Neues von Dur, dem Label von Talski, Perm und Emrauh. Erstmals ist eine reine Artist-EP heraus gekommen.
In dem Trio übernimmt Emrauh bisher den sehr ambienten, reduzierten und verhallten Sound. Mit seinen vier Tracks führt er ganz klar die Dur-Linie zwischen Techno und Ambient weiter. Schlüssel-Track für mich ist „Torrens“, der die in letzter Zeit oft ausgelebte dystopische Techno-Atmosphäre zwar aufgreift, sie mit den federnden Bassdrums und lässig shakenden Hi-Hats bricht. Ein schön-entwaffnender Dreh, der sich gänzlich ohne hell schillernde Synth-Chords ergibt.
Beim zweiten Techno-Stück „Last Juno“ ist alles vom Bass und von den hektisch zischenden Hi-Hats dominiert. Sehr loopig und bedeckt haltend. Mit „Eigengrau“ und „Seul“ wird dann wieder episch und elegisch die Dystopie zelebriert. Darker, in den Flächen zeitlupenhaft gleitender Ambient mit viel räumlicher Weite und Drones-Kühle. Direkt aus der nachtruhenden Industriehalle.
Ihr wollt keine langen Texte lesen? Dann kommen wir doch gleich zur Sache: Die Cover-Version „Pink No Kimono“ ist der offensichtlichste Hit und allein schon Kaufgrund für das Album von Kiki Hitomi, das nun auf Leipzigs Digi-Dub-Institution Jahtari herausgekommen ist. Doch damit kann man den 25-minütigen Album nicht gerecht werden.
Aber von vorn: Letztes Jahr erschien bereits ein fantastisches Album von Roger Robinson bei Jahtari. Mit Kiki Hitomi ist nun erneut ein Teil von King Midas Sound am Start und wie auch bei Robinsons „Dis Side Ah Town“ stammen die Riddims auf „Karma No Kusari“ größtenteils von Disrupt. Musikalische Beat-Beiträge gibt es aber auch von Maffi, Tapes und Stephane Picq. Außerdem ist der verstorbene Space Ape auf einem Track zu hören.
Der typische Jahtari-Sound wird hier nicht nur durch Hip Hop-Einflüsse wie in „Nen Nen Korori“ und „Galaxy“ aufgebrochen.
Vor allem die japanischen Einflüsse, die Kiki Hitomi mit der Dub-Ästhetik kreuzt, machen das Album einzigartig.
Ob sphärischer Gesang wie auf „Samurai Spoon“ oder regelrechte Pop-Songs wie „Yume No Hana“ und das bereits erwähnte „Pink No Kimono“ – immer schwingt dieser faszinierende, melancholische wie auch spirituelle Grundton mit, wie man ihn auch aus Animes wie „Ghost in the Shell“ kennt. Aber auch der Spaß an der bunten Manga-Computerspiele-Popkultur-Welt ist immer präsent. Und der Weltraum sowieso.
Gerade „Pink No Kimono“ macht das deutlich. Vor allem durch den Kill Bill-Soundtrack ist das Original „The Flower Of Carnage“ von Meiko Kaji bekannt. Kiki Hitomis Reggae-Version dürfte allein schon deswegen von der Studenten-Party bis zum Zoro-Fest Publikums-übergreifend funktionieren. Siehe auch dem unten verlinkten Beweis-Material, das die inzwischen in Leipzig ansässige Künstlerin bei einem Auftritt zeigt.
Und doch weist der Titel „Karma No Kusari“ in seiner englischen Übersetzung „Chain Of Karma“ darauf hin, dass hinter dem Album nicht nur erfreuliche Lebenserfahrungen stehen. Mehr dazu erzählt sie in einem lesenswerten Interview mit dem Fact Magazine.
Am letzten Samstag ist das Deko Deko-Album herausgekommen. Wir haben Lena und Tristan zum Interview getroffen.
Vielleicht fehlt mir der Einblick, aber gefühlt entsteht in Leipzig wenig ernstzunehmende elektronische Musik, die souverän Pop und experimentelle Ambitionen verbindet. Deko Deko füllen diese Lücke. Vor fünf Jahren tauchte das Duo mit der EP „Make Death Listen“ aus dem Nichts auf und machte Lust auf mehr. Doch es brauchte vier Jahre, um mehr zu bekommen – mit „Neustadt“ ist soeben das Debüt-Album von Deko Deko erschienen und es gab einiges zu fragen. Hier sind die Antworten von Lena und Tristan.
Eigentlich war das Album für Anfang 2015 angekündigt – warum hat es noch einmal so lange gedauert bis es veröffentlicht wurde?
Lena: Das hatte eigentlich einfache Gründe: Wir hatten kein Label und haben überlegt, wie wir das ganze überhaupt veröffentlichen. Wir haben dann O*RS gefunden – aber das hat von der ersten Absprache bis jetzt auch noch einmal ein Jahr gedauert. Dann haben wir auch ein Kind bekommen. Das hat auch noch einmal alles verzögert.
Tristan: In der Zwischenzeit haben wir eigentlich noch einmal die Platte neu produziert. Es gab schon ein fertiges Konstrukt, aber mit Micha (Good Guy Mikesh) sind wir noch einmal durch alles gegangen, haben Spuren durchgeschaut, fürs Mastering optimiert, hier und da noch etwas weggenommen oder dazu gepackt – eigentlich haben wir noch einmal das Beste herausgeholt.
Also hatte die Pause auch etwas positives oder hättet ihr das Album gern früher herausgebracht?
Lena: Ja, wir hätten es gern schon 2013 veröffentlicht. Das Material war ja da. Aber ich glaube, es hat den Songs total gut getan. Jetzt sind sie richtig kompakt und komplex. Für die ganze moralische Stimmung war dieser zähe Produktionsprozess aber nicht so gut.
Tristan: Wenn man etwas ausproduziert hat, möchte man es ja auch gern rausschieben. Sonst hört man immer wieder rein und baut noch einmal herum. Die Gefahr sich da zu verfrickeln ist groß.
Lena: Ich finde, dass alles seine Zeit braucht. Und die Songs haben die Zeit auch gebraucht, so dass ich jetzt das Gefühl habe, sie sind großartig. Am Ende war ich bei dem Produktionsprozess gar nicht mehr so dabei und ich kann sie jetzt mit Abstand hören und bin weiterhin begeistert. Ich bin Fan meiner eigenen Musik.
Hättet ihr jetzt gleich Lust und Kraft für das nächste Album oder braucht ihr erstmal Abstand?
Tristan: Ja, tatsächlich habe ich das Gefühl, dass man erstmal was herausbringen muss, ehe man etwas neues beginnt. Ich habe aber schon viel neue Dinge produziert, die noch nicht als Songs zu sehen sind. Vom Material her hätten wir genug für ein nächstes Album. Es muss nur noch formuliert werden.
Lena: Ich habe auch Themen, die ich gern bearbeiten würde, aber ich bin noch nicht weiter gekommen. Ich brauche wohl erstmal dieses Abschließen. Ich merke das, wenn mir Tristan neue Sachen zum Hören gibt. Da denke ich dann: Ja, das kann funktionieren, aber wirklich bereit bin ich noch nicht.
Tristan: Es ist eigenartig, dass es diesen Abschluss wohl braucht. Eigentlich könnte uns das egal sein. Aber ich weiß nicht warum, vielleicht gibt es da ein Geheimnis.
Lena: Vielleicht, weil wir Musik nicht beruflich machen. Bei uns dreht sich ja nicht alles um Musik. Das macht schon viel aus. Ich habe viele Einflüsse von Kunst, Menschen und Garten – Tristan ja auch. Da sind viele Felder, die wir bearbeiten und Musik ist eins davon.
Wenn ich zurückschaue: Der Anfang war ja durchaus spektakulär. Als die EP herauskam, gab es ein Konzert im Wald, dann die Tour mit We Have Band, später der Auftritt im Gewandhaus. Gab es nicht doch die Idee, mehr aus der Band zu machen – oder war immer klar, das es ein Projekt nebenher ist?
Lena: Eigentlich war es klar, dass wir nicht davon leben werden. Immer wenn wir uns darüber unterhalten haben, haben uns diese Mechanismen der Musikbranche genervt. Die kleine Tour mit We Have Band sah zwar von außen vielleicht spektakulär aus, aber es war vor allem anstrengend und zum Teil auch ernüchternd. Ich mochte mehr die Auftritte, bei denen wir alles in der Hand hatten und selbst vorbereiten konnten. Wo Publikum kam, das wegen uns gekommen ist. Im Berghain haben sich die Leute auf uns eingelassen, aber in Hamburg wollten alle einfach Party mit We Have Band machen. Das ist auch ok als Vorband.
