Antoinette Blume traf ihr Idol: Martin Kohlstedt. Der Pianist verbindet Klassik und Elektro und spielt dabei mit dem Rücken zum Publikum. Er versinkt in seiner Musik, die er im Zuge seiner aktuellen „Ströme“-Tour gemeinsam mit dem renommierten Gewandhaus-Chor Leipzig auf die Bühne bringt. Antoinette durfte ihm vor dem Konzert in Leipzig ein paar Fragen stellen.
Martin Kohlstedt. Ich weiß nicht warum, aber der Name klingt unfassbar nach Klassik, Hochkultur. Nach etwas Monumentalem, nicht „einfach“ nur nach Solokünstler. Vielleicht bin ich auch zu geprimet – das kann natürlich sein. Aber als mir meine Mutter schrieb, dass Martin Kohlstedt in Leipzig spielt und sie mir gerne Karten für sein Konzert mit dem Gewandhaus-Chor schenken wollen würde, hatte ich gleich so ein Gefühl, dass es mir gefallen könnte – da ich den Namen per se schon interessant fand.
Und dann ging es Schlag auf Schlag. Eine kurze YouTube-Google-Instagram-Suche später war ich ziemlich, ach was sage ich, völligst in love und hatte meiner YT-Playlist so gut wie jeden Mittschnitt von Kohlstedt in der Elbphilharmonie in Hamburg hinzugefügt, schaute jedes auffindbare Interview-Video mit ihm (mehrmals!) und ging schließlich auf die Website des Künstlers. Wow, einfach alles wow. The highest level von allem, ohne staubig, starr oder zu klassisch – für meine Ohren – zu sein.
Martin Kohlstedt Foto von Konrad Schmidt
Ich war schockverliebt in diese Musik, das ist der passendste Begriff. So ging es mir das letzte Mal bei Tinkahs LP Thoughts You Are Not Supposed To Speak Out In Public, die mich ebenfalls vom ersten Hören an berührt hat. Berührend, das ist die Musik von Martin Kohlstedt auch. Nicht im kitschigen Sinne von Tränen-in-den-Augen und Gänsehaut, aber eben doch genau das. Seine Musik ist wie ein Soundtrack, der die intensivsten Momente des bisherigen Lebens zusammenfasst. Sämtliche Gefühle, die man spürt, aber ad-hoc nicht beschreiben kann, ob schlimm oder schön, sind für mich in Martin Kohlstedts Musik enthalten; im Fluss, in der Spannung, in den dronigen Soundteppichen, die das Klavier nicht hergibt, aber ein Synthesizer eben schon. Die leichteste, schwerste, gleichermaßen loslassenste Krönung von allem bisher Dagewesenen – für mich. Ich gehe noch ein Schrittchen weiter, um euch ein Bild zu geben: Man könnte die Musik von Kohlstedt mit dem ersten und schönsten Rausch vergleichen.
Martin Kohlstedt live in der Elbphilharmonie
Es dürften bis hierhin alle gemerkt haben, dass ich Fan bin. Aber auch Musikjournalistin. Waren meine Themen zwar bisher mehr kulturpolitisch angehaucht, bringt mich die naive, pure Begeisterung über die Musik Kohlstedts tatsächlich dazu, einen sogenannten Nachklapp, also Nachbericht, über das Konzert schreiben zu wollen. Erst ganz schlicht, denn ich gehe ja sowieso zum Konzert. Dann fragte ich – aus Jux! – beim Management des Pianisten an und bekam die Antwort, dass ich doch kurz vor dem Auftritt im Gewandhaus zum Künstler*inneneingang kommen solle und Martin Kohlstedt zum Interview treffen dürfte.
Kurz kaltschweißig, aber vor allem ziemlich aufgeregt trage ich mir das Interview in meinen Kalender ein. Hoch gepokert, tief gestapelt, jetzt kommt’s drauf an – also wie immer eigentlich.
18 Uhr am Hintereingang
Ich war schon öfter mal im Gewandhaus, um genau zu sein drei Mal. Zwei Mal zu Yann Thiersen (wunderschön) und einmal zur Audio-Invasion (ging so). Durch den Hintereingang bin ich noch nie gelaufen. First time. Martin Kohlstedt kommt auf die Minute genau mit etwas zerzausten Haaren um die Ecke gelaufen. Es geht am Empfang vorbei durch lange Flure, die an Schulkorridore erinnern, ins Innere des Gewandhauses und schließlich in eine der Künstler*innengarderoben – alles zack-zack, nebenbei begrüßen ihn schon einige Mitarbeitende. Ein wenig hektisch macht Martin Platz an einem kleinen Tisch.
Foto von Nikta Vahid-Moghtada
Die nächsten 30 Minuten unterhalten wir uns über seine Musik, das Gewandhaus und was es heißt, drei Jahre mit einem Chor ein musikalisches Dauer-Experiment in die größten Konzerthallen in Deutschland zu führen.
Das Interview mit Martin Kohlstedt und den Nachbericht lest ihr hier.
Rund 120 aktive Sendungsmacher*innen prägen derzeit das Radio Blau-Programm. Im März stehen sie vor einer besonderen Challenge – es soll nur Musik von FLINT*-Personen gespielt werden.
Anlass dafür ist der Frauenkampftag am 8. März. Radio Blau wollte aber nicht nur an diesem einen Tag den Fokus auf Interviews und Songs von sich als weiblich, inter, non-binär oder trans definierenden oder so wahrgenommenen Menschen legen, sondern einen ganzen Monat.
Und das dürfte extrem spannend werden. Denn auf Radio Blau gibt es für gefühlt jedes Genre eine eigene Spartensendung.
„Der Verein hat basisdemokratisch über die Idee diskutiert und abgestimmt. Natürlich gab es auch Bedenken, aber eine große Mehrheit der Sendungsmacher*innen fand den Vorschlag eine super Anregung, um bewußter nach Musik von Frauen, Inter- oder Transpersonen zu recherchieren oder bei aktuellen Themen gezielt nach Gesprächspartnerinnen* zu suchen“, wird Anja Thümmler in der Pressemitteilung zitiert. Sie koordiniert das Projekt bei Radio Blau.
In der aktuellen kreuzer-Ausgabe gibt es auch ein Interview mit ihr und Mrs. Pepstein zu der geplanten Aktion. Darin heißt es: „Die Idee kam unter anderem von Untersuchungen, die ergeben haben, dass Experten, die in Interviews sprechen, zu 80 Prozent Männer sind [ … ]. In der Musik wird es ja schon länger diskutiert, dass Festival-Line-ups teilweise zu 90 Prozent männlich sind.“
Der fem*märz soll dabei nicht nur eine musikalische Inspiration für alle sein, sondern auch als Einladung zu mehr Diversität und Awareness verstanden werden. Auch über den März 2020 hinaus. Wer also eigene Ideen hat, um generell Radio-Formate für mehr Chancengleichheit und Empowerment zu entwickeln, ist bei Radio Blau richtig.
