Tsorn – den Namen kennen Technofans nicht erst seit der Afterhour-Kolumne von frohfroh, sondern vielmehr von Releases bei Connwax, auf der IfZ-Five-Platte oder (ganz frisch!) bei Hypress. „Psycho-Bitch“ heißt die aktuelle 4-Track-EP der Künstler*in, die für düstere Techno-Live-Sets und als Bassistin der Punkband ‚The Heroine Whores‘ bekannt ist. Wir haben Tsorn zum Interview getroffen.
Tsorn produziert seit 2007 Musik. Angefangen hat es mit Electro Punk, dann kam Ambient, eine Tech-House-Episode und schließlich wurde es Techno. Der Signature-Sound vereint „düstere, morbide Melodien, die meine derzeitige Gefühlslage ausdrücken“, wie Tsorn sagt.
Psycho Bitch
Genau das stellt sie jetzt auf der EP namens ‚Psycho Bitch‘ unter Beweis. Erst einmal sticht der Name ins Auge, der – gemeinsam mit den vier Tracks – ziemlich wenig mit dem vom Label ausgewählten Artwork gemein zu haben scheint.
Artist: Tsorn Titel: Psycho Bitch Label: Hypress
„Der Name greift eine diffamierende Beschreibung in Bezug auf Frauen auf. Ich eigne mir diesen Begriff an und entziehe denjenigen, die ihn abwertend benutzen, damit den Nährboden. Der Titel kann auch ruhig als Provokation verstanden werden.“ – Tsorn
Die Tracks entstanden in einem Zeitraum von vier Jahren. Zwei der Tracks, ‚Psycho Bitch‘ und ‚Hungry Foreign Holes‘ stammen aus dem erst kürzlich zu Ende gegangenen Jahr 2019 und wurden damit neu von Tsorn produziert. Anders als für ihre erste EP, seien die neuen Stücke in ihrem Studio in ihrer Wohnung und nicht in der Entzugsklinik entstanden, lacht Tsorn und fügt hinzu: „damals noch wie bei Paul Kalkbrenner, heute in meiner 1-Raum-Wohnung.“
„Live is Life“
Tsorn ist eine der wenigen lokalen Producer*innen in Leipzig, die sich auch als Live-Act in der Techno-Schiene immer wieder auf den Line-Ups der Clubs finden. Ob Tsorn auch als DJ durchstarten möchte? Nein, nur Live – denn „Live is Life“, wie Tsorn sagt. Auf der aktuellen EP hören wir alle Facetten ihres Stils, von „düsterem Witch-House-Trap bei dem Track ‚666‘, melancholischem Electro oder schroffem, dreckigem Techno wie bei ‚Psycho Bitch‘“. Auch mal melodiös und schnell (‚Hungry Foreign Holes‘) wird es auf der aktuellen EP, die am 17. Januar als Digital-Release erscheint.
Für alle Vinyl-(Only-)Fans: Nur ein paar Wochen später erscheint bei Hypress übrigens eine (schon jetzt ziemlich heiß ersehnte) Compilation – dieses Mal als Vinyl und mit einem weiteren Track von Tsorn.
Der Wunsch für die Producer*innen-Zukunft ist nach kurzem Überlegen dann auch klar: Ein eigenes Tsorn-Album, auf Vinyl. Allzu lange kann das eigentlich nicht auf sich warten lassen, wenn man sich den Output der letzten zwei Jahre anschaut.
Release Party
Foto von Tsorn; Bearbeitung von frohfroh
Wer neugierig geworden ist, hat am 18. Januar die Gelegenheit Tsorn live spielen zu sehen und zu hören. Und zwar im Mjut, zur Release-Party unter der Label-Flagge von Hypress. Mit dabei sind Stephanie Sykes, Oliver Rosemann b2b Templeton, SHIKOBA, Monsoon Traxx und Egregore b2b Translucid. See you there!
Es gibt Neuigkeiten von Jahtari-Boss Disrupt: Mit der LP „The Recreation Room“ hat er eine Fortsetzung zu „Omega Station“ herausgebracht …
… und dafür eigens das neue Label Zone Dog Records konzipiert. Die zwölf Stücke geben einen wunderbar hörbaren Einblick in Disrupts Soundforschungen, bleiben insgesamt recht kurz, ohne dass sie sich dabei kurz anfühlen.
Richtiggehend entschleunigend wirkt das Album auf mich. Es setzt sich aus kleinen Erzählungen voller schöner Details zusammen, die zum Zuhören einladen, gleichzeitig aber auch ein Wegdriften zulassen. Easy Listening im besten Sinne also: Da dürfen auf „Relax’em Up“ neben Synthesizern und Effektgeräten auch mal Vogelstimmen gemütlich vor sich hinzwitschern. Würde mich nicht wundern, wenn es so einige begeisterte Ornithologen unter den Synthesizer-Freaks gibt, die diese Kombination erfreut.
Disrupt hat bestimmt sehr viel Spaß daran, seine musikalischen Ideen abseits vom Jahtari-Dub-Korsett auszuprobieren. Zum Beispiel erinnert der Jazz in „Would You Kindly“ an alte Instrumental-Alben, die in den günstigen Kisten der Plattenläden verstauben und darauf warten, neu entdeckt zu werden. „The Recreation Room“ klingt wie eine Hommage an solche Platten und ihre oft längst vergessenen Ideen und Stimmungen, die durch Zeit und Raum transportiert erneut ihr Gehör finden und dabei in der heutigen Zeit so unwirklich klingen.
Bonus: Es gibt nicht nur einen Mitschnitt, wie das alles live klingt …
… sondern auch ein wunderbares DJ-Set von Disrupt im Rahmen des Adventskalenders bei Kraftfuttermischwerk:
Autorin und Fotografin Paula hat eine neue Reihe für uns begonnen: Studioporträts. Ihr zweiter Besuch war bei Artist/Producer FKA jahmica.
FKA jahmica (Blue Ocean Asylum)
„Blue Ocean Asylum“ ist der Name von jahmicas Kanal, den FKA jahmica ab jetzt für Releases benutzt. Darunter vereint werden verschiedene Pseudonyme.
Die ersten Releases dieses Jahr finden am 14.01. (FKA jahmica – all the things she sad) sowie am 22.01. (DARKROOM DAVID – ich bin zur hälfte er) statt.
Formerly known as ‚Jahmica‘
Am 14.01.2020 (dem Trans Day of Cuddling) erscheint nun also die ‚all the things she sad‘ – EP von FKA jahmica. Formerly known as ‚Jahmica‘ hat 2017 mit dem Clip zu ‚Deine Bitch‘ und dem Outing als genderfluid Artist in der deutschsprachigen Hip Hop-Community neben einigen unterstützenden Fürsprecher*innen auch einiges an Hate-Speech einstecken müssen.
