„Der Zirkus geht weiter“* – 5 Jahre Institut fuer Zukunft

Geburtstage, Jubiläen – gerade gibt es sie an jeder Ecke, in jedem Club. Es wird nicht nur gefeiert, sondern auch ge-fei-ert. Clubgeburtstag, Labelgeburtstag, Crewgeburtstag…

Die runden und halbrunden Jubiläen sind für uns als Autor*innen natürlich besonders interessant. Auf unserem Blog werden also in nächster Zeit noch mehr Interviews, Retrospektiven und Zukunftsspinnereien stattfinden. 

Das letzte Interview mit Vertreter*innen des Institut fuer Zukunft und frohfroh gab es nach dem ersten Jahr nach Eröffnung des Clubs. Das ist mittlerweile vier Jahre her. Es war also nicht nur Zeit, sondern es gab auch einen besonderen Anlass, sich wieder mit dem IfZ zu verabreden. Denn das IfZ feiert sein Jubiläum nicht ‚nur‘ mit Partys und einer Clubnacht nach der anderen, sondern bringt das erste IfZ-Vinyl auf den Markt, organisiert eine Ausstellung namens ‚Trakt IV‘ mit Fotografien und setzt sich mit interner und externer Kritik zum Club innerhalb eines Panels auseinander. 

Wir haben anlässlich des 5. Geburtstags nachgefragt: Kommt der Darkroom wieder? Was ist mit der Vertigo? Wo geht es mit dem IfZ hin, wenn das Areal um den Kohlrabizirkus für die „Boom-Stadt“ Leipzig mit Parkdeck, Wohnungen, Fitnessstudio und Kita fit gemacht wird? Wie hat das IfZ in den letzten Jahren auf die Leipziger Szene abgefärbt und ist die Platte nun der Startschuss zum eigenen Label..?

Antworten darauf gaben Markus und Neele, die beide als Booker*innen im IfZ arbeiten.

Past vs. Present

frohfroh: Ihr feiert euer fünfjähriges Bestehen in einer ganzen Woche mit Ausstellung, Diskussion, Record-Release und Party. Worauf freut ihr euch am meisten in der Geburtstagswoche?

Markus: Auf die ganze Woche an sich. Da steckt so viel Arbeit und Herzblut von allen hier drin – jetzt kommt es auf den Punkt, eine Woche lang.

Neele: Dito, ich freue mich auch auf alle fünf Tage. Mir war aber eine inhaltliche, kritische Veranstaltung zum 5. Geburtstag sehr wichtig, die es in Form des Panels geben wird. Auch das Vinyl, dass wir das nun mal geschafft haben – darauf freue ich mich natürlich auch. 

Markus: Die Foto-Ausstellung von Dana Lorenz und Sophia Kesting ist auch nochmal sehr besonders, weil von der bisher nicht viele wussten. Das ist über zwei Jahre entstanden und es wird dort (in der Galerie für zeitgenössische Kunst) auch eine Soundinstallation von Perm geben.

Habt ihr euer Ziel (vor fünf Jahren formuliert) etwas zu erschaffen „was ein guter Club bieten sollte“ erreicht?

Neele: Da gibt es zwei Ansichten. Einmal diese Außensicht, vor allem im internationalen Kontext, also von internationalen Künstler*innen und Gästen, die das IfZ besuchen. Da kommt viel Lob für unseren Raum, diesen Freiraum, den wir hier erschaffen haben, der einzigartig ist. Das ist oft Balsam. Und dann gibt es noch diese Innenansicht – von uns, die hier arbeiten. Hier werden niemals alle zufrieden sein, was auch gut so ist. Denn ein Projekt, wie auch dieser Club, ist nur so gut wie seine Kritiker*innen. Es gibt immer wieder Wünsche und Baustellen, die wir beackern können.

Markus: Es ist weiterhin ein fortwährender Prozess.

Vor fünf Jahren war auch der Darkroom ein Teil dessen, was einen guten Club ausmacht. Jetzt ist er zu, er war in letzter Zeit nur unregelmäßig geöffnet. Bleibt der Darkroom für immer geschlossen?

Neele: Wir hoffen, er wird wieder aufgemacht. Also, ja – wir haben es vor. Es ist nicht so einfach, da das Konzept für den Darkroom noch recht unausgereift ist. Der Anspruch ist schon noch da. Alle paar Monate finden sich immer wieder ein paar Leute, die das Thema angehen.

Ist das als Hinweis darauf zu verstehen, dass es auch wieder eine Vertigo geben wird?

Neele: Wir arbeiten tatsächlich daran.

„2019 wollen wir eine Vertigo veranstalten – aber bitte nicht böse sein, wenn es doch 2020 wird.“

Wie viele Menschen sind mittlerweile im IfZ aktiv?

Neele: Es sind viel mehr Leute geworden. 200 Menschen arbeiten hier hauptamtlich, ehrenamtlich oder als Minijobber*in. Jetzt vollzieht sich bei uns auch ein gewisser Generationswechsel, es rücken mehr junge Leute nach.

Markus: Man kennt gar nicht mehr alle, gerade von den vielen neuen Leuten. Das ist auch echt cool, um nicht in so eine Betriebsblindheit zu verfallen – denn die neuen bringen auch oft nochmal Themen auf den Tisch, die in den Hintergrund gerückt sind.

Und gibt es mittlerweile auch noch mehr Arbeitsgruppen?

Neele: Wir haben mittlerweile aufgestockt. Es gibt zum Beispiel jetzt auch eine Aufbau-AG, eine Antisexismus-AG oder eine Antisemitismus-AG. Letzteres kam im Zuge der BDS-Debatte.

Markus: Da finden sich dann auch Leute zusammen, die vielleicht von anderen Clubs stammen oder gar nicht beim IfZ arbeiten.

Neele: Richtig, denn es muss keine*r bei uns arbeiten, die*der den Laden mitgestalten möchte. 

Zum Thema Arbeit im IfZ – Ein Zitat von damals: „Die ganze Nummer ist Selbstausbeutung“. Ziel sei es, langfristige Existenzgrundlagen im IfZ zu schaffen. Wie sieht es heute damit aus?

Neele: Den Satz würde ich weiterhin so unterschreiben, denn das trifft auf fast alle (freien) Kulturschaffenden zu. Bei uns arbeiten alle so knapp über Mindestlohn, aber wir arbeiten daran, die Löhne zu steigern. Das geht aber nur über Jahre. Dazu muss man aber noch sagen, dass das IfZ ein sehr cooler Arbeitgeber ist (lacht).

Markus: Da würde ich auch mitgehen. Das IfZ ist ein guter Arbeitgeber – mit uns kann man über alles reden, wir sind beispielsweise mit einem Clubrat organisiert, um empfindliche Themen anzusprechen.

Neele: Das ist auch eine der Fragen, die wir uns beim Panel stellen: Ob das IfZ einfach ein cooler neoliberaler Arbeitgeber ist oder wirklich ein kollektiver Betrieb.

Ihr beide arbeitet ja als Booker bzw. Bookerin hier. Wo ist das IfZ in den letzten fünf Jahren musikalisch hingelangt, wo wollt ihr noch hin?

Neele: Gerade haben wir einen guten Modus gefunden. Das Booking generell hat sich über die Jahre öffnen müssen. Ich finde das nicht schlecht – den Industrialeinfluss hat man anfangs noch extrem gespürt, da sind wir jetzt viel breiter aufgestellt. 

Und um sich kleinere Veranstaltung leisten zu können, müssen wir das schon querfinanzieren. Also große Techno- und House-Acts müssen ebenso gebucht werden, um auch mal experimentelle Abende zu finanzieren. 

Mir ist wichtig, dass es bei uns divers bleibt. Mir gefällt zum Beispiel eine Housenacht auf Trakt I genau so gut wie brachialer Techno.

Markus: Ich finde, wir haben so einen gewissen pädagogischen Auftrag, genreübergreifend und auch mal gebrochen zu arbeiten. Musik löst ja Schranken im Kopf und das wollen wir weiterhin machen. 

Neele: Wir sind eben personell gewachsen und die neuen Mitarbeitenden haben viel mehr unterschiedliche Präferenzen eingebracht. Wir machen keine Party für unser Bookingteam, sondern die Crew soll sich auch mit dem, was musikalisch im IfZ geboten wird, wohlfühlen. Ein schöner Effekt ist dabei, dass das IfZ mehr als sozialer Raum wahrgenommen wird. Man kann hier abhängen, ohne einmal auf der Tanzfläche gewesen zu sein. 

Markus: Öfter geht man zwar von seinen eigenen Vorlieben aus, aber das wird oft durch die Crews und Mitarbeitenden unterstützt und vermischt sich. 

Neele: Wir holen dafür regelmäßig Feed-Back unserer Crew ein, ob es Wünsche gibt. Das war jetzt zum Beispiel bei Dr. Rubinstein der Fall.

5 I V E Vinyl

Zum Jubiläum gibt es erstmals eine Platte von euch. Ist sie als Aushängeschild des Sounds des IfZ zu verstehen? 

Markus: Das Spektrum ist schon sehr breit, Trakt 1 ist eher Techno, EBM, manches etwas dubbiger, manches mehr Industrial. Trakt 2 ist schon housig, aber eigentlich ist es mehr der Future-Sound des IfZ, den man da hören wird. Man könnte aber sicherlich noch tiefer gehen.

Die Platte bringt einiges zusammen, vor allem die Künstler*innen, die vertreten sind. Zum Beispiel Monsanto High, die vorher noch nie etwas zusammen produziert haben, Tsorn oder Leibniz, die regelmäßig im IfZ auftreten, Alex aka X/319, der die Technik macht, Lynxes, der seit fünf Jahren im Hintergrund die Technik des IfZ repariert, Qnete und Carmel, sowie der erste gemeinsame Track von Perm und Wilhelm – und ich selbst war auch seit Ewigkeiten mal wieder mit meinem Freund Florian im Studio.

Es ist damit eher eine Club-Platte und keine Listening-Platte geworden. Dazu kommt, dass es noch einige Überraschungen geben wird…

Konnte man sich für die Platte bei euch bewerben?

Markus: Genau, wir haben erstmal den Resident-Stamm angefragt und dann gab es noch einige Bewerbungen aus der Crew. 

5 I V E

Ist das nun eine Label-Gründung, wie bei der Distillery?

Markus: Die Platte ist erstmal nur ein Geschenk an unsere Gäste und uns. Es ist alles offen… Das ist sozusagen unsere runde Geburtstagstorte. Die Vinyl ist aus der gesamten IfZ-Crew heraus entstanden, das war uns und ist uns sehr sehr wichtig. Ob daraus ein Label entsteht, ist jetzt noch nicht abzusehen.

Wie hoch ist die Auflage? Ist die Platte schon ausverkauft?

Markus: 300 Stück gibt es und ja, sie ist auf dem besten Weg, bald ausverkauft zu sein. Erstmal gibt es die Tracks auch nur auf Vinyl, digital wird aber auch noch kommen – später. 

Die Zukunft im Institut fuer Zukunft 

Ihr habt die Sperrstunde erfolgreich (und nachhaltig) gemeinsam mit anderen Clubbetreibenden bewältigt, dazu habt ihr den Spielstättenpreis ‚APPLAUS‘ der Initiative für Musik letztes Jahr gewonnen… Eine wertvolle Anerkennung für eure Kulturarbeit, die auch durch die Presse ging. 

Neele: Der Preis ist auch als Anerkennung von DJs und Liveacts zu verstehen, deshalb ist er so wichtig für uns. 

Ist das IfZ damit nicht immun gegenüber Bebauungsplänen oder Verdrängung..?

Markus: Das hofft man vielleicht. Für große Investoren spielt das am Ende keine Rolle, welchen Preis wir gewonnen haben oder was wir kulturell leisten. Man sieht das ja auch an der Distillery, die es seit fast 27 Jahren gibt, die trotzdem nicht in die Pläne der Stadt passt.

Neele: Von den Bebauungsplänen hier auf dem Kohlrabizirkus – Gelände haben mittlerweile alle gehört, es stand ja in der Zeitung. Wir haben von dem Vorhaben auch aus der Zeitung erfahren und uns dann Gedanken gemacht. Was ich sagen kann: Wir haben definitiv vor, an diesem Ort noch fünf bis zehn Jahre zu bleiben. Die Diskussion darüber haben wir geführt, denn das steht dem ganzen voran – die interne Entscheidung.

Wenn es dann irgendwann mal soweit ist, dass das Gelände hier bebaut wird, dann müssen wir konkret sehen, was hier nebenan entsteht. Erst dann können wir einschätzen, ob sich das weiterhin so durchführen lässt und ob das Projekt IfZ hier dann noch Sinn macht.

Und für euch beide persönlich? Wollt ihr noch fünf Jahre hier bleiben und arbeiten?

Markus: Für uns persönlich sieht es so aus, dass wir in unserer Position in diesem Projekt keine Platzwärter*innen sein wollen. Es kann auch gut sein, dass wir in Zukunft den Platz frei machen. 

Neele: Das ist auch im Sinne des Projekts. Das muss man sich auch immer wieder bewusst machen, dass es da nicht um einen persönlich geht, sondern um das kollektive Vorankommen. 

Gibt es Visionen oder Wünsche für den Club? Wenn ja, welche? 

Neele: Es kann sein, dass wir eine neue Räumlichkeit dazubekommen und ich wünsche mir, darin eine Konzertlocation einzurichten. Generell mehr Konzerte und experimentellere Abende stattfinden lassen, wäre schön.

Markus: Ich hätte mir gewünscht, auf dem Betonplatz oben ein Open-Air zu machen, aber das wird immer unwahrscheinlicher, weil so viele Bäume fehlen, die ein wenig Schutz bieten würden. Es gibt auch Überlegungen für ein Festival außerhalb des IfZs, aber das ist nicht wirklich konkret. Es gibt immer mal wieder den Wunsch, aber es ist auch ein riesiger Organisationsaufwand und es sind etliche Dinge zu beachten. 

Zum Abschluss: Wo seht ihr das IfZ nach diesen fünf Jahren international?

Neele: Unsere Reputation ist sehr gut. Viele wollen bei uns spielen, das ist ein gewisser Luxus, den wir haben. Es hat sich herumgesprochen, dass wir einen sozialen Ort geschaffen haben, der auch international beachtet wird. 

Markus: Wir werden auch als Kollektiv wahrgenommen. 

