Kjubi & Amon Bay „cwyu / Home“ (Boundless Beatz)

Seit Oktober ist die siebte EP auf Boundless Beatz erhältlich. Zwei Tracks von Kjubi gibt es hören, die zudem Vocals von Amon Bay featurn: Überraschenderweise bedeutet dies Gesang statt Sprechgesang, wodurch die beiden Tracks „Can’t Wake You Up“ und „Home“ stark in Richtung Pop schielen.

Oh, oh: Die Kombination aus Drum & Bass und Pop (bzw. Gesang generell) war bei Freunden gebrochener Beats schon immer gleichermaßen geliebt wie gehasst. Einerseits erreichen entsprechende Tracks ein größeres Publikum außerhalb der eigentlichen Szene, andererseits wurden schon einige schlimme Songs auf die Menschheit losgelassen.

Kjubi und Amon Bay sind sich dieser Problematik sicherlich bewusst und setzen beide Songs sowohl im Gesang wie auch in den Sounds recht zurückhaltend um. „Can’t Wake You Up“ setzt dabei auf eine recht kühle Atmosphäre, die im späteren Teil um jazzige Einsprengsel ergänzt wird. „Home“ ist da in der Dramaturgie schon offensiver und Amon Bay kommt hier etwas stärker aus sich heraus. Dennoch fährt das Stück an derselben Stelle stark zurück, an der sich so manch andere im Schwülstigen verlieren. Wegen der direkteren Art bleibt es mir zumindest aber auch stärker in Erinnerung.

Ich bin gespannt, ob Kjubi und Amon Bay diese Idee weiterverfolgen. Im Grunde wäre es möglich, sowohl in Sounds, Breaks und Struktur noch größere Wagnisse einzugehen oder aber tatsächlich die Pop-Seite stärker herauszustellen. Vielleicht finden sie auch die Mitte aus beidem.

Herbst-Update bei Alphacut

Neuigkeiten aus dem Hause Alphacut: Neben der „Slow Blasters EP“ gibt es ein Wiederhören mit Alpha Cutauri und einen Sampler-Beitrag von LXC.

Hysee „Solstice Boundaries EP“ (Alpha Cutauri)

Die bereits achte Alpha Cutauri sammelt diesmal sieben Stücke von Hysee zusammen, der mir bis dato kein Begriff war. Vielleicht ist das auch nicht wichtig: Auch bei dieser EP scheint es, als wäre die Musik direkt für das Label entstanden. Wieder gibt es knisternde Beats, eingehüllt in behutsam schwebende Sounds, die einerseits zum Tagträumen verleiten, genauso aber dazu anspornen, aufmerksam zuzuhören.

Das lohnt sich, da immer wieder neue Details zum Vorschein kommen. Obwohl nur drei bis fünf Minuten lang, spielen die Tracks dank ihrer hypnotischen Wirkung mit der Wahrnehmung von Zeit – als wären sie auf Vinyl gepresste Wurmlöcher.

Various Artists „Slow Blasters EP“ (Alphacut)

Als Ausgleich zum ruhigen Sound auf Alpha Cutauri bietet sich wiederum die „Slow Blasters“-EP des Mutterschiffs Alphacut an. Mit „I Run Shit“ vom Duke of Juke deutet schon der erste Track direkt auf den Juke-Einfluss hin, der auf keiner EP von Alphacut bisher so deutlich im Zentrum stand wie auf dieser.

Aufmerksame Leser erinnern sich bestimmt an den Beitrag des Duke of Juke zur ersten Bassmæssage-Platte. Auch mit „I Run Shit“ hat der Duke of Juke Spaß an dieser roughen HipHop-Attitüde, die in dem Sound steckt. Hinter dem Pseudonym steckt übrigens Noize Creator, der in Dresden mit Suburban Trash einen Mailorder und ein Label betreibt.

Der zweite Beitrag „A Demon“ stammt von Ddog aus Finnland und bringt gleich brutalere Drums mit, die zwischendurch in dämonische Höhen gepitcht werden. Für Fans des eher darken Raves, aber auch für Freunde spannender Breakbeat-Bearbeitung genau das Richtige.

Auf der B-Seite schließen dann Blind Prophet und Bukkha sämtliche Lücken, denn hier treffen ebenfalls Juke-inspirierte Patterns auf Dub-Einflüsse, Jungle und amtlichen Acid. Klingt in der Beschreibung vielleicht wie eine überladene Kombination sämtlicher Retro-Trends, funktioniert aber prima und könnte ein kleiner Hit werden.

Die beiden letzten Tracks – „In Between“ von Sun People sowie „Gimme Gimme“ von Paranoid One – verquicken ebenfalls Juke und Jungle. Gerade bei „In Between“ schaukeln sich die Drums wunderbar auf und überschlagen sich fast im zweiten Teil. Daran darf sich das Jungle-Revival gern messen.

Various Artists „Sounds From The Well: Collection 1“ (Khaliphonic)

Außerdem gibt es auch neue Musik vom Alphacut-Boss LXC selbst: Das zusammen mit Dubmonger produzierte Stück „101 Delaytionz“ bleept wunderbar zwischen den Nahost-inspirierten Tracks des Sampler „Sounds From The Well: Collection 1“ hervor.

ANAx – Analogsoul hört auf

Analogsoul war schon immer gut im klugen Inszenieren. Und so wird zum zehnten Geburtstag des Labels zugleich sein Ende verkündet.

Ganz überraschend kam die Nachricht nicht, war es in den letzten Monaten doch still um Analogsoul geworden. Im Abschiedsbrief steht der Grund dafür: Es sind eine Menge weiterer Projekte entstanden – von der Musikproduktion oder Musik-Agentur bis zur Beratung und Verwaltung.

Analogsoul war für all das sicherlich eine gute und wichtige Keimzelle, eine Spielwiese auf der verschiedene Ideen ausprobiert werden konnten. Das Veröffentlichen einer Platte dokumentieren etwa, oder das Verhältnis zwischen Band und Publikum in Social Media-Zeiten neu aufzustellen. Oder zu fragen, was eigentlich aus Pop wird, wenn Spotify erst nach 30 gespielten Sekunden bezahlt.

In gewisser Weise haben die neuen technischen Möglichkeiten vielleicht auch dazu beigetragen, sich zu fragen, warum es überhaupt noch ein Label braucht: „Im Jahr 2018 brauchen unabhängige Acts nicht zwingend ein Label, nicht zwingend analogsoul, um ihre Musik verfügbar zu machen und zu promoten. Die Werkzeuge dazu sind da, die digitale Revolution hat geliefert“, heißt es im offiziellen Abschluss-Statement.

Das Gleiche können auch wir uns fragen: Braucht es überhaupt noch einen Blog wie frohfroh? Oder ist nicht alles Relevante schon in den Social Media-Blasen zu finden. Inklusive Gossip aus dem Backstage und Hotel.Das tolle an Analogsoul war das Wachsen mit zu erleben. Der Weg von der CD-R zum ersten Vinyl, später ausgiebige Touren und aufwendig produzierte Musikvideos. Es ging auch im Kleinen – das hat Analogsoul immer sehr selbstbewusst bewiesen. Nach zehn Jahren ist nun Schluss und es gibt es eine große Abschiedsbox mit einigen wichtigen Releases. Auf 50 Stück ist sie limitiert. Und im nächsten Frühjahr soll es noch einmal eine Abschiedsparty in Leipzig geben. Wir sagen Danke Ana.

Afterhour #12 Liebe, Techno, Leipzig – fragmentiert

Hier ist sie, die letzte Ausgabe der Afterhour-Kolumne von Antoinette Blume. Zum Abschluss hat sie einen Kandidaten frei.

Ausgewachsen, erwachsen?
Wir sind ganz am Ende und doch wieder am Anfang. Im Dezember „hab ich einen frei“; es ist bald Weihnachten, Silvester und die Afterhour endet. Wtf. Mein Baby. Unser Baby, pardon, ist jetzt schon erwachsen.

Vor einem Jahr hat mich mein Freund, Mitbewohner und Freund-Freund Manuel gefragt: „Schreib doch mal über Liebe im Nachtleben, wie wäre das?“ – und damit hat das Ganze hier angefangen. Rausgekommen ist natürlich nix über Liebe, die Idee hat sich gewandelt, verwandelt, hatte ihre guten und ihre schlechten Momente. Es ist nicht alles perfekt geworden, ich habe Fehlerchen (nicht nur Kommafehler) gemacht, hab es genossen, hab weiterhin gefeiert (jetzt aus literarischen Recherchegründen), geschrieben, notiert. Sagte ich schon gefeiert? Und bei jeder Ausgabe habe ich Manuel meine Texte mit verstellter Stimme vorgelesen. „Gedankenstrich, in Klammern, klingt das doof?“ – als Antwort kam fast jedes Mal in singendem Badisch: „Des machscht!“

Und jetzt bekommt er seinen eigenen Text. Weil ich „einen frei hab“. Und damit endet ein Stück Historie. Stimmt schon, denn da war mal das Westwerk, das gibt es jetzt nicht mehr. Da war mal Solaris als Bookerin, die jetzt ein Label gegründet hat und sich als Bookerin (aber nicht als Resident) aus dem Institut für Zukunft zurückgezogen hat, da war mal Ronya Othmann, die seitdem tausend Gedichte mehr geschrieben hat und da waren mal wir, die wir von jeder Ausgabe zur nächsten etwas schlauer geworden sind.