Tristan: Aber da sind wir nicht Profi genug, wo man in dem Moment einfach abliefert und um das Publikum kämpft. Wir haben auch Freunde, die das professionell betreiben und die haben eine andere Geschwindigkeit, was das betrifft. Da wird mehr Zeit in Promotion, Interviewtermine oder lohnenswerte Auftritte investiert. Das ist uns einfach fremd, uns geht es ums Musik machen. Dass aber der große Teil der Arbeit erst danach kommt, sehen viele ja nicht.
Die kleine Tour hat sich in dem Sinne durch einen glücklichen Zufall ergeben. Jan Barich (Map.ache) hat uns damals vermittelt, jetzt greift uns Filburt unter die Arme. Es hat immer am besten zusammen mit Leuten funktioniert, die wir kannten. Wir wollten nicht einfach Promogeld ausgeben, damit irgendwelche Seiten unseren Promotext veröffentlichen.
Für uns war das irgendwann auch ein Ansporn: Wir wollten das ein bisschen zurückerobern. Die Musik gibt einem ja was – egal ob während des Entstehens oder wenn sie fertig ist. Und dass wollten wir uns von dem Apparat nicht vermiesen lassen. Wir haben uns und es gibt Leute, die das gut finden und wenn das jetzt nicht bis Japan geht, dann ist das eben so. Aber man ist zumindest wieder in einem Modus, in dem man sich gern an neue Musik setzt.
Lena: Obwohl ich es auch wichtig finde, dass es jetzt rauskommt. Sonst hätten wir nicht noch einmal die ganze Kraft aufgewendet. Wir wollen schon, dass das Album gehört wird. Ich habe ja auch etwas zu sagen und trete eigentlich auch in eine Art Diskurs.Warum heißt das Album „Neustadt“?
Lena: Das Wort klingt gut. Aber ursprünglich gab es auf dem Album einen deutschsprachigen Song, der „Alles neu“ heißt – der ist aber wieder rausgefallen. Doch das Thema der Platte dreht sich um Menschen, die abgehängt sind vom Rest der Gesellschaft – vor allem aus Gründen, die in der Kindheit liegen.
„Neustadt ist Synonym für ein Plattenbaugebiet, wie Grünau.“
Und es gibt einen Film von Thomas Heise – „Kinder. Wie die Zeit vergeht.“ Das ist ein Dokumentarfilmer, der sich viel mit den Entwicklungen im Osten beschäftigt hat, vor allem in der Nachwendezeit. In Halle-Neustadt hatte er damals auch Neonazis interviewt. Da gab es einen Eklat, weil er das in einer sehr objektiven Weise gemacht und denen eigentlich eine Stimme gegeben hat. Auf der anderen Seite zeigte er aber damit, woran die Entwicklung liegen könnte.
„Kinder. Wie die Zeit vergeht.“ ist einige Jahre später gedreht worden mit einer anderen Protagonistin, die Mutter von drei Kindern ist. Und man liest quasi wie in einem offenen Buch, was mit Menschen passiert, wenn Dinge schief laufen. Das hat mich in der Phase, in der ich die Texte für das Album geschrieben habe, sehr beschäftigt – und tut es noch heute. Ich lese da auch viel darüber und hatte das Bedürfnis, diesen Kindern, die mittlerweile schon Erwachsene sind, eine Stimme zu geben.
Hattest du konkrete Personen und Biografien im Blick?
Lena: Ja, hatte ich. Zum Beispiel hatte ich einen kleinen Jungen im Blick, den ich selbst kennengelernt habe. Mit sieben Jahren hatte er schon eine totale Verliererbiografie. Mit zwei, drei Jahren wurde er von seiner Mutter weggenommen, weil er dort verwahrlost in der Wohnung gefunden wurde, kam später in eine Wohngemeinschaft, wo es aber auch Zwischenfälle gab. Er war dann natürlich in der Grundschule auffällig und wurde nach der ersten Klasse aussortiert – also versetzt in eine Förderschule, obwohl er total clever war.
Dieses Aussortieren und das ganze System haben mich so wütend gemacht, dass ich das gern nach außen tragen und Leuten mitteilen wollte. Das ist die Geschichte von „Kid“. Ansonsten habe ich auch die Protagonisten aus dem Film als Vorlage gesehen. Es gibt auch zwei Lieder, bei denen es imaginäre Zwiegespräche zwischen dem Kind und seinem erwachsenen Pendant gibt.
Hat der Bandname eigentlich etwas mit dem Dekonstruktionsbegriff zu tun? Habt ihr dieses Zerlegen, Kontexte hinterfragen und interpretieren, Widersprüche aufdecken auch im Hinterkopf beim Musik machen?
Tristan: Lena erzählt ja Geschichten und macht das Songwriting im klassischen Sinne. Das beeinflusst natürlich die Produktion. Meist entsteht erst eine herkömmliche Songstruktur oder ein klassischer Sound und man denkt, dass sich das gut arrangieren lassen könnte, so dass ein guter Song herauskommt.
Das ist aber genau der Punkt: Was kann man zerbrechen von dem, was schön und nett ist, damit es vielleicht interessanter wird oder mehr Raum entsteht.
„Es ist immer ein Spiel zwischen Lärm sowie dem Nicht-Schönen und dem Schönen.“
Das spielt bei uns permanent mit und wir wollten das gern in den Namen reinbringen. Aber so kulturphilosophisch spielt das keine so große Rolle für uns.
Wie entstehen außerdem die Songs?
Tristan: Meist ist ein Beat oder Sound als Fundament da, der als Grundstimmung im Raum schwebt. Dann kommt Lenas Text dazu oder sie probiert verschiedene Varianten, die dazu passen. Nachdem sie eingesungen hat, fange ich an, alles wieder auseinanderzunehmen und Lena singt neue Parts ein. Es sind verschiedene Zweige, von denen einige durchkommen, andere wegfallen. Irgendwann weiß man, dass es jetzt fertig ist.
Lena: „Kid“ war da eine Ausnahme. Den hatten wir im Proberaum eingespielt und dann war er eigentlich fertig. Das war aber auch von einer Wut getrieben. Tristan hat zwar noch etwas verändert, die Essenz ist aber weiterhin spürbar.
Wie seid ihr überhaupt zu diesem düster-sphärischen Sound gekommen?
Lena: Ich finde den eigentlich nicht so düster. Obwohl das viele sagen. Beim Proben für das Release-Konzert denke ich immer, dass es ja total positiv ist. Ganz sensibel mit vielen Dur-Anteilen.
Tristan: Es sind wohl die Sounds. Die treffen schon in eine wavige, finstere Ecke – allein schon durch die Samples und Synthesizer-Auswahl. Was Lena aber auch meint ist, dass die Essenz der Songs eigentlich eine sehr positive ist. Die Frage ist ja auch: Wie kann ich das Thema Wut in elektronischer Musik umsetzen. Bei aktuellen Sachen, wie bei Dubstep und EDM, ist das wie bei McDonald’s: Druck machen und alles in einen Topf hauen. Das verwirrt natürlich dann die Leute, wenn alles etwas zurückgenommen ist: Wir kommen ja aus dem Analogen – unser vorheriges Projekt war Folk. Ansonsten komme ich eben vom Hardcore, Punkrock und HipHop.
Lena, wenn du die Songs eher positiv empfindest, hast du die Geschichten dahinter auch entsprechend angelegt? Haben die dann eher eine hoffnungsvolle Note?
Lena: Nein, es ist eher dokumentarisch. Durch die Symbiose mit der Musik wird es aber tröstlich. So geht es mir bei „Tommi“ und „Sun“, obwohl es nie eine Lösung im positiven oder negativen Sinne gibt. Aber man hat nicht das Gefühl, allein gelassen zu sein. „Kid“ fällt da heraus. Das ist einfach dokumentarisch, ohne gutes Ende, einfach nur schlimm. Aber das Thema an sich erfährt wenigstens musikalisch eine Art Trost.Deko Deko ist ja über die Musik hinaus sehr künstlerisch aufgezogen – mit besonderen Covern, Videos und Online-Anwendungen. Habt ihr konkrete Anknüpfungspunkte zur Bildenden oder Darstellenden Kunst?
Tristan: Ich arbeite auch künstlerisch, aber da geht es eher um Algorithmen. Aber unser Umfeld übt einen großen Einfluss aus. Man schult sich gegenseitig. Wir kommen auch noch aus einer Zeit als man sich ein Album im Laden gekauft hat und das war dann ein Goldstück, das man ewig gehört hat. Zwischendurch fand man es vielleicht auch schlecht, dann wurde es wieder besser. Man ist aber daran gewachsen. Deshalb ist uns das Album als Ganzes wohl auch so wichtig. Wir haben beispielsweise auch viele Videos gemacht, die nach und nach veröffentlicht werden, um dem Ganzen noch eine Illustration zu geben.