So, und welche Sendungen sind nun für frohfroh-Leser*innen im fem*märz empfehlenswert? Hier ein kleiner Überblick:
Air Waves Radio Show (Rap und Bassmusik), 7.3. Downtownlyrics (HipHop, Drum & Bass), 6.3. Electric (Elektronische Musik), 28.3. It’s Yours Radio Show (HipHop, Breakbeat) Querbeat (Offbeat und Bass), 14.3. Radio Aktiv (Techno, House), 28.3. Sounds of Electronic Art (House, Techno), 21.3. Subscience (Dubstep, Bass, Electro), 14.3. Sunday Groove (Entspannte Clubmusik) Wolkigmusic (Techno, House, Ambient), 8.3. Zonic Radio Show (Experimental, Electronica), 11.3.
Autorin und Fotografin Paula hat eine neue Reihe für uns begonnen: Studioporträts. Ihr mittlerweile dritter Besuch war bei Producer Flynn.
Flynn – warum und welche Musik produzierst du?
Ich glaube mich haben am meisten immer die Beats interessiert, die man aus dem Hip-Hop kennt, die Hip-Hop bedeuten. Als ich klein war, hatte der damalige Freund meiner großen Schwester ein Wu-Tang Album. Ich fand das super cool, das war ein Comic-Cover, GZA Liquid Swords. Das war dann für mich auf Hip-Hop als ich so sechs oder sieben war. An englischen Worten hab ich damals „Yes“, „No“, „Fuck“ und „Shit“ verstanden so ungefähr. Für mich war also Hip-Hop der Beat, und die Leute, die drüber gerappt haben, waren irgendwie Superhelden. Ich glaube, umso älter ich geworden bin, und umso mehr Text ich verstanden habe, umso mehr habe ich mich manchmal davon abgewandt.
Ich bin einfach nicht empfänglich dafür, wenn du mir erzählst, was für coole Schuhe du hast. So kam ich dann zu den Beats. In der Pubertät habe ich dann, weil mir Hip-Hop nicht mehr so gefallen hat, angefangen, super viele Jazz-Platten zu hören. Da habe ich von A Tribe Called Quest „can I kick it“ gehört, in dem „Walk On The Wild Side“ von Lou Reed gesamplet wurde.
An der Stelle dachte ich: Krass. Ich verstehe, wie Hip-Hop gemacht wird.
Vorher konnte ich mir nicht vorstellen, wie man das technisch macht – dann hab ich verstanden, dass im Grunde nur Aufnahmeschnipsel aneinander gereiht werden. Zu der Zeit gab es kein Youtube etc., ich wusste nicht, dass da jemand einen kleinen Drumcomputer nimmt und drauf rumdrückt. Ich weiß nicht, ich dachte da steht vielleicht eine Band im Studio, die dann immer diese kurzen Passagen spielt.
Als ich angefangen habe Beats zu machen, so vor zehn, zwölf Jahren, hab ich das einfach nur gemacht, weil ich Beats hören wollte.
Zuerst hab ich mir einen Roland Sampler gekauft, SP606. Diese Art von Sampler sind inzwischen, durch diese ganze LoFi Geschichte, wieder unglaublich modern. Das sind die letzten Hardware-Sampler die produziert wurden, bevor Leute dann mit Ableton und SFStudio mehr softwareseitig produziert haben. Mit dem SP606 und einem alten Sechspuraufnahmegerät hab ich angefangen, alle möglichen Sampler ausprobiert, den 606 hab ich aber bis heute und mittlerweile benutze ich, wie viele, Software – einfach weil es günstiger ist.
Ich seh‘ das heute auch alles nicht mehr so eng, sample auch digital, aber ich kenne durchaus Leute, vor allem im HipHop, die das engstirniger sehen und die sagen, wenn du Hip-Hop machen willst, dann brauchst du ne MPC, Technix1210…
Leute, die sich so an der Hardware festhalten, auf Plattensamples bestehen usw., stehen oft ihrer eigenen Kreativität im Weg – weil du den Beat, den du im Kopf hast, vielleicht nie machen kannst, weil du die Platte für das Sample nicht bekommst. Das ist doch eigentlich traurig.
Was ich natürlich sagen muss, wenn ich nur mit der Software arbeite und meinen Sampler nicht benutze, dann ist das sehr statisches Arbeiten und sehr wenig spielen – deswegen mache ich für mich immer mal fünf, sechs Tracks mit dem Sampler, einfach um mal wieder ein paar Tasten zu drücken.
Es kann schon sehr repetitiv werden, wenn man Beats immer nur mit der Maus zusammenklickt.
(Das Interview stammt aus einem früheren Artikel, den ihr hier lesen könnt, Anm. d. Red.)
Oha, Hypress gibt ziemlich Gas in diesem Jahr. Nach der Tsorn-EP kürzlich, erscheint nun eine große Compilation auf Doppel-Vinyl. Wir haben reingehört.
Von Neustart spricht Hypress selbst. Denn 2020 kommt das vor drei Jahren von Templeton gegründete Label mit neuem Team, neuen Artists und neuem Look daher. Und der bisher umfangreichsten Werkschau: „Rosé“ bündelt zwölf Tracks von Künstler*innen aus dem Leipziger und Berliner sowie dem internationalen Hypress-Netzwerk.
Die größte Überraschung gibt es gleich am Anfang: Artificial Paradise, das gemeinsame Projekt von IfZ-Resident Subkutan und Leshrac, ist erstmals mit einem Track auf Vinyl zu hören. Via Bandcamp und auf der „Sonic Resistance“-Compilation entließen die beiden bereits drei Tracks von ihren Festplatten. Es ist auf jeden Fall ein düsteres Paradies, das Subkutan und Leshrac da vertonen. Besonders „Crack“ hier drückt mit schwerem, breakigem EBM-Techno gleichzeitig nach unten und nach vorn.
Ähnlich dark – aber deutlich treibender – ist auch Zidane mit „Scherben“ dabei. Er kümmert sich ab sofort bei Hypress auch um die Grafik. Ansonsten switcht „Rosé“ zwischen Techno und Electro – und zwar wirklich ohne Ausfall. Jeder Track ist eine Perle für sich. DJ Overdose, Interviews, TRQ-30 und Varum bringen mit ihren Tracks einige helle, warm beseelte Momente mit rein, während es sonst schon recht düster zugeht im Hypress-Sound.
Was mich grad echt abholt, sind die ausladenden Rave-Synths von Tsorn und I.C.S. – klar, hier klopfen die 90er richtig laut an, aber sie sind die großen Herzöffner und Antithesen zum immer schneller, immer düster werdenden Techno der letzten Tage. Auch DJ Problems aus Athen lässt sich davon mitreißen, spielt aber mit Vocals und überträgt die anziehende Einfachheit in den Electro-Kontext. Besonders fett in der zweiten Version übrigens, die als Digital Bonus veröffentlicht wird.
