Ein Label zu starten scheint heute leichter als je zuvor. Doch wie macht man es wieder dicht? Das haben wir Schubert von Statik Entertainment in unserem neuen Talk Talk-Podcast gefragt.
Statik Entertainment war immer ein „professionelles angegangenes Hobby“, sagt Schubert. Einen Brotjob hatte der Leipziger nämlich immer, selbst in den besten Zeiten seines 1994 gegründeten Labels. 20 Jahre lang veröffentlichte er darauf unterschiedliche Nuancen von House und Techno, produziert Szene-Helden und Newcomern. Auch für Daniel Stefanik war Statik Entertainment eine wichtige Homebase. Mit dessen Album „Genesis“ schloss Schubert das Label Ende 2014.
Aber wie hat Schubert sein Label geschlossen? Hat es sehr wehgetan und was passiert mit dem musikalischen Erbe? In der neuen Talk Talk-Folge stellt er sich unseren Fragen.
Irgendwo habe ich es schon aufgeschnappt, jetzt ist es amtlich: der Plattenladen Possblthings bringt künftig auch eigene Platten heraus.
Die erste Katalognummer ist bereits bei Clone gelistet und auch in Connewitz erhältlich. Robyrt Hecht ist darauf mit vier Tracks zu hören, bei dreien davon wirkten wohl auch andere lokale Musiker wie Milium von Trade Policy, XY0815 und CCO mit. Schön zu sehen, wie sich der Yuyay Records-Labelbetreiber Robyrt Hecht mit seinem klassisch schillernden Electro-Funk immer mehr vernetzt.
Die „Percept EP“ lebt ganz klar von dem analogen Futurismus und dem entrückten Tänzeln des ursprünglichen Electro. Es ist wie bisher eher die funk-beeinflusste, wehmütige und weniger der düstere Electro-Linie, die Robyrt Hecht hier einschlägt. Da werden sehr geschichtsbeflissen und auf authentische Weise die Referenzbögen in die frühen 1980er geschlagen. „Deception Manoeuvre“ sticht dramaturgisch in der Zusammenstellung noch einmal heraus – denn der anfangs geradlinige, technoide Track, mutiert später auch in die breakigen Electro-Sphären.
Die Nummer 1 ist kein Testlauf, Possblthings hat für das erste Jahr fünf Releases geplant, wie Steffen alias Demian per Mail schreibt. Ästhetisch geht es dem Label um klassische Spielformen von Electro, Chicago-House und Italo-Disco, produziert von lokalen Artists.
„Mit diesem musikalischen Fokus soll auch spiegelbildlich der Laden und das Umfeld dargestellt werden“
So meint Steffen weiter. Wir sind erfreut und gespannt auf die nächsten Platten. Im Sommer ist der Laden übrigens zwei Jahre alt geworden. Dazu gab es eine kurze Dokumentation.
Der Bandname ist wenig zutraulich: Songs for Pneumonia, Lieder für die Lungenentzündung also. Im letzten Jahr tauchte der Name der vierköpfigen Band aus Weimar und Leipzig erstmals auf. Damals veröffentlichte sie zusammen mit dem Magazin „Verschiebungen“ eine EP. „Steno“ markiert nach eigener Interpretation nun das Debütalbum. Von der klanglichen Tiefe und Geschlossenheit kommt dies trotz der wenigen Stücke auch hin.
Hinter Songs for Pneumonia stecken Lukas Holfeld, Clemens Bach, Luis Kürsten und Jonas Holfeld. Mit Gesang, Gitarre sowie einigen analogen und digitalen Maschinen erzeugen sie karge und düstere Klanglandschaften, die gleichermaßen langsam-sanft mäandern und zu epischem Noise aufbranden. Zwischen den gedehnten Ambient-Sounds und den abstrakten Drones-Attacken flackern immer mal wieder rhythmische Patterns und zarte Harmonien auf. Doch insgesamt herrscht eine darke, sehr dystopisch-bedrohliche Atmosphäre, die in den choralen Momenten von „Edemast“ ihren Höhepunkt findet.
„Steno“ ist kein leicht verdaulicher Ambient für nebenher, sondern ein herausforderndes Album – vielleicht auch ein Zeitzeugnis. Denn die Stücke strahlen dramaturgisch einen sehr improvisierten, freien Session-Charakter aus. Und irgendwie ist auch der Band-Kontext herauszuhören. Vielleicht nur gefühlt, doch die Konsequenz und Vielschichtigkeit mit der sich die einzelnen Sounds entfalten, kündet von mehreren Köpfen, die sich in ihr eigenes Metier vertiefen.
Ein starkes und sehr selbstbewussten Album, das sich einreiht in weitere überaus hörenswerte Ambient-Alben in diesem Jahr. Ich erinnere gern an:
Digital wird es auch einige Remixe geben. Darunter von Vai – bei Holger debüttierte Vai im letzten Jahr – was bestens passt, denn Holger und pneuma-dor veranstalten am kommenden Samstag eine gemeinsame Nacht. Wir freuen uns, dass wir Vais Remix exklusiv vorab streamen dürfen:
Der Oktober ist rum, es kamen wieder einige sehr gute Alben und EPs aus Leipzig. Hier sind unsere fünf Favoriten.