Steckbrief
Lieblingsclub?Westwerk (R.I.P.)
Musik oder Rausch?Rausch, Musik, Rausch, Musik
ZuhausemusikAmbient

Fragmente der Nacht
Kommunikationsdesigner, Live-Act, Badener. Das beschreibt in drei Worten die augenscheinlichsten Eckdaten von fragmentiert, der eigentlich Manuel heißt. Seit drei Jahren in Leipzig, fast jedes Wochenende unterwegs, zwar mehr die Fraktion „ich gehe mal eine Rauchen“ (und ward nie mehr auf der Tanzfläche gesehen), aber trotzdem, eine recht intensive Feierexpertise lässt sich erahnen.

Bar oder mit Karte?
Seinen ersten Auftritt hatte er damals im Westwerk, die nächsten auch, dann mal im Elipamanoke und auf verschiedenen Open-Airs.

Zwei Wochen vor seinem ersten Auftritt wurde dann auch ihm klar, dass es Zeit wäre, sich Equipment zu besorgen, zu leihen, zu testen, wenigstens zu üben. Im Laden fiel ihm noch sein MacBook runter (Ach, Manu …) und der nötige Technikkram war vorhergesehen recht preisintensiv. Half ja nichts, auf Raten abbezahlen und am Mittwoch auftreten. So kam er zu seinen Lieblingsgeräten und dem ersten Auftritt, Feuerprobe geschafft.

Irgendwann kam dann das lang ersehnte und herbeigewünschte Booking im Institut für Zukunft. Funfact: Wir saßen gerade im Eventpalast an der Alten Messe und sahen uns eine grotesk-schlechte (!!!!!!!) Dinoshow an, als eine Mail mit verheißungsvollem Absender kam. Wir gingen dann, ohne dem schlecht gecasteten Paläontologen und der restlichen Gaunerbande Tschüß zu sagen. Sie werden im Notfall ihre Tränchen der Enttäuschung mit den von uns bezahlten Geldscheinen trocknen. Man merkt, ich kann diesen Tag nicht vergessen … Zurück zu fragmentiert.

Seit September gibt es im Institut für Zukunft einen monatlichen Ableton-Workshop (den gab‘s vorher schon, aber es musste aus bekannten Gründen erstmal ein Umzug vom Westwerk ins IfZ vollzogen werden), bei dem sich Manu engagiert. Techno habe ihm eine neue Welt eröffnet, eine Parallelwelt, in die man sich nicht nur flüchten kann, sondern mit der man etwas erschaffen kann. Dazu habe die Leipziger Feierwelt mit diversen Veranstaltungen, Filmscreenings und Vorträgen dazu geführt, dass er sich mehr mit Chancengleichheit in der Musikszene auseinandersetzt. Das Thema klang auch in dieser Kolumne an, wirkt scheinbar positiv ansteckend.

Berghain oder Bahncard
Einfach weil ich‘s kann, verrate ich euch noch zwei-drei Kleinigkeiten über fragmentiert. Er ist ein richtiges Fangirl von fr. JPLA und tausendschüchtern. Manus größter Traum ist übrigens nicht im Berghain zu spielen (das ist Platz 2), sondern mit einer Bahncard 100 alle Bahnhöfe Deutschlands zu bereisen. Kein Scherz, er liebt Bahnhöfe, Schienen, Züge, Tunnel, es fehlt ihm nur die Modelleisenbahn, um den Spleen so richtig perfekt zu machen.

Schlusswort
Und … und was war‘s jetzt? Ja schon, aber noch nicht ganz. Es wird keine neuen Ausgaben der Afterhour geben; es bleibt bei diesen zwölf zufällig, nicht so zufällig und überzufällig ausgewählten Menschen, die ihrerseits (meine) Fragmente der Nacht abbilden. Einzelne Menschen wurden beleuchtet, nicht weil sie repräsentativ für die Leipziger Feierszene sind, denn vielleicht sind sie das, vielleicht nicht – es sind zwölf Individuen, die am Nachtleben teilhaben, auf die ein oder andere Weise, im Publikum, als Produzent_in, Veranstalter_in, Türsteher_in, Barfrau_mann, Techniker_in, DJ*, etc, etc, etc. Diversität deskriptiv abbilden, das habe ich versucht, ob das alles so geil geworden ist, wie ich mir das dachte, ist natürlich fraglich und möchte und kann ich nicht beantworten.

Wie bei einer guten Hausarbeit für die Uni muss ich im Teil „Limitationen“ noch ein letztes (schnief!) Mal alles auseinanderreißen, um dann zu sagen: Ich gebe das Thema der Forschung frei, erneute, kommende Betrachtung ist notwenig, gewünscht, wird Spaß machen.

Um den Abschied besser zu verkraften, wird es noch etwas Besonderes geben. Zum Abschluss wird die Afterhour gedruckt in ‚A6-Passt-in-die-Bauchtasche-Format‘ in verschiedenen Clubs ausliegen – mit einem exklusiven Illustrationsteil mit den Arbeiten von Simon Guthold und Lea Wegner aka Slinga Illustration. Ein kleines Stück historischer Feierwelt wird also ab Dezember in Leipzig rumgehen.

Das Heftlein ist kostenlos, zum Herumtragen, Lesen, Anschauen und Weitergeben. 100 Stück werden gedruckt, die wir mit einem kleinen Fördermittelbonus finanzieren. Dazu wird es eine Ausstellung am 7.12.2017 im Institut fuer Zukunft geben. Im Rahmen der Channel-Reihe werden die Artworks von Manuel ausgestellt und an diesem Abend könnt ihr euch unser Magazin das erste Mal genauer anschauen & mitnehmen.

Und damit endet die Afterhour, nicht hier im digitalen Web, sondern bei euch, face2face. Wie im real life: Da passieren die wirklichen Sachen, hier wird nur darüber geschrieben.

Es wird noch ein Stückchen länger, denn ich muss noch Danke sagen. Danke an alle Beteiligten der Kolumne, allen voran Henry und Manuel. Danke an alle zwölf Porträtierten, Danke an Simon und Lea für eure Illustrationen. Lena – Danke! – this is for you, meine beste, talentierteste Freundin, du hast den Print erst möglich gemacht. Und Danke an jede_n, die_der die Kolumne liest, gelesen hat und ein Küsschen an all diejenigen, die bis zum Schluss mitgefeiert haben.

Foto (as always) von Henry W. Laurisch und Artwork dieses Mal von Oliver Sommer.

Advent Advent mit R.A.N.D. Muzik

Im letzten Jahr überraschte uns R.A.N.D. Muzik mit exklusiven Tracks und Vinyl-Verlosungen in einem Adventskalender. Auch 2017 gibt es einen.

Heute ist der 1. Dezember, da öffnen sich eine Menge kleine Türchen. Doch statt Schokolade, Spielzeug oder anderem Kram, kann sich dahinter auch Musik verstecken. R.A.N.D. Muzik wird die nächsten 24 Tage jeweils einen unveröffentlichten Track zum Streamen präsentieren. In alphabetischer Reihenfolge sind dabei:

Adel Akram, Biased, Carmel, Consulate, Cow Cablin, Dj Chimalena, EBS, Falke, Feineinspeiser, Hedon the Cat, Guy Contact, Juliane Moll, Markus Malur, Natalie Luengo, Nikita von Tiraspol, Peacy Peus, Schönfeld, Senate, Shy Time, Tim Schlockermann, The Same Ones, Triangle Iliman, Tsorn, Two Tone

Außerdem sind immer wieder Vinyl-Verlosungen geplant – dran bleiben lohnt sich also. Und er wissen möchte, was R.A.N.D. Muzik selbst in den letzten Wochen veröffentlicht hat, klickt am besten hier.

Autumn Backstock 2017 #1

Ein Dutzend EPs sind im bisherigen Herbst von Leipziger Labels und Acts veröffentlicht worden. Mit vielen guten Tracks – wir haben uns durch die Platten der fünf aktivsten Labels gehört.

Aktiv heißt, dass die Labels in den letzten Wochen gleich zwei neue Releases veröffentlicht haben. Und besonders aktiv waren: Riotvan, R.A.N.D. Muzik, Rat Life Records, A Friend In Need und Ortloff. Here I go.

Llewellyn „The Other Side Of You“ (Riotvan)

Riotvan-Platten sind immer erfreulich. Vor allem wegen ihrer unaufdringlich positiven Vibes. „The Other Side Of You“ sorgte aber für einen Tick mehr Euphorie, denn es ist die erste komplette EP von Llewellyn, dem Nebenprojekt von Lake People. Bisher war er unter diesem Namen nur auf diversen Compilations vertreten.