Den in der Szene immer noch stark ausgeprägten Sexismus-, Transphobie- und Besitztum-Narrativen wird weiterhin mit cozy vibes die Stirn geboten. Der introspektive Einblick in das Seelenleben umfasst 5 Songs, welche sich zwischen Lofi-Beats, sphärisch-verträumten Sounds, 90er-Hip Hop sowie 2000er-Pop-Zitaten bewegen – so viel verrät uns schon mal die Pressemitteilung. Der Rest, also die Musik und die Person(a) kann, soll, muss einfach gehört und gesehen werden!
…und wir hoffen auf eure Spenden und Unterstützung!
Wir gehen ins elfte Jahr, holy moly. Elf Jahre Texte, Kolumnen, Reiseberichte, Fotoserien, Reviews, Nach(t)berichte, Ausgehtipps, Podcasts, Videos, Reportagen, Recherchen, ein Magazin und zwei Zines – und wir wollen natürlich auch in diesem Jahr damit weitermachen.
Wie finanziert sich frohfroh? – Gar nicht.
Wir haben gerade als es um das Magazin ging, wieder öfter die Frage gehört: Wie finanziert ihr euch eigentlich? Bisher finanziert sich frohfroh gar nicht. Wenn es mal was zu zahlen gibt, wie Homepagekosten, Sicherheitspaket, Illustrationen, Sticker, SoundCloud-Kosten, Fahrten zu Interviews… dann zahlen wir das aus eigener Tasche, bzw. das meiste zahlen Jens (das allermeiste) und Nasti (die Extras). Jetzt kommt erschwerend dazu, dass wir eine Portion Support eines Programmierers für unsere Seite brauchen und guess what – this will take some time and some money. Nachdem wir unsere Kosten einmal aufgestellt hatten, war es dann doch klar:
We need some help from our friends and fans, also euch.
Wir sind jetzt bei Steady und brauchen eure Unterstützung.
Der Schritt zu Steady ist der Versuch, frohfroh zu erhalten. Wir brauchen +/- 100 Euro pro Monat, nicht zuletzt, um auch neue Projekte zu verwirklichen und unsere bisherigen Kosten nicht aus eigener Tasche blechen zu müssen.
Unsere Zeit, Arbeit und unsere Hingabe gibt es weiterhin kostenlos, sonst kann es ein unabhängiges Online-Magazin wie frohfroh (leider) nicht geben. Ihr lest hier keine Advertorials, in denen wir XY anpreisen oder seht (nicht nur) ästhetisch fragwürdige Werbebanner, wenn ihr auf unserer Seite surft. Und das wollen und werden wir erhalten – denn natürlich macht uns das Blog weiterhin unfassbar viel Freude und sind immer wieder aufs Neue berührt, wie viel wir gemeinsam mit unseren Leser*innen, Unterstützer*innen und Künstler*innen schaffen und Öffentlichkeit schaffen.
In diesem Sinne: Wer 1-2-3-4 Euro pro Monat für unabhängigen Journalismus über elektronische Musik und die Szene in Leipzig übrig hat, ist herzlich eingeladen, uns zu unterstützen. An die Leipziger Clubs, die wir mitunter seit zehn Jahren begleiten, vorstellen, supporten… ihr seid ebenfalls eingeladen, uns bei Steady, mit welchem Betrag auch immer, zu supporten. An alle die frohfroh gerne lesen, aber keine Kapazität haben, zu spenden – teilt unseren Aufruf! Das wird uns ebenfalls helfen.
Seit 1,5 Jahren betreibt er das Inch By Inch, den Plattenladen auf der Lütznerstraße im Leipziger Westen. Meine Frage an ihn: Wer kauft heute eigentlich noch Platten?
Im Jahr 2019, genauer gesagt im ersten bis zum dritten Quartal, ist der Umsatz an Schallplatten in Konkurrenz zur CD und allen anderen physischen Tonträgern auf 12,9 % gestiegen. Mehr noch, seit 12 Jahren wächst der Vinylmarkt laut dem Bundesverband Musikindustrie und die ersten Blogs berichten schon vom Siegeszug gegen die CD und den Download-Markt… Das müsste für Philipp vom Inch By Inch eine gute Nachricht sein! Seit 1,5 Jahren verkauft er vorrangig gebrauchte Vinyl in der Lütznerstraße 60 in Leipzig-Lindenau.
Foto von Kathi Groll
Wie ist er zu seinem Laden gekommen und warum? Und wer kauft heute noch Schallplatten?
Darum geht es in einer neuen Folge TalkTalk – dem Podcast von frohfroh.
Pandaros Ruf eilte ihm schon vor seinem Umzug voraus. Denn obwohl er in den letzten zwei Jahren ’nur‘ zwei Tracks released hat, wird er als Geheimtipp gehandelt. Seit unserem Interview kann ich das musikalisch, als auch menschlich voll und ganz verstehen.
Wir trafen uns an einem dieser letzten goldenen Herbsttage im Lene-Voigt-Park im Leipziger Osten. Die Wahl des Ortes lag an der Nähe zu Bastis neuer Wohnung. Erst seit drei Wochen war er zu diesem Zeitpunkt hier und kannte den Namen des Parkes, in dem wir ein Stündchen zum Plaudern in der Sonne saßen, noch nicht. Ganz unwissend zog er trotzdem nicht hierher. Er erinnert sich noch genau an seinen ersten Gig im Institut fuer Zukunft, an dem er der erste Act des Abends war und mit seinem Set smooth auf die nachfolgende DJ vorbereiten wollte. Das klappte dann nicht so ganz:
„Meine ganzen Freunde waren mit da und ab dem ersten Song haben die alle getanzt. Ich hatte mir vorher noch gesagt, ok Basti, du bist jetzt geduldig mit deinen Tracks und machst erstmal ruhiger, spielst jetzt nicht gleich den krassen Sound. Aber nach einer halben, dreiviertel Stunde hat das so Fahrt aufgenommen, da hab‘ ich mich mitreißen lassen. Ich konnte mich nicht wehren! Entschuldige Eloïze nochmal an dieser Stelle!“
Warm-Up-Sets, Lokomov und die „gekommene Stadt“
Normalerweise spielt Basti gerne Warm-Up-Sets. Da er in Chemnitz als Booker für das Lokomov gearbeitet hat, war es für ihn daily business vor den gebuchten Acts Mukke zu machen. Den Job macht er derzeit noch, sodass die Chemnitzer ihn nicht komplett an Leipzig verloren haben. Umgezogen ist er, weil es einfach gut passte und das Umfeld für ihn sehr wichtig ist.
