in weite Ferne gerückt sind.

Doch wir wollen diese Pause des Rauschs nutzen, um Forderungen zu stellen und männliche, sexistische Strukturen – auch im Partykontext – zu zerschlagen. Der Täter von Monis Rache war nicht nur zufällig auch Teil des Orga-Teams. Wir lassen uns diese Räume aber nicht nehmen! Wir haben Bock auf Partys, auf denen sich alle wohl und sicher fühlen. Dafür braucht es Veränderungen!

In diesem Sinne: lasst uns weiter gemeinsam kämpfen und kein Stillschweigen über sexualisierte Gewalt (in der linken Szene) dulden! Unsere Selbstorganisation und Sichtbarmachung war und ist einzigartig, danke an alle! 

Wann & wo: Sonntag, 14.02.2021 | 14:00 Uhr im Lene-Voigt-Park Leipzig

KW 06 – Samstag

Schnee, überall Schnee. Für viele ist das schön anzusehen. Aber das extreme Wetter ist lebensgefährlich für alle, die kein Zuhause haben. Wenn ihr Menschen seht, die obdachlos sind, sprecht sie an und ruft den Kältebus.

Hilfebus in Leipzig

Täglich von 18:00 Uhr bis 22:00 Uhr

Telefon: 01523 3661087

Alle Infos von der Stadt Leipzig: https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/soziale-hilfen/hilfe-bei-obdachlosigkeit-in-leipzig/

Konsequenzen für Täter: Das kannst du tun, wenn du sexualisierte Gewalt im Kontext der Leipziger Clubkultur erlebt hast

Wenn du sexualisierte Gewalt durch eine Person erfahren hast, die sich im Leipziger Clubkontext bewegt, gibt es einige Wege, Unterstützung zu erhalten und gegen die Person vorzugehen – auch, wenn diese als DJ, Veranstalter oder in anderen Machtpositionen unterwegs ist. 

Vorab: In den Erfahrungsberichten zeigt sich, dass es mehrere Menschen geben kann, die Gewalt durch dieselbe Person erlebt haben. Wenn du mitbekommst, dass eine Freundin oder ein Bekannter von dir von derselben Person sexistisch, respektlos, übergriffig oder anderweitig gewaltvoll behandelt wurde, connected euch. Egal, ob ihr euch an gemeinsame Freund*innen wendet, an das Kollektiv der Person oder an einen Club, in dem die Person als Gast oder DJ unterwegs ist oder selbst Raves veranstaltet – gemeinsam kämpft es sich leichter. 

Doch auch wenn du keine andere betroffene Person kennst, mit der du dich verbünden kannst, hast du die Möglichkeit, dich konkret gegen Leute zu wehren, die im Clubkontext unterwegs sind und Gewalt ausüben1

Auch wenn es dir unangenehm ist, auch wenn du dich schlecht fühlst, auch wenn du erst mal nur drüber reden willst oder auch gar keinen Bock hast drüber zu reden. Sprich uns an.“ – Support-AG des Institut fuer Zukunft, Website

Die nachfolgend beschriebenen Prozesse in den Clubs gelten nicht nur für jegliche Art sexistischer Diskriminierung, Grenzüberschreitungen und/oder Gewalt, sondern für jede Art von Diskriminierung, Grenzüberschreitungen und/oder Gewalt – also auch bei Erfahrungen von Rassismus, Klassismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit und anderen Diskriminierungserfahrungen.

Unterstützung durch den ASL

Wenn du im Umgang mit sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt – egal durch wen und in welchem Kontext – Unterstützung suchst, kannst du dich zunächst an den Antisexistischen Support Leipzig (ASL) wenden. 

Die Gruppe schreibt auf ihrer Website: „Wir [möchten] mit dem Antisexistischen Support Leipzig eine feste Struktur schaffen, die es betroffenen Personen ermöglicht, Rückhalt und Unterstützung zu erfahren – die in Gruppen oder Freundeskreisen eventuell zu kurz kommen – um Geschehenes zu reflektieren, es ansprechbar zu machen und politisch zu thematisieren.“

Wenn du dem ASL unter support-asl@riseup.net eine Mail schreibst, vereinbart die Gruppe mit dir ein Treffen an einem Ort deiner Wahl. Das läuft dann so ab: Dieses Gespräch ist anonym und es ist auch nicht notwendig, den Vorfall explizit zu schildern […] – Du entscheidest selbst, was du uns erzählen möchtest. Auch unsere Unterstützung richtet sich danach, was du möchtest und brauchst. Wir werden gemeinsam schauen, was für dich passt und wir unternehmen nichts, was du dir nicht ausdrücklich von uns wünschst. […] Wir [sind] solidarisch mit dir und [stellen] deine Wahrnehmung des Geschehenen nicht in Frage.“ (Mehr dazu hier)

Darüber hinaus hat der ASL auf seiner Website einige Hinweise und weitere Anlaufstellen verlinkt, wenn es um einen Notfall geht.

Hausverbote und andere Sanktionen durch Clubs

Wenn du beispielsweise Clubs meidest, in denen die gewaltausübende Person häufig unterwegs ist, dich beim Feiern unwohl fühlst, weil du Angst hast, der Person zu begegnen oder wenn du befürchtest, die Person könnte auch gegenüber anderen Leuten gewalttätig werden, kannst du die jeweiligen Clubs auffordern, der Person ein Hausverbot zu erteilen, was im Fall eines DJs auch ein Gigverbot einschließt. 

Conne IslandElipamanoke und das Institut fuer Zukunft haben auf Anfrage hin erläutert, wie Betroffene sich an sie wenden können und wie die Prozesse um Unterstützung für Betroffene und Konsequenzen für Gewaltausübende von ihren Crews gehandhabt werden. Mjut und Distillery haben dazu keine Angaben gemacht. 

Conne Island

Wenn ein Vorfall während einer Veranstaltung stattfindet, kannst du dich direkt an die Mitarbeiter*innen des Conne Island wenden – zum Bespiel die Leute am Einlass, das Security-Team oder das Barpersonal. 

Außerhalb des Clubbetriebs kontaktierst du am besten die Unterstützungsgruppe des Conne Island per Mail: unterstuetzung@conne-island.de. Alternativ kannst du selbst oder eine Vertrauensperson am wöchentlichen, zentralen Montagsplenum teilnehmen und der Crew deine Erfahrungen bzw. Forderungen in diesem Rahmen mitteilen. 

Falls du lieber erstmal im kleinen Rahmen mit den ehrenamtlichen Mitgliedern der Unterstützungsgruppe reden möchtest, gibt es die Möglichkeit zu einem vertraulichen Gespräch. Du wirst darüber informiert, welche Möglichkeiten es neben einem Hausverbot gibt und wie der Entscheidungsprozess über Sanktionen im Conne Island abläuft.

Wenn du dir wünschst, dass deine Forderungen stellvertretend für dich ins Montagsplenum gebracht werden, übernimmt das die Unterstützungsgruppe für dich – und zwar „so transparent wie möglich, um eine gute Entscheidungsgrundlage zu haben und gleichzeitig so diskret/anonym/abstrakt wie möglich, um die Anonymität der betroffenen Person zu schützen“. 

Ob deine Geschichte dabei so anonymisiert werden soll, dass das Plenum keinen Rückschluss auf deine Identität ziehen kann, was genau dabei gesagt werden darf, und was nicht, bestimmst du. Das gilt auch für den gesamten Prozess: „Es wird mit der Betroffenen immer rückgekoppelt, was passiert – nichts wird gegen den Wunsch der Betroffenen getan“, schreibt die Unterstützungsgruppe. 

Das Montagsplenum entscheidet letztendlich über die konkreten Konsequenzen für die gewaltausübende Person. Die Gruppe betont, dass wegen der Individualität und Komplexität jedes Falls nie nach einem bestimmten Schema vorgegangen wird. Dennoch gibt es einige Faktoren, die bei einer solchen Diskussion berücksichtigt werden: Zuerst deine Wünsche oder Forderungen, außerdem „die Schwere der Tat bzw. des Vorfalls“, „der Verlauf der bisherigen Auseinandersetzung“, „ob die betroffene Person/die gewaltausübende Person am Laden aktiv ist“ sowie „die Reflexion, Einsicht und die aktive Mitarbeit der gewaltausübenden Person“. Letzteres kann sich auf die Dauer des Hausverbots auswirken. 

Im Plenum werden alle Belange, also auch die Anfrage für eine Hausverbot, im Konsensprinzip entschieden – somit kann es auch passieren, dass das Ergebnis der Diskussion nicht deinen Forderungen entspricht.

Angenommen, das Montagsplenum entscheidet für ein Hausverbot. Die gewaltausübende Person erhält das Hausverbot in der Regel immer mit einer Begründung sowie Bedingungen, die an die Aufhebung geknüpft sind. Wenn du dir Anonymität gegenüber der gewaltausübenden Person wünschst – wenn die Person also nicht wissen soll, dass du das für sie geltende Hausverbot gefordert hast – werden im Gespräch Formulierungen genutzt, die Rückschlüsse auf dich erschweren. Die Frage, wie viele Informationen zur Begründung eines Hausverbots kommuniziert werden müssen, werde derzeit im Plenum diskutiert, schreibt die Unterstützungsgruppe.

Das Conne Island handelt in solchen Fällen nach dem Ansatz der Transformativen Gerechtigkeit bzw. ‚Transformative Justice‘. Deshalb kann sich die gewaltausübende Person gegenüber der Crew äußern, wenn sie ein Hausverbot erhalten hat: „Es gibt die Möglichkeit für die gewaltausübende Person, ins Plenum zu kommen, sich zu erklären und für eine Aufhebung des Hausverbots zu plädieren. Grund dafür ist der Ansatz, dass statt einem Ausschluss von gewaltausübenden Personen die Möglichkeit zur Transformation gegeben sein soll.“ Wenn du der Person gegenüber anonym bleiben möchtest, kann dies „unter Umständen zulasten des transformativen Anspruches gehen. Allerdings ist dieser in solchen Fällen sekundärer Natur, denn wie gesagt: Im Zentrum steht die betroffene Person und ihre Wünsche.“

Elipamanoke

Im Elipamanoke sprichst du während einer Veranstaltung am besten das Awareness-Team an, du kannst dich aber grundsätzlich auch an alle anderen Mitarbeiter*innen wenden. 

Außerhalb von Veranstaltungen kannst du oder eine Vertrauensperson dem Awareness-Team jederzeit eine Mail schreiben (awareness@elipamanoke.de) oder nach Absprache außerhalb der Club-Öffnungszeiten vorbeikommen, wenn du ein persönliches Gespräch bevorzugst.

Wie es dann weitergeht, wird natürlich zuerst mit dir und danach erstmal nur innerhalb des Awareness-Teams besprochen. Dabei richtet es sich nach deiner Definitionsmacht. Wenn du anonym bleiben möchtest: „Der betroffenen Person wird Anonymität nach eigenem Ermessen gewährleistet. Alle persönlichen Daten der betroffenen Person (oder Dritter) werden selbstverständlich sensibel behandelt und geschützt. Niemand außerhalb des Awareness-Teams erhält Informationen über die Person oder Details des Tathergangs“. Die Entscheidungen basieren grundsätzlich auf deinen Wünschen und Forderungen, schreibt das Awareness-Teams.

Im Anschluss teilt das Team der Club-Leitung alle notwendigen Informationen mit und spricht deine Empfehlung bzw. Forderung aus. Wenn es möglich ist, wird dann die gewaltausübende Person kontaktiert und über die Konsequenzen informiert. 

Auch, wenn du kein Hausverbot forderst, kann sich das Awareness-Team dafür entscheiden: „Wir machen aber auch von unserem Hausrecht Gebrauch. Stellt nach unserer Einschätzung der Täter/die Täterin eine Gefahr für andere dar (z.B. durch diskriminierendes Verhalten jeglicher Art), bieten wir diesem Menschen nicht länger eine Plattform und sprechen dann ein Hausverbot und Auftrittsverbot aus.“

Institut fuer Zukunft

Im IfZ kümmern sich die Support-AG (per Mail: support@ifz.me) oder die Safer-Clubbing-AG um dein Anliegen. 

Wenn du etwas bei einer Veranstaltung erlebst und unmittelbar Support bzw. Konsequenzen wünschst, kannst du dich an alle Mitarbeiter*innen des Clubs wenden – am besten an das Safer-Clubbing-Team (in weißen T-Shirts) oder an die Security-Mitarbeiter*innen an der Tür (die bei Bedarf auch das Safer-Clubbing-Team anfunken können). 

Die Safer-Clubbing-AG schreibt dazu: „Bei unklaren, komischen, unangenehmen Situationen können wir jederzeit gern angesprochen werden.“ Wie es danach weitergeht, entscheidest du selbst: „Jeder Schritt wird mit der Betroffenen abgestimmt. Wir arbeiten nach dem Konzept der Definitionsmacht – das heißt, wir orientieren uns am subjektiven Erleben der Betroffenen.“

Wenn du außerhalb einer Veranstaltung nach Unterstützung fragen möchtest, kannst du die Support-AG per Mail kontaktieren. „Wenn sich jemand übergriffig verhalten hat, kann man auch eine Sanktion als Club aussprechen – schließlich möchten wir als Club unseren Raum vor gewaltausübenden Menschen schützen, besonders wenn diese uneinsichtig sind“, schreibt die Support-AG. 

Ob und welche Sanktionen es gebe, werde anhand der individuellen Fälle im Plenum der AG entschieden. Dabei wird so vorgegangen: „In erster Linie spielt immer die wichtigste Rolle, was die betroffene Person sich wünscht. Im zweiten Schritt wird sich angeschaut, was davon wiederum den Club tangiert. Im dritten Schritt ebenfalls, welche Infos es zur gewaltausübenden Person gibt, wie glaubwürdig diese ist, wie einsichtig, oder interessiert an einer Verhaltensänderung oder generell schon einem Verständnis der übergriffigen Situation.“

Falls du möchtest, dass die gewaltausübende Person ein Hausverbot bekommt: „Die Support AG bespricht im Plenum das Vorgehen und stimmt sich mit der Security AG ab, die ja wiederum Hausverbote durchsetzen. Ein Hausverbot schließt ein Gig-Verbot ein, das wird dem Booking dann kommuniziert.“ 

Wenn du dir wünschst, gegenüber der gewaltausübenden Person anonym zu bleiben: Es werden keine Namen genannt, keine Infos dringen nach außen und die Fälle werden so abstrakt wie möglich umschrieben, um den Rückschluss auf dich zu erschweren. Die gewünschte Anonymität schränke zwar die Möglichkeit einer Aufarbeitung und Reflektion des Falls mit der gewaltausübenden Person ein, schreibt die AG – doch „dem Wunsch, der gewaltausübenden Person mitzuteilen, inwiefern sie sich grenzüberschreitend verhalten hat, sind die Sicherheit und die Bedürfnisse der betroffenen Person übergeordnet.“ 


Illustration von Jasmin Biber.

Täterschutz in der Clubkultur: Welche Strukturen Täter schützen und sexualisierte Gewalt verharmlosen

Dieser Artikel ist eine Ergänzung zu der Artikelreihe „Täter an den Decks“ und liefert eine strukturelle Einordnung, warum Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt durch männliche DJs keine Seltenheit sind und dennoch so wenig darüber gesprochen wird.

Triggerwarnung: In diesem Text geht es um sexualisierte Gewalt und andere Grenzüberschreitungen sowie strukturelle Diskriminierungen und Gewalt gegenüber FLINT*

Der Artikel als Podcast

Steile These am Anfang: Es gibt keine safe spaces. Wenn überhaupt, gibt es safERspaces, doch in der Clubkultur sind wir – um lokal zu bleiben: Vor allem in Leipzig – trotz Bemühungen und trotz Selbstzuschreibungen in der so gern als links deklarierten Bubble noch weit davon entfernt.

Die Clubszene gilt seit ihrer Entstehung als politischer Schutz- und Entfaltungsraum, in den USA vor allem für die queere Black und Latin Community, in Deutschland als safer spaces der Homosexuellen Szene. Neue Diskurse entstanden, neue Räume, eine neue Kunstform. Dieser neue, große Raum war es auch, was die Clubbesuche so revolutionierte: Da war Platz für alle.

Diese Geschichte wird immer noch gerne bemüht, wenn es um Clubs als Räume für den Eskapismus marginalisierter Menschen geht. Für Diskriminierung soll kein Platz sein, „no racism“ steht auf Veranstaltungsflyern; es gibt Soli-Partys und Awareness-Teams. Das alles ist löblich und die Bedeutung dessen soll mit diesem Artikel keinesfalls aberkannt werden. Es reicht aber nicht. Im Gegenteil, allzu häufig wird sich vor allem in linkem Club hinter Naserümpfen gegenüber offen chauvinistischen Großraumdissen versteckt, während der in den eigenen Reihen reproduzierte Sexismus (und Rassismus) geflissentlich ignoriert, gar totgeschwiegen wird.

