November-Musik

Es ist November, Zeit zum Verkriechen, Zeit für Kopfhörerausflüge  – natürlich auch für ausgedehnte Clubnächte. Für ersteres haben wir vier passende EPs und Alben aus Leipzig.

Keine Sorge, wir kontern dem Novembergrau demnächst mit einigen sommerlich nachhallenden House- und Disco-EPs. Auch davon ist einiges herausgekommen in den letzten Wochen. Aber erstmal wird es still.Desolate „Lunar Glyphs“ (Fauxpas Musik)

Ich mag Fauxpas Musik. Das Label mit Doppelheimat in Berlin und Leipzig hüllt einen immer so angenehm in behutsame Deepness. Ganz gleich, ob das Setting House, Ambient, Downbeat oder Jungle ist. Hier gibt es kaum Kanten, dafür eine gute Balance zwischen Melancholie und subtiler Eingängigkeit. Manchmal auch etwas dick aufgetragen.

So wie bei Desolates neuem Album. Desolate, das ist ein Projekt des wunderbaren Sven Weisemann, der verdammt gute House- und Dub-Techno-Tracks produziert. Bei Desolate ist von der Hektik des Clubs nichts zu spüren. Es ist sein Projekt für Ambient und Downbeat im weitesten Sinne. Mit zugezogenen Vorhängen, einem Kamin, verhuschten Vocal-Samples, Streichern, Klavier und auch ein wenig Kitsch. Atmosphärisch und rhythmisch durchaus von Burial inspiriert – ist da nicht sogar ein Burial-Sample in „Tyroshi“?

„Lunar Glyphs“ ändert am Desalate-Sound nicht viel, es ist einerseits unaufdringlich, andererseits einnehmend in seiner Fülle und Perfektion. Wie auch schon die vorherigen beiden Alben bewegt es sich nah an der glatten Gefälligkeit. Aber genau da bin ich wieder bei der behutsamen Deepness. Manchmal ist das Samtkissen auch sehr ok. Im November zum Beispiel.

 Aniela Zillinsky „References I-V“ (Modern Trips)

2017 ist das Jahr, in dem Modern Trips wieder aktiver wurde. Nun gibt endlich auch Tracks des Label-Betreibers Alza 54 zu hören. Als Aniela Zillinsky veröffentlichte er fünf Ambient-Stücke, die das genaue Gegenteil von Desolates barockem Sound sind: „References I-V“ schwankt mehr, pendelt vom gleitenden „Border ζ“ plötzlich zum schrillen „Defeat Marker Ͳ“. Und es dringt eher eine latent bedrohliche als zurückgelehnte Note dahinter hervor.

Das macht diese EP sehr viel spannender, weil es hier Ausbrüche und Wandlungen selbst innerhalb der Stücke gibt. Und teilweise auch eine gewisse naive Unbekümmertheit – wie das simple Tastenspiel auf „Malcoding Peptide Ϛ“. Mein Hit kommt zum Schluss: „(In Vivo) Ω-Verisimilitude“. Wie eine perfekte Zusammenfassung der EP.

2006 Suv „Salze“ (Modern Trips)

Am selben Tag wie Aniela Zillinskys Debüt erschien auch eine neue EP des Wiener Producers 2006 Suv auf Modern Trips. Er hatte im März die Modern Trips-Pause beendet. Auch er schafft mit seinen Tracks einen eigenen Mikrokosmos, der irgendwie harmonisch vertraut und doch eigentümlich klingt. Bei 2006 Suv schwingen aber noch mehr avantgardistische Ansätze mit. Doch nie komplett abgedreht und überzeichnet.

„Naja1tek“ ist da mit seiner rasenden Techno-Bassdrum und dem saitenartigen, hypnotischen Sound eine Ausnahme. Viel stiller und gedimmter: „Millenium Salz 0“ und „Zöfe“. Da ist sie wieder, die Eigenartigkeit im besten Sinne. Ich bin 2006 Suv-Fan!

Philipp Rumsch „A Forward-Facing Review“ (Denovali)

Zum Schluss Philipp Rumsch. Im September hatten wir die Track-Premiere zu „Part I“. Natürlich möchte ich „Part 2“ nicht unerwähnt lassen. Der Übergang zwischen beiden Stücken ist fließend. Im Gegensatz zum ersten Teil bleibt der zweite jedoch weitgehend auf einer subtil-stillen Ebene. Es gibt keine dramatische Steigerung.

Genau darin liegt die Stärke von „Part II“. Das Stück sorgt mit seinem diffusen Rauschen im Hintergrund und dem zurückhaltend gespielten Piano für eine durch und durch kontemplative Atmosphäre. Nur die ab und an auftauchenden tiefen Anschläge deuten noch auf den Sturm in „Part I“ hin. Der Ausklang kickt mich sogar noch mehr.

Behind the nights – Œuvre

Die Diversität möchte das Œuvre-Kollektiv mit seiner Reihe fördern. Unsere neue Autorin Paula hat sich mit ihm getroffen und war beim Drag Takeover im IfZ.

Ein Dunstkreis aus Freunden, seit Jahren wabern sie schon unter immer wechselnden Alter Egos durch die Musiklandschaft: DJs, KünstlerInnen und Partyorga. Leipzig haben sie als Zentrum des Ganzen gewählt, obwohl der Großteil von ihnen ganz woanders herkommt, ganz woanders wohnt.

Jetzt wollen sie offiziell eine Bühne, ein Gesamtwerk sein, in all der Diversität, die vor allem elektronische Musik im Grunde mit sich bringt. Doch auch andere Kunstrichtungen sollen hier ihren Raum finden, Malerei, performative Kunst

Der Freundeskreis um Leander und Elias alias DJ Paris begann vor anderthalb Jahren in der Blauen Perle Partys unter wechselnden Namen zu organisieren. Durch eine feste Crew, den neuen Namen sowie die Veranstaltungen im So&So und IfZ soll das ganze mehr Struktur bekommen – ohne festgelegte Grenzen. Daher auch der Name: Œuvre. Es gibt keine ernst zu nehmende Stringenz in den Produkten des Schaffens, die Crew arbeitet interdisziplinär, im Zick Zack – sie wollten sich von Anfang an nicht selber begrenzen.

Ein Selbstläufer, der mehr und mehr Gestalt annimmt. Das Konzept? Sie wollen Kunstformen zusammenbringen. „Theatrale Clubphänomene präsentieren“, so beschreiben sie selbst ihren Wunsch, die konventionellen Clubfunktionsweisen aufzubrechen. Die Aufteilung der Floors bleibt zwar klassisch (großer Floor Techno, kleiner Floor House), aber das Performative rückt in den Vordergrund, der Spaß bei der Sache. Sie wollen mehr bieten als „zehn DJ auf zwei Floors in einer Nacht“. Deswegen buchen sie auch viele Musiker, die live spielen. Das hätte eine ganz andere Dynamik und würde die Abwärtsspirale aus minimalen Genreverschiebungen über die ganze Nacht hinweg aufbrechen.
DJ Paris selbst sehen sich auch an der Grenze zur Performancekunst: Sie nehmen sich selbst nicht ernst, zappeln herum, ziehen eine Show ab und stampfen nicht stur ihre Beats hinter dem Mischpult ab. „Die meisten klassischen Technopartys bzw. DJs sind sehr monoton. Das wollen wir aufbrechen. So innovativ Leipzig auch ist, alles fährt oft in einer Schiene.“ Die Jungs leben eine gewisse Selbstironie und Schnelllebigkeit, die die jetzige Generation vor allem als Internetphänomen oft inne hat. Sie vertreten jenen Mangel an Ernsthaftigkeit, der im positiven Sinne gemeint wird.

Wie geht man bei dem Anspruch, mit klassischen Clubkonzepten zu brechen, nicht in den Möglichkeiten verloren? Œuvre konzentriert sich vor allem auf ein junges, zeitgenössisches Booking. Wesentlich bei der ganzen Sache ist außerdem immer wieder: Die ganze Crew bewegt sich in einem Freundeskreis, das heißt es herrscht eine ähnliche Dynamik, die sich nicht kategorisieren lässt.

Musikalisch ordnet sich die Crew irgendwo im zeitgenössischen House und Techno ein. Die DJs spielen kaum Tracks, die älter als drei Jahre sind. Beim Booking achten sie, ebenfalls ein zeitgenössisches Thema, auf einen ausgeglichenen Anteil an weiblichen DJs. Außerdem versucht Œuvre über den Tellerrand üblicher Bookings hinaus zu schauen. In Leipzig gäbe es oft sehr ähnliche, fast festgefahrene Bookings. Die Crew möchte auf ihren Partys Acts, die in Leipzig nicht explizit bekannt sind – überregional und eher noch unbekannt eben.

„Das klassische Booking auf der ganzen Welt läuft doch oft so ab: Es gibt einen (Berghain)-Resident und ein paar Leute aus der Region.“

Das empfindet die Œuvre-Crew nicht sonderlich spannend, es transportiere immer einen ähnlichen Sound. Ihr Anspruch ist es, „aus den neuesten Auswüchsen zu schöpfen.“Und wie geht es weiter mit der Crew als Gesamtwerk? Releases sind in Vorbereitung, Grafiken in Arbeit, es soll ein Magazin geben. Im Januar steht eine Ausstellung im Pögehaus an. Œuvre und seine vielen Schwerpunkte, mit dem Großteil bei der Musik. Übrigens, „die Crew“: Raedea, Sören Torney und Yngve stehen für Techno; DJ Paris spielen LoFi und Linus sowie DJ Haiwan fühlen sich in House und Ambient zu Hause. Den grafischen Part übernehmen Hanako & Laura und Jan ist für die Video-Designs verantwortlich.

Das klingt alles wie eine vielversprechende Utopie, alles ist möglich, nichts steht fest. Und zu ernst sollte man sich ohnehin nicht nehmen. Wie setzt man das Ganze aber konkret um?

Œuvre Drag Takeover
Die Œuvre Drag Takeover-Party im IfZ Mitte Oktober zeigte, dass es funktionieren kann. Denn auch wenn das Kollektiv auf den ersten Blick nicht unglaublich divers scheinen mag, kümmern sich die Mitglieder darum, dass Menschen, die „gezeigt werden müssen“ eine Chance gegeben wird, Psoriasis etwa. Sie schätzt die Motivation der Crew, Partynächte abseits des üblichen Inhalts zu gestalten, indem sie Menschen und Künstler*innen integrieren, die von diesem Publikum möglicherweise andernfalls wenig wahrgenommen werden: „Wir wollen, dass das, was du machst, auch das ist, was wir machen“, beschreibt sie das Konzept.