Arpen „tmttb“ (Analogsoul)
Es war ein großer Arpen-Monat bei uns. Sein Solo-Debüt-Album kam endlich heraus, wir trafen ihn zum Interview und er präsentierte das Album im Täubchenthal live. Ein Stück hat uns von Anfang an sehr eingenommen: „tmttb“, nicht nur weil Friederike Bernhardt mitsingt, sondern auch, weil es mit wenigen Elementen so stromlinienförmig durchrauscht. Wie eine Hypnose, die abrupt endet. Es ist „ein faszinierender Spagat zwischen Eingängigkeit und Experimentierfreude, zwischen Emotionalität und Dissonanz, Repetivität und kompositorischer Dichte.“
Kassem Mosse „Molecular Memories“ (Honest Jon’s)
Anfang Oktober ist auch das zweite Kassem Mosse-Album erschienen, das den eigenwilligen Sound noch einmal neu verschoben hat. Experimenteller, granularer, forschender und zugleich klarer fokussiert klingen die neuen Stücke, noch weiter entfernt von den House-, Techno- und Electronica-Ambitionen, als Kassem Mosse eh schon war. Das geradlinige und super schnelle „Molecular Memories“ ist in diesem Zusammenspiel eher eine Ausnahme und ein Link zum Debüt-Album.
Randy Barracuda & Stiletti-Ana „Mlipuke II“ (Rat Life Records)
Bei Rat Life überraschte Skweee- und Electro-Funk-Großmeister Randy Barracuda mit ein paar Sessions mit Stiletti-Ana. „Gerade bei „Mlipuke II“ mäandern allerlei blinkende Synths nahezu krautig am Rande eines kollektiven Schaltkreis-Zusammenbruchs auf einem Afrobeat-beeinflussten Drum-Pattern. Eine Bombe, die so manche Kinnlade nach unten klappen lässt.“ Christoph hat vollkommen recht.
Suicide Commando „Nervous Breakdown (Kilian Krings Edit)“ (Sign Bit Zero)
Kilian Krings bringt mit seinem Label Sign Bit Zero ja gerade den düster-scheppernden Post-Punk und frühen Industrial mit Edits und Hommagen sehr beeindruckend auf den Dancefloor. Die zweite EP ist kürzlich erschienen und featuret neben Kilian Krings‘ Edits auch neue Versionen von Wosto. „Die kargen und teils extrem ruppigen Atmosphären bleiben aber erhalten, auch die Beats scheinen sich aus der selben dreckigen Substanz herauszukristallisieren. Alles klingt sehr DIY und rough, irgendwie auch neurotisch und dystopisch.“
Auch Matthias Tanzmann ließ im Oktober mit einem neuen Album aufhorchen. Acht Jahre nach dem Debüt-Album. Konzeptionell greift es verschiedene Dancefloor-Stimmungen auf und schaut durchaus nostalgisch zurück auf die klassische House-Deepness um 2000. Bei „Sfumato“ hat uns die Nostalgie ebenfalls gut mitgerissen. Deshalb ist es mit unter den Five Favs des letzten Monats.
Old oder new? Old New Records mag sich nicht so recht festlegen. Auch beim musikalischen Profil gibt man sich open minded.
Im August tauchte eine erste digitale EP unter dem Old New Records-Banner auf, die deep und jazzig verschachtelten House von Ugly Loover präsentierte. Mit sehr organischen Downbeat-Vibes und einer tiefentspannten Beatmaker-Lässigkeit. Gediegen und eher old als new kam dies daher.
Bei den Remixen, die im September folgten, wurde es dann spannender. Hauptsächlich weil an einigen Stellen rhythmisch mehr gespielt und gebrochen wurde. Besonders die Remixe von Tilman Jarmer, Klinke Auf Cinch und Ranko fielen hier auf. Dazu gab es aber auch klassische Beatmaker-Versionen und einen südamerikanischen Hauch.
„Fxxk Genres – was wir cool finden, probieren wir aus.“
So formuliert Lutz Hartmann von Klinke Auf Cinch das Label-Konzept. Er ist aber nicht allein bei Old New Records. Auch Ugly Loover, Duktus und Carina Posse machen mit bei dem Label, das erstmal digital gestartet ist, später auch auf Tape und Vinyl switchen möchte. Mit dem großen Netzwerk an befreundeten Artists dürfte das mit der stilistischen Breite leicht gelingen. Bei Klinke Auf Cinch hat dies ebenfalls geklappt.
Einige neue EPs sind in den letzten Tagen herausgekommen – hier sind sie auf einem Blick.
Various Artists „Lou“ (O*RS)
O*RS kommt mit einer neuen Mini-Compilation, neuem Artwork und einem neuen internationalen Schub. Denn neben Niccolò Cupo aus Düsseldorf featuret „Lou“ Tracks von Musikern aus Kanada, Griechenland und den USA. House bildet wieder den roten Faden, aber wie immer ist O*RS offen für verschiedene Abzweige.
Und so gibt es einen Schuss Electro-Funk mit Esette, balearisch-perkussive Deepness mit Niccolò Cupo sowie eine melancholisch-poppige Classic-Welle von Savvas. Mein Held ist aber Kareem Ali mit seinem „EVA“. Er lässt sich unglaublich viel Zeit, erzeugt mit dem rasenden Ticken am Anfang erst eine große Spannung, die später in eine stille Slow-House-Hymne mündet – mit fern stampfender Bassdrum und schwelgerischen Streichern.
Wosto / Kilian Krings „SBZ002“ (Sign Bit Zero)
Sign Bit Zero ist für mich mit eine der interessantesten Neuentdeckungen in diesem Jahr. Kilian Krings bringt mit dem Label düstere und kühle Post-Punk-Industrial-Vibes auf den Dancefloor – wir hatten ihn damit bereits im Interview. Auf der zweiten EP gibt es nun Edits von Kilian selbst und dem Hamburger Wosto. Sie haben sich verschiedene Originale aus dem Underground der 1980er genommen, darunter auch von Suicide Commando, und sie dramaturgisch so gestreckt und gerader gerückt, dass daraus höchst eigenwillige Dancefloor-Tracks geworden sind.