Neele: Wenn wir selbst mal unterwegs sind bzw. als DJs verreisen und international auftreten, dann merken wir auch immer wieder, wie gut unser Ort hier geworden ist. In dieser Form gibt es das nicht nochmal. 

Und in Leipzig?

Neele: Man merkt schon, dass unsere Arbeit auf andere Clubs in Leipzig abgefärbt hat, zum Beispiel unser Awareness- oder Security-Konzept. Einheitliche Eintrittspreise waren auch so ein Ding – es wird nicht mehr diskutiert, dass der Eintritt so und so viel Euro kostet. Kultur kostet Geld, das haben wir denke ich ganz gut durchgesetzt. Die Türpolitik hat auch auf andere Clubs rundherum abgefärbt. Unser Konzept wurde über Monate, Jahre ausgearbeitet. Das gab’s vorher in Leipzig einfach nicht.

Ein Teil der IfZ-Crew / Foto von Henry W. Laurisch

37 Minuten Interview waren das. Aber der Tag im IfZ ist noch nicht vorbei, zumindest nicht ganz. Aus dem Büroabteil geht es runter in den Hof, in dem es aussieht als wären die Mitarbeitenden unter die Gärtner*innen gegangen. Im Blaumann und mit Handschuhen wird hier sauber gemacht, Gestrüpp abgeschnitten und Müll weggekehrt. Frühjahrsputz. Alle möglichen Menschen, die am IfZ beteiligt sind, in welcher Arbeitsgruppe oder welcher Position auch immer, helfen mit. 

Ein paar Stimmen der Mitarbeiter*innen wollen wir noch aufnehmen, die nicht mit ihren Namen versehen werden – damit sprechen sie natürlich trotzdem für sich persönlich und nicht als Vertreter*innen einer bestimmten AG. 

Uns interessiert, worauf sich die Crewmitglieder, die teilweise auch in einer Geburtstags-AG an der Gestaltung der 5-tägigen Geburtstagswoche beteiligt waren, am meisten freuen. 

Eine Aktive freut sich besonders auf den Sonntag, „wenn dann die großen Feierlichkeiten vorbei sind“ und auf „alle Menschen, die sich von außerhalb angekündigt haben. Leute von früher, die extra für die 5-Jahres-Feier anreisen“, sagt sie. „Auf Gerd Janson!“, wirft jemand ein. 

Öfter klang an, dass die Ausstellung, die das erste zeitgenössische Dokument über das IfZ sein wird, für die Crew besonders im Mittelpunkt steht. Ein Fotoprojekt in einem Club, der sonst eine No-Photo-Policy durchsetzt, ist natürlich ein Aufhänger. 

Auch das Panel sei für die Crew eines der wichtigsten Events – genauso wie die Partys itself. 

„Ich habe auch richtig Bock zu tanzen und zu feiern – und zu arbeiten.“

Wirklich, selbst auf das Arbeiten freut man sich? „Das was man liebt, ist eigentlich keine Arbeit. Im IfZ zu sein bedeutet für mich auch immer Flucht aus dem Alltag.“ 

Eine andere Stimme betont, dass die Arbeit im IfZ (in diesem Fall als Nightmanager*in), schon immer mehr als nur ein Job war: „Ich habe hier ein grundlegendes Gefühl von Akzeptanz erfahren, dass mich über die Jahre persönlich hat selbstbewusster werden lassen.“ 

Und was wünschen sich diejenigen, die den Club jedes Wochenende aufs Neue betreuen, betreiben, sauber halten; die Getränke verkaufen und die Artists rumführen, die Technik auf dem Laufenden halten und für Licht und Sound zuständig sind, für die Zukunft des Instituts? „Dass das Projekt mit dem jetzigen Rückenwind ohne finanziellen Stress weitergeht“, meint eine Stimme des Clubs.

Uns bleibt nicht viel zu sagen – außer:

Happy Birthday, IfZ! Auf die nächsten fünf Jahre.

5 I V E  / Design: Thomas Wolf

Das Programm für die Feierlichkeiten lest ihr en détail hier:

18.04. 5 I V E – Vernissage Trakt IV & Record Release
19.04. 5 I V E – Young Shields w/ Gerd Janson
20.04. 5 I V E – Clubnacht I w/ Or:la, Voiski
21.04. 5 I V E – Clubnacht II w/ Cassegrain & Difu

Zur Einstimmung auf das lange Wochenende gibt es von Resident n.akin noch einen speziellen Podcast:

***

*Zitat/Überschrift aus „Anzeige der VICUS Group“, die ihren Bebauungsplan für den Kohlrabizirkus im Top Magazin Leipzig (2018/2019, S. 146/147) veröffentlichte. 

Heute leider nicht – III

Sie sind wieder da und gleich wieder weg: Mit Teil III der Kolumne von Antoinette Blume und einem anonymen Gastautor verabschieden sich die beiden zeitweise von unserem Blog.

M. schreibt nicht mehr oft, er ist viel unterwegs und weniger regelmäßig berauscht. Trotzdem schreibt er unserer Autorin noch ab und an – von Verdrängung, Abschalten und geplanten Partynächten.

Ist da vielleicht was zwischen uns?, frage ich mich. „Was, meinst du das ernst?!“, fragt mich meine Freundin mit weit aufgerissenen Augen.

„Guck mich bitte nicht so an, als seist du draufer als er“

Ich lache ein bisschen. Habe ich das gerade echt laut gesagt?

„Hast du mal ein Röhrchen, ich hab keins…“, murmele ich und lenke schnell ab. Ich meine nicht im erotischen Sinne. Nicht wirklich. Der Spiegel glänzt nicht mehr, er ist matt und staubig. „Es ist so komisch sich selbst anzusehen, wenn man zieht, oder?“, sage ich noch.

Ich denke an M. Er hat mir wieder geschrieben:

Es ist Dienstagabend und ich sitze auf einem Balkon eines Hotels in Österreich, habe den Wald direkt vor der Nase und höre die Vögel zwitschern.

Die Sonne geht langsam hinter den Bergen unter und es wird kälter. Den Tag über hatte es 21 Grad und die Sonne hat geknallt. Der Frühling ist da. Endlich. Ein wenig wirkt das, was ich sehe, sehr unwirklich – wenn ich daran denke, dass ich vor weniger als 48 Stunden noch auf einer Afterhour war, die im Zuge meines spontanen Ausflugs in meinen Standartklub zur besten Option für den Sonntag und den Abschluss des Wochenendes ernannt worden war.

Die Party war eher mittelmäßig und hat sich wenig gelohnt, aber es war ein guter Grund mal wieder zu konsumieren, worauf ich mega Lust hatte. Außerdem hab ich mal wieder viele meiner Feierbekanntschaften getroffen und habe diesmal sogar etwas gequatscht. Ein wenig fühlt es sich so an, als würde ich mich vom Feiern lösen, eine Entwicklung, die ich weniger gut finde… Auch wenn ich mit weniger Feiern cool wäre, würde ich nicht auf diesen Teil meines Lebens verzichten wollen…

Mittwochabend, es ist 21:01 Uhr und ich war bis gerade eben mit einem Kollegen auf einer Wiese an einem Hang, mitten im Wald. Wir haben Joints geraucht und uns Sternbilder angeschaut und über die Arbeit und unsere Pläne für die Zukunft geredet. Nichts Persönliches, aber trotzdem hat es gut getan mal über etwas Normales zu reden. Bis jetzt hab ich hier eine gute Zeit.

Sonntag. Ich sitze auf einer Bank im Wald und höre Phosphorescent. Gestern habe ich nach fast 2 Monaten wieder Alkohol getrunken.

Eine Flasche Schnaps und mindestens 8 Bier haben dafür gesorgt, dass ich nachts um 1 Uhr 300 Gramm Schokolade gegessen habe, die ich danach voller inbrunst wieder ins Klo gekotzt habe. Ich hasse Alkohol, aber in den letzten zwei Wochen sind einfach ein paar beschissene Dinge passiert, die mich beschäftigen.

Ich habe nie gelernt anders mit Problemen umzugehen, als mich abzuschalten.

Ist ja auch einfach. Verdrängung. Oft frage ich mich, was andere so verdrängen, von dem niemand weiß… Die mir dann im Club begegnen, in der Toilettenschlange. Die Sonne scheint auf die Bank, links von mir blühen zwei Kirschbäume.

Mir ist schlecht.

Die nächste Party wird wohl an Ostern stattfinden. Ich versuche die Übelkeit zu überwinden, lege mich ausgestreckt auf die Bank und erstelle im Kopf eine Einkaufsliste – eine lange Liste mit Drogen.

Ich grinse, schicke diesen Text an Antoinette und versuche etwas zu dösen.

***

Keine Angst, M. und Antoinette Blume sind nicht für immer weg. In der Printausgabe anlässlich des 10. Jubiläums von frohfroh werden beide ihre Geschichte zu Ende erzählen – oder neu anfangen.

***

Anmerkung

Du hast ein Problem mit Drogen und/oder Sucht? Dir sind manche Stellen aus dem Text sehr nah? Auf diesen Seiten findest du Listen mit Adressen und Telefonnummern u. a. von Beratungsstellen, die dir Hilfe leisten können:

Suchthilfe Leipzig (Stadt Leipzig)

Übersicht regionaler Hilfsangebote (erstellt von DrugScouts)

Übersicht überregionaler Hilfsangebote (ebenfalls erstellt von DrugScouts)


Artwork(s)

Artwork von Manuel Schmieder.

Reisebericht: Balance Club / Culture Festival x Costa Rica + Mexiko

Es gibt eine neue Rubrik bei uns! Schon wieder! Dieses Mal geht es um Reisen. Reisen, die mit internationaler Clubkultur und fernen Musikfestivals, mit Techno in Russland, Kassetten-Labels in Chile oder Kulturpolitik in Costa Rica zu tun haben.

Den Anfang dieser neuen Rubrik machen Sarah Ulrich aka gal und Franz Thiem aka XVII, die im Frühjahr 2019 eine Forschungsreise nach Costa Rica und Mexiko unternommen haben. Ihr Reisebericht gibt einen Einblick in zwei ca. 9.500 km entfernte Länder und die dortige Club-Szene und stellt dabei eindringliche, spannende Fragen – auch an die eigene Lebenswelt.

von Sarah Ulrich und Franz Thiem

Die beiden Mitorganisator*innen des Balance Club / Culture Festival reisten im Rahmen des Hertzflimmern-Programms des Goethe-Instituts nach Costa Rica und Mexiko, um sich dort über feministisch-politische Strategien in der Clubkultur auszutauschen. Im Folgenden erzählen sie von Erfahrungen, Ernüchterungen und Empowerment.

Clubs sind häufig Orte, an dem eine kollektiv erlebte ekstatische Atmosphäre herrscht, die einen die Außenwelt, den Alltag, die Verpflichtungen für einen Moment vergessen lässt. Tanzflächen sind Orte der Alltagsflucht, der Hoffnung, der Freude und der Gemeinschaft. Identitäten werden neu erfunden, Rollenbilder aufgebrochen, soziale Hindernisse überwunden. Hierarchien zwischen Geschlechtern können aufgebrochen, Minderheiten sichtbar werden, Frauen sich sicher fühlen. Clubs können Orte temporärer Utopien sein – zumindest in der Idealvorstellung.

Denn sie sind gleichermaßen auch immer Teil einer Gesamtgesellschaft – und somit von sozialen, politischen und ökonomischen Prämissen abhängig. Wenn die Umgebung also nicht gerade Berlin oder Leipzig heißt, sondern San José, Tijuana oder Mexico City, dann sind die Möglichkeiten gleich ganz andere – und somit auch die Herausforderungen.

Doch wie lassen sich Ideale umsetzen? Welche Potentiale hat Clubkultur, politisch zu sein? Wie können Orte von marginalisierten Gruppen wie LGBTQI* Personen angeeignet werden? Welche Strategien zur Sichtbarkeit und Repräsentation gibt es? Kann Clubkultur auch Gegenkultur sein? Und wie lassen sich all die Erfahrungen auf einem internationalen Level verbinden?

Diesen Fragen haben wir uns im Februar/März auf unserer Recherchereise in Vorbereitung auf das Balance Club / Culture Festival in Kooperation mit dem Goethe-Institut Mexiko gewidmet. Ziel der Reise war es, mittels Podiumsdiskussionen mit lokalen politischen und kulturellen Akteuren sowie DJ-Gigs mehr über die lokalen Szenen und Strategien zu lernen, sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen. Im Folgenden wollen wir von unseren Erfahrungen und Erkenntnissen dieser Reise erzählen. Wir konzentrieren uns in diesem Text auf die inhaltlichen Perspektiven.

So viel sei schon mal vorweg gesagt: Wenn uns die Reise eines verdeutlicht hat, dann ist das, dass Clubkultur nur als politische Praxis Sinn macht, die als kulturelle Gegenbewegung agiert, Menschen empowert und Räume der Subversion schafft. Denn letztlich können auch Clubräume nur temporäre Utopien sein, die innerhalb einer Gesellschaft existieren, die eigentlich anders aussieht.

Clubkultur ist für uns also weit mehr als Party.

Clubkultur entspringt für uns einer emanzipatorischen Subkultur. Clubkultur ist Subversion, gesellschaftlicher Gegenentwurf, das Streben nach gesellschaftspolitischen Veränderungen, die Aneignung von Räumen, die Stärkung von Communities. Clubkultur ist unserer Ansicht nach nur dann sinnvoll, wenn sie in die Gesellschaft hinein wirkt und politische Veränderungen vorantreibt. Denn, wie Produzent, Autor und Performer Terre Thaemlitz im Kontext der Verbesserung von Bedürfnissen nach Gleichberechtigung in der Kulturindustrie schreibt: “Jegliche Steigerung der Bedürfnisse wird letztlich von größeren kulturellen Veränderungen abhängen.„

Nicht zuletzt wegen dieser Erkenntnis sind wir daher sehr dankbar für die Möglichkeit, von einem wichtigen kulturellen Akteur wie dem Goethe-Institut eingeladen worden zu sein. Denn der Kooperation geht eine grundlegende Anerkennung von Club- und Subkultur als wichtigen kulturellen Elementen einher – ein nicht immer selbstverständliches Thema, dem wir öfter begegnet sind.

