Feiern ohne Jutebeutel – ein Besuch im Charles Bronson

Zu voll, zu warm, zu teuer und das Booking gefällt nicht. Kommentare wie diese liest und hört jeder Clubbetreiber in sozialen Netzwerken oder abends an der Clubtür. „Die Leute schreiben uns nichts, was uns nachts nicht schlafen lässt. Aber die Hallenser sind ziemlich wählerisch. Sie wollen für Hallenser Eintrittspreise feiern wie in Berlin. Zum Glück ist unsere Preispolitik human.“ sagt Micha, Booker vom Charles Bronson.

Klingt, als wäre alles entspannt in Leipzigs Trabanten Halle? Das war nicht immer so. In den ersten zwei Jahren in der Clubgeschichte vom Charles Bronson gab es zwei Brandanschläge und eine Bombendrohung. Frohfroh hat mit Geschäftsführer Robert (im Bild links) und mit dem Booker Micha (rechts) über die Zukunft und die Vergangenheit des einzigen House- und Technoclubs in Halle gesprochen.Im verflixten siebten Jahr investiert das Charles Bronson in einen umfassenden Umbau, um die Beziehung zu seinen Gästen zu festigen und neue Gäste anzulocken. 2009 eröffnete der Club in der Berliner Straße in einem leerstehenden DDR-Gebäudekomplex.

Früher wurden dort Omnibusse repariert. Im vorderen Teil war die Mensa für die Werkstattmitarbeiter. Im hinteren Bereich vom Charles Bronson, dem heutigen Pony, gab es zu DDR-Zeiten eine Kegelbahn. Die Holzvertäfelung und der leicht abschüssige Boden erinnern bis heute daran.Im Jahr 2011 gab es dann zwei Brandanschläge, die Geschäftsführer Robert sowie Lars und Sven von Monkey Safari zwangen, den Club weitgehend zu renovieren.

„Wer für die Brände verantwortlich ist, wurde bis heute nicht aufgeklärt“ sagt Robert, der sich noch gut an die Brandanschläge erinnern kann: „In einer Donnerstagnacht wurde eingebrochen, Stühle aufgestapelt, Benzin drüber verschüttet und der Club in Brand gesetzt. Wir hatten gerade neue Kunststoffwasserleitungen verlegt und die schmolzen und funktionierten glücklicherweise wie eine Sprenkelanlage.

Die Feuerwehr war schnell vor Ort, deshalb blieb der Schaden relativ gering. Da dachten wir schon, Glück gehabt! Allerdings machte das schnell die Runde und daher gab es dann von Freitag auf Samstag einen zweiten Brandanschlag. Dieses Mal wurde alles richtig gemacht, die Türen standen offen und das Feuer breitete sich im ganzen Laden auf. Damals wurden wir dann auch gefragt, warum wir die Versicherung betrügen wollten, allerdings hatten wir ja gar keine.“

Die Hallenser stärkten dem Bronson damals den Rücken und bauten den Club gemeinsam wieder auf. Nach der Wiedereröffnung lief der Laden dann sogar noch besser als vorher. Daher gab es in den letzten sieben Jahren einige legendäre Partys.Im ersten Jahr musste der Club in einer kalten Januarnacht geräumt werden, da bei der Polizei eine Bombendrohung eingegangen war.

Wie Robert uns erzählt, wurde diese Nacht zu einer der krassesten überhaupt. &ME legte auf und schon gegen ein Uhr war das Bronson brechend voll. Bis Robert von den Türstehern zum Eingang gerufen wurde und vor mehreren Polizeiautos stand. &ME musste über das DJ Pult durchsagen, dass das Bronson geräumt werden muss.Als alle Gäste draußen waren, wollte keiner nach Hause und die Polizei versprach, dass alle weiter feiern können, wenn keine Bombe gefunden wird. In der Zwischenzeit war ein Bus der Havag angerollt, damit keiner draußen frieren musste und &ME setzte sich gleich zum Busfahrer und überredete ihn, über sein Handy Musik im Bus laufen zu lassen.Robert muss lachen, während er die Geschichte von der Bombendrohung erzählt. Ganz besonders bei der Spürhund-Anekdote:

„Während die Leute mit &ME einfach in diesem Havag-Bus weiterfeierten, warteten wir auf den Sprengstoffspürhund. Wir rechneten mit einem gefährlich aussehenden Schäferhund. Und dann kam da so ein kleiner Fifi um die Ecke. Da konnten wir nicht mehr vor Lachen. Der erschnüffelte natürlich keine Bombe im Charles Bronson und so konnten wir gegen vier Uhr wieder rein. Die Party ging dann noch bis Sonntagvormittag und war eine der krassesten überhaupt.“

Von der Bombenparty mit &ME im Charles Bronson am 8. Januar 2011 gibt es auch einen Mitschnitt:

Seit Silvester 2015/2016 ist das Charles Bronson geschlossen, denn es wird gebaut. Mehr Toiletten müssen her, das Pony wird vergrößert und der Club im vorderen Bereich wird tiefschwarz gestrichen.

Etwa 300 Leute passen nach dem Umbau in den Laden. Für Micha ist das die perfekte Größe: „Man darf nicht vergessen, dass in Halle nur 230 000 Leute wohnen. Und die Leipziger kommen leider zu selten zu uns.“

Das soll sich aber nach der Winterpause ändern. Micha verrät, dass diesen Frühling Mathias Kaden und Acid Pauli im Bronson spielen werden. Bekanntere Bookings sollen mehr Gäste anlocken. Denn viele Studenten aus Halle fahren dank ihres Semestertickets am Wochenende lieber nach Leipzig zum Feiern.

„Interessanterweise haben wir besonders gemerkt, als das IFZ in Leipzig aufgemacht hat. Klar, wenn es was Neues gibt, stürmen alle hin und durch das Semesterticket sind die Wege kurz. Wir nehmen das als Ansporn für die neue Saison und versuchen den Leuten, neben dem Bonus der kurzen Wege, richtig gute Partys zu bieten.“ erklärt uns Robert.

Das Bronson streckt natürlich auch die Fühler Richtung Magdeburg, Dresden und Thüringen aus.

