Es rumort im Westwerk. Neue Pläne sehen mehrere große kommerzielle Nutzer und ein Parkhaus vor, die Mieten wurden stark erhöht – auch das Pferdehaus ist davon betroffen.
Zwischen „Wieder aufblühen“ und „Teuer verkauft“ liegen in manchen Stadtteilen nur wenige Jahre. Plagwitz kann ein Lied davon singen. Nach dem Rückzug des Westbesuchs von der Karl-Heine-Straße scheint nun auch das Westwerk teilweise bedroht. Und so ging gestern die Aktionsseite „Westwerk retten“ online, die zum Erhalt des Plagwitzer Westwerks als „symbolischen Ort für einen unkommerziellen, kreativen und auch subversiven Charakter“ aufruft.
Demnach soll in einer Etage ein großer Billardclub einziehen. Den aktuellen Mietern dort, darunter der Kunstraum Westpol, wurde bereits gekündigt.
Auch ein Konsum und ein Parkhaus sind geplant bzw. im Gespräch.
Darüber hinaus erhöhten sich für alle anderen Mieter die Nebenkosten in wohl drastischer Weise, teilweise um 100 Prozent, wie die Leipziger Internet Zeitung schreibt. Betroffen ist auch der KulturKollektiv Plagwitz e.V., der im Pferdehaus als „offener Raum für Kultur“ u.a. Partys und die Midway-Reihe veranstaltet. Inwieweit sich die gestiegenen Kosten kompensieren lassen, ist für den Verein derzeit noch nicht einzuschätzen, heißt es dort.
Für den 5. Februar ist ein Vortrag mit Diskussionsrunde im Westwerk geplant, am 11. Februar folgt eine Demonstration durch Plagwitz.
Update
Bei LVZ Online kommt nun auch der Westwerk-Verwalter Peter Sterzing zu Wort. U. a. sagt er: „Wir sehen das Westwerk als Stadtteilzentrum und das braucht auch Vielseitigkeit. […] Es wird auch jetzt Umstrukturierungen geben, aber wir werden den Charakter und die Vielseitigkeit des Stadtteilzentrums nicht zerstören.“ Vorbild ist für ihn die Baumwollspinnerei, wo sich neben Galerien und Ateliers zum Querfinanzieren auch ein großes Call Center Platz einreiht. Ob die kleinen Mieter jedoch mit den steigenden Mietkosten zurecht kommen, wird sich erst zeigen.
R.A.N.D. Muzik presst Platten, klar. Aber eigentlich nur für andere Labels. Zum letzten Weihnachten gab es eine Ausnahme.
Es ist aber nicht die erste: Vor fast sieben Jahren gab es schon einmal eine Platte von R.A.N.D. Muzik, in Zusammenarbeit mit Mikrodisko Recordings. Und nicht zu vergessen die große Zeit von Out Of Lunch, 3B, Science City und United States Of Mars, jenem Label-Quartett, dem R.A.N.D. Muzik ein Dach bot und aus dem schließlich das Presswerk und Lowtecs Workshop-Label entstand.
Nach all der historischen Einordnung soll es aber um die Gegenwart gehen. Die „RM241216“ ist nicht nur das Highlight hinter dem 24. Türchen des R.A.N.D. Muzik-Adventskalenders 2016, es ist zugleich ein schöner Ansatz zum Aufbau einer möglichen Tangente Leipzig-Australien. Denn an der Entstehung der Mini-Compilation war maßgeblich Reece Walker alias Carmel aus Perth beteiligt.
Seit Anfang Herbst des letzten Jahres lebt er in Leipzig und fand über Jens Kuhn alias Lowtec einen guten Kontakt zu R.A.N.D. Muzik. Und weil der Adventskalender so gut ankam, sollte am Ende eine Platte entstehen – mit einer Dance- und einer Listening-Seite.
Natürlich ist es heiß, dass Kassem Mosse mit einem ebenso rasenden wie unbedarft daherkommenden Track dabei ist. Die wirklichen Kicker kommen aber von Reece Walker. Einmal solo mit seinem gedrosselten, leicht ätherischen Jungle-Track „DOC 2“ und in zwei Kollaborationen mit Alex Campell (als Senate) sowie mit Jefferson Burrow (als Fishermans Friend). An dem hektisch bollernden Breaks-Stück „Braunschweig Breaker“ von Senate bin ich sofort hängengeblieben. So simpel, so pur, so energiegeladen. Ich komme nicht daran vorbei, mein Hit dieser Platte.
Als Kontrast wird es mit Fishermans Friend dann wesentlich kontemplativer. Perkussiv und in Südseeromantik getüncht schleicht der „Deep Florist“ schier endlos entlang der Ambient-New Age-Traditional-Linien. Sehr angenehm und unaufgeregt, und vor allem: sehr unkitschig.
Diese extrem gute und vielseitige Compilation gibt es übriges ausschließlich im Possblthings-Plattenladen in Connewitz.
Deko Deko haben uns den letzten Herbst mit ihrem Debüt-Album „Neustadt“ dunkel versüßt. Nun gibt es sehr flashende Remixe.
Das ist mal eine Ansage. Nicht nur ein paar Remixe hauen O*RS und Deko Deko heraus, um „Neustadt“ nochmals in anderen Perspektiven in Erinnerung zu rufen. Nein, es sind zwölf Stück und der Großteil davon haut mich wirklich weg.
Nun sind Deko Deko sicherlich ein dankbarer Ausgangspunkt zum Remixen, liefern die Songs des Duos neben dem einnehmenden Gesang auch eine ganze Reihe an markanten Sounds. Trotzdem scheinen sich die meisten Remixer extra tief in die Deko Deko-Materie eingegraben zu haben.
Hier wurde nicht einfach nur Pop vorwiegend in House übertragen.
Stattdessen wurde einerseits sehr behutsam und filigran die Melancholie entzerrt und neu betont, wie bei Map.ache, Jennifer Touch, Panthera Krause, Lootbeg, Braunbeck und Grizzly.
Oder andererseits: die Düsterheit der Originale in ein sehr überschwängliches Gegenteil gebracht. Jacob Korn, Micronaut und Yandom entschieden sich für diesen Weg.
Und dann gibt es noch zwei Ausreißer: QY lotsen „Tommi“ überzeugend in eine statisch-flimmernde Footwork-Welt mit kurzen Trance-Attacken – mein großer Favorit. Ultralala dimmen dagegen alle Lichter und Harmonien und pitchen „Outside“ zu einem theatralisch-düsteren, undefinierbaren Pop-Performance-Hybriden. Sind das nicht sogar Deko Deko selbst?
Wie auch immer: Eines der besten Remix-Alben aus der Stadt ever.
Neulich haben wir ein Tape aus Halle vorgestellt, nun gibt es ein weiteres aus Jena: No Accident In Paradise haben verstreute Compilationbeiträge neu zusammengetragen.
No Accident In Paradise sind Stachy.DJ, Inannia und der in Leipzig lebende Albrecht Ziepert. Wir hatten sie vor einiger Zeit schon einmal mit ihrem ersten Album vorgestellt. Unabhängig davon entstanden zwischen 2009 und 2016 immer wieder Tracks, die unterschiedlichen Compilations erschienen, verstreut im Internet. Mit „Kolekcja“ bringt das Ambient-Trio sechs dieser Schätze noch einmal gebündelt selbst heraus – digital und als auf 33 Exemplare limitierte Tape-Edition.
Die kleine Werkschau zeigt die verschiedenen Ebenen von No Accident In Paradise auf: stille, filigran geschichtete Passagen neben hörspielartigen Sprachsamples bis hin zu tief verschütteten Techno-Rhythmen. Immer gibt es Wendungen in den Stücken, schälen sich neue Elemente und Dramaturgien heraus. Es gibt keine statischen Momente, alles ist in Bewegung und von großer Erhabenheit. Fast klingt es, als würde hier eine unberechenbare, weithin respektierte Maschine ihre Geschichten erzählen. Zumindest erinnert der Bann an das Zuhören beim Vorlesen einer gewissen Autorität.