San José (Costa Rica)

Von mangelnder Unterstützung und konservativer Repression

Begonnen hat unsere Reise in San José, Costa Rica. Schon die Vorrecherche gestaltete sich schwierig: Feministische Gruppen in Costa Rica beschäftigen sich vor allem mit Femiziden, also Frauenmorden. Gruppen, die sich vor allem im Bereich Repräsentation, Raumaneignung, Empowerment oder Clubkultur betätigen, waren nur schwer zu finden. Schnell wurde uns klar: Das politische Setting ist ein anderes – die Kämpfe in einem konservativ-katholisch geprägten Land viel grundlegender. Clubkultur ist also auch ein Privileg, das man erst einmal haben muss.

Da es vor Ort kein Goethe-Institut gibt, wurden die Veranstaltungen in Kooperation der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft in Costa Rica organisiert. Inhaltlich war die Planung und Themensetzung jedoch uns überlassen – sodass wir auch die Podiumsgäste auswählen konnten. Um unsere Fragestellungen von Protagonist*innen vor Ort beantworten lassen zu können, luden wir drei Personen aus unterschiedlichen Perspektiven ein: Eine Vertreterin von Chicas al Frente, einem feministischen Netzwerk, das Räume von und für Frauen schafft, Ronald Bustamante, einem Musiker, der bereits viel im internationalen Kontext aktiv war sowie Rompiste mis Flores, eine Musikerin und feministische Aktivistin, die sich viel mit den Themen Repräsentation von Frauen und Sexismus beschäftigt.

Was als Podiumsdiskussion geplant war, wurde schließlich zum Talk in kleiner Runde und offenbarte, wie klein die Szene derer, die in irgendeiner Form kulturpolitisch aktiv sind, in der Hauptstadt Costa Ricas tatsächlich ist. Diejenigen, die vor Ort waren, waren jedoch größtenteils sehr an einem Austausch interessiert. Staatliche Repression von konservativer Seite wurde gleichermaßen thematisiert wie die geringe Sichtbarkeit von LGBTQI* Personen und der grassierende Sexismus der Gesellschaft. Fast alle subkulturellen Orte finden in kleinen Bars oder privaten Räumen statt – weder Clubkultur noch alternative Organisierungen werden durch offizielle Stellen als kulturelle Bereicherung wahrgenommen und dementsprechend auch nicht gefördert. Im Gegenteil: Läden werden geschlossen, feministische Aktivitäten als vulgär verpönt. Mit erheblichen Auswirkungen auf die Szene: Es findet kaum Vernetzung im politisch-kulturellen Sinne statt. Die meisten Räume, die existieren, sind sehr männlich geprägt und ein Bewusstsein für Gender Diversity, Diskriminierung und Hierarchien ist nur wenig verbreitet.

Auch das, was die Protagonist*innen über die Musikszene erzählen, ist frustrierend: Die Clubs, die es gibt, sind größtenteils Orte, in denen Mainstream-Musik läuft, Ladies Nights als Promo herhalten und in denen Frauen sich nicht sicher fühlen. Abgesehen von einzelnen Gruppen wie Chicas al Frente gibt es kaum ein Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit. Wenn Frauen im Line-Up auftauchen, dann  meist als schlechter als die männlichen Künstler bezahlter Support Act. Zwar habe sich im Bewusstsein der Kulturakteure über die vergangenen Jahre viel verändert, sagt Rompiste mis Flores, aber diskriminierendes Verhalten sei noch immer an der Tagesordnung.

„Aber es gibt auch einfach nicht so viele Frauen.“ Der zu erwartende Redebeitrag kommt von einem Mann aus dem Publikum. Doch, wie Monika von Chicas al Frente dagegenhält: In insgesamt über 30 Veranstaltungen mit weiblichen Künstlerinnen, die die Gruppe bereits organisiert hat, gab es noch keine einzelne Dopplung im Line-Up.

Es gibt sie also in Costa Rica, die Gegenkultur. Doch sie ist klein und erfährt wenig Unterstützung. Wir als Repräsentant*innen des Balance Festivals wurden viel nach Strategien gefragt, um den Status Quo zu verbessern. Unser Fazit zu dieser Begegnung: Die Szene braucht mehr Unterstützung, auch von außen. Das Bedürfnis nach Vernetzung ist sehr groß, um gemeinsam als politischer Akteur aufzutreten, sich öffentlich zu präsentieren, Forderungen zu stellen. Doch dafür braucht es Ressourcen.

Tijuana (Mexiko)

Das Verlangen nach Community

In Tijuana, der Grenzstadt im Norden Mexikos, die vor kurzem vor allem für die dort gestrandete als “Migrant*innen Karawane„ bezeichnete in den Medien war, fanden wir eine noch weitaus komplexere Community vor. Während die sub- und clubkulturellen Akteure in Costa Rica wenigstens finanziell noch auf gewisse Ressourcen und Infrastruktur zurückgreifen konnten, schien allein das in Tijuana nur schwer realisierbar zu sein.

Umso stärker ist das Bedürfnis der lokalen Community, viel grundlegender anzufangen: Statt einer Podiumsdiskussion, in der unsere Fragen behandelt werden, war es den lokalen Akteuren ein Anliegen, ein Netzwerktreffen zu organisieren, in dem die verschiedenen Themen und Fragen, die wir mitbringen zwar diskutiert werden, aber durch lokalspezifische Problematiken ergänzt werden. Das Ziel war weniger eine Diskussion über Strategien, Clubkultur zu politisieren, als vielmehr eine ganz grundlegende Zusammenkunft und Bestandsaufnahme des Status Quo.

Hauptakteurin war Haydee Jimenez, eine Kulturschaffende, die ihren Community-Space “Nett Nett„, in dem zu dieser Zeit eine Ausstellung über die Auswirkungen illegalisierter Schwangerschaftsabbrüche zu sehen war, als Ort der Zusammenkunft zur Verfügung stellte. Außerdem waren noch diverse weitere Protagonist*innen vor Ort: Feministinnen, Clubbetreiber*innen, kulturpolitisch Aktive. Darunter auch Marjam Oskoui, Inhaberin eines underground culture spaces in Los Angeles und Künstlerin und Damian, Betreiber des Wherehouse Tijuana, einem der wenigen Nachtbetriebe in Tijuana, die sich vom sexistisch-machistisch geprägten Mainstream abheben.

Auch bei dem Treffen in Tijuana wurde schnell deutlich: Zur gemeinsamen kultur- und gesellschaftspolitischen Handlungsfähigkeit braucht es eine Community.Erstaunlich war, dass die wenigen Anwesenden sich zwar größtenteils untereinander kannten, jedoch kaum jemals in Austausch über ihre Probleme und Strategien gekommen sind – was nicht nur zu internen Überforderungen (beispielsweise im Umgang mit Drogenkartellen, staatlicher Repression aber auch sexuellen Übergriffen), sondern auch zu Konflikten untereinander führt.

Nur wenige Orte bieten überhaupt den Raum für unabhängige und unkommerzielle Kulturarbeit, demnach gibt es auch nur wenig Austausch über das Mögliche und Nötige. Die Umsetzung einzelner Ziele wie die Repräsentation von marginalisierten Personen ist inhaltlich kaum Thema. Einzelne Versuche, queerfeministische Partyreihen zu starten, sind an mangelnder Unterstützung gescheitert. Doch auch, wenn der Status Quo in Tijuana mit zunehmender Repression von staatlicher Seite, Verschärfung der gesellschaftlichen wie ökonomischen Lage durch Sanktionen seitens der USA und grassierendem Sexismus innerhalb der Gesellschaft nur wenig Hoffnung auf subkulturelle Community-Arbeit macht – so waren sich die Protagonist*innen doch einig, dass es genau dies braucht, um weiter zu agieren.

Der Fokus in Tijuana lag also vor allem auf dem Austausch von Strategien zum Vernetzen und best practice Beispielen, wie die erfolgreich wirksame, vom Institut fuer Zukunft ins Leben gerufenen Kampagne gegen die Sperrstunde in Leipzig oder auch diverse community-building Maßnahmen, wie wir sie als politisch Aktive kennen. Doch auch hier sind die entscheidenden Faktoren die finanziellen wie infrastrukturellen Ressourcen, die vor Ort an allen Ecken und Enden fehlen. Während die Protagonist*innen in Tijuana vor allem dankbar über unseren Input und Moderation des Treffens waren, wurden für uns dabei vor allem zwei Dinge deutlich: Wie privilegiert wir in unseren Ressourcen und Möglichkeiten sind, kulturpolitisch aktiv und wirksam zu sein, sowie wie wertvoll eine subkulturell-emanzipatorische Szene ist.

Mexiko-Stadt

Viel Potential, wenige Ressourcen

Mexiko-Stadt, die Hauptstadt des Landes und elftgrößte Stadt der Welt, ermöglichte uns nochmal einen Perspektivwechsel auf die Frage nach den politischen Möglichkeiten von Clubkultur. Schon im Vorhinein wurde klar, dass es zahlreiche spannende feministische Aktivist*innen, Musiker*innen und Kulturschaffende gibt – wir konnten uns kaum entscheiden, wen wir tatsächlich für die Podiumsdiskussion einladen. Entschieden haben wir uns schließlich für Lucia Anaya, eine Kulturschaffende, die sich für Repräsentation von Frauen in der Musikindustrie einsetzt und Queer-Parties organisiert, Bruno, einen Repräsentanten des feministischen Postporno-Festivals Anormal, Havis aka DJ Guapis, eine Transfrau, die Räume und Parties für Transpersonen schafft sowie den Label- und Clubbetreiber Carlos Cruz.

Die Infrastruktur wurde hier dankenswerterweise vom Goethe-Institut organisiert, das Podium fand in einem professionellen Saal des spanischen Kulturzentrums statt. Somit war der Charakter der Veranstaltung aber auch ein ganz anderer, als bei den vorherigen aus der Subkultur der Orte entstehenden Treffen. Im Vergleich zu San José und Tijuana war es das erste Podium, das auch als solches, frontal und mit einem größeren Publikum, stattfand.

Was wir vorfinden konnten, war in vielen Weisen beeindruckend: Die Community in Mexiko Stadt ist nicht nur sehr groß und divers, sondern auch sehr gut organisiert und lokal wie auch international vernetzt. Die kulturellen und politischen Angebote sind sehr vielfältig und teilweise auch sehr viel differenzierter als in Deutschland. Die Szene ist international geprägt und wird auch international wahrgenommen – viele politische als auch clubkulturelle Akteure, insbesondere im subkulturellen und independent Bereich, werden auch in Deutschland wahrgenommen. Dennoch erzählten die Podiumsgäste auch hier von prekärer Arbeit, wenig Förderung und hohen Risiken der Selbstorganisierung – seien es finanzielle oder physische Gewalt gegen Transpersonen.

Das Beeindruckende an den Perspektiven der Podiumsgäste war die Gemeinsamkeit, dass alle aus einem politischen Bewusstsein heraus agieren. Ob Club, Festival, feministische Bar oder Party – die Räume existieren aus der Erkenntnis, dass es alternative Gegenentwürfe zum gesellschaftlichen Status Quo geben muss. Die grundlegende Auseinandersetzung mit Konzepten wie Awareness, Repräsentation, Sichtbarkeit oder Sexismus scheint weit fortgeschritten zu sein und in die Räume übertragen zu werden – auch wenn dies insbesondere im Clubkontext teilweise dennoch noch immer an der Realität der machistisch-geprägten mexikanischen Gesellschaft scheitert.

Was uns als Organisator*innen des Balance Club / Culture Festival insbesondere beeindruckt hat, war die enorme Solidarität innerhalb der Community. All die oben beschriebenen Räume sind das Ergebnis von Zusammenschlüssen marginalisierter und diskriminierter Personen, die den Club oder Kulturraum als Ort nehmen, sich gegenseitig zu empowern, solidarische Momente zu generieren und Kollektivität zu leben. Das dezidierte Ziel der Podiumsgäste ist es, diese Erfahrungen mit in den Alltag zu nehmen. Wir waren beeindruckt von der politischen Schlagkraft dieser kulturellen Orte und insbesondere der feministischen Kulturarbeit und sind überzeugt davon, dass Kulturschaffende wie politisch Aktive von dieser Art der kollektiven Organisierung viel lernen können.

Fazit

Ein internationaler emanzipatorischer Kulturaustausch kann nur reziprok funktionieren

Während wir an den drei Stationen unserer Recherchereise für das Balance Club / Culture Festival sowohl aus journalistischer, als auch aus der Perspektive von politisch Aktiven und Kulturschaffenden, viel über Strategien der Politisierung von Clubkultur lernen konnten, so bleibt unser Fazit doch mit einem bitteren Beigeschmack:

Es fehlt an Ressourcen. Während es in Deutschland vielfältige Fördermöglichkeiten und Unterstützung für Projekte gibt (wie beispielsweise die tolle Unterstützung des Goethe-Instituts, das diese Recherchereise erst ermöglicht hat), fehlt es in Mexiko und Costa Rica an genau diesen Stellen. Der Wille und die Ideen, sowie in einigen Fällen auch bereits die Strukturen vor Ort sind vorhanden – doch die mangelnde Anerkennung politisch-kultureller Gegenentwürfe wie der Etablierung einer emanzipatorischen Clubkultur erschwert die Arbeit ungemein.Was es bräuchte, um die internationale Vernetzung und den Austausch zu fördern und so tatsächlich auf Augenhöhe kulturpolitisch zu agieren, sind Modelle wechselseitiger Förderungen politisch und kulturell Aktiver.

Wir als Team des Balance Club / Culture Festival sind uns diesen Hierarchien bewusst und versuchen sie so gut es geht abzubauen. Wir sind daher sehr froh darüber, dass wir dank der Förderung der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Möglichkeit haben, die Musikerin, Techfeministin und Aktivistin Constanza Piña, die in Mexiko-Stadt lebt, zum Festival einladen können. Sie wird neben einem Workshop und einem Konzert auch einen Talk darüber geben, wie Techfeministinnen in Lateinamerika Räume frei von sexistischer Gewalt schaffen – und somit ideal an den durch unsere Reise angestoßenen Austausch über politische Perspektiven auf emanzipatorische Clubkultur anknüpfen. Für die weitere kulturpolitische Arbeit bleibt es essentiell, Privilegien zu hinterfragen und aufzudecken, internationale Perspektiven zu hören, Communities zu stärken und gegenseitig voneinander zu lernen – wir hoffen, dass wir in diesem Feld noch viele weitere spannende und empowernde Perspektiven kennenlernen dürfen.