„Größere Veranstaltungen im letzten Jahr haben uns gezeigt, dass sich die Leute ins Auto setzen und zu uns kommen. Und nach sechs Jahren möchten wir auch außerhalb von Halle als das gesehen werden, was wir sind: Ein schöner Laden, mit schöner Anlage und mit kreativen Visuals. Es geht nicht nur um’s Mukke machen bei uns, sondern auch darum, sich hier unter netten Barkeepern, Betreibern und einer fairen Türpolitik zuhause zu fühlen.“ begründet Micha den Umbau.Klar, in diesem Zuge ist auch immer wieder zu hören, dass ins Charles Bronson nur der Saalekreis feiern geht. Aber auch mit diesem Vorurteil geht Robert ganz entspannt um:

„Uns geht’s nicht darum nur Jutebeutelträger und Hipster im Laden zu haben. Uns geht’s darum, mit Leuten zu feiern, die gute Musik zu schätzen wissen. Die gibt’s in allen Bevölkerungsschichten, egal ob Student oder Handwerker. Natürlich schließen wir extreme Gruppierungen und aggressive Leute aus. Nett, sympathisch, friedlich und feierfreudig, mehr musst du hier nicht sein!“

Micha fügt hinzu: „Ich sage doch auch nicht, ich gehe nicht ins IFZ, weil die da so hart selektieren … Das ist genau so eine unsinnige Pauschalisierung, wie zu sagen, bei uns feiert nur der Saalekreis.“

Bis kommenden Samstag ist das Charles Bronson noch geschlossen. Dafür wird es in diesem Jahr keine Sommerpause geben. Trotz der Spontan-Open-Airs, die in Halle im Gegensatz zu Leipzig dank einer liberalen Stadtpolitik erlaubt sind. Diese können kurzfristig bei der Stadt angemeldet werden und sind an bestimmten Orten, wie zum Beispiel auf der Ziegelwiese an der Saale erlaubt. Allerdings muss um 22 Uhr Ruhe sein. Daher sehen Robert und Micha spontane Open Airs nicht als Konkurrenz. Schließlich haben sie im Frühjahr letzten Jahres ihren verwunschenen Hof hinterm Bronson ausgebaut.Wir wünschen viel Erfolg für die neue Clubsaison und sagen Danke für das Interview, Robert und Micha. Wollt ihr den frohfroh-Lesern noch abschließende Worte mit auf den Weg geben?

Robert: „In Halle dreht sich die Spülung andersrum, wie in Australien. Das müsst ihr sehen, das ist spektakulär!“

Bilder: Charles Bronson / Kathi Groll

Charles Bronson Website
Mehr Halle hier: From Halle With Love

5 Years O*RS – Filburt im Interview

Irgendwie wirkt die Zeit weniger lang – aber Filburt betreibt seit fünf Jahren sein Label O*RS. Zeit für ein Interview.

O*RS gehört ohne Zweifel zu den festen Stützen der Leipziger Elektronik-Szene. Mit unterschiedlichen Formaten, Stilen, Release-Intervallen und einem stetig wachsenden Künstler-Stamm entwickelte sich Filburts Label zu einem klassischem Liebhaber-Label, das weniger auf Business-Standards schaut und dafür mehr im Sinne spontaner sowie zwischenmenschlich und subjektiv geprägter Entscheidungen agiert.

Zum Label-Jubiläum gibt es natürlich eine eigene Compilation und on top eine limitierte Box-Edition sowie ein von O*RS-Mitbetreiber Florian Seidel gestaltetes Plakat mit allen O*RS-Veröffentlichungen.

Zugleich feiert Filburt in diesem Jahr auch sein 20. Jubiläum als DJ. Das Gespräch mit ihm im Cantona ist also zu einem großen Rundumschlag geworden – von Label-Insights über Szene-Veränderungen bis zur lokalen Entwicklung. Aber lest selbst.

Fünf Jahre O*RS – wie fühlt es sich an nach fünf Jahre Label-Arbeit?

Auf alle Fälle motivierter denn je. Vor fünf Jahren war es eher eine Schnapsidee eine Platte zu machen – mit Tracks von Good Guy Mikesh und mir, die vorher nur digital veröffentlicht wurden. Und auch in einer Zeit, in der die Labels Vinyl-Releases zurückgezogen haben, weil sie meinten, dass sich Vinyl nicht mehr verkaufen würde.

Das war eigentlich der Startschuss der ersten O*RS-Platte, bei der ich damals aber noch nicht an ein Label gedacht habe. Ich wollte erstmal nur die eine Platte herausbringen, hatte durch meinen Freezone-Plattenladen aber das Glück, Kontakt zu Vertrieben zu haben. Und dann hat sie sich doch schnell verkauft.

Wie konntest du aber einen Vertrieb bekommen ohne Label-Absichten? Meist wollen die Vertriebe doch die nächsten Releases geplant sehen.

Das war bei Diamonds & Pearls. Die haben es damals sehr clever angestellt, weil sie sich die ganzen Underground-Labels gepickt haben. Mittlerweile sind sie aber auch ziemlich gewachsen. Wir hatten durch den Laden schon einen persönlichen Draht und ich habe sie einfach gefragt, ob sie die erste Platte nicht vertreiben wollen.

Nachdem sich die so gut verkauft hatte, dachte ich, dass es vielleicht weiter funktionieren könnte. In der Zwischenzeit sammelten sich bei mir unterbewusst einige Tracks, bei denen ich dachte, dass es mit denen auch funktionieren könnte. Daraus ist dann das Label entstanden.

Hattest du vorher irgendwann vor ein Label zu starten?

Ich glaube, vorher war ich noch etwas zu verblümt. Es gab vor Jahren mit Florian, der jetzt die O*RS-Grafik macht, die Idee für ein Label. Aber da haben wir uns hingesetzt und ein Finanzkonzept aufgestellt und überlegt, was das alles kosten soll – und dann hat sich das wieder zerlaufen. O*RS und alles was die letzten fünf Jahre passiert ist, ist ja aus sich heraus entstanden. Das finde ich auch das Faszinierende daran, dass es Stück für Stück gewachsen ist.

Es wirkt auch sehr intuitiv – wenn ich auf den Back-Katalog schaue, dann ist O*RS von den Stilen und auch von den Formaten her sehr breit aufgestellt. Gibt es einen Plan oder eine Vision?

Eine Vision habe ich, ja. Das hat sich bei den Alben widergespiegelt. Bei der „OverDubClub“-Compilation war es so, dass ich durch die EP mit Ranko Einblick in die Beatmaker-Szene bekommen habe. Das fand ich spannend und ich habe auch gemerkt, dass da eine enorme kreative Energie herrscht, die mal gebündelt werden müsste. Da gab es die Vision, diese Platte als Zeitdokument anzugehen – gerade durch die zweite Platte mit den Live-Mitschnitten.

Aber auch die „Softeis“-Compilation war eine Vision: Die ist entstanden, weil ich vorletztes Jahr an Weihnachten viel Zeit hatte, um ältere Platten wieder durchzuhören. Da habe ich festgestellt, dass der Plattenmarkt aktuell extrem der Industrie folgt.