„Früher sind alle nach Berlin gezogen, aber jetzt wohnen die meisten meiner Freunde hier. Leipzig ist ja nicht mehr nur am kommen, die Stadt ist längst gekommen...“
„…und ich bin nicht der Typ, der in eine riesige Stadt muss, sondern ich finde es einfach schön, wenn ich einen sozialen Rahmen vorfinde, in dem ich mich niederlassen kann.“
10 Jahre hat er vorher in Chemnitz gelebt und dort studiert. Da die Chemnitzer Szene sehr klein und idealistisch ist, halten die Akteur*innen zumeist zusammen.
„Man identifiziert sich schon irgendwie darüber und hat so einen seltsamen Lokalpatriotismus, aber natürlich nicht diesen Pegida-Swagger! Sondern dass wir als Akteure und Akteurinnen weiterhin in Chemnitz am Start sind und die Szene aufrecht erhalten müssen…“
„und diese Chemnitz-Attitude habe ich schon noch in mir.“
Nichts erzwingen – entspannt bleiben
Musikalisch bewegt sich Pandaro zwischen smoothen House mit Elektroeinschlag und Musik, die auch breakig darf. Auf seiner neuen EP, die Anfang nächstes Jahr bei O*rs rauskommen wird, ist aber auch wieder ein gerader Four to the floor Track, verrät er. In Sachen Genres und Produktion hat Pandaro sowieso eine unglaublich entspannte Haltung:
„Ich habe in diesem Jahr nur zwei Tracks fertig bekommen. Ich sitze eben nicht jeden Abend dran, sondern bei mir muss sich das ein bisschen aufstauen. Und es dauert dann noch mal eine Weile bis ich zu einem Ergebnis komme, mit dem ich zufrieden bin. Natürlich habe ich auch diese Angewohnheit wie andere Produzenten, dass man sich spätestens nach zwei, drei Monaten überlegt, was man noch hätte besser machen können…“
„…da muss man lernen, loszulassen.“
Das Motto ist: nichts erzwingen und sich lieber die Zeit nehmen, einen Track wirklich gut hinzubekommen. Zwei Tracks von ihm sind offiziell released worden. Einer davon landete direkt auf der TH!NK? You & O*rs Compilation von 2017 und sein aktueller Track „And Then I Knew“ ist ebenfalls über O*rs rausgekommen.
Zu Filburt gibt es seit Jahren eine sehr gute Verbindung. Die beiden kennen sich über Bookings. Pandaro arbeitet mittlerweile bei O*rs, schreibt die englischen Pressetexte und kümmert sich um Facebook – oder was eben sonst noch so anfällt. Stück für Stück darf auch das Musikprojekt Pandaro in nächster Zeit wachsen:
„Die Umstände sind gerade gut, ja, aber ich bleibe da trotzdem entspannt. Klar wäre es super, wenn ich noch ein paar Tracks rausbringen kann, vielleicht auf Labels von Freunden. Und ich würde einfach gerne mehr auflegen, weil es mir so viel Spaß macht. Aber ich würde nicht sagen, dass ich es krass drauf anlege oder mir 10000 Follower auf Facebook deswegen kaufe und jeden Club hier in Leipzig anschreibe, ob ich auflegen darf.“
Chemnitz und Leipzig
Zu guter Letzt: Was ist in Leipzig anders als in Chemnitz?
„Leipzig ist in demografischer Hinsicht eine ziemlich junge Stadt.“
„…Letztens war ich hier auf einer WG Party mit mehreren Floors und da kamen einem nur junge, gut gekleidete, attraktive Leute entgegen. Das finde ich schon bemerkenswert.“
Ich persönlich freue mich über diesen tiefenentspannten, sehr sympathischen Neuzugang, von dem wir in Zukunft mehr hören werden. Anfang 2020 kommt zum Beispiel Pandaros neue EP bei O*rs mit einem Credit00 und einem Filburt Remix raus.
Es ist soweit: Das nächste Video unserer „Close to …“-Reihe ist online. Wir waren in der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Denn vor wenigen Jahren fiel uns auf, dass einige spannende Elektronik-Musiker*innen dort studiert haben. Ist die HMT also eine Keimzelle für Techno & Co?
Ok, das hat etwas gedauert mit dieser Folge. Bereits Ende 2016, Anfang 2017 haben wir – Benjamin von relativ kollektiv, André von Depth of Sound und ich – uns zu den Dreharbeiten für unser neues Video aufgemacht. Dann kam ein Schwall an anderen Jobs, so dass die Aufnahmen erstmal ganz hinten links auf der Festplatte liegen geblieben sind.
Doch warum gerade in die Hochschule für Musik? Studieren dort nicht nur angehende Jazzer*innen und Orchestermusiker*innen? Jein. Tatsächlich sind Jazz und Klassik der Hauptfokus. Aber es gibt in der HMT auch die Möglichkeit, „Elektroakustische Komposition“ zu studieren – mit zwei eigens dafür eingerichteten Studios.
In den vergangenen Jahren tauchten schließlich immer wieder Musiker*innen auf, die an der HMT studiert hatten, aber auch in anderen Kontexten wie Techno, Ambient, Electronica und Experimental aktiv sind. Niklas Kraft alias Talksi zum Beispiel. Genauso wie Friederike Bernhardt und Joshua Lutz alias The Road Up North. Auch Johannes Cotta von der Band I.T.O.E. war an der HMT.
Und alle gingen etwas anders – abseitiger, tiefgründiger und künstlerischer – an elektronische Musik heran.
Das wollten wir genauer wissen und erkunden, inwieweit das Setting einer Hochschule für Musik auch Keimzelle für Musik ist, die nicht im Gewandhaus oder Telegraph stattfindet, sondern im Institut fuer Zukunft.
Mit wem wir gedreht haben
Getroffen haben wir dafür Friederike Bernhardt, Joshua Lutz und Prof. Ipke Starke. Joshua alias The Road Up North hatten wir im Frühjahr 2016 erstmals entdeckt. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten war er noch an der HMT immatrikuliert. Mittlerweile lebt er in Mannheim und studiert an der Popakademie Komposition und Produktion. Im Sommer 2019 veröffentlichte er mit The Road Up North sein Debüt-Album »Fauna«.
Friederike Bernhardt studierte 2009 Elektroakustische Komposition bei Ipke Starke. Seit 2007 komponiert sie hauptsächlich Musik für Theaterstücke und Hörspiele. Zusammen mit Johannes Cotta spielt sie ebenfalls in der Band Geza Cotard. Und sie ist Teil des Berliner Kunst-Kollektivs LAWBF.
Ipke Starke ist seit 2000 Professor an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Er leitet u.a. den Fachbereich Elektroakustische Komposition und ist selbst als Komponist für Neue Musik tätig.
Was ist seit 2017 passiert?