Entwurf einer Utopie

Auf folgende Frage: „Die Elektro-Szene entwarf schon in den späten 1980-Jahren die Utopie, durch Sound Grenzen von Geschlecht, Ethnizität und Klasse zu überwinden. Warum hat sich das nicht erfüllt?“ antwortete die Musiksoziologin Rosa Reitsamer in einem Interview:

„Das hat damit zu tun, dass die Strukturen der Gesellschaft von diesen Ansprüchen so weit entfernt sind – die Szene der elektronischen Musik spiegelt das.“

Und natürlich – wir leben in einer Gesellschaft mit sexistischen Strukturen, wieso sollten diese Strukturen wie von Zauberhand im Club auflösen?

Dass wir nicht von Einzelfällen sprechen, wenn wir von Übergriffen im Clubkontext reden – wie auch anderenorts in der Gesellschaft, wenn von sexualisierter Gewalt gesprochen wird – sollte klar sein. Die Vielzahl an Erfahrungsberichten von Menschen (Frauen bzw. FLINT*), die nur innerhalb von ein paar Monaten und nur aus der „linken Techno-Bubble“ berichtet wurden, zeigt auf, wovon viele Artikel, viele fem DJ Kollektive und Netzwerke schon lange sprechen. Warum ist es nötig, einmal mehr Betroffene sexualisierter Gewalt zu bitten, darüber zu sprechen?

Illustration von Jasmin Biber

Täter- statt Opferschutz

Weil die Strukturen, die Täter schützen, von denen Täter gar profitieren, nach wie vor existieren, reproduziert und oft sogar geleugnet werden.

Dieser Artikel steht in Ergänzung zu „Täter an den Decks – Sexualisierte Gewalt in der Clubkultur“, um zu den Erfahrungsberichten strukturelle Einordnungen vorzunehmen und die Mechanismen aufzuzeigen, die im Clubkontext dazu führen, dass wir nach wie vor, trotz der Arbeit von Awareness Teams, über Übergriffe und sexualisierte Gewalt sprechen müssen.

Wenn euch jetzt schon die Finger jucken, Kommentare zu verfassen, dass es „doch wirklich andere Probleme gäbe“, dass „man(n) ja gar nicht mehr wisse, was man noch sagen dürfe“ und dass „Frauen nicht so empfindlich sein sollen“, oder aber sich in mansplaining und chauvinistischem von-oben-herab am-Thema-vorbei Geschwafel zu verlieren – Don’t.

Deutungshoheit und Machtstrukturen

Was ein für alle Mal verstanden werden muss, ehe wir überhaupt weitersprechen: NIEMAND hat die Deutungshoheit über das, was Menschen an Diskriminierungen erleben, außer ihnen selbst. Wenn du Betroffenen ihre Erfahrungen absprichst, relativieren willst, dann profitierst du nicht nur passiv von deinen Privilegien, sondern hältst aktiv die Machtstrukturen aufrecht.

Frage dich, bevor du weiterliest, abbrichst oder gar deinen Senf dazugeben willst: „Sollte ich an dieser Stelle wirklich etwas „diskutieren“? Oder sollte ich still sein, zuhören, und auch aushalten, dass ich möglicherweise selbst dazu beitrage, dass diese Strukturen existieren?“ Denn, und ich streichle nochmal die Egos: Es ist nicht deine Schuld, dass du vielleicht als cis Mann, als weiße Person geboren bist. Niemand macht dir das zum Vorwurf. Kritisiert wird, dass nicht reflektiert wird, in welcher Position man sich befindet, welche Diskriminierung man selbst reproduziert.

Da wir ja alle denkende Wesen sind (und, um zum linken Clubkontext zurückzukehren, gerne Akademiker*innentum betonen, indem wir jede Person shamen, die „nicht Marx/Hegel/Kafka [Autor deiner Wahl einsetzen] gelesen hat?!“) – Reflektiere. Und halte aus, dass sich das Folgende vielleicht unangenehm für dich anfühlen könnte. Denn glaub mir: Für Menschen, die Diskriminierung und daraus resultierende Gewalt erleben, ist es noch viel unangenehmer.

Sexist*in? Ich doch nicht!

Ich zitiere die Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Die allerwenigsten Menschen würden von sich selbst behaupten, Sexist oder Sexistin zu sein. Entsprechend abwehrend reagieren viele, wenn eine ihrer Handlungen oder Äußerungen als sexistisch bezeichnet wird, schließlich wiegt der Vorwurf schwer, diesen Stiefel möchte sich niemand anziehen. Doch ohne Sexismus zu benennen, ist es nicht möglich, gemeinsam auf eine Sexismus-freie Gesellschaft hinzuarbeiten.

(Darauf hingewiesen werden, dass man ein problematisches Erklärungsmodell für sexualisierte Gewalt reproduziert, mag für den oder die Einzelne*n sehr unangenehm sein. Schließlich herrscht gerade beim Thema Vergewaltigung gesellschaftlich weitestgehend Einigkeit darüber, dass es sich dabei um einen gravierenden Einschnitt in die sexuelle Selbstbestimmung handelt. Daher sind die Reaktionen oft sehr abwehrend. Niemand möchte sich unterstellen lassen, dass er oder sie Vergewaltigungen gutheißt.

Gerade weil dieses Erklärungsmodell so weit verbreitet und fest verankert ist, reproduzieren es Menschen oft unbewusst. Das heißt nicht, dass sie sexualisierte Gewalt billigen. Aber wenn nicht darüber gesprochen wird, wann und in welchen konkreten Beispielen bestimmte Erklärungsmodelle reproduziert werden, bleiben sie unangefochten stehen.)“

Und, liebe linke Bubble, ist es nicht das, was wir uns alle allzu gern auf die Fahne schreiben, „no sexism, no racism“? Na Also. With that said, lasst uns doch mal die Strukturen anschauen, die sexualisierte Gewalt im Clubkontext aufrechterhalten und Täter schützen [an dieser Stelle verwende ich bewusst das generische Maskulinum].

Interview Nice4What

In einem Interview mit Nice4What wurden folgende Fragen gestellt:

Was fällt euch als Erstes ein, wenn ihr Sexismus im Zusammenhang mit Clubbing bzw. der elektronischen Musikszene hört?

“Es gibt leider keinen Bereich der Gesellschaft, in dem Sexismus keine Rolle spielt, deswegen ist auch die Clubkultur davon betroffen.” – Isa

Marlene: Besonders absurd in diesem Kontext finde ich den Kontrast zwischen der Clubkultur als Sehnsuchtsort, an dem gesellschaftliche Konventionen abgelegt werden können und sich jede Person frei ausleben kann – und dem gegenüber die tatsächlich vorherrschenden Zuständen in der Clubkultur.

Ihr geht alle mehr oder weniger regelmäßig auch als Gäste feiern – wie erlebt ihr einen Abend im Club als „Frau“?

Franzi:  Für mich verläuft eine wünschenswerte Clubnacht so, dass […] mich fallen lassen kann, weil ich mich durch die Leute im Club um mich herum aufgehoben und sicher fühlen kann. Dennoch läuft […] von vornherein so eine Hab-Acht-Stellung, weil man sich in einen Raum begibt, in dem Personen eben gerne über die Stränge schlagen und dabei leider manchmal das letzte Fünkchen respektvoller Umgang verschwindet. Als Frau muss ich dann aufgrund patriarchaler Machtstrukturen leider eher damit rechnen, dass mir oder anderen nicht-cis-männlichen Personen diskriminierendes Verhalten widerfährt.

Marlene: Sowohl als Gast als auch hinter der Bar oder hinter dem DJ-Pult erlebe ich immer wieder unangenehme Situationen, wie angestarrt, angetanzt oder unter komischen Vorwänden angequatscht zu werden. Was ungewolltes Angefasst-Werden angeht, kann mich spontan an mindestens fünf Situationen in den letzten Jahren erinnern. Bekomme ich eine solche Situation mit oder erlebe sie selbst, ist der Abend für mich eigentlich gelaufen. Ich glaube, den meisten Personen, von denen diese Situation ausgehen, ist gar nicht bewusst, was sie durch ihr Verhalten gerade auslösen. Deswegen versuche ich sie offen darauf anzusprechen, dass sie gerade eine Grenze überschreiten. Leider treffen solche Aussprachen gerade im Partykontext häufig auf Unverständnis.

Ob Awareness-Team oder nicht, viele Betroffene sprechen nicht über ihre Erfahrungen mit übergriffigem Verhalten im Clubkontext, oder wollen anonym bleiben, um sich nicht weiterer Gefahr auszusetzen (was diverse Erfahrungsberichte auch aufzeigen).

Umgang mit Belästigung und Übergriffen

Viele Frauen bedankten sich, wenn man sich einmische und übergriffige Typen rausschmeiße, sie kämen aber nicht von sich aus zur Theke, zur Tür oder zum Awareness-Team. Der vorherrschende Umgang mit Belästigungen und Übergriffen sei oft noch, zu schweigen und zu hoffen, dass es schnell vorbeigehe, erzählt eine Türsteherin im Interview mit der jungle world.

Warum? Diverse Mechanismen greifen hier.

Täterschutz in der Clubszene: Verharmlosung

Zum einen wird in der Clubszene massiv Täterschutz betrieben. Das bedeutet: sexistisches und/ oder übergriffiges Verhalten wird toleriert, verharmlost, hingenommen. Hier geht es meistens um den eigenen Profit.

Sozialer Profit

Einerseits sozialer Profit: Die eigenen Kumpels nicht darauf ansprechen, dass es nicht cool ist, sexistische, queerfeindliche, rassistische und andere diskriminierende Aussagen zu tätigen, darüber zu reden, wie „geil man die Alte gebumst hat“. Der soziale Profit, an dieser Stelle zu schweigen, mitzulachen oder gar mitzureden liegt auf der Hand: Man(n) will nicht schlecht dastehen vor den eigenen Freunden.

Monetärer Profit

Andererseits, neben dem sozialen Profit gibt’s natürlich noch den monetären. Eine Stufe höher kommt die Macht in der Clubbranche mit ins Spiel: Lache ich mit dem Booker/DJ/Promoter über seine sexistischen Witze, damit er mich bucht, auf meiner Party spielt etc.? Denn, auch diese Brache folgt noch immer Regeln, die Männer gemacht haben (siehe bspw. „old boys network“) – Mackertum ist an der Tagesordnung und wer nicht mitspielt, profitiert nicht, sei es nun finanziell oder fame.

Ein schönes Beispiel ist (und ich nenne hier bewusst keine Namen, denn es geht um grundlegende Strukturen und nicht um „Einzelfälle“) wie fürs eigene Brand mit einem DJ kollaboriert wird, in dem Wissen, dass er sich übergriffig verhalten hat – nur für die Klicks, für Geld. Oder aber, wie durchaus nicht selten auf die Aussage zum übergriffigen Verhalten eines DJs (Managers/Politikers/…) sinngemäß geantwortet wird „sprich das nicht öffentlich an, das würde seiner Karriere schaden“, um nur zwei Beispiele zu benennen, die zeigen, wer welche Machtposition innehat und diese auch sichern möchte.

Machtmissbrauch

Auch Einzelne DJs missbrauchen ihre Macht, nicht im Booking-Kontext, sondern indem sie fame und Ressourcen (Gästeliste beispielsweise) nutzen, um sexuelle „Gefälligkeiten“ zu erbitten. Erinnert stark an den Firmenchef, der für sexuelle Handlungen eine Gehaltserhöhung verspricht, doesn‘t it?

Jetzt könnte das allseits beliebte Narrativ „Sie schläft sich hoch“  thematisiert werden, deswegen möchte ich hier direkt anschließen: Es gibt etwas, das nennt sich „Opfer-Täter-Umkehr“  bzw. „victim-blaming“.

Wieder zitiere ich die Rosa-Luxemburg-Stiftung und ihr „Ist doch ein Kompliment…Behauptungen und Fakten zu Sexismus“-Heft: „Eines der wirkungsmächtigsten und problematischsten Erklärungsmuster nimmt als Ursache für sexualisierte Gewalt nicht den Täter, sondern das Opfer in den Blick: Das Opfer selbst habe durch bestimmte Faktoren wie etwa Kleidungsstil, Verhaltensweise oder Alkoholkonsum sexualisierte Gewalt ausgelöst, so die Annahme. Dem Opfer wird suggeriert, es hätte eine Mit- oder sogar Hauptschuld daran, dass ihm Gewalt angetan wurde.

Das führt nicht nur dazu, dass Betroffene sehr häufig nicht die Hilfe und Unterstützung bekommen, die sie benötigen, sondern auch dazu, dass viele Opfer die Schuld bei sich suchen und sich nicht trauen, über ihre Erfahrungen zu sprechen oder sie zur Anzeige zu bringen. Der Täter wiederum wird entlastet, da er argumentieren kann, er habe sich aufgrund der Kleidung oder des Verhaltens des Opfers nicht beherrschen können.

Diesem Erklärungsmodell liegt also auch ein problematisches Bild von Männern als animalische Täter zugrunde. Seit den 1970er Jahren hat sich für diese Strategie der Schuldumkehr, die die Opfer zu Täter*innen macht, die Bezeichnung victim blaming (engl.: das Opfer beschuldigen) durchgesetzt.“

Sexualisierte Gewalt

An dieser Stelle möchte ich es nochmal ganz deutlich sagen, damit es auch wirklich ankommt:

DIE SCHULD FÜR SEXUALISIERTE GEWALT LIEGT NICHT BEI DER PERSON, DIE DIESE ERFÄHRT.

Stellt euch vor, jemand rammt euch ein Messer in den Rücken und wird dann freigesprochen, einfach weil „Die Farbe eurer Jacke ihn aggressiv gemacht hat“ – merkwürdig, oder?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der das Recht auf Ausdruck seines*ihres Selbst herrscht. Das bedeutet, Menschen dürfen sich schminken, anziehen was sie möchten – und das ist kein Freifahrtsschein, sondern schlicht und ergreifend ein Grundrecht. Genauso wie das Recht auf sexuelle Freiheit kein Pendant für „Recht auf sexuelle Handlung“ ist.

„Wirklich? Das kann ich mir bei dem gar nicht vorstellen, der ist doch ein ganz Netter…“

Gerade im hedonistischen Clubkontext ist das wichtig. Warum trauen sich Betroffene oft nicht, zur Tür, zur Bar oder anderem Personal im Club zu gehen, wenn sie sexualisierte Gewalt erleben? Weil es leider immer noch die Regel ist, dass Erfahrungen relativiert werden oder aber die Schuld den Betroffenen zugeschoben wird. Und schon Aussagen wie „Wirklich? Das kann ich mir bei dem gar nicht vorstellen, der ist doch ein ganz Netter“ fallen in diese Kategorie.

Nein heißt nein

Übrigens, erst seit 2016 ist gesetzlich verankert, dass sexualisierte Gewalt beginnt, wo ein „Nein“ missachtet wird. Vorher musste sich die betroffene Person „körperlich zur Wehr gesetzt haben“. Stell dir vor, jemand fragt dich, ob du eine Ohrfeige haben willst, du sagst „nein“, und die Person schlägt dich trotzdem. Gewaltvoll, oder nicht? Schon seltsam, dass wir bei sexuellen Handlungen die Grauzone ins schier Unermessliche ausdehnen wollen.  Außerdem wichtig für den Clubkontext: Inwieweit ist die Person, mit der ich da gerade anbandle, überhaupt in der Lage, noch deutlich zuzustimmen oder eben „Nein“ zu sagen?

Lasst uns Betroffenen zuhören und Glauben schenken, statt Täter zu schützen.

Noch ein letzter Hinweis, wenn Menschen euch von Erfahrungen von sexualisierter Gewalt berichten: Relativierungen, defensive oder neugierige Fragen und Ähnliches kann retraumatisierend wirken. Hört zu, glaubt Betroffenen und schützt nicht die Täter, egal wie famous sie sind, wie nett ihr euch mit ihnen unterhalten habt oder was für coole Gespräche ihr beim Schnaps an der Bar mit ihnen hattet.

Die “guten” Jungs

Als letzten Gedankenanstoß möchte ich The Bureau of New Futures and Friends, Creamcake und Yeşim zitieren, die über dieses Thema geschrieben haben, nachdem Konstantin (ja genau, der von Giegling) und seine sexistischen Aussagen viral gegangen sind.

Aufschreie nach Aussagen wie der Konstantins oder, um lokal zu bleiben, gut vernetzter Booker/DJs/[Position in der Clubkultur hier einsetzen] sind wichtig und richtig, reichen aber nicht aus. Wir müssen auch darüber sprechen, dass antisexistische (genauso wie antirassistische) Positionen gerade in linken Kreisen oft performativ und nur auf Image-building ausgerichtet sein. Es geht nicht nur darum, offen sexistisch getätigte Aussagen von Menschen anzuprangern, die vielleicht außerhalb des eigenen Dunstkreises tätig sind. Es geht auch um das, was im Privaten passiert, es geht darum, sexistisches Verhalten anzusprechen und zu kritisieren, auch wenn es der beste Kumpel ist, der sie tätigt, und man vielleicht ein unangenehmes Gespräch führen muss.