Alben zum Hören aus dem elektronischen Bereich sind sehr selten geworden. Viele machen nur noch Dance-Tracks, um Bookings zu bekommen und ich wollte mit der „Softeis“-Compilation mal Ambient- und Downbeat-Tracks herausbringen, bei denen auch die Künstler zeigen können, dass sie nicht nur 4/4-Tracks produzieren. Die hat sich leider nicht so gut verkauft, aber damit hatte ich vorher bereits gerechnet.Weil die Nische für diese Musik zu klein ist?

Nein, weil der Markt sich gewandelt hat. Alben zum Hören sind ja eher für Endkunden gedacht, die aber mittlerweile eher bei Spotify oder Youtube gelandet sind und weniger Geld für Musik ausgeben. Und im DJ-Bereich habe ich manchmal das Gefühl, dass Platten, die von DJs gekauft werden, clubtauglich sein müssen.

O*RS ist auch bei Spotify – merkst du da im Gegenzug einen Zuwachs an „Endkunden“?

Digital sind wir erst seit zwei Jahren dabei. Vorher hatten wir nur Vinyl. Irgendwann hat mich dann ein Digital-Vertrieb angesprochen und da ist mittlerweile schon eine Steigerung sichtbar. Aber selbst die Digital-Verkäufe sind rückläufig, dafür werden Streaming-Angebote mehr genutzt. Das sieht man auch bei den Abrechnungen, wobei das beim Streaming im Vergleich zu einer verkauften MP3-Datei Peanuts sind.

Braucht es für so breit aufgestellte Labels mehr Idealismus als eh schon?

Das ist für mich generell die Herangehensweise. Ich bin ja jetzt als Filburt auch seit zwanzig Jahren DJ und vor kurzem bin ich umgezogen. Da ist meine komplette Plattensammlung durch die Hände gewandert – und ich habe nicht nur House-Platten im Schrank, sondern alle möglichen Genres. Es gab ja auch Zeiten, da hat es besser auf Partys funktioniert, verschiedene Genres zu crossen.

Mit Ulan Bator und Karamel Posse haben wir auch große Veranstaltungen gemacht, bei der es verschiedene Musikrichtungen auf einer Party gab. Das vermisse ich heute manchmal. In der Zeit mochte ich viele Labels, die breiter aufgestellt waren. Ninja Tunes zum Beispiel, die fast alles machen – von HipHop bis House.

Das war auch immer meine Vorstellung von einem Label. Klar sehen viele O*RS eher in einer House-Richtung – der Fokus liegt auch stark darauf – aber ich möchte mir die Freiheit nehmen, auch andere Sachen zu veröffentlichen. Da gehört natürlich Idealismus und Durchhaltevermögen dazu. Aber auf längere Sicht setzt sich so ein Ansatz auch leichter ab.

Du hast auch immer lokale Newcomer gefeatured – das scheint ein wichtiger Aspekt für dich zu sein.

Auf alle Fälle ist es so, dass ich immer gern ein Leipziger war und weiterhin gern hier in dieser Szene aktiv bin. Ich habe auch viel den Leuten von hier zu verdanken. Aber an einem gewissen Punkt habe ich festgestellt, dass ich auch älter werde und da war es mir wichtig zu schauen, was nachkommt.

Es hält ja auch jung und man hat weiter einen Bezug zu den Clubs. Wenn es neue spannende Leute gibt, sollte man die Talente der Stadt auch nach vorn bringen. Klar, beim Scouting habt ihr mir mit frohfroh auch viel geholfen, ich habe auch nicht alles auf dem Schirm.

Andererseits: Je größer das Label wurde, desto häufiger kamen auch renommiertere Namen mit rein.

Ja. Das waren immer Leute, die durch meine jahrelange Netzwerkarbeit eh schon im Dunstkreis waren und die einfach auch Bock darauf hatten. Das wirkt nach außen hin immer so gut funktionierend, aber wir verkaufen ja keine großen Stückzahlen – 300 bis 400 Platten.

Aber zum Beispiel Yannick Labbé ist für mich mit Trickski schon immer ein Hero gewesen. Wir sind dann in Kontakt gekommen und als er meinte, dass das Label so super sei und er unbedingt was machen wollen würde, war ich schon überrascht. Im Mai kommt jetzt auch eine SuperSingle von ihm heraus, auf die er sich total freut. Da denke ich mir dann auch: Krass.

Das sind Typen, die schon um den ganzen Globus gekommen sind und dann Bock auf so etwas wie O*RS haben. Da merke ich, dass sie auch die richtige Einstellung zum Label haben und dass es nicht immer nur darum geht, die nächsten Bookings zu garantieren, sondern dass zu machen, worauf sie Lust haben.Ich habe O*RS immer als Liebhaber- und Boutique-Label wahrgenommen, das sich die Perlen herauspickt – es ist kein Deliver-Label.

Ja, ich bin auch total froh, dass es überhaupt und auf diese Weise wahrgenommen wird – der Markt ist ja eigentlich mega voll und es gibt viele Labels, die eins nach dem anderem versuchen und dann scheitert es trotzdem.

Gab es einen Punkt bei dir, an dem du dachtest, dass es ins Stocken gerät oder dass der Aufwand zu groß wurde?

Letztes Jahr war sehr sportlich mit acht Veröffentlichungen. Es war einfach viel aufgelaufen. Es ist auch weiter noch einiges in der Pipeline, aber ich versuche, es auch wieder etwas zu entschleunigen – acht Veröffentlichungen sind zu viel, selbst für die Hardcore-Fans.

Und die verschiedenen Formate ergeben sich spontan? Vinyl, Tape, USB-Stick, Box-Set – es ist ja fast eine Überraschung, was als nächstes kommt.

Das ist unterschiedlich. Bei der Ranko-EP hatte ich, ehrlich gesagt, Schiss es auf Vinyl zu veröffentlichen. Das Material ist top, aber es ist schwer einzuordnen und mit unserem Vertrieb arbeiten wir zwar gut zusammen, doch er ist schon eher im 4/4-Bereich angesiedelt. Ich hatte Angst auf einer großen Stückzahl Vinyl sitzen zu bleiben.

Das reine Digital-Format finde ich aber langweilig – viele Labels machen das, aber das ist ein In-den-Markt-reinschütten – und es fehlt mir auch die Wertschätzung. Wir haben uns dann für das Tape entschieden und das war wohl die beste Entscheidung. Wir haben 100 Tapes gemacht und fast alle verkauft. 100 Tapes zu 300 Platten haben dann auch ein besonderes Gewicht, weil Tapes ja noch mehr Nische sind.

Beim USB-Stick war es so, dass ich einfach mal Lust darauf hatte. Ich wollte etwas herum experimentieren. Man kommt nicht um das digitale Format herum – das habe ich vor über zwei Jahren festgestellt. So ein Vinyl-only-Credo finde ich auch schwierig, gerade aus DJ-Sicht. Mittlerweile spiele ich auch viel digital und seitdem wir digital aufgestellt sind, bekommen wir auch viel mehr Feedback aus Ländern, wo Vinyl einfach nicht ankommt.