Leider eher wenig. Zumindest sind mir keine weiteren Studierenden der HMT aufgefallen, die sich intensiver mit elektronischer Musik beschäftigen. Vielleicht liege ich falsch und habe jemanden übersehen. Sollte es so sein, schreibt es in die Kommentare. Viel Spaß nun mit dem neuen Video.
Und falls ihr die ersten beiden „Close to …“-Folgen verpasst haben solltet, hier sind sie nochmals: (Und: Es werden noch weitere kommen)
Technoliebhaber*innen sind prädestiniert dafür, sich lauter Musik auszusetzen. Die Abende in Clubs ‚wummsen‘ zu 99%iger Wahrscheinlichkeit lauter und bassiger als ein Abend im Kino oder eine kuschelige Nacht mit einem Hörspiel im Bett. Aber wo verläuft die Grenze von ‚laut‘ und ‚zu laut‘?
Nicht selten sieht man einen Teil des Publikums in Clubs stundenlang vor hohen Boxen tanzen. Manche Kandidat*innen schreien sich im Gegenzug in der ersten Reihe regelrecht an, um miteinander zu kommunizieren und dabei anstehende kurzfristige oder auch längerfristige Pläne abzuquatschen. Hier wird deutlich, wie laut Umgebung und Musik sind.
Aber – warum lieben wir es laut? Laute Musik kann den Körper in einen Rausch versetzen, Adrenalin freisetzen, die Musik klingt einfach intensiver und geiler. Dazu kommen im Club immer öfter die üblich-übrigen Rauschmittel, klar, aber viele mögen laute Musik auch im Auto oder über Kopfhörer.
Einige spannende Fragen, die sich daraus ergeben: Was macht laute Musik mit den Ohren und mit dem Hören? Noch viel wichtiger:
Was kann ich tun, um meine Ohren zu schützen? Kann ich dabei weiter wie gewohnt feiern gehen?
Stimmt es, dass gesunde Ohren nicht altern – sich also nur bis zur Schwerhörigkeit über die Jahre abnutzen?
Wir haben zu diesem Thema schon viel gehört (ha-ha), aber wollen euch – als verfrühtes Weihnachtspräsent – einen profunden Gastbeitrag liefern. Dazu haben wir Dr. med. Gabriele von der Weiden, Ärztin und Master of Science im Fach Gesundheitsmanagement, befragt.
Zum Einstieg vor der Lektüre eignet sich dieses kurze Video, das gut erklärt, wie das Ohr funktioniert:
Der Prozess des Hörens
Dr. med. Gabriele von der Weiden
Bei Tageslicht und in der Dunkelheit
Unser Gehör ist ein besonderer Sinn, er funktioniert ununterbrochen, auch im Schlaf. Wir hören gleichermaßen gut im Tageslicht oder in der Dunkelheit, wir hören was hinter uns geschieht, um die Ecke herum oder durch Hindernisse hindurch. In Wahrheit ist das Ohr ein Organ der Stille und dafür geschaffen, feinste Geräusche wahrzunehmen.
Und ja, Naturvölker, die in einer leisen Umgebung leben, hören als 70-Jährige so fein wie junge Menschen.
Unsere sogenannte Altersschwerhörigkeit ist die Summe vieler Lärmbelastungen, genauer Überlastungen der feinen Sinneshärchen unseres Innenohrs.
Die Dosis macht das Gift
Ob ein kurzandauernder lauter Knall oder nicht so laute, aber andauernde Geräuschpegel, gleichermaßen zu einem Hörschaden führen, lässt sich pauschal nicht beantworten – es kommt hierbei auf die Gesamtdosis an, die sich aus Lautstärke und Dauer der Beschallung ergibt.
NOTE NOTE –
+ 10 dB mehr = 10fache Belastung
Lautstärke, also Schalldruck, wird in Dezibel (dB) angegeben. Erhöht sich der Schalldruckpegel um 10 dB, dann bedeutet das die zehnfache Wirkung auf unser Ohr. In der Wahrnehmung ist die Lautstärke aber nur doppelt so laut.
Hören wir Musik mit 85 dB, was einer kräftigen Zimmerlautstärke entspricht, und das 40 Stunden lang, dann belastet das unsere Ohren genauso stark wie 4-stündiges Musikhören bei 95 dB Musik.
Anzeichen eines Hörschadens
Viele fragen sich vielleicht: Was ist passiert, wenn man nach dem Hören lauter Musik „wie durch Watte“ hört oder es plötzlich im Ohr pfeift?
Das Gefühl durch Watte zu hören oder das Auftreten von Ohrgeräuschen nach mehrstündiger Musikbeschallung sind Zeichen eines Hörschadens. Es wurden Haarzellen geschädigt. Zur Erklärung: Die feinen Haarzellen des Innenohrs benötigen, wie jede andere Zelle des Körpers, Energie, also Sauerstoff und Elektrolyte (das sind wichtige Salze und andere Spurenelemente, um die Aufgaben des Organs zu erledigen).
Diese Energie wird durch feinste Blutgefäße zu den Haarzellen gebracht. Die Aufgabe der Haarzellen ist es, den ankommenden Schalldruck, also die Umwandlung einer mechanischen Vibration in ein bioelektrisches Signal, umzuwandeln und weiterzuleiten, damit es schließlich über den Hörnerv in das Hörzentrum des Gehirns gelangt und letztlich für uns – zum Beispiel als Musik – erlebbar wird.
Illustration: Squizzy P
NOTE NOTE –
Welche Geräusche sind wie laut? Zur Orientierung hier einige Beipiele:
20 dB – Blätterrauschen 30 dB – sehr ruhiges Zimmer / leichter Wind 40 dB – Flüstern / nachts auf einer ruhigen Wohnstraße 55 dB – Regenplätschern / Kühlschrankbrummen / leise Gespräche 65 dB – normales Gespräch 70 dB – laufender Wasserhahn 75 dB – Kantinenlärm / Waschmaschine beim Schleudern / Lautstärke im Großraumbüro 80 dB – laute Sprache / Streitgespräch 85 dB – Hauptverkehrsstraßenlärm 95 dB – LKW (Spitzenwert) 100 dB – Presslufthammer (Durchschnittswert) 130 dB – Trillerpfeife (Spitzenwert) 140 dB – Schmerzgrenze
Hohen Schalldruck oder zu langanhaltende Beschallung zu verarbeiten, bedeutet einen erhöhten Energieverbrauch für diese Zellen. Reicht die zur Verfügung stehende Energie nicht mehr aus, tritt eine Minderversorgung der Haarzellen ein. Schon ab einem Schalldruck von 80 dB, stärker noch ab 90 dB, tritt solch ein Energiemangel auf.