Die kargen und teils extrem ruppigen Atmosphären bleiben aber erhalten, auch die Beats scheinen sich aus der selben dreckigen Substanz herauszukristallisieren. Alles klingt sehr DIY und rough, irgendwie auch neurotisch und dystopisch. Aber eben auch sehr sehr anziehend. Top-EP.
Zacharias „Rule Remixes“ (Esoulate Music)
Zacharias hat im letzten Dezember ja sein Debüt-Album veröffentlicht, das mir durch seine klassische House-Deepness durchaus gefiel. Jetzt folgten auf Esoulate Music die Remixe dazu. Außer für den Berliner Mario Aureo blieben die Remix-Aufträge in Leipzig: Jimmi Hendrik, Mathias Ache & Mule sowie Ron Deacon. Das klingt bei Mario Aureo und Mathias Ache & Mule eher aufgeräumt, sauber und geglättet.
Jimmi Hendrik pusht sein Interpretation dagegen mit mehr Druck und staubiger Bassline, Ron Deacon holt am vielschichtigsten aus – mit hypnotisch-reduzierten Sequenzen, aus denen es später ins Hymnische übergeht. Ron Deacon ist einfach der King.
Zacharias „Airport Mornings“ (A Friend In Need)
Neben den Remixen zu seinem „Rule“-Album kommen, erschien im Oktober eine weitere Zacharias-EP. Sein einerseits gut breakiges, andererseits etwas synth-überladenes und angekitschtes Stück „Airport Mornings“ wurde von drei A Friend In Need-Buddys geremixt.
Und erstmals kann ich mit einem Iami-Track nicht viel anfangen. Seine Version gerät ebenfalls auf einen arg pathetischen, ravig aufgeladenen und eingedunkelten Pfad. Kumquat und Roberta wählen den sicheren, klassischen Deep House-Weg – was hier in beiden Fällen aber bestens aufgeht.
Schlepp Geist & Douglas Greed „Hub Twenty“ (Hive Audio)
Schon etwas länger ist die gemeinsame EP von Schlepp Geist & Douglas Greed draußen. Mit „Hub Twenty“ sind sie ordentlich auf Rave-Kurs: erst langsam, dark, ja fast krautig startend, dann eine gefühlte Ewigkeit runterfahrend und schließlich synth-knarzend abziehen. Am Ende wird daraus ein Tech House-Track, bei dem nicht ganz klar ist, ob er subtil ironisch oder todernst wirken möchte.
Mit „Immortal“ wird es breakiger und teils dissonanter, zugleich aber auch latent poppiger durch die Vocals der Sängerin Kristina Sheli. Das ist mir alles zu ravig.
Natalie Luengo „Crave EP“ (BRB Digital)
Neues auch von Natalie Luengo – auf dem Digital-Label der Brandenburg Allstars. Ihre drei Tracks darauf transportieren die klassische Detroit Techno-Sehnsucht. Auch in den Bassdrums und HiHats steckt einiges an guter Patina, mit viel Power in den Sounds und in schlüssig aufgeräumter Weise.
„Upset“ ist atmosphärisch und dramaturgisch mein Favorit. Bei den Remixen sticht Knut S. heftig heraus, der mit einem aufpeitschenden Mitklatsch-Vocal-Sample das Original direkt aufs Dorffest katapultiert. Häh?
Die EP „Chilazon“ hatte es im Sommer bereits angekündigt, nun ist es soweit: Das zweite Album von Kassem Mosse ist da.
Kassem Mosse hat sich ja über die letzten Jahre einen enorm originären Signature-Sound angeeignet, der trotz seiner assoziativen Elemente und trotz der vielen Releases nie an Faszination verloren hat. In diesem Jahr gibt es einige interessante Verschiebungen.
Schon „Chilazon 1“ überraschte durch seine unbeschwert loopige, fokussierte Leichtigkeit, während die anderen beiden Tracks durch eine neue Klarheit auffielen. „Disclosure“, das zweite Album geht nun noch einige Schritte weiter. Die Stücke lösen sich noch viel mehr von den bei Kassem Mosse eh schon sehr frei interpretierten House-, Techno- und Electronica-Konventionen. Und sie sind stärker von einem granularen Aufspalten einzelner prägnanter, abstrakter Sounds geprägt. An vielen Stellen fällt „Disclosure“ dadurch wesentlich experimenteller und forschender aus. Kristalliner und unterkühlter, nach mehr sonischen Leerstellen. Und zugleich eben – wie bei „Chilazon“ schon – klarer reduziert und verdichteter.
„Monomer“ und „Molecular Memories“ ragen da als geradlinige, super schnelle Ausnahmen heraus, quasi wie ein Link zum Debüt-Album, bei dem der Dancefloor-Bezug noch ausgeprägter war. Aber auch diese beiden Tracks pulsieren in einer anderen, kargeren Weise.
„Disclosure“ hebt den emanzipatorischen Charakter des Kassem Mosse-Sounds nochmals auf eine neue Ebene.
Weiter von allen Dancefloor-Diktaten entfernt als je zuvor und mit der Freiheit, die sich auf B-Seiten und Alben ergeben. Ich bleibe Fan-Boy.
Wir sind sehr geflasht von Arpens Solo-Debüt-Album und wollten mehr zur Entstehung erfahren. Hier ist unser Interview mit ihm.