The Bureau of New Futures and Friends, Creamcake und Yeşim:

„Viele von uns haben diese „guten Jungs“ so oft hinter verschlossenen Türen dabei gesehen, wie sie, wenn ihre Freunde sexistische, queerfeindliche, rassistische, ableistische und klassistische Dinge sagen, keinen Pieps von sich geben oder gar mitlachen. Die überwältigende Überzahl dieser […] Männer […] bleiben verbündet und profitieren finanziell von der Kommerzialisierung von Techno. […] Sie schweigen, wenn sie von sexuellen Übergriffen und Missbrauch hören […] und sie weigern sich, den Opfern zu glauben. Diese „guten Jungs“ fragen in aller Ernsthaftigkeit „Aber wo ist der Beweis?“, wenn jemand in ihrem Umfeld ein Sexualstraftäter ist oder häusliche Gewalt verübt.“

Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, muss 1. Zugehört werden. 2. Glauben geschenkt und die Deutungshoheit über den Vorfall überlassen werden (Aussagen wie „also so schlimm ist das doch nicht!“ sind nicht einfach nur unsensibel, sie sind schlichtweg bagatellisierend gegenüber dem, was Menschen als grenzüberschreitend erleben – wir wissen nicht, was sich wann für Menschen „schlimm“ anfühlt. Also, Achim, nur weil du es „nicht so schlimm fändest“, wenn dir jemand im Vorbeigehen an die Hüfte greift, heißt das nicht, dass das für alle anderen ebenso gilt.)

„Nur weil du mal auf everydayfeminism.com einen Artikel über kulturelle Aneignung gelesen hast, deine coole Freundin dir gratis eine maßgeschneiderte Privaterziehung über Sachen gegeben hat, die eigentlich zum Grundwissen gehören, und du einmal eine Schwarze DJ für deine Party gebucht hast, bedeutet das noch lange nicht, dass du aus dem Schneider bist. Solange unsere Infrastruktur von diesem White Man Techno Club Bullshit dominiert wird, muss noch viel mehr Arbeit geleistet werden, um auch nur einen kleinen Schritt in Richtung Parität zu gewährleisten. […] Wir brauchen mehr als oberflächliches Ally-Theater.“ (Missy Mag, 29.06.17)

Weiterhin, 3., bedeutet Umgang mit Sexismus in der Clubkultur auch, Platz zu machen im old boys network für FLINT* und deren Perspektiven.

Platz machen

Platz machen kann bedeuten Positionen anders (nicht-männlich) zu besetzen, Line-Ups nicht nur tokenisiert mit FLINT* zu besetzen. Das bedeutet, niemandem im Vorbeigehen ungefragt IRGENDWOHIN zu fassen, das bedeutet nach einem „nein“ abzuziehen, das bedeutet, nicht bedenkenlos das Shirt im Club auszuziehen.

Eine Side-Note zum OKF Thema übrigens: Oberkörperfrei auf der Tanzfläche oder hinter dem Pult agieren – egal ob aus Imponiergehabe, Hitze oder anderen Gründen – ist indirekt eine, natürlich häufig unbewusste, Demonstration von Macht. Es vermittelt die Botschaft: „Ich kann hier mein Shirt ausziehen und trotzdem sicher sein, du als FLINT* kannst das nicht.“

Machtstrukturen zu kritisieren und Ally sein zu wollen – und das wollen doch Menschen, die sich Feminismus und Antirassismus auf die Stirn schreiben, dachte ich? – bedeutet auch, ein Stück vom Kuchen abzugeben, der durch Privilegien ungleich aufgeteilt ist.

Also: Platz machen, keine sexualisierte Gewalt ausüben, sensibel mit Betroffenen umgehen und nicht zuletzt monetäres und soziales Kapital umverteilen.


Illustrationen von Jasmin Biber.

Täter an den Decks – Was tun gegen sexualisierte Gewalt in der Clubkultur?

In Clubs, im Bekanntenkreis oder im Dating-Kontext erleben FLINT* sexualisierte Gewalt und andere extreme Grenzüberschreitungen durch Leipziger DJs und Veranstalter. Was muss sich ändern, damit Betroffene sich empowert statt machtlos fühlen und Täter nicht länger ungehindert in der Clubkultur partizipieren können? 

Triggerwarnung: Im diesem Teil des Features werden sexualisierte Gewalt sowie Victim-Blaming, Täterschutz und struktureller Sexismus thematisiert, was möglicherweise triggernd oder retraumatisierend wirken oder anderweitig stark negative Gefühle auslösen kann. Wenn du selbst sexualisierte Gewalt im Clubkontext erlebt hast und gegen die Gewaltausübenden vorgehen möchtest, kann dir vielleicht dieser frohfroh-Artikel weiterhelfen – hier geht es um Unterstützungs- und Handlungsmöglichkeiten für Betroffene innerhalb der Leipziger Clubkultur.

Das Feature als Podcast

Betroffene und Gewaltausübende treten in den Erfahrungsberichten zwar anonym auf, doch sie sind keine Fremden – die Rave-Bubble in Leipzig ist schließlich gut vernetzt. Vielleicht hast du mal mit Alice1 einen Shot an der Bar getrunken, mit Mia1 in der Kloschlange gequatscht oder warst auf der gleichen Afterhour wie Sarah1. Vielleicht hast du zu einem Set von Niklas1 getanzt, warst auf einem Open Air von Devin1 oder hast Bekannte, die mit Moritz1 b2b spielen.

An die Leser, die keinen Sexismus oder sexualisierte Gewalt erleben: Ja, es ist verdammt unangenehm, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Aber FLINT*, die durchweg solche Erfahrungen machen, können sich auch nicht aussuchen, ob sie sich mit Sexismus und sexualisierter Gewalt auseinandersetzen wollen. 

Hier geht es nicht um irgendein Problem, das woanders, ganz weit weg stattfindet und gegen das du eh nichts tun kannst – kurz mitfühlend aufseufzen und dann ohne schlechtes Gewissen wegklicken, ist nicht. Es geht um Gewalt, die Menschen in unserem engen oder weiteren Umfeld erleben. Und wir alle können aktiv werden, um unsere Clubkultur zu einem Raum zu machen, der für FLINT* sicherer wird.

Dazu später mehr. Zuerst müssen wir uns anschauen, was es bedeutet, dass die Täter in unserer Szene stark involviert sind und welche Parallelen sich in den individuellen Erfahrungen abzeichnen.

1 Namen zum Schutz der Betroffenen geändert (siehe Teil I.)

Booking-Boykott und Hausverbot statt Support und Fame

Verschiedenste Akteur*innen der Szene – Clubs, Kollektive und Einzelpersonen – teilen feministische, antisexistische und emanzipatorische Grundwerte und versuchen mit vielfältigen Mitteln, ihre Veranstaltungen und Räume für FLINT* so sicher wie möglich zu gestalten. Bei all diesem Engagement scheint unsere Clubkultur das Potential zu haben, der Utopie eines Safe Spaces für alle Feierenden eines Tages ziemlich nah zu kommen. 

Doch Männer wie Niklas, Devin und Moritz machen diese Anstrengungen zunichte – ebenso, wie diejenigen, die sie schützen und ihr Verhalten tolerieren. Indem sie alle patriarchale Gewalt aufrecht erhalten, vergiften sie die Atmosphäre der clubkulturellen Rückzugsorte. 

Die Gewaltausübenden dieser Recherche sind nicht nur als Gäste im Nachtleben unterwegs – sie sind als DJs und Veranstalter fester und aktiver Teil der Szene, die meisten tief in der lokalen Rave-Kultur verwurzelt. Sie veranstalten Open Airs und hosten Veranstaltungsreihen in Clubs. Sie werden für Raves gebucht, spielen in Livestreams und nehmen Podcasts für andere Kollektive auf. Sie werden von Clubs, Kollektiven und anderen Veranstalter*innen unterstützt, promotet und gefördert. Sie stehen am selben Abend hinter dem selben Pult wie FLINT*-DJs, die sich in feministischen Kollektiven wie Feat. Fem oder No Show engagieren. Kurz: Sie profitieren sozial und monetär von den Räumen, in denen sie sich gewaltvoll verhalten.

Mit ihrem DJ-Status befinden sie sich in einer Machtposition: Es kostet schon viel Kraft und Überwindung, sich im Club wegen eines übergriffigen Gastes an das Awarenessteam zu wenden – doch den übergriffigen DJ, der später noch auflegen soll, rausschmeißen zu lassen, ist noch mit zusätzlichen Hürden verbunden. 

Genau wie den Mitgliedern seines Kollektivs zu schreiben, dass ihr Crewbuddy sexuell übergriffig wurde. Oder den eigenen Freund*innen zu erzählen, dass genau der Typ gewalttätig war, dessen Sets sie beim Vorglühen und auf Afterhours in Dauerschleife hören und von dem sie begeistert berichten, ihn beim Backstage-Plausch als ‚super korrekten Dude‘ erlebt zu haben. 

Haben diese Männer den Support und Fame verdient, den sie bekommen? Ganz sicher nicht. Booking-Boykotte und Hausverbote scheinen eher angemessen. Wir sollten darüber sprechen, welche Rolle Maßnahmen wie diese spielen können – auch dazu später mehr. 

Illustration von Jasmin Biber

 Keine Einzelfälle, sondern ein strukturelles Problem

Um Missverständnissen vorzubeugen: Dieses Feature möchte nicht behaupten, alle cis-männlichen DJs unser Szene seien per se misogyne und übergriffige Täter. Sicher gibt sich ein großer Teil der in unserer Szene aktiven Cis-Männer sogar aufrichtig Mühe, eigenes Verhalten und ‚Männlichkeit‘ zu reflektieren, sowie eigene Privilegien kritisch zu hinterfragen. Sie erkennen Sexismus als einen der gesellschaftlichen Missstände an und haben den Anspruch, sich FLINT* gegenüber respektvoll zu verhalten. Inwiefern es gelingt, die theoretischen Ansprüche im tatsächlichen Verhalten umzusetzen, ist allerdings eine andere Frage. 

So ist es mindestens für FLINT* nichts Neues, dass es in unserer Szene trotz toleranter Mindsets und vermeintlicher ‚Aufgeklärtheit‘ einen ganzen Haufen Cis-Männer gibt, die sich – ob bewusst oder unbewusst – sexistisch verhalten oder äußern. Doch wohl erst die Menge an Erlebnissen, die sich in einem überschaubaren Zeitraum in derselben Stadt und derselben Szene ereigneten, gibt einen Eindruck vom Ausmaß der patriarchalen Gewalt in unserer Clubkultur. 

Ein kleiner Exkurs zur sexualisierten Gewalt in den europäischen Gesellschaften: Laut einer repräsentativen europaweiten Studie über sexualisierte Gewalt aus dem Jahr 2014, durchgeführt von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, hat jede dritte Frau (33 %) seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfahren. Allein in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung hatten etwa 8 % der Frauen zwischen 18 und 74 Jahren körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt. Für Frauen in der Altersgruppe von 18 bis 29 sei das „Gefährdungsrisiko für sexuelle Belästigung“ überdurchschnittlich hoch: Mehr als jede Dritte von ihnen (38 %) hatte mindestens eine Form der sexuellen Belästigung allein in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung erfahren.  

Wie groß die quantitative Dimension dieses Problems speziell in unserer Szene ist, kann diese Recherche nicht ermitteln. Doch zumindest sollte es nachdenklich machen, dass eine einzige Instagram-Story mit mäßiger Reichweite genügte, um zwölf Personen zu finden, die sexualisierte Gewalt und andere drastische Grenzüberschreitungen durch Leipziger DJs und Veranstalter erlebt haben. Plus einige weitere Menschen mit Sexismus-Erfahrungen durch die gleiche Personengruppe. 

Unter anderem deshalb ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer der Fälle sehr viel höher ist – in Leipzig, wie auch in anderen Orten. Sexualisierte Gewalttaten gegen FLINT* sind also auch in unseren Kreisen keine Einzelfälle, sondern ein strukturelles Problem. Das Conne Island bringt es in seinem Statement vom Januar 2020 auf den Punkt: 

„Eine Szene – und dazu zählt das Conne Island –, die sich selbst als emanzipatorisch und antisexistisch begreift, ist keinesfalls immun gegen (bewusste oder unbewusste) machistische, frauenverachtende oder generell herabsetzende Einstellungen und Verhaltensweisen. […] Eine Selbstbeschreibung als feministisch [dient] mitunter nur als identitätsstiftendes Feigenblatt und [übersetzt] sich nicht automatisch in ein Handeln, das diesem Anspruch auch Rechnung trägt.“

Zwischen Club und Afterhour: Welche Bedeutung hat der Szene-Kontext?

Zwölf Personen haben ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt geteilt. In all diesen individuellen Geschichten lassen sich Parallelen erkennen, die deutlich machen, dass der clubkulturelle Kontext oft eine direkte oder indirekte Bedeutung hat. 

Zuerst begegneten sich Betroffene und Gewaltausübende innerhalb der Szene. Einige der Übergriffe ereigneten sich in Clubs oder auf Afterhours. Manche Täter missbrauchen ihren Status oder ihre Privilegien als DJs und Veranstalter – siehe: Gästelistenplätze als ‚Köder‘. 

Und teilweise spielen Alkohol und andere Drogen eine Rolle: Einige Betroffene waren zum Zeitpunkt des Übergriffs nicht in der psychischen oder körperlichen Verfassung, einer sexuellen Interaktion zu widersprechen oder sich körperlich zu wehren. Das nutzten die jeweiligen Täter aus oder wirkten durch das Drängen zum Konsum gezielt darauf hin.

Mit Blick auf den antisexistischen Konsens unserer Szene, der – zumindest nach außen – unter den allermeisten Akteur*innen besteht, liegt der Gedanke nahe, dass die Täter indirekt von diesem Konsens profitieren. Wer von Clubs gebucht wird oder in Kollektiven aktiv ist, die sich öffentlich antisexistisch positionieren, erhält vielleicht einen größeren ‚Vertrauensvorschuss‘, als eine weniger involvierte oder Szene-externe Person. 

Zu groß scheint der Widerspruch, dass jemand, der in dieser Szene geschätzt wird und gut vernetzt ist, deren vermeintlichem Grundwert des Antisexismus mit gewaltvollem, sexistischem Verhalten widerspricht – insbesondere, wenn er vorgibt, diesen Grundwert zu teilen. 

Sexistische Mikroaggressionen schaffen ein sexistisches Klima

In diesem Feature wird zwar hauptsächlich sexualisierte Gewalt thematisiert, doch dabei sollte auf keinen Fall die Bedeutung von sexistischen Mindsets und sexistischen Mikroaggressionen aus dem Blick geraten. 

Hier eine Zusammenfassung entsprechender Handlungen von Leipziger DJs aus der Recherche zu diesem Feature: Einen Raum betreten, in dem gerade zwei weibliche DJs auflegen, und mit abfälligem Blick auf die beiden in gönnerhaftem Tonfall sagen: „Na, gucken wir uns mal an, was ihr Mädels da so liefert“. Einer weiblichen DJ vorschlagen, es doch einfach mal mit einem völlig anderen Genre zu versuchen, „weil es ja noch nicht so viele Frauen gibt, die sowas auflegen“. Einer Frau sagen, ihre Stimme klinge „wie im Porno“. Eine Frau, die auf sexistische und anderweitig diskriminierende Sprache hinweist, beleidigen und als „Kampfemanze“ bezeichnen. Einer Frau sagen, dass sie dieses Outfit nur tragen würde, um gratis Drinks an der Bar zu bekommen. Eine Frau, die nach einer Party mit zu ihm kommt und nicht mit ihm schlafen will, durch eine genervte und abweisende Reaktion doch noch zum Sex überreden wollen.

Eine Erfahrung, die auf dem Instagram-Account @iam_a_dj geteilt wurde: Eine DJ buchen zu wollen, ohne sich vorher ein Set angehört zu haben, einfach weil „wir das Lineup gern ein bisschen weiblicher gestalten wollen“ – sowas nennt sich übrigens Tokenismus. Weiblichen DJs vorwerfen, sie seien nicht wegen ihrer Musik, sondern wegen ihrer Social-Media-Präsenz erfolgreicher als man(n) selbst – die Quintessenz des inzwischen gelöschten Facebook-Posts eines Leipziger DJs und Bookers. 

Mit diesem Post reihte sich jener DJ hinter Konstantin vom Weimarer Label Giegling ein – dieser hatte sich 2017 im Zuge eines Groove-Features ebenfalls misogyn über weibliche DJs geäußert. Im selben Jahr hatte ein Facebook-Post von DJ und Producer Johannes Heil für Aufsehen gesorgt: Heil schaffte es allen Ernstes, sich in wenigen Sätzen nicht nur mehrfach sexistisch, sondern auch noch bewusst ableistisch und queerfeindlich zu äußern, sowie die sachliche Kritik an seiner Wortwahl mit einer Anspielung auf toxische Männlichkeit – „Just grow some hair“ – lächerlich zu machen. Diese prominent gewordenen Fälle zeigen eindrücklich, dass derartige Sexismen keinesfalls ein lokales Problem sind.