In den letzten Monaten gab es aus Leipzig neue Musik im Bass-Bereich. Hier unser Überblick.
Während hier und da Jungle wiederentdeckt wird und in dem ein oder anderen Techno-Track durchschimmert, wird sich andernorts darüber kurz gewundert und einfach weiter kontinuierlich bassige Musik produziert. Auch in Leipzig, denn hier gab es in den letzten Monaten so einiges neues im Bereich Dub, Jungle, Drum & Bass und allen möglichen Kombinationen daraus. Ein kleiner Überblick:
FLeCK & Blue Hill „Aphreka EP“ (Ulan Bator)
Eine neue Platte auf Ulan Bator gibt es seit November letzten Jahres. Nach all den Junglelivity-Releases ein schönes Lebenszeichen der vorrangig als Party-Crew wahrgenommenen Reggae-, Dub- und Jungle-Institution aus Leipzig. Diesmal ist mit von Fleck & Blue Hill aus Griechenland der Fokus stark auf Dub der klassischen Variante gerichtet.
Vier Tracks gibt es auf der 12″ zu hören, allesamt mit Instrumenten eingespielt und durch allerlei Effekte gejagt. Zum Teil schrammt das aufgrund der Instrumenten-Auswahl, der Vocals und der Ernsthaftigkeit leider nah am Weltmusik-Kitsch entlang.
Lee „Scratch“ Perry „The Upsetter Meets Jahtari In The Secret Laboratory“ (On-U Sound)
Irgendwie gab’s wohl zum Record Store Day 2016 eine superrare 7″ mit zwei Jahtari-Versionen zu von Adrian Sherwood produzierten Lee Perry-Tracks auf Sherwoods Label On-U Sound. „Scientific Dancehall“ und „Scientific Dub“ sind dann auch zwei Soundclash-Bomben voller 8bit-Jahtari-Wahnsinn.
Einmal von Rootah, einmal von Disrupt, die sich vermutlich sehr über die Möglichkeit gefreut haben dürften, eine Dub-Legende zu remixen. Neulich gab es noch einige Platten davon im Jahtari-Shop, die aber seit dem ersten Relaunch der Website seit zwölf Jahren nun wieder vergriffen zu sein scheinen.
Various Artists „Bass & Breaksfest“-EP (Alphacut Records)
„Bass & Breaksfest“ heißt die neue EP auf Alphacut. Ich frage mich ja immer, wie LXC auf die Titel kommt und ob es irgendwo ein Kreativ-Büro gibt, das sich den ganzen Tag neue Namen für Drum & Bass-Tracks, -EPs und -DJs ausdenkt. Jedenfalls gibt es hier einen dunklen Stomper von Coleco und ein Drum-Funk-Scratch-Monster von Phuture-T auf der A-Seite, beides ziemlich ruffe und trockene Tracks.
Auf der B-Seite browst dann Hidden Element einmal geschickt durch seine Sample-Library und setzt mit atmosphärischen Sounds einen Kontrast zum Breakbeat-Massaker.
Dissident hinterlässt zum Schluss den stärksten Eindruck. Obwohl die Drums genauso peitschend nach vorne gehen wie bei seinen Kollegen, setzt er sie weniger krachig ein und überrascht außerdem mit einem astreinen Übergang zu einer Art Uptempo-Broken-Techno-Beat. Damit lässt sich so einiges anstellen.
Dissident „Glowworm“-EP (Alpha Cutauri)
Mit der „Glowworm“-EP von Dissident kehrt auch das Alpha Cutauri-Imprint zurück. Schon die ersten Sekunden ziehen mich in den Bann. Verrückt, was passiert, wenn die Drum & Bass-Leute sich Zeit für die Entfaltung ihrer Tracks nehmen und gleichzeitig das produktionstechnische Level ihres Genres beibehalten.
Auch bei Dissident entstehen da fantastisch verträumte Sound-Galaxien, die in EP-Form erst recht ihre Wirkung entfalten. Irgendwann, zwischen den all den Soundscapes und den vertrackten Beats, schleicht sich bei „Bricolage“ eine simple Melodie ein, die den Hörer behutsam aus dem Kopfkino weckt. Ein Gänsehaut-Moment.
Rainforest „Jungle Is Our Dub / Dub To Jungle“ (45 Seven)
Ok, worum es hier geht, ist nicht schwer zu erraten, schon gar nicht bei 45 Seven. Aber auch anhand der Vocal-Samples gibt uns Rainforest hier Nachhilfe in Sachen Soundsystem-Kultur.
Das Fazit: Egal, ob Dub oder Jungle, Hauptsache Bass und am besten gleich die Kombination aus beiden Genres. Rainforest schafft vor allem mit „Dub To Jungle“ den Übergang sehr charmant.
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Im Januar 2007 spielten Map.ache und Sevensol erstmals unter dem Namen Manamana. In den letzten zehn Jahren ist daraus Leipzigs bekanntestes DJ-Duo entstanden. Es gibt viel zu erzählen.
Wahrscheinlich hat jeder in Leipzig, der in den vergangenen zehn Jahren etwas mit House anfangen kann, sein individuelles Manamana-Erlebnis. Oder mehrere.
Mein liebstes spielt in der Spinnerei. In irgendeinem Atelier oder Kunstraum fand eine Ausstellung statt, die später zur Clubnacht ausuferte. Ich kann es zeitlich nicht mehr genau einordnen. Doch das Beiläufige und die nicht-clubbige Atmosphäre begeisterte mich nachhaltig. Es ist genau das Umfeld, in dem Jan Barich (Map.ache) und Alex Neuschulz (Sevensol) sich als DJ-Duo gefunden haben. In dem sie gewachsen sind und aus dem letztendlich zusammen mit Bender auch Kann Records entstand.
Erstaunlicherweise gab es in all der Zeit nie ein längeres Interview mit den beiden bei frohfroh. Das holen wir hiermit in epischer Länge nach. Besonders freuen wir uns über die exklusiven, analog aufgenommenen Manamana-Porträts von Gregor Barth. Er hat sich mit seiner „Artists“-Foto-Reihe mit Robyrt Hecht bereits bei uns verewigt und traf Manamana zu Hause. Außerdem haben uns Manamana ein paar alte Party-Impressionen geschickt. Danke an Mariann Dietrich und die unbekannten Fotografen/-innen.
Und noch etwas: Map.ache und Sevensol haben eine Playlist mit ihren Manamana-Classics zusammengestellt. Am besten gleich anstellen und bis zum Schluss lesen.
In einem Groove-Interview habe ich gelesen, dass ihr immer aus dem Bauch heraus entscheidet, was ihr auflegt. Ist das nach zehn Jahren immer noch so? Oder haben sich bestimmte Platten herauskristallisiert, die ihr immer mitnehmt?
Jan: Eigentlich bleibt es intuitiv. Es hat sich insofern geändert, dass wir mittlerweile die verschiedensten Slots spielen. Irgendwann fing es an, dass wir plötzlich auch zwei Stunden Primetime spielen konnten. Damit haben wir uns anfangs sehr schwer getan, weil wir mehr mit langen ausgiebigen Set gemeinsam gewachsen sind und es nicht gewohnt waren, auf den Punkt genau abzuliefern. Mittlerweile ist es aber so, dass wir schauen zu welcher Zeit wir spielen und uns dann, soweit es geht, absprechen, worauf wir gerade Bock haben. Aber mehr Absprachen gibt es nach wie vor nicht.
Habt ihr identische Plattensammlungen oder deckt jeder verschiedene musikalische Bereiche ab?
Alex: Nein, jeder kauft seine Musik. Manchmal gibt es Tracks, die man sich abguckt und nachkauft. Ich finde es schön, dass manche Platten zu einer Person gehören. Und dadurch, dass wir uns oft sehen und zusammen spielen, reicht es aus, die im Set zu hören – ich muss die nicht auch haben, um sie das nächste Mal selbst zu bringen. Jan würde manche Platte, die ich spiele vielleicht selbst nicht spielen – und umgekehrt. Aber in dem gemeinsamen Kontext finden wir das gut so.
