Arpen „s/t“ (Analogsoul)

Es ist soweit: Arpens selbstbetiteltes Debüt-Album ist endlich draußen. Und es ist sehr sehr groß.

Obwohl es so kurz ist. Nach acht Songs und 25 Minuten ist es schon wieder vorbei und hinterlässt eine enorme Sehnsucht nach mehr von diesen entrückten Pop-Elektronik-Hybriden, die Arpen hier erschaffen hat. Bisher war er meist in anderen Konstellationen zu erleben, bei Mud Muhaka und A Forest zum Beispiel. Oder mit einer erdigen Folk-EP.

Dass nun ein derart schlüssiges Verweben von Singer/Songwriter-Pop und den offenen Strukturen von elektronischer Musik herauskommt, war so nicht direkt zu erwarten. Auch wenn Arpen immer schon offen für die verschiedensten Genres war, wie er im Interview erzählt, das nächste Woche bei uns erscheint. Zusammen mit dem Berliner Studio-Duo Zodiaque und Niklas Kraft (Talski) hat Arpen auf diesem Album alles entzerrt und weitgehend von klassischen Pop-Schemen losgelöst.

Besonders ragen hier „For How Long, How Long“, „tmttb“ (mit Friederike Bernhardt) und „Fake“ heraus. Sie stehen prototypisch für das, was uns hoffentlich künftig noch konsequenter von Arpen aufgeführt wird. Nämlich ein faszinierender Spagat zwischen Eingängigkeit und Experimentierfreude, zwischen Emotionalität und Dissonanz, Repetivität und kompositorischer Dichte.

Mit „For All“ und „The Well“ gibt es aber auch noch die Übergangsformen, bei denen der Pop durchaus dominiert. Oder gar ganz klar in Richtung Hit schielt, wie „All The Things“. Sie fügen sie hier sehr gut ein, genauso wie zwei instrumentale Passagen. Jedem Song ist übrigens im Booklet eine Fotografie gewidmet. Sortieren muss sie jeder für sich. Auch hier: Offenheit, die Raum für eigene Interpretationen lässt. Was will man von einem Album mehr?

Randy Barracuda & Stiletti-Ana presents „Mlipuke“ (Rat Life Records)

Rat Life Records bleibt weiterhin unberechenbar. Mit der „Mlipuke“-EP sind nach Monojunk abermals finnische Künstler zu Gast. Skweee- und Electro-Funk-Großmeister Randy Barracuda hat zusammen mit dem nicht minder von Synthesizern begeisterten Stiletti-Ana drei nervös bleepende, roughe Jam-Sessions aufgenommen.

Gerade bei „Mlipuke II“ mäandern allerlei blinkende Synths nahezu krautig am Rande eines kollektiven Schaltkreis-Zusammenbruchs auf einem Afrobeat-beeinflussten Drum-Pattern. Eine Bombe, die so manche Kinnlade nach unten klappen lässt. „Mlipuke I“ greift dieselben Sounds auf, aber augenzwinkert einige Rave-Anleihe-Parodien dazu. Bei „Mlipuke III“ sind dagegen die Retro-Computerspiel-Tendenzen am stärksten ausgeprägt. Clatterbox räumt „Mlipuke III“ dann ein wenig auf und schiebt es lässig ohne Bassdrum in den Weltraum.

Schon seltsam, dass in Zeiten der digitalen Sound-Perfektion ausgerechnet munter herumfiepsende Geräte den verrücktesten rohen Funk hervorbringen. Diese EP zeigt das sehr eindrucksvoll.

Refugees – Support und Diskurs

In der letzten Woche kam das Thema Flüchtlinge aus zwei verschiedenen Perspektiven in den Themenfokus für frohfroh. Als Support- und Diskurs-Aufruf.

Zuerst der Support: Georg Bigalke hat nämlich einen Track zur aktuellen „Loose Lips“-Compilation beigetragen, deren Erlöse zu 100 Prozent an Refugee Community Kitchen gehen. Die Initiative kocht jeden Tag mehrere Tausend warme Mahlzeiten für die festsitzenden Flüchtlinge an der französischen Küste bei Calais und Dunkerque.