Für einige mag solches Verhalten oder solche Äußerungen auf den ersten Blick harmlos scheinen – ‚Was soll sowas mit sexualisierter Gewalt zu tun haben?‘ Solche abwertenden und respektlosen Äußerungen und Handlungen gegenüber FLINT* sind Ausdruck patriarchaler Strukturen – ebenso wie derartiges unkommentiert stehenzulassen, zu akzeptieren oder wegzulachen. 

Das alles ist Teil dieses gigantischen Problems, das unsere Subkultur ebenso wie die gesamte Gesellschaft betrifft. Es trägt zu einem Klima bei, in dem sexualisierte Gewalt erst möglich wird – auch, weil die gewaltausübenden Cis-Männer offenbar keine Angst vor negativen Konsequenzen haben müssen.

Wieso fühlen sich die Täter so sicher?

Angesichts der Erfahrungsberichte kann niemand behaupten, den jeweiligen Männern sei nicht bewusst gewesen, dass sie gerade sexualisierte Gewalt ausüben oder die Grenzen ihres Gegenübers auf andere Weise verletzen. Die Übergriffe selbst, das fehlende Schuldeingeständnis gegenüber den Betroffenen sowie der anschließende Umgang mit ihnen zeigen deutlich, dass die Täter keine Angst vor unbequemen Folgen haben – zum Beispiel negative Konsequenzen für freundschaftliche Beziehungen, Kollektivarbeit oder ihre DJ-Karriere. Wieso fühlen sie sich so sicher?

Die Übergriffe, die innerhalb der Szene geschehen, werden im Umfeld der Betroffenen und Gewaltausübenden häufig tabuisiert – sinngemäß: ‚Wenn wir nicht darüber reden, ist auch nichts passiert.‘ Doch eigentlich sollte genau dieses täterschützende Verhalten dem vermeintlich antisexistischen Selbstverständnis jener Leute massiv widersprechen. 

Warum also wird sich zwar lautstark echauffiert, wenn sich ein Promi sexistisch geäußert oder ein fremder Typ in der Bahn eine Freundin belästigt hat, aber gleichzeitig geschwiegen, wenn der Täter ein guter Freund, b2b-Partner oder Crewbuddy ist? 

Wieso verharmlosen und entschuldigen Freund*innen, Bekannte oder Kollektivmitglieder des Täters dessen sexualisierte Gewaltausübung gegenüber den Betroffenen – im Sinne von: ‚Der will doch nur flirten‘ oder ‚Zu mir war der immer cool, das war bestimmt nicht böse gemeint‘ oder ‚Das kann ich mir nicht vorstellen, eigentlich ist der doch voll feministisch drauf‘? 

Warum wenden sie das Narrativ der sogenannten Täter-Opfer-Umkehr an – entweder offensiv, wie im Fall von Mia und Eva, oder subtiler: ‚Bei dem Outfit konnte er ja auch nicht anders‘ oder ‚Du hättest ja nicht mit ihm mitgehen müssen‘ oder ‚Du hast ihm doch signalisiert, dass du es auch willst‘?

Solche Äußerungen zeugen nicht nur von fehlender Solidarität und Unterstützung. Viel mehr können sie Betroffenen das Gefühl vermitteln, sie selbst würden ‚überreagieren‘ und erschweren die Erkenntnis, dass sie selbst nicht dafür verantwortlich sind – denn eigentlich sei doch nix gewesen und wenn doch, sei es ja sowieso ihre eigene Schuld. 

Sie hindern Betroffene daran, das Erlebte für sich selbst und gegenüber anderen als sexualisierte Gewalt zu benennen und gegebenenfalls gegen die Täter vorzugehen. Das belegen die Aussagen einiger Betroffener:

„Mir ist es unangenehm, über diese ganze Sache zu sprechen. Aber das sollte es nicht sein. Ich schäme mich ein bisschen, und habe Angst, dass mir nicht geglaubt wird.“ – Clara

„Ich hätte auch Vertrauenspersonen in den Clubs, mit denen ich darüber sprechen könnte. Aber ich habe Angst vor dem, was im Nachgang passiert – dass der Shitstorm wieder losgeht, wenn ich outcalle. […] Ich glaube, diese Täter-Opfer-Umkehr war für mich damals fast noch schlimmer als der Fall an sich.“ – Mia 

„Ich habe überlegt, gegen ihn vorzugehen. Aber ich hab schon so oft gehört, wie die Leute, die das getan haben, danach Probleme hatten. Wenn man die Täter mit Namen benennt, hat man in unserem patriarchalen System einfach die Arschkarte gezogen.“ – Sophia

Wenn sich Freund*innen oder Bekannte – egal ob bewusst oder unbewusst – auf die Seite des Täters stellen, wird der Übergriff durch seine Abwertung und das folgende kollektive Schweigen der Mitwissenden unsichtbar. Mit fataler Wirkung: Während das Verhalten des Gewaltausübenden durch den aktiven oder passiven Täterschutz normalisiert wird, er keine Konsequenzen erlebt und weitermachen kann, wie bisher, fühlen sich die Betroffen oft machtlos, alleingelassen und leiden teilweise noch Jahre danach darunter. 



Aus welchen Gründen über Sexismus und sexualisierte Gewalt in den eigenen Reihen lieber geschwiegen wird, wie patriarchale Mechanismen und Strukturen funktionieren, wie sie in der Clubkultur aufrecht erhalten werden, wer davon profitiert und warum sie es Betroffenen so schwermachen, sich Unterstützung zu suchen, erläutert der frohfroh-Artikel Welche Strukturen der Clubkultur Täter schützen und sexualisierte Gewalt verharmlosen, welcher die Verortung der Erfahrungen dieser Recherche um eine strukturelle Einordnung ergänzt.

Was du kannst du tun, wenn du selbst betroffen bist?

Es gibt einige Wege, Unterstützung zu erhalten und gegen gewaltausübende Personen im Clubkontext vorzugehen – auch, wenn diese als DJs oder Veranstalter unterwegs sind.

Wenn du beispielsweise Clubs meidest, in denen die gewaltausübende Person häufig unterwegs ist, dich beim Feiern unwohl fühlst, weil du Angst hast, der Person zu begegnen oder wenn du befürchtest, die Person könnte auch gegenüber anderen Leuten gewalttätig werden, kannst du entsprechende Clubs auffordern, der Person ein Hausverbot zu erteilen – was im Fall eines DJs auch ein Gigverbot einschließt.

Hier findest du einen eigenen Artikel, der unter anderem erklärt, wie die Prozesse um Unterstützung für Betroffene und Konsequenzen für Gewaltausübende im Conne Island, im Elipamanoke und im Institut fuer Zukunft ablaufen.

Diese Möglichkeiten kannst du übrigens nicht nur nutzen, wenn du sexualisierte Gewalt erlebt hast, sondern bei jeder Art von Diskriminierung, Grenzüberschreitungen und/oder Gewalt. 

Auch wenn es dir unangenehm ist, auch wenn du dich schlecht fühlst, auch wenn du erst mal nur drüber reden willst oder auch gar keinen Bock hast, drüber zu reden. Sprich uns an.“ – Support-AG des Institut fuer Zukunft, Website

Wie reagieren, wenn dir eine betroffene Person ihre Erfahrung anvertraut?

Die Feminismus-Aktivistin Julia hat von sexualisierter Gewalt Betroffene gefragt, welches Verhalten sie sich von ihrem Umfeld gewünscht hätten. Auf ihrem Instagram-Account @trinksaufmich teilt sie die Antworten in Form von Tipps für den Umgang mit Menschen, die ihre Geschichte erzählen. Hier eine Auswahl ihrer Hinweise, frei nach ihrem Post:

Im Gespräch: Wenn dir eine Person ihre Erfahrung anvertraut, stell keine Fragen, wie: ‚Bist du dir sicher?‘; ‚Wie konntest du das zulassen?‘ oder ‚Hast du auch wirklich ‚Nein‘ gesagt?‘. Mach der Person keine Vorwürfe. Nimm die Situation ernst, höre einfach zu und sag erstmal nichts. 

Bemitleide die betroffene Person nicht. Zeig stattdessen Verständnis, indem du etwas sagst, wie ‚Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie du dich fühlst‘, statt ‚Ich versteh das‘. Gib es zu, wenn du überfordert bist und nicht weißt, was du sagen sollst. Stell keine Vergleiche zu anderen Betroffenen auf und gib keine Bewertung ab, wie ‚Das passiert vielen‘.

Nach dem Gespräch: Reduziere die betroffene Person nicht auf ihre Erfahrung. Brich den Kontakt zur gewaltausübenden Person ab. Frag die betroffene Person öfter, wie es ihr geht – auch noch Jahre später.

„Das Wichtigste: Ich glaube dir. Ich supporte dich. Ich bin da für dich.“ – Julia, Aktivistin 

Was Clubs und Kollektive tun können

Clubs, Kollektive und andere Veranstalter*innen tragen immer eine gewisse Verantwortung für das Wohlbefinden ihrer Gäst*innen, Crewmitglieder und Helfer*innen. Essenziell dafür sind die Club- oder Kollektiv-eigenen Awareness-Teams, die auf vielen Veranstaltungen präsent sind und aktiv werden, wenn jemandes Grenzen überschritten wurden und die Person um Unterstützung bittet. 

Doch auch außerhalb des Feierkontextes wird in unserer Szene sexualisierte Gewalt ausgeübt. Um dagegen vorzugehen ist es zunächst notwendig, dass ihr euch als Kollektiv und als Einzelpersonen über strukturellen und individuellen Sexismus und sexualisierte Gewalt informiert bzw. weiterbildet – denn nur, wenn wir verstehen, wie patriarchale Strukturen funktionieren und wie sie sich speziell in der Clubkultur manifestieren, haben wir eine Chance, sie zu überwinden. Dabei helfen kann euch zum Beispiel der bereits erwähnte frohfroh-Artikel Welche Strukturen der Clubkultur Täter schützen und sexualisierte Gewalt verharmlosen.

Für die Unterstützung von Betroffenen ist es wichtig, nicht nur auf den einzelnen Veranstaltungen ansprechbar zu sein. Vor allem, wenn es euer Kollektiv direkt betrifft: Was wäre, wenn eines eurer Kollektivmitglieder oder ein DJ, mit dem ihr zusammenarbeitet, sexualisierte Gewalt ausübt oder anderweitig Grenzen überschreitet? 

Nehmt euch Zeit, um beim Plenum über diese Frage zu sprechen – auch, wenn sie erst einmal rein hypothetisch ist. Aber falls es doch passiert, seid ihr immerhin vorbereitet. Überlegt euch, für welche Grundwerte eurer Kollektiv steht, welche Verhaltensweisen diese Werte verletzen und wie ihr vorgehen wollt, falls ein Kollektivmitglied entgegen dieser Werte handelt. Besprecht, welche konkreten Schritte folgen könnten, wenn ihr von einem Übergriff oder Gewalt durch eines eurer Mitglieder erfahrt. 

In Bezug auf Kollektiv-externe DJs, denen ihr zum Beispiel mit Bookings oder in eurer Podcast-Reihe eine Plattform gebt, könnt ihr euch dieselben Fragen stellen. Inwiefern wollt ihr jemanden tolerieren und supporten, wenn diese Person die Grenzen anderer verletzt? 

Denkt darüber nach, wie ihr es Betroffenen leicht machen könnt, sich an euch zu wenden, und wie ihr deren Anonymität wahren könnt, falls das gewünscht ist. Legt eine kleine Gruppe von Crewmitgliedern fest, die in einem solchen Fall zuständig wäre. Diese Gruppe kann zunächst mit der betroffenen Person und der gewaltausübenden Person sprechen, dann die ganze Crew über den Vorfall informieren und schließlich den kollektiven Aufarbeitungsprozess anleiten. 

Eine eigene AG kann hilfreich sein, um sich mit bestehenden Konzepten auseinanderzusetzen – zum Beispiel dem der ‚Transformativen Gerechtigkeit‘ – und konkrete Handlungsschritte für entsprechende Fälle zu erstellen.

Falls ihr tatsächlich in eine solche Situation kommt: Nehmt die betroffene Person ernst, verharmlost ihre Erfahrung nicht und gebt nicht ihr die Schuld am Erlebten. Fragt sie, was sie sich von euch wünscht und sprecht alle Schritte mit ihr ab. Vor allem: Zweifelt nicht an der Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen –auch, wenn es euch vielleicht auf den ersten Blick unwahrscheinlich erscheint, weil die gewaltausübende Person jemand ist, den ihr kennt. 

Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass die benannte Person Täter ist, ist sehr viel höher, als dass die betroffene Person nicht die Wahrheit bezüglich des gewaltvollen Verhaltens erzählt. So kommt eine Studie im Auftrag der europäischen Kommission aus dem Jahr 2009, die Strafverfolgung von Vergewaltigung in Deutschland untersuchte, zu folgendem Schluss:

„Entgegen der weit verbreiteten Stereotype, wonach die Quote der Falschanschuldigungen bei Vergewaltigung beträchtlich ist, liegt der Anteil bei nur 3%.“ – Studie der EU-Kommission

Wenn euch ein entsprechendes Gerücht über ein Kollektivmitglied – oder einen DJ, mit dem euer Kollektiv zusammenarbeitet – zu Ohren kommt: Ignoriert es nicht. Versucht stattdessen herauszufinden, wieso es entstanden sein könnte. Gerüchte müssen zwar keinen wahren Kern haben, aber wenn es euer Kollektiv betrifft, habt ihr die Verantwortung, aufzuklären, was wirklich passiert ist.

Kollektive Verantwortung: Was wir alle tun können

Wenn Menschen die Grenzen anderer verletzen, geschieht das nicht immer bewusst oder mit Absicht. Um Grenzüberschreitungen zu vermeiden, ist die Reflektion eigener Privilegien und des eigenen Handelns unfassbar wichtig. 

Zum Beispiel müssen wir Räume schaffen, in denen Cis-Männer ihre Privilegien, ihre Sozialisierung und ihre Vorstellungen von (toxischer) Männlichkeit untereinander kritisch reflektieren und aufarbeiten können. Doch natürlich reicht es nicht, wenn nur Cis-Männer ihr Verhalten reflektieren: Wir alle müssen darüber nachdenken, was unser Handeln bei anderen auslösen kann. 

Wir müssen es akzeptieren, wenn Menschen ihre Grenzen aufzeigen – auch, wenn dies nonverbal geschieht. Wir müssen klar und deutlich fragen, was für unser Gegenüber okay ist – insbesondere, wenn es um körperliche Nähe oder sexuelle Interaktion geht, und vor allem, wenn die andere Person unter Einfluss von Drogen steht. Wenn wir die Grenzen einer anderen Person verletzt haben, müssen wir dafür die Verantwortung tragen.

Sexismus und sexualisierte Gewalt sind tief in unserer patriarchalen Gesellschaft verwurzelt. So sehr wir uns unsere Clubkultur als Gegenentwurf dieser Gesellschaft, als emanzipatorischen Zufluchtsort wünschen – wir müssen uns bewusst sein, dass sich soziale Machtverhältnisse nicht einfach in Luft auflösen werden. Wenn patriarchale Strukturen bestehen bleiben, wird es auch in unserer Szene weiterhin sexualisierte Gewalt geben. 

Deshalb liegt es an uns: Wir müssen aufhören, Betroffenen von sexualisierter Gewalt ihre Erfahrungen abzusprechen oder ihnen die Schuld am Erlebten zu geben. Wir müssen aufhören, eigene Interessen über die Bedürfnisse von Betroffenen zu stellen und ihnen damit zu schaden. 

Wir müssen ein Klima in unserer Clubkultur schaffen, in dem Betroffene sich sicher sein können, Solidarität und Unterstützung zu erhalten. Ein Klima, in dem sich Betroffene empowert statt machtlos fühlen – egal, ob die gewaltausübende Person Gast oder DJ ist. Ein Klima, in dem Täter wissen, dass ihr Handeln Konsequenzen für sie hat. 

Wir müssen Sexismus sichtbar machen und das Schweigen über sexualisierte Gewalt in unserer Szene brechen. Unser Feminismus darf nicht da aufhören, wo der Täter kein Fremder, sondern ein Freund ist. 


Illustrationen von Jasmin Biber.

Täter an den Decks – Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt durch Leipziger DJs

Sie legen in Clubs und Off-Locations auf, veranstalten Open Airs, partizipieren in Kollektiven und sind fester Teil der Leipziger Clubkultur. Sie labeln sich als tolerant und feministisch, während sie die Grenzen anderer verletzen, sexuell übergriffig sind und sexualisierte Gewalt ausüben. Wir haben ein Problem in den vermeintlichen Safer Spaces unserer linken Rave-Bubble. Und das betrifft uns alle.