***

Wir danken dem Goethe-Institut Mexiko, insbesondere Sarah Poppel und Sybille Ellermann für die Unterstützung und das Ermöglichen unserer Recherchereise. Außerdem danken wir den zahlreichen Kulturschaffenden und Aktivist*innen, die uns in San José, Tijuana und Mexiko-Stadt an ihren Erfahrungen und Perspektiven haben teil lassen.

gal + XVII = Carbon Dehydrate

Sarah Ulrich ist Journalistin und beschäftigt sich hauptsächlich mit gesellschafts- und kulturpolitischen Fragen. Sie schreibt u.a. für die taz, moderiert regelmäßig Podiumsdiskussionen und hält eigene Vorträge und Workshops. Zudem ist sie Mitglied des feministischen Netzwerks Feat.Fem und als DJ unter dem Namen gal bekannt.

Franz Thiem ist nicht nur einer der Betreiber*innen und unter dem Namen XVII Resident des Clubs Institut fuer Zukunft, sondern auch Teil des Kurator*innen-Teams des Balance Club / Culture Festivals. Gemeinsam mit Anja Kaiser, Jonas Holfeld, Anna Jehle, Kyle van Horn, Ulla Heinrich und Sarah Ulrich organisiert er das progressive Kulturfestival, das dieses Jahr zum zweiten Mal in Leipzig stattfindet.

Read on demand: Feat. Fem

Es gibt eine neue Rubrik bei uns: Read on demand. Hier stellen wir kurz und bündig Podcasts aus Leipzig vor. In unserer dritten Episode sprechen wir mit den Organisator*innen, die hinter dem (noch recht neuen) Feat.Fem – Podcast stecken.

Podcast:Feat. Fem
Laufende Nummer:#3
Gibt es seit:01.01.2019
Musikalischer Fokus:Divers
 


NOTE NOTE –

Podcast? Podcast! = ein episodenhafter Audio- oder Videobeitrag, der über das Internet gehört werden kann. Podcast ist ein Kofferwort, welches sich aus den beiden Wörtern iPod, der offenbar maßgeblich am Erfolg der Podcastkultur beteiligt war, sowie cast, einer Abkürzung des Wortes Broadcast (Rundfunk) zusammensetzt.

(Quelle: Oxford English Dictionary)

Read on demand geht in die dritte Runde. Dieses Mal mit einem Podcast, der erst dieses Jahr an den Start ging, aber schon in kürzester Zeit die Runde machte: Der Feat. Fem – Podcast.

Nicht ganz unschuldig daran ist der schon etablierte Name – das Netzwerk namens Feat. Fem kennen schon viele Künstler*innen und Clubinteressierte.

Wie sich der Podcast bisher entwickelt hat und wo er sich noch entwickeln kann, haben uns die Macher*innen der Podcast-AG beantwortet.

Der Feat. Fem – Podcast:

ff: Ein Podcast bei euch besteht aus..? Feat. Fem: Einem DJ Mix oder auch Live-Kreationen und einer Künstler*innenvorstellung in Form eines Texts. Dazu posten wir das Ganze bei Insta- und Facebook. Es sollen auch Audiomitschnitte von feministischen Diskussionen, Panels und Interviews hinzukommen.

Der musikalische Fokus liegt auf…? Musikalisch ist unser Podcast recht divers, um die Vielfalt unseres Netzwerks Feat. Fem abzubilden.

Wie sieht es mit den Rahmenbedingungen bzw. Vorgaben bei euch aus? Ein Podcast bei Feat. Fem besteht max. aus 58 Min und die Musik stammt von DJs und Produzent*innen aus und um das Netzwerk herum. Zunächst ist Leipzig und Umgebung dran – aber wir halten uns auch Möglichkeiten an Kooperationen außerhalb (zum Beispiel mit anderen Netzwerken) offen.

Die drei Podcasts… äh, moment, bei Feat. Fem gibt es ja bisher ’nur‘ drei Podcasts. Umso besser, dann ist die Auswahl ganz leicht:

1. #1 Dyscotheque

2. #2 von illousion

3. #3 von ANTR

Wieso habt ihr diese Podcast-Reihe ins Leben gerufen? Die Idee kam vor etwas über einem Jahr aus dem Netzwerk heraus, also haben wir uns dann als Podcast-Gruppe formiert und begonnen, ein Konzept auszuarbeiten.

Der Podcast ist damit u.a. eine Reaktion auf das Argument, es gäbe „nicht genug Frauen*, die man booken könne“.

Weiterhin steht das Empowerment von FLTI*-Personen in der Musik und Kunst ebenfalls im Vordergrund. Da wir kein DJ-Kollektiv sind oder sein wollen, möchten wir in Zukunft auch feministische Diskurse im Podcast abbilden.

Wie werden die Künstler*innen für euren Podcast ausgewählt? Kann man sich bewerben? Bisher sind die Podcasts von Künstler*innen aus dem Netzwerk und Umgebung entstanden.

Wir freuen uns aber über Anfragen und Zusendungen!

Gibt es ein Konzept nach dem ausgewählt wird? Der Feat. Fem Podcast soll eine Plattform sowohl für Newcomer*innen als auch für bekanntere bzw. erfahrenere DJs bieten. Besonders wollen wir FLTI*-Personen in den Podcast miteinbeziehen.

Was motiviert euch, die Podcastreihe zu befüttern, also regelmäßig Zeit und Arbeit reinzustecken? Es ist eine Mischung aus Newcomer*innen fördern, unser Netzwerk stärken,

Sichtbarkeit für weibliche* Kulturarbeiter*innen, DJ*s und Produzent*innen erhöhen…

Auf lange Sicht hoffen wir, damit zu etwas ausgeglicheneren Geschlechterverhältnissen im Bereich des Clubs, der Kultur und der Kunst beizutragen.

Für das neue Design der Grafiken auf Soundcloud ist Stefanie Wittrisch zuständig. Hinter der Organisation des Podcasts stecken übrigens Emily aka Janthe, Judith Van Waterkant, Zoya, Lou aka illousion und Carlotta Jacobi.

Put On Your Dancing Shoes Teil III – Locking – Feel the Funk!

Für gewöhnlich lassen sich Türen abschließen, manche lassen sich gar recht gut und massiv verriegeln. Um Türen soll es heute allerdings nicht gehen, sondern um Locking – und was Verriegeln denn im Tanz zu suchen hat.

Locking aka Campbellocking ist eng mit Soul und Funk verbunden und hat eben genau da auch seine Ursprünge. Also werfen wir einen etwas genaueren Blick zurück in die Geschichte, denn Locking ist 2019 zwar noch lebendig, allerdings droht der Tanzstil immer wieder in Vergessenheit zu geraten.

Und vor allem weil kaum ein urbaner Tanz so sehr mit ‚Social Dance‘, ein Begriff der uns innerhalb der Reihe schon mehrmals untergekommen ist und immer wieder begleiten wird, verbunden ist wie eben Locking.

Die Wurzeln und das Movement von Locking liegen tief in der Social Party Scene, welche Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre ihren Höhepunkt hatte. Viele missverstehen den Begriff und nennen es Soul-Dance, doch die anfängliche Gründung sollte sozial sein und war nicht als Performance oder Wettbewerb ausgelegt.

Der innige Wunsch nach mehr Gemeinschaft und Zusammenhalt wurde durch Tanz und Musik ausgedrückt, denn auf diese Weise konnten gesellschaftliche, alltägliche und persönliche Geschichten weitergetragen werden. Künstler wie Marvin Gaye, James Brown, Curtis Mayfield und Issac Hayes offenbarten dieses Sozialbewusstsein und drückten die Gedanken und Gefühle der Menschen mit ihren Songs aus.

Dabei waren die Tänze und ihre Musik inspiriert von den Themen der 1960er Jahre und der Bürgerrechtsbewegung, die in den Vereinigten Staaten vor allem eine antirassistische, soziale Bewegung war und sich für eine Gleichberechtigung und Durchsetzung der Bürgerrechte Afroamerikaner einsetzte.

Den Durchbruch erlebte der Social Dance mit der US-amerikanischen Fernsehsendung „Soul Train“, die ab 1971 landesweit einmal wöchentlich am Spätnachmittag gesendet wurde. In der Show präsentierte man auf einer kleinen Bühne Funkbands, Rhythm & Blues, Soul und später auch Hip-Hop-Musiker, welche von diversen TänzerInnen umgeben waren.

Soul Train

wurde zum Portal und enthüllte der Welt seine Kreativität. Die afroamerikanische Jugend zeigte sich stolz mit ihren großen Afro-Frisuren und farbenfroher Kleidung. Das wichtigste Element waren jedoch die Line-Dancer, die gemeinsam eine Gasse bildeten durch die man wie auf einem Laufsteg hindurch tanzen musste. Teilnehmen konnte jede*r und am Ende gewann das Team, welches die beste Performance darbieten konnte.

Dieses Tanzformat hat zur Identität sowie Beliebtheit der Show beitrugen und wurde Mittelpunkt der Sendung. Soul Train ist dazu die erste amerikanische Show, die hauptsächlich ein schwarzes Publikum ansprach, da in den 1960er Jahren Afroamerikaner in den Medien nur sehr selten präsent waren. Somit erfüllte sie auch die Ziele der Bürgerrechtsbewegung und erfreute sich einer besonders großen Popularität.

Die Sendung löste einen regelrechten Hype aus und wurde mit über 1100 Episoden zu einer der erfolgreichsten Shows im Land, welche bis 2006 produziert wurde.

Durch die Fernsehsendung wurden nicht nur viele TänzerInnen sondern auch ihre Tänze sehr populär. Rufes Thomas beispielsweise produzierte Songs wie „Breakdown“ oder „Funky Chicken“ und gab Tanzschritten wie „The Funky Chicken“ sozusagen ein musikalisches Gewand.

https://www.youtube.com/watch?v=KB5sMYw37gw

Diese und viele weitere Schritte wurden ursprünglich einfach als Partytänze bezeichnet und waren dementsprechend häufig bei Soul Train zu sehen. Der „Lock“ selbst wurde von Don Campbell entwickelt, als er einige Party-Tänze wie bspw. „The Robot Shuffle“ oder „The Funky Chicken“ tanzte und seinen eigenen Flair mit einbaute, in dem er einfach nach einer Bewegung eingefroren ist. Dieser Stil wurde als „Lock“ bezeichnet.

So hat sich Locking oder Campbellocking zu einer Tanzkunstform mit improvisierten Bewegungen, welche alle groß und teilweise übertrieben dargestellt werden, entwickelt. Typische Locking-Bewegungskombinationen tragen oft Namen aus dem Cartoonbereich wie zum Beispiel „Scooby Doo oder „Skeeter Rabbit“, da die Inspiration einiger TänzerInnen unter anderem aus den Zeichentrickfilmen kam und man versuchte diese typischen und witzigen Bewegungen nach zu ahmen.

Nach dem man den Tanz im Nationalen Fernsehen sah, löste er ein Tanzphänomen aus, das sich von der Innenstadt von Los Angeles über das ganze Land ausbreitete und Nachahmer fand. Die Original Locker´s, bildeten rund um Don Campbell eine der ersten Tanzformationen und erarbeiteten mit dem neuen Tanzstil ganze Shows mit denen sie auf großen Bühnen auftraten.

Sie waren maßgeblich dafür verantwortlich, das Locking sich soweit verbreitet hat und eine der fundamentalen Grundlagen der urbanen kulturellen Bewegung geworden ist.

Es gibt verschiedene historische Berichte über die Entstehung von Locking aber auf hier findet man eine Zusammenstellung der historischen Ereignisse, auf der die Informationen von Augenzeugen, Mitwirkenden und Originalschöpfern erster Hand weitergegeben werden.

Wenn man sich heute in der urbanen Tanz-Szene umschaut, könnte man meinen, dass Locking eher eine Randbewegung ist und nur noch sehr wenig verbreitet ist. Während die meisten Tänzer*innen in den 80er Jahren noch Breakdance, Popping und Locking zusammen tanzten und man die Stile nicht so sehr voneinander getrennt hat, findet man heute eine deutliche Separierung der Tanzformen.

Das hat sicher viele Gründe aber der wichtigste ist wohl die Weiterentwicklung der Musik und Spezialisierung verschiedener Musik-Genre. Interessant ist jedoch, warum es heute so wenig Locking-Tänzer*innen gibt, während man doch die Breaking und Popping-Tänzer*innen kaum noch zählen kann.

Warum das so ist, wollte Daniel von der Leipziger Klein Paris Crew 2017 etwas genauer wissen:

„Auf meiner fünfmonatigen Reise durch Europa habe ich versucht 2017 dieser Frage auf den Grund zu gehen und mich mit den wenigen Locking Tänzer*innen getroffen, die ich damals ausfindig machen konnte. Dies hat im Vorfeld eine umfassende Recherche in den sozialen Medien gebraucht und viele Besuche bei diversen Events, um die nötigen Kontakte zu knüpfen.

Nachdem also mein geliebter VW T4, mein Kumpel Ken und ich viele 1000 km zurückgelegt haben, konnte ich einige interessante Entdeckungen über die seltene und etwas schüchterne Spezies der Locking-Tänzer*innen machen.

Richtig ist, das Locking nur noch von sehr wenigen Tänzer*innen aktiv getanzt wird. Viele kennen Locking und können einige Basics, aber nur sehr wenige haben ihren Fokus auf diesen Tanzstil gelegt und sich fundiertes Wissen angeeignet.

Jedoch findet man in den meisten größeren Städten ein bis zwei Locking- Tänzer*innen, die mehr oder weniger aktiv trainieren und versuchen ihr Wissen an die nächste Generation weiterzugeben.

Ein großer Kritikpunkt über den sich alle einig sind, ist der gefühlte Stillstand der Funk-Musik. Gehen wir heute auf eine Funk-Party hören wir immer noch die gleiche Musik wie vor 40 Jahren, mit wenigen ausnahmen vielleicht. Das heißt während die DJs für Breaking und Hip Hop – Tänzer*innen immer wieder neue Musik suchen und präsentieren, welche auf den Markt strömt, tanzt man bei Funk immer noch zu den gleichen Songs.

Somit ist der Kreislauf: Musiker*in – DJ – Tänzer*in unterbrochen, denn moderne Funkbands oder vom Funk inspirierte Musik gibt es, nur hört man diese zu wenig in Clubs, weil zu wenige DJs nach neuer Musik aus diesem Genre Ausschau halten.