Aber gibt es bestimmte Präferenzen bei jedem?
Jan: Manchmal ist es so, dass man sich Tracks schickt, auf die man selbst gerade Bock hat. Aber meist hören wir die Tracks des Anderen erst im Club und überraschen uns gegenseitig.
Alex: Es ist auch nicht so, dass wir längere Pausen hatten, in denen wir nicht zusammen gespielt haben. Dadurch gab es nie eine Lücke von einem halben Jahr, wo sich jemand vielleicht ganz woanders hinentwickelt. Man bekommt jede kleine Phase mit. Ich denke aber, dass sich die gemeinsamen Sets von unseren Solo-Sets unterscheiden.
„Wir haben uns, ohne groß darüber zu reden, einen Manamana-Rahmen geschaffen.“
Jan: Darin bleibt es dann eben intuitiv. Das macht es aber auch schwierig, denn wir sind für die Leute gefühlt immer noch nicht richtig greifbar. Was passiert und was wir spielen, ist immer sehr abhängig davon, was für eine Party es ist, wie wir drauf sind, wer vorher und nachher spielt, wie lange wir spielen und vor allem was für Leute da sind. Der allgemeine Trend geht aber schon mehr in Richtung Professionalisierung. Viele DJs scheinen oft genau vorher zu wissen, was sie spielen. Bei Manamana ist es jedoch immer eher ein Experiment. Es ist vergleichbar mit einem Abend mit alten Freunden: Man freut sich, sich zu sehen, reisst Witze, diskutiert und verabschiedet sich im besten Fall versöhnlich.
Alex: Dass wir das nach den ersten Jahren einfach immer weiter gemacht haben, hat auch damit zu tun, dass immer etwas passiert ist, was super viel Spaß gemacht hat. Natürlich rennt man so einem Gefühl immer wieder hinterher, aber wir wollten das nie in diese Richtung hin proben oder inszenieren. Tatsächlich lässt sich das nicht immer reproduzieren und wir merken auch manchmal, dass nach zwei Stunden nicht das Feeling aufgekommen, was wir wollten. Trotzdem gibt es das noch oft genug, so dass es uns auch Spaß macht. Andererseits haben wir uns in den letzten Jahren durch das Reisen auch eine gewisse Professionalität antrainiert, um auch von zwischen 4 bis 6 Uhr Party zu machen.
Jan: Gerade hier in Leipzig war das anfangs sehr intensiv und im positiven Sinne aufwühlend. Da es jetzt immer noch so intuitiv ist, geht es nach so langer Zeit nicht immer auf.
Weil man die Leute nicht immer richtig einschätzen kann oder wo sie hinwollen?
Jan: Genau. Und auch, weil wir das sicher unterschiedlich lesen und interpretieren. Wir quatschen schon während des Sets darüber, aber am Ende ist es die ganze Zeit ein straightes Back-to-back-Spielen und da passiert es auch mal, dass der Faden nicht da ist.
Gibt es eine Essenz, die den Sound von Manamana ausmacht? Oder was ihr unbedingt vermitteln wollt?
Jan: Es muss natürlich Musik sein, die wir oder einer von uns geil finden. Es ist ja auch sehr vielseitig. Beim Nachtiville Festival gab es gefühlt drei Stunden leichteren balearic Sound, beim letzten IfZ-Set im Oktober ging es dagegen viel schneller zu. Insofern kann man gar nicht sagen, dass es immer soulful oder was auch immer sein soll.
Alex: Aber sicherlich ist House die Grundlage, die wir beide mögen. Ich glaube, dass sich das, was wir anfangs mochten gar nicht so sehr verändert hat. Wenn man sich Sets von 2010 anhört und mit heute vergleicht, hat sich der Vibe nicht groß geändert.
Wie war das ganz am Anfang, die erste Party war ja eigentlich eine Drum & Bass-Party. Ihr hattet den zweiten Floor, was habt ihr da gespielt?
Alex: Also, das war nicht das erste Mal, dass wir zusammen aufgelegt haben. Es war das erste Mal, dass wir uns diesen komischen Namen gegeben haben. Das war schon House, gerade weil es in der Distillery war, war das clubbiger als zuvor. Davor haben wir bei Galerie-Partys im HGB-Zusammenhang und im Saal hinter der alten Alpha 60-Videothek eine Art Pop-Disco gespielt, wo man alles durchfährt.
Jan: Genau, da haben wir uns kennengelernt. Die Leute fanden Alex und mich einzeln gut und haben uns zusammen gebucht. Als das dann immer öfter passierte, haben wir überlegt, ob daraus nicht ein Projekt entstehen sollte. Daher kommt sicher auch das Vielseitige an Manamana.
„Wir sind nicht im klassischen Clubkontext zusammen gekommen.“
Alex: Es gab ja damals auch schon einige Clubs, in denen straighte Clubmusik lief, da konnte man aber natürlich nicht alles spielen, was einem sonst noch gefällt. Vor allem war es so, dass die Leute, die wir mochten und die zu diesen Partys kamen, gar nicht unbedingt in der lokalen Underground-Techno-Szene dabei waren. So hat sich das eben viel in Off-Locations abgespielt, was viel Spaß gemacht hat. Da konnte man in den Sets anders aufgehen.
Ihr seid also in der Off-Szene zusammengewachsen.
Jan: Ja, oft in einem nicht so definierten Raum, wie man es aus Clubs kennt. Wobei es das auch gab. Ich hatte vorher Electric Island gegründet, wo wir beide einzeln gespielt haben. Alex hatte in der Distillery und im Kosmophon richtige Clubpartys veranstaltet. Aber die Leute, die uns gemeinsam eingeladen haben, kamen eher aus dem, sagen wir mal, HGB-Umfeld.
Dieser undefinierte Raum hat für uns immer viel zugelassen und das war jedes Mal sehr dankbar. Jahrelang haben wir die HGB-Rundgang-Partys gespielt, die Enrico aus der Fotografie-Klasse organisiert hat – Donnerstagnacht im Hochschulen-Gang, das waren eigentlich die geilsten Partys. Man konnte die ganze Nacht House spielen, obwohl es kein puristischer Clubrahmen war. Ich glaube, dass hat uns sehr geprägt. Da haben wir gemerkt, wie wir zusammen spielen und dass nicht immer alles genau passen und auf einer Linie sein muss.
Wie war es dann, als ihr das erste Mal offiziell in der Distillery zusammen gespielt habt?
Alex: Es war ein Freitag. Und der Distillery-Freitag war immer eine andere Sache als so ein Techno- und House-Samstag. Das hat sich auch vom Publikum unterschieden.
Jan: Aber es gab generell jetzt keinen Bruch. Jetzt ist alles offiziell und alles anders. Das hat sich auch vermischt von der Stimmung her – sowohl bei späteren Partys in der Distillery oder im Island.
Alex: Wir wollten natürlich auch gern in Clubs spielen, weil wir Bock darauf hatten. Manchmal hatten wir da aber das Gefühl, dass manche Leute die Freiheit einer HGB-Party vermissen – als in der Mitte des Abends auch mal Whitney Houston kam. Im Club hatten wir darauf aber nicht unbedingt Lust. Angefangen hat es als Spaß. Wann wurde euch klar, dass Manamana etwas ist, wo ihr länger dran bleiben wollt?
Jan: Wir haben uns im Plattenladen kennengelernt, ich hatte um 2001 in einem Ableger des Dresdner Drop Out-Ladens gearbeitet. Wir hatten beide Bock auf die Art von Musik und haben uns gegenseitig an neue Sachen herangeführt. Es war damals schon ein Spaß. Die heutige Generation geht heute viel mehr mit konkreten Visionen an Dinge heran. Die Leute wissen viel genauer, was und wohin sie damit wollen. Wir wussten, dass wir das machen wollen und haben uns über jede Einladung gefreut. Das war aber auch gekoppelt an all die anderen Sachen, die wir gemacht haben: Ich habe mit Christian zusammen Techno und House zurück ins Island gebracht. Und auch die Midi im Ilses Erika war total wichtig für Manamana. Filburt, Ralf und Alex haben das gegründet – leider ein paar Jahre zu früh. Wir haben die allererste Midi in der Ilse gespielt. Dort wurde dann mit dem Vibe und den Leuten die „Indie-Ilse“ in einen mittwöchlichen Club verwandelt. Man hat sich sozusagen auf vielen Ebenen die eigenen Clubkontexte geschaffen.