Ab 100 dB
Ab 100 dB verengen sich Blutgefäße reflexartig und der Durchfluss zum Ziel wird zusätzlich behindert. Der Energiemangel wird somit verschärft.
Dauert die Minderversorgung zu lange an, führt dies zum Absterben der Haarzelle. Dann ist ein Hörschaden eingetreten, und zwar unwiderruflich. Nicht nur, dass man nun alles leiser hört, auch die Qualität des Hörens kann sich bei einer Schädigung verändern. Das geschieht, wenn beispielsweise Haarzellen, die für hohe Töne verantwortlich waren, besonders betroffen sind.
NOTE NOTE –
Rechtliches
Schon ab einem Tageslärmexpositionspegel (8 Stunden) von 85dB(A) beginnt der Schädigungsbereich. Bei Musikveranstaltungen soll daher der Veranstaltende als Schutzmaßnahme für das Publikum ab einem äquivalenten Dauerschallpegel von 85dB(A) entsprechend informieren und ab einem äquivalenten Dauerschallpegel von 95 dB(A) Gehörschutzmittel austeilen.
Ein Spitzenschalldruckpegel von 135 dB darf an keinem (!) dem Publikum zugänglichen Ort überschritten werden.
99 dB als Dauerpegel, (beurteilt wird eine 30-minütige Messperiode) ist das Limit, das nicht überschritten werden darf.
Leider werden die rechtlichen Vorgaben bei Veranstaltungen nicht immer umgesetzt.
Dauert die Minderversorgung nicht zu lange an und sorgen wir dafür, dass daraufhin wieder eine gute Energieversorgung hergestellt wird, dann können sich angegriffene Haarzellen erholen. Wie können wir das Erholen der Haarzellen unterstützen? Mit Lärmpausen. Das bedeutet in den nächsten 10, besser sogar noch für die nächsten 16 Stunden, den eigenen Ohren Ruhe zu gönnen und ihnen maximal eine Lautstärke von 70 dB zuzumuten.
Schlechtes Hören: Teufelskreis
Lärmschwerhörigkeit entwickelt sich schleichend. Wie gut oder schlecht wir Hören ist uns selbst nicht bewußt, da uns der Vergleich fehlt. Hat ein Mensch hingegen eine Sehschwäche, merkt er den Unterschied mit und ohne Brille sehr wohl – jedes Mal, wenn er die Brille an- oder auszieht. Hören wir aber zu wenige Hochtöne, drehen wir am Frequenzregler der Musikanlage. Hören wir unsere*n Gesprächspartner*in zu leise, meinen wir, diese*r rede einfach zu leise. Verstehen wir Beiträge im Fernsehen nicht klar genug, drehen wir den Volume-Pegel hoch. Aber Achtung! Die überlebenden Haarzellen werden durch die erhöhte Lautstärke mehr belastet. Ein Teufelskreis.
Irreparable Hörschädigung
Sehr laute Geräuschpegel, wie ein Knall oder eine Explosion, können die Härchen der Haarzellen im Innenohr mechanisch zerstören. Dieser Hörschaden kann nicht mehr zurückgebildet werden.
Um sich vor Hörschädigungen zu schützen, sollte, zum Beispiel beim Tanzen in Clubs zu lauter Musik oder bei Konzerten, ein Gehörschutz getragen werden. Aber hier ist Vorsicht geboten: Mancher Ohrstöpsel reduziert die Lautstärke gerade mal um 5 dB. Da braucht es im Club definitiv mehr!
Für Musikliebhaber*innen, Musiker*innen und DJs gilt: Es ist technische Finesse notwendig, damit ein Ohrstöpsel die Musik zwar leiser, aber nicht dumpf werden lässt. Testberichte über verschiedene Gehörschutz-Modelle für DJs (die Erklärungen sind aber auch für Gäste im Publikum hilfreich), gibt es bei DJ Lab.
Stay safe – mit Gehörschutz
Bei Einschränkungen und Problemen aktiv werden
Wichtig für Club- und Konzertgänger*innen ist, sich zu schützen – auch wenn die Schädigung der Ohren nicht so klar vernehmbar wie bei einer Sehschädigung ist. Wer für das Thema sensibilisiert ist, wird genauer ‚auf sich hören‘ und damit Veränderungen des eigenen Hörens bewusst(er) wahrnehmen. Auf Clubbesuche muss also nicht verzichtet werden, wenn Gäste informiert, ihre Ohren durch Gehörschutz und Maßnahmen der Clubbetreibenden geschützt werden.
In jedem Falle sollten wir bei auftretenden Hörproblemen ‚hellhörig‘ werden: Redet mein Gegenüber wirklich zu leise? Oder höre ich schlechter, als ich es noch vor ein paar Wochen oder Monaten getan habe? Was könnten die Ursachen sein, welchen Geräuschen setze ich mich aus oder werde ich, zum Beispiel bei der Arbeit im Großraumbüro, ausgesetzt? Das angesprochene Ohrenpfeifen oder ein dumpfes Hören sind Zeichen eines Hörschadens – und diese Schädigungen sollten nicht leichtfertig verdrängt oder ignoriert werden.
Es gilt:
Vorbeugen ist besser als Heilen!
Ihre
Dr. med. Gabriele von der Weiden
Intro: Antoinette Blume / Danke an Benjamin von der Weiden von pro-rec für die redaktionelle Unterstützung zu Note Note – Rechtliches / Illustrationen: Squizzy P
Quellen: „Viel Dezibel aufs Trommelfell“ (Ministerium für Umwelt und Forsten, Rheinland-Pfalz)
„Ganz Ohr“ (Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V. / Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit Rheinland-Pfalz / Ministerium für Umwelt und Forsten Rheinland-Pfalz)
Übrigens: Ein spannender Beitrag zu Barrierefreiheit, der auch Schwerhörige in den Blick nimmt, die auf Untertitel im Fernsehen und im Kino angewiesen sind, findet sich derzeit in der ARD Mediathek (unicato | Junger Film im MDR / Barrierefreiheit – mit Markus Kavka).
Unser neues Minizine ist da! Es ist ab jetzt bestellbar.
Wir haben 200 frisch gedruckte Exemplare unseres Minizines erhalten – yay! Das erste Mal verkaufen wir unser mittlerweile 3. Printprodukt am 7. Dezember zum Tattoo Flash Day im Studio 394 (Eisenbahnstraße 109).
Zu lesen bekommt ihr alle Teile des siebenteiligen Features unserer Autorin Lea, die nicht nur bei uns, sondern auch für das Groove Magazin schreibt. Gesetzt hat das Zine unser Autor Christoph, der das ganze Vorhaben – mal wieder! – mit seiner Arbeit erst ermöglicht hat. Die Illustrationen für das Cover stammen von Sophie Boche, an die sich einige, nämlich diejenigen, die ein Printmagazin von uns gekauft haben, erinnern dürften.