Und ähnlich wie in den Clubs, so bieten auch nur sehr wenige Battles die Kategorie Locking an. Dabei sind Battles mittlerweile fast die einzigen Möglichkeiten für Tänzer*innen zusammenzukommen und sich auszutauschen.

Außerdem gibt es einen großen Generationskonflikt zwischen den Pionieren der ersten Locking Ära und der neuen Generation, welche versucht das Movement von Locking weiter zu entwickeln.

Oldschooler beharren darauf, dass Locking genau so auszusehen hat wie Don Cambell es erfunden hat, was der Weiterentwicklung Grenzen setzt und man sich in einer kleinen Box bewegt.

Voraussetzung für die Weiterentwicklung ist natürlich, dass man sich intensiv mit dem Tanz, den Grundlagen und der Herkunft beschäftigt hat, um nicht nur die Bewegungen nachzuahmen; darüber sind sich alle einig.
Trotzdem erfreut sich Locking heute immer noch einer großen Beliebtheit und ist oft eines der Highlights bei Tanz-Veranstaltungen.

Die Power des Funk und der Spirit des Tanzes

sind definitiv nicht verloren gegangen und die Essenz des Social Dance steht immer noch bei den meisten Vertreter*innen im Vordergrund.

In den letzten Jahren ist das Interesse an diesem Stil wieder deutlich gestiegen und es finden sich immer mehr Tänzer*innen, welche diese in den Hintergrund geratene Form des Ausdrucks erlernen wollen und an Dritte weitergeben.“

Scheint also nicht so ganz einfach mit dem Verriegeln im Jahre 2019. Hat man aber den Vibe und den Funk einmal live gespürt, wird man die positive Energie, welche diese Tanzform umgibt, nicht mehr so schnell los.

Also lasst euch gerne von Daniels Playlist anstecken!

https://www.youtube.com/watch?v=NrROsDDxJas

https://www.youtube.com/watch?v=nwjKPRTqAOU&t=82s

https://www.youtube.com/watch?v=qiqiKdSxuzU

Foto von Enrico Müller.

Homesick „Burnout 2099 EP“ (Defrostatica)

Seit ein paar Wochen ist das zehnte Release auf Defrostatica erhältlich.

Defrostatica startet 2019 mit dem zehnten Release. Sechs Tracks von Homesick aus Kanada befinden sich auf der „Burnout 2099 EP“. Gleich zu Beginn gibt es eine Premiere: Der erste Track auf Defrostatica, auf dem Rap zu hören ist. „Running On Empty“ featuret So Loki am Mic und ist ein klarer Banger. Natürlich eine konsequente Geschichte, bezieht Defrostatica schon immer einen Hip Hop-Einfluss ein.

Herrlich, wie der Kopfnicker-Beat des ersten Track auf „Give It To Em“ auf sehr technische Weise weitergeführt wird und plötzlich im letzten Drittel des Tracks ganz relaxte, fast jazzige Flächen eingeworfen werden und genauso schnell wieder verschwinden.

Mit „Afronta!“ taucht dann ein Dancehall-Flavour auf, den es bisher so noch nicht auf Defrostatica gab und der mit Scratching, Vocal-Samples und Jungle-Breakbeats kombiniert wird. Ruffes Ding!

Der Titeltrack „Burnout 2099“ teast immer wieder Jungle und Footwork an, verharrt aber im Halfstep, bevor es richtig los geht und baut damit eine krasse Spannung auf. Auch „Get Back Up“ deutet die Beats eher an, hinzu kommen zerstückelte oder vielmehr zerblubberte Vocals. Und dann beendet „Carbob“ die EP zunächst mit gephaserten, danach vertrackten Beats, die von relaxten Melodien kontrastiert werden. Tolle Umsetzung!

Es ist wirklich faszinierend, wie lässig und gleichzeitig verspielt Homesick hier die verschiedenen Genres anreißt. Dabei fühlt sich die EP auch fast wie ein Mixtape an, kann also wunderbar am Stück gehört werden, ist aber auch super DJ-Futter. Der Ansatz, auf langatmige Intros zu verzichten und gleich zur Sache zu kommen, zahlt sich also aus.

Ein kleiner Wermutstropfen: Die 12″ ist schon längst vergriffen! Zum Trost könnt ihr aber an diesem Wochenende via Bandcamp die restlichen Platten des Labels für schmale 4 € erwerben.

FLTI* Ableton User Group – Wo, wann und warum?

Produzent*innen (und die, die es werden wollen) aufgepasst! Seit Anfang letzten Jahres hat sich eine Arbeitsgruppe inmitten des Ableton User Group – Workshops, der im Institut fuer Zukunft stattfindet, formiert. Die Gruppe startet ab April mit einem Anfänger*innen-Programm und mischt bereits an mehreren Ecken in Leipzigs Musikszene mit. Grund genug, sich mit einem Teil der Organisator*innen zu verabreden.

 

Von Austausch bis Mentoring: FLTI* AUG

Wer noch nie etwas von Ableton oder den Treffen (User Groups) gehört hat, kann die wichtigsten Facts kurz und knapp im Infokasten nachlesen. Die Neuigkeit: Es gibt seit kurzem eine FLTI*-Group innerhalb des etablierten Workshops in Leipzig. 

Wir wollen genauer wissen, was sie vorhaben, für wen die Workshopreihe gedacht ist und welche strukturellen Probleme auch vor dem elektronischen Musikkosmos in Leipzig nicht Halt machen.

 

 


NOTE NOTE –

Ableton User Group Workshops finden international an vielen verschiedenen Orten statt. Sie sind dazu da, eine gemeinsame Plattform abseits von Foren (im real life!) zum Produzieren (vornehmlich mit Ableton Live, da von der Berliner Softwarefirma organisiert) von Musik zu schaffen. Hier finden Jams, Austausch, Vorträge und intensive Workshops statt. In Leipzig finden die Treffen im Institut fuer Zukunft statt.

FLTI* steht als Abkürzung für Frauen, Lesben, Trans*, Inter* und wird oft für (Schutz-)Räume verwendet, zu denen Cis-Männer keinen Zutritt haben. Der Asterisk* (das Sternchen „*“) am Ende der Abkürzung dient als Platzhalter zur Inklusion (Einbeziehung) von allen nicht-binären Geschlechtsidentitäten.

Das lateinische Präfix „cis-„ (auf dieser Seite, diesseits, binnen, innerhalb) bildet das Antonym also Gegenteil von trans- (über-, hinüber-, durch-, hindurch-). „Cis“ und Begriffe wie „cisgender“, wurden von der trans*-Bewegung eingeführt, um trans* nicht immer als die Abweichung von der Norm zu definieren.

Quelle FLTI*/Cis: Sauer, Arn (2018): LSBTIQ-Lexikon. Grundständig überarbeitete Lizenzausgabe des Glossars des Netzwerkes Trans*Inter*Sektionalität.

 

Finally, könnte man denken. Denn die Idee dazu schwelt schon ein Jahr. Mit einem Organisationsteam und den passenden Anträgen bei verschiedenen Förder*innen hat es nun geklappt und das Workshop-Programm für das Jahr 2019 steht: Regelmäßige Treffen zum Austausch, One-on-One-Mentoring und ein mehrmonatiges Angebot für Anfänger*innen.

Jeden zweiten Dienstag im Monat wird die FLTI* AUG also das Institut fuer Zukunft auf Trakt I belegen. Der bisherige Workshop wird weiterhin am letzten Dienstag des Monats stattfinden.

Dass sich die Termine nicht überkreuzen, war den Macher*innen des FLTI*-Workshops von Anfang an wichtig: „Wir sind keine Konkurrenz-Workshops. Natürlich sind wir stark verquickt, stellen aber ein wichtiges Zusatzangebot dar. Wir haben für uns den Begriff Arbeitsgruppe gewählt – denn am besten besuchen unsere Teilnehmenden auch den ‚großen‘ Workshop. Trotzdem ist es wichtig, dass wir einen intimen Rahmen für FLTI*-Personen schaffen und so einen zusätzlichen Raum einnehmen können“, erklären sie.

„Wir haben bisher das Feedback bekommen, dass es gerade für Einsteiger*innen angenehm ist, keinem so großen Publikum und damit nicht so vielen Ohren ausgesetzt zu sein. So kommt es dann auch viel leichter zum Austausch, was super ist.“

Die Teilnehmenden helfen sich damit selbstverständlich und ganz easy untereinander, was den vier Organizer*innen bei bisher 15-20 Personen nicht nur einiges an Arbeit abnimmt, sondern auch für die einzelnen Produzierenden einen Mehrwert darstellt. Dazu kommt das Mentoring-Angebot, bei dem ein intensives One-on-One-Training im Tandem-Style aufgezogen wird.

 

Kein Tropfen auf den heißen Stein

Die FLTI*-Group ist für die Organizer*innen nicht nur Fun (was es natürlich auch ist!), sondern auch ein Engagement im politischen Sinne. Ihr Angebot richtet sich bewusst an FLTI*-Personen, also an Frauen*Inter*Trans und non-binäre Menschen.

Warum? Ganz einfach: Das Problem struktureller Benachteiligung von FLTI* und mehrfach benachteiligter Menschen (People of Color oder Menschen mit Beeinträchtigung_en) zeigt sich in fehlenden Angeboten, weniger oder fehlender Sichtbarkeit im Vergleich zu (Cis-)Männern und nicht zuletzt in Diskriminierung, wenn es zum Booking oder der Auswahl für Releases kommt.

„Unser Empowerment und Support soll das Bild des (cis-)männlichen Produzierenden aufbrechen.

Wir wollen mit unseren Treffen kein Tropfen auf den heißen Stein sein. Es sollen spürbare Veränderungen angestoßen werden.“

Und dass sie mit ihrer Idee und ihrem Konzept einen Nerv in Leipzigs Subkultur treffen, zeigt sich (unter anderem) am Zulauf der Gruppe. Aus zwei-drei regelmäßigen Besucher*innen wurden schnell 15-20 Interessierte.

Während sich in der bisherigen Gruppe ein Fokus auf Techno ergeben hat, treffen in der FLTI*-Gruppe unterschiedlichste Genres zusammen: Hip Hop-, Trance- oder Deep House-Tracks wurden bisher bei den Treffen abgehört. Natürlich sind auch Techno-Produzierende vertreten.

Die gestellten Förderanträge wurden mittlerweile bewilligt – as I said, das Thema trifft einen Nerv. Mit diesem finanziellen Rückhalt kann es im April mit der ersten aufwändige(re)n Workshop-Reihe losgehen, die sich an Anfänger*innen richtet. Leiten wird die Einsteiger*innen-Workshops, die über fünf Monate angelegt sind, Ableton-Trainer*in SupaKC.

Übrigens: Die Workshops (beider Gruppen) sind kostenlos!

Wer jetzt Blut geleckt hat und auch mit dem Produzieren elektronischer Musik anfangen möchte oder auch schon den ein oder anderen Track auf der Festplatte rumschwirren hat und Feedback oder Tipps dazu einsammeln möchte – das Programm der FLTI*-AUG lest ihr en détail hier:

9. April 2019: FLTI* AUG – Anfänger*innen Workshop mit SupaKC (Teil I) 

Die Macher*innen erklären dazu: „In der ersten zweistündigen Session wird KC uns mit der Oberfläche vertraut machen, damit wir uns zurechtfinden: wie richte ich alles ein, damit ich mit dem Produzieren anfangen kann?  Was muss ich bei den Einstellungen beachten? Was gibt es überhaupt für unterschiedliche Elemente und Ansichten?  Falls nach dem Workshop noch Lust und Kapazität da ist, können wir unsere Tracks abhören und uns austauschen.“

Die FLTI* AUG wird gefördert von Ableton und der Strategie „Leipzig. Ort der Vielfalt“ (Stadt Leipzig). 

Artwork von Stefanie Wittrisch / Foto von SupaKC.

Update, Update: Duktus

Neuigkeiten von Duktus: Zwei sehr unterschiedliche EPs und einen Compilation-Beitrag gibt es von ihm zu hören.

Duktus „Funky Reflections“ (ThinkLoud)

Ist es wirklich schon wieder drei Jahre her, seit die „Hannah“-EP erschienen ist? Damals löste Duktus sich ein wenig vom klassischen Beatmaker-Sound und es tauchten fast schon housige Grooves in seiner Musik auf. Seine neue EP „Funky Reflections“, die neu auf ThinkLoud erschienen ist, geht noch einen ganzen Schritt weiter: Wie der Titel es schon andeutet, beziehen sich die acht Tracks auf klassischen Boogie und Funk.

Eine spannende Entwicklung, wie ich finde, passen die Stücke doch ausgezeichnet in ein Set zwischen den modernen Boogie- Varianten und alten Flohmarkt-Funk-Scheiben. Gerade durch den sehr entspannten, zum Frühling passenden Vibe ist die EP vielseitig einsetzbar und ebenso für die heimische Couch geeignet. Bei „Funky Reflections“ wird es auch mal leicht quietschig und die gerade Bassdrum in Tracks wie „Influenced“ baut eine Brücke in Richtung Disco und House. Vielleicht ist Duktus bzw. sein Feature-Partner Ranko auch der einzige Leipziger, der mit „There you are“ seinen Spaß mit der Talkbox zum Thema macht.

Eigentlich spiegelt die EP auch die Idee der Cosmic Boogie-Reihe im Neuen Schauspiel, die sich modernen und klassischen Sounds zwischen Funk, Disco, Hip Hop und House widmet und an der unter anderem auch Duktus beteiligt ist. Passenderweise findet dort am Samstag den 6.4. die Releaseparty zur EP statt.

Aber auch das Cover weist auf die Funk-Geschichte hin: Was Rollschuhfahren mit Funk und daraus resultierenden Musikrichtungen zu tun hatt, könnt ihr hier nachlesen.

Duktus „The Big Five“ (Resistant Mindz)

Das ist viel zu viel Funk für euch? Prima, denn es gibt weitere Neuigkeiten von Duktus: Auf der „The Big Five“-EP verschmilzt er seine Beats mit Electronica-/IDM-Spielereien. Die sechs Tracks sind im direkten Vergleich sehr viel bunter als die der „Funky Reflections“-EP, schnattern hier doch eine Vielzahl an Samples und diversen Sounds munter durcheinander. Dennoch setzt sich insgesamt ein ebenfalls entspannter Grundton durch. „Arpegizant“ besticht mit wunderbar verspielten Melodien und ist für mich der Hit der EP. In punkto Weirdness siegt aber der Track „Carisma“, der sich im Verlauf zu einem weirden Dancefloor-Stomper entwickelt. Probiert dazu mal eure Roboter-Moves im Club.