Psoriasis ist Dragkünstlerin aus Berlin und Kuratorin der Drag Takeover Show. Sie sieht die Bedeutung in der Kombination aus Oeuvre & Drag vor allem darin, dass queere Menschen und Menschen mit mehreren Diskriminierungsoberflächen die Chance bekommen, sich mitzuteilen, sich sichtbar zu machen.V.l.n.r.: Martini Cherry Furter, Alexander Cameltoe, Psoriasis, Billy Jean, Gieza Poke, Dollar Baby


 

„Das IfZ hat einen Stempel: techniod, weniger superfun, queer, bunt, crazy. Deswegen ist das Konzept, die Party, so gut: etwas Neues reinbringen in diesen Raum, hineingelassen werden.“ so Psoriasis. Sie und ihre PerfomerInnen machen highly political Art/Drag. Doch nie zu ernst, die Show ist immer mit ausreichend Witz gewürzt – „ein guter Mix, um den Leuten zu zeigen, was es für eine Bandbreite an Drag gibt. Es muss nicht immer eine wunderschöne Female-Illusion-Dragqueen sein.“ Psoriasis als Kuratorin ist vor allem Diversität auf der Bühne wichtig. Und der Hintergrund der PerformerInnen, ihr Ziel im Leben, dass sie für das brennen, was sie tun, dass sie damit im Publikum Emotionen hervorbringen können. Das sei gute Kunst. Und es ist wichtig, wenn man die Seele bei der Performance sieht.

Nicht alles muss alternativ oder anders sein, nicht alles muss abseits des Dragqueen-Stereotyps der Female-Illusion passieren. Was Psoriasis wichtig ist, ist der Funken Lebensnotwenigkeit. „Ich muss mich mitteilen, sonst kann ich nicht gut schlafen. Aus dem Grund, weil Menschen meine Geschichte sonst nicht hören. Aber die muss erzählt werden.“ Drag ist für Psoriasis die Möglichkeit, auf einer Bühne Probleme zu teilen, Geschichten zu erzählen, sich der Welt zu zeigen. Sie verkleidet das als Drag, es ist eine Ausdrucksform.

„Das ist nichts, was ich am Wochenende mache, um mich einfach zu betrinken und dann richtig crazy zu gehen.“

Deswegen ist ihr Drag-Charakter auch weniger Schauspielerei als vielmehr eine Erweiterung ihrer Selbst: „highly sensitive und super aggressive“ zwar, aber sie verstellt sich nicht.

Für die PerfomerInnen, die sie nach Leipzig mitgenommen hatte, würde sie die Hand ins Feuer legen. „Das ist Kunst, die sehr gut ist, die von Menschen gemacht wird, die sonst nicht viel Aufmerksamkeit in der restlichen Gesellschaft kriegen. Ich will ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken, weil sie es verdienen.“ Mit ihren Lieblingskids will sie neue Leute überzeugen, „das Publikum brechen, zusmashen.“

„Everything is drag.“ (Psoriasis)
Von ihnen würde sich auch keine wirklich als „Dragqueen“ bezeichnen. „Dollar Baby nennt sich Dragdesaster. Alexander Cameltoe nennt sich Dragthing. Martini Cherry ist Burlesque-Tänzerin und Schauspielerin, Billie Jean liebt es, sich hübsch zu machen und für andere zu tanzen. Gieza Poke ist eine superlaute Sportlehrerin.“ Psoriasis selbst bezeichnet sich als Drag-Monster. In der Perfomance der Gruppe, die hauptsächlich in Berlin als Teil des House of Presents, einem Kollektiv aus Drag-Künstler*innen, performen, gibt es Lipsync, Tanz, Lifegesang, Poetry und Spoken Word, Striptease. Das Dragkollektiv in Berlin vertritt viele unterschiedliche Dragstyles und -genres, das ist „alternativer Drag“, eine Varieté Show, eine Talentshow.
Gieza Poke versucht, so sagt sie, gar nicht aktiv, dem Stereotyp fernzubleiben. „Alle hier bringen ihre Ideen und Kreativität auf den Tisch, niemand von uns würde jemals denken ‚Oh, aber so und so sollte man es eigentlich tun, vielleicht mache ich es falsch.’“ Und Alexander Cameltoe schätzt besonders das am House of Presents und seinen PerformerInnen: „Es verändert sich immer, es entwickelt sich weiter. Und was für mich anders ist im Gegensatz zu anderen Kunstformen: Man zeigt sich dem Publikum gegenüber großzügig, dankbar. Es findet nicht alles still und leise im eigenen Kopf statt, man gibt den Leuten etwas zurück.“

Was für Martini Cherry an Drag, an dem Performen auf der Bühne, besonders interessant ist: Man hat etwas zu sagen, etwas für das man kämpft. „Drag is underground culture: People who are struggling actually. They perform to stay alive. They use Drag to give smile, to entertain people, to questionate people. That is the most interesting part for me. It is salvating to share this energy with people.“

Drag im IfZ
Die Spannung der PerfomerInnen gegenüber den Reaktionen des Publikums im IfZ stand vor der Show besonders im Raum. Sie alle seien daran gewöhnt, für ein Publikum zu performen, das sie kennen und welches sie kennt, was weiß, was es zu erwarten hat. Mit Jazzmusik, Popmusik oder gar Poetry ohne jeglichen Anker der Popsongs, die jeder irgendwie kennt und tief im Inneren irgendwie auch mag. Funktioniert das in einem Technoclub?

Und ob. Nachdem im Trakt I bereits zwei Stunden zu Techno gestampft wurde, feierten die Leute schon das Intro der Show und den Track „Samba de Janeiro“. Verschwitzte, aufgeschlossene und emotionsgeladene Gesichter rund um die 360°-Bühne.

Etwas, was man doch eher selten auf dem Techno-Floor des IfZ erlebt.

Psoriasis als Moderatorin mutete zwischenzeitlich an wie eine Animateurin im Feriencamp, eine skurril geschminkte zwar, die oben ohne mit zugeklebten Nippeln auf der Bühne steht und deren Alter Ego „highly sensitive and super aggressive“ ist. Die das Publikum aber ohne wenn und aber mitreißt. Die Emotionen der PerformerInnen wurden aufgesaugt und weitergegeben, ob es um Herzschmerz ging oder eine heiße Nacht, um #metoo in Spoken Word oder die Feuershow am Ende.

„I will just suppose some Jazz music. And set my ass on fire, you know. Casual night.“ hat Martini Cherry Furter vor der Show gesagt. Und nicht nur ihr Ass hat meiner Meinung nach im IfZ in dieser Nacht Feuer gefangen.

Afterhour #11 Liebe, Techno, Leipzig – Katja

Traurig aber wahr: Die Afterhour-Kolumne von Antoinette Blume neigt sich dem Ende zu. Hier kommt die vorletzte Ausgabe – mit Katja, die im So&So an der Bar und Garderobe arbeitet.

Fast Schluss
Die vorletzte Ausgabe, huiuiui. Zielgerade. So fast. Hach. Der gefühlte kleine erste Abschied, bis die nächste Ausgabe die letzte sein wird. Aber heute ist nicht aller Tage Abend, daher: Weg mit der Novemberdepression, her mit den roten Sonnenuntergängen.

Für die Nummer 11 habe ich Katja kennenlernen dürfen – mit der ich so das ein oder andere Fazit zum Thema Feiern in Leipzig gezogen habe. In meiner neuen Lieblingsstätte, dem Bricks (danke btw an Anja Kaiser für diesen Ultimativtipp für einsame und gesellige Abende in der Innenstadt), plauderten wir zu Wein und zuckrigen Cocktails über alles und nichts, über Musik und Kreuzworträtsellösen. Fast wie bei einer richtigen Afterhour.

Steckbrief
Clubnest?So&So
ZuhausemusikSubkutan, Garstique, Gyrl, Tsorn… Techno aus Leipzig eben.
Zeit zu gehen …?Nach der Afterhour

 

Auch mal 12 Stunden
„Man muss sich erstmal an Leipzig gewöhnen“, sagt Katja gleich zu Anfang. Auch mal zwölf Stunden arbeiten – oder 12 Stunden feiern. Die vorher gekannten „Großraumdissen“ in Kassel oder Göttingen mit ‚etwas anderen‘ Konzepten und Schließungszeiten weit vor zweistelligen Vor- und/oder Nachmittagszeiten gehören für sie schon seit sechs Jahren der Vergangenheit an.

Galeriehotel, Nachtleben, Solipartys, So&So. So liest sich in etwa die Leipzigvita von Katja, die im So&So an der Theke oder der Garderobe arbeitet und im Galeriehotel als Nachtportier* jobbt. Dazu ist sie eigentlich Fremdsprachenassistentin und spricht vier Sprachen. Ahh, und löst gerne Kreuzworträtsel, wenn ihr der Partytrubel zu viel wird. Interessante Mischung, kann man sagen.

„Verrückten den Raum geben, verrückt zu sein“
Das halbe Leben in die Nacht verlegt – warum? Sie mag die Ästhetik, die Stimmung, in der Nacht seien die Menschen, die ihr da so begegnen, ehrlicher.

Zum So&So kam sie durch Freunde, die zur Eröffnung des Clubs noch Unterstützung brauchten. Ihr Freund und Mitbewohner arbeitet im gleichen Club, ein richtiges Nachtschwärmerpärchen. Da sie sich nicht nur in den Wandschrank als Lieblingsfloor und in den Türsteher verliebt (und verlobt) hat, sondern auch der Arbeit hinter den Kulissen etwas abgewinnen kann, blieb sie dabei.

Schützen sollte man Feierstätten als Schutzraum an sich, findet Katja. Toleranz, Diversität und Verständnis im Feierkosmos zu propagieren und zu kreieren, das ist ihr wichtig.

„Verrückten den Raum geben, verrückt zu sein – sich fallen zu lassen, unbefangen und sozial etwas gelöster zu sein.“

Dafür ist sie dem Club als möglichem Schutzraum dankbar. Und sie weiß es zu schätzen, dass es in Leipzig neben den Drugscouts auch Awarenesspeople gibt, die eben jenes (mit)erhalten: einen Raum sozialer Produktivität.

Afterhour
Endlich nochmal jemand, der die Afterhour liebt! Also nicht diese hier, na ja vielleicht auch, hoffentlich, aber eben die richtige Afterhour nach einer langen Nacht, die noch nicht zu Ende ist, lange noch nicht zu Ende sein wird, ist gemeint. Gemeinsames Runterkommen, müde werden, Geschnacke und in Katjas Fall kommt es sogar zu gelegentlichen Schnitzeljagden während einer ausgiebigen Afterhour.