Hier dürft ihr jetzt schon mal ins Vorwort reinlesen und den Link zu Bandcamp haben wir natürlich auch für euch verlinkt. Alle Teile des Features bleiben auch online (und damit für alle frei zugänglich) bestehen.
Illustrationen und Covergestaltung von Sophie Boche
Reizvoll: Illegale Open Airs
Leipzig und illegale Open Airs – schon fast beschwörerisch wurden mir diese beim Um- und Einzug in meine neue WG in Leipzig von meinen neuen Mitbewohner*innen angepriesen. Was sollte daran bitteschön so besonders sein? War es der Nervenkitzel, vielleicht ein paar hundert Euro blechen zu müssen, wenn man erwischt wird – mitgehangen, mitgefangen?
Feuertanz
Es war an der Zeit, dass sich ein*e Autor*in mit dem Thema journalistisch auseinandersetzt –
et voilà!
frohfroh-Autorin Lea Schröder hat ein Jahr lang recherchiert und lässt in ihrem siebenteiligen Feature zum Thema Open Air-Kultur in Leipzig alle Perspektiven zu Wort kommen: Von den Veranstalter*innen und den Gästen eines Open Airs über den Anwalt Jürgen Kasek und die Stadträtin Juliane Nagel (Die Linke) bis hin zu einer Stimme aus der Polizeidirektion Leipzig. Das Feature ist einerseits im Stil einer Reportage geschrieben, gleichzeitig vielseitig und umfassend recherchiert und damit ein must-read – nicht nur für Leipziger*innen.
Das Feature hat frohfroh nicht nur bereichert, es hat die Auseinandersetzung mit diesem Thema für viele sicherlich erst angestoßen. Grund genug für uns, diese Arbeit nicht nur online, sondern auch als Zine herauszubringen.
Und hier haben wir ihn nun: Einen Print, so groß wie eine Postkarte, dicht beschrieben. Mit einem fantastischen Einschlag von Sophie Boche und dem kompletten Feature von Lea Schröder. Passt in jede Bauchtasche.
Er ist der Grund für Leipzigs Luxusposition und Vorreiterrolle in Sachen female-DJs: der Proberaum im Conne Island. Den 10. Geburtstag des Proberaums nehmen wir zum Anlass, auf seine Geschichte und Philosophie zu blicken.
Dass Leipzig mittlerweile zu einer wahren Talentschmiede für DJs geworden ist, das kann man nicht leugnen. Und das ist auch nicht zuletzt dem Frauen*-DJ-Proberaum im Conne Island zu verdanken. Denkt man an viele weibliche DJ-Größen aus Leipzig, dann kann man sich fast schon sicher sein, dass ihre Wurzeln im Proberaum liegen.
Zehn Jahre „Probi“
Und nun wird er zehn Jahre alt, der Proberaum – eines des vielen Jubiläen, die das Conne Island in diesem Jahr verbuchen kann. Zu diesem Anlass widmen wir uns deshalb folgenden Fragen: wie kam es zur Entstehung des Proberaums, wie hat er sich über die Jahre entwickelt, und wie ist der Status Quo heute?
Um die ersten beiden Fragen zu beantworten, treffe ich mich mit Katja, Organisatorin der ersten Stunde. Sie war im Jahr 2009 im Conne Island für den Bereich Grafikdesign zuständig, organisierte unter anderem auch das Amplify!-Festival, das schon 2007 Genderrollen in der Gesellschaft und Clubkultur kritisch hinterfragte. Damals gab es für junge DJs im Conne Island bereits eine Übungsplattform: die Benefizdisco, wie es sie auch heute noch gibt. Jedoch gab es den Wunsch, etwas zu schaffen, was über DJ-Workshops und einzelne Veranstaltungen hinausging – Strukturen aufzulösen. So bildete sich ein Bündnis, die das Projekt Proberaum – auch „Probi“ genannt – ins Leben rufen wollten.
Katja sagt, es war von Anfang an so gedacht, dass es ein Frauen*-Proberaum werden solle. Ein Raum, bei dem man sich auf die Benefizdisco vorbereiten konnte, sodass man vor dem ersten Gig nicht zum ersten Mal vor DJ-Technik stand. Ein Raum, bei dem es sich vermeiden ließ, nach Kumpels zu suchen, die Technik Zuhause stehen hatten – sich also nicht mehr von Männern abhängig machen zu müssen.
Ein Raum, der einen Safe Space und Vernetzungschancen für Frauen in der Clubkultur bat.
Vorteile, die der Proberaum noch heute mitbringt.
Strukturen im Wandel
Mithilfe eines Projektantrags stand der Proberaum Ende 2009 schließlich – inklusive Technik, die dem Clubstandard entsprach. „Es war, als hätte es diese Struktur nur so gebraucht; plötzlich waren ganz viele Frauen da, die das mal ausprobieren wollten.“
Auch DJ-Workshops wurden aktiv beworben, es kamen immer wieder neue Personen dazu. Und das hat offensichtlich erheblich dazu beigetragen, dass Leipzigs Clubkultur heute so ist, wie sie ist: „voller selbstbewusster Frauen, die motiviert und gut vernetzt sind“. Katja meint auch, dass es mittlerweile „eine Selbstverständlichkeit erreicht [hat], die [sie sich] früher nie erträumt hätte“.
Warum braucht es Frauen in der Clubkultur, warum braucht es einen DJ-Proberaum für Frauen*? Hierzu ziehe ich ein Zitat aus einem Text von Vice zum Thema heran: „‚Als Mädchen wirst du eher dazu erzogen, brav zu sein, leise zu sein, Ja und Amen zu sagen. Als Mädchen kommst du nicht so schnell auf die Idee, dich auf eine Bühne oder hinter ein DJ-Pult zu stellen, weil du eher als Konsumentin erzogen wirst.‘ […] Die Vorbildwirkung für Frauen [fehlt], dadurch dass man vorwiegend weiße junge Männer hinter dem DJ-Pult [sieht]“. Booker*innen, die meinen, sie würden nicht auf Geschlecht, sondern nur auf Qualität schauen, machen es sich zu leicht.
Wer Frauen in der Szene sichtbar machen möchte, muss dafür Strukturen schaffen.
Katja legt übrigens selbst als Claire auf; sie meint, es wäre ihr wichtig gewesen, einen Namen auszuwählen, bei dem man klar erkennen könne, dass er weiblich ist. Bevor es den Proberaum gab, zählte sie Plakat für Plakat, wie viele Frauen in Line-Ups standen. Anteile, die meist unter 20% lagen. Circa 2013 hörte sie schließlich im Conne Island auf und gab das Zepter endgültig weiter – unter anderem an Anne (Buzy A) und Neele.