Various Artists „Broken District 3“ (Broken District Records)

Sehr jazzy und trotzdem tanzbar klingt es hingegen auf der Compilation „Broken District 3“ des gleichnamigen Labels aus Bordeaux. Duktus ist hier mit einem Track vertreten, der zusammen mit der ODC Live Band beim OverDubClub in der Distillery aufgenommen wurde. Ein sehr gut eingespieltes Team: Bei einzelnen Instrumenten bin ich mir gar nicht sicher, ob sie von der Band stammen oder aus den Synthies und Samplern von Duktus. Insgesamt ist mir der Track zu brav, zeigt aber, welches Potential in einer solchen Kombination steckt.

Dystopie im Denkmal – Bells Echo IV

Es gibt wenige regelmäßige Reihen für experimentelle elektronische Musik in Leipzig. Bells Echo schließt die Lücke einmal jährlich an besonderen Orten – 2019 wird alles noch monumentaler und größer.

Drone, Ambient, Doom. Electronica, Performance und visuelle Kunst – all das vereint die Konzertreihe Bells Echo seit Ende 2015 in wechselnden Locations. Und das sind nicht irgendwelche Orte, sondern bevorzugt Kirchen. Musik und Visuals entfalten sich also in riesigen Räumen mit spezieller Akustik, und sie müssen mit einem sakralen Charakter interagieren, der zugleich Ehrfurcht und Faszination weckt.

Das ist aber nicht alles, was Bells Echo so besonders macht: Denn die Reihe verlagert nicht einfach nur Konzerte verschiedener Acts und Bands in Kirchen. Zu jeder Ausgabe wird ein eigenes Werk komponiert und einmalig aufgeführt. Alex Röser und Stefkovic van Interesse entwickeln dafür den musikalischen Rahmen, der mit jeweils unterschiedlichen Instrumenten und von weiteren Gastmusiker*innen bespielt wird. Da treffen dann beispielsweise Synthesizer auf Orgel, Live-Drums, Chor und auf die raumgreifenden Visuals des Licht-Künstlers Felix Richter alias Gen.Pi.

Nach den Konzerten in der Philippuskirche, Paul-Gerhardt-Kirche und Peterskirche geht es dieses Jahr erstmals raus aus dem Kirchenraum, rein ins Innere eines der bekanntesten und historisch am stärksten aufgeladenen Orte Leipzigs: das Völkerschlachtdenkmal. In der monumentalen Krypta führt die Bells Echo-Crew ihr neues Stück „Gaialyse“ auf, das „anhand impulshafter Sprachfragmente, Chorgesang, Poesie und synthetischer Klangsphären […] nach Schnittmengen aus menschlicher Interpretationshoheit kollektiver Erinnerungen und der Unfehlbarkeit einer rationalen, artifiziellen Autorität [sucht].“

Dazu greift die Licht-Installation „Interspace“ von Birk Schmüthüsen den Sound des Abends auf und reagiert mit einem neuronalen Algorithmus darauf. Theoretischer Anker der „Gaialyse“-Aufführung wird die Frage sein, wie der Mensch des frühen 21. Jahrhunderts von späteren Generationen eingeschätzt werden möchte. Es geht also um Deutungshoheiten und Konnotationen.

Wer mehr über Bells Echo und den thematischen Rahmen sowie die Entstehung der Reihe erfahren mag, sollte am 4. April zum „Pre Echo“ ins Institut fuer Zukunft kommen. Dort gibt es eine musikalische Sneak Preview auf die vierte Ausgabe am 26. April. Außerdem moderiere ich ein Gespräch mit Alex Röser, Stefkovic van Interesse und Felix Richter.

Nach der Aufführung im Völkerschlachtdenkmal gibt es noch eine Premiere: eine Aftershow-Party mit dystopischem Techno im IfZ. Alle Fakten zu beiden Abenden gibt es hier:

Pre Echo
4.4.2019, 20 Uhr, Institut fuer Zukunft
Talk mit Bells Echo, Konzert mit Window Magic

Bells Echo IV
26.4.2019, 20 Uhr, Völkerschlachtdenkmal
1. Akt: „Xanten“ von Friederike Bernhardt
2. Akt: „Gaialyse“ mit Alex Röser, Stefkovic van Interesse, Felix Richter, Ensemble Aurora, sechs Drummern, zwei Solist*innen

Post Echo
26.4.2019, 23:59 Uhr, Institut fuer Zukunft
HOPE, Oake, Arcangelo, Freikörperkultur, Wurzel

Bock auf Tickets? Hier gibt es sie.

Bild-Credits: Klaus Nauber

Read on demand: RuheCast

Es gibt eine neue Rubrik bei uns: Read on demand. Hier stellen wir kurz und bündig Podcasts aus Leipzig vor. In unserer zweiten Episode sprechen wir mit Ramón aka Fabula von RuheCast.

Podcast:RuheCast
Laufende Nummer:#34
Gibt es seit:01.10.2017
Musikalischer Fokus:Ambient

 


NOTE NOTE –

Podcast? Podcast! = ein episodenhafter Audio- oder Videobeitrag, der über das Internet gehört werden kann. Podcast ist ein Kofferwort, welches sich aus den beiden Wörtern iPod, der offenbar maßgeblich am Erfolg der Podcastkultur beteiligt war, sowie cast, einer Abkürzung des Wortes Broadcast (Rundfunk) zusammensetzt.

(Quelle: Oxford English Dictionary)

Podcast ist doch eigentlich genau das Gegenteil von Ruhe, oder? Die Verblendung von Podcast (in sich bereits ein Kofferwort, siehe Infokästlein oben) mit Ruhe ist also schon bemerkenswert. Auf den ersten Blick – denn Ruhe ist nicht Stille.

Absolut passend ist es da, dass es beim RuheCast um Ambient geht. Denn ruhiger und mitunter auch etwas leiser darf es Montag oder Dienstag, eventuell-vielleicht nach einem Wochenende voller Techno-Geballere (just guessing) gerne zugehen.

Ramón aka Fabula hätte da was für euch und uns – sein Podcast kommt alle zwei Wochen mit einer Stunde Ambient um die Ecke.

Wir haben ihn gefragt, was noch hinter seinem Projekt steckt.

ff: Ein Podcast bei dir besteht aus..?
Ramón: Einer Stunde Musik, einem kleinen Text darüber, was dem Künstler oder der Künstlerin durch den Kopf ging, welche Idee es bei der Aufnahme gab o.ä., einer Tracklist, einem jeweils auf Grundlage einer Arbeit von Denny Brückner – der auch für den Faceboook- und SoundCloud-Header verantwortlich ist – aktualisiertem Artwork und seit einiger Zeit auch einem Promo-Bild.

Was ist der musikalische Fokus bei Ruhecast..?
Wenn ich Leute anfrage, stelle ich die Reihe immer so vor, dass der Fokus auf „Ambient und Ähnlichem“ liegt. Wenn man sich durchhört, wird man beruhigende, aufwühlende oder verstörende Soundscapes entdecken können, Field Recordings, Glitches und Beeps und auch mal einen Dubtechno-Track.

Wie sieht es mit den Rahmenbedingungen bzw. Vorgaben aus?
Ich hab hin und her überlegt, ob die Vorgaben bei mir höher und niedriger sein könnten als bei anderen Podcasts.

Erst dachte ich, sie seien höher, weil der Name ja schon nahelegt, worum es ungefähr gehen soll – bei Georg Bigalkes 45 Minutes of Techno-Reihe hab ich vor Jahren mal einen Ambient-Mix gemacht, umgekehrt gab es bei mir bisher keine Techno-Mixe.

Aber die meisten Podcast-Reihen, die ich so auf dem Schirm habe, haben dann doch auch einen ziemlich festen Sound, was mich dann doch eher zu der Überzeugung gebracht hat, dass bei mir die Freiheiten recht hoch sein könnten.

Wieso hast du diese Podcast-Reihe ins Leben gerufen?
Ich hatte ein paar Jahre lang Partys mit der Syndikat // Unikat-Crew (Grüße gehen an Vic Synthetic!) in Dresden gemacht, das dann aber aus verschiedenen Gründen im Mai 2017 eingestellt.

Eine Podcast-Reihe wollte ich immer mal schon machen, aber es hat nie so richtig gepasst, das war jetzt der beste Zeitpunkt.

Mein eigenes Hörverhalten gestaltet sich außerdem bei den klassischen Techno-Podcasts ungefähr so: Tracklist anschauen, von Übergang zu Übergang klicken und schauen, ob alles passt. Das ist eine blöde Angewohnheit, aber meistens habe ich einfach keine Lust, mir zu Hause solche Sachen anzuhören.

Das wäre jetzt dann vermutlich der richtige Ort, um vermeintlich kritische Erklärungen über conscious listening und zum Verhältnis von Entspannung und irgendwelchen stressigen Arbeits- und Alltagen im Kapitalismus zu bringen, aber nein: der RuheCast soll einfach etwas sein, was man sich gern von vorn bis hinten durchhört und zu diesem Zwecke mache ich ihn.

Welches sind die drei Podcasts, die dir am besten gefallen, besonders für dich waren – weil…?

1. #1 von Stanley Schmidt

Der erste war natürlich ganz besonders. Ich hatte Jonas (Stanley Schmidt) im Juli oder August 2017 im Berghain vorne rechts zwischen Bar und DJ-Pult, hinter dem Maria (Solaris) gerade gespielt hat, erzählt, dass ich so einen Ambient-Podcast machen will und ob er nicht Lust hätte, die erste Episode zu machen.
Er hat sofort zugesagt! Gehört auch nach wie vor zu meinen Favoriten.

2. #12 von Nina Pixel

Besonders ist auch die #012 von Nina Pixel und zwar nicht nur, weil sie bisher die einzige war, die sich strikt nicht mit der Stunde begnügt hat, nach der ich sie gefragt hatte, sondern auch, weil Infotext und die Liste des Materials, das sie verwendet hat, so lang und auch so im besten Sinne obskur sind, dass der Platz, den soundcloud für Infos unter den Tracks lässt, nicht ausgereicht hat.

3. #32 von Georg Vlad

Schließlich hat George Vlad kürzlich als erster einen Mix aus field recordings beigesteuert, die er so zwischen Donaudelta und Senegal aufgenommen hat. Wer also mal ein Großes Waldschwein durch sein Zimmer brüllen hören will: Das ist die Chance!

 

Wie werden die Künstler*innen ausgesucht? Kann man sich bewerben, werden die DJs/Liveacts ‚handverlesen‘ ausgewählt?
Die meisten Leute kenne ich persönlich, hab sie mal auf eine Party eingeladen oder mit ihnen auf einer gespielt oder ähnliches. Deshalb sind die meisten auch genuine Techno-Leute, die ich dann eben frage, ob sie Lust haben, mal einen Ambient-Mix zu machen und siehe da, es klappt!

Sonst lurke ich durch’s Internet und wenn ich denke, dass etwas interessant ist und sich realisieren lässt, dann schreibe eine kleine Nachricht und frage nach.

Ab und zu kommt es vor, dass mich Leute fragen oder für Leute fragen oder jemanden kennen, der unbedingt mal … und so, das kennt, denke ich, jeder, der Podcasts oder Partys macht.

Gibt es ein Konzept nach dem ausgewählt wird?
Kein festes Konzept, nein. Wie gesagt, die meisten Leute kenne ich persönlich und wichtig ist es mir, dass ich denen die Möglichkeit gebe, einen Mix aufzunehmen, der anders ist als das, was sie vielleicht üblicherweise tun.

Je größer und populärer die Namen derer, die ich nicht persönlich kenne oder die sich nicht in meinem Umfeld bewegen und um die ich mich bisher bemüht habe, desto stressiger und weniger zuverlässig wurde es am Ende.

Diese Leute würden mir bestimmte höhere Play-Zahlen, Aufmerksamkeit und Fame einbringen und es wäre gelogen, wenn ich sagte, sowas sehe ich nich auch gern, aber am Ende ist es mir den Stress nicht wert.

Was motiviert dich, die Podcastreihe zu befüttern, also regelmäßig Zeit und Arbeit reinzustecken?

Die meisten Leute, die ich frage, sind schon sehr erfreut und haben Bock, sowas zu machen, weil Ähnliches vermutlich nicht so sehr oft vorkommt. Das finde ich dann auch schön und möchte es allein deshalb weiterführen.

Das Gleiche gilt auf der anderen Seite für meine mittlerweile existente kleine Stammhörerschaft:

Es ist einfach cool zu wissen, dass da irgendwo Leute sitzen, die alles anhören, was man veröffentlicht.

Und denen möchte ich auch weiterhin etwas Interessantes anbieten. Außerdem gibt es mir natürlich selber die Möglichkeit, alle zwei Wochen montags Musik zu hören und kennenzulernen.

Schön gesagt. Danke Ramón für den Insight bei RuheCast.

Hier gibt es für euch noch die aktuelle #34, um die Zeit zu strecken – bis wir einen weiteren Podcast aus Leipzig vorstellen.

„Ich finde es schwierig, da klare Linien zu ziehen“

Im Sommer 2017 habe ich für die Elektrokonsumenten Jenny Sharp, Hip-Hop DJ aus Leipzig, porträtiert. Ich weiß noch, dass es eine kurze Diskussion gab, ob sie in die Porträtreihe passt, da es doch „um elektronische Musik geht“ – hm, dachte ich, sie legt auf. Sie macht elektronische Musik. Oder nicht?

2019. Ich schreibe für frohfroh und frage mich immer mal wieder: Wo ist Hip-Hop in der elektronischen Musik zu verorten? 2019, denke ich, wir führen an vielen verschiedenen Punkten sinnlose Diskussionen über Grenzen, wieso auch an dieser Stelle. Also spreche ich mit Personen, die tief in der Materie verankert sind, und frage sie: Ist Hip-Hop elektronische Musik?

Nein, ist es nicht. Oder?
Bevor ich mich mit Shortee, Jahmica, Flynn und Kenji451 unterhalte, mache ich spaßeshalber online eine kurze Umfrage zu dem Thema. „Ist Hip-Hop für euch elektronische Musik?“, frage ich. 7% sagen ja (27 Personen), 93% sagen nein (383 Personen).