Du machst das Label nebenher? Hast du Nebenjobs oder kannst vom Auflegen leben?

Es ist eine Kombination aus allem. Ich bin schon größtenteils abhängig von den DJ-Gagen, denn die minimalen Gewinne des Labels werden immer gleich reinvestiert in das Label. Und es gibt auch immer noch einen kleinen Nebenjob, aber das gibt auch eine gewisse Freiheit im Kopf, damit man nicht nur delivern muss und abhängig ist, mehr auf den Markt zu schütten.

Mit Good Guy Mikesh hatten wir einen guten Run an Veröffentlichungen. Seitdem wir da einen Cut gemacht haben, habe ich zwar regelmäßig Veröffentlichungen, aber noch keine eigene EP. Es sind immer Compilation-Beiträge oder Remixe. Aber für mich kommt es auch nicht darauf an, wie viele EPs im Jahr ich mache, sondern dass die Stücke, die ich mache aus einer eigenen Intention entstehen und nicht, weil jemand sagt, dass ich damit mehr Bookings bekomme.

Aber das Label wird sich auf deine Bookings ausgewirkt haben – dein Netzwerk dürfte sich erweitert haben.

Definitiv. Es hilft mir bei den Bookings. Wenn das Label vom Namen her wächst, profitiere ich auch davon. Das ist der Lohn der Arbeit.

Du bist ja eigentlich nicht allein mit O*RS – es gibt auch noch Florian Seidel.

Dass er mitarbeitet, hat sich vor zwei Jahren ergeben. Alles was mit Grafik zu tun hat, liegt nun in seiner Hand. Und die Ideen zu den Special Editions. Wir haben ja zu jedem Release neben der normalen Vinyl-Auflage auch eine limitierte Edition mit Postern etc. Er hat die Ideen dafür, setzt sie um und holt die Leute dafür heran.

Das läuft sehr gut, wir sind zwei Parts. Ich kümmere mich um die Musik und die Vertriebsstruktur, Florian ums Artwork. Da ist ein blindes Vertrauen da, ohne dass der eine dem anderen extrem reingrätscht.Du hast ja eine zeitlang den Freezone-Plattenladen betrieben, dann hast du ihn 2011 an Alex von Kann Records abgegeben. In meiner Wahrnehmung war dies eine Initialzündung, um mit O*RS mehr Gas zu geben. Der Laden hat vorher deine Ressourcen wahrscheinlich gefressen, oder?

Total. Ich will die Zeit des Ladens nicht vermissen, weil die für mein Netzwerk und meine persönliche Entwicklung total wichtig war. Aber natürlich ist so ein Plattenladen ein hartes Brot und hat viele Kopfschmerzen verursacht. In der Zeit musste ich leider auch persönlich ein paar Rückschläge hinnehmen, so dass ich kräftemäßig an einem Punkt war, an dem ich feststellen musste, dass ich es nicht mehr schaffe.

Nach dem Abgeben bin ich noch krank geworden – das war ein Punkt in meinem Leben, an dem ich reseten musste. Kurz danach kam außerdem mein Sohn zur Welt und in dem ersten Dreiviertel Jahre habe ich mir da sehr viel Zeit für ihn genommen, in der ich auch viel nachdenken konnte.

Dadurch ist die Label-Arbeit immer mehr in den Vordergrund geraten. Ich hatte auch Lust da mehr Zeit zu verbringen, weil ich das Gefühl hatte, dass von allem was ich in den letzten Jahren gemacht habe, ist dies das Nachhaltigste, was übrig bleibt. Natürlich habe ich in den vergangenen Jahren eine Menge Partys veranstaltet, an die sich manche vielleicht auch noch erinnern.

Auch der Plattenladen ist nun Geschichte, doch mit einem Label ist die Vision, sich auch weiterhin mit diesem Lifestyle zu beschäftigen immer noch spannend. Und das kann auch noch mit in ein höheres Alter gezogen werden. Noch bin ich sehr aktiv als DJ und das möchte ich auch beibehalten, aber wer weiß, ob das in fünf Jahren noch jemand interessiert oder ob ich dann selbst noch Lust darauf habe, immer in diesen Business-Gegebenheiten mitzuschwimmen, die mittlerweile in manchen Punkten wirklich ätzend sind.

Inwiefern?

Ich habe das Gefühl, dass es heute ganz viel um Selbstdarstellung geht, weniger um Inhalt. Es geht darum, wer die meisten Facebook-Likes und Releases hat – egal was. Hauptsache auf irgendwelchen Labels Sachen raushauen. Agenturen schrauben die Preise immer höher, alle versuchen auf einmal ein Chirurgengehalt zu bekommen mit der Aussage, dass es jetzt passieren muss, denn wer weiß, wie lange es noch läuft.

Ist das vielleicht auch deshalb so, weil House und Techno mittlerweile wieder mehr im Fokus stehen – es gibt wieder einen starken Mainstream und es lässt sich natürlich auch mehr Geld verdienen.

Ja, das hat schon Einfluss darauf. DJ-Sein hat ja heute was von einem Lifestyle. Das merkt man auch daran, dass DJ-Equipment immer teurer wird. Ein Fernseher kostet 200 €, aber ein DJ-CD-Player 2.000 €. Der Markt macht sich auch selbst kaputt durch die Masse an Tracks, die nur veröffentlicht werden, damit Leute am Start sind.

Musst da als Label-Betreiber auch kämpfen, weil dir jetzt mehr Musiker Demos schicken?

Die Demo-Flut wird größer, ja. Durch den Boiler Room-Mix kriegt man am selben Tag das Postfach voll mit irgendwelchem Schrott. Obwohl ich mich gefreut habe, dass das so funktioniert hat mit dem Mix. Ich picke mir die Acts selbst heraus und versuche in der Kommunikation herauszufinden, ob es passen könnte.

Und meist versuche ich frühzeitig den Zahn zu ziehen, damit nicht die Erwartung aufkommt, dass es mit einer Veröffentlichung sofort los geht. Ich möchte auch als Label-Betreiber nicht ständig den Druck von einem Artist spüren, mehr Bookings zu bekommen. Dann passt das auf unserem Weg nicht zusammen. Für mich entwickelt sich das zu einem familiären Gefüge und ich finde es schön, irgendwo ganze Abende mit Label-Acts zu gestalten. Das hat dann auch ein anderes Feeling, als allein irgendwo hinzufahren.

Du meintest, es gehe heute viel um Selbstdarstellung – welchen Weg hast du für dich da gefunden? Du bist ja auch aktiv in den sozialen Netzwerken? Wo ist der Punkt, an dem du nicht mitmachst?