Neele ist heute Bookerin im Institut fuer Zukunft; mit ihr treffe ich mich, um die restliche Geschichte des Probis aufzuarbeiten. Sie bestätigt, dass es 2012/2013 herum war, als sie mit der neuen Gruppe den Proberaum übernahm. Und dann mussten sie von null anfangen: das Island baute den Saal um, also musste der Raum selbst umziehen, die Technik wurde geklaut, also musste neues Equipment her. Es brauchte neue Fördergelder, neue Projektanträge, ein neues Orga-Konzept.
Neues Konzept: „Mixed Days“
Es wurde entschieden, dass das neue Konzept Mixed-Days beinhalten solle, also auch an zwei von sieben Tagen Männern den Eintritt zu genehmigen – und so ist es auch heute noch; ein Unterschied zum vorherigen Proberaum also. „Das Thema war bei uns schon ein anderes – create your own Proberaum hieß das damals.“ Die Stellschrauben, die die neue Crew drehte, beinhalteten demnach auch welche politischer Natur:
„Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dass der Raum vorwiegend für Frauen zugänglich sein sollte, wir aber inklusiv-feministisch […] arbeiten wollen.“
„Das heißt: man braucht halt die Männer zum Überwinden solcher Verhältnisse. Es ist kein Geheimnis, dass sowas an der Sozialisation liegt, dass viele Frauen Kumpels haben, mit denen sie gerne üben wollen. Das haben wir aufgegriffen.“ – sagt Neele. Sie hat sich heute aus der Organisation bewusst zurückgenommen, um Platz für neue Organisator*innen zu schaffen.
Dass der Proberaum in Leipzig eine wahre Vorreiterrolle gespielt hat, bestätigt mir Neele auch. Das bezieht sich nicht nur auf den Talentschmieden-Aspekt, sondern auch auf den langen Projektlaufzeit-Aspekt. Viele Projekte mussten teilweise schon nach einem Jahr schließen, weil es keine Fördermittel oder Spenden gegeben hat. Anders der Proberaum, den vor allem auch das Ehrenamtsprinzip, das für das Conne Island typisch ist, trägt.
Es ist aber letztlich tatsächlich dem Proberaum zu verdanken, dass Leipzig eine solche Luxus-Position in Deutschland hat, was female-DJs und alles was sich sonst daraus entwickelt hat, genießt. Das Thema ist allseits präsent, der Bedarf nach solchen Räumen wächst, durch Zuzug und allem drumherum. Und das macht sich bemerkbar: der Proberaum ist ständig ausgebucht, um einen Slot zu bekommen, muss man sich teilweise drei, vier Wochen im Voraus im Kalender eintragen.
IfZ: Neuer Proberaum geplant
Dieser erhöhte Bedarf ist in der Community spürbar. Zurück also zum Institut fuer Zukunft, wo gerade ein neuer Proberaum konzipiert wird, der ebenfalls seinen Fokus auf Frauen*förderung legen soll. Dort wird aller Wahrscheinlichkeit nach im nächsten Jahr das geboten, woran es im Conne Island mangelt – dem Clubfeeling, geschuldet vor allem der Anlage.
Die Strukturen haben sich nach zehn Jahren offenbar zum Positiven hin gewandelt – gewisse Clubs haben aus solchen Ansprüchen heraus ja schließlich überhaupt erst geöffnet. Aber, so wie Neele es sagt: „Es ist nie genug. Es ist immer noch kein Gleichgewicht erreicht, mit dem man zufrieden sein sollte.“ Der Kampf geht also stetig weiter, Strukturen lösen sich immer noch auf oder werden aus einem Inklusivitätsgedanken heraus geschaffen.
Jubiläumsparty am 14.12.
Das zehnte Jubiläum des Proberaum wird am 14.12. im Conne Island gebührend gefeiert: mit einem Livestream, einem Talk, einer Plattenversteigerung und – natürlich – einer Party. Gast des Talks und im Gespräch mit Judith van Waterkant wird Gudrun Gut sein, die seit Mitte der 70er Jahre eine zentrale Figur der Technoszene in Berlin ist. „Sie ist Mitbegründerin von Bands wie Mania D und den Einstürzenden Neubauten, betrieb einen Laden für Tapes und Zines, sie schrieb Musik für Hörspiele und gründete die Plattenlabels Moabit Musik und Monika Enterprise. […] Gudrun Gut organisiert auch das „Heroines of Sound“-Festival in Berlin, das Künstlerinnen aus verschiedensten Regionen nachhaltig stärken und Netzwerke schaffen soll und ist im female:pressure-Netzwerk aktiv. The list goes on…“ – so in der Facebook-Veranstaltung. Hier findet ihr außerdem mehr Infos zur Afterparty.
Viel Spaß und happy anniversary!
Dieser Text ist der Auftakt für eine neue Reihe bei frohfroh, die sich mit Frauen* in der Clubkultur beschäftigt. Mehr dazu gibt es im kommenden Jahr.
Alle Bilder wurden von den probenden Künstler*innen selbst auf einer Einwegkamera im Proberaum geschossen. Danke!
In diesem Artikel wird das * verwendet, um all diejenigen Personen einzuschließen, die nicht cis-männlich sind, sprich cis-weibliche, trans- bzw. non-binary Akteur*innen. Es ist ein Versuch, den Lesefluss des Artikels zu verbessern, um nicht an jeder Stelle erneut darauf hinzuweisen, dass all diese Personen gemeint sind. Wird von „Männern“ gesprochen, wird auf das Sternchen verzichtet, um zu verdeutlichen, dass es dabei um cis-männliche Personen geht und trans- bzw. non-binary Personen an dieser Stelle nicht gemeint sind.
Regelmäßig bringt die ausladende Schriftart von Hkkptr unser WordPress-Backend an seine Grenzen – die Schrift ist so besonders wie der Style des Künstlers, der es innerhalb von drei Jahren auf einige Platten und am 19. Dezember in die Säule in Berlin geschafft hat.
Von der E-Gitarre zur Drum Machine
Seit sechs Jahren lebt Peter, der unter dem Künstlernamen Hkkptr als DJ und Produzent bekannt ist, in Leipzig. Seinen ersten Auftritt hatte er vor ein paar Jahren auf einer WG-Party in Jena, im Dezember spielt er in der Säule – Grund genug, ihn zu seiner Musik und anstehende Projekte zu befragen.
Seine Wurzeln hat er in der Metal- und Hardcoreszene, er hat früher E-Gitarre gespielt – bis er Hardcore-Techno und Schranz für sich entdeckte und mit einer Korg Electribe ESX herumexperimentierte. Ab da fing es an, mit Techno. Den ersten Bezugspunkt zu „richtigem Techno“, wie er sagt, gab es dann im Westwerk (RIP) und im Institut fuer Zukunft. Dort kam es zur endgültigen und bis heute anhaltenden Faszination für Clubs:
„Ich kam einfach vom Dorf, hatte solche Abende wie im IfZ noch nie erlebt oder gesehen. Es war alles neu für mich“, erinnert er sich.