Triggerwarnung: In diesem Teil des Features werden Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und anderen extremen Grenzüberschreitungen explizit geschildert. Wenn du dich mental nicht in der Lage fühlst, dich mit solchen Inhalten zu konfrontieren oder während des Lesens merkst, dass die Erfahrungsberichte dich triggern oder stark negative Gefühle auslösen, überspringe gern Teil I – in Teil II werden die Erfahrungen eingeordnet, ohne sie detailliert zu thematisieren, und Handlungsmöglichkeiten innerhalb unserer Szene aufgezeigt.

Das Feature als Podcast

„Die Täter werden geschützt. Entweder verschließen die Kollektive die Augen davor oder nehmen es in Kauf.“ – Clara

Ursprünglich sollte dieses umfangreiche Feature ein knapper, angepisster Rant über diejenigen DJs in unserer Szene werden, die ihre toxische Männlichkeit zelebrieren, mackern und mansplainen, sexistische Kommentare oder ‚Witze‘ raushauen und anderen Menschen durch grenzüberschreitendes Verhalten ein unangenehmes Gefühl geben. 

Mit Blick auf unsere clubkulturellen Räume, die sich mehrheitlich als emanzipatorische und antisexistische Safer Spaces begreifen, hatte ich zu Beginn meiner Recherche die Erwartung, ausschließlich Schilderungen solcher Mikroaggressionen zu hören. Retrospektiv ziemlich naiv – als ich Betroffene über einen öffentlichen Instagram-Aufruf bat, ihre Erfahrungen mit sexistischen und übergriffigen DJs mit mir zu teilen, zeigte sich schnell, dass ich das Ausmaß der Gewalt gegen FLINT*1 in unserer Clubkultur vollkommen unterschätzt hatte. 

Deshalb fokussiert sich dieses Feature – anhand des Beispiels der Leipziger Szene – auf sexuelle Belästigung, sexuelle Übergriffe, sexualisierte Gewalt sowie weitere drastische Grenzüberschreitungen durch cis-männliche2 DJs und Veranstalter.

Weil ich den Erfahrungen jeder Person, die mir derartige Erlebnisse anvertraut hat, Raum geben möchte, enthält der erste Teil zwölf Erfahrungsberichte – mal kompakt, mal sehr ausführlich. Im zweiten Teil verorte ich, was das alles für unsere Szene bedeutet und weise auf Möglichkeiten für Betroffene, Clubs und Kollektive sowie für alle anderen Leser*innen hin, die meiner Meinung nach dabei helfen können, mit solchen Vorfällen umzugehen und diesen enormen Missstand zu bekämpfen.

1 FLINT* bedeutet: Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-Binäre- und Trans-Personen – also alle, die durch patriarchale Strukturen benachteiligt werden. Mehr dazu hier.

2 Cis-männlich bedeutet: Männer, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Mehr dazu hier.

Die Spitze des Eisbergs: Was bereits öffentlich wurde

Im Dezember 2019 wurde eine Frau bei einem Konzert im Conne Island vergewaltigt. Der Täter: Ein Mitglied des auftretenden Performance-Kollektivs HGich.T. Während die HGich.T-Crew nur einen Tag später wieder auf einer Bühne stand, übernahm das Kollektiv des Conne Island in einer Stellungnahme Verantwortung, solidarisierte sich mit der Betroffenen und zog Konsequenzen.

Im Februar 2020 offenbarten anonymisierte Aushänge auf der Eisenbahnstraße, dass ein damaliger Mitarbeiter des Goldhorn Personen gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gebracht hatte. Auch das Goldhorn bezog in einem Statement Stellung und sanktionierte den Täter. 

Ebenfalls Anfang 2020 zeigten Recherchen von Strg_F, dass Besucher*innen der Festivals Monis Rache und Fusion ohne ihr Wissen auf der Toilette und in Duschen gefilmt und die Videos auf Porno-Seiten hochgeladen wurden. Der Täter im Fall der Aufnahmen auf Monis Rache, damals selbst Mitarbeiter des Festivals, lebte bis zur Publikation der Recherche in einem linken Leipziger Hausprojekt und war von einzelnen Mitbewohner*innen gedeckt worden

Auch der sexuelle Übergriff durch den in linken Strukturen vernetzten Betreiber von Pivo und Rimini im Jahr 2018 wurde verschwiegen. Mitwissende unterstützten weiterhin seine Läden – und damit auch ihn – und beteiligten ihn aktiv an clubkulturellen Kontexten. Im Frühjahr 2020 wurde der Übergriff durch Unterstützer*innen der Betroffenen öffentlich thematisiert. Daraufhin wurde ein Statement anonymer Autor*innen veröffentlicht, das den Täterschutz durch Mitwissende innerhalb linker Kontexte in diesem Zusammenhang konkretisiert.

Im November 2020 erschien ein Erfahrungsbericht über die Leipziger Graffiti-Crew Radicals. Die anonyme Autorin schildert unter anderem, wie sie selbst und andere Personen sexualisierte Gewalt durch Crew-Mitglieder erlebt haben und wie das Geschehene von anderen Radicals-Mitgliedern verharmlost oder ignoriert wurde.

Diese Fälle von sexualisierter Gewalt in linken und subkulturellen Räumen in Leipzig sind nur die Spitze des Eisbergs. Für alle, die sich in raveaffinen Kreisen bewegen, sich mit elektronischer Musik beschäftigen und/oder mehr oder weniger regelmäßig im Conne Island, in der Distillery, im Elipamanoke, im Institut fuer Zukunft, im Mjut oder auf Open Airs zu elektronischer Musik feiern gehen, gilt: Unmittelbar in unserem Umfeld, quasi direkt vor unseren Augen, erleben FLINT* in Clubs, auf Afterhours und selbst im Freund*innenkreis Gewalt durch Cis-Männer, die als DJs von eben diesen Clubs gebucht werden oder selbst Open Airs oder Club-Veranstaltungen in Leipzig organisieren. 

Die nachfolgenden Erfahrungsberichte basieren auf Gesprächen mit den jeweiligen Betroffenen und geben die beschriebenen Erlebnisse gemäß ihrer Aussagen wieder. Sie enthalten keine fiktiven Elemente. Manche der Erfahrungen liegen wenige Jahre zurück, andere ereigneten sich vor einigen Monaten. 

Um die Identität der Betroffenen zu schützen, wurden sowohl ihre Namen als auch die Namen der Gewaltausübenden geändert. Aus demselben Grund werden die Namen der Kollektive und Clubs, die in den jeweiligen Erfahrungen eine Rolle spielen, nicht genannt. 

Illustration von Jasmin Biber

„Woher nimmt er sich das Recht, so etwas zu tun?“

Als auf Evas Handydisplay das Profil von Moritz erscheint, swipt sie nach rechts – ‚It’s a match!‘. Bei ihrem Treffen dreht sich das Gespräch hauptsächlich um ihn: „Leider kannte er kein anderes Thema als sein geiles DJ-Leben.“ Moritz spielt gelegentlich in Clubs oder auf Festivals und veranstaltet mit seinem Kollektiv regelmäßig Partys in kleineren Locations. Auch wenn er es offenbar darauf anlegt, lässt Eva sich von seinen ausschweifenden Erzählungen nicht beeindrucken – zwischen den beiden passt es einfach überhaupt nicht.

„Direkt nach dem Treffen bekam ich über mehrere Tage massenhaft Nachrichten. Ich wollte nicht mies sein und antwortete ab und an, jedoch nicht immer direkt.“ Offenbar ist Moritz der Meinung, dass Eva ihm mehr Aufmerksamkeit schenken müsse und schreibt penetrant, warum sie sich nicht direkt zurückmelde. Und dann: ‚Wenn wir uns das nächste Mal sehen, kassierst du dafür eine Schelle!‘. Eva ist schockiert, nimmt die Nachricht aber nicht ernst: „Ich dachte, das wäre ein Witz.“

Einige Zeit später laufen sich die beiden auf einem Open Air zufällig über den Weg. Moritz begrüßt Eva mit einem freundlichen Lächeln. Weil es ihr gerade körperlich schlecht geht, will sie ihre Freund*innen suchen. Bevor sie weggehen kann, sagt Moritz: ‚Ich hab noch was zu erledigen‘ und schlägt ihr ins Gesicht. 

Eva erstarrt. Der Schlag tut zwar kaum weh, doch sie ist so perplex von diesem Versuch der Erniedrigung und vermeintlichen Machtdemonstration, dass sie nicht weiß, wie sie reagieren soll. Ein Kumpel von Moritz hat das Geschehen mit einem Bier auf einer Picknickdecke sitzend mitverfolgt – er sagt nichts. 

Wortlos dreht Eva sich um und geht. „Ich habe mich wie im falschen Film gefühlt und diese Situation erstmal für ein paar Sekunden sacken lassen. Innerlich habe ich mich gefragt, ob das jetzt wirklich passiert ist und woher er sich das Recht nimmt, so etwas zu tun.“ 

„Nach vorne immer das tolerante Kollektiv vertreten, und dann sowas.“ – Eva 

In Moritz und Evas Freund*innenkreis gibt es Überschneidungen. So bekommt sie mit, dass Moritz etlichen Leuten erzählt, sie sei eine ‚Schlampe‘ und würde die ‚Lüge‘ verbreiten, dass er ein ‚Frauenschläger‘ sei. Ein Freund von Eva schreibt einem Bekannten, der auch in Moritz‘ Kollektiv aktiv ist, was passiert ist und fragt, wieso sie eine Person mit solchem Verhalten in ihrer Crew tolerieren. 

Moritz‘ Crewbuddy antwortet erst, das sei wohl eine Verwechslung, da sei er sich sicher. Er fragt nach weiteren Details und schreibt dann: ‚Mit den wenigen Infos ‚Moritz + Frauen schlagen‘ wäre ich ganz (!) vorsichtig.‘ Er würde die Angelegenheit gerne zeitnah klären – ‚Gerüchte‘ in Richtung seines Kollektivs könne er nicht stehenlassen. ‚Sollte (Konjunktiv!) da etwas dran sein, bekommt Moritz einen deftigen Einlauf von mir, da kannste dir sicher sein.‘

In derselben Nacht wird Eva mehrfach von Moritz angerufen. Eva geht nicht ran. Er schreibt ihr mehrere aggressive Nachrichten, wie ‚Was erzählst du für einen Scheiß?‘. Danach schreibt Evas Freund Moritz‘ Crewkollegen noch einmal. Dieser antwortet: ‚War nicht das Schlauste von ihm, der Hype darum aber auch nicht. Bin froh, dass es jetzt geklärt ist. Bitte haltet in Zukunft unser Kollektiv da raus, das würde mir sonst Fleisch aus meinem Herzen schneiden.‘ Wütend schreibt Evas Freund, dass der ‚Hype‘ seiner Meinung nach viel zu gering ausfiel. Daraufhin kommt keine Antwort mehr.

„Ich konnte noch nicht einschätzen, dass das richtig falsch und scheiße war“

Sophia und Niklas begegnen sich auf der Tanzfläche. Im Club kreuzen sich ihre Wege immer wieder, zunächst ein paar Blicke, dann ein erstes Gespräch. Niklas ist DJ und Veranstalter in einem aufstrebenden Leipziger Kollektiv. Die Vibes zwischen den beiden stimmen – sie vereinbaren ein Treffen. Er scheint ein angenehmer Typ zu sein, denkt Sophia. Bei ihrem Date haben sie schließlich Sex. 

Unmittelbar danach liegen die beiden nebeneinander im Bett. Niklas dreht sich zu Sophia, grinst sie an und sagt: ‚Schätz mal, wie alt ich bin.‘ Ein mulmiges Gefühl breitet sich in ihr aus. ‚Was soll das? Warum soll ich schätzen? Du hast mir doch gesagt, wie alt du bist!‘ 

Gut gelaunt und offenbar ohne jedes Schuldgefühl teilt Niklas ihr mit, dass er in Wahrheit einige Jahre älter sei, als er ihr gegenüber behauptet hatte. Er sei sich sicher gewesen, dass sie nicht mit ihm schlafen würde, wenn er ihr sein richtiges Alter genannt hätte. Deshalb habe er sie bewusst angelogen. „Der Sex war zwar konsensual – aber unter Vorbehalt. Ich hätte tatsächlich nicht mit ihm geschlafen, weil ich noch sehr jung war und mir dieser Altersunterschied zu groß gewesen wäre.“

„Ich habe überlegt, gegen ihn vorzugehen. Aber ich hab schon so oft gehört, wie die Leute, die das getan haben, danach Probleme hatten. Wenn man die Täter mit Namen benennt, hat man in unserem patriarchalen System einfach die Arschkarte gezogen.“ – Sophia

Wenige Augenblicke nachdem sie von Niklas Täuschung erfahren hat, realisiert Sophia, dass sie ohne Kondom Sex hatten. „Er ist einfach in mir gekommen. Das fand ich sehr übergriffig.“ Sie hatte nicht darauf geachtet – es schien für sie selbstverständlich, ein Kondom zu verwenden, wenn man zum ersten Mal mit einer Person schläft. Niklas hingegen hat das Risiko von sexuell übertragbaren Krankheiten oder einer Schwangerschaft schlicht ignoriert. 

Als sie ihn darauf anspricht, erwidert er gleichgültig: ‚Easy, ich dachte, du nimmst die Pille.‘ Vorher gefragt hatte er natürlich nicht. „Ich konnte zu dem Zeitpunkt noch nicht einschätzen, dass das richtig falsch und scheiße war. In dem Moment habe ich nicht so reagiert, wie ich gern reagiert hätte.“

Sophia ist nicht die Einzige, die sexualisierte Gewalt durch Niklas erlebt hat. „Er bringt die ganze Zeit Sprüche nach dem Motto, wann wir denn endlich miteinander schlafen“, erzählt Maja. Sie hatte nie ein sexuelles Interesse an ihm geäußert. Auch gegenüber Freundinnen von ihr war Niklas „verbal ziemlich aufdringlich“, sagt sie. „Einmal hat er mir beim Tanzen sogar einfach an den Arsch gegriffen, geht also absolut gar nicht klar.“ 

Hannah berichtet, dass Niklas ihren Körper ungefragt und abfällig bewertete, indem er einmal beim Feiern sagte, ihm ‚gefällt nicht‘, dass sie Gewicht verloren habe und sie früher ‚besser aussah‘. Als Niklas erfuhr, dass Hannah etwas mit einer gemeinsamen Bekannten gehabt hatte, sagte er zu dieser, dass er Hannah ‚zuerst ins Bett bekommt‘ und ihnen Geld geben würde, damit sie ‚vor ihm miteinander rummachen‘. 

„Er war ein guter Freund – natürlich hab ich ihm vertraut“

Mias Geschichte liegt wenige Jahre zurück. Damals ist sie in einer schwierigen Lebenssituation – nach einem Schwangerschaftsabbruch kämpft sie mit psychischen und körperlichen Folgen. Einige Wochen nach dem Abbruch geht sie zum ersten Mal wieder feiern. Nach ein paar Stunden auf der WG-Party spürt sie, dass sie die Menge an Menschen um sich herum zunehmend belastet, und beschließt, nachhause zu gehen. 

Als sie sich von ihrem guten Freund Noah verabschiedet, wirkt er besorgt. „Er wusste um meine psychische Labilität. Als ich einmal komplett zusammengebrochen bin, hat er mich zuhause besucht.“ Noah fragt: ‚Schaffst du es allein nachhause?‘ Sie erwidert: ‚Ja, klar. Kein Problem‘. Doch er besteht darauf, sie zu begleiten, und Mia stimmt zu. 

Als die beiden wenige Augenblicke später die Treppen herunterlaufen, bekommt Mia ein ungutes Gefühl. Sie sagt: ‚Noah, hier wird nichts laufen. Du weißt genau um meine Situation.‘ ‚Kein Ding‘, wiegelt er ab. ‚Ich bring dich nur schnell heim. Alles easy.‘

Schließlich stehen beiden vor ihrer Haustür. ‚Lass uns doch noch eine Tüte bei dir rauchen‘, schlägt Noah vor. Eigentlich will Mia nur ins Bett – aber ein kleiner Joint vor dem Einschlafen wäre sicher okay. „Einen Fremden hätte ich natürlich nicht in meine Wohnung gelassen. Aber er war ein guter Freund, der sich fürsorglich gezeigt hat – natürlich hab ich ihm vertraut.“

In ihrer Wohnung angekommen, packt Noah ein Baggy aus. ‚Komm, lass Keta ziehen!‘ Mia weiß nicht so recht, was sie tun soll. „Ich war krass verunsichert zu der Zeit. In einer anderen Situation hätte ich bestimmt einfach gesagt, dass ich keinen Bock darauf habe.“ Sie äußert ihre Bedenken, aber Noah geht nicht darauf ein und legt zwei ziemlich dicke Lines. ‚Nee, das schaff ich nicht‘, sagt Mia. Noah hält ihr ein Röhrchen hin. ‚Ach komm, hab dich nicht so!‘ Sie zieht. 