Man kommt nicht komplett drumherum. Klar, es gibt Leute, die haben das geschafft – ein gutes Beispiel sind für mich Workshop und Kassem Mosse, aber das sind auch besondere Konstellationen. Die Workshop-Leute sind seit zwanzig Jahren im Business und bedienen ihre Kanäle. Und bei Kassem Mosse ist es etwas zwischen großem Talent und viel Glück. Worauf ich keine Lust mehr ist, sind Beatport- und Resident Advisor-Charts.

Mit den neuen Medien hat sich ja auch das DJ-Business verändert – in den Neunzigern gab es für die Masse der DJs nicht die Möglichkeit, sich in seinem DJ-Alltag mit Essen, Flughafen, Hotel und Crowd-Aufnahmen zu präsentieren. Das ist ja auch eine neue Inszenierung des DJ-Daseins.

Ja, eigentlich muss heute jeder DJ einen Social Media-Kurs bekommen. So wie jeder Profi-Fußballspieler, der heute einen Teacher hat, der ihm sagt, wie er sich zu verhalten hat. Ich versuche das immer mit etwas Humor anzugehen, der vielleicht auch nicht immer ankommt. Ich glaube, man kann nur durch eine gewisse Ehrlichkeit punkten.

Du bist ja einer der wenigen Ur-Leipziger in der aktuellen lokalen Szene. Wie fällt dein Resümee auf die letzten zehn bis fünfzehn Jahre der Leipziger Elektronik-Szene aus?

Also in den letzten zehn Jahren hat die Szene einen enormen Entwicklungsschub hingelegt hat. Es gibt mittlerweile viele Labels, DJs und Producer, die auf Weltniveau sind – das gab es in der Form bis Mitte der 2000er bis auf ein paar Ausnahmen nicht. Aber das liegt auch an der ganzen technischen Entwicklung mit dem Internet und der einfacheren Art Musik zu produzieren. Es ist auch leichter geworden, eine Schallplatte pressen zu lassen.

Aber Leipzig hatte schon immer eine starke Szene. 1993 und 1994 bin ich als Vierzehnjähriger in das Rave-Ding eingetaucht. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern sehr human der ganzen Sache gegenüber standen und mir da auch viel Vertrauen entgegengebracht haben. Mir hat das damals in dieser gesellschaftlichen Neuorientierungsphase auch geholfen, Offenheit zu lernen. Das Techno-Ding war ein Platz für jeden, es war ein Schmelztiegel in dem es nur darum ging, die Nacht gemeinsam zu verbringen oder endlos für sich zu sein. Das ist heute nach zwanzig Jahren natürlich eine ganz andere Maschinerie geworden.

Hat es für dich aber noch das verbindende Potential?

Doch, das hat es. Mir hat es ja auch geholfen, durch die Musik weltweit mit Leuten in Kontakt zu sein und auch aus Leipzig rauszukommen, um andere Städte, Länder und Menschen kennenzulernen und Gespräche mit einem anderen Fokus führen zu können. Darüber bin ich extrem glücklich, weil das eine Offenheit hervorruft, die den meisten Leuten leider fehlt, weil sie sich immer in ihrem Kreis bewegen.

Um noch einmal auf den Freezone-Laden zurückzukommen: Das Abgeben hat mir auch mehr Freiheit gegeben herumzureisen und rauszukommen. Denn im Laden war die Szene schon sehr geschlossen. Im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass ein paar meiner Helden von damals den Schub noch geschafft hätten. Aber da hing der Osten einfach zehn Jahre hinterher.

Wer denn zum Beispiel?

DJ Till etwa, der auch auf Klang ein paar Platten veröffentlicht hatte. Auch Frankman, wobei er in seiner Nische noch aktiv ist.

Fehlt dir was an der Leipziger Szene?

Es ist schwierig, mit kreativer Arbeit hier Geld zu verdienen. Es ist überhaupt schwierig, hier Geld zu verdienen. Das ist nach 25 Jahren schon beschämend, zumal Leipzig für viele die Vorzeigestadt im Osten ist. Das ist bitter. Natürlich gefallen mir die Folgen der Gentrifizierung auch nicht. Aber das scheint gerade die Last jeder größeren Stadt zu sein.

Aber bezogen auf die Elektronik-Szene?

Es ist schon sehr viel Techno und 4/4-Bereich gerade. Klar gibt es auch eine aktive Beatmaker-Szene, aber ich würde mir mehr Veranstaltungen wünschen, bei denen die Stile gecrosst werden, bei dem sich alles miteinander befruchtet und nicht jeder in seinem Dunstkreis hängt. Ansonsten bin ich eher zufrieden. Im Vergleich zu anderen Städten in der Größe kann sich eigentlich keiner beschweren. Da haben wir manchmal zu viel.

Zurück zu O*RS – da ist ein weiteres Sub-Label geplant.

Ja, neben RDF Music, das ich mit Ron Deacon und neuerdings auch Dan Confusion betreibe. Da ist die dritte Platte fertig. Das ist aber noch mehr eine Liebhabersache, die einer ganz eigenen Dynamik unterliegt. Das ist sehr auf uns bezogen.

Das zweite Sub-Label ist Ourselves, das von Jan Ketel kuratiert wird. Er wohnt zwar in Görlitz, aber wir haben einen sehr guten Draht gefunden, seitdem er erstmals bei uns was veröffentlicht hat. Wir haben festgestellt, dass wir einen recht großen Künstlerstamm haben. Und Ourselves ist dann eher eine Plattform für den Inner Circle von O*RS.

Mit neuen Sound-Facetten?

Das wird eher club-mäßig mit Dance-Tracks, aber auch nicht mit dem Fokus, dass es sich verkaufen muss. Ansonsten stehen die nächsten beiden SuperSingles an – mit Yannick Labbé und Jan Ketel. Und ich kann auch schon sagen, dass wir das Deko Deko-Album herausbringen – und ein Lootbeg-Album soll kommen.

Das heißt, du gehst jetzt auch in den Artist-Alben-Bereich?

Stimmt, die ersten beiden Alben waren Compilations. Lootbeg hat mir neue Demos geschickt und irgendwie habe ich herausgehört, dass die alle aus einem Guss sind und dass die in einem Zusammenhang präsentiert werden müssen.

 / Soundcloud / Bandcamp

Various Artists „O*RS 5yrs“ (O*RS)

O*RS feiert in diesen Tagen sein 5-jähriges Label-Bestehen. Da darf die Jubiläums-Compilation nicht fehlen.

Mit vier Tracks fällt sie zwar kleiner aus als erwartet, aber dafür gibt es eine Menge toller Specials nebenher. Denn, wenn etwas in vergangenen fünf Jahren deutlich wurde, dann, dass O*RS mehr als ein Musik-Label ist. Wie es dazu kam, erzählt Filburt übrigens ausführlich in unserem großen frohfroh-Interview.