Das Londoner Label Loose Lips wiederum widmet sich mit Compilations, Partys in Großbritannien und einem Blog der musikalischen Offenheit. Ohne Genre-Scheuklappen. Nachdem die Einnahmen einer Party bereits gespendet wurden, wollten die Betreiber dies mit einer Compilation wiederholen. Mit dem karg-ruppigen Techno-Track „Pinnt“ ist auch Georg Bigalke dabei. Zeitgleich ruft Refugee Communtiy Kitchen zur Winterkampagne auf, um sein Angebot auch im Winter anbieten zu können. Mit der „Loose Lips“-Compilation lässt sich der Support musikalisch verbinden.

Nun der Diskurs: Das Conne Island-Plenum hat am gestrigen Freitag ein sehr offenes, ebenso selbstkritisches wie mutiges Statement veröffentlicht, das den gesellschaftlich und moralisch heiklen Umgang mit übergriffigen Flüchtlingen im Party-Kontext thematisiert.

Das Island übernahm Ende letzten Jahres ebenfalls eine offene Willkommenskultur und bot Flüchtlingen neben integrativen Projekten gegen einen geringen Spendenbetrag Eintritt zu den Konzerten und Partys. Offenbar kam es in diesem Jahr dabei aber häufiger zu unangenehmen Situationen. „Sexistische Anmachen und körperliche Übergriffe sind in diesem Zusammenhang im Conne Island und in anderen Clubs vermehrt aufgetreten – auch mit der Konsequenz, dass weibliche Gäste auf Besuche verzichten, um Übergriffen und Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen“, heißt es in dem Statement.

Und weiter: „Entgegen unseres üblichen Vorgehens musste beispielsweise in mehr als einem Fall die Polizei eingeschaltet werden, da das Maß an körperlicher Gewalt gegenüber den Secu-Personen nicht mehr zu handhaben war. Aufgrund dieser Überforderung kam sogar die Überlegung auf, Parties vorübergehend auszusetzen.“

Das Conne Island spricht sehr treffend das Dilemma an, mit dem sich sicherlich alle Leipziger Clubs aktuell auseinanderzusetzen haben: Wie umgehen, wenn Sprachbarrieren die Kommunikation erschweren? Wie sich sexistischen Übergriffen, machohaftem Auftreten, antisemitischem, rassistischem und generell diskriminierendem Verhalten von Menschen mit Migrationshintergrund entgegensetzen, ohne in kulturalistische Muster zu verfallen oder dem Rechtspopulismus in die Karten zu spielen. „Die Situation ist jedoch derart angespannt und belastend für viele Betroffene und auch für die Betreiber_innen des Conne Islands, dass ein verbales Umschiffen des Sachverhalts nicht mehr zweckdienlich scheint. Wir halten eine Thematisierung der Problematik innerhalb der Linken für längst überfällig.“

Das ganze Statement gibt es hier zu lesen. Vielleicht läutet es tatsächlich eine weitere öffentliche, ebenso empathische wie kritische Debatte ein. Sie dürfte auch über Leipzig hinaus sehr hilfreich sein.

Bild-Credit: Conne Island-Facebook-Notiz

Neuer Poetry-Drive x Schmutzige Teenager

In der Eisenbahnstraße wildern die Schmutzigen Teenager ja in allen möglichen Genres – mit Ty Grrr, Chi Mofukka und Fritz Prostata haben sie nun auch richtige Stimmen bekommen.

Schmutzige, wer? Es ging bei uns los mit Thigh Gap Boi, den wir im letzten Jahr durch Zufall bei Soundcloud entdeckten und der uns mit seinem Mix aus Electronica, TripHop, Trap und noch vielem mehr sehr flashte. Später fragten wir nach einem Track für unsere Support-Compilation, der unsere Zusammenstellung im besten Sinne ordentlich durcheinander brachte. In den Mails, die damals hin und her gingen, wurde aber deutlich, dass es noch einen Haufen weiterer Leute gäbe, irgendwie vereint als Schmutzige Teenager. Mit eigenem Laden und eigenen Partys.