„Die besten Gespräche führt man auf einer Afterhour – ist einfach so. Auch wenn man sich ab und zu vier-fünf Stunden im Kreis dreht“, lacht sie. Für sie also mithin der schönste Abschluss des Abends. Zwangloses Miteinander und vor allem eine nette Beobachtungsstätte von und für Menschen, plus eine der günstigsten Gelegenheiten mit dem Auflegen zu starten. Und zum Kreuzworträtsel lösen …

Foto (as always) von Henry W. Laurisch und Artwork (natürlich) von Manuel Schmieder.

25 Jahre Distillery – Interview Steffen Kache

In diesem Herbst feiert die Distillery ihren 25. Geburtstag mit mehreren Partys. Anlass für uns mit Steffen Kache, dem Geschäftsführer und Mitgründer der Distillery über die Veränderungen und die Zukunft des Clubs zu sprechen.

Nachwende-Doom, Shrinking City, Leipzig-Hype – die Distillery hat eine spannende Phase in der Leipziger Geschichte erlebt und selbst mitgeprägt. Dass sie als ernstzunehmender Club immer noch existiert, grenzt schon an ein Wunder. Das erste Vierteljahrhundert ist geschafft – und es soll weitergehen, wie uns ein nach wie vor motivierter Steffen Kache im Interview erzählt. Er war Teil der ursprünglich neunköpfigen Gründungscrew und führt den Club seit über 15 Jahren allein mit seinem Team.

Übrigens: Wir dürfen auch den Jubiläumsmix von Daniel Stefanik hosten – inklusive eines Statements von ihm.Ich möchte gar nicht so sehr zurück schauen. Der Distillery-Film hat eure ersten Jahre ausführlich aufgezeigt. Mich interessiert aber, wie du die letzten fünf Jahre in Leipzig und der hiesigen Clubkultur wahrgenommen hast? Da ist ja einiges passiert.

Also, wir finden es super, dass das IfZ bei uns in der Nähe aufgemacht hat. Das haben wir sofort gemerkt. Am Eröffnungstag des IfZ hatten wir 20 Prozent mehr Gäste. Das befruchtet sich gegenseitig, auch wenn sich das Publikum unterscheidet. Ich finde es auch super, dass das So&So aufgemacht hat. Aber sonst finde ich, dass die Stadt noch einiges vertragen könnte, was das Clubleben betrifft. Ich finde es zum Beispiel schade, dass das Conne Island die elektronischen Geschichten etwas heruntergefahren hat.

Aber ansonsten sehe ich die Entwicklung der Stadt in den letzten fünf Jahren positiv. Ich merke vor allem, dass wir von den Gästen her viel internationaler geworden sind – mit vielen Spaniern und Engländern. Die Flüchtlingsproblematik hat uns in der Zeit natürlich auch betroffen. Es gab leider negative Vorfälle, weshalb wir da sehr vorsichtig sind. Wir lassen generell größere Männergruppen nicht rein, aber größere Männergruppen aus Nordafrika erst recht nicht, weil man sofort weiß, dass es Stress gibt. Dieser Kriminalitätsfaktor hat zugenommen, auch da gab es einige Fälle. Nicht im Laden, sondern davor. Das ist das Negative, was ich sehe, aber insgesamt sehe ich die Entwicklung für die Stadt sehr positiv.

Wie hat sich die Szene an sich verändert?

Es wird immer mehr zum Business. Jedes Jahr ziehen die Gagen an. Das ist teilweise für einen Club mit einer gewissen Kapazität nicht mehr zu stemmen. Man hat ein Budget, das man am Abend ausgeben kann – ganz einfach gerechnet: Gästezahl mal Eintritt. Wenn man das den Agenturen vorrechnet und sagt, dass nicht mehr drin ist, dann denken die, wir wollen sie verarschen. Wir stehen in direkter Konkurrenz zu großen Clubs auf der ganzen Welt und zu diversen Festivals. Es gibt ja jetzt selbst im Winter Festivals, dann eben auf der Südhalbkugel. Und so ist es immer schwieriger geworden, namhafte internationale Künstler zu bekommen, die noch bezahlbar sind. Das ist eine Entwicklung, die der elektronischen Szene irgendwann massiv auf die Füße fallen wird. Die Clubs haben richtig zu kämpfen. Ich bin seit einem Jahr im Bundesvorstand der LiveKomm dabei, ich habe also auch Kontakt zu den anderen Läden in Deutschland – denen geht es genauso mit den Gagen und den Nebenkosten.

Gibt es keine Ansätze zur Querfinanzierung bei den Agenturen und Künstlern – also hier finanzkräftige große Festivals, dort kleine Clubs?

Der gesunde Menschenverstand würde das so sehen. Aber man macht Optionen für Künstler und dann kommt kurzfristig eine andere Anfrage, wo sie statt 2.000 € eben 10.000 € bekommen und die wird dann genommen. Es wird oft nicht gesagt: Gut, ich bin in dem Club groß geworden. Das Verständnis, dass die Künstler in kleinen Clubs erstmal aufwachsen müssen, ist irgendwann weg. Ich rede nicht von allen, es gibt auch viele, die das in Erinnerung behalten haben. Aber es sind eben auch viele, bei denen die Kohle an erster Stelle steht. Das finde ich schade.Habt ihr nicht durch die Geschichte und den Ruf noch ein paar Bonuspunkte – auch bei den großen DJs?

Jein, wir haben eher den Vorteil, dass wir über die Jahre viele kennengelernt und einen persönlichen Draht aufgebaut haben. Mit denen funktioniert das. Aber Bonuspunkte wegen des Rufs: Das ist romantisch gedacht, leider ist es nicht so. Wir verhandeln zum Beispiel seit vielen Jahren mit Richie Hawtin. Früher war er jedes Jahr da, zuletzt hat er 2006 gespielt. Jetzt haben wir eine Option für November. Mal sehen, ob es klappt.

Sind das Veränderungen, die die Distillery gerade tiefgreifend beeinflussen?

Nein, wir können das prinzipiell noch handlen. Unser Booker Marc hat das gut im Griff. Er sagt aber auch klar nein. Es ist nicht so, dass es die Distillery gefährdet, aber es ist insgesamt für die Musik schade. Am Wochenende war Ellen Allien da, seit 20 Jahren kennen wir sie. Sie hat das verstanden. Auch Chris Liebing ist ein guter Bekannter und der weiß Bescheid, was hier möglich ist.

Hat sich der Sound dann auch verändert, wenn alles mehr Business geworden ist?

Nein, das würde ich nicht sagen. Vom Sound her passt es. Da gibt es auch eine klare Abgrenzung. Es heißt ja nicht, dass die Künstler schlechtere Musik spielen, wenn sie mehr Geld verdienen. Und der ganze EDM-Firlefanz kommt hier eh nicht rein. Was ein wenig schade in Leipzig ist: Wenn man Künstler bucht, die up to date, aber noch nicht so bekannt sind, verstehen das viele Leipziger nicht – obwohl bei denen auch schon relativ hohe Kosten entstehen. Finanziell ist das ein Schuss in den Ofen, musikalisch dagegen super. Das muss man querfinanzieren mit Abenden, bei denen bekanntere Künstler spielen.

„Ich würde mir von Leipzig wünschen, dass das musikalische Verständnis der Leute etwas tiefgründiger wird.“

Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Man kann nicht mehr von einer Szene sprechen wie vor 20 Jahren als noch jeder Bescheid wusste, was für ein Stück gerade läuft. Heute sind vielleicht 10 Prozent up to date, die anderen lieben die Musik, kommen mit, tanzen und haben Spaß. Aber dieses tiefgründige Musikverständnis war früher viel mehr da.Das Cluberlebnis ist mehr zum Entertainment geworden?

Ja, es ist ein Zwischending. Das Optimale für einen Club ist ja, wenn die Leute wissen, es läuft gute Musik und gar nicht schauen, wer am Abend spielt. Wenn die Leute aber nur wegen der Headliner kommen, ist es auch blöd. Trotzdem wünsche ich mir, dass die Leute sich mehr damit beschäftigen als nur zu konsumieren. Ich habe auch das Gefühl, dass durch diese „Der Kunde ist König“-Sozialisierung eine höhere Erwartungshaltung da ist. Wer seine 10 Euro Eintritt bezahlt hat, will auch unterhalten werden. Früher waren die Leute dankbar, dass man was auf die Beine gestellt hat.

Die Sperrstunde war zuletzt ein großes Thema in der Stadt. Beunruhigt euch das?

Das Ordnungsamt in Leipzig hat die Sperrstunde sehr moderat gehandhabt. Das hat nur Stress gemacht, wenn es Ärger gab. Der Stand ist aber so, dass der Stadtrat die Abschaffung der Sperrstunde in Leipzig beschließen wird. Ich habe nachher einen Termin beim Ordnungsamt, weil es noch Zuarbeiten von uns braucht. Es muss ein öffentliches Interesse nachgewiesen werden, damit es bei der Landesdirektion standhält. Ich denke, das Thema Sperrstunde ist gegessen – wenn es die Landesdirektion nicht wieder kippt. Das ist die Aufsichtsbehörde der Kommune. Die werden sich das natürlich genau anschauen – Landesregierung ist CDU, Leipzig ist SPD, die können sich nicht leiden. Da könnte es noch einmal Ärger geben. Aber von Seiten der Stadt ist es eigentlich durch.

Die Stadt hat also schon einen Spielraum bei der Auslegung?

Es gibt im Gaststättengesetz eine Möglichkeit, dass die Kommune entscheiden kann, die Sperrzeit auszusetzen oder abzuschaffen. Dieser Passus soll genutzt werden und es gibt eine breite Mehrheit. Selbst in der Verwaltung und beim Ordnungsamt ist es Konsens, dass es Sinn macht, die Sperrstunde abzuschaffen. Das ist auch das Schöne in Leipzig: Man kann hier mit der Verwaltung reden. Es gibt andere Städte, wie Nürnberg, da möchte ich keinen Club betreiben. Wenn du hier ein Problem hast, kannst du anrufen und fragen, ob man darüber reden kann. Das war bei dieser Sperrstundenproblematik ganz ähnlich.

Hilft da die Geschichte des Clubs nicht auch? Die Erfahrung und Kontakte sind gewachsen.

In diesem Fall war es ein Vorteil, dass ich nicht als Distillery-Betreiber, sondern als LiveKomm-Vorstand hingegangen bin. Und da haben sie gemerkt, dass sich die Clubs in Leipzig organisiert haben, es gibt eine bestimmte Menge, die ein Interesse bekundet. Klar, man hat über die Jahre schon die Kontakte geschaffen.

Vor einigen Jahren wurde das Gelände hinter dem Bayrischen Bahnhof, zu dem auch die Distillery gehört verkauft und es war unsicher, was mit euch wird. Seitdem ist es still darum geworden. Wie ist der Stand, was eure jetzige Location angeht?