Zum Jubiläum wurde einmal die „Edition Daphne 5“ aufgelegt, eine auf 50 Exemplare limitierte Box mit Drucken, Stickern und Fotos von Nora Heinisch, Büro Bum Bum, Felix Schneeweiß, Florian Seidel und Idan Sher. Außerdem hat O*RS-Mitbetreiber Florian Seidel ein Plakat gestaltet, das alle Label-Releases grafisch auf DIN A1 vereint. Da wurde einiges zum Geburtstag aufgefahren.Musikalisch gibt es von Andreas Techer, Ranko und M.ono & Luvless drei neue Tracks, die den breitgefassten House-Ansatz von O*RS treffend präsentieren. Mit Sidekicks in Richtung Pop, Disco und Instrumental HipHop. Außerdem verhilft Filburt seinem Beitrag zu unserer ersten frohfroh-Compilation „Wasted Most Of My Life DJing In Night Clubs“ noch einmal zum Vinyl-Re-Issue.

Wir sagen: Happy Birthday!

O*RS Website
Mehr zu O*RS bei frohfroh

Neu entdeckt: The Road Up North

Vom Gewandhausorchester zur breakig-flirrenden Electronica – The Road Up North wechselt die Seiten.

Leipzig hat eine durchaus renommierte Musikhochschule. In die elektronische Musikszene der Stadt strahlt davon jedoch nur wenig ab – mit Ausnahme von Niklas Kraft alias Talski und Friederike Bernhardt, die beide dort studierten. Mit Joshua Lutz alias The Road Up North gibt es nun aber einen weiteren Musiker, der noch einmal an einem anderen Sound arbeitet.

Klassisches Schlagwerk studiert der 22-jährige gebürtige Stuttgarter derzeit in Leipzig. Er spielte bereits ein Jahr im Gewandhausorchester, um schließlich die elektronische Musik für sich zu entdecken. Und hier wirkt sich die musikalische Bildung in einer besonderen Weise aus.

Denn für die The Road Up North-Tracks greift er soviel wie möglich auf eigene Einspielungen und Field Recordings zurück – ohne Pre-Set-Librarys. Und er hat keine Lust auf allzu statische Loops: „Meine Musik soll im ständigen Fluss sein. Viele Tracks sind durchkomponiert – da macht sich wahrscheinlich meine Herkunft aus der Klassischen Musik bemerkbar“, erklärt Joshua Lutz.

Zwar gibt es trotzdem repetitive Momente, doch ebenso viele Wendungen, Brechungen und Verformungen. Jeder Track seiner ersten EP „Flora“ ist voller Sound-Details, filigran zusammengesetzt zu drei- bis vierminütigen Power-Tracks. Rhythmisch geerdet zwischen  HipHop, Drum & Bass, Dubstep und Broken Beat. Auf einer Reise durch Südafrika entstanden viele Aufnahmen für die EP, demnächst soll ein Album namens „Higher“ erscheinen, das in Zusammenarbeit für einen Film entstand.

Was wirklich flasht: Die Fülle an Ideen auf kleinem Raum sowie die entwaffnende Offenheit und Herzlichkeit der umher fliegenden Sounds. Dass dies nicht überladen und überhymnisch klingt, macht die ersten The Road Up North-Lebenszeichen noch anziehender. Da wurde bestimmt auch viel aus dem Brainfeeder-Umfeld gehört in den vergangenen Jahren.Die überbordende kreative Energie der „Flora“-EP scheint auch in Joshua Lutz‘ Kopf einiges zu bewirken, liest man sich durch seine Beschreibungen der vier Tracks:

„Mir hat sich während der Produktion zu jedem Track und zum Schluss auch beim Gesamtwerk eine Geschichte eröffnet. In „Baby Flower Learns To Grow“ kann man einem kurzen Dialog zwischen Baby- und Mutter-Blume zuhören. Beinahe schon cineastisch wollte ich darstellen, wie die kleine Blume zu etwas sehr schönem heranwächst – und mit ihr ein ganzer Dschungel, durch welchen wir im zweiten Track flitzen: „Jungle Skating“.

Der Dschungel präsentiert sich hier als wild, groß und groovy. Die Drum & Bass-Einflüsse sind quasi selbstverständlich, da dieser elektronische Stil dem, in Jamaika entstandenen Genre „Jungle“, entstammt. Im tiefsten Teil des Dschungels angekommen, entdeckt der Reisende die „Dreammachine“.

Die geht ab und schickt uns in zwei verschiedene Träume. Der erste ist „Drive Alone“: Ein einzelner Gefangener in einer Drohne, der über unsere Gesellschaft triftet und zusieht wie diese von der Drohne mit Blumen bombardiert wird. Absurd, aber so sind Träume nun mal.

Im zweiten Traum, laufe ich durch einen dunklen Wald, vorbei an Fabelwesen und seltsamen Szenerien. Ich bin mir aber nicht so sicher – wie Alan Watts im Intro einleitet – ob ich und all das um mich herum tatsächlich existiert. Zugleich fühle mich in der ‚Blackness‘ aber trotzdem wohl.“

Auch wenn sich hier konzeptionell doch noch eine überladene Ebene auftut: The Road Up North ist eine unglaubliche Erfrischung und Bereicherung in diesem noch recht jungen Leipziger Elektronikjahr. Bei Bandcamp gibt es auch noch ein paar ältere Tracks zu entdecken.

The Road Up North Facebook / SoundcloudBandcamp

Arpen x Kestalt

Arpen wird in diesem Jahr ein sehr gutes Album herausbringen – leider erst im Herbst. Doch es gibt ein Nebenprojekt zur Überbrückung.

Bisher war bei frohfroh von Arpen eher am Rande die Rede – als Teil der jüngeren A Forest-Besetzung und der Landgang-Video-Reihe. In diesem Jahr steht aber sein Solo-Debüt-Album an, das auf Analogsoul erscheinen soll – ein kurzes, dafür aber umso pointierteres Werk.

Allerdings müssen wir uns noch bis zum Herbst gedulden. Es gibt aber ein weiteres Solo-Projekt namens Kestalt, das sich nicht mit elektronisch eingebettetem Pop beschäftigt, sondern mit instrumentalen und freieren Formen.

Auf Soundcloud gibt es mit „F“ ein erstes Kestalt-Stück mit sanft schwebendem Ambient-Part, der später zunehmend in neurotisch-eingedunkelte Loop-Überlagerungen abtriftet. Nostalgisch und zeitgenössisch zugleich. Da soll wohl noch mehr kommen in nächster Zeit. Ja, bitte.