Ansonsten, mein Hit: Iraklis „Contemplating“, ein unruhiger, hektischer, wildes, aber irgendwie auch feingliedriger, subtiler Break-Track.
Im Institut fuer Zukunft findet übrigens morgen (28.2.2020) die offizielle Release-Party zu „Rosé“ statt: Mit dabei sind Swarm Intelligence, TRQ-30, Special Noxy K, I C S. & Templeton, Interviews, Varum, Nina Frizzante.
Der Winterschlaf ist vorbei und wir starten mit einer neuen Folge TalkTalk – dem Podcast von frohfroh. Dieses Mal ist Julia von frohfroh dabei, die gerne auch mal alleine feiern geht.
Zunächst ist das ein wenig aus der Not heraus geboren, aber mittlerweile hat sie eine Menge Vorteile daran entdeckt, wenn einem die Gang mal nicht am Hintern klebt. Aber auch über die eigene Sicherheit im Club und auf dem Heimweg werden wir in dieser Folge reden.
Geht ihr alleine feiern oder wäre das gar nichts für euch? Schreibt es uns in die Kommentare!
Redaktion und Produktion dieser Folge: Kathi Groll, Musik von fragmentiert, Foto von Fabian Schüler.
Ein großes Danke an Julia! Und entschuldigt vielmals den Ton, der durch den Wind leider etwas schlechter ist, als das normalerweise unser Anspruch ist.
It’s official: They’re doing it again. Und zwar wird am 21.-24.05. in Leipzig zum dritten Mal das Balance Club / Culture Festival stattfinden. Die Macher*innen des Festivals geben heute den ersten Schwung ihres Line-Ups bekannt. Worum es geht und worauf wir uns jetzt schon freuen dürfen, lest ihr bei uns.
Auch dieses Mal ist wird das Festival in verschiedenen Locations stattfinden. Und auch dieses Jahr gibt es einen Titel: Tender Squads – das Programm wird auf die Frage nach notwendigen Allianzen als Alternative zu gegenwärtiger spätkapitalistischer Dystopie und Vereinzelung fokussiert sein.
TENDER SQUADS
In welchen Verbindungen können sich die emanzipatorischen Potentiale für unsere Version einer Welt des Danach entfalten?
Welche Allianzen müssen wir eingehen, wo müssen wir auf Differenzen beharren, damit unsere Gegenentwürfe wirksam werden können – musikalisch, performativ, politisch?
Mit welchen Methoden können strukturelle Ungleichheiten maximal destabilisiert werden?
Musikalisch wird es – wie die letzten beiden Jahre – hochkarätig, progressiv, international, queer und umfassend. Es sind nicht nur internationale Headliner eingeladen, wie immer wird das Line-Up durch local heroines komplettiert.
Zum diesjährigen Festivalzentrum wird die Off – Location „Garage“ im Leipziger Osten. Die Hamburger Künstlerin Aleen Solari wird eine begehbare Installation für diese Räumlichkeiten konzipieren, welche als eigenständige Ausstellung sowie Container für künstlerische Beiträge und das Diskursprogramm fungiert.
Rave Capitalism
Mit dem Thementag Rave Capitalism am 21.5. setzt das Festivaldiskursprogramm wie gewohnt dem „Männertag“ emanzipatorische Inhalte entgegen. Beim Panelgespräch „Not my Institution“ sprechen internationale Gäste und lokale Akteur*innen über die Intersektionen von Gentrifizierung, notwendigen Kollaborationen und bedrohten Freiräumen.
Harder, faster, fragile
Der Fokus Harder, faster, fragile am Festivalfreitag (22.5.) widmet sich hingebungsvoll und ausführlich in Vorträgen, Talks und Panels den vielleicht gegensätzlichsten aller Clubkulturen: Gabber und Drag, letzteres in Kooperation mit der Oeuvre – Crew. Im Forum Allyship (23.5.) können intersektionale Aspekte gesellschaftlicher Ungleichbehandlung im Workshop „Let’s talk about Alliances“ analysiert oder beim „FemmeFitness; Dance as anticolonial and feminist practice“ durchgeschüttelt werden.
Wie schon in den letzten zwei Jahren gilt also:
Das Balance-Festival ist eines der Must-Go-Festivals 2020.
Das polnische Kollektiv Oramics und das Schweizer Label Kashev Tapes haben sich zusammengetan, um eine 91-Track-Compilation (ja, ihr habt richtig gelesen: 91) namens Sonic Resistance herauszugeben.
Mit der Compliation wollen sie die Widerstandsbewegung im syrischen Rojava unterstützen. Als DJs sind unter anderem big names wie DON’T DJ, Varg, Olivia, ANFS und Black Acid dabei. Und auch ein Leipziger Beitrag ist vertreten; ArtificialParadise supporten das Soli-Projekt ebenfalls mit einem Track.
Hier gelangt ihr zu Bandcamp, um die Mega-Compilation zu ordern (25 CHF).
Auf Facebook schreiben die Macher*innen hinter Kashev Tapes:
In the wake of being opposed to such an absolute violence, we asked ourselves what can we do to support this struggle? How can we engage our community and our skills to defend Rojava?
We feel obliged to point out and continue the emancipating history of club music and how it has been connected to equality and freedom movements since the beginning.
Alle Einnahmen, die mit Sonic Resistance eingespielt werden, fließen an die Organisation „Weqfa Jina Azad a Rojava“ (Foundation of the Free Woman in Rojava).
Hier könnt ihr den Track von ArticialParadise hören:
Wir dürfen heute unseren zweiten Open Call ausrufen. Und wir hoffen auf eure Zusendungen: Dieses Mal planen wir ein Vinyl mit Leipziger Künstler*innen, Producer*innen und (noch) unentdeckten Newcomer*innen der Szene.
frohfroh001
Euer Track – ob House, Techno, Acid, Trance, Ambient oder oder oder – sollte endlich veröffentlicht werden? Ihr seid als Produzierende in und um Leipzig ansässig? Ihr habt Lust euren Output gemastert auf Vinyl gepresst zu hören? Ihr seid alte Hasen und euer Sound hat Zeitgeist? Ihr seid neu im Producer*innen-Kosmos und habt was auf der Festplatte, das raus in die Welt gehört, rumschwirren..?
Wir wählen bis zum 06.06.2020 unsere Favoriten für die erste frohfroh-Pressung aus.
Neues Jahrzehnt, neue Reihe – in diesem Jahr stellen wir jeden Monat eine*n interessante*n Künstler*in vor. Mit einem Porträt und einem exklusiven Mix. Los geht es mit Jenny Sharp. Im Dezember 2015 hatte sie ihren ersten Gig. Innerhalb von kurzer Zeit spielte sie in diversen Clubs und Festivals – und ist nun erste Tour-DJ der Antilopen Gang.