Das Gelände wurde 2013 an die Stadtbau AG verkauft. Das ist ein Investor aus Leipzig, der hier schon verschiedene Projekte gemacht hat. Jetzt warten wir darauf, dass ein Bebauungsplan erstellt und beschlossen wird. Da ist aber zuletzt wenig passiert. Wir wissen auch nicht, wann etwas passiert. Es gibt aber die Aussage, dass die Stadtbau AG es lieber hätte, wenn wir umziehen würden. Wer die Distillery kennt, kennt auch die Kreuzung davor und weiß, wo die Straße hinführt, die sich dort andeutet. Die meinen, dass es für die Erschließung des Geländes unabdinglich ist, dass dies so bleibt. Alles andere würde verdammt teuer werden. Es gibt aber keine konkreten Vorschläge, wie ein Ersatz aussehen könnte. Das ist sehr unklar und unbefriedigend.Seid ihr in Gespräche und Planungen involviert?

Wir haben einen engen Kontakt zur Stadtbau AG. Ich gehe davon aus, dass wir noch fünf Jahre hier haben. Aber ich würde trotzdem gern einen Plan B entwickeln und eine klare Aussage haben

Gibt es schon einen Plan B im Hinterkopf?

Es gibt ihn im Kopf, aber Plan B wird erst verraten, wenn Plan A nicht funktioniert.

Es ist aber auf jeden Fall ein Thema, das euch umtreibt.

Natürlich. Wenn man nicht weiß, ob man wirklich noch fünf Jahre planen kann, ist das blöd. Ich habe zwar ein Grundvertrauen in die Welt, dass es immer irgendwie funktioniert – und das hat es auch immer.

„Aber man möchte so eine Institution gern weiterentwickeln. Das ist im Moment nicht möglich.“

Völlig unabhängig davon, wie das hier weitergeht, überlege ich auch, den Plan B weiterzuentwickeln. Mittlerweile geht es schon in die Richtung, dass wir intensiv nach einer neuen Location suchen. Um das Projekt Distillery an diesem Ort weiterzuentwickeln, müsste man massive Baumaßnahmen vornehmen. Hier ist aktuell jeder Kubikzentimeter ausgenutzt. Ich hätte schon Lust, ein paar mehr Dinge zu machen als nur einen Club. Aber das ist hier nicht möglich.

Bei der Suche hast du komplett Leipzig im Blick – oder willst du im Süden bleiben?

Ich möchte auf jeden Fall im Süden bleiben. Wir sind hier verwurzelt. Andererseits: Wenn man eine Location hat und man merkt vom Bauchgefühl her, dass es funktioniert, dann kann es auch im Osten sein. Aber ich würde gern hier im Süden, gerade im Einzugsgebiet der Karli, bleiben. Das ist unsere Homebase, wir sind in Connewitz groß geworden. Schon damals war der Umzug näher an die Stadt für uns ungewohnt.

Du bist ja der Geschäftsführer, was sind eigentlich deine Jobs?

Ich ärgere mich allen Dingen herum, die es so gibt. Dazu gehört der ganze Finanzkram mit dem Controlling und der Buchhaltung. Dann natürlich die Behördengeschichten, davon gibt es einige – von Lohnmeldungen ans Arbeitsamt über KSK- und GEMA-Abrechnungen bis zu irgendwelchen Meldungen ans Statistikamt. Personal ist noch ein Thema, wobei mich jetzt jemand unterstützt.

Ich bin natürlich auch am Wochenende im Laden, aber nicht mehr fest eingeteilt. Ich bin als freies Radikal da, kann kommen und gehen, wann ich will. Aber ich bin schon vor Ort und mache Dinge, die ich sehe. Wenn der Hausmeister ausfällt, dann mache ich auch das Klo mit sauber. Seitdem ich im LiveKomm-Vorstand bin, ist ein großer Arbeitsbereich dazugekommen. Da geht es um die Vertretung der Clubs vor der Politik und der Verwaltung auf Bundesebene. In Sachsen gibt es jetzt eine Steuerungsgruppe mit der wir ein Pop-Büro aufmachen wollen, das auf Landesebene eine Schnittstelle zwischen Regierung und Verwaltung zur Club- und Popkultur sein soll. In Leipzig trifft sich noch das LiveKombinat, ein Verbund der Leipziger Clubs, zu einer Art Stammtisch. Da steckt auch viel Organisationsarbeit dahinter. Im September hatten wir die Diskussionsrunde mit lokalen Politikern zu den Wahlprüfsteinen – und so geht mein Tätigkeitsbereich gerade mehr in Richtung Politik.Es sind also schon andere Aufgaben als vor 20 Jahren.

Mit zunehmendem Alter ziehe ich mich aus dem Tagesgeschäft im Club zurück. Bis 2003 habe ich auch das Booking gemacht. Das habe ich dann aber abgegeben, weil ich dafür keine Zeit mehr hatte. Es entwickelt sich immer mehr in die Richtung, dass ich versuche, die Clubkultur insgesamt vorwärts zu bringen. Natürlich ist es auch in meinem Interesse, weil ich auch was davon habe. Aber gerade die Kommunal- und Bundespolitik ist super interessant.

Da ich durch die Arbeit in der LiveKomm deutschlandweit mit den Clubs vernetzt bin und die Leute kennenlernt habe, macht das verdammt viel Spaß. Ich merke schon, dass ich heute anders wahrgenommen werde, was sicher nicht daran liegt, dass es den Club so lange gibt, sondern weil ich älter geworden bin. Mit Anfang 30 wurde noch eher über einen gelacht, wenn man etwas gesagt hat. Wenn ich jetzt zu irgendwelchen Behörden gehe, habe ich schon das Gefühl, dass die das ernster nehmen. Das möchte ich in den nächsten Jahren gern für die Clubkultur nutzen.

Ich mache mir auch nichts vor: Ich bin 44 und wenn unten jemand mit 20 an der Bar steht und von einem 44-jährigen bedient wird, ist das nicht mehr so cool. Mit Mitte 20 kann man auch mal zwei drei Nächste durch machen, die Nacht durchfeiern und den Laden schmeißen. Das geht jetzt nicht mehr bzw. habe ich keine Lust mehr darauf. So wird sich das immer mehr in diese neue Richtung entwickeln. Vielleicht lande ich irgendwann in der Politik. In zwei Jahren sind wieder Stadtratswahlen, da werde ich wieder kandidieren.

Durch die LiveKomm gibt es eine starke Vernetzung der Szene, wie sieht es mit der Konkurrenz aus?

Das sind zwei Seiten: Klar gibt es Konkurrenz, das ist aber keine negative Konkurrenz. Es ist auch ein positives Miteinander. Erstens bekommt man dadurch mit, dass alle die gleichen Probleme haben. Man kann sich direkt austauschen, wie es andere gelöst haben – gerade bei der Flüchtlingsproblematik gab es viele Gespräche untereinander. Aber auch bei Betriebsprüfungen oder der GEMA. Da ist der Austausch viel mehr von Vorteil, als wenn man nur über Konkurrenz nachdenken würde. Zum Beispiel habe ich auch die Idee, zusammen mit der LVB ein Nachtbus-Shuttle zu initiieren, damit zwischen den Clubs regelmäßig ein Bus hin und her fährt. So etwas ist aber nur machbar, wenn eine Menge Clubs dahinterstehen und wir nach einer Lösung schauen, wie das zu finanzieren ist.

Beim Booking hat es auch Vorteile. Bei House und Techno ist es vielleicht nicht ganz so ein Thema, aber bei den urbanen Geschichten am Freitag ist die Szene insgesamt kleiner. Und da macht es Sinn sich abzusprechen, damit nicht zwei Sachen an einem Abend landen und beide Veranstalter blöd aus der Wäsche gucken, weil sich die Gäste natürlich verteilen. Das Schöne ist auch, dass man die Menschen dadurch kennenlernt.

Gibt es etwas, das du gern umgesetzt hättest und noch möchtest, was dir aber zu unsicher war, ob es in Leipzig funktioniert?

Das Thema Label und Booking-Agentur ist über die Jahre leider nicht entstanden. Wir möchten unsere DJs und Künstler aus dem Umfeld mehr unterstützen. Ich sehe es in Berlin mit dem Berghain und Kater. Die sind bekannt und deren Residents touren durch ganz Deutschland – wir sind 25 Jahren dabei, haben das aber nicht hingekriegt. Das ärgert mich total. Aber man hat eben nur eine bestimmte Menge an Kraft, wir haben uns auf den Club konzentriert. Aber das wollen wir jetzt endlich angehen.

Was ich noch gern machen würde, wäre ein mehrtägiges Open Air in der Nähe der Stadt. Das wird aber allein von den Umweltauflagen her nicht funktionieren. Wir sehen das beim Think, es geht nur am Tag.Was wäre aus dir geworden, wenn es nicht die Distillery gegeben hätte?

Ich wollte eigentlich Physik studieren und dann Energieforschung betreiben. Ich war auf dem Ostwald-Gymnasium – zu DDR-Zeiten das Elitegymnasium im naturwissenschaftlichen Bereich. Ich war auch echt gut, hatte nach der Schule aber einfach keine Lust mehr auf Naturwissenschaften, weil wir so getriezt wurden. Dann war ich in einem Umweltverband und hatte überlegt, etwas in Richtung Umwelt und Umweltrecht zu studieren. Es hätte also sein können, dass ich entweder in der Politik gelandet oder ein bekannter Physiker geworden wäre. Aber die Distille ist mir in die Quere gekommen.

Du bist auch aktiv bei den Grünen, wie grün ist die Distillery?

Hätte ich mehr Möglichkeiten zum Bauen wäre sie richtig grün. Aber: Unseren Strom beziehen wir von Naturstrom. Das ist einer der wenigen Anbieter, die wirklich Naturstrom und nicht nur zertifizierten Strom anbieten. Ich habe auch viel Geld reingesteckt, um mit LED Strom zu sparen. Wenn man natürlich die Anreisen der Künstler betrachtet, ist es überhaupt nicht grün, weil die meisten fliegen wollen. Wenn mir das Gebäude gehören würde und ich investieren könnte, hätte ich schon längst das Flachdach mit Solarzellen voll gepflastert. Mein Ziel ist nach wie vor ein Club, der seine Energie komplett selbst produziert – das möchte ich in der neuen Location definitiv umsetzen. Im Club ist das möglich, aber die CO2-Emissionen der Flüge lassen sich damit nicht kompensieren. Doch wir versuchen mit unseren Möglichkeiten etwas zu machen. Es gibt auch kein Einweggeschirr, trotzdem entsteht Müll. Es ist immer Luft nach oben.