UPDATE UPDATE

Mittlerweile gibt es das erste Video zu einem Song des neuen Arpen-Albums zu sehen. Generell steht das Album wohl im Spannungsfeld von Musik und Fotografie, mit der US-Künstlerin Taryn Simon als große Inspirationsquelle – so ist es im Analogsoul-Blog zu lesen.

Das Video zu „For How Long, How Long“ ist ebenfalls von einer fotografischen Dynamik geprägt. Mit surreal bis episch inszenierten Stillleben. Ein extrem beeindruckendes Video, gedreht von Tobias Schütze und Benjamin Büttner.

Und es gibt weitere Einblicke in das Kestalt-Projekt. Auch hier bietet der Analogsoul-Blog mit einem Interview höchst interessante Ergänzungen. Etwa, dass „’F‘ […] von den so genannten ‚F-Gebilden‘ aus dem mehrfach verfilmten Roman ‚Solaris‘ von Stanisław Lem [inspiriert ist]. Diese ‚F-Gebilde‘ sind im Roman eine bestimmte Form von molekularer Struktur, die sich aus noch kleineren Teilen als Atomen zusammensetzt.“

Daniel Stefanik & Thomas Stieler „Numbers Part 1“ (Rotary Cocktail Rec.)

Daniel Stefanik und Thomas Stieler haben sich für eine gemeinsame EP zusammengesetzt – vielleicht wird eine Reihe daraus.

Im letzten Herbst gab schon einmal eine Verbindung von beiden zu hören, jedoch noch autark voneinander. Da remixte Daniel Stefanik den Track „Well Justified“ von Thomas Stieler. Daraus wurde offensichtlich mehr und es entstand die Idee einer gemeinsamen Reihe – zumindest erzählt das Berliner Label Rotary Cocktail Rec. etwas von einer Reihe und die Nummerierung im EP-Titel impliziert es ebenfalls.

Teil 1 ist ein stromlinienförmiger und glatt gezogener Ausflug in den klassischen Deep House der frühen 2000er. Warme Classic-Chords  in reduziert-drückenden Arrangements, die nirgendwo anecken und so aus einem Guss klingen, dass keiner der vier Tracks für sich allein herausragt. Solide im besten Sinne, mir aber trotz der angenehm leichten Deepness zu toolig. Ich bin gespannt auf die weiteren Teile der Reihe.

Mehr Druck und zugleich mehr vertrackten Disco-Pop-Appeal gibt es übrigens gerade mit Daniel Stefaniks Remix für Haste Midis Track „Fool“. Mit ganz anderer Spannung, dank derb kickender Bassdrums und der super reduzierten Deepness.

Daniel Stefanik Website
Thomas Stieler Website
Rotary Cocktail Rec. Website
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Mesak „Decomposition EP“ (Moniker Eggplant)

Mit einer feinen 7″ winken uns die Macher des Labels Moniker Eggplant aus Berlin zu. Wir erinnern uns: In der Vergangenheit gab es unter anderem eine Compilation mit einigen Beiträgen aus Leipzig, eine Split-7″ mit Alphacute, bei der Britney Spears durch den Remix-Wolf gedreht wurde, und ein wahnwitziges Tape von Leise im Kran. Nun also eine 7″-Single, deren Leipzig-Bezug sich mit einem Remix von PorkFour im Bonus versteckt.

Aber der Reihe nach. Auf Vinyl werden uns zwei Stücke des Skweee- und Electro-Funk-Meisters Mesak präsentiert, den die einen oder anderen auch als Teil von Mr Velcro Fastener kennen. Kürzlich war er auch auf ersten Bassmæssage-Platte vertreten. Für Moniker Eggplant hat er zwei recht unterschiedliche Stücke herausgerückt, deren ebenso unterschiedliche Remixe als digitaler Bonus erscheinen.

Auf der ersten Seite begegnen wir dem fast schon Dubstep-artigen „Collapsing“, zu dem ChaCha in Shanghai aufgenommene Vocals beisteuert. Fast schon bedrohlich wirkt das Stück und erinnert auch etwas an die Zusammenarbeit von ChaCha mit Kode9 & The Spaceape. Der Bonus-Remix von Patric Catani steppt gleich etwas militärischer über den Dancefloor.

Eine andere Stimmung auf der zweiten Seite: „Lahota“ ist ein flirrendes Eletronica-Stück, das mit seinem eigenwilligen Groove sowohl Füße und Kopf erfreuen. Ganz behutsam geht mit PorkFour in seinem Remix mit dem Original um, ergänzt es um einige schnatternde Sounds und dezente Flächen, nimmt zu Beginn den Drive raus, um es dann umso herausfordernder zum Funk-Übermonster mutieren zu lassen. Fantastisch!

Moniker Eggplant beschert uns hier ein schönes Mahl und macht gleichzeitig auch Hunger nach mehr Musik vom lokalen Modul-Synth-Wizard PorkFour.

Five Favs – Februar 2016

Wir starten eine neue Reihe: Am Ende des Monats stellen wir noch einmal unsere fünf liebsten Tracks zusammen. Los geht es.

Es ist nicht so, dass wir die größten Fans von Listen sind, aber irgendwie reizt die andere Auseinandersetzung mit dem, was wir bei Releases Releases  an neuer Musik aus Leipzig vorstellen. „Five Favs“ soll eine resümierende Konzentration unseres vorherigen Monats sein. Ganz einfach fünf Hits, ohne Ranking-Anspruch unter den fünf ausgewählten Tracks.

cmd q „Epigon“ (Kann Records)

Neu bei Kann Records und gleich ein Ausflug in die klangliche Stratosphäre. „Epigon“ von cmd q bewegt uns durch seine „elegisch-abstrakte Ambient-Weite, die im harschen Kontrast zur brüchigen und mit dubbigen Kantigkeit der Beats steht.“

Stefkovic van Interesse „Unterholz“

Stefkovic van Interesse geht an besondere Orte und nimmt dort Sounds auf aus denen er Ambient-Artefakte produziert. Zuletzt war er in einem Laden für antike Möbel aus dem das Album „Im Unterholz“ entstanden ist. Der gleichnamige Track steht exemplarisch für „eine düstere Reise ins Halbdunkel und ins Zwischenweltliche.“ Unser Listening-Favorit.