Die Videos macht ihr selbst?
Lena: Ja, Videos und Artwork macht Tristan.
Und haben die als künstlerische Ausdrucksform eine ähnliche Relevanz wie die Musik – die scheinen euch ja schon sehr wichtig zu sein?
Lena: Würde ich schon sagen. Das Dekonstruktive findet da auf jeden Fall auch statt.
Tristan: Aber ich finde, dass das der Musik nachsteht. Da muss ich mich selbst kritisieren:
„Die Videos haben nicht dieselbe Kraft wie die Musik.“
Es gibt definitiv Videokünstler, die das besser können, die auch andere Bilder finden.
Lena, hast du Verbindungen zu anderen Kunstformen?
Lena: Ich bin nicht selbst Künstlerin, aber ich vermittle Kunst und ermögliche Projekte – ich bin eigentlich Kulturmanagerin. Viel mit Kindern und Jugendlichen, aber auch mit Erwachsenen. Dadurch beschäftige ich mich natürlich viel mit Kunst. Und eigentlich bin ich in den Projekten immer die, die mit den Leuten zusammen künstlerische Lösungen sucht. Ich begleite die Leute in ihrer Suche nach künstlerischen Ausdrucksformen und mache das quasi jeden Tag selbst mit – aber am Ende doch nur für die anderen. Ich selbst mache keine eigenen Projekte mit eigenen künstlerischen Lösungen – jedenfalls nicht in der Bildenden Kunst.Wollt ihr das Album live spielen?
Tristan: Ja, im Vary haben wir das Release-Konzert im kleinen Rahmen gespielt. Der Plan ist aber, dass wir zum Jahresende noch ein paar größere Sachen machen. Am liebsten an Orten bei denen wir wissen, dass es cool ist. Das Rumtouren ist für uns nichts und geht als Familie auch nicht.
Lena: Rein infrastrukturell geht es nicht. Wir können nicht mit einem kleinen Kind rumtouren.
Wie ist es generell als Duo und Paar Musik zu machen – gibt es da andere Herausforderungen oder Erleichterungen?
Tristan: Ich finde es viel leichter.
Lena: Wir haben uns gut eingespielt. Es gibt manchmal Meinungsverschiedenheiten, aber keinen Streit.
Tristan: Logistisch ist es viel besser. Ich kann sagen, dass ich alles mitbringe und wir machen zu Hause weiter. Es ist nicht so, dass man sich zur Probe trifft und fünf Stunden quatscht, man ist sofort bei der Sache. Manchmal ist das natürlich auch von Nachteil, weil man sich immer in seiner eigenen Suppe dreht, aber ich fand es bisher nicht schwierig.
Ihr habt ein Studio oder passiert alles zu Hause?
Tristan: Den Großteil machen wir zu Hause. Bei der Endproduktion arbeiten wir dann bei Freunden und Bekannten in deren Studios. Es ist eh besser, wenn da noch ein paar Ohren mithört und korrigiert.
Wie kam eigentlich der Kontakt zu O*RS. Das ist ja nach außen hin schon eher ein House-Label. Fühlt ihr euch dennoch gut aufgehoben dort?
Lena: Ich finde schon und glaube auch, dass das für Aufmerksamkeit sorgt. Einmal in der Anhängerschaft von O*RS, weil es ja was total anderes ist. Ich weiß auch, dass einige Leute Filburt fragen, warum er das macht, es würde ja gar nicht passen. Aber allein das ist ja schon ein Aufmerksamkeitsbonus. Ich denke aber auch, dass da Leute dabei sind, die sich nebenher für andere Musik als für House interessieren.
Tristan: Für Filburt ist das aber auch eine Selbstverständlichkeit, dass es sich in verschiedene Bereiche entwickeln kann. Wir haben uns da einfach gefunden und vertrauen uns. Ich finde das auch gut, wenn ein Label so etwas wagt. Wenn ich ein Lieblingslabel habe und das kommt mit einer komischen neuen Platte, setze ich mich trotzdem damit auseinander, weil es ja irgendwo etwas gutes haben muss – sonst würde das Label die Platte ja nicht herausbringen.
Lena: So habe ich früher auch neue Musik entdeckt. Das war immer mit Herausforderungen verbunden, wenn ich neue Sachen entdeckt habe. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich auch heute noch die Leute von Musik herausfordern lassen.
Es ist da – das erste Deko Deko-Album. Und das lange Warten hat sich gelohnt.
Vor anderthalb Jahren wurde es bereits angekündigt, dann kamen jedoch ein paar Dinge anders, wie Lena in unserem Interview erzählt. Obwohl Deko Deko lediglich ein Duo ist, öffnen die beiden einen weiten klanglichen Rahmen mit extrem minimalistischen und überaus opulenten Phasen. Deko Deko spielen mit den Widersprüchen. Da strahlt heller Gesang durch einen eingedunkelten, schleppenden Wave-Sound, werden klassische Pop-Strukturen und -elemente aufgegriffen und neu sortiert.
„Neustadt“ klingt mit seinen neun Songs noch einmal selbstbewusster als die vier Stücke der ersten „Make Death Listen“-EP. Nicht nur, weil es konzeptionell nicht auf bequeme Pop-Inhalte setzt und sich stattdessen in gesellschaftliche Randlagen begibt – mehr dazu auch hier im Interview. Auch musikalisch klingt „Neustadt“ super fokussiert und kompakt. Das lässt die Songs noch erhabener wirken, frei von Längen und Ballast. Wie eine Verdichtung der ursprünglichen Idee.
Zugleich gibt es mit Songs wie „Sun“, „Working On“ und „What Happend“ auch eine hörbare Öffnung zu eingängigen und klassischen Pop-Momenten. Direkt neben all der Tragik, Schwere und Wut, die ebenfalls zu Deko Deko gehört. „Neustadt“ hat inhaltlich und musikalisch die Kraft eines Manifests.
Pünktlich zum Ende der Sommerpause gibt es ein Wiederhören mit Defrostatica. Im Mittelpunkt der dritten 12″ steht diesmal Kiat aus Singapur, der bereits auf der ersten EP des Labels einen Remix zu „Connor“ beisteuerte.
Mit Kiat verbindet Label-Chef Booga eine besondere Freundschaft: Nach einem Auftritt mit Storm vom Londoner Über-Label Metalheadz fand Booga eine CD mit Dubplates – Storm hatte sie nach ihrem Gig vergessen. Booga mochte die Tracks auf der CD und fragte Storm, von wem sie sind. Von Kiat & Ash aus Singapur antwortete sie und gab ihm den AIM-Kontakt. Daraufhin führte Booga ein Interview mit den beiden, das bei It’s Yours veröffentlicht wurde. Daraus entwickelte sich ein dauerhafter Kontakt, Booga lud ihn 2007 in die Distillery ein. In diesem Sommer war Kiat nochmals mit seiner Frau in Leipzig: „Er liebt diese Stadt. Als Designer war er vom Druckkunstmuseum so beeindruckt, dass er am liebsten hierher ziehen würde“, schreibt Booga in einer Mail an uns. Am Ende sollte Kiats EP für Defrostatica so heißen, weil für ihn in dieser Stadt der Ursprung eines wunderbaren Zufalls liegt.
Bei den drei Stücken der EP ist seine Zuneigung zum Drum & Bass-Vibe der späten Neunziger zu spüren. Spätsommerlich entspannt knüpft er mit „Brooklyn“ an diesen mittlerweile klassischen Sound an. „Procession“ klingt in seiner nie zu vertrackten Rhythmik und den Drum-Samples nach einer Verbeugung vor den regelrecht legendären frühen Tracks von Photek. Viel dunkler, bedrohlicher eingefärbt kommt Kiat zum Schluss mit „Slider“ daher.
Keine der drei Tracks haut dabei auf die Rave-Alarm-Pauke.
Kiat zeigt vielmehr, dass die Konzentration auf die wesentlichen Elemente – Drums, Bass und diverse Sounds – eine Spannung erzeugen, die länger anhält als vordergründige Ohrwurm-Melodien.
Damit ist die EP aber nicht beendet. Ein vierter Track ist der „Five Boroughs Remix“ vom Frankfurter Urgestein Kabuki zu „Brooklyn“. Für mich völlig überraschend verdichtet Kabuki das Stück zur slammenden Footwork-Nummer, dessen Sound ich seit seinen sonnig-flockigen „Speed of Sound“ so gar nicht auf dem Schirm habe. Ein weiterer, nur digital erschiener und von Agzilla produzierter Remix zu „Brooklyn“ streicht die entspanntere Seite des Tracks hervor.