Es ist ein Dienstagabend im Januar. Nach vielen Tagen, die es um einiges zu warm für diese Jahreszeit war, ist es heute winterlich kalt. Trotz der eisigen Temperaturen freue ich mich rauszugehen, um mich auf den Weg durch das nächtliche, beleuchtete Leipzig zu machen. Ich setze mich in den Bus, Kopfhörer auf, Musik an, Blick nach draußen. Zum Glück dauert die Fahrt von West nach Ost lange – mehr Zeit, um dieses schöne, vertraute Gefühl zu genießen, dass ich spüre, während die Fassaden Leipzigs an mir holpernd vorbeiziehen. Viel zu lange her, dass ich diese Strecke gefahren bin, denke ich; die Strecke zu meiner Freundin Jenny, einigen wohl besser bekannt als Jenny Sharp.
Sie gehört zu den Menschen Leipzigs, die ich als erstes kennenlernen durfte und die mein positives Bild dieser Stadt maßgeblich prägen. Wir haben mal hier, mal da zusammen gefeiert. Vieler ihrer Gigs habe ich gesehen, ausgiebig dazu getanzt und geschwitzt. Wir waren zusammen essen, haben über vieles geredet. Ich würde sogar behaupten, dass ich ihre DJ-Karriere von Anfang an miterlebt habe. Dennoch weiß ich nicht, wie alles begann. Mir fällt auf: Ich kenne Jenny, aber die Künstlerin Jenny Sharp, ihre Hinter- und Beweggründe, die Geschichte dahinter, kenne ich kaum. Das lässt sich wohl auch auf einer ihrer Eigenschaften zurückführen: Bescheidenheit.
Ich steige keuchend die Treppen bis zu ihrer Wohnung ins Dachgeschoss hinauf. Sie wartet lachend an der Tür: „Gleich hast du es geschafft!“ Ein bisschen näselt sie noch. Die Woche zuvor war sie ziemlich krank. Doch sie sieht frisch und gut aus, wie eh und je. Ihre Haare trägt sie wild gelockt, der fransige, ebenfalls gelockte Pony fällt ihr lässig ins Gesicht. Wir umarmen uns und stellen gemeinsam fest, dass wir mehr Sport machen sollten, denn diese Stufen zwingen uns beide in die Knie. Zuvorkommend reicht sie mir einen Kleiderbügel für meinen Mantel und bietet mir Hausschuhe an. Wir gehen instinktiv in die Küche. Als wir uns dieses Treffen ausmachten, hatte sie sofort die Idee, für uns beide zu kochen. Ganz selbstverständlich und ohne weitere Fragen. Ich musste mir über nichts Gedanken machen, außer, welches Bier ich mir für heute kaufe. Das Abendessen ist also eine Überraschung: es gibt vegetarische Burger mit Süßkartoffel-Pommes – perfekt!
Foto von Alexander Knobl
Während Jenny noch die letzten Vorbereitungen für das Belegen unserer Buns trifft, updaten wir uns mit den neuesten News, Storys, Ups and Downs. Zwischenzeitlich müssen wir unsere Stimmen etwas erheben, da nun die Pattys laut in der Pfanne brutzeln. Schließlich ist alles aufgetischt. Mit Radler und Carlsberg stoßen wir an, beginnen zu essen und unterhalten uns weiterhin enthusiastisch. Während des Gesprächs über eigentlich noch privaten Stuff, erfahre ich überraschend, dass Jenny erst durch ihren guten und langjährigen Freund Ranko auf Rapper und Musiker der Hip Hop-Szene stieß (ja, zu dem Zeitpunkt waren es nur Männer) und letztendlich auch erst durch ihn zur DJ- und Radio-Host Jenny Sharp wurde. Ok, tell me more.
Zum Hip Hop kam die 32-Jährige erst recht spät, wie sie selber feststellt. Angefangen hat alles – wie könnte es anders sein – mit Akrobatik. Sie wurde sogar sächsische Meisterin. Sheesh. Irgendwann gab es mal einen Breakdance-Workshop in ihrer Schule, den sie mitmachte. Es klappte gut: Die Bewegungen fielen ihr durch den Leistungssport recht leicht und das rhythmische Bewegen zum Hip Hop machte ihr Spaß. Es war lockerer als Akrobatik. Musik spielte in ihrem Leben damals schon eine große Rolle. Sie versteht Musik als Sprache, als Ventil, als Mittel, um Gefühle auszudrücken oder auch als Soundtrack bestimmter Lebensphasen, in die sie jederzeit wieder zurückreisen kann.
„Ich war mal am Amazonas – und plötzlich ging mein MP3- Player kaputt. Dass ich keine Musik mehr hören konnte, war so schlimm für mich, dass ich es gar nicht mehr genießen konnte, dort zu sein.“
Hip Hop hörte Jenny allerdings so gut wie gar nicht, als sie mit Breakdance begann. Klar kannte sie Cypress oder Lauryn Hill, denn sie teilte sich mit ihrer Schwester ein Zimmer und hörte so „zwangsläufig“ ihre Musik mit. Zum Tanzen in Clubs ging sie aber eher zu Drum’n’Bass oder Reggae, Hip Hop stand sie eher skeptisch gegenüber. „Die Leute, die ich aus der Schule kannte und Hip Hop hörten, gingen zum Beispiel immer ins Kosmo oder Kosmos, ein Club von früher, den ich nicht mochte. Deshalb fand ich die irgendwie immer komisch“, sagt die Ur-Leipzigerin lachend. Im Gegenzug, meint sie aber, wäre es wohl auch anders gekommen, hätte sie einen Freundeskreis gehabt, der Hip Hop hörte.
Doch durch das Breakdancen änderte sich das: Ihr Interesse wuchs nicht nur für den Sport, sondern auch für die Musik und die Geschichte dahinter. Als sie 2009 für ein Praktikum in Liverpool lebte, freundete sie sich mit ihrem Mitbewohner an, der ihr viel über Hip Hop beibrachte. Sie suchte sich eine Breakdance-Trainingsgruppe und begann intensiv zu proben. Generell: Ganz egal, wo sie auf der Welt war, sie ging immer zum Training mit den Locals. „Als ich mal in New York in einem Club war, hatte ich ein T-Shirt einer Breakdance-Crew an. Plötzlich kam jemand auf mich zu und fragte, ob ich Bock hätte, bei einem Battle dabei zu sein. Mein erstes Breakdance-Battle hatte ich dann tatsächlich in New York.“ Diese offene Community war etwas, was sie sehr genoss und liebte.
Zurück in Leipzig nahm Jenny Sharp 2012 an der „All 4 Hip Hop Jam“ im Conne Island teil. Dort lernte sie schließlich Ranko kennen, durch den sich ihr viele Türen öffnen sollten. Der Beatmaker und DJ fragte, ob sie nicht Lust hätte, einen Workshop mitzugestalten. Im Jahr darauf organisierte Jenny mit einer Mitstreiterin die Breakdance-Battles für die nächste „All 4 Hip Hop Jam“.