„Also hab ich mehr genommen, als ich eigentlich vertrage, und bin relativ schnell weggetreten. Dann hat er angefangen, sich an mir zu vergreifen. Ich hab zu der Zeit noch geblutet wegen des Abbruchs. Ich kann es nicht mehr richtig rekonstruieren, aber ich hab noch die Bilder im meinem Kopf: Er ist in mir gekommen, ohne zu verhüten. Als er das Blut gesehen hat, ist er aufgestanden, aufs Klo gegangen, hat gekotzt, ist gegangen und hat mich so da liegen lassen.“

„Sie haben gesagt, ich sei selbst schuld“

Mia und Noah haben den gleichen Freund*innenkreis. Als Mia gemeinsamen Freund*innen von der Vergewaltigung erzählt, glaubt ihr niemand. „Das war die klassische Täter-Opfer-Umkehr. Sie haben gesagt, ich sei selbst schuld. Es sei doch klar, was passiert, wenn ich ihn mit nachhause nehme.“ Diese Reaktionen von ihren eigenen Freund*innen verletzt sie schwer. 

„Wenn man sich in linken Clubs frei bewegen darf, muss man ein paar Regeln einhalten. Und dazu gehört eben auch, jedem seine Entscheidungsfreiheit zu lassen, was er mit seinem Körper macht und mit wie vielen Menschen man schläft.“ – Mia 

Weil Noah bei der Vergewaltigung nicht verhütet hatte, sah Mia sich dazu gezwungen, die Pille danach zu nehmen. „Die Hormonkeule durch den Abbruch war ja schon schlimm genug, und dann noch mehr Hormone.“ Sie hatte auch ihren Freund*innen davon erzählt. „Dann hat sich diese Clique über meinen Abbruch das Maul zerfetzt. Sie haben behauptet, dass ich die Abtreibungspille und die Pille danach als Verhütungsmittel nehmen würde. Und dass ich mit so vielen Typen schlafen würde, dass ich nicht mehr wüsste, wer der Vater ist.“ 

Sie verbreiten diese Lügen so weit, dass Mia sogar von einem Freund, der in einer hunderte Kilometer entfernten Stadt lebt, darauf angesprochen wird. „Die haben so hart intrigiert, dass ich mich ein halbes Jahr in keinen Club mehr getraut habe. Ich hatte wirklich Angst davor, dass Leute auf Afterhours mit verbaler Gewalt über meine Entscheidungen sprechen, die ich für meinen Körper getroffen habe. Meine Perspektive, meine Verletzlichkeit wurde einfach null gesehen.

Das ist ein fucking politisches Thema – wenn man sich in linken Clubs frei bewegen darf, muss man ein paar Regeln einhalten. Und dazu gehört eben auch, jedem seine Entscheidungsfreiheit zu lassen, was er mit seinem Körper macht und mit wie vielen Menschen man schläft.“

„Täter sind auch die, die Täter schützen“

„Erst lange danach ist mir das erste Mal eine Frau begegnet, die gesagt hat, dass das eine Vergewaltigung war. Wenn dir immer jemand einredet, dass du selbst schuld bist, dann glaubst du das auch irgendwann. Ich hab auch die Schuld auf mich abgewälzt und gedacht, dass ich ihn eben nicht hätte mitnehmen dürfen und es mein eigenes Pech ist. 

Es steht für mich immer noch im Raum, und ich bin auch noch im Prozess der Aufarbeitung. Ich hab bis heute Angst, wenn ich denen begegne. Ich hab schon öfter den Club verlassen, wenn ich gesehen habe, dass er da ist. Ich traue mich nicht allein in den Backstage und muss immer eine Person dabeihaben. Ich bin schon sehr davon eingeschränkt.

Ich habe es nicht geoutcallt, weil die Gruppe eine krasse Reichweite hatte und es geschafft hat, dass sich der komplette Freundeskreis von mir abgewandt hat. Sogar meine beste Freundin hat sich mit denen gegen mich verschworen. Ich hätte auch Vertrauenspersonen in den Clubs, mit denen ich darüber sprechen könnte. Aber ich habe Angst vor dem, was im Nachgang passiert – dass der Shitstorm wieder losgeht, wenn ich outcalle.

Ich finde, bei der ganzen Sache sollte im Vordergrund stehen, dass der Täter nicht nur allein der ist, der etwas tut, sondern auch die, die ihn schützen. Das sind Mittäter. Es ist so oft der Fall, dass den Frauen nicht geglaubt wird. Ich glaube, diese Täter-Opfer-Umkehr war für mich damals fast noch schlimmer als der Fall an sich.

Als ich Mia einige Zeit nach unserem Gespräch bitte, ihren Erfahrungsbericht für die Veröffentlichung zu autorisieren, erzählt sie: „Der Täter hat mich inzwischen wegen Rufmord angeklagt – wahrscheinlich, weil er Angst um seine zukünftige Karriere hatte. Ich musste eine Unterlassungserklärung unterschreiben, wo ich versprechen musste, nie wieder darüber zu reden. Ich habe noch ein Kontakt- und Annährungsverbot erteilt, das mich aber trotzdem nicht davor schützt, dass ich ihm nochmal begegne. Diese ganze Anwaltsprozedur hat mich sehr viel Geld gekostet. Der Shitstorm ging natürlich auch weiter – mir wurde unterstellt, ich hätte Wahnvorstellungen. Mir gings die ganze Zeit über echt scheiße. Dadurch, dass das alles wieder hochkam, habe ich leider eine krasse Retraumatisierung erlebt.“

„Victim-Blaming macht man auch bei sich selbst“

Als Franzi einem Bekannten schreibt, ob er noch einen Gästelistenplatz für eine von ihm mitorganisierten Clubveranstaltung frei habe, antwortet er: ‚Ja, du kannst einen haben. Aber was krieg ich dann dafür?‘ Irritiert fragt Franzi, was er damit meine. Er schreibt: ‚Du kannst mir zum Beispiel einen blasen.‘ 

„Was mich bei dieser Situation so schockiert, ist die Forderung dieser ‚Gefälligkeit‘, des Tauschs einer Gästeliste gegen eine sexuelle Handlung.“ – Franzi

„Das war vor vier, fünf Jahren. Ich hab das damals gar nicht richtig ernstgenommen und dachte: Naja, so ist er eben. Ich hab dann sowas wie ‚Ja lol‘ geschrieben, hatte aber die ganze Zeit ein ungutes Gefühl. Victim-Blaming macht man ja auch bei sich selbst, so im Sinne von: ‚Ich bin ja auch früher auf sein Flirten eingegangen‘ oder ‚Ich hab ihm nicht gesagt, dass das nicht cool ist‘. Weil ich das damals noch nicht benennen konnte, konnte ich es weder kritisieren und outcallen noch emotional verarbeiten. 

Ich hab erst viel später für mich festgestellt, dass da voll meine Grenze überschritten wurde und das absolut übergriffig war. Nachdem ich mich mehr mit Feminismus beschäftigt hatte, habe ich erkannt, dass das ein strukturelles Problem ist.“

„Ich hatte Angst, dass sie mich statt ihm rauswerfen würden“

Alice begegnet Josh im Club. Nebeneinander auf einem Sofa sitzend kommen sie ins Gespräch. Erschöpft erzählt Alice, dass sie gerade ziemlich dicht sei, und deshalb erstmal sitzen und chillen müsse. Josh erwidert, er habe Speed genommen und sei ziemlich klar. 

Plötzlich beginnt er, ihr Bein zu streicheln. Alice sagt ihm sofort, er solle aufhören. Er macht weiter. Sie steht auf und will zu den Toiletten gehen. Er greift an ihren Po und hält sie daran fest. Sie reißt sich los und geht. „Weil ich so druff war, bin ich nicht zu den Secus gegangen. Ich hatte Angst, dass sie deshalb mich statt ihm rauswerfen würden.“

Zwei Monate danach laufen sich die beiden zufällig in einem anderen Club über den Weg, unmittelbar bevor Josh mit seinem Gig beginnt. Wieder wird er übergriffig und versucht, sie zu berühren. Sie weicht aus und geht ihm den Rest des Abends aus dem Weg.

„Er hat seine Position als DJ extrem ausgenutzt“

Im Club kommt Johanna mit einem Mann ins Gespräch. „Er hat seine Position als DJ extrem ausgenutzt. Damals, mit Anfang zwanzig, fand ihn natürlich schon ‚cool‘.“ Er fragt sie, ob sie etwas von seinen Drogen haben wolle. Sie lehnt ab und sagt, dass sie grundsätzlich nicht konsumiere. Er schiebt ihr Drogen in den Mund. „Ich mag gar nicht weiter ins Detail gehen, aber es war super schlimm. Als ich ihn vor einem Jahr im Club gesehen hab, ist mir ist so übel geworden.“

„Es ist bekannt, dass er gegenüber vielen Frauen, gerade sehr jungen Frauen, extrem manipulativ war.“ Trotzdem sei er ihres Wissens nur von einem Club mit einem Hausverbot sanktioniert worden, während er in anderen Clubs noch immer unterwegs sei.

„Er weiß genau, wie er jemanden manipulieren kann“

Nach einem langen Rave nimmt Kathi erschöpft und dankbar das Angebot eines Bekannten an, sie mit dem Auto mitzunehmen und bei ihr zuhause abzusetzen. Die beiden kennen sich vom Feiern und waren ein paarmal zusammen mit anderen auf einer Afterhour. 

Kathi beschreibt ihn als „DJ, der sich tolerant gibt“. Sie hat ihn als sehr freundlichen Menschen kennengelernt. Rückblickend sagt sie: „In Gesellschaft anderer ist er immer sehr positiv. Er scheint sehr nett, zuvorkommend und verantwortungsbewusst zu sein – aber nur, wenn es ihm einen Vorteil bringt. Er weiß genau, wie er jemanden manipulieren kann, damit man tut, was er im Sinn hat.“

Ungezwungen plaudernd fahren sie einen ziemlich großen Umweg – wegen Baustellen, wie er behauptet – der sie letztendlich in die Nähe seiner Wohnung führt. „Er fragte mich, ob ich nicht doch Bock hätte, noch kurz bei ihm zu chillen. Ich wollte wirklich nachhause und schlafen – aber weil wir grade so eine angenehme Unterhaltung hatten und es sich so sicher angefühlt hat, dachte ich: ‘Eine halbe Stunde kann ja nicht schaden’.“

„Ich bekomme regelrechte Flashbacks von seinen Händen und dieser manipulativen Art.“ – Kathi 

In seiner Wohnung angekommen, sagt er ziemlich schnell, er würde sie doch nicht mehr nachhause fahren. Plötzlich fühlt Kathi sich gar nicht mehr sicher in seiner Gegenwart, das Gespräch ist angespannt. Sie ist unfassbar müde und erschöpft. Eigentlich will sie gehen, doch sie kann sich nicht vorstellen, sich in diesem Zustand in die Straßenbahn zu setzen. Ihre Wohnung ist ziemlich weit entfernt, der Heimweg scheint unmöglich zu schaffen. Sie schläft ein. 

„Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann aufwachte und spürte, wie er von hinten sein Becken gegen meins drückte und seine Hände überall auf meinem Körper waren. Unter meinem T-Shirt, in meinem BH und auch in meiner Hose. Ich war völlig überfordert. Ich sagte, ich sei jetzt fit genug, um zu gehen, hab mir meine Sachen geschnappt und bin rausgerannt.

Seitdem habe ich ihn immer wieder in den Clubs angetroffen und bekomme regelrechte Flashbacks von seinen Händen und dieser manipulativen Art. Aus persönlicher Erfahrung kann ich leider sagen, dass das kein Einzelfall war, und auch nicht das ‚Schlimmste‘, das mir passiert ist.“

Über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in der Leipziger Clubszene allgemein sagt sie: „Leider ist meine persönliche Erfahrung mit der Männerwelt auch in den ‚alternativeren‘ Clubs nicht besonders positiv. Vom seltsam angestarrt werden beim Tanzen, über unerwünschte und unangenehme Unterhaltungen bis hin zum absolut unangebrachten und unerlaubtem Anfassen war schon alles dabei – da kann eigentlich pro Abend mindestens einmal mit gerechnet werden.“

„Ich habe das lange als ganz normal betrachtet“

Claras Erlebnisse mit Devin, der mit seinem in Leipzig etablierten Kollektiv regelmäßig Clubveranstaltungen hostet und Open Airs organisiert, erstrecken sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren. 

Als sich die beiden 2017 kennenlernen, ist Clara nicht näher an ihm interessiert. Ein paar Wochen später begegnen sich die beiden auf einem Festival. Um eine Pause zu machen, setzen sie sich an einen ruhigen Ort. Wenig später fängt Devin an, sie zu berühren und versucht, sie verbal zu einem Kuss zu bewegen. Clara will das nicht und blockt ab, doch Devin hört nicht auf und drängt weiter.

 „Weil ich zu der Zeit noch jünger war, konnte ich meine Grenzen noch nicht ausreichend verteidigen oder sagen, dass ich das eigentlich nicht will.“ Nach einer ganzen Weile gelingt es ihm – Clara „gibt nach“, wie sie es ausdrückt, und die beiden küssen sich. Dass sie damals nicht ‚Nein‘ gesagt hat, belastet sie bis heute.

Nach dem Vorfall auf dem Festival trifft sie sich noch einmal mit Devin und die beiden schlafen miteinander. Einige Zeit danach begegnen sie sich auf einer Party. „Ich war sehr schlimm betrunken und konnte nicht mal mehr Fahrrad fahren. Das hat er ausgenutzt.“ 

Devin bringt sie ins Bett und legt sich zu ihr. Er beginnt, sie anzufassen. Diesmal sagt Clara ‚Nein!‘ – sie will keinen Sex mit ihm. Das scheint Devin nicht zu interessieren. Nach der ersten Vergewaltigung denkt Clara, es sei vorbei. Doch er macht weiter, mehrmals. 

„Das Bewusstsein, dass das nicht in Ordnung war, kam erst später. Ich habe das lange als ganz normal betrachtet.“ Auch deshalb spricht sie kaum darüber, erzählt dieses Erlebnis nur sehr wenigen, engen Freund*innen. 

„Wie er mich im Club angeschrien hat – das war eigentlich das Schlimmste“

Zwei Jahre danach feiert Clara in ihrem Lieblingsclub. Seit Monaten hat sie nicht mehr mit Devin gesprochen. Plötzlich taucht er neben ihr auf der Tanzfläche auf und sagt mit lauter Stimme: ‚Clara, du weißt doch, ich würde dir niemals wehtun! Warum sagst du sowas?!‘ Clara, eben noch im Tanzen versunken, ist so perplex, dass sie kein Wort herausbringt. Nach dem ‚Verpiss dich!‘ eines Freundes, der neben ihr tanzt, geht Devin.

Einige Monate später, Anfang 2020, ist Clara erneut im Club. Der Rave ist vorbei – die Musik ist aus, die Lichter an. Auf dem Weg zur Garderobe versperrt ihr plötzlich Devin den Weg. Ein paar Leute um sie herum sitzen noch auf Sofas, reden, rauchen und warten auf ihre Freund*innen. 

Clara gibt ihm zu verstehen, dass sie gerade keine Zeit für ihn hat. Er baut sich vor ihr auf. ‚Clara, ich will mich bei dir entschuldigen!‘, sagt er laut und für alle hörbar. ‚Ich weiß, wie das war. Du warst bestimmt voll verliebt in mich und bist deswegen sauer.‘ ‚Wenn du dich bei mir entschuldigen willst, dann ist das hier nicht der richtige Rahmen‘, entgegnet Clara. Ihr ist die Situation furchtbar unangenehm. 

Devin beginnt, in einem nicht enden wollenden Wortschwall auf sie einzureden. Seine Stimme wird immer lauter und lässt Clara keinen Raum für eine Antwort. Sie hatte sich im Club sicher geglaubt – in dieser Situation fühlt sie sich bloßgestellt, gedemütigt und erniedrigt.

„Mir ist es unangenehm, über diese ganze Sache zu sprechen. Aber das sollte es nicht sein. Ich schäme mich ein bisschen, und habe Angst, dass mir nicht geglaubt wird.“ – Clara 

Clara ist sich sicher, dass Devin sie mit diesen verbalen Angriffen präventiv einschüchtern und seine vermeintliche Macht ihr gegenüber demonstrieren wollte. „Er hat da eine richtige Show abgezogen. Er hat das nur für sich gemacht. Wie er da im Club stand und mich angeschrien hat – dieses Erlebnis ist eigentlich das schlimmste für mich.“ 

Clara fällt es hörbar schwer, ihre Erfahrungen zu teilen. Ihre Stimme zittert leicht, sie atmet schwer. „Mir ist es unangenehm, über diese ganze Sache zu sprechen. Aber das sollte es nicht sein. Ich schäme mich ein bisschen, und habe Angst, dass mir nicht geglaubt wird.“ Über Devin sagt sie: „Ich glaube, er weiß sehr wohl, dass er ein Täter ist. Aber er besitzt die Dreistigkeit, das immer wieder zu tun, weil er Frauen nicht respektiert.“

Hannah, die auch von Niklas sexuell belästigt wurde, berichtet ebenfalls von einer Erfahrung mit Devin: Als sie sich im Club auf einem Sofa sitzend ausruht, setzt sich der ihr flüchtig bekannte Devin einfach auf ihren Schoß. Während Hannah völlig perplex ist, sagt er grinsend: ‚Du hast mich wohl gern!‘, steht wieder auf und geht weg. „Weiteren Kontakt hatte ich nicht mit ihm. Ich habe mich nur nicht mehr wohlgefühlt, ihn in Clubs zu sehen, da er mir immer mit seinen Blicken ein unangenehmes Gefühl gibt.“

„Er wollte mich mit der Gästeliste locken“

Devin ist im selben Kollektiv wie Marcel, der regelmäßig in allen großen Clubs der Stadt auflegt. 