Neuigkeiten gibt es bei Defrostatica aber auch abseits der neuen „Leipzig EP“. Mittlerweile wird das Label nicht mehr allein von Booga betrieben, sondern von Tina aka Kords+Kajal unterstützt. Als zeitweilige Autorin für itsyours.info hat sie sich bereits um die Drum & Bass-Szene in Leipzig gekümmert. Auf Radio Blau könnt ihr alle vier Wochen zu ihrer Musik in der Sendung Sunday Groove entspannt das Wochenende ausklingen lassen. Zudem kümmert sie sich um das Booking der Freitags-Veranstaltungen in der Distillery. Auch mit ihr ist Booga langjährig befreundet.
Wie gut die beiden sich musikalisch ergänzen, davon konnte man sich beispielsweise zum Pre-Release im Vary überzeugen. Ein gemeinsames Interview gibt es außerdem bei den Elektro-Konsumenten – mit einem Seitenhieb auf die Leipziger Party-Szene: „Ich denke, dass es im Wesentlichen eine Monokultur ist, dass eine Monokultur im House/Technobereich existiert. Wenn du dir mal die Szenenachrichten bei FrohFroh über die Wochenendankündigung anguckst – du kannst dich mit House von vorne bis hinten, von Donnerstag bis in den Montag rein beschäftigen, alles andere Musikalische findet, zumindest in der Wahrnehmung, nicht so statt.“
Frickelige Electronica ist in Leipzig vergleichsweise wenig vertreten. Seit einiger Zeit gibt es mit Antape aber hörenswerten Zuwachs.
Verspielte Electronica hat es in der Wahrnehmung ja oft nicht leicht. Für den einen zu anstrengend, für den anderen nicht tanzbar. Und sowieso ist das nur Musik für hyperaktive Nerds. Über allem thront natürlich Aphex Twin, der vermutlich alle relevanten Ideen schon verwurstet hat, bevor andere auch nur den Anschalt-Knopf für ihre Hardware gefunden haben. Dennoch: Dieser oft absurde, überbordernde und an Effekten überladene Sound macht auch nach 20 Jahren immer noch Spaß. Womit wir bei Lucas alias Antape wären.
Aus Brest in Frankreich hat es ihn und einige Freunde 2012 nach Leipzig verschlagen. Grund dafür war die Gründung des Tonstudios Roy de Rats im Leipziger Westen, in dem die vier Toningeniure ihr Können unter Beweis stellen. Hier wurde zum Beispiel auch das letzte Album von Annaluk aufgenommen. Aber das Projekt beschäftigt sich auch mit Ideen zum DIY-Technik-Bau. Klar: Das geballte Wissen schlägt sich natürlich auch in der Musik von Antape nieder. Vielleicht ist es aber auch Grund für die praktische Sortierung seiner Tracks in „Hardware Tracks“ und „Some Computer Tracks“ auf Soundcloud.
Halsbrecherische Breakbeats, fröhliches Acid-Geschnatter, permanente Wechsel im Track-Aufbau, verspulte Melodien.
Vor allem auf Antapes 2013 veröffentlichten Tape „Primitive Silly Music“ (dessen zweite Seite das Album „Nocturne Pillar“ von Kotekan beinhaltet) lassen sich diese allseits beliebten Zutaten heraushören. Aber auch zurückhaltendere Stücke gibt es: Besonders „Farfade“ hat es mir mit seiner verträumten Atmosphäre angetan. Wie Antape zu seiner Musik kommt, erfahrt ihr im Interview.Electronica scheint der offensichtlichste Einfluss bei Antape zu sein. Woher kommst du musikalisch?
Ich nehme an aus vielen verschiedenen Ecken, aber sicherlich hat alles durch die musikalische Vielfalt angefangen, die mich als Kind durch meine Eltern umgeben hat: Bach, Pink Floyd, Nirvana, Prodigy und Aphex Twin habe ich unter anderem alle im Wohnzimmer entdeckt. Ein paar dieser Künstler begleiten mich noch immer und natürlich habe ich auch im Laufe der Jahre eine Menge neue Musik entdeckt. Manchmal höre ich wochenlang nur elektronische Musik, manchmal fast keine, manchmal auch aus ganz anderen Musikrichtungen. In den letzten Jahren habe ich meine beeindruckendsten Entdeckungen eher in der instrumentalen Musik gemacht, z.B. in traditioneller Musik verschiedener Herkunft. Momentan habe ich eine Schwäche für „orientalische“ Harmonien oder die Musik von John Zorn, die mich immer wieder überrascht.
Gibt es ein bevorzugtes Gerät, Instrument oder Plug-In, mit dem du arbeitest?
Ich habe lange Zeit ausschließlich mit der Software Renoise Musik gemacht, später auch in Kombination mit Reaper. Seitdem und bis heute habe ich fast nur freie Plugins genutzt und so die Erfahrung gemacht, dass man besser lernt, wenn man mit einfachen Werkzeugen experimentiert, sie irgendwann kombiniert, um komplexere Ergebnisse zu erreichen. Nach ein paar Jahren habe ich mein erstes Gerät erworben, ein Electribe SX1 und seitdem hat die Hardware eine immer größere Rolle in meinen Stücken gespielt.
„Seit ungefähr zwei Jahren bin ich in der Lage, Stücke ganz ohne Computer zu spielen.“
Diese Abwechslung ist für mich sehr erfrischend. Meine letzte Neuanschaffung, der Yamaha TX81Z, ist definitiv der beste Synth, mit dem ich in letzter Zeit gearbeitet habe. FM Sounds selber zu programmieren ist eine Welt für sich, in der es für mich immer wieder Neues zu entdecken gibt.
Bei Bandcamp zu deiner Split-EP mit Kotekan steht, dass ihr euch über das IDM-Forum „We Are The Music Makers“ kennengelernt habt. Welche Rolle spielen das Forum und IDM allgemein für dich?
Das Forum hat mir die Gelegenheit gebracht, andere Künstler virtuell kennenzulernen und mich mit ihnen über unsere Beschäftigungen als elektronische Musiker auszutauschen. Kotekan habe ich einfach kontaktiert mit der Idee, einen Split zusammenzubringen, weil ich seine Musik mochte und wusste, dass er meine auch gut fand. Das war eine tolle Zusammenarbeit, über die ich froh bin, sie durchgezogen zu haben, obwohl das Tape schlussendlich nicht sehr viel Aufmerksamkeit bekam. Heute bin ich nicht mehr so viel in dem Forum unterwegs, aber ich behalte einen Überblick darauf. Und was IDM angeht: Ich finde es schwer, diese Künstler, die mich direkt beeinflussen, in eine Schublade zu stecken. Sie machen sehr unterschiedliche Musik, sowohl einzeln als auch als Gruppe. IDM ist für mich eine Art Mythos und sagt nicht wirklich etwas über die Musik aus.
Sind weitere Releases geplant? Bist du an weiteren musikalischen Projekten beteiligt?
Momentan habe ich nur vage Ideen über mögliche Releases: Ich habe mehrere fertige Renoise/Reaper Stücke, mit denen ich eine EP oder ein Album machen könnte. Ebenfalls mit den Stücken, die ich auf meiner Hardware-Installation spiele. Nach der Erfahrung mit der selbst produzierten Kassette möchte ich aber erstmal nicht mehr so viel Energie in die Herstellung und Promotion eines Releases stecken. Ich habe auch weniger Verknüpfungen in irgendeiner Musikszene und keine Lust darauf, als ein Fremder im Internet vielen Labels Demos zu schicken. Gerade ist der Fokus eher, Veranstaltungen zu finden, wo ich mit meiner Live-Installation spielen kann – was ziemlich neu für mich ist. Und auf diese Art – eventuell – Leute zu treffen, die Interesse haben, meine Musik zu fördern. Allerdings bin ich mittlerweile, was die aktuelle Musikindustrie angeht, viel nüchterner geworden: Ich bin nur Teil einer riesigen Masse an Leuten, die Musik machen – elektronisch oder anders. Ich möchte nicht kämpfen, um Anerkennung zu erreichen. Mir macht das Musikmachen an sich Spaß und das ist, was für mich zählt.
Außerdem spiele ich mit einer Gruppe von Freunden traditionelle Stücke, größtenteils aus dem Balkan. An der Seite von einem Kontrabass, zwei Gitarren, einer Geige und einer Querflöte, spiele ich Darbuka und genieße es, Musik machen zu können, ohne irgendein Kabel einstecken zu müssen.Du bist Teil des Tonstudios „Roy de Rats“. Laut eurer Website habt ihr euch in Brest während des Studiums kennengelernt und 2012 das Studio in Leipzig aufgebaut. Wie kam es zur Idee? Und warum in Leipzig?