Ranko erwies sich auch danach weiterhin als Drahtzieher im Connection-Aufbau von Jenny. Seine befreundeten Rapper Jahmica und Jimmi Vau suchten für einen Videodreh Tänzer*innen – und Ranko dachte sofort an Jenny. So entstand nicht nur ihr erster Auftritt in einem Musikvideo, es war auch der Beginn großer und bis heute anhaltender Freundschaften. „Ziemlich peinlich eigentlich …“, kommentiert sie lachend ihre damaliges Können und lehnt sich, mittlerweile sattgegessen, in ihren Stuhl zurück. „Wollen wir dann mal hoch?“
Wir nehmen unser Bier in die Hand und steigen die Wendeltreppe hinauf ins Herzstück der Wohnung. Oben angekommen, wird mir nochmal deutlich, warum man sich all diese Treppen durchs Haus immer wieder antut: Die große Fensterfront eröffnet einen wunderschönen Ausblick über die Dächer Leipzigs. Im Sommer ist es nicht selten, dass Jenny Freunde einlädt, um zusammen auf der Dachterrasse zu grillen oder entspannt den Abend zu genießen. Wieder etwas, das sie auszeichnet: Aufgeschlossenheit.
Gleich rechts vom Panorama steht Jennys DJ-Pult, an dem sie übt und sich auf Gigs vorbereitet. Sie macht uns entspannten Hip Hop an. Wir setzen uns auf die riesige Couch, bei der ich jedes Mal aufs Neue die Rückenlehne verfehle und mich unabsichtlich und viel zu schnell hinlege. Mit Blick auf den vom Nebel verschwommen beleuchteten Uniriesen beginnt Jenny, meine Fragen zu beantworten. Ich bemerke, wie sie prompt in den Profi-Modus switcht und ich nun Jenny Sharp vor mir sitzen habe.
Foto von Anne
In ihrer Geschichte bleibt Ranko weiterhin erstmal der Star: Er ist Mitbegründer des OverDubClubs, den sie mit unterstützte und durch den sie weitere neue Connections schließen und tiefer in die hiesige Community eintauchen konnte. Eines Abends saß Jenny mit Freunden, darunter auch Jahmica und DJ dØrbystarr, in Rankos WG-Küche. So wie viele Abende eigentlich. Ohne groß nachzudenken kamen sie auf die Idee, Jenny könnte doch eigentlich auch mal einen Mix machen. Oder einen Podcast. Oder Radio? Ranko, who else, bastelte ihr einen Jingle und tada: Sharp Radio was born. Etwas ins kalte Wasser geschmissen, entstand zwei Wochen später die erste von mittlerweile 53 Folgen. Eins muss man ihr lassen: Was Jenny anfängt, das zieht sie durch. Halbe Sachen gibt es bei ihr nicht. Ohne sich davon abschrecken zu lassen, noch nie etwas in der Art gemacht zu haben oder gar zu kneifen, besorgte sie sich ihren ersten – billigen – Mixer und mischte drauf los. Ohne Plan. Denn sie wollte unabhängig sein und ihre eigenen Mixe machen können. Dass sie mal auflegen würde, hatte sie damals noch gar nicht als Ziel.
„Schreckliche Übergänge waren das. So würde ich das echt nie wieder machen!“ Aber das ist egal. Es darf nicht um Perfektion gehen“, meint Jenny. „Man darf keine Angst vor Fehlern haben. Einfach machen. Einfach das machen, was Spaß macht.“
Dieser Mut lohnte sich, denn schon bald bekam Jenny ihre erste DJ-Anfrage: Tina, die ehemalige Bookerin der Distillery, wollte Jenny Sharp buchen. Für die damalige Anfängerin war das eine große Ehre. Und ganz nach „Jenny-Style“ – dieser Herausforderung wurde sich gestellt. Sie probte wie verrückt und spielte ihren ersten Gig. Zu Sharp Radio lud sie später immer wieder Gast DJs ein, was zur Folge hatte, dass ihr Netzwerk wuchs. Schließlich wurde sie zur „Paper Planes“-Party von Zorro nach Chemnitz eingeladen. Es folgten ein Gig nach dem anderen und eigene Partys. Mittlerweile ist sie neben Trettmann bei splash!Booking. Das alles entwickelte sich ganz natürlich, ohne, dass Jenny irgendetwas forciert hätte, meint sie.
„Ich habe da auch sehr viel anderen Menschen zu verdanken, die mich dabei immer supported haben.“ –
– „Denn ohne mein Umfeld hätte ich das nicht angefangen und hätte es wahrscheinlich auch nicht so krass durchgezogen. Ich hatte immer Leute um mich herum, die mich gepusht und mir Chancen gegeben haben, die andere vielleicht so nicht bekommen haben.“
Sicherlich. Aber auch das passiert nicht einfach so, denke ich. Es ist auffällig und sehr angenehm zugleich, wie wenig sich Jenny bei all dem im Fokus sieht. Eher stellt sie dar, dass all das irgendwie und organisch passierte. Ich entgegne, dass ohne ihre Zielstrebigkeit aber kaum etwas davon zustande gekommen wäre. „Ich bin sehr zielstrebig, das stimmt. Das kann Vor-und Nachteile haben.“ Wir lachen. Zudem gehört eine ordentliche Portion Offenheit dazu, denn ohne ihre zuvorkommende und kommunikative Art, gäbe es all diese Connections und das Netzwerk nicht, das sie sich aufgebaut hat.
Ihr fällt darauf ein, dass mal ein Bekannter auf einer Party zu ihr kam und meinte: „Gibt’s dich für umsonst oder wie kommt es, dass du überall spielst?“ – „Krasse Aussage – und auch dumm“, meint sie. Aber nach dieser Frage musste sie selber überlegen, wie es dazu kam, dass sie plötzlich so oft gebucht wurde. Ihre Antwort darauf ist, dass sie verschiedene Genres bedient – Bass, Footwork, auch mal Trap oder ein Gangster Rap-Set. Ihr macht das unglaublich viel Spaß, diese Diversität innerhalb einer Musikrichtung. Daher scheint sie auch verschieden einsetzbar zu sein, stellt sie fest. Sie könnte sich niemals vorstellen, nur ein Genre aufzulegen und immer nur eine BPM-Zahl zu bedienen. „Ich denke, dass ich gut mit verschiedenen Umgebungen klarkomme und mich gut auf die Leute einstellen kann.“
Foto von Anne
Schon zu Beginn stellte ich Jenny die Frage, warum sie gerade Hip Hop auflegt und was sie an dieser Szene fasziniert. Im Laufe unseres Gesprächs ergänzt sie ihre Antwort darauf immer mal wieder. Einer der Gründe ist eben dieser Facettenreichtum. Vor allem aber schätzt und liebt sie den Support und den Zusammenhalt, den sie in dieser Subkultur erfährt und den sie selbst zurückgeben kann. „Etwas, was ich am Breakdancen irgendwann nicht mehr mochte und weshalb ich, unter anderem, damit aufgehört habe: diese Battles und ständigen Wettkämpfe. Es war irgendwie immer ein Gegeneinander, statt Miteinander. Und wenn du dann verloren hast, kamst du dir schlecht vor, obwohl es gar nicht darum gehen sollte. Es soll doch Spaß machen! Und das ist in der Musikszene echt anders.“ Doch ganz hat Jenny dem Tanzen nicht den Rücken gekehrt: Bei den Style Wild Leipzig Battles ist sie seit Jahren Resident-DJ und bezeichnet diese Gigs als ihre Herzensveranstaltungen. Dort kann sie sich musikalisch auslassen – „Die Menschen sind offen, was Musik angeht und wollen tanzen.“
Und sie selbst liebt es, wegzugehen, zu tanzen und so abzuschalten. „Ich gehe schon auch gerne in Kneipen und unterhalte mich, aber ich bin eher so der Typ, der lieber auf die Tanzfläche geht und sich mal mit niemandem krass unterhalten will. Das ist auch was, was ich beim Auflegen wahnsinnig feier – ich weiß, ok, jetzt spiel ich n Set und jetzt müssen mich alle in Ruhe lassen.“ Das Auflegen ist für Jenny also eine Art „Me-Time“, bei der sie in ihrer eigenen Welt sein und trotzdem eine Verbindung zum Publikum haben kann. Sie genießt es aber schon auch, auf Bühnen zu stehen, meint sie.