Als Sarah und Marcel ein erstes Tinder-Date haben, signalisiert er, dass er große Lust hätte, mit ihr nachhause zu gehen. Doch sie merkt schnell, dass sie kein Interesse an ihm hat. Ein paar Tage nach dem Treffen schreibt Marcel, er könne ihr einen Gästelistenplatz für ein Festival besorgen, sie könne mit ihm anreisen und auch in seinem Auto schlafen.

„Ich hab keinen Moment darüber nachgedacht, zuzusagen. Er wollte mich mit der Gästeliste locken. Auf einem Festival ist man ja nicht nüchtern, und da kann man die Person theoretisch besser ausnutzen, als es im Tinder-Date-Kontext möglich wäre, wo man nur ein Bier miteinander trinkt.“ Sie lehnt sein Angebot ab.

Ihr erstes Treffen wird die einzige Verabredung der beiden bleiben – allerdings laufen sich Sarah und Marcel im Club oder auf Open Airs regelmäßig über den Weg. Er versucht immer wieder, sich länger mit ihr zu unterhalten und wird dabei „ziemlich anzüglich“, wie sie es formuliert. „Es hat sich so über ein, eineinhalb Jahre hingezogen, dass er jedes Mal versucht hat, sich anzunähern, wenn ich ihm begegnet bin.“ 

„Ich habe seine Übergriffe permanent über mich ergehen lassen – im Nachhinein macht es mich traurig und ärgert mich total, dass ich damals noch nicht die Kraft hatte, um in den Situationen zu reagieren.“ – Sarah

Als Sarah eines Nachts im Club tanzt, bemerkt sie, dass Marcel in ihre Nähe kommt. Er positioniert sich hinter ihr und tanzt immer näher an sie heran, bis er so nah hinter ihr steht, dass sich ihre Körper berühren. Er legt seinen Arm um sie und bewegt seine Hand über ihren Bauch nach oben. Sie spürt seinen Mund an ihrer Wange. 

„Dieser eklige alkoholische Geruch… Das hat mich total angewidert. Ich hatte einen puren Fluchtreflex und wollte einfach nur weg.“ Sarah reißt sich los und geht. „Ich habe seine Übergriffe permanent über mich ergehen lassen – im Nachhinein macht es mich traurig und ärgert mich total, dass ich damals noch nicht die Kraft hatte, um in den Situationen zu reagieren.“

Als Sarah an einem Abend den Club allein verlässt, bemerkt sie, dass Marcel im gleichen Moment aufbricht. Bei ihm sind zwei seiner Freunde. „Das wirkte für mich so, als hätten die vorher bequatscht, dass er mich heute noch abschleppt. Die schienen irgendwie einen Plan davon zu haben, dass er Interesse an mir hatte.“ Draußen stellt sie fest, dass ihr Fahrradsattel gestohlen wurde. „Er hat sich ziemlich aufgedrängt, mit mir zusammen zu laufen.“ Da die beiden in unterschiedliche Richtungen müssen, geht sie allein. 

Am selben Abend schreibt er ihr mehrmals, dass bei ihm eine Afterhour stattfinde und sie gern rumkommen könne, wenn die anderen gehen würden. „Zu dem Zeitpunkt hab ich ihm schon gar nicht mehr geantwortet. Ich hatte mich ja auch noch nie mit ihm getroffen, abgesehen vom Tinder-Date am Anfang.“

„Er ist da rausgegangen, als wäre ich diejenige, die sich übergriffig verhält“

Dann beginnt Marcel, über den Zeitraum von fast einem Jahr ständig auf Sarahs Instagram-Storys zu reagieren. Er schreibt ihr Sätze wie: ‚Was geht?‘ und ‚Was machst du heute?‘ und fragt sie mehrmals nach einem Treffen. Manchmal schreibt sie, sie habe keine Zeit, manchmal schreibt sie ‚Nein‘ oder ignoriert seine Nachrichten. 

Einmal postet Sarah ein Selfie in ihrer Story – es zeigt sie im Spiegel, auf ihrem Bett sitzend. Marcel reagiert auf die Story: ‚Wanna hang‘. Diese direkt auf das Foto bezogene Nachricht hat für Sarah eine klare Botschaft: „Aus diesem Kontext heraus hatte ich sofort die Assoziation, dass er Bock hätte, in meinem Bett mit mir abzuhängen und irgendwann Sex zu haben. Ich fand das unangebracht und übergriffig. Ich habe mich in meinem privaten Wohnraum verletzt gefühlt, obwohl ich das Bild ja selbst gepostet hatte. Ich hab mich dann gefragt, ob ich meinen privaten Raum überhaupt noch irgendwo preisgeben will. Ich hätte einfach nicht gedacht, dass da jemand auf die Idee kommt, so etwas zu schreiben und das auf das Bett zu beziehen.“ 

„Mich kotzt es an, dass solche Typen eine Plattform in einem Raum bekommen, in dem aktiv gegen solche Verhaltensweisen vorgegangen werden soll.“ – Sarah 

Als Sarah mit ihrem Freund angetrunken in einer Bar sitzt und erneut eine Nachricht von Marcel bekommt, der sie nach einem Treffen fragt, reicht es ihr. Sie antwortet mit ‚Never ever‘, empfiehlt ihm, sich mal auf Tinder umzuschauen und schreibt dann ‚Tschau‘. Spontan nimmt sich ihr Freund ihr Handy. Er will Marcel provozieren und schreibt: ‚Willst du bumsen?‘ 

Marcel hat Sarah über Jahre hinweg penetrant und grenzüberschreitend – offensichtlich in der Hoffnung auf Sex – zu einem zweiten Treffen drängen wollen und sie sexuell belästigt. Dennoch scheint er zu glauben, diese Nachricht sei ernstgemeint: ‚Nö‘, antwortet er, und ‚Omg. Schon bisschen drüber, wie du direkt Sex haben willst. Schämst du dich da nicht ein bisschen?‘ 

Sarah schreibt ihm wütend einen langen Text, in dem sie ihm vorwirft, ihre Nachricht sehr wohl richtig verstanden zu haben und die Situation ins Lächerliche zu ziehen: ‚Ich will weder mit dir Essen gehen noch dich außerhalb des Clubkontextes sehen – und erst recht nicht mit dir bumsen. Wenn du es jetzt für nötig hältst, dich darüber lustig zu machen, zeigt das nur umso mehr dein gekränktes, fragiles männliches Ego und dass du leider nicht fähig bist, dich mal ernsthaft zu reflektieren.‘ Am Ende schreibt sie: ‚Ich fühle mich von dir bedrängt und bin deswegen mehr als deutlich zu dir gewesen. Und du hast mein Nein nicht akzeptiert – das empfinde ich als übergriffig. Respektier das.‘ 

Er schreibt: ‚Gut umgedreht. Hau rein. LG‘ und blockiert sie sofort auf Instagram und WhatsApp. Kurz darauf entfolgt ihr auch eine frühere Bekannte, die gut mit Marcel befreundet ist. „Daran habe ich gemerkt, dass er safe in seinem Freundeskreis darüber gesprochen hat. Er ist aus der Situation rausgegangen, als wäre ich diejenige, die sich übergriffig verhält.“

„Solche Typen bewegen sich in feministischen Kreisen, aber verhalten sich null feministisch“

Auch Marie hat negative Erfahrungen mit Marcel gemacht und berichtet von einem Übergriff.

Nach einem gelungenen Rave sind Marie und ihre Freundin zwar schon eine ganze Weile wach, aber noch immer topfit und angenehm beschwipst. Also zögern sie nicht, als ein paar Typen, die mit Maries Freundin bekannt sind, die beiden auf ihre Afterhour einladen. Nachdem Marie und ihre Freundin einiges an Sekt intus haben, stehen sie auf und tanzen ungehemmt zur Musik. Marie fühlt sich wohl in ihrem neuen Outfit, einem Sport-BH und Shorts, und genießt den Moment der Zwanglosigkeit in dieser angenehmen Runde.

„Bei Fremden fällt es mir oft schwer, mich zu entspannen. Diesmal habe ich mich getraut und dann sowas Rücksichtsloses erlebt.“ – Marie 

Ein paar Tage später erfährt sie, dass Marcel, den sie erst bei der Afterhour kennengelernt hatte, sie beim Tanzen gefilmt und das Video an zwei ihr unbekannte Personen geschickt hat. Wütend schreibt Marie ihm eine lange Nachricht, in der sie ihr Unverständnis für diese Tat ausdrückt, schildert, was sie in ihr ausgelöst hat und fordert, dass er und die anderen das Video löschen sollen. 

Marcels Antwort beschränkt sich auf vier knappe Sätze. Er bekundet Verständnis und versucht, seine Tat zu relativieren. Am Ende der Nachricht steht ein schlichtes ‚Sorry!‘. Als einige Zeit später eine Afterhour bei Marcel stattfinden soll, und Marie fragt, ob sie mitkommen kann, lehnt er entschieden ab. Offenbar fühlt er sich in der Auseinandersetzung um das Video ungerecht behandelt und ist beleidigt. 

„Für mich sind Afterhours etwas ganz Persönliches, wo man sich selbst entfalten kann. Er hat das ausgenutzt, um sich über mich lustig zu machen. Bei Fremden fällt es mir oft schwer, mich zu entspannen. Diesmal habe ich mich getraut und dann sowas Rücksichtsloses erlebt – das hat mich sehr traurig gemacht.“ 

Marie kann sich gut vorstellen, dass dieses Erlebnis sie zukünftig daran hindern wird, noch einmal so losgelöst in Anwesenheit von Fremden zu tanzen. Besonders regt sie der Widerspruch dieses Verhaltens auf: „Am meisten stört mich, dass sich solche Typen in feministischen Kreisen bewegen, sich aber null feministisch verhalten.“ 

Was es bedeutet, dass die Täter in unserer Clubkultur stark involviert sind, welche Parallelen sich in den individuellen Erfahrungen abzeichnen, welche Möglichkeiten Betroffene nutzen können, um gegen gewaltausübende Personen vorzugehen, wie Clubs und Kollektive Betroffene unterstützen können und was wir alle tun können, um unsere Clubkultur zu einem für FLINT* sichereren Raum zu machen, erfahrt ihr im zweiten Teil des Features.


Illustrationen von Jasmin Biber.

Leipzig bekommt eine*n Nachtbürgermeister*in

Auch wir müssen diese Nachricht unterbekommen: Leipziger Clubs bekommen (endlich) eine Anlaufstelle im Rathaus.

Die Nachricht kam recht überraschend: die LVZ verkündete am 12. Januar nach einem Interview mit Oberbürgermeister Jung, dass Leipzig eine*n “Nachtbürgermeister*in” bekommen wird. Diese Stelle soll Clubs, Livespielstätten, aber auch andere Institutionen und Beteiligte, die im Nachtleben involviert sind, offiziell vertreten. An der Konzeptionierung einer solchen Stelle arbeitet der LiveKommbinat Leipzig e.V. schon seit langer Zeit, die Übergabe des Konzeptes erfolgte im letzten Sommer an OBM Jung.

Das Institut fuer Zukunft schreibt aus diesem Grund: “Wir können uns nur bei den Kulturexpert*innen, allen voran Kordula Kunert, bedanken, für die unermüdliche Arbeit und den Beitrag, der damit für das Nachtleben in dieser Stadt geleistet wird. Wenn sich nun die zuständigen Vertreter*innen der Stadt auf die Expertise und Forderungen derjenigen verlassen, die das Konzept in einem langen wissens- und erfahrungsbasiertem Prozess erarbeitet haben, dann ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung.”

Die Schwerpunkte, für die diese Stelle verantwortlich sein soll, beschreibt das LiveKommbinat wie folgt:

  • Bedarfsermittlung: Wo benötigt es Support?
  • Revitalisierung des Nachtlebens nach Corona durch strukturelle Stärkung der Nachtökonomie und -kultur
  • Interessenvertretung der Nachtkultur, sowie Aufklärungsarbeit und Lobbyarbeit
  • Vermittlung zwischen den städtischen Institutionen und den Akteur*innen der Nacht
  • Konfliktprävention und -intervention, z.B. Corner-Hotspots
  • Zusammenarbeit und Austausch mit Betreiber*innen von Nachtlokalitäten, Quartiersmanagements und Nachbarschaftsverbänden
  • Freiflächen-Konzepte für Open Air Veranstaltungen
  • Unterstützung für Awarenesskonzepten und Gesundheitsvorsorge und Koordinierung von Weiterbildungsangeboten diesbezüglich
  • Ausbau des nächtlichen ÖPNV und Fußwegsicherheit

Wer sich zu diesem Thema weiter belesen möchte: die LVZ hat eine Reihe von Texten, die sich mit der Stelle befassen, veröffentlicht – jedoch leider nur mit LVZ+ Zugang.

“Anxious Sleep” ZOUJ – Fotoporträt & Review

Anlässlich des Release seines Solo-Projektes ZOUJ und der ersten Single “Anxious Sleep” hat Autorin und Fotografin Paula den Künstler Adam Lenox in seinem Studio besucht.

Alles ziemlich Grunge

Bis 2019 kannte man Adam Lenox als Frontmann und Gitarristen der Band Lingua Nada, eine Leipziger Band, die sich im Post-Hardcore und Indie-Punk bewegte. Adam schildert das Band-Leben zu Beginn, wie man sich das Leben einer Post-Hardcore Band vorstellt: Tour im Van, Containern, alles ziemlich Grunge.

Futuristische und dystopische Welt

Als Teenager kam er nach Leipzig, mit einer Gitarre, dem alten Computer seiner Mutter und etwas Aufnahme-Equipment entstand „Goodbye Ally Airship“ – die erste Single Lingua Nadas.

Schon mit dem letzten, 2019 veröffentlichten Album der Band Djinn war ein gewisses Narrativ der Suche nach einer anderen, futuristischen und dystopischen Welt deutlich – geboren in der Pariser Banlieu erlebte Adam verschiedene Perspektiven: Die französisch-weißen, die amazigh-marokkanischen seiner Mutter, die US-amerikanische seines Vaters.

ZOUJ

ZOUJ ist das zweite und Solo-Projekt des Künstlers. Konzentrierte er sich zuvor auf herkömmlichere sowie akustische Instrumente liegt sein Fokus mit ZOUJ auf der Produktion elektronischer Musik. Er fühle sich befreiter, verortet sich irgendwo zwischen elektronischem Experimental und R&B mit Ecken und Kanten, möchte herausfordern, was wir gewohnt sind, zu hören.

Anxious Sleep

Die erste Single “Anxious Sleep”, hat alles, was ein Pop-Song mitbringt, sie ist eingängig. Trotzdem spürt man den Charakter, die Experimentierfreude, Musik die uns auffordert, genau hinzuhören, weil wahnsinnig viel passiert, zu viel, um “nebenbei” zu laufen, nicht zuletzt des Narrativs wegen: Der Text kreist um das Erleben von Schlafparalyse, ein Gefühl, ausgeliefert, die Brust zugeschnürt.

“Für mich ist der persönliche Kontext wichtig.”

Doch nicht nur musikalisch ist das Solo-Debüt Adams spektakulär.
In Zusammenarbeit mit dem 3D Künstler Alexander Turovsky wird der erste Single-Release begleitet von einem experimentellen Artwork.

“Die visuelle Ausgestaltung und Umsetzung meiner Ideen ist für mich schon immer Teil meiner Musik gewesen.”

Zu verzerrt um verspielt genannt zu werden ziehen sowohl die Grafiken, vor allem aber das Musikvideo zu „Anxious Sleep“ Betrachter*innen in eine innere Welt, die nach außen gestülpt werden muss, um das Gefühl zugänglich zu machen.

Die Fülle an Symbolik im Musikvideo bietet ein Tor in ebenjene dystopische Welt, futuristisch und magisch. Ein Football-Jerseys mit Amazigh-Label, Fratzen von Schlafparalyse-Dämonen, zerfließende Farben, Flüssigkeit, das Gesicht des Künstlers selbst, facettiert und gespiegelt, auf sich selbst zurückgeworfen.