„Warum/Warum nicht?“ frage ich weiter. „Hip-Hop ist Hip-Hop“. Cool, denke ich, stimmt. „Weil’s nicer ist“ und „Warum ist Tofu kein Steak“ überzeugen mich als Argument nicht. Dann geht es um Rap: „Bereits die Stimme ist ausreichend für einen Text und Rhythmus“, „Hip-Hop kann auch ein Beatboxer und ein Rapper sein“, „Weil die Sprache im Vordergrund steht, nicht die (elektronische) Musik“ und „Verbinde Hip-Hop eher mit Sprechgesang“.

Andere Begründungen beziehen sich auf technischere Details der Musik und die Entstehung: „Die Beats klingen für mich nach „echten“ Drums“, „häufig rhythm&blues Einflüsse“, „Weil Hip-Hop aus Rap und Samples besteht – die waren meist von Hand eingespielt“, „Die meisten Samples die verwendet werden sind Jazz, Disco, Pop“, „Hip-Hop hat seinen Ursprung im Jazz und black music“. Eine Person schreibt: „Das Sampling ist für mich eine Basis von Hip-Hop und das funktioniert elektronisch“ (das war wohl eine der 7 Personen, die für „ja“ gestimmt haben).

Ich merke, Menschen ziehen unterschiedliche Punkte in Erwägung. Wie grenzt man ab, wie schlägt man die Brücke, will man sie schlagen: Über die historische Entwicklung von Genres, über die Machart, die Produktion, über die Message oder die gelebte Kultur?

Shortee –DJ und LoFi Produzent in Leipzig

Shortee ist Leipziger und hat vor 20 Jahren angefangen, klassischen Hip-Hop aufzulegen – East Coast, Old School. Mit Freunden war er Resident im Cad Club, er hat in Leipziger Clubs aufgelegt und war Tour-DJ für Nahost Kommando (Morlokk Dilemma). Er hat gebreakdanced, für Breaker aufgelegt.

Irgendwann hatte er keine Lust mehr, konnte seine alten Platten nicht mehr hören und hat sich mehr dem Drum’n’Bass, Grime, Glitch Hop & Dubstep zugewendet. Im Hip-Hop selbst hat er sich auf Instrumentales konzentriert, Turntablism betrieben. Produziert hat er schon früher, damals mehr just for fun, Freunde haben gerappt, er gescratcht und Beats gebaut. Schulisch und für die Ausbildung hat er dann mehr die gestalterische, kreative Richtung eingeschlagen. Gesprüht hat er natürlich früher auch – seit er 12 war.

Das Musikmachen trat erst mal in den Hintergrund, bis er vor ein paar Jahren wieder Bock hatte und sich mehr auf LoFi konzentrierte. „Ich bin halt alt, ich bin mit C64, Gameboy und so ´nem Kram aufgewachsen. Ich mag den Klang von diesen LoFi-Geräten.“ Vor ein paar Jahren hat er dank einer Keller-Aufräumaktion eine Kiste voller Gameboys bekommen.

„Wenn du dich an den PC setzt, mit Fruityloops, Ableton – du hast alle Möglichkeiten dieser Erde, kannst aus den Vollen schöpfen.

Was das aber auch bedeutet: Man mehrt immer weiter rum und schafft nichts, weil es nie ganz die Ansprüche erfüllt. Auf dem Gameboy ist es so LoFi, du hast so wenige Möglichkeiten, das macht kreativ. Es ist vielleicht ein skurriles Hobby, aber es macht Spaß.“ Ich frage ihn, ob er als Produzent Unterschiede merkt, zwischen den verschiedenen Genres. „Ich denke recht wenig in Genres, wenn ich Musik mache. Ich mache halt Beats. Das reicht von Hip-Hop über Halftime Drum’n’Bass, Dubstep hin zu Gabba manchmal. Keine Ahnung, ich mische gerne. (lacht)“

Jahmica – Rapper in Leipzig

Für Jahmica hängt Musikmachen eng mit Musikhören zusammen. „Ich war schon immer ein Musikfreak, hab viele verschiedene Genre und Musikformate gehört. Mich hat es gereizt, das auch zu machen – und meine Ausdrucksform war halt eher das Sprachliche, und so kam ich in den Hip-Hop, da hab ich dann das Freestylen für mich entdeckt. Ich hab gemerkt, dass man sich damit halt frei, locker machen kann. Je mehr ich mich mit Musik beschäftigt habe, desto mehr bin ich eben auch in die Materie eingetaucht – bevor ich gerappt habe, habe ich mir sogar diverse Programme runtergeladen, Fruityloops usw., und hab dann versucht House, Techno und irgendwelche noisy elektronischen Beats zu produzieren. Je mehr ich eine Vorstellung von der Musik entwickelt habe, desto mehr wollte ich dann natürlich auch am Produktionsprozess beteiligt sein. Ich hab schon ein paar Sachen auf eigenen Beats released, aber meistens ist es so, dass ich mit anderen zusammen produziere – das macht auch einfach mehr Spaß, und der Fokus liegt bei mir schon eher auf dem Rappen.“

Jahmica denkt selten in Genregrenzen. Feiern geht er gerne zu noisy Technosounds und experimenteller elektronischer Musik. Er mag neben Hip-Hop auch Wave & Postpunk.

„Diesen klassischen Hip-Hop hab ich selber auch viel gehört, das ist ein bisschen wie Speed-Reading, in den Songs sind ja auch viele interessante Schilderungen enthalten. Später hab ich dann Techno und ähnliche Genres für mich entdeckt und fand daran schön, dass man selber denken konnte, da war mehr Platz für die eigenen Gedanken.“

Flynn – LoFi Produzent in Leipzig

Flynn haben schon immer am meisten die Beats am Hip-Hop interessiert. Das erste Mal, dass er mit Hip-Hop in Berührung kam, war ein Wu-Tang Album des Freundes seiner großen Schwester.

„Ich fand das super cool, das war ein Comic-Cover, GZA Liquid Swords. Das war als ich so sechs oder sieben war. An englischen Worten hab ich damals nur „Yes“, „No“, „Fuck“ und „Shit“ verstanden – für mich war also Hip-Hop der Beat, und die Leute, die drüber gerappt haben, waren irgendwie Superhelden. Ich glaube, umso älter ich geworden bin und umso mehr Text ich verstanden habe, umso mehr habe ich mich manchmal davon abgewandt. Ich bin einfach nicht empfänglich dafür, wenn du mir erzählst, was für coole Schuhe du hast. So kam ich dann vor zehn, zwölf Jahren zu den Beats: Ich hab das einfach nur gemacht, weil ich Beats hören wollte.“

In der Pubertät hat er mehr Jazz gehört, dann kam „Can I kick it“ von A Tribe Called Quest – mit „walk on the wild side“ von Lou Reed gesamplet. „An der Stelle dachte ich “Krass. Ich verstehe, wie Hip-Hop gemacht wird„ – vorher konnte ich mir nicht vorstellen, wie man das technisch macht. Dann hab ich verstanden, dass im Grunde nur Aufnahmeschnipsel aneinander gereiht werden. Zu der Zeit gab es kein Youtube etc., ich wusste nicht, dass da jemand einen kleinen Drumcomputer nimmt und drauf rumdrückt. Ich weiß nicht, ich dachte, da steht vielleicht eine Band im Studio, die dann immer diese kurzen Passagen spielt. Irgendwann hab ich dann natürlich gecheckt, wie es funktioniert, hab mir meinen ersten Sampler gekauft, einen Roland Sampler, SP606.“

Kenji451 – Produzent in Berlin

Kenji hat vor über 20 Jahren angefangen, Hip-Hop und Trip-Hop aufzulegen. Bei Bruno Fortuno (yeah) und Sikk hat er dann einen AkaiS2000 Sampler gesehen und nicht mehr länger auf der Playstation Beats gebaut. Mit DJ Werd (Sido Fans werden ihn kennen) gründete er um die 00er die Band Long Lost Relative. Später ist er Produzent und Tour-DJ für grim104 (Zugezogen Maskulin), inzwischen hat er auch eine Solo EP released.

Was Kenjis Stil prägt: Die vielen Einflüsse, die Bandbreite der Samples, macht es schwer, ihn genretechnisch genau zu verorten. Irgendwie dreamy, irgendwie atmosphärisch, irgendwie Cloud Rap. Wahrscheinlich ist das genau das Spannende an ihm und der Grund dafür, dass er als Produzent, denen meist noch zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, mit seiner EP so erfolgreich war.

Historische Entwicklung und Einordnung der Genres
Long story short: Wir schreiben Anfang der 70er in New York. In den Ghettos von Harlem beginnt Kool DJ Herc auf Blockparties Funk-und Soul Platten zu loopen, er jongliert mit Beats, die Leute mögen es. B-Boys breakdancen auf den Partys, Leute greifen sich das Mikro und heizen die Partys an – später werden sie MCs genannt. Mehr und mehr DJs lassen sich inspirieren: Grandmaster Flash, Afrika Bambaataa, sie cutten und scratchen. Durch „Rapper’s Delight“ der Sugar Hill Gang wird der Hip-Hop massentauglich. (Über die Entstehung von Hip-Hop gibt es unzählige Dokus, weshalb ich mich hier auf einen kurzen Abriss beschränken werde. Wen es interessiert, empfehlenswert finde ich persönlich „Hip-Hop Evolution“, hosted by Shad, gibt’s auf Netflix.)

Aus der Fusion von Disco und Hip-Hop geht House hervor, als dann Afrika Bambaataa Kraftwerk in „Planet Rock“ samplet kommen Synthesizer ins Spiel: Electro Funk entsteht aus der Kombination von europäischem Synthpop und amerikanischem Hip-Hop bzw. House.

„Afrika Bambaataa, Planet Rock ist einer der ersten Songs, in dem man die 808 Kickdrum richtig prägnant hört. Das hat den Leuten in Miami so gut gefallen, die haben immer nur Planet Rock gehört, weil die gerne in ihren Cabrios rumgefahren sind und der Track hat so ‘ne geile bouncy Kickdrum. Und daraus ist dann Miami Bass entstanden.“ erklärt Flynn. „Und im Miami Bass findet zumindest viel amerikanische elektronische Tanzmusik ihre Wurzeln.“

Ende der 1980er entwickeln sich in der elektronischen Tanzmusik rasend schnell verschiedenste Subgenres, Techno zum Beispiel.
Shortee greift den Einfluss von Hip-Hop und die Fusion von Genres auf. „Ich finde, Hip-Hop ist, nach wie vor, die einflussreichste elektronische Musikrichtung. Es gibt so viele Genres innerhalb von Hip-Hop, die so viel beeinflusst haben. Sei es Electro in den 80ern, Trip-Hop in den 90ern, House Anfang der 80er beispielsweise die Junglebrothers – House mit Rap, das gibt es heute noch. Oder so Kram wie Technotronic mit „Pump up the Jam“. Hip-Hop hat so viele elektronische Spielarten, Glitch, Grime, Dubstep, alles kommt irgendwie zusammen – und am Ende war irgendwo mal Hip-Hop drunter. EDM heute ist, vor allem was das Produzieren angeht, sehr beeinflusst von Hip-Hop.“

Dass „elektronische Musik“ oder „elektronische Tanzmusik“ ein absolut weitläufiger Sammelbegriff ist, macht Jahmica deutlich: „Ich fang mal andersrum an: Ich bin mit Schallplatten und viel „alter“ Musik – aus den 60ern/70ern/80ern – aufgewachsen. Dadurch hab ich diese Trennung zwischen Hip-Hop und elektronischer Musik persönlich gar nicht so krass empfunden. Mir war natürlich klar, dass es irgendwie unterteilt wird und sich auch Communities um die Genres herum bilden. Aber elektronische Musik ist ja erst mal ein relativ weit gefasster Begriff.

Wenn man beispielsweise einen engeren Begriff wie Techno nimmt, würde das ja auch darunter fallen, aber es ist was anderes als Hip-Hop. Das sind Entwicklungen, die sich an bestimmten Punkten vielleicht irgendwie beeinflusst haben, aber es sind ja schon unterschiedliche kulturelle Ausdrucksformen. Elektro in dem Sinne, da erinnere mich an Afrika Bambaataa, der Kraftwerk gesamplet hat oder so Miami Bass Synthlines – das war purer Elektro, der in den 70ern/80ern so entstanden ist. Heutzutage ist alles so verschmolzen, es gibt so viele Subgenres, die Grenzen sind total fließend. Ich finde, Hip-Hop sollte auf jeden Fall mit gemeint werden. Das schließt ja nicht aus, dass es in der Bubble „elektronische“ Musik nicht auch super viele Praktiken, Subgenres und Gruppen geben kann, die sich darum gathern.“

Technische Aspekte und Instrumentals
Als ich Shortee frage, ob Hip-Hop für ihn elektronische Musik ist oder nicht, antwortet er: „Hip-Hop ist elektronische Musik. Punkt.“ Er lacht. Dann erklärt er: „Der klassische Hip-Hop definiert sich meist über Sampling, es wird viel mit Synthesizern eingespielt. Sampling zum Beispiel ist ja erst über elektronische Geräte möglich geworden. Hip-Hop ist eine der ersten Musikrichtungen, in der Drummachines super steil gegangen sind, im Electro Funk, aber auch an der West Coast: Dr. Dre, Snoop Dog. Da gibt’s Synthesizer, Samplings – ganz klassisch elektronisch.

Jungle zum Beispiel ist auch eindeutig eine elektronische Musikrichtung, basiert aber komplett auf Amen Breaks, einem Drum-Break-Sample einer 70er Jahre Funk-Combo, also einem analogen Sample. Trotzdem ist das dann elektronische Musik. Oder Drum’n‘ Bass – es gibt so viele Drum’n’Bass Livebands. Ich weiß nicht, warum das so getrennt wird. In meinem Kopf ist das nicht so.“

Jahmica denkt in eine ähnliche Richtung: „Im Hip-Hop hat man auch immer ähnliche Drummachines benutzt wie später dann bei anderer elektronischer Musik. Ich glaube, wenn man den Oberbegriff („elektronische Musik“) nimmt, da gehören ganz viele Stile rein.