Alex: Ein wichtiger Moment war auf jeden Fall, als wir zum ersten Mal beim Nachtdigital spielen durften. In der Spinnerei gab es ja eine zeitlang die Bar, wo wir einige Male aufgelegt haben und da kamen auch Steffen Bennemann und Leo vom Nachtdigital hin. Irgendwann haben sie uns eingeladen. Da sind wir zum ersten Mal raus gekommen aus der Stadt. Im Herbst danach haben wir gleich in Amsterdam gespielt. Das war eine Bühne und auch eine Ventil für uns. Denn bis dahin haben wir wirklich viel in Leipzig gespielt, weil wir einfach auch immer Bock darauf hatten – teilweise dreimal im Monat.
„Irgendwann nervt man natürlich die Leute.“
Den Nachtdigital-Auftritt empfand ich damals als befreiend, weil wir danach auch außerhalb spielen konnten.
Jan: Ja, die Bar war sehr wichtig. Die war als Club auch seiner Zeit voraus. Enrico hat damals ein super Programm gemacht. Als ich das erste Mal dort gespielt habe, waren Modeselektor dabei. Aber auch Efdemin und Pantha du Prince hat er eingeladen.
Alex: Enrico hatte ein Praktikum bei der Groove gemacht und kannte dadurch einige Leute. Er wollte einfach, glaube ich, eine andere Art von Clubmusik bringen als das, was es zu der Zeit in Leipzig gegeben hat.
Jan: Mit den Orten, die man sich selbst geschaffen hat, wie Midi, Electric Island und in Verbindung mit der Bar und den HGB-Partys fing das alles an. Zugleich haben sich darüber auch viele Leute kennengelernt, die bis heute miteinander verbandelt sind.
Alex: Das Nachtdigital war für uns auch deshalb erfreulich, weil sie ja eigentlich die Policy fahren, jedes Jahr neue Künstler einzuladen. Nach unserem ersten Mal 2008 vor Lawrence konnten wir im Jahr darauf den See-Floor mit Kann Records machen. Da haben wir viele Ideen und Energien rein gesteckt, was an den zwei Tagen voll gut aufging. So sind wir da reingewachsen. Crazy ist auch, dass wir das Nachtdigital vorher gar nicht richtig kannten. Es gab zwar ein paar Freunde, die davon geschwärmt haben, aber das ist an uns eher vorbeigegangen.
Jan: Neben dem Nachtdigital 2008 haben wir auch – mit einem Jahr Vorlauf – Kann Records ins Leben gerufen, worüber sich relativ schnell gute Kontakte ergeben haben, zu Smallville nach Hamburg und zu White nach Berlin und zu Giegling nach Weimar. Da waren wir einfach in einer guten Zeit, in der es mit den sogenannten Underground-Deep House-Labels noch recht überschaubar war und wo das alles ziemlich familymäßig ablief, mit gegenseitigem Einladen. Von da an ging das recht flott, weil die erste Platte zum Glück auch sofort gut aufgenommen wurde. Und wie ist es jetzt, wenn ihr auf zehn Jahre zurückschaut – mir kommt das alles noch nicht so lange vor.
Jan: Neulich haben wir festgestellt, wie schnell sich das gewandelt hat: Am Anfang waren wir irgendwie immer die jungen House-Hüpfer, die versucht haben, alles ein wenig aufzumischen und gleichzeitig mit Party und viel Saufen nicht alles so ernst zu nehmen. Mittlerweile sind wir fast die House-Opis, weil man sieht, dass jetzt zwei neue Generationen ausgehen und glücklicherweise trotzdem noch vor einem tanzen. Das liegt natürlich auch an der Entwicklung von Leipzig in den letzten vier Jahren – da gibt es eine große Dynamik.
Es ist nicht mehr so, wie wir das gewohnt waren, dass auf jeder Party dieselben Leute sind. Und ganz Allgemein betrachtet, konnten wir die zehn Jahre gar nicht anders, als das zu tun, was wir einfach machen wollten. Es gab keinen Masterplan, trotzdem ging es irgendwie auf. Insofern ist das schon erstaunlich, dass es nun schon seit zehn Jahren läuft. So sind wir darüber recht dankbar, dass wir mittlerweile damit Geld verdienen können – auch wenn sich damit natürlich auch der Druck erhöht.
Lange ward ihr auch noch an andere Sachen gebunden, Jan als Booker im Conne Island, Alex mit dem Plattenladen. Konntet ihr euch mehr auf Manamana und das Label fokussieren, als beides wegfiel? Oder wurde der Druck vielleicht auch größer?
Alex: Für mich hat es bisher noch nie einen wirklich krassen Druck gegeben. Es soll Bock machen und das geht am besten mit einem natürlichen Antrieb. Wenn wir aber beide Leute wären, die auf Sicherheit aus sind, wäre es wahrscheinlich gar nicht so weit gekommen, dass wir jetzt als reisende DJs selbstständig sind und unser kleines Leipzig-Leben leben können. Wahrscheinlich würden Finanzberater uns davon abraten.
Aber hat das Aufhören mit dem Laden und dem Island auch entspannt?
Jan: Das ist beides ja erst zwei Jahre her. Aber man hat natürlich mehr Zeit und ich merke schon, dass sich durch mehr Zeit ganz andere Energien freisetzen, wenn man sich nur auf ein paar Baustellen konzentriert. Das ist total positiv. Aber, da stimme ich Alex zu: Wir hätten die zehn Jahre nicht so gemacht, wenn wir Planschweine wären und uns eine sichere Zukunft wünschen würden. Nur deshalb gibt es das vielleicht auch, weil wir uns da wohl sehr ähnlich sind.
Gleichzeitig ist natürlich ein kleiner Druck da, weil wir uns eben jetzt dafür entschieden haben. Die Entscheidung sich dann eben mehr aufs Auflegen zu konzentrieren und alles andere hinter sich zu lassen, kam allerdings erst auf dem Weg und war genauso wenig geplant. Da würde ich auch das Label mit einbeziehen.
„Wenn man von Kann oder Manamana spricht, meint das eine immer auch das andere.“
Das machen wir genauso, es läuft nach denselben Mechanismen.
Druck ist auf jeden Fall dazu gekommen, was normal ist, wenn sich Sachen professionalisieren bzw. wenn man sich entscheidet, dass man etwas macht, um davon seine Miete zahlen zu können. ohne die sichereren Standbeine von vorher. Aber gleichzeitig ist es auch etwas sehr befreiendes und ein krasser Luxus. Wir haben das beide nicht bereut, sich auf das zu konzentrieren, worauf man am meisten Bock hat. Es war genau richtig, das Label zu machen, Musik von uns und anderen zu releasen, selbst Musik zu machen und weiterhin aufzulegen.
Alex: Es ist auch gut, dass nun auf die ganze Woche verteilen zu können. Mit Pausen nach dem Wochenende. Zusammen wolltet ihr aber nie Musik machen? Mit Alex und Bender gibt es ja bereits eine Duo-Konstellation innerhalb des Labels.
Jan: Wir hatten schon Ideen dazu in einer Zeit, in der das bei uns intensiver wurde. Vor fünf Jahren war das noch mehr daran gekoppelt, dass DJs nur gebucht werden, wenn sie auch produzieren und Platten machen – die alte Techno-Weisheit also. Aber das wäre wiederum etwas Konstruiertes gewesen und hätte nicht zu dem ganzen gepasst. Möglicherweise hätte man das dann auch gemerkt. Es hat aber auch individuelle Gründe. Ich habe vorher nur Musik mit anderen in Bands gemacht, für mich war es total befreiend, allein Musik zu machen. Dafür haben wir vor zwei Jahren das Sub-Label Mana-All-Nite gegründet, um dem DJ-Projekt eine Plattform zu geben, die versucht, eine ähnliche musikalische Bandbreite aufzumachen.