Richtig, wir haben mit Charles und JB im Laufe des letzten Semesters als Toningenieure die Idee gehabt, im Ausland ein Tonstudio zu gründen. Wir hatten Lust, ein anderes Land zu entdecken und dachten, es könnte irgendwo außerhalb Frankreichs mit wenig Mitteln für den Anfang einfacher sein. Ganz zufällig haben wir von Leipzig gehört und danach so gute Meinungen über die Stadt, dass wir sie besichtigt haben und im Mai 2012 letztendlich zugezogen sind. Mittlerweile sind wir in der Spinnerei und machen sowohl Aufnahmen verschiedener Musikprojekte als auch Mischung und Mastering und nebenbei noch Live-Tontechnik. Uns ist in letzter Zeit wichtig, das Studio mobiler zu machen. Wir möchten gern mehr an verschiedenen Orten arbeiten, die wir je nach Projekt für ihre Akustik oder einfach ihre Atmosphäre auswählen.
Ortloff ist zurück, mehr als ein Jahr nach der letzten, wirklich großartigen QY-EP. Erstmals mit Tracks von einem der zwei Label-Heads selbst.
Ehrlich gesagt war mir aber gar nicht bewusst, dass Fr Fels Till vom Ortloff-Label ist. Als Sebastian Dubiel kannte ich ihn. Allerdings passte der Name irgendwann nicht mehr zu dem sich allmählich verändernden Sound. Und tatsächlich klingen sowohl die vier Stücke der „The Riddle“-EP als auch die DJ-Sets auf Soundcloud weitaus rougher und analoger als die melancholische Deepness bei Sebastian Dubiel.
„The Riddle“ ist „das Resultat langer Nächte inmitten von analogen, zumeist alten, Maschinen und Effektgeräten“, schrieb Till neulich. Die Tracks seien zudem eine Art Destillat der Sachen, die ihn seit frühester Kindheit musikalisch begleitet und unterbewusst geprägt hätten. Verschmolzen wurde dies zu vier pulsierenden Tracks, die deutlich im ursprünglichen Electro-Sound verwurzelt sind. Mit der Verspieltheit von losgelösten Live-Sessions, der Rauheit von alten Synthesizern und all den spontanen Abzweigen, die sich während des Produzierens sicherlich ergeben.
„On The Run“ ist mein Favorit, weil er so fokussiert, leicht hektisch und rastlos davon läuft. Etwas stolpernd in den Beats, in den Sounds und der Bassline aber ganz dicht beisammen gehalten. Mit einer geraden Bassdrum wäre daraus wahrscheinlich ein super mitzerrender Techno-Track geworden. So behält er fast schon was kindliches. Mit „Visite“ halbiert sich gefühlt das Tempo, hin zu mächtig bassdrückendem Slow Electro. Auch super, weil durch die Langsamkeit die einzelnen Sounds mehr Präsenz bekommen. Zugleich erweitert Fr Fels mit dieser Platte mal wieder das musikalische Ortloff-Spektrum. Nice.
Nice auch das Vinyl mit einem phosphoreszierenden Siebdruck.
Medien, Tonträger, neue Technologien – sie beeinflussen seit jeher den Aufbau von Songs und Tracks. Bringt auch das Musikstreaming neue Formate hervor? Eine Spurensuche mit Analogsoul.
Musikstreaming ist derzeit der Wachstumsmarkt in der Musikwirtschaft. Laut des Bundesverbands Musikindustrie stieg im vergangenen Jahr der Umsatz über die abo- und werbefinanzierten Vertriebskanäle Spotify, Tidal, Apple Music & Co in Deutschland um rund 106 Prozent. Erstmals überholte das Streaming auch den Verkauf von MP3 und anderen digitalen Formaten. Zwar ist die CD aktuell noch das am meisten verkaufteste Tonträgerformat, doch in Zukunft dürften sich den Marktanteile weiter verschieben.
Dabei ist das Streaming nicht unumstritten. Bei Vergütungen zwischen 0,2 bis 0,9 Cent pro Stream-Abruf gab es in der Vergangenheit immer wieder Künstler und Labels, die sich dem jungen Vertriebskanal verweigerten. Es braucht große Reichweiten, um über das massenhafte Streaming einen nennenswerten Betrag zu erwirtschaften. Gerade für kleine Labels und unbekannte Künstler scheint dies wenig rentabel – und doch kann es auch für sie Vorteile bringen. Leipziger Labels sind dem auch keineswegs verschlossen, wie eine kurze Suche zeigt: Kann Records, O*RS, Ortloff, Moon Harbour, Riotvan, Statik Entertainment und Analogsoul sind beispielsweise mit ihren Backkatalogen vertreten.Andreas von Analogsoul erzählt, wie der Stellenwert von Streaming ist:
„Wie die meisten anderen Künstler und Labels wollen wir unsere Musik gern auf möglichst vielen Plattformen zu niedrigen Schwellen verfügbar machen, damit Leute damit in Kontakt kommen können. Streaming als Verbreitungsweg hat ein paar Facetten, die uns gut gefallen und zusagen: Neben der unmittelbaren Verfügbarkeit und der Tatsache, dass Spotify tatsächlich weltweit genutzt wird, sind das z.B. auch Playlisten. Mit dem Erlösmodell können wir natürlich nicht zufrieden sein, erst recht wenn man sich anschaut, wie groß der Unterschied zwischen Majors und Indies an der Stelle ist. Darüber haben wir ja auch mehrfach gebloggt.“
Ist Streaming mittlerweile für euch wichtiger als Download-Verkäufe – oder eine nette Ergänzung?
„Wirtschaftlich gesehen ist es eine nette Ergänzung. Aber Streaming ist oft der erste Kontakt eines Hörers zu unserer Musik, was aber nicht automatisch eine fette Umwegrendite generiert.“
Wie ist der geschätzte Streaming-Anteil gegenüber Downloads, CDs und Vinyl?
„Von der Menge der Abrufe her ist Streaming unsere größte Kontaktfläche. Vom wirtschaftlichen Ertrag her machen die physischen Tonträger und digitale Donwloads aber den absoluten Großteil unserer Einnahmen aus. Es kommt aber schon vor, dass ein Track, der es in eine wichtige Playlist geschafft hat, mal 100 Euro in einem Monat über Streaming erlöst.“
Auch Markus von Riotvan sieht das Streaming durch die Playlists als gutes Promo-Tool. Wobei „es schon ziemlich krass ist, wenn man sieht, dass man bei einem Album mit 10.000 Streams am Ende vielleicht 20 bis 30 € rausbekommt.“ Teilweise käme man aber auch auf dieselbe Summe wie bei Digital-Verkäufen über Beatport. Für Markus ist das Genre entscheidend: Mit Pop sei über Streaming-Plattformen mehr zu erreichen als mit House-Künstlern wie Panthera Krause – auch wenn es sich dort ebenfalls seit ein bis zwei Jahren steigert.
Bei O*RS sind Streaming und Downloads auf einer Augenhöhe und so bemerkbar, dass es „ein wichtiger Bestandteil zum eher gleichbleibenden Vinyl-Verkauf“ geworden ist. Die Verschiebung ist also spürbar. Aber hat das Streaming als Vertriebsweg bereits solch eine Relevanz, dass es einen künstlerischen Einfluss ausüben könnte?
Bisher brachte jedes Medium und Format bestimmte Vorgaben mit sich, die auch Einfluss auf das Songwriting hatten. Beim Vinyl sind es zwei Seiten mit, je nach Vinyl-Format, unterschiedlich begrenzten Spielzeiten – maximal 23 Minuten pro Seite. Die CD bietet da etwas mehr Spielraum. Das klassische Pop-Radio wiederum fordert kurze, dreiminütige Songs, um gespielt zu werden. In der elektronischen Musik geben DJs sowie die Konventionen von Clubnächten die Track-Strukturen maßgeblich vor, indem Mixparts und Breaks eingebaut werden. Kann auch das Streaming so weit in Song- und Trackstrukturen eingreifen?
Durchaus: Denn obwohl technisch und physisch beim Streaming keine Beschränkungen bestehen, gibt es einen wirtschaftlich interessanten Aspekt: Spotify zahlt pro Stück ab 30 abgespielten Sekunden. Der US-amerikanische Songwriter und Musikprofessor Mike Errico thematisierte dies in einem überaus spannenden Artikel und stellte die These auf, dass Musikstücke zukünftig nur noch 30 Sekunden lang sein werden. Rein wirtschaftlich gesehen kann nämlich ein Album mit vielen kurzen Songs mehr erlösen als eines mit wenigen langen Stücken. Und da professionell agierende Musiker neben künstlerischen Beweggründen auch ihre Einnahmequellen im Blick haben, sind Erricos Gedanken auf dem ersten Blick gar nicht so abwegig.