Panthera Krause „Z-Cuts“ (Uncanny Valley)

Auf einen linearen Sound mag sich Panthera Krause nicht festlegen. Und so kommen glücklicherweise neben den offenherzig-eingängigen Hits auch sehr spannende B-Seiten-Hits hervor. Solche wie „Z-Cuts“, die „die in ihrer Unberechenbarkeit [besonders] gefallen.“

Ron Deacon „2605 (Filburt Rmx)“ (RDF Music)

Hier ist Filburt ein wirklich herausragender Remix für Ron Deacons Track „2605“ gelungen. Erst so tun, als ob nichts weiter passiert und plötzlich „flutet eine helle Synth-Harmonie das melancholisch eingetrübte Intro und öffnet den Weg für eine weitere freier umher schwenkende Synth-Schleife.“

Blac Kolor „Terpentin“ (Basic Unit Productions)

Ok, der Februar war ganz schön dark – auch durch Blac Kolors zweites Album „Born In Ruins“, das in seiner breakigen Schroffheit noch einmal intensiver wirkt wie das techno-lastiger „Wide Noise“. Einen Track herauszunehmen ist nicht leicht, ist „Born In Ruins“ doch ein sehr homogenes Album. Wir legen uns trotzdem fest auf das ebenso harsche wie ambiente „Terpentin“.

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Video – Shishigami „Abyssal Gigantism“

Eine Nebelmaschine plus mehrere Scheinwerfer mit Farbfolien – fertig ist ein kontemplativ-schillerndes Musikvideo zu Shishigamis Track „Abyssal Gigantism“.

Wer ist Shishigami? Wir hatten ihn vor einem Jahr entdeckt und voller Euphorie vorgestellt. Euphorisch wegen der „mit Hall beladenen Ambient-Elegie, die durchaus Avant-Pop, viel Pathos, Subbass und Shoegaze-Doomness mit aufsaugt.“ Und auch auf unserer ersten frohfroh-Compilation war er mit seinem Stück „Soft Codes“ zu hören.

Für „Abyssal Gigantism“ von der ersten EP „Sea Green“ hat Shishigami nun ein Video zusammen mit Malte Pätz gedreht. In einer Black Box experimentierten sie mit Nebelschwaden, unterschiedlich eingefärbt von Farbfolien und durchsetzt von Staubpartikeln. Alles analog aufgenommen. Super Video. Aber: Ein Jammer, dass da noch nicht mehr Neues von Shishigami zu hören ist.

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Ron Deacon „Ella Rosa“ (RDF Music)

Fast ein Jahr nichts Neues mehr Ron Deacon gehört – sein mit Filburt betriebenes RDF-Label beendet die kleine Pause.

Doch Gitarre und Glöckchen, was ist da passiert? „Ella“ und „Rosa“ klingen für Ron Deacon arg lieblich und seicht. Zweimal die volle Emo-Breitseite. Bei „Ella“ eingebettet in eine ravig-trippige Weite, bei „Rosa“ in ein perkussives Schunkeln. Das ist das erste Mal, dass mir Ron Deacon zu kitschig ist.

Dafür packt mich „2605“ umso mehr. Wunderbar wie sich aus dem trocken-bassigen, breakigen Beginn ein sphärischer House-Track herausschält, der aber immer wieder eine gewisse Breakigkeit zulässt. Die Piano-Chords halten alles zusammen – ein stiller Nebenschauplatzhit.

Filburt baut mit noch trockenerem Bass und einem anfangs dahin mäanderndem Arrangement eine ganz eigene Spannung für „2605“ auf, die sich sehr großartig auflöst. Plötzlich flutet eine helle Synth-Harmonie das melancholisch eingetrübte Intro und öffnet den Weg für eine weitere freier umher schwenkende Synth-Schleife. Auch toll, aber der Übergang kickt mich besonders. Der beste Filburt-Remix so far.

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Bleep Bleep – Workshop für elektronische Klangsynthese

Vielleicht hat sich auch der eine oder andere schon mal gefragt, wie genau eigentlich die seltsamen Geräusche entstehen, die elektronische Musik immer wieder so spannend und vielfältig macht.

Irgendwann stolpert man dann über Synthesizer: Geräte mit vielen Knöpfen und Reglern, manchmal auch mit Steckverbindungen und wenn man Glück hat, dann gibt es eine Tastatur wie beim Piano. Schaut man sich die Kisten genauer an, tauchen viele Fremdwörter und noch mehr Fragezeichen auf: VCO, VCA, ADSR, CV … Was zur Hölle soll das alles bedeuten?

Um diese und weitere Fragen zu beantworten und einen Einblick zu erhalten, wie Sounds gebaut werden, bietet die Musikschule Neue Musik Leipzig am 5. März einen Workshop zu elektronischer Klangsynthese an. An einem analogen Modularsystem erklärt Klaus Franzheld alias Klangakrobat grundlegende Synthesekonzepte und zeigt euch, wie ihr eigene Sounds erstellen könnt.

Teilnehmen könnt ihr für 35 €, ermäßigt 25 €. Los geht’s am Samstag um 11 Uhr, ab 18 Uhr könnt ihr dann den Tag zu einem Live-Set von Klangakrobat ausklingen lassen. Anmelden könnt ihr euch unter info(at)neue-musik-leipzig(punkt)de oder unter 0341 / 5500 8344.

Neue Musik Leipzig

Stefkovic van Interesse „Im Unterholz“

Stefkovic van Interesse war im Antik-Laden Unterholz auf Sound-Spurensuche – neben zwei Live-Auftritten entstand auch ein Album.

Im Dezember 2014 haben wir Stefkovic van Interesse im Rahmen unserer Ambient Week erstmals vorgestellt. In der Zwischenzeit ergab sich für den Ambient- und Drones-Producer die Möglichkeit im Antik-Laden Unterholz Sounds von antiken Möbeln aufzunehmen, um daraus eigene Tracks zu produzieren.

Im Dezember letzten Jahres sowie im Februar 2016 führte er dann im Laden zur Vernissage und Finissage der Ausstellung „Im Unterholz“ von der Wiener Künstlerin Maxi Schramm erste Stücke auf. Zwischen beiden Terminen entstand zudem ein gleichnamiges Album, das Stefkovic van Interesse via Bandcamp veröffentlicht hat.Die sieben Stücke auf „Im Unterholz“ entfalten dabei eine unterkühlte, bedrohliche Atmosphäre aus abstrakten und entschlüsselbaren Field Recordings. Mit Schubladengriffen, Scharnieren und Schranktüren erzeugtes Rasseln, Knarzen und Pochen verschwimmt mit dauerpräsenten oder sich mit Hall-Effekten langsam aufbäumenden Sound-Artefakten. Teilweise mit kurzen Entgleisungen in Richtung Noise.

Es ist kein gemütlicher und gefälliger Wohlfühl-Ambient, den Stefkovic van Interesse mit „Im Unterholz“ geschaffen hat. Vielmehr eine düstere Reise ins Halbdunkel und ins Zwischenweltliche. Ein Album, dem man sich hingeben und öffnen muss, das aber im richtigen Moment als auditives Kunstwerk viele faszinierende Schichten offenbart.

„Im Unterholz“ gibt es digital oder als limitierte CD-Box mit einer Fotografie und einem Rindenstück aus dem Leipziger Wald.

Stefkovic van Interesse
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