Alex: Wir sehen uns auch oft genug – am Wochenende und mindestens zwei Tage unter der Woche, weil wir mit Dennis ein Kann-Treffen haben und wir uns beide noch einmal für den Label-Alltag treffen. Darüber hinaus auch noch im Freundeskreis.
Jan: Man braucht auch seine Freiräume.
Ihr harmoniert aber auch so, es gibt keine großen Reibereien?
Jan: Nein, grundsätzlich nicht. Aber wie in einer Partnerschaft, was es ja am Ende auch ist, kennt man nach zehn Jahren die Macken und Stimmungsschwankungen des anderen. Manchmal sind wir am Wochenende 72 Stunden ununterbrochen unterwegs. Logisch, dass es da nicht immer harmoniert, aber wir haben gelernt, damit umzugehen. Wir wissen, warum und wofür wir das machen. Wir reden auch oft und gut über alle möglichen Sachen. Es ist wie eine Beziehung.
Gibt es Arbeitsteilungen bei euch? Der eine plant dies, der andere übernimmt das?
Jan: Ich möchte schon immer wissen, wo es lang geht, wer uns abholt, wann müssen wir wohin. Wahrscheinlich brauche ich das für mich, wenn man schon so weit weg ist von zu Hause. Wir sind ja eigentlich doch Heimchen und gern zu Hause.
Alex: Es ist ja aber auch nicht besonders schwer, zu reisen, abgeholt zu werden, Essen zu gehen und aufzulegen.
Jan: Ja, aber da sucht man dann komischerweise trotzdem immer Sicherheit. Aber das ist dann auch abhängig davon, wie wir gerade so drauf sind.
Alex: Bei den Label-Sachen teilen wir uns schon mehr auf. Das haben wir im ersten halben Jahr nach dem Ende im Plattenladen und Conne Island so ausgebaut. Bis dahin hatten wir uns von Platte zu Platte gehangelt, aber wenn man zweistellige Katalognummern hat, macht es Sinn, etwas Struktur reinzubringen.
Wie fühlt es sich an, wenn ihr allein spielt?
Jan: Oftmals ist es schon befreiend, weil man ausschließlich das machen kann, was man sich wünscht. Gleichzeitig ist es aber auch überfordernd und einsam, weil man gewohnt ist, zu zweit unterwegs zu sein. Zu zweit sein bedeutet auch, gefühlt mehr Sicherheit zu haben, man federt schlechte Vibes zusammen besser ab, nimmt sich Sachen nicht so zu Herzen. Das ist beides. Vor allem aber geniesst und freut es sich gemeinsam besser. Es ist aber schon etwas besonderes, dass jeder von euch weiterhin als eigenständiger Künstler wahrgenommen wird. Es ist nicht so, dass man Manamana nur mit einem von euch beiden buchen könnte.
Alex: Stimmt. Das wollten wir auch nie. So was gibt es ja immer mal, dass bestimmte Acts erfolgreicher werden und die Nachfrage steigt, so dass sie vor der Entscheidung stehen, an einem Tag zweimal spielen können. Aber das ganze geht nur mit uns beiden. Das lässt sich vielleicht nicht von nur einem allein reproduzieren.
Jan: Es spielt auch eine Rolle, dass jeder noch eigene Interessen hat. Ich mache allein Musik, Alex mit Dennis.
Alex: Es gab bisher aber auch noch nicht die Möglichkeit, vier Gigs an einem Wochenende zu spielen.
Jan: Bei uns wächst das nach wie vor langsam und kontinuierlich. Das fühlt sich auch gut an und passt zu uns. Es gab nie so einen Hype. Das nimmt einem auch etwas Druck. Wenn etwas schon so lange und konstant funktioniert, ist die Gefahr vielleicht auch geringer, dass etwas ganz plötzlich aufhört. Es ist eine konstante, natürliche Entwicklung. Was auch wichtig ist: Wir sind gern faul und gern zu Hause. Das spielt schon eine Rolle. Obwohl man viel wegfährt, gibt es jetzt keinen riesigen Stress. Natürlich würden wir auch mehr wegfahren, wenn es mehr Angebote gäbe, aber es ist irgendwie alles gut so wie es ist.
Wo seht ihr euch in zehn Jahren? Ist es für euch vorstellbar, noch weiter unterwegs zu sein und aufzulegen?
Jan: Für mich ja.
Alex: Ja, für mich ist es auch vorstellbar.
Es gibt ja auch gute Vorbilder, die in Würde alt damit werden.
Alex: Stimmt, es ist das erste Mal, dass eine Alterung in der Techno-Szene stattfindet und es ist gut zu sehen, dass das geht, ohne peinlich zu sein. Man muss natürlich immer reflektieren, ob man noch darauf Lust hat.
Gibt es aber schon einen Generations-Gap, wo ihr junge DJs seht, die in ihren Gedanken, in der Musik oder Straightheit wo ganz anders?
Jan: Ich würde es weniger an den Generationen fest machen als vielmehr an der Entwicklung der Szene. In den letzten fünf bis zehn Jahren ist die so riesig geworden und hat sich mega ausdifferenziert. So sind im Clubbereich viele neue Sachen entstanden, die mit unserer kleinen Clubwelt wenig zu tun haben. Und trotzdem vergleicht man natürlich. Denn das sind auch alles DJs, trotz verschiedenster Ambitionen und Absichten.
Außerdem sind wir trotz der recht langen Zeit, die wir das machen, immer noch viel zu vorsichtig, wollen nicht zu aufdringlich sein und möglichst wenig Leute nerven. Auch wenn man eigentlich sieht, dass die Szene ganz anders funktioniert. Wie überall musst du heutzutage mehr und mehr präsent sein und am besten ständig am Planen und Networken sein. Darin sind wir nach wie vor alles andere als Profis. Das sieht man schon daran, dass eine neue Generation von Anfang an mehr weiß, was sie will, daran auch arbeitet. Und das funktioniert dann auch.
Neue Generationen brauchen natürlich auch nicht mehr zehn Jahre, um sich ein musikalisches Wissen anzueignen – da reichen zwei Tage Youtube. Ich finde es aber dennoch voll gut, dass der Zugang zu bestimmten Dingen heutzutage viel einfacher und offener ist. Trotzdem gehörte das bei uns noch enorm dazu, um authentisch zu wirken und das prägt natürlich auch das eigene, oftmals träge Handeln. Außerdem hast du aber eben nicht nur die alternde Generation im Techno, sondern auch die Kinder, die durch ihre Eltern schon von klein an geilen House hören. Oftmals gibt es dann gar nicht die Rebellion, die gehen in den in Clubs ihrer Eltern ab und werden mit 14 DJs. Voll geil.
Wie Filburt seid ihr ja Ur-Leipziger und könnt auf zwanzig Jahre Clubkultur zurückschauen. Wie habt ihr die Entwicklung über die Jahre wahrgenommen?
Jan: Es gibt natürlich immer einen Unterschied zwischen dem, wie etwas beschrieben wird und wie es tatsächlich war. Es gab schon immer Clubs und in der Art, wie sich Leute Sachen ausdenken und sich über die Musik freuen, hat sich nicht viel geändert. Natürlich verändern sich musikalische Interessen und es gibt neue Entwicklungen. Aber im Prinzip ist es noch immer das Gleiche.
Was in den letzten Jahren in Leipzig passiert ist, ist trotzdem schon krass. Auch diese Dynamik mitzuerleben. Man kannte immer alle Leute, die etwas damit zu tun hatten, bis wir vor ein paar Jahren in Läden wie der Ostapotheke dachten, in einer anderen Stadt zu sein. Das hat uns total begeistert.
Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass durch das viele darüber Schreiben und Erzählen die Erwartungen steigen. Die Leute kommen mit hohen Erwartungen und denken, dass hier alles möglich sei. Das kommt meiner Meinung nach langsam an seine Grenzen, weil zu viele Leute zu viel davon wollen. Es machen alle cooles Zeug, aber es ist auch mittlerweile sehr viel geworden. Nicht umsonst haben einige Leute aufgehört Partys zu machen.
Wird das nicht durch den großen Zuzug kompensiert?
Jan: Das muss es ja jetzt schon, weil das Angebot größer geworden ist. Ich weiß noch, dass es in den ersten frohfroh-Umfragen den Wunsch gab, Electric Island alle zwei Wochen zu veranstalten. Das würde sich heute leider kein Mensch mehr wünschen, weil es einfach viel zu viel gibt. Es ziehen ja auch nicht nur clubaffine Leute her. Dasselbe Problem hat auch die Konzertlandschaft in Leipzig – das stößt genauso an die Grenzen, tausend Veranstalter, tausend Konzerte. Zu den geilsten Acts kommen dann nur 200 Leute.
Alex: In den letzten Jahren hatte ich aber auch das Gefühl, dass man, wenn man nicht viel falsch macht, recht sicher in Leipzig eine gut laufende Party machen kann. Egal, ob man sich einen Gast von außerhalb oder lokale Leute holt. Vorher hat man sich schon mal Partys ausgedacht, zu denen dann nur wenige Leute kamen. Das war gut, dass dieser Knoten geplatzt ist. Sonst hätte sich das vielleicht tot getreten mit den immer gleichen Leuten.
Jan: Ja, der Zuzug hat natürlich Möglichkeiten eröffnet. Aber es gibt schon die Tendenz, dass die auch überschätzt wird. Natürlich kommen mittlerweile ein paar Leute von außerhalb am Wochenende ins IfZ oder die Distillery, aber um das ganze kontinuierlich zu ernähren, braucht es eben viele Tausend Techno-Touristen wie in Berlin. Auch wenn es sich geöffnet hat, ist es auch weiterhin überschaubar.
„Es kann in Leipzig noch keine sieben Clubs geben, die alle das gleiche machen und jedes Wochenende voll sind.“
Gibt es mittlerweile aber ein anderes Selbstbewusstsein? Ich weiß nicht, ob es vor zehn Jahren einen Club wie das IfZ hier hätte aufmachen können.
Jan: Ja, das denke ich schon. Wobei es dort ja nur zum Teil eine neue Generation ist, die den Club aufgemacht hat. Aber die selbstbewusstere Stimmung trägt das natürlich auch.
Alex: Beim IfZ wurde ja auch gleich größer gedacht, sich nicht nur auf die Leipzigsuppe fokussiert. Es wurde ja darüber hinaus kommuniziert, so dass es viele Leute wahrgenommen wurde. Dass Leute hier in ihrer Ossi-Bescheidenheit nicht mehr so schüchtern mit ihren Sachen und Projekten umgehen, hat sich auf jeden Fall geändert.
Bisher ist bei euch alles organisch gewachsen – habt ihr dennoch Ziele, die ihr gern noch schaffen wollt?
Jan: Man merkt schon, dass man mit der intuitiven Herangehensweise in der heutigen Zeit an Grenzen stößt. Wir reden schon seit ein paar Jahren darüber, Sachen mehr zu forcieren oder uns neue Ideen ausdenken. Man kann nicht immer warten bis jemand was von dir will. So funktioniert das ja heute überall, nicht nur im Clubbusiness.
Man muss Initiative ergreifen, damit Sachen weitergehen. Ansonsten wünsche ich mir, dass das, was man sich aufgebaut hat, sich in ähnlicher Art und Weise weiterentwickelt. Und dass sich der Glaube daran weiterhin bestätigt, dass das, was am meisten Spaß macht auch den meisten Erfolg bringt. Ich glaube, das ist der größte Antrieb für all das, was wir machen. Ansonsten wollen wir das Label noch besser strukturieren.
Alex: Wir gleichen uns da auch oft ab, gerade am Ende eines Jahres.
Was sind die Ziele für das neue Jahr?
Alex: Im Frühjahr veröffentlichen wir ein Album von Falke, wobei das eigentlich schon ein Projekt von 2016 war. Und es kommt die zweite EP von cmd q. Auf jeden Fall wollen wir mehr gemeinsame Labelnächte außerhalb von Leipzig machen. Jedes Mal, wenn wir das mit Polo, Janosch, Lake People, Philipp Matalla und anderen gemacht haben, waren das sehr schöne Abende.
Jan: Es ist auch befriedigender als einfach nur irgendwohin gebucht zu werden. Wir freuen uns darauf zwar genauso jedes Mal, aber es geht auch darum, was man als Komplettpaket innerhalb einer ganzen Nacht vermitteln kann und was man selbst als Gefühl mit nach Hause nimmt. Ansonsten: Kommt alle zur Party ins Island.
Im letzten Herbst hatten wir erstmals über das Philipp Rumsch Ensemble berichtet. Nun steht das erste Album an – das aber erst noch finanziert werden muss.
Kurz zur Erinnerung: Philipp Rumsch möchte mit klassischem Instrumentarium die Sound-Ästhetik und Dramaturgie von Minimal Music, Pop und Electronica aufgreifen. Rumsch hat dafür die Suite „Reflections“ komponiert. Zwölf Musiker standen dafür bereits mehrfach auf der Bühne und vier Tage im Leipziger Echolux-Studio.
Die Aufnahmen sind also fertig. Was fehlt ist das Geld für „den Mix, das Mastering, die GEMA Lizenzgebühren, das Artwork, die Bewerbung bei Plattenlabels sowie die Pressung.“ Deshalb hat Philipp Rumsch bei Startnext eine Crowdfunding-Kampagne gestartet über die die 4.360 € reinkommen sollen. Finden wir spannend. Neben der finalen CD oder dem Besuch bei Bandproben reichen die Gegenleistungen bis zu einer eigenen Komposition oder einem privaten Konzert.
Wie immer beim Crowdfunding: Alles oder nichts. Es muss der gesamte Betrag zusammenkommen, sonst wird es nichts. Noch bis zum 5. Februar 2017 ist Zeit zum Mitmachen.
Das aktuelle Oldschool-Electro-Revival ebbt einfach nicht ab. Mit Pulse Drift Recordings widmet sich ein weiteres Label diesem originären Detroit-Sound. Und einem beinahe verschollenen Schatz.
Oft ähneln sich die Geschichten hinter Labelgründungen ja. Da brauchte es eine Plattform für eigene Tracks. Oder die Musik von Freunden sollte endlich herausgebracht werden. Bei Pulse Drift Recordings gibt es ein paar Facetten mehr in der Geschichte. Vor zehn Jahren erlebte Thomas, der Label-Betreiber, das Live-Set von Eoism. Damals hießen sie noch anders.
Die Geschichte geht aber noch weiter: Irgendwann nahmen sie in Thomas‘ rottigem Kellerstudio ein paar Stücke auf. „Ausschließlich mit Hardware, ganz ohne Rechner und im Stil einer Live-Band“, erinnert er sich. Nachdem die Tracks durch ein reparaturbedürftiges russisches Mischpult gejagt worden, war Thomas von dem „rohen, unverfälschtem Sound“ angetan, so dass er die Stücke bei MySpace hochgeladen hat. Geil, MySpace.
Doch darüber entdeckte tatsächlich die Wiener Label-Legende Cheap die Stücke und wollte eine Platte herausbringen. Wenn nicht kurz darauf der Vertrieb konkurs gegangen wäre und Cheap mit ins Minus gerissen hätte. Es gab später auch noch andere Label-Optionen, die sich jedoch alle wieder zerschlugen.
Thomas behielt die Tracks aber im Kopf und wollte sie irgendwann selbst herausbringen.
Er löste seine Lebensversicherung auf, um alles zu finanzieren.