In den vergangenen Monaten ging deren Output bei Soundcloud mehr in Richtung HipHop, Trap und Cloud Rap. Jedoch auch hier sehr weit von den Classics und aktuellen Standards entfernt. Dafür in einem Wechselspiel aus politisiert aufgeladener Spannung und Dada. Ty Grrr, Chi Mofukka und Fritz Prostata haben mit ihren Rap-Parts entscheidenden Anteil an diesem neuen Drive der Schmutzigen Teenager. Mehr oder weniger diffuser Poetry Slam mit Punk-Attitüde und fetten Trap-8bit-Dubstep-Tracks kommt dabei heraus. Irgendwie erinnert mich das immer auch an die Hamburger Pop-Avantgarde. Ich bin addicted.

Und so klingt das:

Umkehrprozess mit dem Philipp Rumsch Ensemble

Elektronische Musik entsteht ja oftmals aus digitalen, abstrakten Klängen – Philipp Rumsch ist an einem Umkehrprozess interessiert.

Konkret heißt das: Er greift die ästhetischen Prinzipien von elektronischer Musik, wie repetitive, reduzierte und mäandernde Arrangements, auf, erzeugt die Sounds aber mit einem Ensemble aus elf Musikern der Leipziger und Berliner Jazzszene. Klanglich beeinflusst sei das ganze von „Perotin über Erik Satie und Steve Reich bis hin zu Brian Eno, Aphex Twin sowie Ben Frost.“ Wobei aber neben der grundlegenden Ambient- und Electronica-Erdung auch eine gewisse Offenheit für Pop und Klassische Musik vorhanden ist, wie das erste Soundcloud-Set verrät.

Philipp Rumsch selbst studiert gerade an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig Jazzklavier. Im vergangenen Jahr gründete er das Ensemble mit Trompete, Posaune, Saxofon, Klarinette, Vibraphon, Gitarre, Kontrabass, Schlagzeug und Klavier. Dabei ist übrigens auch Joshua Lutz alias The Road Up North – im Frühjahr hatten wir ihn vorgestellt. Und als ob dies nicht alles schon höchst ambitioniert ist, lässt er in diesem Zusammenspiel auch die Improvisation zu.

Das klingt alles nach großer Materialschlacht und Großspurigkeit. Aber hört man die Tracks der „Reflections“-EP auf Soundcloud, dann sind die Arrangements des Philipp Rumsch Ensembles angenehm zurückgenommen und melancholisch eingefärbt. Derzeit ist das Ensemble auf Tour durch Jazzclubs, Galerien und Clubs. In Leipzig treten sie beispielsweise morgen im Elipamanoke auf. Anschließend ist eine Aufnahmesession für das erste Album statt. Es dürfte also demnächst lauter um das Philipp Rumsch Ensemble werden.

Kurt Y. Gödel „Chord Rememory“ (Yuyay Records)

Ein neues Lebenszeichen von Yuyay Records: Nach der „Endomorphism“-EP scheint Label-Chef Robyrt Hecht auf den Geschmack gekommen zu sein und somit ist auch die neunte Veröffentlichung im 12″-Format erschienen. „Chord Rememory“ schaut auf den mittlerweile recht üppigen Katalog des Labels zurück und sammelt vier Remixe des Stücks „Chord Memory“, das auf der sechsten EP „Axiomatic System“ 2015 erschien. Daneben gibt es außerdem zwei neue Tracks von Kurt Y. Gödel alias Nachtzug.

Gleich zu Beginn wird mit Hyboid’s „Galactic Memory“-Mix die große Dancefloor-Bombe ausgepackt. Hyboid packt das aufgeräumte Orginal in ein galaktisches Space Disco Setting und ist damit der Platzhirsch der EP. Hit-Garantie! Robyrt Hecht beleuchtet mit seinem „Pivot Memory“-Mix eher dem verspielt-funkige Seite, die das Stück annehmen kann, und setzt einen entspannnten Kontrast zum dringlichen Remix von Hyboid. Mit „Execute“ von Nachtzug klingt die A-Seite ruhig aus.

Auf der B-Seite zielt der knarzige „Mutiny Memory“-Mix von Milium straight auf dunkle Keller-Partys und erweitert damit auch den Yuyay-Sound um eine düstere Electro-Note. CCO fährt die Geschwindigkeit herunter und kleidet das Stück mit dem „Echoic Memory“-Mix in ein Dub-Techno-Gewand der ebenfalls dunkleren Sorte. Zum Abschluss zieht uns Nachtzug mit sphärischen Ambient-Stück „Memory Loss“ in die Weiten des Alls.