Den Job als DJ sieht sie auch als Ausgleich zu ihrem eigentlichen Beruf, den sie momentan aber nur noch für ein paar Stunden in der Woche ausübt. Seitdem sie ihr Deutsch als Fremdsprache-Studium abgeschlossen hat, unterrichtet sie. „Dabei geht es sehr um die soziale Komponente und das Arbeiten mit dem Kopf. Beim Auflegen geht es bei mir viel um Gefühl, um Emotionen und Abschalten.“ Ganz aufgeben will sie das Unterrichten aber nicht. Sie möchte nicht irgendwann darauf angewiesen sein, alles an Gigs anzunehmen, nur um ihre Miete zahlen zu können. „Solange sich aber alles gut und richtig anfühlt – natürlich gerne.“ Mehr redaktionelle Arbeit, wie Podcasts oder Radio, würde sie auch reizen. Am liebsten wäre ihr, alles miteinander verbinden zu können: Musik mit Organisation und Sprache.
Ein kleines bisschen hat sie sich davon schon verwirklicht, nämlich mit dem 10-köpfigen DJ-Kollektiv Good Hood Music, das sie zusammen mit ihrem DJ-Kollegen AR-P managed. „Hierarchien wollten wir eigentlich anfangs nicht, aber irgendwann ging es nicht mehr anders.“ Also hat Jenny nun teilweise das Zepter in der Hand, was gut zu ihr passt, finde ich. Wenn ihr etwas nicht zusagt, sie sich oder andere ungerecht behandelt fühlt oder sie schlichtweg etwas nicht in Ordnung findet, dann sagt sie es frei raus. Eine Frau mit Biss und Selbstbewusstsein, die sich nicht alles gefallen lässt. Das bisher wohl größte Highlight steht Jenny Sharp aber noch bevor: Als neue und erste Band-DJ wird sie die Antilopen Gang auf ihrer „Abbruch Abbruch“-Tour begleiten.
Wie kam es dazu? „Die Rapper haben Wert darauf gelegt, dass in ihrer männerdominierten Band eine Frau als erste DJ dabei ist. Darüber könnten viele Hip Hop-Crews mal mehr nachdenken. Über eine Empfehlung kamen sie dann auf mich. Wir schrieben miteinander, haben uns in Berlin getroffen, zusammen geprobt – und es hat super gut gepasst.“ Auftakt ist der 12.02.2020 in Cottbus. „Das ist echt eine riesen Ehre für mich“, sagt sie mit großen Augen und erzählt, dass sie für die Auftritte nun fast täglich mindestens eine Stunde Scratchen übt. Da sind sie wieder, der Ehrgeiz, der Fleiß, das Durchhaltevermögen und der Mut, die Jenny immer weiterbringen und Hürden überwinden.
Foto von Anne
Nun ist noch die Frage offen, ob sie mit dem Gedanken spielt, selbst mal zu produzieren. Noten lesen kann sie zumindest schon mal – als Kind lernte sie Gitarre. Sie sagt, dass sie sogar schon einige Tracks im Kopf habe und es ihr ab und an in den Fingern kribbeln würde. Allerdings halten sie Selbstzweifel und Unsicherheiten noch von der Umsetzung ab. Und da kommt wieder Super-Supporter Ranko ins Spiel, der ihr angeboten hat, zusammen einen Workshop zu machen, in dem er ihr das Produzieren beibringt. Und ich erinnere mich an einige Gigs, wie die DJ WM in der Ilse und ähnliche Veranstaltungen, bei denen es um eine Art „Wettkampf“ und um Bedingungen ging, die die DJs erfüllen mussten. Jenny war aufgeregt, wusste anfangs kaum, wie sie das hinbekommen soll – und gewann schließlich. „Ich habe bis jetzt irgendwie alles gewonnen“, stellt sie dann laut lachend fest. Ich glaube fest daran, dass Jenny auch diese Herausforderung annimmt und wir hoffentlich bald die ersten eigen produzierten Tracks von ihr hören werden.
Es ist spät und dennoch reichte die Zeit noch lange nicht. Es gab noch zu viel zu erzählen. Ich muss mich beeilen – die letzte Bahn fährt gleich. Ich ziehe mich schnell an, Jenny schaut in der Zwischenzeit nach einer Verbindung für mich. Mist, kein Geld für einen Fahrschein – „warte, ich schau schnell nach, ob ich Kleingeld habe!“ Aus irgendeinem Grund zeigt meine App nicht die Verbindung an, die Jenny gefunden hat – die wesentlich bessere Verbindung. „Wie muss ich…? Ach, egal, ich find´s schon!“ Wir drücken uns fest und ich renne die Treppen herunter. Unten angekommen schaue ich auf mein Handy: Nachricht von Jenny: ein Screenshot der Verbindung für mich nach Hause gefolgt von den Zeilen: „War super schön! Danke für deinen Support <3! Ach ja und falls du Hilfe bei deinem Umzug brauchst, sag Bescheid!“
Wieder im Bus und wieder mit Musik im Ohr fahre ich zurück nach Hause. Ich fühle mich wohl und merke, dass mir dieser Abend viel gegeben hat. Und ich erinnere mich wieder, was ich an Leipzig so mag, wie sehr ich die Menschen, die ich hier kennengelernt habe und den Zusammenhalt schätze. Ich erkenne, dass ich von Jenny Sharps Einstellung einiges lernen und für mich mitnehmen kann: Sie lässt sich inspirieren und setzt Ideen um. Sie hat keine Angst vorm Versagen und verliert sich nicht in Unsicherheiten und zu vielem Abwägen. Einfach machen, nicht gleich nein sagen, Herausforderungen annehmen und ausprobieren.
You go, Girl! Stay sharp.