In dem kompakten EP-Format wird der musikalische Llewellyn-Rahmen noch einmal deutlicher. Es geht um House mit leichter Disco-Patina. Da formen sich aus den Synths eingängige Melodien heraus, ergänzt um verspielte Piano-Spuren bei „Again & Again“. Und auch die Beats klingen bewusst simpler und trockener angelegt.

Doch anders als beim Disco-Appeal bei Rose Records, schimmert bei Llewellyn immer eine gewisse Melancholie mit. Es ist kein purer, grenzenloser Hedonismus, es ist eher ein beseeltes Innehalten. Das verleiht den Tracks trotz aller Eingängigkeit eine erhabene Tiefgründigkeit.

Jennifer Touch „Feeling C Remixes“ (Riotvan)

Dass dies auch für die Remixe von Llewellyn gilt, ist auf der jüngsten Riotvan-EP zu hören. Sie ruft mit fünf Remixen noch einmal die wunderbare „Feeling C“-EP von Jennifer Touch aus dem letzten Jahr hervor. Llewellyn strafft „Wordless“ hier sehr schön zu einem 80s-Pop-Song, inklusive dem Wechselspiel aus Kühle und Exaltiertheit.

Den düsteren Grundsound von Jennifer Touch lässt Llewellyn unberührt, wie auch Chinaski und Curses. Wobei letztere die versteckten Industrial-Einflüsse der Originale viel stärker betonen. Panthera Krause glättet dagegen mehr, indem er die hell klingenden Streicher in den Mittelpunkt rückt. Beides hat seinen Reiz.

Auch Jennifer Touch hatte offenbar Lust, einen ihrer Tracks eine neue Nuance zu geben. „No One“ klingt im „Michigan Mix“ selbstbewusster und poppiger, ohne die schwerfällige, leicht obskure Atmosphäre des Originals. Ein Gewinn auf jeden Fall.

QY „4 / American“ (R.A.N.D. Muzik)

R.A.N.D. Muzik hat scheinbar nachhaltig Freude daran gefunden, eigene Platten zu veröffentlichen. Nach der Picture-Disc-Compilation im Sommer folgte im frühen Herbst eine 10″ mit zwei Tracks von QY. Und das ist umso erfreulicher, da sich das Leipziger Duo zuletzt immer mehr vom Feel Good-Deep House weg in breakigere Gefilde entwickelt hat. Bei „4“ kommt dies auch zum Tragen. Ein House-Electro-Hybrid, der mit seinen kickenden, gebrochenen Bassdrums und der verschlungenen Deepness großes Anziehungspotential in sich birgt.

„American“ ist da etwas geradliniger, aber in eine angenehme Dub-Schwere eingebettet. Aus dem Off tauchen klassischen Deep House-Chords auf, aber der dusty Sound raut alles ganz dezent an. Kann es nicht mehr QY-Tracks geben?

Various Artists „RM12001“ (R.A.N.D. Muzik)

Eine weitere R.A.N.D. Muzik-Platte vereinte wieder mehrere Künstler auf zwei Vinyl-Seiten. Alle kommen aus Leipzig und alle arbeiten auf unterschiedliche Weise mit analogen Sounds. Yuyay Records-Betreiber Robyrt Hecht kooperierte mit XY0815 – den wir vor drei Jahren mitentdeckt haben – und belebt einmal mehr den federnd-crispen Electro-Sound. In dem Feld bewegt sich auch Varum, allerdings gleichermaßen treibender und melodischer.

Und auch Perm ist auf „RM12001“ abseits der Techno-Hypnose zu erleben. Sein „All“ – übrigens der erste betitelte Track von ihm – wandelt sich vom reduzierten Techno- zum Electro-Track mit Acid-Einschlag. Doch selbst in diesem neuen Kontext schafft es Perm, seinen hypnotischen Vibe zu integrieren.

Ein Lächeln zaubert schließlich Credit 00 mit „On Hold“ auf diese Compilation. Sein Electro-Entwurf öffnet mit super verspieltem Funk die Herzen und holt Electro aus dem dunklen Keller heraus. Damit zeigt „RM12001“, welche Vielfalt im manchmal sehr stereotypisch bespieltem Oldschool-Electro eigentlich steckt. Super Artwork übrigens auch.

One Day In Metropia „Rat Life 11“ (Rat Life Records)

Credit 00 ließ uns in diesem Herbst noch auf andere Weise lächeln. Denn Rat Life, das von ihm kuratierte Sublabel von Uncanny Valley, brachte zwei neue EPs heraus. Eine davon ist die Ausgrabung einer Handvoll Tracks, die vor rund zehn Jahren live im Dresdner Elektronik-Underground kursierten. Und sie passen heute perfekt in das aktuelle Revival des klassischen Electro-Sounds.

One Day In Metropia bewegt sich im schrofferen Bereich des Electro, mit packenden Beats, scharfen Synths und schnarrenden Basslines. Dazu gibt es klassische Chords bei „Solaris“. Am interessantesten sind aber „Terminal 1c“ und „Static Dynamic In The Stratosphere“ – letzterer, weil es mit seinen beißenden Synthwirren und dem verstockten, immer wieder entgleitenden Beat eine durchaus andere Note in die bekannte Electro-Welt bringt. „Terminal 1c“ klingt dagegen mit der super prägnanten Melodie wie ein echter Classic. Und möglicherweise ist er das in der Electro-Szene auch, 2010 wurde das Stück schon einmal beim Dresdner Netlabel Phonocake veröffentlicht wurde.

Credit 00 verewigt sich auf dieser EP auch. Er remixt einen Track namens „Homeless“. Super trocken schnarrend und mit ebenso trockenem Drumming. Da braucht es keinen Staublappen zu Hause mehr.

Cuthead „Big Time“ (Rat Life Records)

Für mehr Überraschung sorgte aber die zwölfte Rat Life. Denn mit Cuthead hätte ich bisher nicht auf diesem Label gerechnet, immerhin steht Rat Life schon für roughe, lofi-eske Sounds. Cuthead dagegen für House- und HipHop-Brücken mit viel Jazz- und Soul-Anleihen. Scheinbar hatte er darauf aber keine Lust und so entstanden einige erfrischend reduzierte Tracks zwischen Electro und Lofi-House.

Die oftmals so entwaffnende Cuthead-Leichtigkeit kommt aber weiterhin durch. Und genau das macht die Tracks so hörenswert. „Big Time“ und „Headspin“ bringen beispielsweise Funk in den kalten Electro hinein. „5 Hard“ scheppert dazwischen mit herrlich übersteuerten House-Beats und einer simpel eindringlichen Melodie. Dagegen gerät „Watfast“ mit seiner finsteren, alles einnehmenden Acid-Modulation auf eine eigenwillige Rave-Bahn. Diese EP ist ein im besten Sinne gelungener Ausbruch aus dem bisherigen Cuthead-Rahmen.

Antonio „Hazzze / Paranoia / Trigger 2“ (Ortloff)

Damit zu Ortloff. Das Label befindet sich seit rund einem Jahr in einer interessanten Transformationsphase, weg vom deepen House hin zu schroffem Electro. Der Italiener Antonio brachte diesen neuen Weg kürzlich auf den vorläufigen Höhepunkt, indem er drei peitschende und übersteuert rau klingende Techno- und Electro-Tracks lieferte. Richtig verrückt wird es mit »Trigger 2«, einem elf Minuten langen Electro-Gemetzel, das sich mit klirrenden Synth-Sounds und hektischen Beats in Mark und Hirn reinfrisst. Ein herrlich gewagtes Stück, mit dem sich ein Dancefloor entweder sprengen oder zur komplett Ekstase bringen lässt.

„Paranoia“ und „Hazzze“ docken rhythmisch und atmosphärisch am Industrial an, nur bleiben hier das Dark-Wave-Pathos draußen. Erfreulicherweise. Wie auch die gesamte EP.

Bad Penny „Night Will Come“ (Ortloff)

Eine ganz andere Tür öffnete Ortloff mit der letzten EP. Bad Penny, das ist die Grafikerin Marcea Decker aus New York, die mit „Night Will Come“ erstmals musikalisch in Erscheinung tritt. Die 7″ ist geprägt von zwei- bis dreiminütigen Songs in einem unterkühlten Wave-Post-Punk-Setting. Zu minimalistischer und simpler analoger Elektronik singt Marcea Decker mit dunklem Timbre Geschichten über die Abgründe ihrer Heimat. Ästhetisch ist das gar nicht weit vom dystopischen Sign Bit Zero-Sound.

Rowvn „Memory Lane“ (A Friend In Need)

Das letzte fleißige Label in dieser Backstock-Übersicht ist A Friend In Need. Überhaupt gibt es gerade kein anderes Leipziger Label – außer Moon Harbour – dass so regelmäßig neue Musik veröffentlicht, auch den gesamten Sommer hindurch. Für Rowvn aus Köln ist es die erste komplett eigene EP. Und die klingt durchaus sehr eigen mit ihrem ebenso tighten wie filigranen, freundlichen und überaus musikalischen House. Besonders „Is It Real“ hat es mir mit den ungewohnt verdichteten, blechernen Beats angetan.