Wenn du heute noch einmal einen Club starten würdest, was würdest du anders machen?

Das Problem ist: Mit dem Wissen von jetzt würde ich den Club ganz anders starten. Das wäre dann nicht so naiv wie damals und das wäre ein Grund dafür, weshalb es wahrscheinlich nicht funktionieren würde.

„Ein Club funktioniert, weil du am Anfang gar nicht das Wissen über die Probleme hast, die es geben kann.“

Deshalb fängst du einfach an und holst dir ab und zu eine blutige Nase. Das gehört zum Lernprozess dazu. Aber mit meinem heutigen Wissen hätte ich die damalige Distille nie eröffnet. Es wäre einfach undenkbar gewesen mit den ganzen Gefahren, beim Brandschutz etwa. Aber wir haben es einfach gemacht, weil wir darauf Bock hatten. Ich würde natürlich viele Fehler vermeiden, die ich gemacht habe. Ewig habe ich zu spät GEMA gezahlt und dadurch viele Mahngebühren verursacht. Man lernt auch bei der Buchhaltung dazu. Da sind natürlich auch Fehler passiert, die Geld gekostet haben. Aber inhaltlich würde ich nicht viel anders machen. Es gibt nichts, was ich da bereue. Das Entscheidende beim Führen eines Clubs ist, wenn du ein Bauchgefühl zu bestimmten Dingen hast, die funktionieren und eher nicht. Also man sollte weniger mit einem Konzept, Businessplan oder zu viel Rationalität arbeiten, es muss aus dem Herzen kommen.Man müsste also vor als jemandem, der heute ähnlich naiv einen Club startet, noch größeren Respekt haben?

Man kann heute nicht einfach einen Club eröffnen, wie wir das damals gemacht haben. Es müssen von Anfang an alle Vorschriften beachtet werden, sonst ist der Laden ganz schnell zu. Allein das kostet so viel Geld. Wenn du einen legalen Club aufmachen möchtest, musst du erstmal jede Menge investieren. Du musst einen Plan machen und zu einer Bank gehen. Wenn du es dann noch schaffst, kreativ zu bleiben und deinen Kopf freizuhalten – davor habe ich höchsten Respekt.

„Es ist heute schon tausendmal schwieriger.“

Ist das vielleicht auch ein Grund für die vielen illegalen Open Airs? Dort kann man sich ohne Behördenauflagen ausprobieren.

Ja, klar. Ich denke, da geht es auch weniger darum, illegal zu sein, sondern man macht es einfach und schaut, wie lange es funktioniert. Leider gibt es da auch ein paar Veranstalter, die ihren Kopf nicht richtig einschalten und gar nicht darüber nachdenken, was sie ihrer Umgebung antun. Da gab es Geschichten, die der ganzen Szene schaden. Wenn schon illegal, dann wenigstens so, dass es keiner mitkriegt. Das ist ja im Prinzip die Keimzelle. Dort entstehen die lustigen und kreativen Dinge. In einem eingesessenen Club funktionieren die viel weniger. Mit Anfang 20 hast du auch gar nicht die Kohle, es sei denn du hast fett geerbt – aber dann kannst du es auch lassen. Ich halte aber auch nicht viel von kostenlosen Sachen. Die Leute, die dort hingehen, verlieren das Gefühl für den Wert und für die Musik. Letztendlich macht dies die Clubkultur ein stückweit kaputt, wenn das Verständnis bei den Leuten wegbricht.

Machst du dir Gedanken über einen Generationswechsel im Laden oder ist das noch in weiter Ferne?

Ja auf jeden Fall. Die Leute, die fest angestellt sind und den Laden schmeißen, sind alle Ende 30. Wir versuchen schon, neue Leute reinzubekommen. Es gibt auch Nachwuchs, den wir aufbauen. Aber klar, irgendwann muss die Generation auch mal wechseln. Erstens bekommt man das gesundheitlich nicht mehr gebacken, zweitens fehlt es nachts auch an der Glaubwürdigkeit. Wenn du an der Bar von jemandem bedient wird, der eine Generation über dir ist, ist das nicht so cool. Im Barbereich ist es mit Nachwuchs kein Problem, aber bei der Technik wird es schwieriger. Über die Jahre hat man eine Vertrauensbasis aufgebaut – ich vertraue meinen Leuten hier blind. Die sind alle lange dabei. Tina ist beim Booking für den Freitag dazugekommen – sie ist im Prinzip schon von der nachwachsenden Generation.

Was ist deine Lieblingszeit in einer Distillery-Nacht?

Die schönste Zeit ist zwischen sechs und acht Uhr. Wenn die Leute ihre ganze Energie rausgelassen haben und entspannt sind. Da kann der DJ mit den Leuten noch einmal ganz anders arbeiten. Dann ist hier eine besondere Energie im Laden.

Worauf freust du am meisten bei eurem Jubiläumsprogramm?

Ich freue mich – wenn es klappt – auf Richie Hawtin. Auf Gabor (Robag Wruhme) freue ich mich auch, weil es ein Freund ist. Aber eigentlich geht es mir weniger um die Künstler, ich freue mich auf die Leute, die schon lange nicht da waren. Die Geburtstagsabende sind immer ganz speziell.

Foto-Credits: Distillery Archiv, Tom Schulze, Stefan Leuschel

25 Jahre Distillery – Daniel Stefanik & Georg Bigalke

Die Distillery feiert ihren 25. Geburtstag. Wir wollten von zwei Resident-DJs wissen, was für besondere Momente sie mit dem Club verbunden. Und beide steuern jeweils einen Jubiläums-Mix bei.

Wir freuen uns, neben dem großen Interview mit Distillery-Betreiber Steffen Kache auch die Statements von zwei langjährigen Resident-DJs veröffentlichen zu dürfen. Mit Daniel Stefanik und Georg Bigalke erzählt jeweils ein Act vom oberen und unteren Floor von seinen besonderen Distillery-Momenten. Dazu gibt es zwei Mixe – der Soundtrack zur Distillery quasi.Daniel Stefanik

„Die magischsten Momente erlebe ich immer in den Morgenstunden, nachdem ich schon zwei bis drei Stunden gespielt habe. Dann habe ich das Gefühl, dass wir im gleichen Takt schlagen.

Eigentlich macht es überhaupt keinen Sinn weniger als vier Stunden in der Distillery zu spielen.

Denn ich habe ständig das Gefühl, dass die Leute auf eine Reise mitgenommen werden wollen und das geht einfach nur über die Zeit. Dann sind sie sogar bereit, zu den abgefahrensten Sachen zu tanzen. Ich kann mich gut erinnern, nachdem ich vier Stunden gespielt habe, dass ich in der letzten halben Stunde nur noch Rhythm & Sound-Platten mit Ricardo Villalobos-Tracks zusammen gemixt habe. Das war tatsächlich unheimlich magisch.“

Georg Bigalke

„Die Distillery ist ein Ort für obskure Begegnungen, seltene musikalische Momente. Und sie wird geführt von einem über die Maßen feinsinnigen und offenen Team. Seit 2007 darf ich nun meine Wenigkeit als ein Teil des Ganzen verstehen und zähle zu den Residents der Grande Dame. Dies ist ein Fakt, der mir bis heute immer wieder ein fettes Grinsen ins Gesicht zaubert und ‚leichtes‘ Herzrasen verursacht. Seit nunmehr zehn Jahren habe ich die Möglichkeit meine Musik zu spielen und den ein oder anderen Künstler in den Keller einzuladen.

Trotz der ganzen Zeit hat meine Begeisterung für die Distillery nie nachgelassen – vor allem nicht für die Sets am Morgen, die Sets mit den unendlichen Weiten und einem sehr, sehr offenherzigen Publikum. Hier kann ich spielen, was ich liebe. Vielen Dank an all diejenigen, die mir dies mit ihrem Vertrauen immer wieder möglich machen. Ein ganz besonderer Dank geht an Marc, Steffen, Rukey, Robert, Matze, Schubi, Tim und Jette.“

Bald wieder: Elektronische Schallplattenbörse

Im November werden wieder musikalische Schätze aus den Kellern, Abstellkammern und Dachböden der Stadt zur Elektronischen Schallplattenbörse zusammengetragen. Auch ihr könnt euch ab jetzt für einen Stand anmelden.

„Unregelmäßig“ ist der zweite Vorname der Elektronischen Schallplattenbörse. Umso schöner ist es dann auch, wenn sie in der Feinkost die Musik-Nerds der Stadt zusammenbringt. Inzwischen ist sie nicht mehr allein: Mit dem Vinylbuffet Süd und der Plattenbörse im Felsenkeller gibt es inzwischen zwei weitere Möglichkeiten, mehr oder weniger regelmäßig Kisten nach neuen Entdeckungen zu durchforsten. Eine begrüßenswerte Entwicklung für alle Musikliebhaber also.

Aufgrund der Jahreszeit wird die Elektronische Schallplattenbörse diesmal indoor stattfinden. Es soll sogar geheizt werden. Am Samstag den 04.11. könnet ihr von 10 bis 16 Uhr wieder nach Herzenslust Vinyl, Tapes und CDs kaufen, verkaufen oder tauschen. Wie immer liegt der Fokus auf elektronischer Musik, aber andere Genres dürfen sich ebenfalls zu Wort melden. Musik- und DJ-Technik findet hier genauso ihren Platz. Natürlich ist auch allgemeines Herumlungern und Schwätzchen halten gern gesehen.

Wer also bei gemütlicher, kommunikativer Atmosphäre seine alten Schätze in die Obhut anderer Menschen geben möchte, der kann seinen Stand gegen eine kleine Unkostendeckung anmelden.
Hier nochmal die Fakten in der Übersicht:

Datum:
04.11.2017 | 10-16 Uhr

Location:
Feinkost, Karl-Liebknecht-Straße 36, 04107 Leipzig

Anmeldung und weitere Informationen unter:
espb[at]vinyl20[dot]com

Es wird eine kleine Standgebühr geben.

Spring & Summer-Backstock – House

Nach unserem Überblick über einige Special-Platten aus dem Sommer, folgt nun ein größerer Rundumblick auf das, was in letzten Monaten an House im entferntesten Sinne aus Leipzig kam. Bitte Zeit einplanen.

Jaja, der Sommer war eigentlich gar kein richtiger Sommer. Wie gefühlt jedes Jahr. Doch in diesem Sommer ist etwas mehr an Themen liegengeblieben. Das holen wir nun nach.

Various Artists „Th!nk? You & O*RS“ (O*RS)

Los geht es mit O*RS. Filburts Label durfte auch in diesem Jahr wieder einen eigenen Floor auf dem Think-Festival bespielen. Parallel dazu wurde auch eine große Label-Compilation veröffentlicht. Natürlich mit Tracks der eigenen Family, aber auch mit befreundeten Acts wie Thomas Stieler, Daniel Stefanik und Pandaro.