Letzte Woche haben wir es bereits euphorisch vorgestellt. Vielleicht übertreibe ich auch, aber die Art, wie Arpen die klassischen Pop-Schemen entzerrt, ohne ins Avantgarde zu kommen, bewegt mich gerade sehr. Zum Interview traf ich dann einen ebenso unprätentiös-ernsten wie emotionalen Musiker mit einer scheinbar unermüdlichen Freude am Entdecken und Schreiben neuer Musik. Jemand, der trotz seiner musikalischer Ernsthaftigkeit und Reife auch pragmatisch auf sein Schaffen schaut.
Bisher warst du hauptsächlich in Band-Konstellationen oder als Gastmusiker unterwegs. Wie war es für ein Solo – Album zu arbeiten?
Es ist einen relativ langen Weg gegangen ist. Ich wusste auch gar nicht ganz genau, was am Ende herauskommen sollte. Ich wusste eigentlich nur, mit wem ich das machen will. Aber das ist eigentlich immer so. Wir haben sehr viel gemeinsam im Studio gearbeitet. Da braucht man erstmal Zeit, um in einen Workflow reinzukommen. Die Urteilsfindung in manchen Fragen hat sich manchmal schon gezogen, weil ich erstmal herausfinden musste, was ich eigentlich gerade vorhabe.
Es ist ja elektronischer und offener geworden.
Ja, das ist einer der wenigen Punkte, der mir von vornherein klar war.
Woher kam das – gab es neue Inspirationen?
Es gab schon musikalische Inspirationen. Aber generell ist das einfach die Richtung, in die ich mich entwickelt habe und die ich musikalisch interessant finde – und in dem Zuge ist die Kooperation mit Niklas Kraft entstanden. Aber das hat natürlich auch viel mit Zodiaque aus Berlin, mit denen wir das Album aufgenommen und gemischt haben, zu tun. Da führten ein paar Wege zusammen. Ausschlaggebend ist aber vor allem die eigene musikalische Entwicklung.
Warum wolltest du mit Niklas für das Album zusammenarbeiten?
Wir kannten uns schon eine Weile, hatten aber nie etwas miteinander gemacht, weil er viel in anderen Kontexten gearbeitet hat. Unter anderem hat es mit dem Album so lange gedauert, weil ich es unbedingt mit ihm umsetzen wollte.
„Niklas ist ein sehr interessanter Musiker und ich wollte eben diesen Geist drin haben.“
Eine bestimmte musikalische Herangehensweise, gar nicht so sehr bedacht darauf, was er zum Beispiel für ein Instrument spielt und wo er unterwegs ist. In Kooperationen finde ich die generelle Herangehensweise an Musik von demjenigen am wichtigsten, mit dem ich das gern durchführen möchte. Das ist für mich eine Brain-Sache, um eine ganz bestimmte Persönlichkeit in einer Produktion zu haben.
Das Zusammenarbeiten mit anderen Leuten ist dir generell wichtig?
Ja, immer. Oft ist es so, dass ich eine Idee von etwas habe und dann will ich es mit bestimmten Leuten umsetzen, weil bereits in der Konzeptionierung oft schon etwas steckt, das es von außen benötigt. Das finde ich auch am spannendsten – sowohl die Ideen von anderen aufzunehmen als auch meine eigenen Ideen in diese Kombination einfließen zu lassen. Wahrscheinlich entsteht daraus auch die Tatsache, dass ich bisher musikalisch sehr unterschiedlich gearbeitet habe. Am Ende geht es immer darum, wie man verschiedene Gehirne verbinden kann.
Du bist also ein Puzzleteil von vielen. Oder würdest du bei dem Solo-Album sagen: „Das bin jetzt wirklich ich“?
Ja, das auf jeden Fall. Aber ich sehe mich immer als ein Puzzleteil von einem Ganzen. Ich habe den Release schon bewusst als „Arpen“ betitelt um einen neuen Startpunkt zu setzen und dem keinen anderen Namen gegeben. Aber am Ende entsteht Musik bei mir trotzdem immer gleich. Fast egal in welchem musikalischen Kontext ich arbeite.Im Info-Text ist ein schönes Bild formuliert: Im Prinzip hattest du die Stücke schon lange im Kopf, aber die Form fehlte. Wie überwindet man so etwas? Eben mit anderen Musikern?
Ja, das glaube ich schon. Es ist aber natürlich auch die Frage, was man als Stück oder Song definiert. Darin bin ich wesentlich freier geworden. Am Ende ist für mich wichtig: Was macht das Stück mit mir? Wohin führt es mich? Wenn ich etwas bestimmtes habe und in diesem bestimmten Moment macht es genau dieses oder jenes mit mir, dann erscheint es mir als „richtig“ und ich gehe diesen Weg weiter. Am besten funktioniert das Entstehen von Musik darüber, dass ich weiß, was ich noch nicht darin höre. Und dann nähere ich mich einem Ideal an. Zumindest für diesen Moment. Wenn ich das Album jetzt aufnehmen würde, würde ich viele Sachen schon wieder ganz anders machen.
Noch offener und freier?
Ja, und noch viel länger.
Stimmt, es ist super kurz. Es ist super pointiert mit den Stücken, aber am Ende denke ich, dass da noch eine Viertel Stunde mehr kommen könnte.
Das ist tatsächlich so, ja. Vielleicht ist das auf eine gewisse Art auch eine Schwäche des Albums. Aber so war es und dafür habe ich mich entschieden. Live wird es sich aber anders gestalten.
„Das Album hängt schon noch sehr an der Songform.“
Das ist ein Aspekt, den ich beim nächsten Album anders machen möchte.