So schreibt er es wirklich! Anschließend schickte er die Stücke zum Mastern zu Pole nach Berlin und startete gleich ein ganzes Label. Die klassischen Eoism-Tracks mit ihrer retro-futuristischen Patina und dem typischen wehmütig-verspielten Electro-Sound wurden schnell wohlwollend von einigen Electro-DJs und Radio-Stationen aufgenommen. Besonders „The Wire“ entfaltet großes Hit-Potential.Damit nicht genug: Der renommierte Vertrieb Clone aus Rotterdam bot dem Label sofort einen exklusiven Deal an. Die Nummer 2 ist auch schon am Entstehen, eine Compilation mit sechs Tracks soll es werden. Was für eine Story, was für eine erste Platte.
Letztes Jahr haben wir den charmanten Synth-Pop von Sternrekorder entdeckt, den wir euch noch vorstellen wollen, bevor 2016 in allzu weite Ferne rückt.
Willkommen 2017! Du, lieber Jahreswechsel, erinnerst uns an all die aufgeschobenen Aufgaben und vergessenen Vorhaben, die sich so in den letzten zwölf Monaten angesammelt haben. Immer im Hinterkopf die leise Ahnung, dass es im nächsten Januar nicht anders sein wird. Aber wen schert’s – wir freuen uns 2017 nicht nur wieder auf eine Vielzahl an neuen Releases, sondern auch auf all die neu- und wiederentdeckten Tüftler, die im abgeschiedenen Kämmerlein an ihrem Sound-Universum schrauben. Womit wir bei Martin Home alias Sternrekorder wären.
Bereits vor etwa einem halben Jahr bin ich beim Soundcloud-Durchhören über ihn gestolpert (danke, Herr Gierden!) und von seinen Tracks sehr angetan. Irgendwo zwischen Synth-Pop und Electro verortet Sternrekorder seinen Sound, den er durch die etwas zungenbrecherische Selbstbeschreibung „Retrolektrotanzmusik“ passend ergänzt. Spätestens ein Blick auf seinen YouTube-Kanal bestätigt, dass hier eine große Synthesizer-Faszination im Zentrum des musikalischen Schaffens steht. Einige Live-Sessions gibt es zu sehen, aber auch Videos mit eher dokumentarischem Charakter.Dennoch ist besonders das Musik-Video zu „Calling“ bei mir hängen geblieben. Verwaschene Aufnahmen einer Spazierfahrt durch Leipzig, aufgenommen mit einer uralten Videokamera, dazu große Synth-Wave-Disco-Nostalgie: Wären die Autos und Gebäude im Video nicht offensichtlich zu neu, könnte sowohl das Video wie auch der Song direkt aus den 1980ern stammen.
Und wie die damaligen Anfänge der elektronischen Musik besitzt auch „Calling“ eine charmante, durchaus naive Sehnsucht nach einer irgendwie spannenderen Zukunft, als man sie sich heute noch vorzustellen vermag. Wahrscheinlich ist Martin Home auch einfach ein Kind seiner Zeit – kein Wunder also, dass er sein Projekt nach einem klassischen RFT-Radio benannt hat.
Abseits davon gibt es von Sternrekorder bereits die beiden EPs „Maschinen“ (2013) und „Weissensee“ (2011). Letzteres erschien auf dem Label Astro Chicken, dessen Inhaber Hyboid erst kürzlich einen Remix für Yuyay Records beisteuerte.
Zusammen mit Hyboid, Telebot und KneToNatoR improvisierte Sternrekorder im November 2016 bei der Ausstellung „Analoge Kunst“ in Aschersleben – einer seiner eher rar gesäten Live-Auftritte, zu dem ihr einen 42-minütigen Mitschnitt hier findet. Dass sich Sternrekorder im Studio wahrscheinlich wohler fühlt als auf der großen Bühne, klingt auch in unserem nun folgendem Interview an.Synthesizer sind das Zentrum deiner Musik. Woher stammt deine Leidenschaft? Gibt es ein Lieblings-Gerät in deiner Sammlung?
Bereits als Kind in den 80ern war ich von den Klängen fasziniert. Damals wusste ich nicht, dass das Synthesizer sind. Meine Eltern hörten damals Westradio – ich bin bei Halle/Saale in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Ich kannte „Über sieben Brücken“ nur von Peter Maffay. Als ich dann zum ersten Mal die Karat-Version hörte, war ich hin und weg: Es klang viel synthetischer und trotzdem besser.
„Heute weiß ich, dass mich die Strings aus dem Hohner String Melody II so verzaubert haben. Dazu der Synth-Bass. Geil!“
Irgendwann hat mal ein Schulfreund eine Kassette mit ganz seltsamer Musik mitgebracht – Jarre stand da drauf. Es gab zu DDR-Zeiten die Platte „Musik aus Zeit und Raum“ von Jean-Michel Jarre. Diese Kassette wurde mal von Platte überspielt und fortan dudelte sie bei mir, ohne dass ich wusste, wer das ist.
Um die Zeit der Wendejahre kam plötzlich die Techno-Musik auf. Wieder war ich hin und weg und ich wusste, dass will ich auch machen können. Anfangs mit dem C64. Das war so 1993, da war ich 12 Jahre alt. 1995 bekam ich von meinen Eltern einen PC. Eine OPL-FM-Soundkarte sorgte für die Klangerzeugung. Da es dort keine Kickdrum gab, musste ich die Timpani extrem runterstimmen und schon stampfte es ordentlich.
Geld hatte ich keins und so musste ich mit dem Gegebenen klarkommen. 2000 kaufte ich meinen ersten Sampler, AKAI S2000 für 1000 DM. Den habe ich heute noch – aus Nostalgiegründen. Meine Freunde tunten ihre Autos und ich steckte alles Geld in Studiotechnik und Platten. Fuhr stattdessen mit Muttis Auto rum. 2002 zog ich dann nach Leipzig.
Mein erster analoger Synth war 2004 der JX-3P. Programmer hatte ich keinen dazu und so beherrschte ich das Gerät irgendwann blind. Die produzierte Musik war hauptsächlich technoid. Zwischendurch erinnerte ich mich immer gern an meine Kindheit in den 80ern und versuchte mich an Italo-Disco und Synth-Pop. Aber nur für mich selbst.
Etwa 2006 lud ich dann mal einen solchen Retro-Track bei MyOwnMusic.de hoch. Das war „On My Roof“ und ging dort plötzlich durch die Decke: Platz 1 in den dortigen Electro-Charts.
Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass es die Musik ist, die ich schon immer machen wollte. So kamen immer mehr Synthesizer dazu, natürlich die originalen Geräte aus dieser Zeit.
Ein spezielles Lieblingsgerät habe ich nicht, die Kombination aus allen und die Stärken des jeweiligen Gerätes machen die Faszination aus: Die SH-101 ist ein sehr inspirierendes Teil mit genialem Sequencer. Es zaubert wunderbare Basslinien und zarte Leads. Der Filter des Jupiter-4 hat eine schöne Resonanz und zwitschert und zirpt ganz wunderbar.
Der Juno-60 macht butterweiche Pads und schöne 80er-Bässe. Korg Polysix und vor allem der Trident Mk.II sorgen für die Portion 70er-Jahre. Die VCOs driften schön und die Strings des Trident sind supersahnig. Meine Geräte sind größtenteils midifiziert, da ich leider nicht mit den Skills eines Pianisten ausgestattet wurde. Ein großer Traum ist der Jupiter-8. Das wird mal mein letzter Synthesizer.
In deinen Track-Titeln taucht das Wort „Session“ recht häufig auf. Wie entsteht deine Musik? Ist Improvisation ein wichtiges Element für dich?
Meist spiele ich irgendeinen Synth und improvisiere ein paar Harmoniewechsel oder jamme zu einem Beat. Manchmal wird auch nur eine simple Sequenz auf dem JX-3P oder 101 programmiert und darauf baut dann alles andere auf. Sowas wird als Idee-Pattern festgehalten und später ausgebaut oder sogar gleich als Session verwurstet.
In den letzten Jahren empfinde ich es zunehmend als anstrengend, ein Pattern zu einem fertigen Track zu arrangieren. Pattern erstellen ist Kür, das Arrangement ist die Pflicht. Es macht mir keinen Spaß, es ist nur die Notwendigkeit, damit man es überhaupt außerhalb des Studios hörbar machen kann.