Wie auch auf dem Festival spielt auf der Compilation House eine große Rolle. In verschiedenen Spielarten, mit Funk-Einflüssen, Sci-Fi- oder Dudelsack-Assoziationen und mit klassischer Deepness. So richtig spannend sind jedoch nur der Anfang und das Ende. Da wo Ranko und Pandaro einen Gang zurückschalten bzw. langsam aufdrehen. Und da wo sich Yannick Labbé mit kargem Arrangements verlangsamt Techno widmet. Am Schluss überraschen Filburt & F.D.M. dann mit einer zurückhaltenden Hymne für spätere Stunden.

Panthera Krause „Cloud Cake“ (STEP Recordings)

Beim Label des polnischen Duos Catz n Dogz, STEP Recordings, servierte uns vor einigen Wochen Panthera Krause seinen Wolkenkuchen. Die Zutaten sind ähnlich zu den bisherigen Krause-EPs. Musikalisch höchst versierter und tiefgründiger House, der sich rhythmisch und von den Sounds gern auch einmal abseits der Standards wagt.

„Illusions“ ist hier eine echte Perle. Wirrer, hektisch tanzender Beat mit feixenden Synth-Modulationen und versteckt treibender Power. „Cloud Cake“ und „In My Hand“ sind wiederum sehr schöne Hommagen an die Cosmic-Disco. Weit ausholend und leicht obskur. „In My Hand“ gefällt mir da besonders gut, auch mit seinem späteren Pop-Appeal.

John Horton „Halftrue3“ (Half True Records)

Im Frühsommer aka Frühling kam dritte Halftrue-EP heraus. Im letzten Jahr hatten wir erstmals über das Label von John Horton berichtet. Die Nummer 3 ist auch von ihm und sie wirklich gut.

Denn die drei Tracks haben genau die richtige Dosierung aus Lofi-Trockenheit und klassisch-sphärischer Deepness. Dazu klar gezogene, schnell und tight ziehende Bassdrums. Manchmal kann es so einfach sein, wenn nur die Auswahl der wenigen Sounds passt. Die beste Half True so far.

Chris Manura „Dauerfliege EP“ (Ackerdub Records)

Im Juli gab es auch neue Tracks von Chris Manura, erstmals beim Mecklenburger Ackerdub-Label. Die vier Tracks der „Dauerfliege EP“ eignen sich gut zum losgelösten Schweben in den späten Clubstunden. Teilweise orientiert sich Manura an jener Dub-Techno-Zeitlosigkeit, die wohl nie an Anziehungskraft einbüßen wird.

Bei »Thunder And Lightning« und »Coffee And Sun« verknüpft er die Schwerelosigkeit mit ravig schiebenden Basslines. »Speak To Me« ist dann aber mit seiner eleganten Reduziertheit, den angeteasten Beats und dem später auftauchenden Preacher-Vocal der eigentliche Hit.

Mollono.Bass und Marc Vogler verewigen sich hier auch mit einem Remix, der einerseits treibender, anderseits folkloristischer anmutet.

Micronaut „Forms Remixes“ (3000Grad)

Beim Mutterlabel von Ackerdub sind vor wenigen Wochen auch die Remixe zum dritten Micronaut-Album „Forms“ erschienen. Fünf Neuinterpretationen gibt es. Während sich Schlepp Geist, Johannes Wagner und Mollono.Bass auf gerade Bassdrums und Rave-Schub einigen, bringt der großartige Kalipo eine angenehm ätherische Slow-House-Version hervor. Und Mac-Kees Remix gefällt mir gut: breakig-schwere Bassdrums, dazu Dub-Techno-Deepness.

Leibniz „Online“ (Hundert)

Damit noch etwas weiter zurück, ins Frühjahr – als die Vorfreude auf den Sommer sehr groß war. Und auch auf die erste Platte habe ich mich wirklich gefreut. Nicht nur, dass Leibniz gerade einen extrem guten Lauf hat. Mit seinem Bruder und einem Hamburger Freund hat er auch das Label Hundert gegründet. Hundert, weil im Freundeskreis von Leibniz alles was gut ist, mit „hundert“ goutiert wird.

Doch: Es wird wohl auf absehbare Zeit die letzte Leibniz-Platte sein, die wir hier bei frohfroh vorstellen. Denn Leibniz ist nach Berlin gezogen – wie Talski, Krink und Jennifer Touch auch. Das ist alles andere als hundert, eher super sad. Besonders, da die erste Hundert-Platte die wunderbare UK-Vielseitigkeit und Ruppigkeit aufzeigt, mit der Leibniz von Anfang aufhorchen ließ. Abgesehen von der hektischen Detroit-Hommage „Pizza“ ist „Online“ als Ganzes auf Kontemplation aus, mit deutlich mehr Wehmut als zuletzt.

Das macht den Abschied nicht leichter, beschert Hundert aber einen enorm gelungenen Start. Mittlerweile ist auch schon die zweite EP herausgekommen, von DJ bwin.

Map.ache „Perception Shift“ (Altin Village & Mine)

Dass Kann Records-Mitbegründer Map.ache tief mit Indie, Post-Rock und Electronica verwurzelt ist, dürfte keine Neuigkeit sein. Altin Village & Mine, ein Leipziger Indie- und Elektronik-Label, dessen künstlerische Hochkarätigkeit mir ehrlich gesagt nicht bewusst war – Xiu Xiu, Von Spar, Sven Kacirek und Die Goldenen Zitronen veröffentlichten dort bereits – erwies Map.ache eine besondere Ehre.

Er konnte sich vier Stücke aus dem Altin Village & Mine-Backkatalog zum Remixen auswählen. Und heraus gekommen sind umwerfend gute Neuinterpretationen für Skeletons, Phoebe Killdeer & The Shift, Urban Holmes und Sven Kacirek. Umwerfend, weil man in jedem Remix spürt, wie nah Map.ache den jeweiligen Befindlichkeiten der Originale steht. Einerseits greift er behutsam ein, andererseits durchdringt er die verschiedenen Ursprünge und hüllt sie in seine eigene beseelte House- und Electronica-Deepness.

Spirituals „Doumen 07“ (Doumen)

Nach dem beglückenden Abe-Album im letzten Jahr bewegte sich Doumen in diesem Frühjahr sorgte Doumen für ein Wiederhören mit Spirituals. Auf Mana-All-Nite hatte er schon einmal ein sehr eigenwillige House-Platte veröffentlicht. Und auch „Doumen 07“ spielt zwar mit klassischen House-Elementen, aber noch viel mehr mit Auslassungen, ungewohnten Verschiebungen und einer extrem hohen Musikalität.

Es ist eine EP, bei der sich ein großer Reichtum an Harmonien mitten in super reduzierten Arrangements mit filigran federnden Beats entfalten kann. Der musikalische Anspruch kommt hier immer vor Dancefloor-Diktaten. Logisch, dass da auch manche schrullige Stellen auftauchen. Doch genau diese Mischung macht „Doumen 07“ so anziehend und großartig. Kammer-House a its best.

Interviews „Christine“ (Ortloff)

Ebenfalls im Frühjahr veröffentlichte Ortloff eine 7″ mit zwei unterkühlte Synth-Wave-Tracks von Interviews. Ein Teil des überguten Duos QY steckt dahinter. „Christine“ und „Opera“ vertonen mit kantigen Synths und simplen Wave-Beats auf retrofuturistische Weise eine Dystopie. Sehr aufrichtig in der Patina und dem Pathos gelingt dies.

Ranko „Arid CC“ (Blaq Numbers)

Und zum Schluss noch einmal Ranko. Der hatte auf Blaq Numbers nämlich im Frühjahr ein dickes Tape mit 16 neuen Tracks veröffentlicht. Und er zeigt hier erneut, wie vielseitig er sich zwischen Instrumental HipHop, Folk, Downbeat, UK Funky und House bewegt.

Das ganze Tape ist geprägt von einer zurückgelehnten Atmosphäre. Dabei aber so voller Details, dass die halbe Stunde wie im Flug vergeht. Und dann heißt es: Repeat.

Afterhour #10 Liebe, Techno, Leipzig – Luise

Einem spannenden Thema geht Antoinette Blume in der neuen Ausgabe ihrer Afterhour-Kolumne nach: Gibt es wirklich kein Feierleben mehr, wenn man Kinder hat? Luise kann davon erzählen.

In medias res, mal wieder
Wenn man Kids hat, ist es mit Feiern vorbei. Schluss, Ende, ausdiemaus. Oder? Sicher eine Individualentscheidung. Dann gibt es noch unbeeinflussbare Umstände, glückliche, weniger glückliche oder ambivalente, die machen die Sache eh uneindeutig.

Aber es gibt Eltern, die weiterhin ihr Geld im Nachtleben verdienen, als DJ, Techniker_in, Türsteher_in, Barfrau_mann, whatever. Und weiterhin Menschen mit Kiddies, die auch ab und an noch ausgiebig feiern sind. Eltern in ihren Zwanzigern, Dreißigern, Vierzigern. Ich habe für diesen Text mal eine junge Mutti aus dem Leipziger Nachtleben ausgefragt.

Steckbrief
Clubnest?So&So, Thalysia, IfZ
ZuhausemusikDas Dschungelbuch
Zeit zu gehen …?Wenn der Meisenmann singt

1+1=3
Luise, Grafikdesignerin, Friend-in-need und in-deed, Feiergängerin und Dschungelkönigin, wenn sie mit dem Rucksack durch Thailand läuft. Ich habe Luise zu einer Sonntagsparty im So&So kennengelernt, auf der ich rumfragte, wer denn jemanden kenne, der schon Kinder hat und trotzdem noch feiern geht. Da wir augenscheinlich die gleichen Clubs frequentieren, liefen wir uns noch ein paar Mal über den Weg – oder trafen uns bei ihr zu Hause, mit „Kind und Kegel“, wie man sagt.

Dabei erfuhr ich, dass sie 32 und selbstständig ist, Filmschnitt und Motiondesign (und so Sachen) macht, ihr Studium in Dessau abgeschlossen und einen Sohn hat. Ihr Sohn ist drei Jahre alt und hat keine allzu großen Sympathiegefühle für mich, da ich seine Mutti in Anspruch nehme. Da fällt mir wieder ein, dass ich generell nicht so die Kinderflüsterin zu sein scheine …

Gästeliste + 1
Luise feiert seit sie 15 ist, gerne auch ausgelassen die Nächte durch, WG-Party, Festival, Club – alles, her damit. Es wäre offensichtlich gelogen, hätte es seit der Geburt ihres Sohnes keine Veränderung gegeben. Man muss sich gemeinsam mit irgendwem organisieren, sei es nun der_die Partner_in, ein enger Freund, die eigene Mama oder der Opa, es muss genau ausgewählt werden, wofür der wortwörtliche Feierabend eingelöst wird, seit die Beziehung zu sich und anderen zwangsweise aus Gästeliste+1 besteht.