Doch auch bei „Feels“ und „Trip Down Memory Lane“ bleibe ich durch den Kontrast von kickender Bassdrum, super sanfter Flächenchords und einer gewissen Verspieltheit hängen. Irgendwie geht hier vieles auf, was ich an House mag.

Various Artists „Leipzig Only 3“ (A Friend In Need)

Ganz frisch draußen ist der dritte Teil der „Leipzig Only“-Reihe, die, wie der Name es andeutet, ausschließlich Leipziger Acts featuret. Darunter wieder Blinds und A Friend In Need-Betreiber Lootbeg sowie Nova Casa. AEZKVLAP hatte ich bislang nicht auf dem Schirm, doch „Ande“ überzeugt gleich durch die sich zuspitzende Verschmelzung aus Deepness und Acid-Rauheit.

Blinds und Nova Casa sind mittendrin im Lofi-House-Hype, dessen matschige Ästhetik bislang aber nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat. Lootbeg wiederum bewegt sich mit „Sorry Wrong Chat“ sehr straight und stromlinienförmig an den Übergang zum Techno, inklusive raumgreifender Synths und einer gewissen Dramatik. A Friend In Need hat gerade einen sehr erfreulichen Lauf.

Two Play To Play – Auftakt – Interview mit Martin Kohlstedt

Klassik und freie Szene, U und E – die neue Reihe „Two Play To Play“ möchte Brücken schlagen und bringt Musiker aus verschiedenen Sphären zusammen. Wir begleiten das Projekt und haben einführend mit Martin Kohlstedt gesprochen.

Bisher brachte die Audio Invasion neue Perspektiven aus Pop und Elektronik ins Gewandhaus. Doch das Kuratorenteam dahinter wollte einen neuen Raum für den gegenseitigen Austausch schaffen, der länger als eine Nacht anhält. So etwas lässt sich jedoch nicht von Heute auf Morgen planen, vor vier Jahren keimte die Idee auf, dann wurde sie in den auf Jahre hinaus geplanten Gewandhaus-Kalender eingetaktet.

In dieser Spielzeit ist es nun soweit: „Two Play To Play“ geht in die erste Runde. Die Reihe bringt Musikerinnen und Musiker des Gewandhauses und der freien Szene zusammen und lässt sie gemeinsam ein Stück entwickeln, das am Ende uraufgeführt wird. Das erste Experiment wagen der GewandhausChor mit seinem künstlerischer Leiter Gregor Meyer sowie der in Weimar lebende Pianist Martin Kohlstedt.

Das Clash-Setting ist durchaus spannend: Hier ein semiprofessioneller Chor mit langer Tradition und einem experimentierfreudigen Leiter, dort ein emotional improvisierender Solitär, der vor wenigen Tagen erst sein drittes Album „Strom“ veröffentlicht hat. Was für Reibungen und Überschneidungen solch eine Zusammenarbeit erzeugen kann, lässt sich jederzeit mitverfolgen. Die Reihe ist keine Blackbox – mit einem Blog, öffentlichen Proben und einem Künstlergespräch auf der Bühne ist das Publikum nahe an der Entwicklung dran.

Und auch wir sind dabei: frohfroh ist Medienpartner von „Two Play To Play“ und begleitet die Reihe über die gesamte erste Spielzeit. Wir sind bei den öffentlichen Proben dabei und berichten natürlich auch von der Uraufführung am 8. Juni 2018. Zum Auftakt haben wir mit Martin Kohlstedt gesprochen.Kam die Anfrage aus dem Gewandhaus für dich überraschend – oder gab es schon einmal Berührungspunkte mit einer Institution der klassischen Musik?

Überraschend ist das richtige Wort. Ich fühlte mich erstmal wie vor einem weißen Blatt Papier, als die Anfrage kam. Ich konnte mir auf Anhieb viel vorstellen und auch ganz viel nicht. Ich war erstmal hin und her geworfen und wusste gleichzeitig, was es wohl für eine Arbeit wird, wenn ein intuitiver Kopf auf die hoch perfektionierte Klassik trifft. Wie das miteinander reagieren kann – ob es das will. Es ist ein sehr schöner Moment gewesen, als ich Gregor kennenlernen durfte. Er hat mich in Weimar besucht und da war alles ziemlich schnell auf einem guten Kurs, weil ich gemerkt habe, dass der Gewandhauschorleiter ein eigenes Vokabular hat, bei dem auch ich mit meiner intuitiven Art anknüpfen kann. Da wurde die perfekte Brücke zwischen mir und dem gesamten Chor geschlagen.

Es gab also noch keine Zusammenarbeit mit anderen Häusern oder Ensembles?

Ich habe natürlich schon in vielen klassischen Häusern gespielt, wahrscheinlich einfach aus dem Grund, weil ich am Piano sitze. Und da haben sich schon viele solche Cross-over-Geschichten – wenn man das mal so hässlich ausdrücken darf – ergeben. Aber es gab tatsächlich noch nicht den richtigen Ansatz. Im Iran habe ich schon einmal gemeinsam mit klassischen Komponisten gespielt, aber die Arbeit mit einem Chor war bisher nur ein filmmusikalischer Traum.

Wie war das Gefühl, als das Gewandhaus anfragte – war da auch eine erdrückende Ehrfurcht dabei?

Ich habe es eigentlich als Ehre empfunden. Ich war sehr glücklich, dass ich dafür ausgewählt wurde. Vor zwei Jahren hatte ich zur Audio Invasion im Hauptsaal gespielt – scheinbar hat das etwas hinterlassen, so dass dieser Gedanke zustande kam, gemeinsam das Publikum vom Gewandhaus ein Stückweit zu verjüngen. Man liefert quasi das Symbol zwischen den Welten und das fand ich ganz schön.Es gibt zur „Two Play To Play“-Reihe einen Blog, der eure Stationen dokumentiert. Im Interview nach dem ersten Treffen mit Gregor meintest du, dass du froh warst, dass du bei ihm nicht erst „klassische Betonwände“ einreißen musstest. Was sind für dich „klassische Betonwände“?

Man muss schon sagen, dass der allgemeine Klassiker ein wahnsinnig perfektionierter Handwerker ist, der in einem hierarchischen, oft auch unfreien System abliefern muss. Das ist keine Haltung von mir, das ist die harte Linie des Klassikers, um in täglicher Übung auf den perfekten Punkt hinzuarbeiten. Ich kultiviere genau das Gegenteil und das kann natürlich nur Reibung erzeugen. Ich versuche absichtlich zu vergessen, worum es beim Musikmachen geht und lasse es live völlig improvisiert aufeinander klatschen, spiele teilweise bis hin zum Unsauberen und versuche das Scheitern zu provozieren.

„Klar, da gab es Bedenken – und die gibt es immer noch.“

Mal sehen wie es ist, das erste Mal gemeinsam in der Chorprobe zu stehen. Mit Gregor selbst war es bisher eine total schöne Sache. Wir haben uns von Anfang an auf Augenhöhe erwischt und geben Fifty-Fifty in das Projekt hinein. Fifty-Fifty Partituren und Freiheit klatschen aufeinander. Wir sind guter Dinge, aber es sind trotzdem noch 70 Menschen daran beteiligt, die ausführen – und da bin echt gespannt, wie das funktioniert.

Bisher gab es nur die Konzeptionstreffen mit Gregor oder hast du auch schon mit dem Chor sprechen können?

Es gab noch kein privates Sprechen mit dem Chor, ich habe ihn live im Gewandhaus gesehen und mich von diesem Bild erdrücken lassen und die Ehrfurcht in mich hineinfließen lassen. Im Dezember werden wir sicherlich das erste Mal aufeinandertreffen. Gregor und ich wollten vorher aber erstmal eine gemeinsame Richtung entwerfen und mit einer Attitüde auftreten, damit das nicht im Sande verläuft. So schnell kommen 70 Leute ja nicht auf einen Punkt.Du arbeitest eher intuitiv und aus Emotionen heraus, der Gewandhauschor braucht dagegen viel Struktur – wie gehst du aktuell in der Konzeption damit um? Wie lässt sich das vereinbaren?

Die Arbeit besteht genau darin, wie man die Partituren so schreiben kann, dass es Formeln mit offenen Variablen sind. Ich hatte den Wunsch, dass man live fühlt, wie lange sich etwas gut anfühlt und wann man in den nächsten Part übergeht. Gregor und ich werden auf der Bühne viel kommunizieren müssen, damit das gut geht.

Wir haben schon viele Stücke von mir mit seinen Ideen verwoben und auch andersherum. Wir lassen teilweise auch ganz intuitive Flächen entstehen. Zum Beispiel Sprachexperimente, wir haben vor, dass es für den Chor freie Aufgaben geben soll. Jeder flüstert dann etwas, was er für richtig hält und dann klingt das wie ein Wind oder ein Meer. Wir versuchen, ein paar Grenzen auszuloten und schauen, was passiert.