In einer Spontansession ist das nicht nötig. Ich programmiere ein paar Synthlines zumeist mit den eingebauten Sequencern. Diese werden von 808 und CR-8000 usw. angetriggert. Und ohne zu wissen, wo es hingehen soll, jamme ich drauf los. Das macht mir einen Riesenspaß. Viel mehr Spaß, als mit der Maus am Rechner Blöcke zu arrangieren.
In den Sessions passieren Fehler, manchmal sorgen diese Fehler auch für erfrischende Momente, die dann einfach weiter ausgebaut werden. Da für mich der Spaß am Musizieren im Vordergrund steht und ich auch keinerlei kommerzielle Absichten hege, ist diese Arbeitsweise ideal für mich.
Einige deiner Sessions sind auf deinem YouTube-Channel dokumentiert. Was reizt dich am Video-Format?
Ohne Frage ist Youtube für mich neben Smartphone und Internet die größte Errungenschaft der letzten Jahre. Als meine Leidenschaft für Analogsynthesizer begann, gab es im Netz nur Synrise.de. Ich habe diese Website wohl mehrmals komplett gelesen. Leider gibt es sie nicht mehr. Informationen zu Synthesizern habe ich mir nur anhand der Fakten, die dort standen, eingeholt.
Heutzutage gibt es Millionen von Synth-Demos, sehr gute und vor allem auch sehr schlechte. Aber diese Demos haben mir gezeigt, welche Geräte zu mir passen und welche nicht. Bis heute habe ich nur ganz wenige Geräte wieder verkauft, bei denen sich herausstellte, dass sie doch nicht zu mir passten. Youtube ist für die meisten inklusive mir die Informationsquelle Nummer 1, wenn es um den Klang und die Bedienung eines Gerätes geht. Danke, Google!
Für die heutige Jugend – zu der ich mich nicht mehr zähle und die auch mit meiner Musik kaum etwas anfangen kann – ist das Audiovisuelle enorm wichtig. Ohne Bilder zur Musik erreicht man leider niemanden mehr. Speziell meine Musik wird fast nur von Synthnerds gehört, die auch selbst Synthesizer besitzen. Und die wollen Gearporn, sie wollen die Geräte sehen, wenn sie gespielt werden und erklingen. Mir selbst ergeht es jedenfalls so.
„Wenn jemand live elektronische Musik macht, dann will ich dort keinen Laptop sehen, da muss Hardware bedient werden.“
Der EDM-Generation von heute ist es egal, wenn jemand nur an einem ausgeschalteten Controller daddelt, Hauptsache der Drop kommt.
Du bezeichnest deine Musik auch als Retrolektrotanzmusik. Synth-Pop, Italo und Cosmic Disco ist seit einigen Jahren nicht nur in Leipzig wieder verstärkt in den Clubs vertreten. Wie schätzt du die Entwicklung ein?
Ich bin überhaupt kein Clubgänger. Zu Techno-Zeiten – so 1997 bis etwa 2005 war ich öfter in Berlin bei Love Nation oder im Tresor und auch in Leipzig in der Tille weg. Damals lief klassischer Detroit-Techno. Den mag ich auch heute noch gern. Da habe ich noch ein paar selbstproduzierte Schätzchen von damals rumliegen. Wird vielleicht mal wieder modern.
Zur aktuellen Entwicklung in der Clubszene kann ich daher also wenig sagen. Ich freue mich aber darüber, wenn auch in den Clubs mal eine Linn Drum erschallt und ein paar Oktavbässe wummern. Es gibt eine Schwemme an Tracks auf Soundcloud, die sich diesem 80er-Ethos unterwerfen, Stichworte: Miami, Night, Drive, Testarossa, Retro usw. Diese Schwemme an Tracks ist für mich unüberschaubar geworden und mir fehlt die Kraft zum Perlenfischen. Zu viel Klischee, zu wenig Substanz. Leider findet man die guten Stücke nur noch selten.
Mein Musikkonsum beschränkt sich momentan vor allem auf Avantgarde-Elektronik aus dem Frankreich der 70er und 80er. Das wird sicher kaum in den Clubs laufen …
Zwischenwelten feierte im Dezember sein 10-jähriges Bestehen mit einer Compilation, A Friend In Need legte ebenfalls mit einer kleinen Werkschau nach. Hier stellen wir beides auf einmal vor.
Obwohl Zwischenwelten Musik eigentlich mit Vinyl gewachsen ist, ist die große Jubiläums-Compilation nur digital erhältlich. Dabei ist das Cover prädestiniert für ein großes Cover. Die Tracklist kann sich aber sehen lassen – u.a. steuerten Micronaut, Filburt, Gunne und Schlepp Geist exklusive Tracks bei.
Das ergibt eine durchaus bunte Bandbreite zwischen UK Funky, Tech House, Techno und federndem House, wobei es ein leichtes Tech House-Übergewicht gibt. Filburts unbeschwerte und schön naive House-Spielerei gefällt mir hier neben Micronauts am Strand tänzelndem „Moments In Minutes“ am besten. Überraschend technoid mit einem später aufleuchtenden Ausklang dann noch das reduzierte „Hannibuh“ von Label-Betreiber Chris Manura.
Various Artists „The Lucky Bunch“ (A Friend In Need)
Kurz vorm Jahresende brachte auch A Friend In Need noch einmal einen neue digitale Compilation heraus. Und neben M.ono & Luvless und Mermaids gibt es wieder neue Acts zu entdecken: Quadrakey aus Berlin beispielsweise.
Das Duo gründete 2015 mit Tooman Records selbst ein Label für House. Ihr „April“ ist eine Hommage an die klassischen Deep House-Vibes, mit denen man an sich nicht viel falsch machen kann – selbst, wenn nicht wirklich was neues beigetragen wird. Außerdem neu dabei ist Toomy Disco, ein argentinischer Newcomer, der eine sehr tighte und präzise pumpende Soul-House-Version einbringt. Inklusive einer Big Room-Spannung.
M.ono & Luvless flashen mir aber am meisten. Wahrscheinlich, weil sie ihre positiven Vibes hier etwas versteckter und weniger offensiv einsetzen. Das klingt alles eine Spur reduzierter und durch die leiernden Chords undurchsichtiger. Und auch das UK-Duo Mermaids kommt hier erfreulich hypnotisch daher. Erst slow, verhuscht und perkussiv, später blüht ihr „Omega“ als neuer Track auf. Sehr schöner Switch.
In den letzten Wochen sind ein paar neue Musikvideos aus Leipzig hochgeladen worden. Hier ein Überblick.
Deko Deko haben im letzten Spätsommer ihr verspätetes Debüt-Album bei O*RS veröffentlicht – wir hatten sie im großen Interview. Nun ist für „Outside“ ein weiteres, darkes Video entstanden. Outside natürlich, zwischen Loops und Dramatik spielend, im Gegenlicht pulsierend. Sehr schön.
Neues gibt es auch aus der Eisenbahnstraße von den Schmutzigen Teenagern. Im letzten Jahr fiel uns der neue Poetry-Drive schon einmal positiv auf. No Drama und Ty Grrr knüpfen da zusammen mit Thigh Gap Boi an und hauen eine cloudy Hymne an die Masturbation raus, ein Plädoyer für die sexuelle DIY-Freiheit. Hauchend, intensiv und gleitend in den Sounds, selbstbewusst und klar in den Gedanken und Worten.
Schon etwas länger online, aber es soll nicht untergehen: Liah hatten wir im letzten Jahr kurz vorgestellt. Die Dream Pop-Band wollte zu jedem Song ihrer erster EP ein Video drehen. Hier ist die Nummer 3 zu „Babylon“:
Und ebenfalls der Vollständigkeit halber: Neulich war ja der Boiler Room im Institut fuer Zukunft. Mittlerweile sind alle Sets auch online auf Youtube. Ausnahmsweise mit Bildern aus dem IfZ.
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