Luise ist es aber elementar wichtig, nicht nur eine „verantwortungsfreie“ (aufgepasst, nicht verantwortungslose) Zeit für sich nutzen zu dürfen, sondern auch einfach mal Gespräche und Erlebnisse mit Menschen zu teilen, die keine Kinder haben. Wie das funktionieren kann? Mit dem Partner absprechen und sich einem ganz neuen Genuss hingeben: Vorfreude. Vorfreude. Vorfreude, denn man kann nur noch bewusst und geplant ausgehen, „spontan 2-3 Wein um die Ecke trinken“ geht eher nicht so oft. Eher mal so gar nicht.

Zu manchen Anlässen können auch die Großeltern rangeholt werden, die das Enkelchen mal ein Wochenende bespaßen – während seine Eltern Spaß im Club haben. Man hebt sich diese Gelegenheiten aber auf, zum Beispiel für ein interessantes Line-Up, eine große Opening-Party oder den eigenen Geburtstag.

q.e.d.

Als Mami schwankt Luise ab und an von „Wo ist mein Leben hin?“ zu „Ich vermiss‘ mein Kind“, was ich nur allzu nachempfindenswert finde.

Es gibt aber-trotzdem-gerade-deshalb keinen Widerspruch von Nachtleben und Kinder haben. Das friedliche Co-Existieren ist zwar abhängig von Ressourcen und Interessen, nicht nur den eigenen, sondern von vielerlei Bekannten, Freunden und möglicherweise des/der Partners_in… Trotzdem, alles machbar.

Foto (as always) von Henry W. Laurisch und Artwork (natürlich) von Manuel Schmieder.

Behind the nights – Fiktion+Masse

In dieser Woche haben wir gleich zwei neue Folgen unserer „Behind the nights“-Reihe parat. Diese hier liegt uns besonders am Herzen – Fiktion+Masse.

Es gibt nicht viele Konzert- und Party-Reihen, die sich konstant der experimentelleren elektronischen Musik widmen. In größeren Clubs lässt es sich wahrscheinlich kaum etablieren und in Bars ist es meist zu unruhig.

Doch Fiktion+Masse hat es geschafft, mit Live-Auftritten und DJ-Sets verschiedenen Stilen abseits von House und Techno einen Raum zu geben. Hauptsächlich im Leipziger Osten. Aber auch ins IfZ, wo die 10. Ausgabe der Reihe etwas größer aufgezogen wurde. Mit Tillmann vom Pracht-Kollektiv haben wir über Fiktion+Masse gesprochen.

Wer verbirgt sich hinter Fiktion+Masse?

Bei den Veranstaltungen wirkt eine wechselnde Mischung aus Mitgliedern des Pracht-Kollektivs und Musiknerds aus dem Freundeskreis mit – der personelle Hintergrund ist also recht familiär. Offensichtlich, aber trotzdem nennenswert ist natürlich die Mitgestaltung der jeweiligen Abende durch die eingeladenen Artists.

Ich selbst kümmere mich als Initiator in erster Linie um die Kuration, wobei mir auch hier Austausch und Zusammenarbeit wichtig sind. Für die Jubiläumsausgabe der Fiktion+Masse, die im Juni im IfZ stattgefunden hat, habe ich mich beispielsweise mit partner in crime Maria aka Solaris zusammengeschlossen. Von einer klassischen Crew kann aber nicht wirklich gesprochen werden – als solche nehme ich dann eher den Prachtzusammenhang wahr.

Wie gestaltete sich der Weg von der Idee zur ersten Umsetzung?

Die erste Ausgabe gab’s im Februar 2016 mit dem lokalen Ambient-Projekt Songs for Pneumonia und Pillowman von Pneuma-dor.

Ich fand die Idee gut, experimenteller elektronischer Musik einen eigenen, öffentlichen und vor allem wiederkehrenden Rahmen zu verpassen – also abseits von „Chillout-Floors“ als Nebenschauplätzen der „eigentlichen Party“ und der Wohnzimmercouch. Ich hatte damals wie heute Zugang zu einem für mich sehr wichtigen Veranstaltungsort im Leipziger Osten, wodurch die Umsetzung dieser Grundidee vergleichsweise unkompliziert verlief.

Interesse, Offenheit und Zuspruch durch Publikum und Artists haben mich danach darin bestärkt das Nischenprojekt weiterzuführen. Die Feinheiten des Veranstaltungskonzeptes haben sich dann auch erst über die Veranstaltungen hinweg herausgeschält.Was ist die musikalische Ausrichtung und generell das Konzept der Veranstaltung?

Fiktion+Masse ist ein Format, in dem in möglichst entspanntem Beisammensein außergewöhnliche elektronische Musik gespielt wird, je nach Gelegenheit ergänzt durch Visuals, Performances oder andere Themen-bezogene Inhalte. Musikalisch liegt der Schwerpunkt grob auf Ambient, Noise, Elektroakustischer Musik und Industrial, wobei es eigentlich mehr um einen roten Faden hinsichtlich der Ästhetik gehen soll, als um rote Linien im Hinblick auf Genregrenzen.

Die eingeladenen Artist kommen in der Regel aus sehr unterschiedlichen Backgrounds und bringen entsprechend auch unterschiedliche Vorlieben und Skills mit, wodurch jede Edition automatisch ihren eigenen thematischen Fokus bekommt.

Insgesamt ist die inhaltliche Ausrichtung bewusst nicht darauf ausgelegt, eine breite Masse anzusprechen, sondern ist klar nischenbezogen und edgy – wobei gleichzeitig schon auch versucht wird, das ganze möglichst zugänglich zu halten.

So soll die Fiktion+Masse einen Raum schaffen, in dem sich sowohl Interessierte und Künstler*innen austauschen können, als auch Berührungspunkte für Leute entstehen, die mit dieser Art von Musik bislang vielleicht noch nicht so viel anzufangen wissen. Die Regelmäßigkeit ist für beide Punkte zuträglich, glaube ich.

Wie siehst du den Stellenwert bzw. die Notwendigkeit einer Reihe wie Fiktion+Masse im Leipziger Nachtleben?

Ich würde sich vom Mainstream abhebenden Formaten immer einen gewissen Stellenwert beimessen – schon alleine aus einer tiefen Ablehnung von kulturellem Einheitsbrei heraus. Für mich selbst hat die Fiktion+Masse im Speziellen natürlich einen sehr hohen Stellenwert, da sie einen Spielplatz für mich darstellt.

Ich habe hier die Möglichkeit, Artists, von denen ich Platten im analogen oder digitalen Regal stehen habe oder deren Sets ich auf Soundcloud rauf und runter gespielt habe, in meine Nachbarschaft einzuladen und mit ihnen einen schönen Abend zu verbringen. Ich kann mir wenig Cooleres vorstellen. Umso besser, wenn es dann noch andere gibt, denen das gefällt.

Dass es aber nicht allen so geht wie mir und nicht allen alles gefällt, ist klar und völlig legitim – Geschmäcker sind individuell und jede Person hat eigene Musikbereiche, die sie anziehen oder berühren.

„Cool finde ich, dass in den letzten Jahren das Interesse und die Offenheit gegenüber nischigeren Inhalten gestiegen zu sein scheint.“

Auf Partys sind zuletzt vermehrt „Ambient/Chillout Floors“ zu finden, lokale Labels wie Pneuma-dor, Holger Records oder neuerdings PH17 machen das Releasen von elektronischer Musik abseits des Clubmusik-Mainstreams zum Thema.

Und selbst in einem großen Laden wie dem Institut für Zukunft werden neben dem Techno/House-Programm auch beständig interessante abseitigere Acts eingeladen, etwa bei den Cry Baby-Veranstaltungen. Das von mir selbst als am interessantesten Empfundene findet aber nach wie vor eher in kleineren Läden und Off-Locations statt.Wie sieht die Zukunft aus?

Ich wünsche mir, dass auch in Zukunft noch genug Raum für abseitige Formate und allgemein „Experimente“ dahingehend besteht. Die Existenzen der meisten Orte, an denen eine Offenheit für solche Projekte da ist, sind leider keine Selbstverständlichkeit, genauso wenig wie die Arbeitskraft, die zumeist ehrenamtlich investiert wird, um diese zu betreiben und erhalten.

Vor ein paar Monaten musste aufgrund einer Mieterhöhung das Pferdehaus als einer der wichtigsten Clubs Leipzigs in den letzten fünf Jahren schließen, das mittlerweile weit über Leipzig hinaus bekannte und anerkannte Institut fuer Zukunft musste sich zuletzt aus heiterem Himmel mit abstrusen Sperrstundenauflagen arrangieren. Weniger im öffentlichen Fokus aber nicht weniger kritisch ist die Lage vieler kleiner Läden.

Es bleibt also nur zu hoffen, dass trotz der bekannten Entwicklungen möglichst viele interessante Orte erhalten bleiben. In dem Zusammenhang würde ich mich natürlich freuen, wenn radikalere Formate wie die Fiktion+Masse auch in Zukunft noch andere ermutigen können, eigene Projekte zu starten und ihre Ideen umzusetzen. Damit es hier ja nicht langweilig wird.

Ausblick:
Die nächste Ausgabe findet am 1. Oktober mit Elektroakustik-Koryphäe Valerio Tricoli (PAN) statt, dessen surreal-düstere Klangkollagen durch Live-Manipulationen von diversem Audiomaterial (Fieldrecordings, Mikrophon, Synth) mit Hilfe einer Tonbandmaschine geprägt sind. Neben ihm spielt der lokale Geheimtipp Hobor (PH17) ein ebenfalls elektroakustisches Live-Set mit dem Fokus auf Microsounds. Davor, dazwischen und danach bedienen Albina und Zond die Start/Stop-Knöpfe.

Crssspace x Smog x Selected Loops

In den letzten Monaten haben auch Leipzigs samplefreudige Musiker aus dem Umfeld von Pattern // Select spannendes Material herausgebracht.

Crssspace „All these lights“ (Cosmic Pop Records)

Ein schillernd funkelndes Album legt Crssspace mit „All these lights“ auf dem belgischen Label Cosmic Pop Records vor. Und es hört sich klasse an: Über verwaschen schlurfende Beats glitzern Synthesizer-Klänge, vielleicht moduliert, vielleicht auch aus Samples bestehend, die zugleich neugierig und friedfertig herumschwirren. Damit löst er sich doch sehr vom klassischen Sample-Fundus, der bei „Someofwhicharecollectibles“ noch vorherrschte.