Erstaunlich, wie auf dieser EP die verschiedenen Färbungen zwischen funky und düster zusammenkommen und doch eine einheitliche Erzählung formulieren. Dass „Chord Rememory“ nicht nur in verschiedenen Kontexten zum DJ-Einsatz kommen kann, sondern auch am Stück als Hörerlebnis funktioniert, ist selten für Remix-EPs. Yuyay Records bleibt seinem erzählerischen Ansatz zum Glück weiterhin treu.

Five Favs September 2016

Welche fünf Tracks haben uns im September besonders gefallen? Wir haben noch einmal nachgehört.

Abe „Sealand“ (Doumen)

Der September war ein guter Monat für Alben. Drei haben wir vorgestellt und „Paddy Roy Bates“ vom Amsterdamer Newcomer Abe mögen wir besonders – einfach weil es „ein super einnehmendes Listening-Album [ist], wie der Score eines zerkratzten, teilweise unscharfen Dokumentarfilmes. Mit bedrohlichen, spielerischen und poetischen Phasen.“ Wir einigen uns hier auf „Sealand“, obwohl es durchweg gute Stücke auf dem Album gibt.

Kiki Hitomi „Yume No Hana“ (Jahtari)

Irgendwie scheint es um Jahtari ruhiger geworden zu sein. Doch der Schein trügt: Das Label-Netzwerk ist nach wie vor aktiv und offen für große Würfe. Das letzte Album hat dies wieder deutlich gemacht. Kiki Hitomi aus dem King Midas Sound-Umfeld lebt mittlerweile in Leipzig und hat mit „Karma No Kusari“ ein unglaublich gutes Japan-8bit-Dub-Pop-Album herausgebracht. Fact und Resident Advisor lieben es ebenfalls, vielleicht, weil „immer … dieser faszinierende, melancholische wie auch spirituelle Grundton mit[schwingt], wie man ihn auch aus Animes wie „Ghost in the Shell“ kennt.

Deko Deko „Don’t Get Me Wrong“ (O*RS)

Und noch ein Album stand im September an, ein bereits lang erwartetes: Deko Deko brachten ihr „Neustadt“ heraus und erzählten uns im Interview, warum es alles länger dauerte. Am Ende klingt es „super fokussiert und kompakt. Das lässt die Songs noch erhabener wirken, frei von Längen und Ballast. Wie eine Verdichtung der ursprünglichen Idee.“ Das reduzierte „Don’t Get Me Wrong“ gefiel uns besonders.

Kiat „Procession“ (Defrostatica)

Ein Jahr nach dem Doppel-Debüt ging es bei Defrostatica weiter – und das gab nicht nur neuen Input abseits der geraden Beats, sondern auch eine sehr persönliche EP des in Singapur lebenden Producers Kiat. Mit Leipzig und speziell Label-Head Booga verbindet ihn eine langjährige Freundschaft. Sie brachte nun eine eigene EP hervor, die subtil geschichteten Drum & Bass featured. Unser Hit: „Procession“, ein Track, der „in seiner nie zu vertrackten Rhythmik und den Drum-Samples nach einer Verbeugung vor den regelrecht legendären frühen Tracks von Photek [klingt].

Fr Fels „On The Run“ (Ortloff)

Ein freudiges Wiederhören gab es im September auch mit Ortloff. Dieses Mal nahm sich mit Fr Fels einer der beiden Label-Betreiber die beiden Vinyl-Seiten, um eigene Tracks zu veröffentlichen. Und die klangen erstaunlich analoger, rauer und straight im Oldschool-Electro geerdet, als man es von seinem vorherigen Projekt kannte.  „’On The Run‘ ist mein Favorit, weil er so fokussiert, leicht hektisch und rastlos davon läuft. Etwas stolpernd in den Beats, in den Sounds und der Bassline aber ganz dicht beisammen gehalten. Mit einer geraden Bassdrum wäre daraus wahrscheinlich ein super mitzerrender Techno-Track geworden. So behält er fast schon was kindliches.“

Neu entdeckt – Liah

Neulich lag ein Brief von Liah im frohfroh-Briefkasten. Darin die erste EP voll mit minimalistischem Dream Pop.