Experiment wäre das falsche Wort, weil wir es schon zu einer durchdachten Sache bauen, aber momentan wird noch viel experimentiert. Das ist schön zu sehen, was da gelingen kann und gleichzeitig sagt Gregor: Spiel das doch mal fünfmal hintereinander und dann merke ich, wie sich mein Gehirn dagegen wehrt, weil es die ganze Zeit nach Freiheit strebt. Aber auch andersherum, wenn ich dann meine: Gregor, mach dich doch mal locker, lass das mal laufen. Mit 70 Personen wird das natürlich noch eine ganz andere Aufgabe sein. Aber wir versuchen zu schauen, was in der verfügbaren Zeit an Kompromiss und Improvisation möglich ist.

Es ist auch ein Musterprojekt für die Kompromissbereitschaft. Wie kann man die Balance zwischen Kompromiss und künstlerischen Reibungen halten, ohne dass es auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinausläuft, der dann vielleicht gar nicht so spannend ist?

Bei 90 Prozent aller mathematisch konzipierten, rational perfekten klassischen Chöre ist es wahrscheinlich so, dass es nicht viel zu ruckeln gibt. Jetzt habe ich glücklicherweise Gregor Meyer gefunden, ein Mensch, der es irgendwie geschafft hat, auf der einen Seite, genau das wie der Hirte anzuleiten und zugleich ein normales zeitgeistiges Vokabular zu pflegen mit der man auch diese Offenheit nutzen kann. Und mit dem man bestimmte Dinge ausprobieren und der auch ein bisschen mitscheitern kann. Das ist personenbedingt, der Chorleiter ist dabei einfach eine wichtige Position zwischen mir und dem Chor.Kannst du aus dem bisherigen Verlauf abschätzen, was dich aus der Klassik so inspiriert, dass du es für deine künftige Arbeit vielleicht selbst aufgreifst?

Was ich an der festen Notenform schon immer faszinierend fand, ist die extreme Verlässlichkeit, die damit einhergeht. Ich fahre eigentlich immer wie ein Irrer mit einem Bus und lenke das Ding von links nach rechts und das kann auch mal in den Graben fahren. Aber wenn feststeht, in welcher Form ich zu spielen habe und ich das auswendig wiedergeben kann, dann ist da viel Unterbewusstsein aktiv. Die Hände wissen in dem Moment sowieso was sie tun sollen. Und dieser automatische Ansatz es wiederzugeben, ist eine ganz andere Perspektive auf die Musik. Da hat sich vorher schon jemand Gedanken darüber gemacht. Ich muss nicht mehr ins kalte Wasser und kann ganz penibel auf gewisse Dinge in der Wiederholung achten.

Manchmal bin ich dadurch etwas rausgezoomter. Ich finde, gerade dieser Wechsel zwischen dem tief eintauchen und rauszoomen hat eine richtige Sucht hervorgerufen. Es macht völlig Sinn, teilweise die Dinge festzuhalten, sie als Floskel wiederzugeben, sie dann aber auch von außen zu betrachten. Wenn man einfach das spielt, was da steht, wird man kurz vom kreativen Irren zum Handwerker und Programmierer. Das ist ein spannender Ansatz gerade für mich, der mich auch fördert.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit bisher vorstellen?

Wir haben die Guides von meiner Seite, das sind vorgebaute Instrumenals, die wir mit in die Proben nehmen werden. Gleichzeitig haben wir auch schon Partiturfetzen, die momentan noch als Patterns oder Legosteine herumliegen, weil die Länge noch nicht feststeht. Dann schauen wir mit der ersten Probe gemeinsam, was für Längen das annehmen kann und ob wir noch unfreier werden müssen, damit das alles aufführbar ist.

„Momentan sind wir guter Dinge, dass wir ein Fifty-Fifty-Verhältnis hinbekommen, aber wir werden sehen. Ich bin schon sehr aufgeregt.“

Du hast vorher mit Marbert Rocel und Karocel in einem Bandkontext gespielt, lässt sich diese Bandzusammenarbeit mit der Arbeit an so einem Projekt vergleichen?

Bei Karocel war sehr viel improvisiert, bei Marbert Rocel sehr viel konzipiert. Das ist vielleicht ein guter Vergleich. Während wir bei Karocel das Laufenlassen gepflegt haben, haben wir bei Marbert Rocel an eine Songstruktur gedacht. Das kann man vielleicht in einer kleineren Dimension auf dieses Projekt übertragen, nur dass es eben noch einmal 600 Kilometer weiter entfernt ist. Die eine Seite bekommt Angst, wenn Freiheit im Spiel ist, die andere Seite bekommt Angst, wenn ein Konstrukt im Spiel ist.

Jetzt nähert man sich und kommuniziert darüber. Es ist nicht so, dass man da blind in dem Feld des anderen ist. Aber allein die Zählweisen: Aus der elektronischen Musik kommen wir mit sehr geraden Zählzeiten, die Klassik kommt dagegen mit runden Zählzeiten. Allein das ist schon sehr anders. Aber es ist richtig: In einer Band ist dieses aufeinander Achten und Kommunizieren auch vorhanden.

Du spielst dieses Jahr wieder auf der Audio Invasion, der Auftritt markiert als Porträtkonzert den öffentlichen Beginn des Projektes. Bereitest du dich auf das Konzert noch einmal anders vor, als bei den sonstigen Auftritten?

Das neue Album „Strom“ spielt natürlich eine große Rolle. Seitdem ich nun auch die elektronischen Instrumente auf meinen Aufnahmen pflege, hat es auf jeden Fall noch einen neuen Ansatz bekommen. Es gibt nicht mehr nur dieses eine Universum Klavier für mich, sondern ich habe es ausgeweitet. Bei der Audio Invasion werde ich mich noch einmal im kompletten Alleingang vorstellen. Ich bin morgens 1 Uhr im Hauptsaal und kann den dann langsam auffüllen. Und vielleicht sitzen mir auch schon ein paar der Chorleute vor mir und ich kann mich ihnen damit vorstellen.


„Two Play To Play“ – Termine 2017/2018:

25. November 2017 – Porträtkonzert Martin Kohlstedt im Rahmen der Audio Invasion
12. Dezember 2017 – Gespräch Gregor Meyer & Martin Kohlstedt
24. Januar 2018 – Öffentliche Probe, Gewandhaus Chorprobensaal
14. März 2018 – Öffentliche Probe, Gewandhaus Chorprobensaal
11. April 2018 –Öffentliche Probe, Gewandhaus Chorprobensaal
6. Mai 2018 – Konzert im öffentlichen Raum
8. Juni 2018 – Uraufführung, Gewandhaus Mendelssohn-Saal


Foto-Credits: Patrick Richter (Bild Martin Kohlstedt), Christian Rothe (Bilder Gregor Meyer und Martin Kohlstedt), Karen Laube (Gewandhaus, Großer Saal)

Behind the nights – Patchworx

Eigentlich wollte Rebecca schon vor einem halben Jahr die Patchworx-Reihe vorstellen. Doch zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, wann es weitergeht. Nun geht es endlich weiter – in Form der sechsten großen Party unter dem Credo „All in together now“. Für uns Anlass, die beiden Macher vorzustellen.

Tobi und Fabian haben sich durchs Auflegen kennengelernt. Dubstep stand damals im Mittelpunkt und die lokale Szene war – ähnlich wie heute – so überschaubar, dass man sich zwangsläufig über den Weg laufen musste. Da gab es eben diesen einen Plattenladen auf der Feinkost, in dem sich alle tummelten.

So kam es, dass der eine mal beim anderen auf der Party gespielt hat. Der Kontakt hat sich gehalten. Beide haben über die Jahre viele Kontakte gepflegt oder neu geknüpft. Das spiegelt sich seit zwei Jahren auch in dem Line-up ihrer Partys wider. Ich meine, wer sonst kann von sich behaupten, dass bei seiner ersten Party Onetake, fr. Jpla, Rekorder, Pork Four und Robyrt Hecht zusammen gespielt haben?

Das ist ein Potpourri aus Labels, Clubs und Crews, das man so in Leipzig nicht alle Tage zu sehen bekommt. Moment mal, habe ich Potpourri gesagt? Ich meinte natürlich ein Patchwork. Genau das ist nämlich ihr Konzept. Gute, nette DJs einzuladen, die auf den ersten Blick, also crew-mäßig nichts gemein haben.