Aber eigentlich finde ich schon, dass die Songform an vielen Stellen aufgebrochen ist. Da ist ja viel vom Pop-Ursprung weggelassen.
Ja, auf jeden Fall. Weglassen und Destruktion sind mein Thema. Das zieht sich eigentlich durch fast alles, was ich musikalisch mache. Soweit, bis es am Ende nur noch die Hälfte von dem ist, was ich am Anfang dachte zu brauchen. Gerade der Destruktionsgedanke von Form ist bei mir relativ gegenwärtig. Aber dieser Release jetzt wird einer von mehreren sein – und das ist der jetzige Stand, der in irgendeiner Form erstmal fertiggestellt werden musste. Irgendwann musst du diesen Punkt abschließen, um zum nächsten zu kommen. Man kann nicht ewig daran herumbasteln, unabhängig davon, wie man sich jetzt ein Jahr später dazu positioniert.
Ist für dich in der Kürze des Albums aber alles gesagt, was du sagen wolltest?
Ja. Und um nicht aus allem ein Geheimnis zu machen: Es war einfach das beste Material, was ich zu der Zeit hatte. Ich bin auch immer noch happy damit. Hätte ich es länger machen wollen, hätte das noch einmal mindestens bis jetzt gedauert. Und auch dann verändern sich wieder Dinge, werden Sachen rausgehauen – und am Ende ist es dann wieder so kurz.
Du hast das Album einer Fotografin gewidmet, Taryn Simon. Warum?
Taryn Simon ist eine fantastische Künstlerin, die unter anderem mit Fotografie arbeitet. Fotografie ist ihr Dokumentationsmedium. Sie arbeitet auch stark inhaltlich. Sie hat ein Buch namens „An American Index of the Hidden in Unfamiliar“ herausgebracht, das mich extrem inspiriert hat. Wenn du ein Bild eben nicht nur ästhetisch, sondern genau so intensiv auch inhaltlich betrachtest, bekommt es quasi noch eine inhaltliche Ästhetik. Das finde ich unheimlich interessant.
Also der Kontext, der mit dem Bild verbunden ist.
Genau, der Kontext, der mit dem Moment des Bildes einhergehen muss. Du kannst es nicht losgelöst von dem Inhalt betrachten. Dann wäre es ziemlich unspektakulär. Durch beide Punkte bekommt das Bild aber eine Kraft und Tiefe. Seitdem ich das Buch entdeckt habe, habe ich mich stark mit ihr beschäftigt und in den letzten Jahren ist sie jemand gewesen, dessen Arbeit ich sehr interessiert verfolgt habe. Taryn Simon hat auf jeden Fall viel dafür getan, dass das, was ich jetzt veröffentliche, entstanden ist.
Wie kann man sich das konkret vorstellen: Die Bilder waren vor dem Songwriting da?
Es sind weniger ihre direkten Bilder als die Herangehensweise. Was ich auch interessant an ihr finde: Ich weiß nicht, ob das tatsächlich ihre Intention ist, aber sie macht den Kopf für alles Individuelle auf. Zum Beispiel: Hier ist eine Blume, die sieht aus wie Tausend andere, aber ich rede exakt von dieser einen zu sehenden Blume. Das ist ein interessanter Blick. Sachlich, aber darin steckt auch eine extreme Emotionalität. Unter diesem Blick ist alles einzigartig.
Gibt es inhaltlich eine Linie, die du durchziehen wolltest?
Es ist schon geschlossen, aber nicht kontextuell in sich geschlossen. Oder zumindest nicht so, wie ich das mittendrin dann mal vorhatte. Next time.
Was war die ursprüngliche Konzeption?
Die war viel songlastiger. Am ersten Tag der Session sind wir alle Songs durchgegangen und ich habe gemerkt, dass alles scheiße ist. Da habe ich erstmal drei Songs wieder rausgehauen und ein paar Ideen verworfen. Man muss für sich selbst auch immer erstmal verbalisieren, was daraus werden soll. Das geschieht am besten, indem man Sachen ausschließt und weniger indem genau weiß, wo man hin will. Denn dann hat man nur diese eine Option für sich und für das Material.Bei dem Booklet sind acht Fotos dabei – steht jedes für einen der acht Songs?
Ja.
Und jeder kann es sich selbst zuordnen?
Genau. Das soll sich jeder selbst zusammen assoziieren. Sechs davon sind von mir, zwei sind von Jana Lidolt, die auch das Artwork gestaltet hat.
Du hast für dich eine Sortierung?
Ja, habe ich, verrate ich aber nicht. Es geht darum, dass man den Fotos seinen eigenen Content zuweist. Aber acht Bilder und acht Songs – da gibt eine offensichtliche Parallele. Ich möchte auch nicht so den Über-Metaberg drüber ballern.
Bei den Videos hast du auch eine starke Bildsprache gewählt. Aber theatralischer und überzeichneter, finde ich. Die Fotos haben etwas beiläufiges, dokumentarisches. Bei den Videos wolltest du offensichtlich noch etwas anderes ausdrücken.
Daran merkt man, wie sich die Sicht auf die eigene künstlerische Idee ändert. Als die Konzeptionierung für das Album fertig wurde, gab es da noch eine etwas andere Sicht auf den visuellen Aspekt, den ich damit verbinden möchte. Aber durch die Videos hat das einen komplett anderen Dreh bekommen. Da zeigt sich, wie man die Songs auch inhaltlich in vollkommen andere Interpretationen packen kann. Das ist einfach work in progress und da muss man sich locker machen.