Jenny Sharp in the mix
Und hier kommt Jenny Sharps exklusiver Mix für unsere „Spot on“-Reihe:
„Für frohfroh wollte ich auf jeden Fall einen Mix machen, der eine Facette meines aktuellen Club-Sounds repräsentiert“, sagt Jenny. „Es ist ein bassiger Mix mit (viel female) Rap in der ersten Hälfte, vor allem aus US. Die zweite Hälfte widme ich UK Grime und lasse erstmals Garage und Jersey Club in einen Mix einfließen. Detailverliebt selektiert und aufgenommen mit Serato Vinyl, stecken darin sehr viel Herzblut und wenig trending Charts. Gemastert hat es Phax.“
Da passiert abenteuerliches: Fünf Veröffentlichungen gab es 2019 auf Adventurous Music, die wir sträflichst vernachlässigt haben. Aber auch weitere Veröffentlichungen des Label-Beteiligten Signalstoerung wollen vorgestellt werden.
Wie schnell die Zeit vergeht: Im Dezember 2018 haben wir das Debüt-Album von Signalstoerung sowie eine 3″-CD mit weiterer Musik von ihm vorgestellt. Dabei fand auch das von ihm mitbetriebene Label Adventurous Music Erwähnung, dass in den darauffolgenden Monaten fünf Veröffentlichungen herausgebracht hat. Allerhöchste Zeit, diese endlich vorzustellen, denn es gibt einiges – vornehmlich von Signalstoerung selbst – zu entdecken. Und dann gibt es noch weitere Musik von ihm auf anderen Labels.
Beginnen wir mit Hendekagon, einem weiteren Projekt von Signalstoerung, das gleich eine Überraschung bereithält: Eine Orgel steht hier im Mittelpunkt. Eine Orgel? Das verwundert vielleicht auf den ersten Blick. Betrachtet man aber das Instrument gerade aufgrund der Möglichkeit, Presets zu verwenden, als Vorläufer des Synthesizers, erklärt sich die vor allem die technische Seite der Faszination wie von selbst. Aber auch Freunde des Subbasses haben bestimmt viel Vergnügen daran, das Instrument zu kapern, wenn der Organist mal Toilettenpause macht.
Hendekagon stellt den Klang des Instruments in den Vordergrund, indem an Drone orientierte Stücke entwickelt. Gerade die wenigen gespielten Noten erzeugen durch die Repetition eine immersive Kraft, die zudem durch Rauschen und sich ebenfalls wiederholende Vocal-Samples unterstützt wird. Das klingt und wirkt ganz automatisch irgendwie religiös, was natürlich dem größtenteils kirchlichen Einsatz des Instruments geschuldet ist. Die Stücke sind dann folgerichtig auch „Prologue“, „Psalm 1“, „Psalm 2“ und „Epilogue“ benannt.
Erst der Titel der EP, der einem Zitat von Max Weber entlehnt ist, setzt die Musik in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Max Weber beschreibt mit „Religiös unmusikalisch“ das fehlende Bedürfnis bzw. die Unfähigkeit, religiös sein zu können, ohne jedoch anti- oder irreligiös zu sein. Zusätzlich verknüpft Hendekagon ein weiteres Zitat von Karl Marx mit der EP, zielt also auf eine Kritik von Religion und Kapitalismus ab, und eröffnet Räume der Interpretation, die ich an dieser Stelle aber mal nicht betrete.
Stattdessen weise ich noch auf die Cardboard-Idee des Labels hin. Fünfundzwanzig gedruckte Postkarten mitsamt Download-Code gibt es zu erwerben, die die eben genannten Zitate und weitere Informationen beinhalten. Eigentlich eine spannende Idee, wie man digital veröffentlichte Musik doch noch physisch vertreiben könnte, beispielsweise in Kombination mit Vorhörstationen in Plattenläden. Womit wir wieder beim Kapitalismus wären.
Signalstoerung „Is This Art?“ (Adventurous Music)
Die zweite Veröffentlichung des Labels führt den gesellschaftskritischen Ansatz und auch die Cardboard-Idee fort. „Is This Art?“ besteht aus einem 20-minütigen Track von Signalstoerung, der im Grunde aus sehr basslastigen Drone besteht, dessen physischer Druck imponiert, ansonsten aber nichts neues dem Genre hinzufügt. Tatsächlich ist die Art und Weise der Veröffentlichung hier der Witz. Sie kann als Kommentar auf das aktuelle Bestreben in der elektronischen Musik, möglichst im Kunst- und damit verbundenen Museums- und Förderungskontext stattzufinden, gelesen werden, was im Herbst von Simon Reynolds in seinem Conceptronica-Artikel aufgegriffen wurde. Passt ja auch: Wenn schon viele Menschen Drone nicht als Musik wahrnehmen, dann akzeptieren sie es vielleicht einfach als Kunst. Wobei sich gleich die Fragen darüber anschließen, was überhaupt Kunst und was überhaupt Musik ist.
Signalstoerung ist dabei konsequent und passt die Preise für das Release dem Kunstmarkt an: Das Album ist rein digital für 40 €, als Cardboard-Edition für 70 € und zusammen mit dem Original-Artwork für 470 € erhältlich. Liebe Sammler und Mäzene, ihr seid also gefragt. Alle anderen, die nicht so Kunst-interessiert sind, schauen auf der Bandcamp-Seite lieber etwas genauer hin …
Im dritten Teil der Cardboard-Serie treffen beide Alter-Egos unter dem Motto „Sale“ aufeinander und verschwimmen miteinander. „At First I Was Unhappy, But Then I Went Shopping“ kehrt die rohe, noisige Seite von Signalstoerung bzw. Hendekagon hervor und wirkt wie ein verzweifelter, zynischer Kommentar auf den Shopping-Nihilismus. Ähnlich funktioniert auch „Get Two For Twice The Price“, das eine Spur mysteriöser klingt.
Wie auch bei den beiden vorangegangenen Releases ist es interessant, dass die Gesellschaftskritik vornehmlich über die Verpackung der Musik, weniger über die Musik selbst transportiert wird. Klar, es gibt mehr oder weniger darauf abzielende Vocal-Samples, aber der rohe und noisige Sound kann alle möglichen Assoziationen abseits der Tracktitel hervorrufen.
INYAN „Still“ (Adventurous Music)
Der vierte Teil der Cardboard-Serie ist nun auch der erste Teil, der nicht von Signalstoerung aka Hendekagon stammt. INYAN ist ebenfalls eine Person hinter Adventurous Music und wie Signalstoerung seit Jahren in der Leipziger Industrial-, Noise- und Electronica-Szene aktiv. Ihre EP „Still“ setzt sich thematisch mit der Situation amerikanischer Ureinwohner auseinander; die Einnahmen werden a das Lakota People’s Law Project lakotalaw.org gespendet.