Es fällt schwer zu entscheiden, ob das Gefühl bedrohlich oder faszinierend ist – es ist komplex und kompromisslos, so bleibt jeder Versuch, dies in Worte zu fassen, plump und unbeholfen, zumal die Musik sowie das Video ausreichend für sich sprechen.

Begleitet wird das Artwork der Single von Typografie: Die Sprache Tamazight und Schrift namens Tifinagh als Teil der Amazigh-Kultur in Nord Afrika. Durch die Kolonialbesatzung als barbarisch bezeichnet, verdrängt und dadurch in Vergessenheit geraten setzt Adam mit der Verwendung der Typografie ein Zeichen, Wiedererlangung.

“Außerdem verstehe ich es als Hommage an meine Familie und die Identität, die sie mir damit stiftet.”

“Auch der Name “ZOUJ” ist Darija, marrokkanisch-arabisch und bedeutet “Zwei”. Es steht für mein Dualität und auch die der Musik.“

Die Arbeit am Projekt ZOUJ ist schon jetzt mehr als eine weitere pop-experimentelle Produktion.

Weitere Titel werden im Herbst 2021 auf dem Label City Slang [u.a. Caribou, Son Lux, Arcade Fire, Noga Erez] erscheinen.


NEBULA 002 Vinyl-Release – Sound, Stream & Gewinnspiel

Die zweite Various Artist-EP von Nebula ist gleichzeitig die erste eigene Vinyl des Kollektivs. Was den Sound der EP ausmacht, wie das Release zwar ohne Rave, aber trotzdem mit viel Techno und einer Special Gameshow gefeiert wird, und was ihr tun könnt, um eine der Platten zu gewinnen.

Transparenzhinweis: Normalerweise recherchiert und schreibt unsere Autorin als unabhängige Journalistin. Diesmal ist es anders: Sie ist im Nebula Kollektiv aktiv, zählt als shrœderin zu den Residents und schreibt diese Ankündigung als Crewmitglied und in Absprache mit ihrem Kollektiv.

Yesss – es hat wirklich lange gedauert, aber nun ist sie da: Unsere allererste Platte, die den überaus originellen Namen NEBULA 002 trägt. Fünf Tracks, die in ihrer technoiden Vielfalt den Sound des Kollektivs nuanciert einfangen. Und vielleicht auch die gegenwärtige Stimmung innerhalb der Clubkultur: Irgendwo zwischen Entschleunigung und Monotonie der permanenten Isolation, und der unendlichen Vorfreude auf den Moment, wenn wir endlich wieder inmitten einer ekstatischen Crowd die Erinnerungen an das Leben in der Pandemie wegtanzen können.

Release: Game Show & Techno im Stream

Womit wir beim Release-Event am Freitag, dem 22. Januar wären: Eigentlich hätten wir die Veröffentlichung unserer ersten Vinyl gern mit einer angemessenen Clubnacht gefeiert. Doch statt im Elipamanoke findet der Rave – ihr ahnt es – in eurem Wohnzimmer statt. Dafür aber for free und garantiert ohne lange Wartezeiten in der Kloschlange (letzteres hoffen wir zumindest – bitte bleibt solidarisch!).

Für ein Quiz der besonderen Art konnten wir die selbstverständlich absolut unabhängige Gameshow nebula24de.com gewinnen. Neben Spiel, Spaß & Techno erfahrt ihr auch, was die Menschen in der Region von der NEBULA 002 halten und wie natürlich völlig seriöse Expert*innen die Qualität der Platte einschätzen. Wer die Show nicht verpassen will, sollte pünktlich einschalten: 19 Uhr geht’s los.

Danach geht’s weiter im gewohnten Nebula-Stil: Techno, Techno, Techno. Diesmal in Form von Sets von Kontinum, Tillman (live), kiara, Murky fm, shrœderin und TreuHand, aufgezeichnet im Elipamanoke. An dieser Stelle Gruß und Kuss an die Eli-Family – Dankeschön für euren Support!

Übrigens: Es lohnt sich, die Sets aufmerksam zu verfolgen – wenn der Hot Buzzer von nebula24de.com aufblinkt, könnt ihr die eingeblendete Nummer anrufen und eine Nebula 002 Vinyl gewinnen.

Gewinnspiel: Finde die Sticker

Es gibt noch eine andere Möglichkeit, den Zehner für die Platte zu sparen – ihr müsst euch nur auf einen kleinen Spaziergang durch die Stadt begeben, und dabei die Augen offen und das Handy parat halten. Besucher*innen unserer präpandemischen Veranstaltungen haben einen kleinen Vorteil, denn: Wir haben einige Nebula-Sticker unter anderem in nächster Nähe von Orten in Leipzig versteckt, die ihr mit uns in Verbindung bringt. Wenn ihr einen der Sticker entdeckt habt, macht ein Beweis-Foto und schickt es uns bis zum 31. Januar als PM bei Facebook. Unter allen Einsendungen verlosen wir drei Platten.

EP: Kontraste & Facetten des zeitgenössischen Clubsounds

Damit ihr wisst, wie die NEBULA 002 klingt, hier eine kleine Beschreibung: Die fünf Tracks spiegeln Kontraste und Facetten des zeitgenössischen Clubsounds – von trippig und hypnotisch über dubbig und minimalistisch bis hin zu dramatisch und aggressiv.

Kontinum – Tradegy Of The Commons
Wie ein breiter, nebelverhangener Fluss strömt Tradegy Of The Commons durch eine mystische Klanglandschaft aus sphärischen Flächen, warmen Synthis und einer sanften, druckvollen Kickdrum. Ein Track, der zwischen Kraft und Gelassenheit balanciert und durch seine komplexe Monotonie eine hypnotische Wirkung entfaltet.

TreuHand – TIVR
TIVR ist eine Hymne für den Club – und an den Club. „Der besten Peergroup“ gewidmet, zelebriert sie den Rave mit dramatischer Melodie, stürmischen Filterfahrten über saftige Acid Lines und einer mächtigen, bouncenden Kickdrum. In diesem gewaltigen Acid-Rave-Track bündelt und entlädt sich die Energie des Dancefloors.

Tillman – Transit
Trotz Schnelligkeit und treibendem Flow wirkt Transit ruhig und verträumt. Dubbige, verwaschene Sounds und eine rollende Bassline prägen Klangbild und Rhythmus des Tracks, während im Hintergrund eine dunkel-melodische Fläche wogt. Transit bringt melancholische Schwere und groovende Leichtigkeit in harmonischen Einklang.

fragmentiert – Pоссия
„Du lebst in einem Gefängnis für deinen Verstand“ – in Pоссия verarbeitet fragmentiert mit bedrückenden Vocals, düsteren Acidlines, unheilvollen Flächen und einer erbarmungslos stampfenden Kickdrum persönliche Eindrücke der repressiven Politik des modernen Russlands. Ein dynamischer Techno-Track, der mit seinem vielschichtigen Minimalismus pure Dystopie ausstrahlt.

Vxltage – Aggression
Aggression macht seinem Namen alle Ehre: Dieser EBM-inspirierte Ravetrack ist dark, böse und voller Spannung. Eine prägnante, starke Kickdrum, bedrohliche Sounds und die verzerrten Schreie „Come feel the aggression“, die an den Wave-Sound der Achtziger erinnern – Aggression ist Appell an die Crowd, mit aller Energie die Probleme des Alltags in den Beton zu stampfen.

Vorbestellen könnt ihr die EP bei Bandcamp – als Vinyl und in digitaler Form. Leider haben wir auf unserer EP keine*n einzige*n FLINT*-Producer*in – das finden wir ziemlich suboptimal. Dass unser Kollektiv keine Lust auf Cis-Dudes-only-Action hat, spiegelt sich zum Beispiel in unseren Lineups und Bookings wider. Allerdings ist es uns zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht möglich, auch von FLINT* produzierte Tracks auf unseren kollektivintern produzierten Various Artist EPs zu veröffentlichen.

Nachbericht & Talk Talk: das Outs:de Festival 2020

Das Outs:de-Festival war 2020 eines der außergewöhnlichsten Veranstaltungsprojekte in Leipzig. Wie es dazu kam, wie die Arbeit hinter den Kulissen aussah und wie sich das Ganze als Besucherin angefühlt hat, lest ihr im Nachbericht und hört ihr in der neuesten Folge Talk Talk.

Mittlerweile ist es fast schon wieder unvorstellbar, in welchem Maße man sich diesen vergangenen Sommer und Herbst dem Hedonismus widmen durfte. Ist das inmitten dieser Pandemie, trotz Corona, wirklich passiert? Sonne, Tanzen, Open Air?

Ja. Und Stichwort Open Air: all das ist nicht (nur) in illegalem Rahmen geschehen. Ende August bis Ende September entstand durch die Initiativen DasIstLeipzig, Leipzig plus Kultur, Kreatives Leipzig e.V. und LiveKommbinat Leipzig e.V. mit Unterstützung der Stadt Leipzig eine Art einmonatiges Festival. Konzerte, Lesungen, eine Zaubershow und – natürlich – jede Menge elektronische Musik fanden auf der Festwiese in Leipzig-Nord unter dem Schirm eines kohäsiven Programms zusammen. “Leipzigs Kulturszene ist vereint” schrieb das LiveKommbinat – dank des outs:de Festivals. 

Selbstverständlich konnten wir uns das Ganze nicht entgehen lassen: unsere Autorin Amy war vor Ort. Obwohl wir damit ein paar Monate hinterher sind, möchten wir das Projekt bei frohfroh nicht unerwähnt und unbehandelt lassen. Ein Nachbericht.

 

NOTE NOTE –

Dieser Nachbericht ist in Kombination mit einer neuen Folge Talk Talk erschienen – “Hat sich das outs:de-Festival gelohnt?”

Dort werden alle Hintergrundfragen mit der Geschäftsführerin vom Werk 2, Katrin Gruel, besprochen. Wie immer auf Spotify oder SoundCloud zu hören!

 

10 Grad, bewölkt, Nieselregen

Es ist der Tag der letzten Veranstaltung des outs:de-Programms auf der Festwiese, als ich es zum ersten Mal dorthin schaffe. Es fühlt sich bizarr an: Sonntag, Ausschlafen, Frühstück und zum Veranstaltungsstart durch das graue Wetter mit der Straßenbahn zur Festwiese. Keine typische Wochenendplanung, auch vor Corona nicht. Da wäre es um die Zeit höchstens zur Rillendisco ins IfZ gegangen; drinnen, eng an eng, unbefangen.

Als unbefangen lässt sich das hier zwischen Mannheimer Gittern in Zehnergrüppchen wohl kaum beschreiben, aber naja. Die Situation erlaubt es schließlich nicht anders – und für einen Rave in einer solchen, noch nie dagewesenen Situation, gibt man sich gerne solchen Kompromissen hin. 

Als ich kurz nach 14 Uhr ankomme, sind einige, wenige Menschen da, von denen die meisten gerade am Arbeiten sind. Das kulinarische Angebot ergibt sich aus zwei Getränkewägen, einem Kaffeewagen und einem Handbrotstand. Auf dem Gelände verteilt befinden sich sonst noch Deko- und Sitzelemente, Toilettenwägen, Schilder und Hinweise zu den Hygieneregeln sowie eine Awareness-Area. Nach hinten offene Gitter-Vierecke füllen in mehreren Reihen die Wiese und führen zu einer großen Bühne, wie man sie sonst kaum auf einer Subkultur-Veranstaltung erwarten würde. Die Strahlen der Scheinwerfer an der Bühne wiederum kommen nicht weit; sie strahlen abwechselnd in den von einer Wolkendecke eingehüllten Himmel hinein.

Nach bisher 30 Dates findet heute, am 27. September, die finale Veranstaltung statt. Es stehen I$A, die Soda Kids, Mathias Kaden, Dr. Rubinstein und Ellen Allien auf dem Programm – die klassische Mixtur aus Locals und Headliner*innen, also.

Foto von Markus Krasselt

Projektmanagement à la Pandemie

Obwohl diese Line Up-Konstellation nicht allzu ungewöhnlich ist, ist es das Projekt, das dahinter steht, schon. 200.000 Euro hat die Stadt Leipzig den Initiativen DasistLeipzig, LiveKommbinat Leipzig e.V., Leipzig plus Kultur und Kreatives Leipzig zur Verfügung gestellt, um das Ganze unter enormen Zeitdruck zu realisieren: jegliche Orga, Booking, Promo und vieles mehr wurden innerhalb von nicht einmal vier Wochen umgesetzt. Im Hintergrund arbeiteten mehr als zwölf Clubs und Spielstätten daran, ein Programm auf die Beine zu stellen. Ein Pilotprojekt unter besonderen Bedingungen – untertrieben gesagt.

Was es geheißen hat, das outs:de Projekt zu organisieren, lohnt es sich, vor Augen zu führen. Elf Veranstaltungsstätten mit einem jeweils völlig unterschiedlichen Programm und einer teilweise völlig unterschiedlichen Zielgruppe, die am selben Event arbeiteten; “es war glaube ich die größte Errungenschaft, dass man das überhaupt alles irgendwie unter einen Hut bringen konnte”, beschreibt eine Organisatorin. Für ein Festival in dieser Größe braucht es normalerweise mehrere Monate Vorlauf – mindestens. 

“Mit dem outs:de hat die LiveKomm das Unmögliche möglich gemacht.”

Dieser knappe Zeitrahmen als Vorlauf für das Projekt hat sich letztendlich nicht nur auf die Organisation, sondern auch auf die Bewerbung und allgemeine Kommunikation des Programms ausgewirkt. 9000 Besucher*innen hat die Veranstaltung innerhalb von fünf Wochen verbuchen können; diese Zahl hätte mit einem ausgeklügelteren Promokonzept sicherlich enorm gestärkt werden können.

Katrin Gruel vom Werk 2 erzählt mir im Interview (siehe oben), dass das Projekt wirtschaftlich nicht gänzlich erfolgreich war. Obwohl es kein Minusgeschäft war, ist es einfach zu unterschätzen, wie viel unbezahlte Kulturarbeit auch hier aufgebracht wurde. Klar: Security, Gastropersonal oder Lichttechniker*innen hatten fünf Wochen lang wieder einen Arbeitsplatz, aber eine weitere involvierte Spielstätte stellt fest: “Es konnten bei weitem nicht alle Arbeitsstunden aufgefangen werden.” 

Foto von Markus Krasselt

8 Grad, Dunkelheit, Rave in der Luft

Nachdem die mehr oder weniger lokalen local heroes mit ihren Sets fertig sind, übernimmt Dr. Rubinstein die Bühne. 4/4-Bretter galore. Mittlerweile ist es dunkel, die Scheinwerfer kommen endlich ihrer Sinnhaftigkeit nach und die Tanzfläche ist deutlich gefüllter. Lässt man sich auf die Musik an, fühlt es sich an, wie ein Rave. Zumindest ein bisschen. 

Beim Gang zur Bar muss ich schmunzeln – von allen sechs Leuten, die im Gastrowagen stehen, arbeiten alle in einem jeweils anderen Club. Die Festwiese ist zwar einer für die Clubkultur ungewöhnlicher Ort, doch hier an der Bar fühlt es sich wieder ein klein wenig familiär an.

Draußen, auf dem Hang der Festwiese, tummeln sich vielleicht halb so viele Menschen, wie drinnen, auf dem Veranstaltungsgelände. Warum? In meinem Kopf tut sich ein Dilemma auf – Hätte man die Eintrittspreise barrierefreier oder fairer gestalten müssen? Oder sollten die Leute, die draußen sitzen, eine der wenigen Tanzveranstaltungen, die gerade von Clubs bereitgestellt werden, nicht lieber unterstützen? Zu Beginn der Pandemie bereuten alle, die letzten Wochen nicht öfter feiern gegangen zu sein. Jetzt geht das – und die Tanzfläche ist trotzdem zu einem Drittel leer? Wie hätte man das outs:de für Clubbesucher*innen attraktiver machen können?

Aber naja – die, die hier sind, gehen richtig ab. Die Zehnergruppen sind am tanzen, am stampfen, am raven. Die Gitter wippen vor und zurück, man sieht den Leuten an, dass sie diese Stimmung vermisst haben. Als Ellen Allien schließlich die Bühne betritt – Entourage inklusive – holt sie das Publikum zu sich hoch. Sie ist von Menschen umgeben; es geht noch einmal richtig los, dem Gefühl nach ist in Leipzig mal wieder der Boiler Room zu Gast.

outs:de Zwei Punkt Null?

Dem LiveKommbinat zufolge wird auch schon für 2021 an einer zweiten Ausgabe des Festivals geplant und gearbeitet. Mit so viel mehr Planungszeit bin ich gespannt, wie sich das Programm und die Umsetzung aus dem letzten Jahr weiterentwickelt – denn bei aller Kritik ist es einfach nur beeindruckend, wie schnell eine Veranstaltung dieser Größe auf die Beine gestellt werden konnte. 


Das Titelbild ist von Markus Krasselt geschossen worden. Danke!