Wird dieses Visuelle auch bei den Konzerten eine Rolle spielen?
Man muss es praktisch sehen: Klar hätte ich gern Visuals und ein komplettes Lichtset dabei, aber gerade ist es mir nicht so umfassend möglich. Auch das benötigt ein Konzept. Das ist nicht das letzte Album und das möchte ich in Zukunft auf jeden Fall wesentlich stärker einbeziehen.
Business as usual: Wieder eine neue 12″ auf Alphacut mit vier Tracks diverser Halfstep-Frickler – wieder eine 7″ auf 45Seven mit zwei dubbigen Uptempo-Tracks. Ja, man kann schnell den Überblick über den Output beider Labels verlieren, treten doch schon rein optisch die einzelnen Artists und ihre Tracks hinter dem Reihen-Konzept zurück. Nicht nur das: Im Grunde prägen nur wenige Leipziger Labels ein so einheitliches Klangbild durch ihre Track-Auswahl wie Alphcaut und 45Seven. Aber vielleicht ist es auch die hohe Anzahl an Platten, die diesen Eindruck stützt.
Nun erscheint also die sechste Platte der dritten Welle auf Alphacut. Verwirrt? Ein Blick auf Discogs zeigt, dass ähnlich wie bei Comic- oder TV-Serien die Katalog-Nummerierung in einzelnen Staffeln aufbereitet wird. Das macht das Zählen gleich viel praktischer.
Wie der Titel „Halftime Schmoosteps EP“ schon verrät, spielen die vier Stücke wieder mit halbierten Drum & Bass-Grooves. Dominic Ridgway nimmt mit „Hydrocele“ dabei – ohne jede Brachialität – gleich richtig Fahrt auf und liefert die einprägsamsten Melodien der Compilation. Mit dem angezerrten Bass in „Wildfire“ von Out Of Fuel wird es gleich viel dunkler. Besonders ab der Mitte öffnet sich hier Raum für einen hypnotisierenden Groove. Geradliniger und aufgeräumter wirkt dagegen „Step In Line“ von Elemental, während Material mit „16 Tons Dub“ wieder den Bogen zum Dub und damit auch zu 45Seven spannt.
Die sechzehnte 7″ wird diesmal von E3 bespielt, der mit seinem eigenen Label ZamZam Sounds in Portland ein ganz ähnliches Konzept wie 45Seven fährt (und sogar noch mehr Singles veröffentlicht). Orientalische Samples durchziehen das stark verhallte „Higher Science“ auf der A-Seite.
Auf der zweiten Seite umrahmen die Reggae-Versatzstücke die prägnante Bassline von „Trouble“. Zwei sehr deepe und im Vergleich zur Alphacut-EP im Zeitlupen-Tempo rockende Stücke.
Mit der Kondi Band wird am 19. und 20.10. ein Highlight in Sachen globaler Bass-Musik in Leipzig zu Gast sein. Chief Boima und Will LV, beide bereits auf Labels wie Brownswood, Dutty Artz und Hyperdub vertreten, treffen hier auf den Kondi-Musiker Sorie Koroma aka Sorie Kondi. Heraus kommt eine „Fusion traditioneller Kondi, U.K. Bass Sounds, karibischen Styles und zeitgenössischer westafrikanischer (elektronischer) Musik“, wie in der Ankündigung festgehalten wurde.
Bevor sie am Donnerstag in der Distillery live spielen, habt ihr bereits am Mittwoch den 19.10. die Möglichkeit, einen tiefen Einblick in das Schaffen der Kondi Band zu bekommen. In einem Workshop der SAE wird die Schnittstelle zwischen afrikanischer und elektronischer Musik sowie der Produktionsprozess des kommenden Albums diskutiert. Aber auch die Wahrnehmung außereuropäischer Musik aus Sicht der Hörer und der Musikindustrie soll zur Sprache kommen. Noch gibt es freie Plätze – hier nochmal die Fakten:
Insights: Kondi Band Datum: 19. 10. | 17:00 – 20:00 Uhr Ort: SAE, Dittrichring 10 Weitere Informationen und Anmeldung hier.
Wir verlosen zwei Freikarten für das Konzert in der Distillery am Donnerstag, den 20.10. Schreibt mit dem Betreff „Kondi Band“ an: dance@frohfroh.de
Am kommenden Donnerstag findet der erste Teil der Gegenkrach!-Reihe im IfZ statt. Vorab gibt es einen Diskurs zum Krach mit Kurator Alexander Pehlemann.
In ingesamt drei Teilen schlägt die Gegenkrach!-Reihe zwischen Oktober und Dezember den Bogen von den historischen Anfängen und Entwicklungen der Lärmkunst zur heutigen Clubkultur. Denn die heutige Clubmusik ist durchaus „Resultat langer emanzipatorischer Kämpfe.“
Nicht nur inhaltlich ist diese Reihe definitiv eines der Herbsthighlights im IfZ-Programm. Sie wurde auch extrem schlüssig und hochkarätig von Alexander Pehlemann sowie dem Kulturraum e.V. kuratiert.
Pehlemann gibt seit 1993 das Magazin Zonic heraus, das sich tief in die Geschichten und Eigenheiten verschiedener, internationaler Subkulturen begibt. Er ist außerdem Autor beim Ventil Verlag, beim Kunstraum Kulturny Dom Lipsk / Salon Similde involviert, DJ beim Al-Haca Soundsystem und nebenbei ein wandelndes Lexikon für osteuropäische Subkulturen. In seiner Connewitzer Wohnung beantwortete er mir einige Fragen:Wie kam die Idee für die Reihe?