Einige Bands spielten bereits mit dieser 30 Sekunden-Schwelle. Die englische Indie-Band The Pocket Gods brachte ein Album mit 100 30-sekündigen Songs heraus. Vulfpeck stellten 31 kurze Songs mit Stille online, die in Endlosschleife gespielt werden sollten. Damit verbunden war jedoch eher der Protest gegenüber den mageren Streaming-Ausschüttungen. Die Frage, welche künstlerischen Auswirkungen die wirtschaftlich relevante Spotify-Vorgabe haben kann, wurde nicht diskutiert. Gibt es jetzt nur noch die Refrains? Oder nur die besten Parts eines House-Loops? All der arrangierte Ballast fliegt raus, um einfach auf den Punkt zu kommen bzw. nur die Filetstücke eines Songs zu veröffentlichen? Wir wollten es von einem Musiker wissen, der sowohl im Pop zu Hause ist, aber auch mit experimentelleren Formen arbeitet.Sind für dich spezielle Beschränkungen oder Freiheiten eines Tonträgerformates generell relevant beim Produzieren, Arpen?
„Ja, ganz klassisch. Die Länge einer Seite beim Vinyl zum Beispiel. Ich finde aber Beschränkungen generell interessant – man wird gezwungen umzudenken und sich künstlerisch auch zu einer bestimmten Situation zu positionieren.“
Beim Streaming verdient man eher durch viele kurze Stücke – wäre das ein Impuls für dich anders zu produzieren?
„Nein. Ich verdiene sehr gern Geld mit meiner Musik, aber ich beziehe in mein eigenes Schreiben nicht das Verhältnis zwischen der Track-Länge und dem möglichen Verdienst ein. Bei konkreten Aufträgen ist das etwas anders.“
Ist die Kürze eines von Spotify anerkannten Songs eine Chance zum Veröffentlichen für gelungene Skizzen oder Loops, die sonst nur unnötig in die Länge gezogen werden würden?
„Möglicherweise. Ja, für Loops könnte das interessant sein. Aber wer hört sich ein 45 Sekunden-Loop an und findet das irgendwie befriedigend? Ich denke das wäre dann für Musiker interessant bzw. auch für MCs. Dann müsste man aber auch damit arbeiten können – bzw. sollte es ein Mix-Tool geben, mit dem man mit diesen Loops live auflegen könnte – das fände ich irgendwie hot.“
Arpens Antwort zeigt auf, dass Erricos These den Hörer außen vor lässt. Die Hörgewohnheiten müssten sich fundamental verändern, um kurze Snippets als befriedigendes Musikerlebnis annehmen zu können. Und besonders in der Clubmusik erzeugen erst der langsame Aufbau und die Länge der Tracks und Sets ihre hypnotischen Wirkungen. Unberücksichtigt scheinen auch die künstlerischen Ambitionen der Musiker: Neben den Sounds geht es immer auch um Dramaturgien – und die benötigen einen gewissen Entfaltungsspielraum. Ob sich den Musiker in so drastischer Weise verkleinern lassen, ist mehr als fraglich. Hinzu kommt, dass die Musikwirtschaft trotz der hohen Wachstumsraten des Streamings auch in naher Zukunft ihre Musik auf verschiedenen Tonträgerformaten anbieten dürfte. Und hier würde die 30-Sekunden-Beschränkung von Spotify mit der 46 Minuten-Option des Vinyls kollidieren. Oder zu komplett unterschiedlichen Varianten eines Albums oder einer EP führen, was schwer vorstellbar ist.
Wie hoch schätzt Andreas von Analogsoul die Chance ein, dass sich durch Streaming alte Formate wie Song-Strukturen, EP- und Alben-Zyklen wirklich verändern werden: „Der Song als solcher wird sich vermutlich nicht weit verändern, Strukturen wie Alben werden sich aber zusehends auflösen oder zumindest stark verändern. Ich denke, dass ähnlich wie im Hip Hop oder im elektronischen Bereich viele Interludes, Skits, Intros oder andere Fragmente Teil von Alben werden.“
Wie es klingen könnte, wenn sich Musiker und Labels komplett dem Spotify-Vergütungsstandard hingeben, hat Analogsoul mit der Compilation „#31s“ ausgelotet. Musiker aus dem direkten Label-Umfeld sowie dem erweiterten Umfeld wurden um 31-sekündige Songs und Tracks gebeten, um herauszufinden, was dies künstlerisch hervorbringt. Die 31 Stücke öffnen stilistisch ein weites Feld zwischen Pop, HipHop, House, Electronica und Post-Rock.
Der Umgang mit der Beschränkung ist indes sehr unterschiedlich. Einige Musiker bringen eine eigenständige, ultrakompakte Komposition hervor. Bei anderen klingt es nach dem Ausschnitt von etwas Größerem – die Stücke enden abrupt, wie abgeschnitten. Irgendwo wird ein Break angekündigt und am Höhepunkt runtergefahren. An anderer Stelle ist nur eine kurze eingesungene Strophe zu hören. Es bleiben 31 Fragmente, Outtakes oder Jingles.
„#31s“ zeigt einerseits, wie viel künstlerische Substanz in solch kurze Zeit passt. Andererseits fühlt es sich am Ende immer wie das unbefriedigende Durchskippen einer Compilation-Tracklist in einem Download-Shop an, bei dem nur Snippets vorgehört werden können. Aus wirtschaftlicher Sicht jedoch ist „#31s“ das optimalste Produkt für Musiker und Label – es wurde nicht mehr Dramaturgie und Länge hineingesteckt als notwendig, um bei Spotify entlohnt zu werden. Um diese Diskrepanz ging es den Analogsoul-Betreibern. Darum, dass „in 31 Sekunden zu wenig Zeit bleibt, um einen Gedanken wirklich auszuformulieren. Wir würden gern für mehr als 31 Sekunden bezahlt werden“, heißt es im begleitenden Projekttext. Angesichts der künftig zu erwartenden Verschiebungen bei den Marktanteilen von physischen und digitalen Tonträgern ein durchaus berechtigter Einwand.
Veröffentlicht wurde „#31s“ übrigens konsequenterweise als Spotify-only-Release.
Wir haben noch einmal nachgehört, was wir im August alles an neuer Musik vorgestellt haben. Hier sind unsere fünf Track-Favoriten.
Apollo Static „Flowers Of Despair“ (Ketzerpop)
Bürokollege Apollo Static bewegte uns mit einem ersten Song seines im Januar 2017 erscheinenden Debüt-Albums. Besonders im Zusammenspiel mit dem Video entfaltet „Flowers Of Despair“ seinen „wehmütig-augenzwinkerndem Wave-Elektronik-Funk“, der laut Apollo Static immer von verschiedenen Dualitäten geprägt sei.
Ein Augenzwinkern gehört auch bei Laubenpiepers Finest immer dazu. Das Label hat seine Heimat kürzlich von Dessau nach Leipzig verlegt. Und es zelebriert eine sehr weitere Form von House, bei der auch HipHop, Downbeat und Funk mit einfließen. Die aktuelle EP bespielt Baumfreund mit HipHop-Skits und Dub Techno. Seine „Gehacktesstibbe“ hat uns gut geschmeckt im August.
Alfred Quest „Langsame Liebe“ (Analogsoul)
Das Album „Midlife Wellness“ der Erfurter Band Alfred Quest hat uns dagegen ziemlich umgehauen. Obwohl es so entspannt und friedlich klingt. Doch bei „Langsame Liebe“ – und einigen anderen Stücken – „passt einfach alles perfekt zusammen: die Reduktion, das Wechselspiel aus Harmonie und Vertracktheit und eine herrliche Beseeltheit, wie sie eben nicht aus Maschinen kommen kann.“ Es gibt auch ein durchaus erotisches Video zu dem Stück.
Drunkenstein „Path Of Phusion“
Drunkenstein war unser „Neuer aus der Wolke“ im August. Durch seine Partys ist er uns im letzten Jahr des Öfteren aufgefallen. Dass er auch eigene Tracks produziert, war uns jedoch neu. Besonders „Path Of Phusion“ „sprüht über vor analog klingender House-Spielfreude, bei der Acid und Disco eine ähnlich große Rolle spielen.“
The Moon With Teeth „Requiem X“ (VE-302)
Eine Auszeit auf dem Land nutzte Niklas Kraft alias Talski für ein avantgardes Mini-Album mit cineastischen und performance-artigen Elementen. „’Requiem X‘ „könnte ein perfekt passender Opener für einen alten Gruselfilm sein, leicht mysteriös, aber nur subtil Unheil verkündend.“ Später wird es auch noch verstörender und gruseliger. Interessantes Werk.