Und „minimalistisch“ müsste eigentlich groß geschrieben werden. Denn Liah widmen sich in sehr konsequenter Weise der musikalischen Reduktion. Wenige Elemente werden eingesetzt, sehr sanft und subtil verwoben.

Dass dies nicht zu karg wirkt, ist in erster Linie den hellen, langsam schwebenden Synth-Sounds und dem dunkleren, verhallten Gesang zu verdanken. Besonders die Reduziertheit sowie die innere Ruhe, die die fünf Songs ausstrahlen, haben mich gepackt. Alles ist sehr offen und entzerrt, fern der klassischen Pop-Strukturen.

„Wir suchen Schönheit in Strukturen, Loops und Überlagerungen.“

So schreibt es mir Drummer Philipp auf meine Mail. Vier Freunde stecken hinter Liah, alle Mitte 20. Vor drei Jahren gründeten sie in Leipzig die Band – stark inspiriert von Shoegaze, Dream Pop und Electronica der späten 1980er. Mit ihrer ersten, selbst veröffentlichten EP wagen sie sich nun erstmals heraus aus ihrem Leutzscher Proberaum.

Zusammen mit dem Filmemacher Paul Schlesier entsteht aktuell für jeden Song ein Video, das die ebenfalls mit elegischen Bildern und Überlagerungen arbeitet. Die ersten sind bereits entstanden. Die EP ist digital oder als CD via Bandcamp erhältlich.

Kontraste mit M.ono & Luvless x Rivulet Records

House ist ja nicht gleich House. Zwei Platten machen das in diesen Tagen wunderbar deutlich.

Dass House – wie fast jedes Genre – sehr unterschiedlich temperiert ausfallen kann, ist nun wirklich keine Neuigkeit. Aber die neuen EPs von M.ono & Luvless und Rivulet Records zeigen die Weite des Spektrums gerade sehr schön auf. Hier der ultra positive High-Energy-Deep House mit Pop-Qualitäten, dort die melancholische, dubbig-eingedunkelte und still schwebende Deepness. Peaktime versus Warm-up/Afterhour.

M.ono & Luvless und Rivulet Records knüpfen jeweils exakt da an, wo sie zuletzt aufgehört haben, wobei erstere mir mit ihrer zweiten EP für das US-Label Kolor LTD noch einmal selbstbewusster erscheinen. Besonders „Losing Memory“ tritt als offensichtlicher Hit auf. „Never Gonna Leave You“ ist dagegen ein Re-Issue – auf O*RS kam das Stück 2012 zuerst heraus. Großes Hit-Potential hat übrigens auch der Beitrag zur „Deep Love“-Compilation von Dirt Crew Recordings.

Die neue Rivulet-Compilation liegt mir musikalisch aber doch mehr. Peonies aus Russland hangelt sich hier mit zwei Tracks entlang der Techno-House-Grenze. Mit durchaus erhöhtem Tempo, aber viel vernebelter, rauschender Deepness. Der New Yorker Ital bringt das mit seinem Remix von „Soft Light“ sogar noch einen Tick besser auf den Punkt. Der perfekte Abtauch-Track.

Außerdem gibt es eine Kollaboration von Berni und Jonas Palzer, die mit schärferen Kanten und raueren Bassdrums in die Kann Records-Sphären vordringen. Rivulet macht mein Herz nach wie vor sehr warm.

Abe „Paddy Roy Bates“ (Doumen)

Abe kommt aus Amsterdam und hat ein extrem feines Gespür für Electronica-Ambient-Schönheit und Avantgarde. Doumen ist begeistert.

Ich bin es auch, soviel gleich vorweg. „Paddy Roy Bates“ ist das Debüt-Album von Abe und es steckt voller Subtexte, die sich mehr oder weniger direkt heraushören lassen. Allein der Titel: Paddy Roy Bates war ursprünglich Major bei der britischen Armee, rief aber Ende der 1960er Jahre eine zurückgelassene Abwehrplattform zu einem eigenen Staat aus – Sealand. Er wollte von dort aus eigentlich einen Piratensender betreiben, um den britischen Rundfunkgesetzen zu entgehen. Stattdessen gab es einigen Trouble mit britischen Behörden und einem deutschen „Einwanderer“, der die Macht auf Sealand übernehmen wollte. Paddy Roy Bates ist mittlerweile gestorben, Sealand gibt es aber weiterhin – auch wenn es nicht als souveräner Staat anerkannt ist.