Doch ein gemeinsamer Background ist sicher: und zwar der persönliche Kontakt zu Tobi und Fabian. Wenn man sich, wie die beiden, über Jahre in der Clubkultur einer Stadt wie Leipzig bewegt, dabei noch offen und freundlich ist, dann lernt man offensichtlich verdammt viele Leute kennen. Da wundert es mich auch nicht mehr, dass das vermeintlich junge Veranstalterduo – die erste Patchworx-Party war 2015 – eigentlich schon jetzt die Crème de la crème der Leipziger Techno-Schule durchgebucht hat.Damit heben sie sich auch von anderen Partycrews ab, die in der Regel ihren eigenen DJ-Stock haben und möglicherweise auch aus dem Grund Partys veranstalten, um selbst auflegen zu können. Das ist den beiden gar zuwider und sie betonen, dass „wir nur auf unseren eigenen Parties spielen, um die ersten paar Stunden zu überbrücken. Damit wir nicht extra noch jemanden einladen müssen, obwohl klar ist, dass der dann vor einem leeren Laden spielen wird.“

Das bis auf wenige Ausnahmen lokale Booking ist darauf zurückzuführen, dass sie gerne Menschen aus ihrem Bekanntenkreis buchen möchten, die auf dem direkten Wege ansprechbar sind, ohne den unpersönlichen Umweg des Bookers gehen zu müssen.
Das macht Tobi mit ernster Mine klar:

„Wir wollen nur Leute einladen, die wir auch persönlich erreichen können. Wenn das nicht möglich ist, … Pech gehabt.“

Auf wessen Seite das Pech dabei liegt, darf jetzt jeder für sich selbst entscheiden. Abgesehen davon gibt es ja auch eine Menge exzellenter DJs hier, die Fabian und Tobi gern unterstützen und hören möchten.

Ein weiterer Pfeiler des Konzepts sind die wechselnden Locations. Bis auf das Westwerk wurde bisher kein Ort doppelt bespielt. Das ist eine große Herausforderung dieser Tage in Leipzig, wo leider viele Clubs schließen mussten – ihr kennt die Storys. Durch den Mangel an Spielplätzen entstand diesen Sommer eine längere Partypause, die aber bald ein Ende hat.

Soundtechnisch wurden bis jetzt ausschließlich Techno-, Electro- und House-DJs gebucht, wobei Tobi und Fabian betonen, dass sie sich dabei keine bewussten Grenzen gesetzt haben, sondern dass sich das bisher einfach so ergeben habe. Ebenso wie der Fun-Fact, dass bisher alle eingeladenen DJs mit Vinyl gespielt haben, ohne das als Kriterium gesetzt zu haben und ohne die anderen Medien abtun zu wollen. Ob das Zufall ist, sei dahingestellt, so Tobi. Es liege eine besondere Herangehensweise und Qualität in Vinylsets, die man scheinbar raushören könne und die man zu schätzen wisse.

 

Ein fester Bestandteil ihrer Partys sind die Visuals von Doele. Der Videokünstler sorgt für die optische Gestaltung; seine Videozusammenschnitte sind auch gleichzeitig die einzige Lichtquelle für den Dancefloor, was für einen Oldschool-Touch sorgt. Ebenso wie die Rap-Zitate, mit denen teilweise die Veranstaltungen bei Facebook beworben wurden: „Friday night you are about to witness the strength of street knowledge!“, „… at the 36 Chambers of Angerstraße“ oder auch „Tough and punchy – this is how we do it!“

Wer über HipHop, Dubstep und Bassmusik im Allgemeinen, House und Techno zu seinem Status Quo gelangt, der hat viel gesehen und viel aufgesaugt. Tobi und Fabian waren vor Patchworx freilich keine unbeschriebenen Blätter. Anders wäre die hohe Qualität, die sie bieten, auch nicht möglich. Ihre Kontakte zu allen möglichen Menschen und Crews machen sie sich zu Nutze und schaffen es so, bei ihren Partys ein bisschen von allem zu zeigen. Getreu ihrem Motto: „All in together now“.

Die nächste Patchworx könnt ihr am 25.11.17 in der Gießerstraße 16 besuchen. Neben Leia Drex aus Bratislava spielen die Leipziger Perm und Klima sowie Fabian und Tobi selbst. Achja, Tico und Tin sind ihre DJ-Namen.

Yamaoka „Knuckle Ball“ / „December Sky“ (Minor)

Ein Künstler, zwei 7″-Platten, vier Tracks: Ein neues Release des Minor Label ist da. Oder sind es zwei?

Minor steht ja wie kein zweites Label in Leipzig für sehr unkonventionelle elektronische Musik, die auch für Freunde klanglicher Experimente manchmal sehr obskur erscheinen kann. Mit zwei neuen 7″-Singles zeigt Minor diesmal aber seine tanzflächenfreundliche Seite. Verantwortlich ist dafür das Projekt Yamaoka, hinter dem sich Kenichi Oka aus Japan verbirgt. Ein Blick auf die zahlreichen Veröffentlichungen zeigt, dass dieser im DIY-Elektronik-Bereich sehr umtriebig ist.

Die vier Tracks von Yamaoka sind auf die weiße Single „December Sky“ und die blaue Single „Knuckle Ball“ verteilt. Das macht Sinn: Während die beiden Stücke „The Monuments Men“ und „Light Room (Final)“ auf der „December Sky“-Single eine atmosphärische IDM-Leichtigkeit in sich tragen, sind „Sion“ und „Low“ auf „Knuckle Ball“ deutlich technoider und acid-lastiger. Alle vier Stücke wirken wie Fragmente, die sich aus Loops heraus entwickeln, und besitzen ein gewisses Live-Feeling, wobei vor allem „Sion“ und „Low“ ordentlich an Fahrt aufnehmen. Das lädt dann auch sehr dazu ein, mit der Geschwindigkeit der auf 45 RPM geschnittenen Tracks zu spielen.

Ach ja, die Eingangsfrage: Sinnvollerweise sind beide Singles seperat wie auch als Box erhältlich. Clever, denn damit können sich die Freunde des verträumteren Sounds wie auch die Techno-Keller-Kinder an der Musik von Yamaoka erfreuen.

Wer mehr zum Minor Label erfahren mag, dem empfehlen wir unser langes Interview.

Drum and Bass Reloaded

Aua Aua Ü30-Partys. Normalerweise gibt es keinen Grund, darüber zu berichten, außer sie entstehen so authentisch aus einer Underground-Szene heraus, wie bei der Drum and Bass Reloaded-Reihe.

Irgendwie wirkte es wie ein neckischer Spaß als 2013 zum ersten Mal zur Drum and Bass Reloaded-Nacht eingeladen wurde. Da durften von den lokalen DJs nur Tracks aus den Neunzigern und frühen 2000ern gespielt werden. Der Spaß und Zulauf war so enorm, dass sich daraus ein wichtiges jährliches Treffen der Leipziger Breaks-Szene entwickelt hat – auch für die U30-Raver. Doch die Reihe möchte sich nicht mehr nur in der Nostalgie suhlen und vergrößert sich erstmals in Institut fuer Zukunft. Was es damit auf sich hat, erzählen zwei der Veranstalter, Booga und Derrick, im Interview.

Im Techno gibt es übrigens auch Ü30-Partys: so treffen sich die Altraver zum Betreuten Raven oder den Basis-Erinnerungspartys ein bis zweimal im Jahr.

Ihr beide habt mit euren Aktivitäten die Leipziger Drum & Bass- und Jungle-Szene stark mitgeprägt. Wenn ihr auf die letzten Jahrzehnte zurückblickt: Was waren die Höhen und Tiefen in Leipzig? Und wie seht ihr die gegenwärtige Lage in Leipzig?

Booga: Meine Highlights waren ’97 und ’99 Kemistry (r.i.p.) & Storm als Team im Conne Island erleben zu können, 2001 DJ Marky und Stamina MC in der Tangofabrik zu veranstalten, jede Nacht mit Marcus Intalex (r.i.p.) und die Local Crew-Sausen der breaks.org Zeit von 2001-2003. Die Drum and Bass Reloaded Veranstaltung war gewissermaßen auch eine Reaktion auf die seit zehn Jahren merklich abkühlende Landschaft für das Genre. Außerdem sind Ü30-Veranstaltungen bekanntermaßen der Hit, da war eine Oldschool-Drum & Bass-Party überfällig.

Derrick: Da stimme ich Booga zu, auch wenn die vielbeworbenen Ü-30-Veranstaltungen alles andere als der Hit sind. Meine Drum & Bass-Highlights der letzten Jahrzehnte in Leipzig waren die Jungleistic-Rave-Serie im Conne Island Ende der 90er Jahre gefolgt von der Fridaylub-Serie in der Distillery – u.a. mit Dissident Sound aus Marseille.

Dazu auch der DnB Soudclash 2007 im Conne Island, Live-Drum & Bass Events wie Jojo Mayers Nerve 2004, Ulan-Bator-Geburtstage, wie der mit MC TC Izlam, Demolition Man und Dyer, breaks org im Island – die Liste ist lang.

Tiefen für die Leipziger Drum & Bass Szene sah ich in der Vergangenheit vor allem im Location-Mangel. Über einige Jahre hinweg gab es weniger als drei Locations, die sich für diesen Sound eigneten. Auch die Qualität der Anlagen fand ich lange Zeit ungenügend. Eine PA, die für House, Techno oder Bandmusik funktioniert, ist selten für Subbässe, wie sie Drum & Bass oder Dubstep strapazieren, geeignet.