Der gemeinsame Nenner zu seinen Wurzeln war „das Düstere, das ich eh mochte“. Prägende DJs für ihn sind und waren seither Solaris und Subkutan. Und irgendwie ging dann alles ziemlich schnell: Bei Freunden in Berlin lernte er aufzulegen und schon bald hatte er einen seiner ersten Auftritte in Leipzig in der Distillery; den Auftritt verschaffte ihm sein Early-Supporter Georg Biegalke, der nicht nur Tille-Resident ist, sondern auch die bekannte 45-Minutes-of-Techno-Podcastreihe betreibt.
Hkkptr Foto von @carcrashchristoph
11qm in Schleußig mit genervten Nachbarn
DJing und Produzieren (früher noch mit FL Studio, heute mit Ableton) liefen immer parallel, daher sind in seinen aktiven drei Jahren auch schon einige namhafte Releases auf bekannten Labels zustande gekommen. Zum Beispiel bei dem im Libanon ansässigen Label Modular Mind, X-IMG und kürzlich Lebendig. Was schon verraten werden darf: Bei Aufnahme und Wiedergabe erscheint nun auch bald eine EP von Hkkptr auf Vinyl. Und ganz nebenbei kündigt er an, noch dieses Jahr in der Säule im Berghain gebucht zu sein.
Solche Meilensteine kommen nicht einfach so, auch wenn einiges an Glück und Zufall dazugehört, erklärt er. Früher produzierte er
„auf 11qm, in meinem Zimmer, mit beschissenen Boxen und genervten Nachbarn, die ab 19 Uhr klingelten, wenn’s ihnen zu laut war“
und ohne Zugang zu „richtiger“ Technik. Das änderte sich über die Jahre. Viel Input bekam er durch die Ableton User Group, die mittlerweile monatlich im IfZ (früher im Westwerk) stattfindet und auch der Proberaum im Conne Island zählt zu seinen Anlaufstellen in Leipzig.
Clubkultur außerhalb des Mainstreams
Das Institut fuer Zukunft als Club per se habe ihn nicht nur musikalisch geprägt: „Das IfZ hat mich persönlich und politisch geformt, was linke Clubpolitik, Clubkultur außerhalb des Mainstreams, Awareness und Israel-solidarische Politik angeht.“
In eben diesem Club selbst einmal zu spielen, war gleichermaßen Ansporn, in der Musik und beim DJing weiterzukommen. Da passt es, dass er momentan, nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit Inhalt der Nacht und Echoes of October, gerade richtig Lust aufs Auflegen hat. Besser oder spannender als ein Live-Set findet er es aber nicht, beides habe seine Reize.
Hkkptr Foto von @carcrashchristoph
Der große Coup, das Booking in der Säule, ist ihm allerdings als DJ gelungen. Und – ich muss sie stellen, die Frage aller Fragen – wie wird man eigentlich im Berghain gebucht? „Man bekommt eine Mail und freut sich“, kurz und knapp. Hier spielte aber wohl auch sein Boiler-Room-Set eine Rolle, vermutet er.
Leipzig oder Berlin?
An einen Umzug in die Technostadt Berlin denkt Hkkptr nicht – im Gegenteil: „Ich will in Leipzig bleiben und nicht nach Berlin ziehen. Aktuell will ich das Ganze auch nicht beruflich machen.“ Am liebsten wären ihm 20h/Woche in einem ‚normalen‘ Job zu arbeiten und den Rest der Zeit mit Musik, Auflegen und Produzieren zu verbringen. Jedes Wochenende auflegen? Lieber nicht. Er findet, dass sich der Spaß verliere, wenn man wirtschaftlich von bezahlten Gigs abhängig sei.
Hkkptr privat
Was mich – und vielleicht auch den*die ein*e oder andere*n, noch interessiert: Woher kommt der doch recht auffallende Style? „Früher war ich Emo und bekam auf dem Dorf in Nordhausen viele dumme Kommentare und Blicke ab. Den Black-Metal-Style habe ich so schon in der 6. Klasse getragen, heute ziehe ich mich immer noch auffällig an.“ Die Tribal-Shirts und der Leder-Mantel sind also Alltagskleidung und keine Bühnenkleidung – so geht er zum Beispiel auch zur Arbeit oder zum Salsa-Kurs.
IfZ, IfZ, IfZ… Vertigo
Ja, in diesem Text war ziemlich oft vom IfZ die Rede – und es geht sogar noch weiter. Das aktuelle Veranstaltungsprojekt, an dem Peter beteiligt ist, heißt Vertigo und dieser Name lässt so manche Ohren klingeln. Nach drei-jähriger Durststrecke ist es soweit und die sexpositive Party kehrt – endlich – zurück.
Vertigo – 06.12.2019 / IfZ
Mit Dresscode-only-Policy, Darkroom, Performance und gewohnt düsterem Line-Up geht es am 6. Dezember im IfZ auf Trakt I wieder los. Neben Hkkptr, der mit Subkutan b2b spielen wird, spielen Qual, ArtificialParadise (live), nyt und Carlotta Jacobi. Neben Reaktionen auf das bei Instagram veröffentlichte Look-Book gibt es auch im real life viel Rücklauf, seit bekannt ist, dass der Veranstaltungsreihe wieder neues Leben eingehaucht wird.
„Das Publikum von früher – aus dem E35 und Westwerk – ist schon richtig heiß drauf“, lacht Peter. Spätestens zur Vertigo haben wir also die Gelegenheit uns von seinem darken EBM- und Industrial-Sound mitreißen zu lassen.
Kurzum: Wir werden in nächster Zeit noch viel von Hkkptr sehen und hören…
…zum Beispiel einen Mix, den er exklusiv für frohfroh gemacht hat – danke!
Autorin und Fotografin Paula hat eine neue Reihe für uns begonnen: Studioporträts. Ihr erster Besuch war bei Producer Schmeichel.
Mana, Focus & NoBreakfast
Schmeichel hat gerade eine EP mit sechs Tracks auf dem Label Defrostatica veröffentlicht. Hier könnt ihr bei Bandcamp reinhören.
28.11. Release @ Pracht
28.11. – Release, Shirts und Defrostatica
Und wer jetzt die Chance nutzen möchte, den Künstler live zu erleben und noch gleich die Platte zu kaufen, schaut am 28.11. ab 21 Uhr in der Pracht vorbei – dort spielen BHED, Schmeichel und TINA.
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