Lagerfeuer-Geräusche, eine Trommel setzt ein, später kommt eine Flöte hinzu: Die drei zusammenhängenden Stücke „Still“ „They’re“ „Here“weisen klanglich direkt auf das Thema hin. Tiefe Bässe und ein düsterer Minimalismus vermeiden aber jeglichen Ethno-Kitsch, der bei solchen Konzepten immer als Gefahr am Horizont lauert. Mir gefällt die Kombination aus Düsternis und Groove in den Tracks sehr. Zwar sind sie nicht so perkussiv wie beispielweise bei Shackleton, weisen für mich aber mit seinen Soundentwürfen eine größere Verwandtschaft auf, als mit der meisten Musik aus dem Gothic-EBM-Darkwave-Bereich, die mir so zu Ohren gekommen ist.
Ergänzt wird die EP durch einen Signalstoerung-Remix – eine kalte Dubstep-artige Version der in den drei Tracks vorkommenden Elemente.
Hendekagon „The Contemporaneity Of Six Moments“ (Adventurous Music)
Abseits der Cardboard-Serie gibt es ein weiteres Album von Hendekagon, bestehend aus sechs „Momenten“ und zwei Bonus-Tracks. Hier fehlt dann auch der bisher so prägnante gesellschaftskritische Überbau, was zumindest für den Rezensenten eine erholsame Abwechslung darstellt. Auch die Musik ist viel harmonischer und gelöster: Eher mediativen Ambient statt Düsternis und Noise findet man hier. Das genieße ich dann mal ohne weitere Worte einfach auf dem Sofa.
Signalstoerung „UU“ (Hymen Records)
Offenbar war 2019 ein produktives Jahr für Signalstoerung: Auch auf Hymen gab es ein neues Album, das klanglich seinem Debüt nähersteht als die Tracks auf Adventurous Music. Hier sind die Beats wieder deutlich aufgeräumter bzw. überhaupt vorhanden, gleichzeitig ist das Album von feinen Melodien durchzogen. Plötzlich wirkt sein Sound viel nahbarer und gefühlvoller, als würden Sonnenstrahlen die auf „S“ entwickelte eisige Kälte auftauen. Manchmal taucht eine gewisse Klavier-Dramatik wie bei „UUP“ auf, in die sich Signalstoerung zum Glück nicht allzusehr hineinsteigert. Die Harmonie wird zumeist von scharfkantigen Drums in Frage gestellt.
„UU“ liegt dabei wieder ein Konzept zugrunde: Die Tracktitel beziehen sich auf radioaktive, chemische Elemente, die nur für einen kurzen Moment existieren, dabei aber enorme Energien freisetzen.
Und wer es ohnehin bis hierher geschafft hat, der kann auch den düsteren Signalstoerung Remix von „Minimal“ anhören sowie seinen ruhigeren Beitrag „No Moon Yet“ für die Compilation „5 Years Of Naviar Haiku“.
Mit der zwanzigsten Ausgabe relauncht LXC sein 7″-Label 45Seven und steuert zwei eigene Tracks bei.
Eigentlich ist es unfair zu sagen, dass es zuletzt etwas ruhig um den Label-Kosmos Alphacut, 45Seven und Co. wurde, gibt es doch nur wenige Labels in Leipzig, die mit dessen Release-Dichte mithalten können. Tatsächlich fällt gerade aber durch die Produktivität eine Pause umso mehr auf. Umso schöner, dass es nun zwei neue Tracks von LXC selbst zu hören zu hören gibt.
Beginnen wir mit der B-Seite. Mit „How Bleep Is Your Dub“ knüpft LXC, unterstützt von Emperor Echo an der Melodica, direkt an den 45Seven-Sound an: Dub, der einerseits klassisch klingt, aber genauso auch mit Halfstep / Drum & Bass kombinierbar ist. Perfekter Soundtrack zum Spliff-Rollen, wenn ich mal die plumpe Klischeekiste auspacken darf. Vielleicht aber auch einfach schöner, kontemplativer Sound, in dem man auch auf dem Dancefloor versinken kann.
Aber es ist die A-Seite, die mich noch mehr begeistert: Denn bei „Cyanz“ quietscht eine 303 vergnügt zwischen den Echo-Nebelschwaden hindurch, während einige Breakbeats in Richtung Jungle schielen. Verrückt, wie sich hier die Drums überschlagen, ohne dabei völlig überfordernd aus dem Ruder zu laufen, und wieviele Ideen überhaupt auf nicht mal vier Minuten untergebracht sind. Die 303 bringt dabei eine ganz eigentümlichen Drive in die Dub-Gemütlichkeit rein, was den Puristen sicherlich missfallen wird.
Vielleicht gibt es die Kombination Acid + Dub + Jungle ja demnächst öfter mal im Club zu hören – ich bin jedenfalls schwer dafür.
Neuigkeiten von Tinkah’s Label Human: „1967 / People“ von Abogar lädt zum Zuhören ein.
Bereits seit Oktober wartet das dritte Release auf Human darauf, von euch entdeckt zu werden. Diesmal gibt es fünf Stücke von Abogar, ein Projekt bestehend aus Arpen und Ana Bogner, zu hören. Diese fünf Stücke sind Teile der beiden Gesamtkompositionen „1967“ und „People“, die auf der 12″ jeweils eine Seite in Beschlag nehmen.
Klackernde Sounds, gefolgt von einem stehenden Ton: Gleich zu Beginn fordert „1967“ die Aufmerksamkeit der Zuhörer*innen ein und macht deutlich, dass hier keine Ambient-Tapete zu erwarten ist. Nein, Abogar verzichten auf vordergründige Melodien und Rhythmik und laden damit umso stärker dazu ein, auf die einzelnen Klänge zu achten. So gibt es in „1967 (Pt. 2)“ rückwärts gespielte Vocalfetzen, die daran erinnern, wie einfach es wäre, abstrakt klingende Geräusche mittels Gesang oder Sprache den Hörer*innen zu vermitteln – doch genau die Abkehr davon baut eine viel größere Spannung auf. Mit dem Gitarrenspiel in „1967 (Pt. 3)“ schleicht sich nach diesen ersten sperrigeren Minuten eine gewisse Leichtigkeit ein. Das ebenso vorkommende Schreibmaschinenklackern weist nicht nur ziemlich direkt auf die erzählerische Qualität der Klangcollagen hin, sondern – passend zum Titel „1967“ – ebenso auf die Vergangenheit.
Ein gesprochenes „I find no peace in functionality“ steht im Mittelpunkt des ersten Teils von „People“ – ein Schelm, wer genau bei diesem Stück auf den obligatorischen Techno-Remix wartet, mit dem so gern die Anknüpfung von abstrakterer Musik an das Dancefloor-fokussierte Publikum gesucht wird. Vielleicht ist der Satz aber auch der Grund für den vertrackten Beat „People (Pt.2//Pt.3)“, der immer wieder eine mögliche Eingängigkeit vermeidet. Vor allem in Kombination mit den schwebenden Orgel-Drone-Sounds im Hintergrund wird eine unheimliche Stimmung erzeugt, die durch durch die Erzählung von Ana Bogner am Ende des Stücks an Intensität zunimmt.
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