An den kommenden Wochenenden beginnt für die meisten Leipziger Clubs die neue Saison. Wir haben rumgefragt, was euch erwarten wird.
Conne Island
Der Sommer und Herbst stehen beim Conne Island ganz im Zeichen des 25. Geburtstags. Verteilt über mehrere Monate gibt es verschiedene Highlights – die Konzerte von Autechre und Tortoise gehören da eindeutig dazu. Außerdem freuen wir uns auf DJ Sprinkles im November.
Distillery
Bei der Distillery wurde über die Sommerpause hinweg der Gartenbereich komplett neugestaltet. Bleibt zu hoffen, dass die spätsommerlichen Nächte es mitmachen, um ihn bereits in den ersten Wochen der neuen Distillery-Saison genießen zu können. Ansonsten dann im nächsten Frühling.
Beim Programm bleibt das Konzept gleich: Freitags stilistisch breit zwischen Breaks, Bass und HipHop, samstags House und Techno. Am 23. September gibt es dann eine Leipzig-Premiere des OneBeat SampleSlam. Dabei treten sechs Producer live mit jeweils vier eigenen Tracks an. Zum Produzieren bekamen alle Artists das gleiche SamplePackage. Das Spannende: Jeder ist einem anderen Genre zu Hause.
Highlight im Oktober: Die Distillery feiert ihren 24. Geburtstag.
Elipamanoke
Umbau-News auch aus dem Elipamanoke – es wird einen zweiten Floor geben. Mit einem interessanten Raumkonzept: Das quadratische DJ-Pult steht mitten im Raum, ebenerdig und schlicht gestaltet. Und mit zwei Ausrichtungen angelegt: Auf der einen Seite ein DJ-Set-up, gegenüber Platz für Live-Acts. So wird nicht nur die klassisch-frontale DJ-Publikum-Konstellation aufgebrochen, der Fokus kann innerhalb einer Nacht auch wechseln.
Aphex Twin inspirierte das Elipamanoke zu dieser Idee. In einem Interview erinnerte der sich an frühe Cluberfahrungen, in denen es mehr um die Musik als um die Namen und den Fame der DJs ging. DJ und Publikum waren nicht durch Bühnen getrennt. Diese alte Techno- und Keller-Atmosphäre soll den neuen zweiten Floor nun auch prägen. Im Winter folgen außerdem weitere Nischen zum Abhängen im gesamten Elipamanoke.
Bespielt werden beide Floors entweder allein mit Eli-Bookings oder zusammen mit Crews und Fremdveranstaltern – musikalisch verschieden oder aufeinander abgestimmt. Zwischen Stil vor Talent und der Indoor Edition des Midsommar Festivals ist da viel Spielraum. Was weitergeführt wird, ist die „Homemade“-Reihe, bei der die Live-Acts und DJs vorher nicht angekündigt werden. Auch dies eine kleine Reminiszenz an die Techno-Anfänge.
Highlight im nächsten Frühjahr: Das Elipamanoke feiert seinen 10. Geburtstag. Und im Sommer (11.-13. August 2017) wird es wieder das ZilpZalp-Festival auf einem Bauernhof südlich von Leipzig geben.
Institut fuer Zukunft
Relativ viel ist auch beim IfZ in der Sommerpause passiert. Der zweite Floor wird samstags einen klaren House-Fokus erhalten. Unter dem Namen „Modul“ kuratiert Markus Krasselt alias Peter Invasion in der neuen Saison Partys, die House mit lokalen und internationalen Acts einen regelmäßigeren Platz im IfZ-Programm einräumen soll als das bislang der Fall war.
Dafür wurde auch der Floor etwas umgestaltet – mit einem neuen DJ-Pult, das nicht mehr am Ende des Floors, sondern mitten an der einen Längsseite platziert wird. Zusammen mit einem neuen, helleren Licht-Konzept wird der Raum so geöffnet und hebt sich musikalisch prägnanter vom großen Techno-Floor ab. Mit Johanna Knutsson sowie M.ono & Luvless wird die stilistische Range im September gleich weit ausgelotet. „Slow-, Weird- oder Power-House – bei der Reihe sollen ganz verschiedene Facetten von House vorkommen“, so Markus. Nur zwei bis drei DJs werden dafür eingeladen, die dann aber längere Sets spielen – die Headliner können da auch durchaus das Warm-up oder Closing spielen.
Außerdem neu: Ein separater Chill-out-Bereich, der in bestimmten Nächten bespielt wird. Und „Spazz“, eine Reihe, die jeden Donnerstag stattfinden wird. Eher Special Spaß und Socializing als bloßer Rave. So sind Ausstellungen geplant und eine regelmäßige Tattoo-Tombola – mit einem Gewinnerlos kann man sich sofort vor Ort ein Tattoo stechen lassen.
Ab Oktober beginnt mit „Gegenkrach“ eine höchst interessante Reihe, die zusammen mit Alexander Pehlemann veranstaltet wird. Genaue Informationen folgen noch, aber von einem AG Geige-Release-Konzert, Gesprächsabenden mit Felix Kubin und Dimitri Hegemann sowie einem Auftritt von Moritz von Oswald war bereits die Rede.
Pferdehaus / Westwerk
Durch die „Midway“-Reihe hatte das Pferdehaus im Westwerk ja quasi keine richtige Sommerpause. Bei dem etablierten Mittwochs-Classic gibt es nun eine gute Neuigkeit. Die bisher unregelmäßig veranstaltete „Midway Addition“ mit einem größeren Programm wird künftig einmal im Monat stattfinden – mit einer IO-Edition im September geht es los. Bei den regulären „Midway“-Abenden gibt es weiterhin zwischen 22 und 24 Uhr einen Slot, der von Newcomern ohne Vorgaben genutzt werden kann. Wer Lust darauf, kann sich einfach beim Pferdehaus melden.
Bestehen bleibt auch die Ableton User Group, bei der Ableton User ihre Musik auf einer Clubanlage testen können – wir hatten bereits darüber berichtet. Am 16. September startet dann wieder das Wochenendprogramm mit einer Pneuma-dor-Label-Nacht, inklusive eines Ambient-Floors. Im Oktober feiert schließlich die „Fat Bemme“-Reihe ihr dreijähriges Bestehen mit Ivy Lab und Zacker erweitert seine „No! No! No!“-Reihe um neue Kollaborationen und Sounds – zum Start am 15. Oktober kommt die Herrensauna-Crew aus Berlin angereist.
So&So
Schließlich noch eine kleine Preview auf die neue Saison im So&So. Generell hält man sich dort eher bedeckt. Aber es wird weiter gebaut, musikalisch auf ein bunteres Programm konzentriert und sich für Fremdveranstalter geöffnet – so viel wird verraten. Zum Saison-Opening gibt es auch gleich einen Floor mit Dubstep aus Großbritannien. Außerdem gibt es sein Anfang August einen Proberaumbereich.
Eine Sommerpause gab es dieses Jahr ja nicht wirklich was das Veröffentlichen neuer Musik angeht – hier kommen gleich mehrere Sommer-EPs.
Steppin‘ Wolf „Swipe Till You Find Me, Hermine“ (Mana-All-Nite)
Wir starten sommerlich lässig und vielschichtig mit Mana-All-Nite, dem noch jungen Sub-Label von Kann Records. Dort erschien im Juli „Swipe Till You Find Me, Hermine“ von Steppin‘ Wolf. Und der Frankfurter Newcomer eröffnet auf gerade einmal fünf Tracks eine stilistische Breite, wie man sie von einem guten Album erwarten würde.
Da gibt es subtil-eigenwilligen Pop-Appeal in „This Is A Lovesong“ und „Heart Shakra“, Oldschool-House-Rauheit in „Untitled IV“, runtergestrippte UK-Rave-Zitate in „Try It (Drei)“ sowie ein cineastisches Kammerspiel mit „Noise“. Überall sticht eine hohe Musikalität hervor und ein genau richtig dosierter Grad an Verschrobenheit. Super EP.
Enduro „Cleynen Line“ (XANN)
Auf XANN, einem weiteren Kann-Ableger für einzelne, spontan entstandene Tracks gab es im Sommer ebenfalls einen Neuzugang. „Cleynen Line“ von Enduro entfaltet auf einem reduzierten House-Fundament einen verspielten Orgel-Funk, der sich irgendwann in einen Machine Funk verwandelt. Nach dem opulenten XANN-Debüt ist das hier eher trippig, mit sanften Verschiebungen.