Ich habe mich mit dem IfZ getroffen und ein paar Ideen lanciert. Eine davon war, einmal daran anzusetzen, was sich für historische Fluchtlinien von elektronischer Clubkultur aufstellen lassen könnten. Jetzt ist dieser Dreischritt daraus geworden.
„Zusammen mit dem Kulturraum e.V. und dem IfZ haben wir vor einem Jahr eine Konzeption entwickelt und geschaut, wie es auch zum Ort passt.“
Das finde ich beim IfZ auch interessant, dass es diese Offenheit zur Bildenden Kunst gibt und dass man dies gern weitertreiben möchte.
Der Titel ruft zwar etwas plakativ eine Gegnerschaft aus. Aber beim Futurismus ging es auch noch um ein Entgegensetzen. Da wurde sich gegen die Übermacht der Vergangenheit in Italien aufgestellt. Aus Sicht der Futuristen war Italien ein riesiges Museum, das in seiner Vergangenheit feststeckt und dem man mit einer großen Ohrfeige die Moderne in die Ohren schlagen muss. Unsere Reihe setzt da auch an, mit dem Manifest „Die Kunst der Geräusche“ von Luigi Russolo aus dem Jahr 1913.
Der Futurismus war die Keimzelle des kunstvollen Lärms?
Ja, in gewisser Weise. Es war zumindest die Ausrufung. Es gab natürlich noch weitere Künstler. Aber es lag wohl in der Luft, andere Klanglandschaften einzuspeisen, die neue Geräusche der Umgebung widerspiegelten. Parallel verlief die Suche nach der Atonalität bei Schönberg und danach mischt Dada die Avantgarde auf – auch ein Aufruf zum totalen Umbruch und offensiven Nonsens.
In die Zeit fällt auch Jazz, der für den klassisch europäisch geschulten Kulturmenschen auch erstmal eine Lärmattacke war. Nach dem ersten Weltkrieg vollzog dann unter anderem in der Sowjetunion die Entwicklung der elektronischen Musik mit ersten handlichen elektronischen Instrumenten entscheidende Fortschritte. In den frühen 1920ern wurde dort auch in sehr radikaler Form der Lärmkunstgedanke aufgegriffen. Da gab es Konzertaufführungen für Fabriksirenen.
Krach in dem Sinne hat schon etwas mit Innovation, Befreien und Aufbrechen von Strukturen zu tun?
Ja, durchaus. Im Bewusstsein der möglichen Ambivalenzen muss aber hinzugefügt werden, dass es auch den regressiven Krach gibt. Krach, der affirmativ an Gewalt appelliert und eine Verkörperung eines Klangsozialdarwinismus ist. Das ist ja eine Diskussion, die man auch anhand von schnöder Rockmusik führen kann. Natürlich ist auch nicht zu vernachlässigen, wie die Dinge manipulativ eingesetzt werden können, im Sinne von Propaganda. Es sind ja Wirkungsmechanismen, die erstmal funktionieren. Gebündelter Krach, zum Ornament geformt ist dann ganz schnell Pathos. Und Pathos ist schnell auch Kitsch, aber auch ein funktionierender Aufwühlmoment.
Gibt es so etwas wie eine Evolution des Krachs?
Es gibt vielleicht eine Ausdifferenzierung. Es gibt heute die extremen Möglichkeiten der digitalen Produktion, die sämtliche sonischen Ausdrucksmittel abrufbar gemacht haben. Russolo hat noch mühselig riesige Apparaturen gebaut, um verschiedene Formen von Krach erzeugen zu können. Er hat sogar Krachfamilien entworfen, Schnarren, Pfeifen, Quietschen, etc. Dann gibt es natürlich den real existierenden Umgebungskrach, der eingespeist wird. Das hat der Futurismus vorher schon eingefordert, beispielsweise mit der Lautpoesie. Da gab es im Futurismus teilweise eine Nachbildung des realen, modernen Krachs der Maschinen, die einen damals plötzlich im Alltag umgeben haben.
Neu war, das überhaupt ästhetisch wahrzunehmen. Nicht als Störelement und als reinen Krach, sondern als etwas, das man ästhetisch vielleicht erstmal nur wahrnehmen, später aber auch goutieren und als Material benutzen kann. Später konnte man die Dinge auch speichern, wodurch sich das gespeicherte Material auch wieder eingespeist werden konnte – das entwickelt sich immer weiter. Es gab ja eine lange Phase, in der mit Manipulationen von Magnetbändern gearbeitet wurde, Loops zerschneiden, Dinge zerlegen und neu zusammenzusetzen. Da ist mit der Digitalisierung nun alles möglich. Alles ist zudem seither auch schon da und permanent abrufbar.
Kann es auch eine Neubewertung von Krach geben? Etwas was ursprünglich als Krach empfunden wurde, wird irgendwann als ästhetisch wahrgenommen? Beim Techno kann das ja so gesehen werden, aber gibt noch andere Beispiele?
In der neuen E-Musik gibt es das, die Gewöhnung an Atonalität und Dissonanz, egal ob mit klassischem Instrumentarium oder mit Zuspielband erzeugt. Das ist generell aber etwas, über das man dann sicher mit Dimitri Hegemann gut sprechen kann. Zumindest kann man sagen: Gut, die Dinge haben ihre Schockwirkung, aber diese Wirkung schlägt auch bald um in eine Art Gewöhnungsrezeptionshaltung und dann muss es irgendwie noch weiter gehen. Zum Beispiel in der Bemühung, die Dinge immer weiter aufzulösen.