Im Grunde alles, wofür elektronische Geräte benutzt werden, wenn man mal richtig abstrakt werden will. Wenn jetzt ein Techno oder Acid-Produzent einen 808 nimmt, unterscheidet es sich von der Ästhetik zwar, von den Produktionsmitteln her aber nicht. Selbst wenn jemand im LoFi Bereich ein Sample flippt, was sich erst mal nach organischer Musik anhört, ist es ja trotzdem meist elektronisch produziert.“

Macht für mich Sinn, auch wenn man die historische Entwicklung von Hip-Hop und den Gebrauch der Technik im Hinterkopf hat. Shortee, der sich viel mit der Kunst des Turntablism auseinander gesetzt hat, betont die technischen Skills der DJs. „Was ich im Hip-Hop immer ganz wichtig finde ist die Position des DJ und die Techniken und Skills die da entwickelt wurden.

Es gibt Weltmeisterschaften im Scratchen & Beat Juggling, wo innerhalb von ein paar Minuten Routines aus 50 Platten gebaut werden. Daraus ist gerade um die Jahrtausendwende echt einflussreiches Zeug entstanden. Die haben live mit ihren Plattenspielern teilweise sehr elektronische Musik gemacht haben, weil sie einerseits Samples gespielt haben, andererseits die Kabel genutzt haben, um ihre Mischpulte kurzzuschließen und damit Geräusche zu modulieren.

Das haben die dann als DJ Combo performed. Gerade im Hip-Hop Insturmental Bereich hat da eine große Rolle gespielt. Turntablism ist ein nicht zu verachtender Einfluss auf Hip-Hop als elektronische Musik, vom Klang und von den Möglichkeiten her.“

Rap /Vocals
Für viele Menschen ist der Rap ein ausschlaggebendes Element für Hip-Hop. Das ist allerdings ein wenig kurz gedacht. Gewachsen ist der Hip-Hop zweifellos in enger Verbindung des DJs und des MCs. Ausschlaggebend sei diese Verknüpfung aber nicht, so Kenji. „Naja es gab am Anfang ja auch nur die „Beats“ – es gab nur DJs, keine Rapper zu Beginn.

Und die DJs haben zu Anfang das gemacht, was später der Sampler gemacht hat: Ein Stück rausgesucht, und das dann immer geloopt, vier fünf Minuten lang. Irgendwann kam dann ein MCs als Partyanheizer, der Texte darauf rausgehauen hat. Hip-Hop ist für mich also getrennt von Rap. Für mich gibt es eben Hip-Hop – die Beats – und Rap. Der heutige Rap hat mit dem von früher auch nicht mehr viel zu tun. Früher ging es ums Partymachen, darum, die Kids von der Straße zu holen und Texte gegen Gewalt zu machen, nicht Gewalt zu verherrlichen. Heute ist es oft umgekehrt. Jetzt geht’s eher darum, zu zeigen, was man hat, da wird übers Crackdealen und Leute erschießen gerappt.“

Jahmica sieht das ähnlich – zumindest in Bezug auf das, was heute Hip-Hop ist. „Von der Kultur her, was damit gemeint wird, was es ausdrücken soll – da gibt es natürlich schon Unterschiede zwischen beispielsweise Techno und Hip-Hop.“ erklärt er. „Hip-Hop ist oft eine sehr textlastige Musikrichtung gewesen, gerade dieser golden Ära Hip-Hop. Hast du früher nen Hip-Hop Text gegooglet, hattest du nen riesigen Text mit vielen Silben pro Takt. Ich würde sagen heute geht es oft auch in eine andere, reduziertere Richtung, Textmenge pro Song.

Bei einem einfachen Trap-Song beispielsweise, wo viel mit Wortwiederholung gearbeitet wird und man vielleicht fünf Zeilen hat, die sich immer wiederholen.“ In gewisser Weise sieht er den Rap auch getrennt von den Beats: Rap funktioniert in vielen Kontexten. „Ich mag es, Rappen als Stilmittel zu sehen. Das klingt erst mal so, als würde man es reduzieren auf eine Technik, aber eigentlich macht man es dadurch größer weil es anschlussfähiger wird und in viel mehr Kontexten stattfinden kann.“

Besonderheiten der gelebten Kultur
„Hip-Hop an sich ist nicht wirklich nur eine Musikrichtung. Du hast jemanden der Beats baut, jemanden der rappt, du hast Graffiti, du hast Beat Box.“ sagt Shortee zu mir. True. Wenn ich an Hip-Hop denke, sehe ich Boys mit weiten Hosen, Caps, die Breakdancen und zwischendrin mal Graffiti malen. Ich denke an Rap und an einen Typen mit fetten Kopfhörern, der scratcht und juggled. Kleiner Einwurf: es ist ja auch bezeichnend, dass man automatisch an Typen denkt, oder geht’s da nur mir so?

Flynn greift dieses Bild auf: „Früher hat man mal gesagt, Hip-Hop hätte vier Elemente: MC, Graffiti, Breakdance und Beats. Heute ist es aber so, dass jemand, der sich im Hip-Hop verortet, nicht zwangsläufig alle diese vier Sachen erfüllt, manchmal auch gar keins davon, oder andersherum: Ich kenne Leute aus der Graffiti-Szene, die hören gar keinen Hip-Hop sondern nur ganz andere Musik. Dass Hip-Hop diese vier Elemente ausmacht finde ich ein bisschen überholt. Klar, in der Entstehungszeit war das wichtig, da hat sich eine ganze Jugendszene dran orientiert.

Aber heute, wenn wir Debatten führen wie „Ist Trap noch Hip-Hop, ist Trip-Hop noch Hip-Hop“, ich glaube da spielt das keine Rolle mehr. Ich denke das ist Teil dieser Abgrenzung zwischen Techno und Hip-Hop. Dass Hip-Hop sich früher in sich als Kultur so ernst genommen hat: Wenn du dazu gehörst, dann gehörst du so richtig dazu. Aber wenn du nicht dazu gehörst, dann gehörst du auch so richtig nicht dazu. Im Techno gibt’s das glaube ich nicht so. Ich denke aber auch, dass Hip-Hop da an vielen Stellen schon raus gewachsen ist, aus diesen Dresscodes und Erkennungsmerkmalen.

Es ist ja auch aus dieser Gang-Kultur erwachsen, Graffiti, dein Revier markieren. Wenn du in der Bronx warst wusstest du dadurch, wo du hingehen kannst und wo nicht, „ok hier ist dieser Tag, die Straße gehört den und den Jungs, da gehe ich jetzt lieber nicht durch, die nehmen mir sonst meine Schuhe ab“ – diese Notwendigkeit haben wir heute nicht mehr, dadurch hat Graffiti sich ja auch in eine ganz andere Richtung entwickelt teilweise.“

Für Kenji gibt es eine klare Unterscheidung zwischen der Szene und dem Hip-Hop als Musik. „Generell ist die Frage, was man als Hip-Hop sieht. Es gibt Menschen, die sagen Hip-Hop ist Graffiti, Breakdance, Beats machen, DJing – mehrere Elemente also. Aber es gab ja Sprüher beispielsweise schon weitaus früher, als es Hip-Hop Musik gab. Ich denke „Hip-Hop“ ist ein Begriff, der ins Leben gerufen wurde, damit man es besser vermarkten konnte, und darunter wurden dann verschiedene jugendliche Trends zusammengefasst.“

Den Wunsch, sich als Szene abzugrenzen, kann Shortee nachvollziehen, früher hätte er es ähnlich gesehen. „Ich kann mir auch vorstellen, dass die Trennung aus der Szene selbst kommt. Hättest du vor 20, 30 Jahren jemanden gefragt, dann hättest du bestimmt die Antwort bekommen „Nee, Hip-Hop ist nicht elektronische Musik“. Also ich hätte das glaube ich damals so gesagt „Elektronische Musik? Ich mache Hip-Hop“ – heute ist das nicht mehr so. Wie gesagt, diese ganzen Spielarten des Hip-Hop, oder was aktuell an Hip-Hop läuft ist alles elektronisch.“

Jahmica denkt noch einen Schritt weiter, weg von den classic four der Hip-Hop Szene hin zu dem historisch-politischen Kontext. „Dass sich so Peer-Groups um etwas herum bilden, ist ja ein noch viel größerer Prozess. Wenn man sich anschaut, aus welchen revolutionären oder Protestideen Techno und Hip-Hop entstanden sind, gibt es teilweise Schnittmengen, nur haben sich die Ausdrucksformen voneinander weg entwickelt.

Im Hip-Hop gab es zwar bestimmte Standpunkte aus der Subkultur heraus, gegen welche gesellschaftlichen Verhältnisse man protestiert – gleichzeitig war die Szene aber auch geprägt von Gewalt und Homophobie, das ist bei Techno vielleicht etwas weniger der Fall gewesen, vielleicht auch aufgrund von einem freieren Umgang mit dem Körper und Sexualität – was sich wiederrum ja auch widerspiegelt in den Ästhetiken und wie man die Musik produziert, wie man ein Event darum strukturiert.

Ein idealisiertes Beispiel im Techno wäre ein Club, der ein Safe Space sein soll. Bei Hip-Hop ging‘s oft ja auch um Competitions und Battles, wo man nicht unbedingt damit rechnen konnte, nicht physisch oder psychisch verletzt zu werden. Auch wenn ich aus meiner Erfahrung spreche, die ich auf den verschiedenen Hip-Hop bzw. Technoevents gemacht habe, kann ich das schon so wiedergeben.“

Allerdings kritisiert er trotz der Unterschiede, die er benennt, den Wunsch, die verschiedenen Genres und damit einhergehenden Kulturen so klar voneinander abzugrenzen. „Ich finde es schwierig, da klare Linien zu ziehen. Ist es nicht ein bisschen anmaßend, zu sagen: Das ist eine Kultur, die soll am besten noch für Freiheit stehen, aber da und da sind die Grenzen. Da packt man Sachen in eine abgeschlossene Bubble.“

Was bleibt zu sagen?
Letztendlich gibt es keine klare Antwort auf die Frage „Ist Hip-Hop elektronische Musik?“, weil viele Menschen ein verschiedenes Verständnis davon haben, was diese Bezeichnungen. Geht es ums rein Technische, geht es um die Szene, wie haben sich die Genres historisch entwickelt?

Flynn fasst es ziemlich gut zusammen. „Wenn man es ganz wissenschaftlich betrachtet ist Hip-Hop für mich elektronische Musik weil er elektronisch hergestellt wird und das seit jeher. Über die 90er, als Hip-Hop und Techno sich in so andere Richtungen entwickelt haben, hat sich ein Konflikt aufgebaut, den es vorher nicht unbedingt gab. Ich glaube Ende der 70er Anfang der 80er waren sich die House- und die Hip-Hop Szene durchaus einig – sie wollten Tanzmusik machen, wollten Musik machen die für jeden zugänglich ist. Da haben sie sehr viel gemein.

Ich glaube vor allem viele Hip-Hopper aus der Generation vor mir sind da engstirniger, für die ist elektronische Musik Loveparade, irgendwelche vollkommen zugekachelten Kids. Ich denke aber mittlerweile sehen das die meisten Leute, die Beats machen, die ich auch so kenne, nicht mehr so.

Elektronische Musik gab es schon vor Hip-Hop, schon vor House – wahrscheinlich schon in den 50ern. Deswegen finde ich können wir uns auch einfach alle gern haben und sagen, dass wir alle elektronische Musik machen, weil wir allesamt Steckdosen brauchen, um unsere Musik zu machen.

Klar, es gibt viel Musik, die ohne Steckdose funktioniert, aber Hip-Hop nicht, Techno nicht, Aphex Twin nicht und Tangerine Dream auch nicht.“

Quo vadis, Distillery?

Die Distillery hat ein neues Zuhause in Aussicht. Über die Hintergründe und die Zukunft haben wir mit Club-Chef Steffen Kache gesprochen.

Seit 1992, also seit unfassbaren 27 Jahren, gibt es die Distillery. Holy guacamole, den Laden gibt es genauso lange wie mich. Nicht nur wegen ihrer langen Bestandszeit ist die Tille eine Art Institution unter den Clubs. Sie ist ein Teil der Geschichte des Technos in Deutschland. Dass ausgerechnet dieser etablierte Laden aus seinen vier Wänden ausziehen muss, bewegt nicht nur Stammgäste und Mitarbeitende des Clubs.

Aber von vorn.

Die Distillery zog 1995 von Connewitz in die Südvorstadt. Jetzt wird der Club einmal mehr umziehen müssen. Die Bagger werden über kurz oder lang anrollen und ihn niederreißen. Denn wo jetzt noch die Distillery ist, wird ein neues Wohngebiet entstehen.

Leipzig wächst, ohne Rücksicht auf Verluste: Der Konsum-Supermarkt in der Westwerkhalle feiert bald Eröffnung und vom So&So-Club ist nichts mehr übrig, er wurde dem Erdboden gleichgemacht – und das ist ganz wörtlich zu verstehen. Auch dort sollen Wohnungen entstehen. Verdrängt wurden Ateliers, das Pferdehaus im Westwerk und eben das So&So.

Wir befinden uns also mitten in der Zeit des Clubsterbens, die wir mit roten Stecknadeln am Zeitstrahl der stadtgeschichtlichen Entwicklung markieren könn(t)en. Im Falle der Distillery wollen wir den Teufel nicht grundlos an die Wand malen, auch wenn er meist im Detail steckt.

Grundstückseigentümer des Areals, das die Distillery (noch) ihr Zuhause nennt, ist die Stadtbau AG. Distillery-Chef Steffen Kache hat Vertreter*innen dieser AG schon mehrfach getroffen und mit ihnen gesprochen. Schon vor zwei Jahren sagte Kache in einem Interview bei uns, er schätze, die Distillery müsse wohl innerhalb der nächsten fünf Jahre das Feld räumen – quite accurate, wie sich herausstellte.

Die gute Nachricht: Die Distillery kann in jedem Fall bis Februar 2022 auf dem heutigen Gelände bleiben, das versicherte zumindest Stadtbau-Vorstand Patrik Fahrenkamp. Einen Vertrag darüber gibt es bislang aber noch nicht.

Noch besser als dieses vorläufige Bleiberecht ist, dass die Club-Betreibenden um Chef Steffen Kache bereits einen neuen Club in Aussicht haben.

„Wenn das alles so klappt, dann wird das ein cooles Ding“,

sagt er mir am Telefon. Noch ist es nicht unter Dach und Fach – trotzdem ist er sehr zuversichtlich, was die Zukunft der Distillery angeht.

Irgendwie wird es weitergehen, das steht außer Frage. Dass sich jetzt schon eine interessante Immobilie aufgetan hat, ist ein gutes Zeichen.

Foto (1) frohfroh / Foto (2) von Stefan Leuschel.