Auch wenn das Intro die Inspiration etwas esoterisch anmutend beschreibt, trifft es die Atmosphäre des Albums ziemlich gut: „I try to connect with time and space through my inner spheres, which guide me and hold my thoughts about human minds, values and emotions.“ Tatsächlich strahlt die Musik eine große Gelassenheit aus, während sie den Hörer ins Universum entführt. Ja, mit „All these lights“ kann man der nächsten intergalaktischen Reise entspannt entgegensehen.

Smog „Reconsider_EP“

Geerdeter hingegen klingen die neun Tracks der „Reconsider_EP“ von Smog, der wie auch Crssspace ein Teil des feinen Labels Pattern // Select ist und die EP im Alleingang im Juli veröffentlichte. Hier scheinen die Samples verschiedener Instrumente klarer durch als bei Crssspace: Stellenweise sind sie wie bei „nichtderkrea_tivste“ so organisch miteinander verwoben, dass es wirkt, als würde man einer selbstvergessenen Band lauschen. Bei Stücken wie „onedone“ behalten sie hingegen den typischen spröden HipHop-Charme bei, der diesen Sound so anziehend macht, aber zumindest mich auch viele Stücke wieder schnell vergessen lassen.

Oh, und wenn wir schon dabei sind: 2016 hat Smog auch die „The End Of Silence EP“ herausgebracht, die uns damals scheinbar durch die Lappen gegangen ist.

Various Artists „Selected Loops“ (The Loop / Pattern // Select)

Ganz frisch erschienen ist zudem das Tape „Selected Loops“, eine Zusammenarbeit des Schweizer Projekts The Loop mit Pattern // Select. Neben Smog und Crssspace sind auch weitere übliche Verdächtige aus Leipzig wie Duktus, Dyze, Schmeichel, DasKidmo usw. vertreten, die zusammen mit einer ganzen Horde Beatmaker auf der Suche nach dem entspanntesten Loop sind.

Insgesamt 48 Beats sind hier versammelt, die perfekt miteinander harmonieren, dabei meistens die Ruhe weghaben und erst etwa ab der Hälfte auch mal an Fahrt aufnehmen. Das macht es gar nicht so einfach, klare Highlights zu benennen, aber vielleicht wäre das für so ein Projekt ohnehin unpassend. Hier entsteht ein Fluss an Beats, hinter denen die Persönlichkeiten verschwinden. Eigentlich ist die Kassette dafür auch das logische Medium.

Auch wenn Beschreibungen wie Klangtapete oft nicht positiv gemeint sind, so sind die „Selected Loops“ gerade das im besten Sinne für den aufkommenden Herbst.

Behind the nights – Cry Baby

Kunst, Performance, Grafik und progressive Clubmusik – in der neuen Behind the nights-Ausgabe hat sich Antoinette Blume mit der Cry Baby-Crew getroffen.

Eines der interessantesten (wäre dieses Wort doch nur nicht so ausgenudelt …) Kollektive mit den meiner Meinung nach nachweislich besten Plakaten in Leipzig: Die Cry Baby-Crew. Sie wollen mit einer anspruchsvollen Konzeption zwischen Kunst, Performance, Grafik, progressiver Clubmusik und einer eigenen Ästhetik eine neue Generation an Künstler_innen und Producer_innen stärken. Aber von vorn.

1+1=3
Die Kuratoren der Cry Baby-Veranstaltungen heißen Kyle und Anja. Kyle hat die Veranstaltungsreihe 2014 ins Leben gerufen und erst so ziemlich alles in Eigenregie gemacht – „way too much stress“, wie er mir versichert, gleichzeitig-trotzdem vermisst er das Auflegen auf seinen eigenen Veranstaltungen ein bisschen. Seine Wurzeln kommen aus der DIY-Musik-Szene der USA, passend.

Anja kam ein Jahr später erst als Grafikerin für die Veranstaltungsplakate, später auch als Bookerin dazu. Sidenote: Die Plakatdesigns von ihr sind selbst unter denjenigen bekannt, die die Partyreihe noch nie besucht haben. Sie arbeitet im „normalen Leben“ als künstlerische Mitarbeiterin an der Burg Giebichenstein, der Kunsthochschule in Halle, und verortet sich mit ihrer künstlerischen Auseinandersetzung im Bereich Design & Research.

On top: Während ich das schreibe, en ce moment, sehe ich beim sleek mag die Headline „How Leipzig’s Emancipatory Nightlife is Shaping the Young Art Scene. Feminist graphic artist Anja Kaiser explains what drew her to Leipzig“ – das wirft schonmal einige richtige Begriffe zusammen, die Anja Kaiser beschreiben.

Und dann haben wir noch Dorothy Parker, die als einzige Resident DJ natürlich eine besondere Rolle bei den Veranstaltungen einnimmt. Dorothy Parker ist freischaffende Medienkünstlerin, arbeitet am Schauspiel Leipzig in der Videoproduktion und ist darüber hinaus DJ. Und sie ist bei jeder Cry Baby Party dabei, of course.E3 = Eigenwillig, eklektisch und experimentell
Die drei beschreiben ihr Projekt als „Plattform für progressive Clubmusik“ und bewegen sich dabei zwischen Live-Acts, „fun music“ und den zur Zeit aufstrebendsten Musikproduzent_innen aus Leipzig, Berlin und internationalen Gefilden. Aber die Veranstaltungen halten noch mehr bereit, als nur ein progressives Line-Up. Nämlich Raum zur Reflektion. Ahja?

Politisch-philosophische Ansätze inmitten einer Partyveranstaltung – gar nicht mal so befremdlich, wenn man sich die vorausgegangenen Veranstaltungen des Kollektivs anschaut. Die Februar-Ausgabe der Veranstaltungsreihe in Kooperation mit Dgtlfmnsm, bei der es ein Filmscreening des Films Lumapit Sa Akin, Paraiso (Come to me, Paradise) von Stephanie Comilang gab, wäre da so ein Beispiel.

Die kanadisch-philippinische Filmemacherin Comilang kam zusammen mit den Filmmusikkomponisten Why Be und Sky H1 nicht nur zum Artist Talk ins IfZ. Die beiden blieben danach noch, Why Be als DJ und Sky H1 spielte ein Live-Set bei dem Anja Kaiser die Visuals live dazu einspielte. Alles miteinander verbunden, vernetzt und in Zusammenhang – auch mit der Identität der kollaborierenden Künstler_innen. Theorie, Kunst und Party. Diversität (auf Seiten der Veranstalter_innen, Musiker_innen, Künstler_innen sowie auf Seiten des Publikums), (female) Empowerment und die LGBTQ-Szene kommen außerdem als Komponenten seit Beginn bei Cry Baby zusammen.√Clubraum
Ist das dann noch Party? Das lässt sich nicht wirklich beantworten. Das Kollektiv geht mit seinen Veranstaltungen viel eher den Fragen, „was kann ein Club als kultureller Schutzraum leisten?“, „wer begegnet sich zu solchen Veranstaltungen, wen bringen wir zusammen und was entsteht daraus?“ auf den Grund.

Sie stellen eine Institutionsfreiheit inmitten des Projekts heraus, die hiermit wiederum Politik und Reflektion integriert. In diese Richtung soll es bei Cry Baby weitergehen. Kyle und Anja wollen bestehende Netzwerke mit Kollektiven wie No Shade oder Dgtlfmnsm vertiefen, sich mit ähnlichen Projekten vernetzen und mit aufstrebenden Künstler_innen zusammenarbeiten.

Bei all dem Input-Output und Anspruch gibt es aber doch noch das Partyerleben. Cry Baby besteht nicht nur aus Atmosphäre, sondern (natürlich) auch aus Musik und Feiern: „In the end, we want to have an amazing time. Cry Baby is the most fun we have in Leipzig, period. But why not experiment a bit along the way?“. Das kann man als Schlusswort so stehen lassen.

Ich darf euch meinerseits sagen, wenn ihr euch für neue, progressive elektronische Musik interessiert, wenn nicht begeistert und auch politisch-feministischen Veranstaltungen nicht abgeneigt seid: Cry Baby wäre was für euch, go for it.

Am 29. September 2017 findet im Institut fuer Zukunft die nächste Cry Baby statt. Die Party zieht mit RUI HO, Ace of Diamonds und Dorothy Parker dieses Mal auf Trakt III, den „Miniclub im Club“, um.

David Bowie x Filburt x Helden

Vor 40 Jahren wurde David Bowies „Helden“ geschrieben und veröffentlicht. Zum Jubiläum durften zwei Elektronik-Producer den Hit remixen – Filburt ist einer davon.

Und damit schon mal ein großes Wow vorweg. Denn Filburt teilt sich die Ehre eines offiziellen Remixes tatsächlich nur mit dem britischen Drum & Bass-Producer Klax. Dass ein Leipziger Musiker in die Auswahl kam, liegt an der etwas leidigen Heldenstadt-Zuschreibung Leipzigs.

Aber gut. Auch „Heroes“ ist von großem Pathos geprägt. 1977 entstand der Song im Berliner Hansa Studio, das zu dem Zeitpunkt unweit der Berliner Mauer lag. Bowie sah wohl aus dem Paar ein junges Paar, dem es scheinbar nichts ausmachte, sich genau unter einem Grenzwachturm zu küssen.

Filburt bekam schließlich das Angebot für einen Remix aus der Heldenstadt Leipzig. Die Idee für seine Version sei recht schnell entstanden, meint Filburt. Die Zeit danach aber, mit all dem Warten auf Feedback vom Label und Bowies Erben, zog sich und hat ihn wohl einige Nerven gekostet. Der Remix erscheint nun als digitaler Bonus zu einem 7″-Re-Issue von „Heroes“.

Das Ergebnis ist eher eine Cover-Version, denn Filburt hat nicht nur den Refrain gesamplet, er hat Bowies deutschsprachige Strophen komplett eingebettet in seinen disco-schillernden House-Sound. Sehr hot!

Filburt sagt: „Es war eine sehr große Ehre mit dem Originalmaterial arbeiten zu können. Als ich die Basis der Single hörte, bekam ich sofort eine Gänsehaut. Für mich ist David Bowie immer ein Ausnahmetalent gewesen und dieser Song spiegelt den Drang nach Freiheit und Veränderung wider. Während ich am Remix arbeitete, war es mir wichtig, die Atmosphäre des Originals in ein neues, aktuelles Zeitalter zu übertragen, aber auch, mit dem Groove ein klassisches Disco-Feeling zu erzeugen.“