Tatsächlich tauchen in den Stücken von Abe immer wieder klangliche Hochsee-Assoziationen auf. Möwengeschrei, ein Tankerhorn und metallisches Rasseln beispielsweise. Und auch sonst schimmert permanent eine maritim-spröde Ästhetik durch – sowohl in den rauen Avantgarde- als auch den melodischen Momenten, die den Kontrast zwischen dem unberechenbaren Meer und einer massiven, trotz des Rostes standhaften Stahlfestung sehr gut vertont. Dazu entrückte Synths und unmittelbar wirkende Field Recordings, scharf geschnittene Samples und hintergründige Free Jazz-Ausfahrten.

„Paddy Roy Bates“ ist ein super einnehmendes Listening-Album, wie der Score eines zerkratzten, teilweise unscharfen Dokumentarfilmes.

Mit bedrohlichen, spielerischen und poetischen Phasen. Ein Album, dass sich mehrmals neu entfaltet und doch sehr kongruent als Gesamtwerk auftritt. Eric Dolphy, John Coltrane, Indian Raga sowie afrikanische, polyrhythmische Strukturen sollen Abe dabei musikalisch inspiriert haben. Kein Wunder, dass Doumen sich so freut, „denn für solche Alben haben sie das Label gemacht“, lässt der Info-Text durchblicken. Ein beseeltes Danke dafür.

MZE / IIx „Chi EP“ (Break The Surface)

Komplett übersehen: Bereits seit Mai gibt es eine neue EP auf Break The Surface. Darauf vertreten sind vier Tracks von MZE alias IIx, dessen „Still EP“ auf Break The Surface immer noch in guter Erinnerung ist.

Auf der „Chi EP“ prallen seine beiden Alter Egos MZE und IIx mit jeweils zwei Stücken aufeinander. Dabei scheinen die Grenzen beider Charaktere sehr fließend zu sein. „Dibia“ bedient für mich zunächst Klischee-Kiste des düsteren Drum & Bass: recht trancige Sounds treffen auf Grusel-Ork-Vocals und schaffen eine bedrohliche Atmosphäre. Der Halfstep dreht den Track von allzu offensichtlichen Rave-Eskapaden jedoch weg. „One Six“ ist für mich mit seinem Tribal-Einschlag der gelungenere Track der beiden MZE-Stücke. Hier fügt sich die technische Härte geschickt zu einer geraden Bass-Drum, untermalt von dubbigen Sounds und angedeuteten Vocals.

Die beiden IIx-Tracks „Tsetse“ und „Chineke“ packen mich aber am meisten. „Tsetse“ zeigt mit verspielten Drums und zurückhaltenden Synths, dass die dunkle Grundstimmung auch subtiler funktioniert. „Chineke“ setzt zerhackte Vocals und eine dominante Handclap in den Mittelpunkt, begleitet von dramatischen Flächen. Im richtigen Setting hat das Gänsehaut-Potential. Damit ist der Track der gar nicht so heimliche Hit der EP für mich.

Luca Donzelli & Mar-T „Disco Techno Revolution“ (Moon Harbour Recordings)

Moon Harbour pflegt seine guten Kontakte nach Spanien und Italien. Von einer Disco Techno Revolution kann aber keine Rede sein.

Luca Donzelli betreibt das Wow!-Label, Mar-T ist Resident-DJ im Amnesia-Club auf Ibiza. Profis für viele Floors also. Als Producer-Duo konnten sie dementsprechend schon ein paar Beatport-Hits abliefern. Auch die vier Tracks auf Moon Harbour dürften dort weit oben in den Tech House-Charts landen.

Flockige Beats mit trockenem Rock-Drums-Appeal, dazu pumpende Basslines und ein paar eingestreute Macho- oder Emo-Vocal-Samples. Effizient getrimmt, effektiv durchrauschend. That’s the Ibiza shit.