Das lässt sich auch in anderen Bereichen wie Black Metal hören. Am Ende geht es da auch fast bis zu einer monochromatischen Auflösung in der Soundwolke und dann ist der Bogen schnell zu einer Band wie Sunn O))) geschlagen, die auch auf Minimal Music und moderne ernste Musik zurückgreift. Da kommen die Dinge plötzlich zusammen und dann spielt so eine Band eben auch im Berghain.
20.10.2016 / Der Kampf um den Lärm – zur Ästhetik der Geräuschmusik
Am ersten Abend wird Dr. Johannes Ullmaier, Mitbegründer und Mitherausgeber der testcard-Reihe einen einleitenden Vortrag halten, der exemplarisch einige Stationen zwischen Luigi Russolos Manifest „L’Arte dei Rumori“ – „Die Kunst der Geräusche“ –, Musique Concrete bis hin zu Industrial als wichtigem Impulsgeber für Techno anreißen wird.
Im Anschluss wird der Dokumentarfilm „Industrial Soundtrack For The Urban Decay“ gezeigt, der in mehreren Artist-Interviews die Entstehung von Industrial nachzeichnet.
25.11.2016 / Kassettentäter Ost/West
Östlich und westlich der innerdeutschen Grenze existierten eigene Szenen, die sich von Punk und Post inspiriert selbst verwirklichten und in Eigenvertrieb Kassetten herausbrachten. Mit Felix Kubin aus Hamburg und Jan Kummer vom weirden Avantgarde-Kollektiv AG Geige aus Chemnitz erzählen zwei Szene-Protagonisten aus ihrer Zeit in den 1980er Jahren.
Danach gibt es ein Live-Set von Karl Marx Stadt, der tatsächlich dort geboren wurde und zufällig ein Schaufensterkonzert von AG Geige erlebte. Am 25.11. wird er alte Original-Aufnahmen mit seinen analogen Synthesizern remixen – teilweise wird sogar Jan Kummer daneben stehen und alte AG Geige-Texte vortragen. Etwas, das so schnell wahrscheinlich nicht wieder passieren wird. Logisch, dass es an dem Abend auch die limitierte AG Geige-Box geben wird. Anschließend mixen Pehlemann und Kubin gemeinsam den Ost-West-Underground zusammen.
16.12.2016 / Atonal | Funktional
Im letzten Teil der Reihe wird Dimitri Hegemann aus seinem Leben auf der Tangente (West-)Berlin und Detroit erzählen. Der Begründer des Tresor-Clubs und Atonal-Festivals hat wie kaum ein anderer Akteur den Übergang zwischen Industrial, Post Punk und Wave hin zu Techno mitgeprägt. Heute versucht er in Detroit und in der Provinz des Berliner Umlands neue Strukturen aufzubauen.
Passenderweise spielt an diesem Abend auch Basic Channel-Hero Moritz von Oswald ein DJ-Set. Eine osteuropäische Konzept-Kunst-Legende sind Autopsia, die sich im serbischen Novi Sad 1980 gründeten und heute in Prag leben. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit dem Tod, musikalisch bewegen sie sich zwischen „Industrial, Neoclassical-Ambient und dystopischen Dub“.
Darüber hinaus wird es an diesem letzten Abend mit „Full Zero“ eine audiovisuelle Live-Performance des Dresdner Künstlers Ulf Langheinrich geben. Minimal Sound und hypnotische Bassstrukturen in 4.1-Surround werden mit extrem nahen Kamera der chinesischen Performerin Luo Yuebing verknüpft.
Acht Jahre hat es gedauert – doch nun ist Matthias Tanzmanns zweites Album herausgekommen.
Vor einem Monat ging recht überraschend die erste Ankündigung raus, das der „Restless“-Nachfolger ansteht. Und es machte sich bei mir eine gewisse Vorfreude breit. Denn einerseits bringen die Artist-Alben auf Moon Harbour meist ein paar gute Verschnaufpausen von der EP-Funktionalität, andererseits ist es natürlich spannend zu hören, was Matthias Tanzmann nach so langer Zeit im Langformat zu sagen hat.
Konzeptionell nicht viel neues: Auch „Restless“ brachte einen Mix aus straighteren, deepen und dubbig-ruhigen Stücken mit sich. Ein Album für verschiedene DJ-Stimmungen, so beschrieb Matthias Tanzmann den Albumansatz 2008 und so tut er es auch 2016. Ästhetisch sind die zehn Tracks auf „Momentum“ aber durchaus auf einem weiteren Level. Da ist einerseits die Reduktion noch mehr verfeinert und abgerundet worden. Da sind aber auch ein paar mehr Tech House-Längen und ab und zu ein cleaner, plastischer Funk mit drin.
Aber die Hälfte des Albums gibt sich eine ordentliche Spur runtergefahrener, entspannter und weniger auf den Dancefloor fokussiert. „Tamarin“ und „Sfumato“ beispielsweise. Beide sind angenehm understatement und subtil minimalistisch. „Rybu“ gefällt durch seine süß melancholische, poetische Grundstimmung. Und mit „Fireworks On The Roof“ sowie „Uptown Vitamins“ besinnt sich Tanzmann auf den Deep House um 2000, super entschlackt, aber mit großer warmer Deepness versehen. Auch „Laika“ geht zu den Wurzeln, hier aber mehr zu den dubbigen House-Ausläufern.
Auch wenn meine Freude an „Momentum“ eher aus einer Nostalgie als einem innovativen Ansatz resultiert: Es bringt mir Matthias Tanzmann und Moon Harbour für einen Moment näher – und bestenfalls dauert es nicht wieder acht Jahre bis zum nächsten Album.
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