Glücklicherweise hat sich beides in den letzten fünf Jahren verbessert. Es gibt spannende neue und reaktivierte alte Locations.

Und dass Bass-Musik vom Abbilden tiefer Bässe lebt, ist bei den meisten Soundtechnikern der Stadt auch angekommen.

Mehr noch: Eigenständige Soundsystem-Crews wie Plug Dub, Bssmssg, 2 Guys 1 Dub oder Bass Culture Audio gestalten Leipzigs Bass-Musik-Szene aktiv mit. Da wird viel Zeit, Geld aber vor allem Liebe zum Sound investiert.

Der Hype um Drum & Bass, wie wir es Ende der 90er bis Anfang 2000 erlebt haben, ist vorbei. Doch die Leipziger Bassmusik-Szene ist mit vielen neuen und einigen alten Bassheadz nach wie vor sehr aktiv und engagiert.Mit Juke, Footwork und Halfstep liegen die wesentlichen neuen Einflüsse im Uptempo-Bereich ja auch schon wieder ein paar Jahre zurück. Wo finden aus eurer Sicht derzeit die spannendsten Entwicklungen statt?

Booga: Vor der Haustür geht es los: Alphacut, Break The Surface, Boundless Beatz, Junglelivity, Defrostatica – das sind Labels, die sich kümmern und für Talente sehr offen sind und auch inhaltlich die Bandbreite von Drum& Bass aufzeigen. Auf Crew-Seite gibt es mit 2 Guys 1 Dub, Dub Logic, EaseUp und BreakOut gewissermaßen die zweite Generation.

Das gilt auch für die Veranstalterseite: Dark Drum & Bass Convention, die legendäre Bassmæssage, die 3Takter-Partys, die Impact-Reihe, die Defrostatica-Nächte, die Global Space Odyssey – nur um einige zu nennen. Wenn man da hingeht, bekommt man sehr viele spannende Entwicklungen mit.

Derrick: Für Leipzig stimme ich dem zu was Booga sagt. Was die spannendsten Style-Entwicklung angeht finde ich aktuell Releases von Labels wie Cosmic Bridge, Metalheadz, Amar und von Künstlern wie Amit, Dub Phizix, Kabuki, DJ Madd, Om Unit oder J:Kenzo spannend. Zwischen 160 und 170 BPM passiert produktionstechnisch in Sachen Bassmusik im Moment einiges.

Drum & Bass Reloaded wird diesmal im IfZ statt im Conne Island zu Gast sein. Wie kam es dazu und was wird den Besucher erwarten?

Booga: Im Kern ist Drum and Bass Reloaded ein erfahrener und liebevoller Blick zurück auf fantastische Hymnen und unterschätzt-rotzige Banger aus allen Spielarten von Amen über Jungle bis Tech-Step seit Beginn der frühen ’90er.

Wir haben die Drum and Bass Reloaded-Idee verfolgt, weil es in meiner Generation und auch in der nächsten Generation viele Menschen gibt, die großen Bock auf Klassiker über eine dicken Anlage haben. Das Format gab es so noch nicht und die Leute aus den alten Crews Ulan Bator, Rolling Sounds, Alphacut, Repertoire und Cuba Crew haben dann einfach 2013 losgelegt.

Konnte ja keiner ahnen, dass das publikumsmäßig so einschlagen würde.

Der Grund für den Location-Wechsel ist die seit langem gewünschte Erweiterung des Oldschool-Konzepts um neuere Drum and Bass-Musik. Wir können im IfZ drei Floors nutzen. Auf dem großen Floor wird das Kernkonzept mit Oldschool Drum & Bass fortgeführt.

Nun wollen wir aber auch die Chance nutzen, die Oldschool-Aficionados auf neue, geile Entwicklungen im Drum & Bass aufmerksam zu machen. Eine Konzeptaufweichung Oldschool und Newschool auf einem Floor schien uns keine gute Idee dafür. Also haben wir uns umgeschaut und mit dem IfZ einen Partner gefunden, der neben dem Oldschool-Floor einen weiteren Floor für aktuellen Drum & Bass und noch einen Barfloor für Breakbeat-Tunes mit weiterem Tempospektrum bieten konnte.

Derrick: So ist es. Das IfZ verfügt auf dem Hauptfloor außerdem über eines der besten Soundsyteme Leipzigs. Das Kirsch-Audiosystem macht richtig Bass aka Spass. Wer immer schon mal herausfinden wollte, wie 20 Jahre alte Oldscool-Jungle-Basslines sich 2017 auf einem High-End-Soundsystem anfühlen – am 21.11. ist Eure Chance.Vier Jahre Drum & Bass Reloaded: Gab es besondere Momente, die euch in Erinnerung geblieben sind? Oder bestimmte Tunes, die immer noch Gänsehaut erzeugen?



Booga: Vor zwei Jahren haben CFM und Francis ein Back-to-back-Set gespielt, das von der Auswahl der Tunes und dem Aufbau des Mixes dramaturgisch komplett auf den Punkt war – die haben hart mit meinen Gefühlen gespielt.

Eine Mischung aus „ich will einen Rewind“ und „um Himmelswillen, lass die einfach immer weiter spielen“. Dann gibt es Full Contact, zu dem gehört quasi Bill Rileys „Closing In“, keiner mixt wie Derrick Ganja Kru „Super Sharp Shooter“ und ich habe eine böse Schwäche für John Bs „Pressure“. Ich bin sehr gespannt, wie die ganzen Leute auf die IfZ-Anlage reagieren werden und welche neuen Hits auf dem Newschool-Floor entstehen. Lasst uns das mal rausfinden.

Derrick: Besondere Reloaded-Momente gab es so viele wie DJs und Reloads. Besonders erinnere ich mich aber an die Freude zu sehen, wie sich Soundkultur in Leipzig entwickelt hat. Nämlich wenn „alte“ Drum & Bass-Fans (30+) mit jungen Ravern und Bassheadz gemeinsam feiern. Die Energie und Euphorie aus der Golden Era des Drum & Bass kam zurück auf die Tanzfläche – Reloaded!

Außerdem: 2016 um 23:30Uhr – die 100Meter-Menschenschlange im strömenden Regen vor dem Conne Island. Meine perönlichen Gänsehaut-Tunes nach wie vor sind: „Can’t Punish Me“ von Dom & Roland und natürlich „Beneath The Mask“ von  Makai alias Kabuki & Mainframe.


Drum and Bass Reloaded 2017 / 21.11.2017 / Institut fuer Zukunft

Oldschool Floor
MCs: Amon & Phowa

Snoopy / Ulan Bator
Malcolm / Downtown Lyrics
Audite / Boundless Beatz
CFM / Repertoire
Derrick / Ulan Bator
Full Contact / Downtown Lyrics
Tronic / Nasdia

Future Floor – DnB Zeitgeist

Mary J / XXX
2 Guys 1 Dub
Heatwave / Dublogic
Madera / VariFocus
Booga / Defrostatica
Conscious Mind / ease up
Plastiks / Blackhill Production

Breakbeat floor – Wurzeln & Ausläufer

Tina / Kords + Kajal
Donis / Ilses Erika

Jimmi Hendrik „Tausendsassa“ (Ascending Branch)

Sweet Reissue – die „Tausendsassa“-EP holt die dancefloor-bekannte Perle „Acerbic Sweetness“ mit Lovestory-Attitüde wieder hervor.

2013 war der Track „Acerbic Sweetness“ bereits auf „Snappy Bizzness“ zu hören. Damals erschien die EP auf „Freude am Tanzen“ – damals als Jimmi Hendrik auch noch als Resident im Club Zooma Plauen verortet war. Vier Jahre später, längst angekommen in seiner geliebten Wahlheimat Leipzig hat es der Track wieder auf eine EP geschafft. Seine neue Platte „Tausendsassa“ erschien im Oktober auf dem Leipziger Label Ascending Branch.

„Acerbic Sweetness“ startet melodisch und verträumt, dennoch mit konsequenten, fordernden Beats. Dabei kommt der Track recht schnell zum Höhepunkt im Disco-Feeling, harmonisierend aus anmutigen Vocals und Jazzelementen, die von Claps angetrieben auf einem intensiven Level bleiben.

Der Remix von Kleinschmager Audio kommt mit klassischer Bassline, treibend, aber unaufgeregt daher und behält die Stimmung des Tracks bei, wenn auch geglättet.

Wild, aber nicht wirr erscheint „Groove Head“ auf der B-Seite. Eine facettenreiche Bassline entzieht sich dem Versuch jeglicher Klassifizierung, ohne dabei divergent zu wirken. Die aufgeladenen, pulsierenden Beats treiben unweigerlich auf den Floor. Gleichzeitig beruhigen wiederkehrende Jazzelemente und sorgen für Harmonie. Ein Song, der im Kopf funktioniert, dort auch bleibt und dem All-time favourite der A-Seite in nichts nachsteht, ja sogar etwas dessen disco-flavoured Show stiehlt.