Various Artists „Leipzig Only“ (A Friend In Need)
Dass bei A Friend In Need nichts mit Sommerloch war, hatten wir ja schon. Vor kurzem wurde dann auch die Label-Heimat besonders gewürdigt – mit der „Leipzig Only“-EP, die vier Tracks lokaler Acts featured. Neben Blinds, Iami und Label-Head Lootbeg ist mit Erik Ellmann auch ein für mich neuer Name dabei. Wirklich neu ist er aber nicht: Im letzten Jahr veröffentlichte Ellmann drei Digital-EPs, darunter bei Large Records aus Chicago. Sein „Noe Turn“ auf A Friend In Need vermittelt auch einen überaus versierten Classic Disco House-Sound, der perfekt zu Rose Records passen würde. Patina-überzogene Soul-Vocals und schwelgerische Chords in langsamer Deepness.
Überhaupt verströmt die „Leipzig Only“-Compilation einen großen Hang zum Classic-Sound – wie sonst auch bei A Friend In Need ist das sehr geschichtsbeflissen und perfekt, nur fehlt mir da manchmal der Ansporn für eine Suche nach Neuem. Iami, läuft mal wieder etwas neben der typischen House-Spur. In etwas düsterer, minimalistischerer und aufgeladenerer Weise als sonst setzt er der Sonntagsreihe im Conne Island ein kleines Sound-Denkmal.
Markus Masuhr „The Silent Trepidation“ (Circular Limited)
Iamis dunkler Tracks ist zugleich eine gute Überleitung zu Markus Masuhrs neuester EP – die zweite beim spanischen Label Circular Limited. Bei Markus Masuhr offenbaren sich mittlerweile mehrere Sound-Stränge – harscher Keller-Techno, düster-unterkühlter Drone-Ambient und eben jener fein geschichteter, hypnotischer Session-Techno.
„The Silent Trepidation“ verknüpft die letzten beiden Stränge zu einer sehr schlüssigen EP mit ebenso bedrückend-dunklen wie sanft gleitenden Phasen. Meist angetrieben von verschachtelten Bassdrums. Wirklich neue Impulse gehen von dieser EP zwar auch nicht aus. Aber den stetigen Einladungen zum Versinken im Masuhr-Sound kann ich mich kaum entziehen.
Georg Bigalke & Pranava „Indiscriminate“ (Raven Sigh Records)
Es bleibt hypnotisch und düster, denn auch Georg Bigalke veröffentlichte im Sommer neue Musik. Zusammen mit dem Schweizer Pranava hat er die Idee einer Split-EP auf die Spitze getrieben. Die beiden teilen sich die EP nicht nur mit je einem eigenen Track, sie haben zusätzlich den jeweils anderen Beitrag geremixt. Bigalke verfolgt ja eine eher breakige, extem reduzierte und stoische Art von Techno. Das ergibt neben einer großen Ruppigkeit immer wieder auch gute Leerräume, die es selbst zu füllen gilt.
Durch „Frattarzk“ zieht sich eine bedrohlich schlingernde Soundschleife, entlang des schmalen Grates zwischen spannendem Experiment und überzeichneter Dissonanz. Aber genau den scheint Georg Bigalke generell gern auszuloten. Pranava ist mit seinem Track und dem Remix einerseits noch dissonanter, lässt aber auch mehr Licht in dieses düstere Gefüge. Keine EP für nebenher.
Corecass „Quasar Remix Edition“
Im Frühjahr brachte Corecass ja in Eigenregie eine neue EP mit zwei Tracks heraus und rief zugleich einen Remixe-Contest aus. Das neunminütige, ätherisch gedehnte, teils dramatische Original von „Quasar“ wurde fünfmal neu interpretiert und interessant ist, dass niemand einfach nur einen Dance-Track daraus gemacht hat – nur bei Lose Lose und Sinse schleichen sich manchmal gerade Bassdrums heran.
Ansonsten bleibt der experimentelle Charakter überall erhalten, Patrick Franke geht sogar noch weiter, indem er minutenlang in eine komplette Stille verfällt, um später mit einer Soundwand zurückzukehren. Dyze von Resistant Mindz bringt die zugänglichste Version hervor. Mit schleppenden Rock-Drums und sich langsam aufbäumender Epik. Mein Favorit neben der minimalistischen Drone-Version von Joscha Bauer.
Various Artists „Orbiter II“ (Moon Harbour Recordings)
Ganz frisch ist eine neue Mini-Compilation von Moon Harbour draußen. Bei der „Orbiter“-Reihe werden ja Newcomer und bereits bekanntere Acts zusammengebracht. Die größte Überraschung ist das Moon Harbour-Debüt von Super Flu. Das Hallenser Duo scheint sich etwas von seinem schunkelnden, immer ironisierten Sound zu verabschieden – zumindest deutet ein Skippen durch die letzten Sets das an. Und auch ihr Beitrag „Do Ex“ ist mehr auf das Wesentliche beschränkt, als auf offensichtliche Festival-Effekte. Na gut, das Break ist schon sehr auf Effizienz getrimmt. Aber irgendwie mag ich die scheinbare Wandlung hin zur trippigen Reduktion.
Newcomer Nico Cabeza aus Italien spielt auf entschlackte Weise mit einer klassischen House-Deepness, die leider von dem cleanen Beat aufgesogen wird. Der Beat ist dann aber genau das, was „That’s Fresh“ von Chris Wood & Meat wiederum durchaus interessant macht. Auf leichte Art holprig und perkussiv. Schade, dass die Scratch- und Vocal-Samples den Track dann ins Lächerliche ziehen. Richtig kalkulierte Abfahrt mit aufgeblasener Bassline dann bei „Work My Body“ von Anek.
House-Deepness auf schwerem Vinyl, mit Siebdruck-Cover und persönlich vorbei gebrachten Promos – das Label Laubenpiepers Finest ist neu in der Stadt.
Leipzig ist ja die Stadt der Schrebergärten, die Kleingartenkultur entstand hier vor rund 200 Jahren – ein eigenes Museum dokumentiert die Geschichte – und noch heute hat die Stadt eine der höchsten Kleingartendichten Deutschlands. Nun ist mein Verhältnis dazu nicht ungetrübt: Auch ich verbrachte meine Kindheit viel in einem Schrebergarten, irgendwann wurde es aber schrecklich langweilig und piefig. Mir ist kein grüner Daumen gewachsen, dafür ein gewaltiges Vorurteil gegenüber Kleingartensiedlungen als Hort von hässlichen Zwergen und konservativen, sonnengegerbten Gärtnern.
Laubenpiepers Finest triggert dies auf ironische Weise an, pflegt mit einer strikten Vinyl Only-Policy auf seine Art auch einen gewissen Konservatismus. Ende 2014 gründete Oliver Bernstein das Label in Dessau. Dort ist er aufgewachsen, seit Mitte der 2000er legt auf und organisierte in der Bauhaus-Stadt kleinere und größere Partys in einer Eckkneipe und am Elbstrand. Mit einigen Partys in der Blauen Perle tauchte der Name Laubenpiepers Finest in den vergangenen Monaten auch in Leipzig immer öfter auf. Ende 2015 zog Oliver hier her und fing an, bei R.A.N.D. Muzik als Schallplattenpresser zu arbeiten.Musikalisch hat er dann aber einen eher unkonventionellen House-Begriff: „House, HipHop, Funk, Downbeat, Genres sind mir egal, irgendwie ist für mich alles House“, meint Oliver.
Und ebenso wie er sich als DJ nicht auf ein Genre beschränken möchte, klingen auch die fünf bisher veröffentlichten Platten von Berliner, Hannoveraner und Dessauer Acts wie Siggatunez, Arsy oder Baumfreund: Da gibt es ruhige Downbeat-Stücke neben klassischem House, Dub-Techno neben HipHop-Skits und – wie im Fall der Arsy-EP auch mal experimentellere und vertracktere Tracks. Eine poetische Deepness und eine omnipräsente Unaufgeregtheit halten alles zusammen, egal wie weit es voneinander entfernt ist.Die Liebhaberei wird auch bei der Cover-Gestaltung deutlich. Von Beatmaker-Held Duktus stammen die Illustrationen, auch er ist ein Ex-Dessauer, den es nach Leipzig verschlagen hat. Und so schließt sich nicht nur lokal der Kreis, auch bei Duktus & Co sind die Genre-Grenzen weniger eng gesetzt. Auf jeden Fall ein guter Neuzugang für die Leipziger Elektronik-Szene, dieser Laubenpieper. Einer, der sogar selbst vorbeikommt und die Platte mit einem Lächeln vorbeibringt.
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