„Under Your Spell“ setzt der anfänglichen Romantik dann doch rapide ein Ende. Eine bedrohliche Bassline trifft in einem breitgefassten Wechselspiel auf leichten Techhouse-Beat – Drama at it’s best in gewagten Dimensionen.

Insgesamt changiert die Platte zwischen Disco-House-Tunes und Acid-Einflüsssen und spielt direkt auf dem Dancefloor mit einer intensiv treibenden, romantischen A-Seite und einer wilden, dramatischen B-Seite. Trotz der Diversität entsteht ein harmonisches Spiel von Hochgefühlen mit Liebe zur Komplexität.

Dissonant Counterpoint – Diana Policarpo

Um Kunst geht es bei frohfroh fast nie. Obwohl es durchaus spannende, klangliche Überschneidungen gibt. Beispielsweise bei Diana Policarpo – sie beschäftigt sich in ihrer neuen Ausstellung mit einer hochspannenden, leider verkannten Komponistin, die in Leipzig geboren wurde.

Es ist eine ebenso faszinierende wie tragische Geschichte, die mit Johanna Magdalena Beyer verbunden ist. 1888 wurde sie in Leipzig geboren, mit 35 Jahren emigrierte sie in die USA. In New York prägte sie die „amerikanische Ultra-Moderne“ mit und gilt als eine der ersten Frauen, die in den 1930er Jahren mit elektronischer Musik experimentierte. Doch weder zu Lebzeiten noch nach ihrem Tod 1944 erhielt sie die Aufmerksamkeit und das Ansehen, das ihr in der Avantgarde-Szene eigentlich zusteht – auch nicht in der Musikstadt Leipzig.

Diana Policarpo möchte dies ändern. Die in Lissabon geborene und heute in London lebende Bildende Künstlerin, Noise-Musikerin und Komponistin widmet sich seit mehreren Jahren in verschiedenen Kunstformen dem Leben und Werk von Johanna Magdalena Beyer. Aus einem grundlegenden Interesse für Macht- und Genderstrukturen.

Für KV, den Verein für Zeitgenössische Kunst Leipzig, zeigt Diana Policarpo in der Ausstellung „Dissonant Counterpoint“ Sound-Installationen und Sound-Skulpturen, die Fragmente von Johanna Magdalena Beyer mit eigenen Kompositionen vereinen. Ihre Arbeitsweise ist also nicht rein dokumentarisch, sondern darauf bedacht, auf künstlerische Weise Korrelationen zwischen Geschichte und Gegenwart herzustellen. Einen Eindruck von Diana Policarpos Sound-Installationen vermitteln die Bilder unten sowie dieses Video von einer Ausstellung in Bielefeld.

Wir haben Diana Policarpo ein paar Fragen geschickt, unter dem Bild sind ihre Antworten.Wie bist auf auf Johanna Magdalena Beyer aufmerksam geworden?

Vor ein paar Jahren habe ich eine Platte gekauft, die 1977 von New World Records veröffentlicht wurde – eine Compilation namens „New Music for Electronic & Recorded Media – Women in Electronic Music“. Das erste Stück darauf ist „Music of the Spheres“, komponiert von Johanna M. Beyer und ich mochte es nach dem ersten Hören. Ich war super fasziniert, dass diese Komposition von 1938 war und es das erste Stück von einer Frau mit elektronischen Instrumenten ist. Es wurde vom Electric Weasel Ensemble aufgeführt, aufgenommen von Robert Schumaker und gemixt von dem großartigen Donald Buchla.

Larry Polansky und Amy C. Beal – beides Komponisten und Lehrer in Berkeley, Kalifornien – haben mir dann weitere Informationen zu Beyers Arbeit zukommen lassen. Das war 2015 als ich ein Stipendium bekam und ein Projekt an der Music Division of the Performing Arts Library in New York starten konnte.

Was ist das Faszinierende für dich an Johanna Magdalena Beyer?

Beyers Arbeiten enthalten frühe Formen von Noise, Ambient Drone und verspielten Schnipseln proto-minimalistischer Musik. Das finde ich sehr interessant. Ideen von wechselnden Schalldimensionen und Gedanken über die kosmische Resonanz von Elektrizität haben ihre Arbeit von früh an geprägt. Bei „Status Quo / Music of the Spheres“ dreht sich alles um die Vorstellung vom Improvisieren und dem Schaffen eine Kontrapunktes der Musik zum Wesen einer Person.

Beyer hatte die Vorstellung vom Menschen als eine Art Zentrum inmitten eines stürmisch wirbelnden Dings. Sie war 50 Jahre alt als sie das Stück vollendete. Es wurde auch bei der Guggenheim-Gesellschaft eingereicht, aber das Management gab ihr keine Chance, es sah in dem Stück ein richtungsloses Durcheinander, das aus der Feder einer Frau ohne genügend Fähigkeiten kam. Sie war eine herausragende Lehrerin und Komponistin, nur fehlten ihr die Möglichkeiten, ihre Arbeit zu zeigen oder aufführen zu lassen.

Nach dieser Erfahrung legte Beyer das Stück beiseite und führte ihre orchestrale Arbeit fort. Das war eine Oper über das Universum, überirdische Bewegungen, verschiedene Kulturen und über ihr Leben, das zu der Zeit von einer ständigen Krankheit und geopolitischen Bedenken geprägt war. Fragen zur Globalisierung, Produkten und Zirkulationen sind bereits tief verwurzelt. Beyer lebte in einer Gemeinschaft mit Künstlern und Aktivisten, die der Mittelpunkt ihres Lebens und aller Aktivitäten war.

Darüber hinaus ist „Music of the Spheres“ ein Konzept, das auf Pythagoras und seiner kaum erwähnten Frau Theano, die selbst Dichterin und Musikerin war, beruht – sie hatten eine vollständige Kosmologie rundum ihre Wahrnehmung der Weltvibration ausgearbeitet. Plato beschrieb es als Musik die von Sirenen kommt aber von Menschen nicht wahrgenommen wird. Andere Denker wie Johannes Kepler und Dane Rudhyar, der Beyers Lehrer in New York war, waren ebenfalls von diesen Theorien inspiriert, die sich auf die alte Idee der Harmonie als idealer Basis für moderne Kompositionsformen und der dynamischen Symmetrie der Natur.Warst du auf den Spuren von Beyer in Leipzig unterwegs?

Seit der Veröffentlichung der ersten Forschungen zu Beyer von John Kennedy und Larry Polansky im Magazin The Musical Quarterly haben nur wenige Leute die Arbeit an Beyers biografischen Skizzen, und ihrem kompositorischen Werk weitergeführt.

Das Frog Peak / Johanna Beyer Projekt hat in Eigenregie 22 Editionen mit ihren Kompositionen veröffentlicht – Solo, Kammermusik, Percussion, orchestrale und chorale Musik. Alles gewissenhaft mit Notizen und versehen Faksimile-Nachbildungen ihrer handschriftlichen Manuskripte. Ich durfte ein paar der Kopien und Dokumente sehen, die ein wenig mehr über das Leben von Beyer in Leipzig erzählen. Aber es gibt viele Löcher zwischen ihrem Leben vor der Emigration und dem ersten Jahrzehnt in den USA.

Was erwartet uns in deiner Ausstellung?

„Dissonant Counterpoint“ für den KV in Leipzig ist spezifisch auf den Ort ausgelegte Installation mit neun Audio-Kanälen und Licht- und Mixed Media-Skulpturen – sie alle verbinden historische Fragmente mit eigenen Kompositionen von mir.

Die Zusammenstellung der Elemente unterstützt das das theoretische Material, das die Ausstellung auch mit einbindet – die Forschung des Beyer-Archivs in New York etwa, zusammen mit dem Versuch, die Originalpartitur der politischen Oper nachzuempfinden. In gewisser Weise sind sie darauf ausgelegt, den Versuch zu vereiteln, revolutionäre Bedingungen vorzuschreiben. Es wird auch eine Publikation zur Ausstellung von Gloria Glitzer geben.


Dissonant Counterpoint
Diana Policarpo
Kuratiert von Anna Jehle + Juliane Schickedanz

Eröffnung: 09. November 2017, 19 Uhr
Laufzeit: 10. November – 30. November 2017

KV – Verein für Zeitgenössische Kunst Leipzig
www.kunstverein-leipzig.de
Kolonnadenstrasse 6
04109 Leipzig

Öffnungszeiten:
Di 18—22
Do 16—19
Fr 16—19
Sa 14—18

Foto-Credits:
Porträt Diana Policarpo: Yann Gibert
1. Ausstellungsbild: Diana Policarpo, The Feminist Rock Salt (to Linda Benglis), 2015, Installationsansicht, W139, Amsterdam
2. Ausstellungsbild: Diana Policarpo, Beating Back Darkness, 2014, Installationsansicht Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
3. Ausstellungsbild: Diana Policarpo, Sun in Cancer, 2016, Installationsansicht lAb Bielefeld